Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

1. Kapitel.

In dieser Mainacht des Jahres 1780 schlief der junge Prinz Adalbert wenig und unruhig. Immer wieder fuhr er traumtrunken empor, hob den Kopf, spähte durch die grünseidenen Vorhänge seines Himmelbettes nach dem Fenster, ob es schon den ersten Morgenschein hereinließe, atmete auf, wenn er sah, daß überall im Gemach noch die Schatten des Dunkels lagen und ließ den blonden Kopf wieder beruhigt in die Kissen sinken, wenn das Silberstimmchen der Kaminuhr ihm tröstend sagte, daß es noch gute Weile haben würde, bis der große Tag anbrach. »Der große Tag«, so hatte sein Großvater, der regierende Herzog, gesagt und hinzugefügt: »Dein Ehrentag ist's! Der Tag, an dem du zur Armee eingestellt wirst, muß der schönste deines Lebens sein, dein Lebtag mußt du als deine beste Erinnerung an ihn denken! Von diesem Tag an gehörst du nicht mehr dir oder deiner Frau Mutter oder sonst wem, sondern der Armee!« So hatte er in seiner soldatischen, rauhen Art zu dem Zwölfjährigen gesprochen und ehrerbietig, wie es einem Enkelkinde seiner Zeit zukam, hatte Adalbert die Hand des Großvaters geküßt und gesagt: »Wie Euer Hoheit befehlen!« Sein Herz aber hatte nichts von dem gewußt, was der Mund sprach, denn wenn der Zwölfjährige auch die Worte des alten Herzogs nicht ganz erfassen konnte, so erfüllten sie ihn doch mit unbestimmter Angst. Er ahnte, daß der Großvater ihn aus der gehegten Kinder- und Knabenzeit hinüberführen wollte in eine andere Welt, in eine Welt, die ausschließlich dem Großvater gehörte und von seinem strengen Geist beherrscht war.

Die Armee war ja die ganz persönliche Schöpfung des Herzogs; aus dem Chaos eines verlotterten Söldnerhaufens hatte er diese Regimenter geschaffen, die selbst dem alten Fritz Bewunderung entlockten und ruhmreich an seiner Seite den großen Krieg geführt hatten. Wie der Sonnenkönig einst sagte: »Der Staat, das bin ich!«, so durfte mit ungleich größerem Recht der Herzog von sich sagen: »Die Armee, das bin ich!«, und eben weil er die Armee war und die Armee er, spürte der Enkelsohn Angst vor dem Gedanken, daß er nun fester noch als zuvor dem Großvater unterworfen sein sollte. Angst war ja das stärkste Gefühl, das der Herzog in seinem Enkel auslöste. Immerfort fürchtete sich Adalbert vor diesem gewaltigen und wohl auch gewalttätigen Manne, der ihm nie Zärtlichkeit erwies, ihn kaum je bei seinem Namen, sondern fast immer nur »Kröte« nannte. Dies Wort hätte ja je nach der Betonung auch wie eine Liebkosung sein können, aber der Herzog sprach es mit einer gewissen geringschätzigen Bitterkeit, so als ob er es nie verwinden könnte, daß dies einzige Enkelkind zart von Körper und von scheuem, unknabenhaftem Wesen war. Am meisten fürchtete Adalbert die Augen des Großvaters, diese seltsamen, etwas vorquellenden Augen, in deren auffallend großem Weiß eine kleine, dunkle Iris schwamm und wie eine aufgespießte, schwarze Glasperle glitzerte. Wenn der Großvater ihn mit diesen Augen ansah, kam sich Adalbert immer wie auf irgend etwas ertappt vor, obwohl er nichts zu verbergen hatte.

Dem Willen des Großvaters nach wäre Adalbert schon vor zwei Jahren, als Zehnjähriger, in die Armee eingereiht worden, damals aber hatte sich seine Mutter, die verwitwete Frau Erbprinzessin ins Mittel gelegt. Mit ihrem charmanten, ewig gleichbleibenden Lächeln, das sie auch in den ernstesten Augenblicken nur vorübergehend ablegte, hatte sie auf Adalberts geschwächte Gesundheit hingewiesen, der eben erst vom Scharlachfieber aufgestanden war und auch im darauffolgenden Jahre mußte der Herzog seinen Wunsch zurückstellen, denn damals lag der Enkel an den Masern darnieder, Nun aber, da er in all den letzten Monaten gesund geblieben und lang aufgeschossen war, gab es für den Großvater kein Halten mehr, und er sagte in seinem polternden Ton zu der charmant lächelnden Schwiegertochter:

