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V

Shaddock, gut aufgelegt wie immer, erwartete Pearson in der Halle des kleinen Hotels in der Nähe von Scotland Yard, wo sie sich schon früher getroffen hatten.

»Dadurch, daß Sie uns auf die Spur geholfen haben, konnten wir über Van Steins alles Mögliche ermitteln,« sagte er nach kurzer Begrüßung, »er ist Anarchist bis auf die Knochen und ein leidenschaftlicher Propagandist, der seine politischen Ideen unterirdisch verbreitet. Übrigens, wie hat das Ihr Freund Thurston eigentlich herausbekommen? Ich meine, Sie hätten gesagt, er sei von Beruf Finanzmann? Es scheint aber, als mische er sich ein wenig in die Politik internationaler Organisationen?«

»Darüber bin ich leider nicht unterrichtet,« antwortete Pearson. »Ich weiß nicht viel über seine Geschäfte, doch ich glaube, daß er die ausländischen Geldleute alle kennt und dadurch vermutlich Gelegenheit hat, allerhand Auskünfte über solche Art von Ehrenmännern aufzulesen.«

»Vielleicht,« stimmte Shaddock in der an ihm gewohnten reservierten Art zu. »Nebenbei gesagt, hatte ich die Empfindung, daß diese Gerichtsverhandlung ihm etwas auf die Nerven ging. Ich fand, daß er auf manche Fragen recht kurz angebunden antwortete.«

Was für ein schlauer Kunde ist doch dieser so harmlos dreinschauende Mann mit dem runden Gesicht! dachte Pearson. Es entging ihm augenscheinlich nichts.

»Ich glaube, die Sache kam ihm recht ungelegen. Er ist geradezu fanatisch fleißig, und es traf sich, daß er an jenem Morgen gerade sehr stark beschäftigt war. Und da er sein Zeugnis für unerheblich hielt, sah er die ganze Vernehmung als Zeitverschwendung an.«

Shaddock sagte nichts zu diesen Bemerkungen und fuhr mit seinem Bericht fort.

»Nun, es scheint also, daß Valrose und Van Steins seit langer Zeit in sehr nahen Beziehungen zueinander standen. Da der Holländer nur seiner Wissenschaft und seiner geheimen Propaganda lebte, und es nicht bekannt ist, daß Valrose einer bestimmten Tätigkeit nachging, so müssen beide Männer durch ein gemeinschaftliches Interesse zusammengeführt worden sein, das abseits ihrer Alltagsinteressen lag.«

»Sie glauben, daß Valrose Anarchist war?«

»Das Ergebnis unserer Nachforschungen läßt kaum einen Zweifel darüber bestehen. Er scheint mit einer Reihe von Ausländern in der Art Van Steins liiert gewesen zu sein und gehörte mehr als einer geheimen Gesellschaft an, deren Zusammenkünften er meist beiwohnte.«

»Aus jenen roten Punkten müßte man dann schließen, daß er aus dem einen oder andern Grunde die Rache seiner Genossen herausgefordert hat und man ihn auf so raffinierte Weise bei Seite schaffte, daß sogar die Ärzte getäuscht wurden,« meinte Pearson.

»Das war von Anfang an meine Überzeugung,« entgegnete der Detektiv. »Und was ich Ihnen jetzt mitteilen will, wird diese Ansicht bestätigen, wie Sie zugeben werden. Ich habe einen bemerkenswerten Brief von der Hauptpolizei in Brüssel erhalten, mit der wir uns in dieser Angelegenheit in Verbindung gesetzt hatten. Der Inhalt dieses Schriftstücks ist äußerst überraschend. Ich kann Ihnen den Brief selbst nicht vorlesen, da er den Charakter eines amtlichen Berichts trägt, doch möchte ich Ihnen die Hauptpunkte mitteilen.«

Shaddock hatte recht; es war eine erstaunliche Geschichte. Einige Tage nach der Auffindung der Leiche Valroses im Eingang des Hauses von Arundel Street ereignete sich in Brüssel ein ganz ähnlicher Fall. Im ersten Stock einer Wohnung in der Avenue Louise wurde ein belgischer Offizier, Oberst François de Boeck, Gatte der Französin Sonia, die Witwe war, als sie den Oberst im Jahre 1920 heiratete, mit den gleichen Merkmalen auf seiner rechten Hand tot aufgefunden. In diesem Falle waren die roten Punkte von tiefdunkler Färbung und auf Daumen und Zeigefinger angebracht.

