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Gaben des Wonnemonds

Der Zuflug von Süden folgt jubilierend der Frühjahrsverheißung, und da ist Rauhbautz dem Wege alles Werbens und Wachsens entgegengezogen, heimlich, schattenhaft, zögernd. Auch seine in unterirdischem Schlaf geprägte Weltverneinung findet aus der keimenden Unterwelt des Bewußtseins den Gang alles Lebens, den Weg zur drangvollen Lebensbejahung. Auch in ihm steigt der Wunschsaft, auch er kann nicht widerstehen den ewigen Gesetzen aller Flüsse, zur Tiefe zu wandern, aller erwärmten Lüfte, den Weg der Höhe zu suchen. Auch ihn leitet die tief eingeschriebene Pflicht seiner Sippe, zu leben, zu wachsen, zu gedeihen, eine Pflicht, die er selbst zu eigenem Gute in Recht wandelt.

Oben in den Bergen gibt es für Heilung eines Siechtums jetzt keine kräftestärkende Krankenkost, und so muß Rauhbautz sie von den ersten Frühtischen beziehen. Des Wildapfels Blütenschnee entfacht das gemütliche Summen der Hummel, doch auch ein Summen anderer Art, das der drohenden Zerstörung, das Schnurren des Maikäfers. Es schwirrt und summt, als ob der ganze Baum über die kurz wuchernden Eichen davonfliegen wollte; und als es einmal nicht summt, in frostkalter Vorfrühe, da leiser Sang des Windes in den Zweigen um die erstarrten Käfer spielt, sitzt Rauhbautz im Baum und klaubt stillgeschäftig die braunen Früchte ab. Er schüttelt die Äste, plumpst zu Boden zwischen das Untergebüsch, zerknautscht die flüchtige Ware, ehe sie sich bedenkt, und schmatzt sie wohlig ein.

Das regt die inneren Lebensgeister angenehm und nachhaltig an. Bald hat er eine reichliche Menge der nußschmeckenden Schädlinge binnen, und bevor noch der Tag aufleuchtet, patscht er durch die braune Flut des Talbaches auf die andere Seite, um noch den Gegenwind zu erreichen, bevor unter steigendem Tag die Luft umschlägt und er sich sein Lager bereiten muß.

Wenn Rauhbautz aus der Winterhärmung auch nicht so rasch zur Leibesrundung kommen kann, so spürt er sich doch schon in allen Gelenken ausbreiten, sein samtiger Winterpelz mit dem weißen Schlips steht ihm recht gut zu Gesicht, er kann sich auch in Damengesellschaft sehen lassen. Und wirklich, als der Spindelbaum blüht, steigt zum erstenmal ein Sehnen auf in ihm nach dem Ewigweiblichen. Ganz am Magen vorbei schlägt die Wünschelrute aus, es durchrieselt ihn heiß und kalt in fieberndem Verlangen; benommener Sinne verdrehen sich schmachtend seine Seher wie vormals die der Freier seiner Mutter; er fühlt unaussprechlichen Haß gegen solche Kerle, weil er in ihrer Mitbewerbung den eigenen Anspruch gefährdet sieht. In verrücktem Wandern und Suchen weit über Berg und Tal, ohne Sinn für schreckende Rehe, Abpoltern von Sauen, gerät er so an die Geheimkammer einer alten Tante, die bewacht ist von demselben Lümmel, der Vorjahrs, einem Hahnrei gleich, dem Liebesflehen eines Stärkeren zusehen durfte. Rauhbautz widerfährt das gleiche Geschick, und er muß froh sein, daß er zum Schluß am Grund der versiegten Quelle noch ein faules Gnadentröpfchen zur Kühlung seines brandigen Durstes schlürfen kann, zur rechten Stunde noch, bevor sein molliger Winterpelz in lauter Fransen aufgeht.

Ein Glück für ihn, daß an erkaltende Gefühle auch seine Gefühle sich nicht klammern. Gegen den ersten besten Wind geht er davon.


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