»Es ist hohe Zeit, Frau Schwiegertochter, daß Ihr Sohn in Zucht und Ordnung kommt! Lange genug ist der Bengel bei Ammen und Kindsmägden geblieben.«

»Ammen und Kindsmägden?« fragte die Frau Erbprinzessin immerfort charmant lächelnd, aber doch etwas spitz. »Ich erinnere mich nicht, noch irgendeine Amme oder Kindsfrau unter meiner Dienerschaft zu haben.«

»Jawohl, Ammen und Kindsmägde, wenn sie auch keinen Milchbusen zur Schau tragen. Ihr Abbé Clément ist auch so eine Kindsmagd ohne Milchbusen!«

Die Frau Erbprinzessin entgegnete nichts. Sie lächelte immer noch, war aber innerlich chokiert. Sie liebte zwar graziöse Pikanterien, keineswegs aber Kasernenausdrücke à la »Milchbusen« …

»An seinem zwölften Geburtstag wird er in das Regiment seines verstorbenen Vaters »Erbprinz« eingestellt. Und dann geht es überhaupt aus einem anderen Ton als bisher. Man muß einmal spüren, daß er ein Junge ist und nicht eine Hätschelpuppe, die mit langen Locken herumläuft, vor jedem Luftzug in Acht genommen wird und in einer Wiege schläft.«

»Aus der Wiege ist er wohl einigermaßen herausgewachsen, sagte die Frau Erbprinzeß und lächelte, als hätte sie dem Herzog beigestimmt und nicht widersprochen.

»Aber der Firlefanz ist geblieben! Seidene Bettvorhänge hat er und Daunenkissen und Spitzen, und weiß der Teufel, was noch alles! Das muß aufhören. Ein Prinz von zwölf Jahren gehört nicht in solch ein Lotterbett, sondern auf eine harte Matratze unter eine härene Decke. So schlafe ich seit vierzig Jahren, und so wird mein Enkel künftighin auch schlafen!«

Bei dem Worte »Lotterbett« hatte die Frau Erbprinzessin trotz aller Selbstbeherrschung eine kleine Bewegung des Unmuts nicht unterdrücken können. Die Manieren des alten Herzogs wurden wirklich immer rücksichtsloser, je weiter die Jahre voranschritten und je strenger er den Kreis der Einsamkeit um sich zog. Weil es ihr aber zunächst darauf ankam, Recht zu behalten, schob sie ihre Damenreflektionen über die Unmanierlichkeit des Schwiegervaters wieder in den Hintergrund und entgegnete sanft:

»Selbstverständlich wird alles geschehen, wie Hoheit es wünschen. Nur möchte ich zu bedenken geben, daß Adalbert sehr leicht fiebert und nachts hustet, sobald er auch nur ein wenig Kälte spürt!« Der Herzog schwieg. In seine glitzernden Augen trat jetzt ein dunkler Ausdruck hülfloser Angst, als sähe er in der Ferne etwas Grauenhaftes, das er schon einmal in seinem Leben gesehen hatte und das ihn nun wie ein Spuk bedrängte … Vier jungen Söhnen hatte er ins Grab nachblicken müssen, und der Letzte, Adalberts Vater, war noch ehe er die Dreißig erreicht hatte, an der Schwindsucht dahingegangen. Von allen stolzen Hoffnungen, die auf diesen vier blühenden Söhnen geruht hatten, war ihm nichts geblieben, als das schwächliche Kind des Erbprinzen, das er mit geringschätziger Bitterkeit »Kröte« nannte. Wenn auch diesem letzten Sproß das grausame Schicksal des Vaters beschieden sein sollte, dann hatte der Herzog seine Lebensarbeit umsonst getan, dann fielen Krone und Land an eine entfernte Nebenlinie, die schon jetzt gierig nach einem Erbe lugte, das ein anderer für sie mehrte und pflegte. Da wurde denn vom Feldbett für den jungen Prinzen nicht weiter gesprochen und auch die Frage der Kindsmägde ohne Milchbusen entbehrte weiterer Erörterung. Die Erbprinzessin nahm einen triumphierenden Abgang, und Adalbert, zu dem schon Gerüchte von der harten Matratze und der härenen Decke gedrungen waren, freute sich, daß er sein schönes, weiches Bett behalten durfte. Er war es aber nicht etwa nur aus Weichlichkeit, sondern weit mehr, weil dieser kleine, von grünseidenen Vorhängen umschlossene Bezirk der Ort seiner Träume und seiner unbestimmten Gedanken war, die er keinem Menschen anvertrauen konnte, denn hier war Jedermann nach seiner besonderen Art klar, fest und ohne innerliche Schwankungen, während Adalberts Seele unter Schwingungen erzitterte, die von andern nicht gespürt wurden. Gedanken und Träume aller Art, die er selber nicht zu deuten wußte, bedrängten ihn und trieben ihm oft die Tränen in die Augen, ohne daß er hätte sagen können, warum er weinen mußte. Bei einem anderen kräftigeren Jungen seines Alters hätte man vielleicht an allzu frühzeitige Regungen erwachender Männlichkeit denken können, aber in diesem zarten, empfindsamen Körper schlief das Blut noch ruhig und eben darum hätte keiner rundum die Seele dieses Kindes verstanden. Großvater hätte, wenn er darum gewußt, drohend den Stock erhoben und geschrien: »Verdammte Kröte, schämst du dich nicht zu heulen, wenn dir gar nichts passirt ist?!« Mama hätte, charmant lächelnd wie immer, die Bonbondose aus Schildpatt herbeigelangt und gesagt: »Komm, mon bébé, nimm ein wenig Schokolade, das heilt alle Schmerzen deiner Jahre!« Der Herr Abbé aber hätte sein spöttisches Vogelgesicht in Falten gelegt und bedauernd geäußert: »Hoheit scheinen krank zu sein! Hoheit sollten sich zu Bett legen und eine Tisane trinken!«