Es war unmöglich, nicht den Schluß daraus zu ziehen, daß eine gewisse Verbindung zwischen beiden Fällen bestand. Ferner war ein starker Verdacht, der schon ganz nahe an den Beweis herankam, aufgetaucht, daß ebenso wie Arthur Valrose auch der belgische Offizier Anarchist und Mitglied geheimer Gesellschaften war.«

»Ein Zwischenraum von nur sieben Tagen!« rief Pearson aus. »Und tatsächlich die gleichen Merkmale als Zeichen für Alle, die es angehen mochte. Es liegt nahe, anzunehmen, daß dieselben Leute, welche Valrose beseitigten, auch de Boeck vernichtet haben. Brüssel ist so bequem von London aus zu erreichen.«

»So weit möchte ich nicht gehen,« entgegnete Shaddock mit gewohnter Behutsamkeit. »Doch unterliegt es keinem Zweifel, daß, wenn sie durch ein geheimes Mittel aus dem Wege geräumt wurden, der Befehl hierzu von ein und derselben Stelle ausging.«

»Übrigens,« fuhr der Detektiv nach einer Pause fort, »möchte ich ausdrücklich bemerken, daß ich Ihnen dies alles im strengsten Vertrauen gesagt habe, teils weil ich Sie sehr gut kenne, teils weil der Fall Sie so lebhaft interessiert. Es ist höchst berufswidrig von mir gehandelt, daß ich es tat. Ich bitte Sie deshalb also um äußerste Vorsicht. Machen Sie auch Thurston nicht die leiseste Andeutung über meine Informationen, so intim er auch mit dem Toten stand.«

»Seien Sie überzeugt davon, daß ich schweigen werde, auch Mister Thurston gegenüber«, versprach Pearson. Schließlich war es ja nur natürlich, daß Shaddock ihn zur Diskretion verpflichtete.

»Nach allem, was Sie mir über ihn sagen, zweifle ich nicht, daß Thurston als ein Mann von Welt Verschwiegenheit zu bewahren verstehen würde. Aber Sie wissen ja, wie es häufig kommt. Irgend jemand beginnt eine Unterhaltung über ein bestimmtes Ereignis, ein anderer ist ein bißchen besser darüber unterrichtet, und es schmeichelt ihn, seine Kenntnisse auszukramen. Auf solche Art,« schloß Shaddock ein wenig wichtigtuend, werden gerade in schwierigen Fällen die Bestrebungen der berufenen Hüter der Gerechtigkeit manchmal durchkreuzt, und zwar meist in nicht wieder gutzumachender Weise.«

»Ich verstehe vollkommen, Mister Shaddock. Sie haben aber doch wohl nicht feststellen können, daß Valrose Helfershelfer im eigenen Lande hatte?«

Shaddock stutzte ein wenig. Vielleicht bereute er, daß er sich so freimütig ausgesprochen hatte.

»Nun, unsere Bemühungen nach dieser Richtung waren bis jetzt nicht sehr erfolgreich.«

Er hielt inne und schien mit sich darüber zu Rate zu gehen, daß, nachdem er schon so viel gesagt hatte, es doch auffallen müsse, wenn er nun plötzlich sich in Schweigen hüllte.

»Ich will jedoch zugeben, natürlich auch nur im strengsten Vertrauen, daß wir auf einer Spur sind, und, falls sich unser Argwohn bestätigt, wir möglicherweise einen höchst wichtigen Anhaltspunkt gefunden haben.« Darüber hinaus wollte Shaddock mit seinen Andeutungen nicht gehen, und Pearson war zu verständig, um auf ihn einzureden. War es doch überhaupt schon sehr entgegenkommend von ihm gewesen, daß er so viel gesagt hatte.

»Es ist da ein Punkt, der mir zu denken gibt,« sagte kurz darauf der Detektiv, »nämlich daß Thurston einen Menschen, von dem er so gut wie nichts wußte, als intimen Freund aufnahm, und daß er von ein paar dürftigen und durchaus unbestätigten Angaben dieses Freundes befriedigt war. Man sollte doch annehmen, daß er ein kluger Geschäftsmann ist, der die Welt kennt und reiche Lebenserfahrungen besitzt.«

»Von mir können Sie das gleiche sagen; ich nahm ihn auch auf und wußte noch weniger über ihn als Herr Thurston.«

»Die Fälle sind ziemlich verschieden,« antwortete Shaddock scharf unterscheidend. »Sie sind ein lediger junger Mann, der tun und lassen kann, was er will. Thurston dagegen ist Familienvater, hat, wie Sie sagen, eine hübsche Tochter, und ist offenbar ein Mann von Rang und Ansehen. Nun mag ja ein Mensch in seiner Lage, der viel herumkommt, alle möglichen Bekanntschaften um sich scharen, gut genug zu einer gelegentlichen Plauderei, gut genug sogar, um sie in seinen Klub einzuladen – vorausgesetzt, daß es sich nicht gerade um ganz distinguierte Persönlichkeiten handelt. Aber in der Regel wird ein welterfahrener Kaufmann nicht Leute in seine Familie aufnehmen, über die er so gut wie nichts weiß, mögen sie auch noch so angenehm und glaubwürdig erscheinen. Dies um so weniger, wenn eine hübsche und liebenswürdige Tochter im Hause ist. Sie werden darin wohl mit mir übereinstimmen?«

»Durchaus, – und der Fall Valrose zeigt, wie vorsichtig man sein muß. Ich möchte behaupten, daß Thurston eine Art Kosmopolit ist, ganz frei von insularen Vorurteilen. Er hat mich gastlich in sein Haus aufgenommen und mich auf eine plötzliche Eingebung hin, gerade nur weil Valrose mich vorgestellt hatte, zum Diner eingeladen. Trotz allem, was er über mich weiß, könnte er auch bei mir an den Unrechten gekommen sein.«

»Na, na,« rief Shaddock mit nachsichtigem Lächeln. »Über Sie, mein lieber junger Freund, liegt alles klar zu Tage. Selbst wenn ich von Anfang unserer Bekanntschaft an nicht genau über Sie orientiert gewesen wäre, so offenbarten Sie doch so viele Anhaltspunkte, daß es mir nicht schwer fiel, Sie richtig einzureihen. Ich weiß, wo Ihr Geschäft liegt, in welchem Regiment Sie dienten, kenne den Namen Ihres Bankiers; Sie haben verschiedene Ihrer Verwandten genannt, auf Bestimmungen in Ihres Vaters Testament angespielt, von der Schule erzählt, auf der Sie erzogen wurden. Wenn ich wollte, könnte ich mir alles das in wenigen Stunden bestätigen lassen. Verlassen Sie sich darauf, Thurston weiß alles über Sie, während er nichts über Valrose wußte – mit Ausnahme jener Paar kargen Angaben, denen jede Bestätigung fehlte. Und ich bezweifle nicht, daß auch Sie inzwischen eine Menge über Thurston erfahren haben.«

»Ich glaube wohl, er spricht sehr offen über seine Angelegenheiten. Als ich mit ihm frühstückte, nannte er verschiedene Leute, mit denen er in Geschäftsverbindung steht. Einige von ihnen waren mir als prominente Persönlichkeiten der Finanzwelt bekannt. Ich war bei ihm in seinem Büro.«

Shaddock horchte auf. »Ach, Sie waren in seinem Büro? Was macht es denn für einen Eindruck?«

»Eine Flucht von drei behaglich eingerichteten Zimmern, im ersten Stock eines Hauses in Old Broad Street gelegen: sein Privatkontor, in dem er seine Geschäftsfreunde empfängt, ein Wartezimmer und ein Raum für seine Angestellten.«

Shaddock schien einen Augenblick zu überlegen.

»Also keine sehr groß aufgezogene Sache für einen Mann, der sein Privatleben in so vornehmem Stil führt. Nur wenig Angestellte, nehme ich an, da so wenig Raum für sie vorhanden ist?«

»So viel ich übersehen konnte – denn ich hielt mich nur wenige Minuten im Wartezimmer auf, bis ich empfangen wurde – zwei Buchhalter, ein älterer und ein noch ganz junger, sowie eine junge Dame, vermutlich seine Stenotypistin.«

Shaddock sagte nichts; er schien über das Mißverhältnis nachzugrübeln, das zwischen der teueren Wohnung in Whitehall Court und dem kostspieligen Landsitz in Shepperton auf der einen und der einigermaßen dürftigen Organisation des Büros auf der andern Seite bestand.