Nun dämmerte doch leise der große Tag durchs Fenster herein, und Adalbert seufzte ein wenig. Wenn doch erst alles glücklich vorbei wäre! Erst kam die große Parade, bei der er, Gott sei Dank, nichts zu tun hatte, aber dann – – Dann kam die Einstellung zum Regiment, und wenn ihm auch heute nichts anderes oblag, als sich gleich einem willenlosen Ding übergeben zu lasten, so bebte er doch bei der Vorstellung, daß er irgendeine Ungeschicklichkeit, irgendein Versehen begehen könnte, das den Zorn des Großvaters heraufbeschwor. An der Seite des Herzogs mußte er ja vor dem versammelten Regiment erscheinen, mußte vom Großvater weg zu dem Obersten und neben die künftigen Kameraden hintreten, mußte die Ansprache des Herzogs wie ein strammer Soldat anhören, sich überhaupt schon wie ein solcher fühlen und benehmen und unwillkürlich faltete er die Hände, als wollte er den Himmel um Beistand für diese schwere und verantwortungsreiche Stunde bitten. Er blinzelte durch einen Spalt der Vorhänge ein wenig seitlich in der Richtung, wo schon die neue Uniform für diesen Tag bereit lag. Wunderschön war sie anzusehen, und er hätte kein Junge sein müssen, wenn ihm die militärische Tracht in dieser Minute nicht ehrlich gefallen hätte, aber er verstand doch nicht recht, warum seine Spiel- und Altersgenossen, die Söhne des Hochadels, ihn um sein frühes Leutnantspatent so inbrünstig beneideten. Sein Vetter Karl Leopold, der ab und zu auf Besuch kam (sein Vater war der Chef der erbberechtigten Nebenlinie) hatte mehr denn einmal prahlerisch beteuert: »Drei Jahre meines Lebens gäbe ich darum, wenn ich wie du mit zwölf Jahren hätte Leutnant sein dürfen!« Auch Adalberts und Leopolds kleine Base Friederike war geblendet von dem Leutnantspatent. Sie zählte zwar erst neun Jahre, hatte aber doch schon ehrfürchtig gesagt: »Wenn du Leutnant bist, nenne ich dich »Sie«. Anders würde es sich nicht mehr schicken.« Doch die kleine Friederike war ja nur ein Mädchen, und was ein Mädchen sagt, hat für einen zwölfjährigen Jungen kein Gewicht, selbst dann nicht, wenn er so zart und unknabenhaft war, wie Adalbert.

Allmählich wurde es für Adalbert nun doch Zeit aufzustehen.