»Sie müssen bedenken, daß Thurstons Geschäftsbetrieb keinen großen Personenstand erfordert,« erklärte Pearson etwas betroffen über den Argwohn des Detektivs. »Ich erfuhr die Einzelheiten durch Valrose, und zugegeben, daß dessen Angaben nicht vollwertig sind, so hat Thurston selbst es doch auch bestätigt. Er ist Makler zwischen großen englischen und ausländischen Unternehmern. Hört er von einer guten Sache, die Kapital erfordert, bringt er diese Leute zusammen und erhält dann eine Provision. Ich möchte sagen, daß es sich um Geschäfte handelt, die auf seiner Person beruhen und in der Hauptsache durch Verhandlungen zu Stande kommen. Mit umständlicher Buchführung braucht er sich nicht zu belasten, ebenso erübrigt sich die Abfassung weitläufiger Dokumente. Es ist eher eine Art Registratur, und bei dieser Lage des Geschäftsbetriebes kann eine geringe Anzahl Angestellter die Büroarbeiten leicht bewältigen.«

Das Gesicht des Detektivs hellte sich bei dieser annehmbaren Erklärung ersichtlich auf. Wie Leute mit scharfer und gründlicher Überlegung nun einmal sind, nahm er nicht leicht auf Treu und Glauben etwas hin, sondern zog es vor, Angaben, die man ihm machte, genauestens kritisch nachzuprüfen. »Das ändert natürlich die Sache,« gab er zu. »Nun, jedenfalls verdient Thurston eine Menge Geld, sonst könnte er nicht auf solchem Fuße leben. Sein Verdienst ist offenbar bedeutend, und selbst wenn seine Auftraggeber den Hauptprofit einstecken, macht sein Anteil für Provision immer noch ein respektables Sümmchen aus.«

»Sein Einkommen muß jedenfalls sehr beträchtlich sein, denn sonst könnte er nicht so erbittert sein, wenn er von der Zusatz-Steuer spricht.«

Kurz darauf trennten sich beide Herren, und Shaddock schärfte Pearson nochmals strengste Verschwiegenheit ein.

»Ich werde stumm sein wie ein Fisch,« versprach dieser. »Falls Sie es mit Ihren beruflichen Pflichten vereinen können, wäre ich Ihnen dankbar, wenn Sie mich weiterhin auf dem Laufenden hielten. Ich bin sehr neugierig, Näheres über die Londoner Spur zu erfahren, auf die Sie jetzt gestoßen sind.«

»Das bin auch ich, mein lieber Freund. Nun, wenn irgend etwas sich daraus entwickelt, gebe ich vielleicht meinem Herzen einen Stoß und lasse Ihnen eine flüchtige Nachricht zukommen. Es ist ein höchst interessanter Fall und es liegt mir viel daran, der Sache auf den Grund zu gehen. Ich hoffe, Sie verleben recht schöne Tage draußen in Shepperton und genießen das Zusammensein mit der reizenden Miß Thurston,« fügte Shaddock schelmisch hinzu.

Am selben Nachmittag fuhr Pearson mit seinem Auto nach Shepperton hinaus und kam gerade zum Tee, der im Freien eingenommen wurde. Rosebank war ein entzückendes Haus, mit großen, luftigen Räumen, inmitten schön angelegter Gärten, die ein Areal von etwa fünf bis sechs Morgen einnahmen. Durch eine Niederung des Geländes strömte der Fluß. Ein Bootshaus barg all die kleinen Fahrzeuge, welche für den Wassersport erforderlich sind.

Pearson hatte eigentlich gehofft, daß keine anderen Gäste anwesend sein würden, und daß er die schönen Sommertage mit Cecile allein verbringen könne. Als er es sich aber später überlegte, mußte er zugeben, daß dies eine etwas törichte Hoffnung gewesen war. Thurstons Behauptung, daß ihr Freundeskreis klein sei, war richtig, und Pearson war jedesmal, wenn er in Whitehall Court weilte, erstaunt gewesen, so wenig Gäste anzutreffen.

Doch war es für Leute, die einen solchen Aufwand machten, standesgemäß, viele Beziehungen zu unterhalten, und ein so reizender Landsitz wie dieser, mit seinen vielen Räumen und pittoresken Gärten, war für Geselligkeit wie geschaffen. Gewiß würden alle ihre Freunde hier verkehren. Und Thurston hatte ausdrücklich betont, daß ihr Kreis nur aus Freunden, nicht aus Bekannten bestehe.

Frau Thurston begrüßte ihn herzlich, und der Empfang, den ihm Cecile bereitete, war so liebenswürdig, wie er nur wünschen konnte. Dann wurde er den anderen Gästen, die um den Teetisch versammelt waren, vorgestellt. Es waren der Akademiker Smirke, ein braunbärtiger Herr von etwa vierzig Jahren; Fräulein Venner, eine Freundin und Schulkameradin von Cecile; Frau Anstruther, jene Dame, die er von seinem ersten Mittwoch-Besuch in Whitehall Court her schon kannte, und ein junges Ehepaar in den dreißiger Jahren, namens Carson. Herr Carson war an einem blühenden Zeitungsunternehmen stark beteiligt, an dessen Spitze sein älterer Bruder stand. Die junge Frau war eine elegante, hübsche Erscheinung. Nach Pearsons Ansicht hielt sie freilich keinen Vergleich mit Cecile aus. Es war also kein sehr ausgedehnter Kreis, doch groß genug, um die Aussichten auf häufige Tête-à-têtes mit dem angebeteten Mädchen zu vereiteln.

Er war aufgefordert worden, mindestens eine Woche hier draußen zu verbringen und hatte mit seinem Vertreter verabredet, daß dieser während seiner Abwesenheit das Geschäft leiten solle. Denn er wollte keine einzige der glücklichen Stunden versäumen, die Ceciles Gegenwart ihm gab. Sein Verhältnis zu ihr war augenblicklich allerdings beträchtlich anders, als er törichterweise angenommen hatte. Selbst wenn das schöne Mädchen seine Neigung erwiderte, wofür er bis jetzt keine positiven Beweise hatte, so durfte sie sich als Tochter des Hauses unmöglich nur einer bestimmten Persönlichkeit besonders widmen.

Nun, er wollte sich redlich bemühen, so viel die Gelegenheit sich dazu ergab, mit ihr zusammen zu sein. Sollten die anderen Gäste ihm nicht recht zusagen, konnte er mit Leichtigkeit einen Vorwand finden, um tagsüber in die Stadt zu fahren. Sein Vertreter würde ihm täglich Bericht erstatten und konnte bequem in den Briefen begreiflich machen, daß seine Gegenwart im Geschäft notwendig sei. Es stellte sich aber bald heraus, daß derartige Ausflüchte unnötig waren. Es war ein lebenslustiger kleiner Kreis, der sich hier zusammengefunden hatte.

Am ersten Tage hatte er ziemlich viel Glück. Cecile, welche bei allen Veranstaltungen die treibende Kraft, und wenn auch nicht dem Namen nach, so doch tatsächlich die Herrin des Hauses war, traf alle notwendigen Anordnungen, die Gäste ihren Neigungen gemäß richtig zu placieren. Um den vollen Genuß der Sommer-Abende zu ermöglichen, war die Abendmahlzeit erst für neun Uhr angesagt worden.

Pearson, Ceciles Freundin Fräulein Venner und Frau Carson sollten zu Cecile in das flache große Boot kommen. Miß Venner war ebenso wie ihre einstige Schulkameradin eine vollendete Sportsdame, und sie, Cecile und Pearson wollten abwechselnd mit der langen Ruderstange hantieren. Die junge Frau Carson hatte trotz ihres lebhaften Temperaments wenig Sinn für körperliche Anstrengung und war deshalb Passagier.

Der Akademiker und Carson waren ausgezeichnete Ruderer und sollten die beiden älteren Damen in einem geräumigen Kahn, welcher alle Sicherheiten bot, hinausfahren. Alles schien trefflich zu klappen; Ceciles erprobte Diplomatie hatte sich auch bei diesem Arrangement bewährt.

Die kleine Gesellschaft begab sich sofort nach dem Tee auf das Wasser und fuhr ab. Cecile nahm als erste die große Ruderstange, die sie mit viel Geschick und sehr gewandt handhabte. Bei den Bewegungen zeigte sich ihre hübsche Figur auf das vorteilhafteste. Als sie müde war, kam Pearson an die Reihe. Dann folgte Miß Venner, die schon Preise bei Regatten errungen hatte und das Boot mit sichtbarem Erfolg vorwärtstrieb.