Der Kammerdiener, ein frischer, tüchtiger Bursche, zog ihm die Strümpfe an und die blanken, hohen Stulpenstiefel, die knappe, weiße Hose und den schmucken blauen Uniformsrock mit dem mörderisch hohen Kragen, den blitzenden Tressen und Epauletten, zog die kleine Perücke über den Knabenkopf, der erst vor kurzem seine Ringellocken eingebüßt hatte. Er schnallte Adalbert den Pallasch um, reichte ihm die hohe, spiegelnde Blechmütze, die das Regiment »Erbprinz« nach Potsdamer Muster trug. Adalbert sah der mählichen Verwandlung seiner Person im Spiegel zu, und wie er nun als kleines, militärisches Meisterwerk aus des Getreuen Händen hervorgegangen stand, gefiel ihm sein eigenes Bild doch überaus gut, und er freute sich über das Blitzen um ihn her und über die gewisse Würde, die Epauletten, Pallasch und Blechmütze ihm liehen. Nun verneigte sich auch der Kammerdiener bis zur Erde und brachte einen ergebenen und umständlichen Glückwunsch heraus. Eigentlich verstieß dies ja gegen die höfische Sitte, aber Konrad Wenglein durfte solch kleinen Faux-Pas riskieren, denn Adalbert hatte eine große Vorliebe für ihn und obendrein bekleidete Konrads Vater seit mehr als dreißig Jahren das Amt eines Kammerdieners beim alten Herzog.

Dann trat Abbé Element ein. Kam in koketten blinkenden Schnallenschuhen mit roten Absätzen, und wie eine schöne Frau ihr Prunkkleid trägt, so trug er voll Anmut die seidene Soutane, unter der violette Seidenstrümpfe hervorleuchteten. Weiße Spitzen fielen auf seine schmalen, gepuderten Hände, und die Locken seiner Perücke waren so kunstvoll-natürlich gekräuselt, als wären sie auf seinem Kopfe gewachsen. Ein leiser Rosenduft wehte aus den Falten seiner Soutane und verriet gemeinsam mit gewissen Linien und Zügen des mageren, lebhaften Gesichts, daß dieser Mann Gottes auch ein Mann der großen Welt war und wohl auch um süßere Geheimnisse wußte, als die des Beichtstuhls. Er verneigte sich vor seinem Zögling, sprach in eleganter Rede ungefähr Ähnliches wie vorhin Konrad ungeschickt gestammelt hatte, bewunderte ehrerbietig die Verwandlung, die mit dem Prinzen vorgegangen war, aber es lag etwas im Ton seiner Stimme und in dem Zucken seines Mundes, das Adalbert dazu reizte, sein Leutnantstum zu vergessen und sich zu erinnern, daß er eben doch erst ein zwölfjähriger Junge sei. Da hielt er sich die Blechmütze vors Gesicht, als wollte er sich darin spiegeln und streckte hinter dieser Schutzwand die Zunge so weit heraus, als er nur konnte. Dann war er wieder militärisch-würdevoll und begab sich hinüber in den Flügel, den die Frau Erbprinzessin bewohnte, um ihr und auch dem Herzog die Hand zu küssen und sich in seinem neuen Schmuck zu präsentieren.

Die Frau Erbprinzessin saß am Putztisch, ließ sich das rötliche Haar hoch türmen und blätterte dabei im »Journal des Dames«. Mit ihrer sanften interessanten Blässe war sie trotz etlicher Pockennarben sehr hübsch, weil ihrem klugen, hellen Gesicht jede Spur von Hochmut fehlte …

Prinz Adalbert küßte seiner Mutter die Hand, und die Erbprinzessin drückte ihm einen flüchtigen Kuß auf die Stirne, schob ihn dann schnell wieder von sich weg und betrachtete ihn mit erstauntem, fast ungläubigem Lächeln. Wandte sich zum Abbé:

»Wie aus der Spielzeugschachtel sieht er aus, finden Sie nicht auch!«

Der Abbé entgegnete salbungsvoll:

»Hoheit sehen aus, wie der allergnädigste Herr es wünscht und wie er dem allergnädigsten Herrn und der Tradition des erlauchten Hauses Ehre machen wird!«

Die Erbprinzessin nickte, aber sie hatte kaum auf die Worte des Abbés hingehört. Ja, der Prinz sah aus wie ein Spielzeugsoldat und dennoch gemahnte er sie heute zum ersten Mal daran, daß er aus den Knabenschuhen herauswachsen wollte. Wenn noch ein paar Jahre verstrichen waren, dann stand neben ihr ein erwachsener, ein volljähriger Sohn. Ein regierungsfähiger junger Herr, der, wenn der alte Herzog nicht bald starb, ihr nicht einmal für kurze Zeit das stolze Glück der Regentin-Mutter gönnen würde. Sie biß die Zähne fest aufeinander, als müsse sie Bitterkeit verschlucken. O, es war ein klägliches Ding, immerfort nur die verwitwete Frau Erbprinzessin zu heißen …