Während Cecile stakte, unterhielt Pearson sich sehr gut mit den beiden anderen Damen. Fräulein Venner war ein sehr angenehmes junges Mädchen, und Frau Carson sprudelte vor Lebhaftigkeit, was man ihr nicht angesehen hätte, und zeigte sich als eine Meisterin der Konversation. Doch als Miß Venner die Führung des Bootes übernahm, war Pearson sehr froh, sich wieder mit Cecile unterhalten zu können, die ihn durch den Zauber ihrer Schönheit vorhin so entzückt hatte.

»Dies ist der richtige Rahmen für Sie,« sagte er ihr mit leiser Stimme. »Sie kommen mir wie eine leibhaftige Flußnymphe vor. Sicher sind Sie sehr glücklich und zufrieden.«

»Glücklicher als Worte es ausdrücken können. Ich genieße jeden Augenblick meines Lebens, und die Zeit vergeht viel zu rasch. Es ist aber auch ein entzückender Wohnsitz mit seinen herrlichen Gärten. Ich möchte jedes Jahr während der Sommermonate hier herauskommen und Mutter möchte es auch. Und wenn unsere Freunde uns hier abwechselnd besuchen würden, hätten wir gerade so viel von ihnen wie in Whitehall Court.«

»Sicher brauchten Sie das Ihrem Vater nur anzudeuten, damit er rasch genug eine Tatsache daraus werden läßt. Er erfüllt Ihnen jeden Wunsch.«

»Er ist der liebste Mensch, den es gibt, der beste Gatte und Vater,« rief das Mädchen mit warmem Impuls. »Obgleich er selbst so angestrengt arbeitet, ist er doch dauernd besorgt, daß wir anderen uns so glücklich wie nur möglich fühlen. Ich will Ihnen auch ein kleines Geheimnis anvertrauen. Da er sieht, wie gut es uns hier gefällt, hat er anscheinend den Entschluß gefaßt, unsere Wünsche zu erfüllen. Er hat erfahren, daß der Besitzer bereit ist zu verkaufen. Ich glaube, sie handeln jetzt noch ein bißchen um den Preis. So großzügig Väterchen meist auch ist, nimmt er doch diese Art von Geschäften ziemlich genau.«

»Nun, um Ihretwillen hoffe ich von ganzem Herzen, daß die Sache zu Stande kommt,« erwiderte Pearson aufrichtig.

»Ich danke Ihnen.« Ihr Blick bewies ihm, wie erfreut sie über seine Anteilnahme war. Nach kurzer Pause fügte sie leise errötend hinzu: »Er wird es letzten Endes ganz bestimmt bekommen, sogar wenn er mir zu Liebe ein bißchen nachgeben müßte. Wenn es Ihnen hier also gefällt, wie ich annehme, hoffen wir Sie noch häufig bei uns in Shepperton zu sehen!«

Nun war es an ihm, seiner Dankbarkeit Ausdruck zu verleihen. Auf dem Rasenplatz trafen sie Thurston, der sich bereits zum Diner umgekleidet hatte.

»Diese Stunde, die wir länger draußen blieben, sowie die Notwendigkeit, noch einen bestimmten Zug zu erwischen, ist zur Ehrenrettung für Väterchen geworden. Er erscheint heute als der pünktliche Mann.«

Sie schob zärtlich ihren Arm in den Thurstons und betrat mit ihm und Pearson das Haus.

»Dieser gute Vater! Ich glaube, er liebt es mindesten so sehr wie ich, am Wasser zu leben, gönnt sich diesen Genuß aber nur Sonntags, und ein bißchen natürlich auch am Samstag«, scherzte sie im Weitergehen.

Das Diner verlief in angeregter Stimmung, denn alle waren guter Laune, und jeder trug sein Teil zur allgemeinen Fröhlichkeit bei. Doch in der Hauptsache waren es die beiden älteren Mitglieder des kleinen Kreises, der Künstler und Thurston, die mit ihrem Schatz von Anekdoten, ihrem sprudelnden Witz und ihrem unerschöpflichen Erzählertalent die Unterhaltung in Gang hielten.