In den Gemächern des alten Herzogs ging es indessen weniger höfisch zu. Er hatte seit Tagen ein geschwollenes Knie, dazu seit gestern das Reißen im Kreuz, und die Aussicht, stundenlang im Sattel zu sitzen, machte seine Laune bösartig. Man hatte ihn bewegen wollen, die Parade im Wagen abzunehmen, und die Frau Erbprinzessin, immer überzeugt von der Machtwirkung französischen Beispiels, hatte gemeint ihn mit dem Hinweis zu überzeugen, daß auch die verstorbene französische Majestät in Fällen der Unpäßlichkeit bei Revuen statt zu Pferde im Wagen erschienen sei. Der Herzog hatte erwidert: »Das mag der französische … (folgte ein nicht wiederzugebender Ausdruck) tun, ich nicht!« Die Frau Erbprinzessin war entsetzt entflohen.

Hemdärmelig, das schüttere kurzgeschorene Grauhaar noch von keiner mitleidigen und schmeichelnden Perücke bedeckt, saß der Herzog auf dem Rand seines eisernen Feldbettes und ließ sich von Adam Wenglein das Kreuz mit einer Salbe einreiben und das geschwollene Knie in Watte und Flanell packen. Sohn eines verschwenderischen und liederlichen Vaters war auch er in seiner Erbprinzenzeit ein wilder Draufgänger gewesen, der seine Tage vertan und verjubelt und vielen Ehemännern betrübliche Erkenntnisse vermittelt hatte. Als Regent eine eiserne Hand, die nicht mit allzuviel Milde, aber voll Gerechtigkeit und Umsicht regierte, war er mit den Jahren, wie die meisten starken Herrscher, ein Menschenverächter geworden, und der Tod der Söhne hatte ihn völlig verbittert. Der Rest seines erkalteten Herzens gehörte ausschließlich seiner eigensten Schöpfung, der Armee. Es gab Tage, an denen niemand es mit ihm aushalten konnte und er auch niemanden um sich haben wollte, als Adam Wenglein, der noch die wilde Erbprinzenzeit mit ihm erlebt hatte. Im Gegensatz zu seinem Herrn war Adam Wenglein ein Stoiker geworden, der die Dinge nahm, wie sie waren und nicht viel darüber nachsann, wie sie hätten sein können oder sein sollten. Schimpfte und fluchte der Herzog, so dachte Adam: »Schlechtes Wetter«, hob er den Stock, dachte er: »Hagelwetter«, war er ausnahmsweise einmal gut gelaunt und sagte: »Na, alter Adam, komm einmal heraus aus deinem paradiesischen Sündenpfuhl!«, so lachte Adam pflichtschuldigste über diesen Witz, den er seit dreißig Jahren immer wieder hörte, und freute sich, daß der Herzog einen guten Tag hatte. Herrendienst war nun einmal keine leichte Sache, aber wäre das Leben ohne ihn etwa leichter? Adam Wenglein glaubte es nicht. Der Herr Pastor sagte allerdings: »Vor Gott sind alle Menschen gleich«, aber man stand ja nicht immerfort vor Gott, lebte nicht bei ihm im Himmel, sondern auf der Erde und da sahen die Sachen einander verflucht ähnlich. Wenn Adam Wenglein im Kreise seiner Familie saß, mußten Weib und Kinder vor ihm kuschen, wie er vor dem Herzog, – nun also?!

Der Herzog war angekleidet, stand im blauen Uniformrock mit sorgsam aufgerollten Seitenlocken und festgewickeltem Zopf im Nacken kerzengerade da. Nur die jähe Röte seiner zerknitterten, altersbraunen Wangen verriet die Anstrengung, die es ihn kostete, so zu erscheinen, als ob es kein geschwollenes Knie und kein Reißen im Kreuz gäbe. Straff aufgerichtet schritt er zum Fenster, durch das die junge Maiensonne hereinfiel und ihre Strahlen auf sein faltiges Gesicht und auf die gichtverzogenen Hände fallen ließ. Wer ihn so sah, hätte schwerlich in ihm den schönen frechen Erbprinzen von einst erkannt, der seine Tage mit Jagd und Pferden, am Spieltisch und mit Weibern vertan hatte, und dem der Degen nur allzulose in der Scheide gesessen war …

Als er sich umwandte, stand Adam Wenglein da und hielt den Mantel des Herzogs ausgebreitet in den Händen.

»Mit Verlaub zu melden, allergnädigster Herr, der Morgen ist kalt trotz der Sonne. Wollte untertänigst gebeten haben, daß der allergnädigste Herr den Mantel umnehmen möchten!«

Dem Herzog stieg gleich Zornesröte ins Gesicht.