»Was für ein famoser Mensch ist doch Ihr Vater,« flüsterte Pearson Cecile zu, welche neben ihm saß. »Er ist tatsächlich der Jugendlichste von allen.«

Das junge Mädchen jubelte vor Freude bei diesem Lob ihres Vaters. »Sie haben recht, er ist zu bewundern. Auch wenn wir ganz unter uns sind, langweilt man sich nie in seiner Gesellschaft. Heute abend ist er aufgeräumter als sonst, weil sein Zuhörerkreis größer ist. Das regt ihn stets an. Er hat noch so gar nichts Ältliches an sich und noch ein vollkommen junges Herz in seiner Brust.«

»Ich glaube, er ist ein gut Teil jünger als ich,« scherzte Pearson etwas resigniert. »Man weiß nun auch, von wem Sie Ihr sonniges Wesen geerbt haben.«

Ein betroffenes Lächeln huschte über das Gesicht des jungen Mädchens. »Ja, von meiner guten Mutter habe ich es sicher nicht. Sie gehört mehr zu den ernsten Naturen; und das ist gut so, denn sie hält uns Beide im Schach, wenn wir zu sehr über die Stränge schlagen. Den Schwung von Väterchen besitze ich aber nicht. Ich wünschte, ich hätte ihn! Was für ein Kerl könnte ich da sein! Würde man sich dann nicht um mich reißen? Nebenbei gesagt, finden Sie Frau Carson nicht außerordentlich geistvoll?«

»Sehr,« erwiderte Pearson lakonisch. Frau Carson verstand es durch ihre glänzende Unterhaltungsgabe, die Aufmerksamkeit auf sich zu lenken, und war den beiden Herren ziemlich ebenbürtig. Doch Pearson machte sich nicht viel aus dieser Dame; er zog Cecile vor, die oft sehr geistreiche Bemerkungen machte, doch nie mit dem Wunsch, Effekt damit zu erzielen. Die verheiratete Frau ließ Diamanten blitzen, die bescheidenere Cecile streute Perlen aus.

Nach Tisch nahm die Tochter des Hauses die Zügel in die Hand. Frau Thurston war zu indolent und durchaus nicht erpicht darauf, die Rolle der umsichtigen Hausfrau zu spielen, und es war ihr offenbar ganz recht, daß Cecile ihre Stelle einnahm.

»Es wird Bridge und Billard vorgeschlagen,« rief sie lustig. »Zuerst also, wer ist für Bridge?«

Es erklärten sich sofort vier Personen dafür, die Dame des Hauses, ihre Freundin, der Künstler und Carson. Letzterer war ein leidenschaftlicher Spieler; er würde am liebsten bis in den frühen Morgen hinein spielen, wenn sich nur jemand fände, der mit ihm ausharrte.

Cecile komplimentierte die anderen in das Billardzimmer und stellte hier eine Partie zu vieren zusammen; ihr Vater und Fräulein Venner, Pearson und Frau Carson sollten sich gegenüberstehen. Sie selbst wollte markieren. Nach dem ersten Spiel würde sie dann mit einer der Damen tauschen. Die beiden Herren dagegen sollten die ganze Zeit über im Spiel bleiben. So lautete der Befehl der reizenden Herrscherin.

Miß Venner spielte unvergleichlich besser als die anderen. Sie hätte Pearson, der nächst ihr am erfolgreichsten war, gut eine ganze Anzahl Punkte vorausgeben können und hätte ihn trotzdem geschlagen. Ihre Überlegenheit war so groß, daß Pearson sich beinahe wie erlöst fühlte, als Cecile für sie einsprang.

Wer auch immer Frau Carson als Partnerin hatte, verlor unfehlbar, denn sie spielte ebenso schlecht, wie Fräulein Venner gut spielte. So hatte Pearson jetzt die Befriedigung, zu gewinnen. Ihm selbst lag weiter nicht viel daran, aber er sah, daß es Cecile Spaß machte. Sie liebte den Sport zu sehr, um nicht Freude am Sieg zu empfinden, wenn sie auch eine Niederlage mit Anmut hinzunehmen verstand.

Als Pearson am Abend zu Bett ging, war er von seinem ersten Tag in Rosebank sehr befriedigt. Jene gütigen Worte Ceciles, aus denen ihr Wunsch, daß er wiederkommen möge, klar zu erkennen war, machten ihn zum glücklichsten Menschen.


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