»Mit dem Mantel soll ich zur Parade? Du bist wohl auf deine alten Tage verrückt geworden?! Was sollten sich meine Kerls denken, wenn ich im Mantel vor sie hintreten würde? Weißt du, was sie denken müßten?«

Nein, Adam Wenglein wußte es nicht.

»Sie würden denken: »Wenn der Alte erst im Mantel ankommt, dann soll er sich begraben lassen und zwar schleunigst!«

Und da Adam Wenglein wie in abwehrender Beschwörung die Hände hob, schrie der Herzog:

»Jawohl, das müßten sie denken, und wenn du nicht ein altes Rindvieh wärst, dächtest du es auch! Müssen sie für mich ins Feuer gehen, muß ich auch für sie ein wenig Kälte aushalten können, verstanden?! Krenzdonnerwetter, schmeiß das Zeug da beiseite oder es fliegt dir dreimal um den Kopf, daß du alle Engel pfeifen hörst!«

Adam Wenglein brachte den Mantel und sich selber in Sicherheit.

Nachdem der Herzog seinen Zorn verschnauft hatte, fragte er:

»Wer ist im Vorzimmer?«

Prinz Adalbert trat ein, küßte des Großvaters gichtverzogene Hand, mühte sich, stramm zu erscheinen und trotz seiner inneren Angst den Blick der glitzernden Augen auszuhalten. Der Herzog sah ihn ein paar Augenblicke schweigend an. Ein Funken von Wärme wollte in seinem erkalteten Herzen aufblitzen, ein Funken der Erinnerung. So wie Adalbert waren einst vier Söhne vor ihm gestanden, – dieser hier war der letzte, der ihm geblieben war. –

Wie sie einander gegenüberstanden, schienen Großvater und Enkel nicht einen Zug von Ähnlichkeit aufzuweisen. Der Herzog eine stämmige, nun schwerfällig gewordene Gestalt mit einem Bulldoggengesicht, der junge Prinz schmächtig, feingliederig mit einem schmalen Oval, in dem das Kinn ein klein wenig vorgeschoben war und die Augen von unbestimmter Farbe verträumt und zaghaft in die Welt sahen. Und dennoch, so verschieden sie auch schienen, huschte vorübergehend eine Familienähnlichkeit über ihre Gesichter, und wenn der Herzog sie auch nicht bemerken konnte, so fühlte er sich doch in dieser Stunde dem Enkel weniger fremd als sonst. Hätte ihn nicht seine Bitterkeit längst jedes Wort und jede Bewegung der Zärtlichkeit abgewöhnt gehabt, so hätte er vielleicht irgendeinen Laut oder eine Geste gefunden, die verrieten, daß in dieser Minute Erinnerung und Zukunftshoffnung in seinem erkalteten Herzen miteinander sprachen. Er aber wars gewohnt, alles in sich zu verschließen, wandte sich zum Vorzimmer, wo der Adjutant seiner wartete und winkte dem Enkel nur mit einem kurzen: »Komm!« –

Die Regimenter waren in früher Morgenstunde mit klingendem Spiel ausgezogen und standen nun regungslos aufgepflanzt auf dem großen Exerzierfelde draußen vor der Stadt. Aller Gesichter waren gespannt, gleichviel ob sie Chargen oder Kerls gehörten, überall die große Erregung: »Wirds gut oder schief gehen?« Man bemerkte kaum, daß die Frau Erbprinzessin in ihrer neuen Karosse mit Spitzreitern angekommen war und so halten ließ, daß sie den ganzen militärischen Vorgang nicht allzunah aber doch deutlich sehen konnte.

Der Herzog erschien auf dem wohlbekannten, hochbeinigen Braunen, verbiß Schmerz und böse Laune, ritt die Front der Regimenter entlang, war mit dem Parademarsch zufrieden. Zufrieden, – die allgemeine Spannung löste sich in wohligem Aufatmen. Der Herzog sprach noch eine Weile mit den obersten Chargen, machte etliche derbe, uralte Witze, die nicht nur pflichtgemäß, sondern auch aus erleichtertem Herzen belacht wurden, und verabschiedete sich dann von Offizieren und Kerls wie ein rechter Soldatenvater. Mit klingendem Spiel zogen die Regimenter in die Kasernen zurück. Die Frau Erbprinzessin, die vor Langeweile und innerem Gähnen beinahe umgekommen war, aber immerfort ein interessiertes Gesicht gemacht und charmant gelächelt hatte, wurde bei ihrer Abfahrt stürmisch begrüßt.

Auch die Einreihung des Prinzen Adalbert in das Regiment »Erbprinz« war makellos verlaufen. Der Großvater hatte kurz und ernst gesprochen, der Oberst hatte ebenfalls mit kurzen Worten für die Gnade und hohe Ehre gedankt, die dem Regiment in Gestalt des Prinzen zuteil wurde, und Adalbert war zu ihm und zu den Kameraden getreten, hatte mit Handschlag Gehorsam und Soldatentreue gelobt, Nun fuhr er zur Linken des Herzogs zum Gottesdienst in die Hofkirche. Er spürte jetzt, daß er wenig und schlecht geschlafen hatte und war so müde, daß er am liebsten geweint hätte, wie die kleinen Kinder, wenn der Sandmann kommt. Aber daran war nicht zu denken.

In dem weißgetünchten Schiff der Hofkirche, dessen Wände keinen anderen Schmuck wiesen als etliche Siegesfahnen aus den Jahren 1756-1763, hatte sich alles versammelt, was zum Hofe gehörte; ganz hinten hatte sich auch eine Abordnung des Regiments »Erbprinz« eingefunden. Ganz vorne, dem Altar gegenüber, standen drei rotsamtene Armsessel und Betschemel für die allerhöchsten Herrschaften. Als Prinz Adalbert sich wie stets zur Seite seiner Mutter, die zur Linken des Herzogs saß, niederlassen wollte, winkte ihn der Herzog zu sich heran und wies ihm den Platz an, der sonst der Erbprinzessin gehörte. Sie lächelte und sagte dem Sohne leise ein freundlich-neckendes Wort über die Auszeichnung, die ihm widerfuhr, aber aus ihrem ehrgeizigen Herzen rann doch ein kleiner Blutstropfen: »Die verwitwete Frau Erbprinzessin!«

Die Orgel spielte, die Gemeinde sang, die Frau Erbprinzessin, die ganz unmusikalisch war, so jämmerlich falsch, daß es einen Stein hätte erbarmen können. Dann begann der Pastor die Festpredigt, der er die Worte des Apostel Paulus an die Corinther zugrunde gelegt hatte: »Ich habe zu Folge der mir anvertrauten Gnade Gottes wie ein weiser Bauverständiger den Grund gelegt. Ein Anderer baue darauf fort. Aber – jeder sehe wohl zu, wie er fortbaue! –

Denn einen anderen Grund kann niemand legen, als der gelegt ist, und dieser ist Jesus Christus.

Wer nun auch auf diesen Grund fortbauet, ob Gold, Silber, kostbare Steine oder Holz, Heu, Stroh, an dessen Werke wird sichs ausweisen; der Tag des Herrn wird es lehren; in der Feuerprobe wird es ans Licht kommen, die Feuerprobe wird entscheiden, wie eines jeden Werk beschaffen ist!«

Als der Hofprediger diese Worte sprach, geschah etwas Ungewöhnliches. Der Herzog erhob sich von seinem Sessel, als hätte ihn einer gerufen, trat ein paar Schritte vor, so daß er ganz dicht an den Stufen des Altars stand, stützte sich mit beiden Händen auf den Pallasch, sah über Pastor, Altar und alles, was sonst den Blick hemmen konnte, hinweg in eine Ferne, die sich nur für ihn auftat. Er vergaß, wo er war, daß vor ihm ein Geistlicher predigte und hinter ihm sein ganzer Hof ehrerbietig stand und wartete, daß er sich wieder setzen würde, er vergaß überhaupt, daß Menschen um ihn her waren, denn er hielt Zwiesprache mit seinem Gotte. Demütig zuerst, wie es einem frommen Christen zukommt, wurde er, je länger er mit dem Unsichtbaren sprach, immer leidenschaftlicher, breitete seine Schmerzen und sein Begehren weniger denn ein Bittender, als ein Gläubiger vor ihm aus.

»Vier Söhne habe ich gehabt und Du hast sie mir alle genommen. Es war Dein unerforschlicher Ratschluß und ich mußte mich ihm beugen. Nichts ist mir geblieben als der Knabe zu meiner Seite, er ist der letzte meines Stammes, meine letzte Hoffnung. Wenn Du mir auch diesen letzten nimmst, dann weiß ich nicht, warum Du mich zum Herrn über Land und Leute gesetzt und mir ein reiches Tagewerk gegeben hast. Diesen letzten darfst Du mir nicht nehmen, und doch bin ich Tag und Nacht in großer Sorge, daß Du es tun möchtest. Und in Sorge bin ich, wie alles gehen wird, wenn er am Leben bleibt, denn der Teufel geht in vielerlei Gestalt um, und die neue Zeit ist böse und lockt mit Irrlehren. Was soll werden, wenn er am Ende nicht leiblich, wohl aber an seiner Seele Schaden nimmt? Wenn er leichtfertig und prasserisch wird wie, Du weißt es ja, mein hochseliger Herr Vater war! Oder wenn er sich hochmütig nicht um Land und Leute kümmert, seine Armee verlottern, Verwaltung und Justiz von schlechten Beamten verludern läßt?! Herr, ich bin in größter Sorge um das, was mit diesem Kinde und nach meinem Tode geschehen kann! Du darfst ihn mir nicht nehmen, Du darfst ihn und mich und mein Lebenswerk nicht zuschanden werden lassen! Er muß fortsetzen, was ich begonnen habe, er muß ernten, wo ich gesäet habe, er muß neue Ernten bestellen für Kinder und Kindeskinder, er muß so sein, daß jeder sich vor ihm beugt und nach seinem Tode sagt: »Donnerwetter, das war ein Mann!« Herr, ich rufe zu Dir aus der größten Not heraus, die ein Mensch erleben kann, aus der Not um die Zukunft. Du darfst mein Gebet nicht verstoßen, Du mußt mich erhören, denn ich ringe mit Dir um diesen Knaben und um die Zukunft meines Landes, wie der Erzvater einst mit dem Engel gerungen hat.«

So und ähnlich sprach der Herzog noch lange zu seinem Gotte, und es war beinahe zu verwundern, daß er nicht dazwischen zornig mit dem Pallasch aufstieß, um sich Gehorsam zu erzwingen. Neben ihm stand Prinz Adalbert unbeweglich, aber mit zitternden Knien, denn die Müdigkeit übermannte ihn nun beinahe und das Stehen war nach all den Anstrengungen dieses Tages für ihn übermenschlich schwer. Aber er hielt sich ohne zu zucken, denn wenn der Herzog auch gar nicht auf ihn sah und ihn ebenso wie alle übrigen vergessen hatte, so stand Adalbert doch immerfort, auch wenn sie nicht auf ihn gerichtet waren, im Banne dieser glitzernden Augen, und wagte nicht auszudenken, was geschähe, wenn seine Knie schließlich versagen würden. Auch rundum im Schiff wurden alle müde und nervös. Die Worte der Predigt rollten an den Ohren vorbei, ohne daß sie mit dem Gemüt erfaßt worden wären, denn jeder sah nur nach dem Herzog und wartete, daß er sich endlich wieder dem roten Samtsessel nähern möchte.

Er aber stand auf seinen Pallasch gestützt und redete mit seinem Gotte.

Mit einem Male entstand um die roten Samtsessel her eine kleine Aufregung. Die Frau Erbprinzessin, die offenbar das Stehen nicht länger ertragen konnte, war in Ohnmacht gefallen. Flinker als ihre Hofdame sprang der Abbé herbei und fing die Ohnmächtige in seinen Armen auf. In diesem Augenblick wandte sich der Herzog, aufgeschreckt von dem kleinen Tumult, nach seiner Schwiegertochter um und merkte, was ihr zugestoßen war. Sie erholte sich übrigens gleich wieder, saß bis zum Schluß der Predigt, die der Pastor nun kürzte und überhastete, so rosig und lächelnd in ihrem Samtsessel, als wäre sie niemals ohnmächtig gewesen. Vielleicht war sie es auch wirklich nicht gewesen … –

Dann bot ihr der Herzog die Hand und führte sie zu dem bereitstehenden Wagen, den er mit ihr bestieg. Neben ihr ging der Prinz, ganz blaß, kleine Schweißtropfen auf der Stirn, mit schlotternden Knien und Augen, vor denen es immer wieder schwarz wurde. Aber er hatte sich gut gehalten, wie es einem Leutnant zukam, der seinen Ehrentag erlebte und den der Großvater sich zur Seite befohlen hatte. Nun war ja alles überstanden. Heute abend ging »der große Tag« zu Ende, und wenn der Kammerdiener die grünseidenen Bettvorhänge zuzog, konnte Adalbert wieder der Welt gehören, in der es keine Leutnantsepauletten, sondern nur Gedanken und Träume gab, denen er zärtlich nachhing, wenn er sie auch nicht mit Worten hätte nennen können und keinem Menschen je von ihnen sprach.

*


 << zurück weiter >>