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Siebentes Kapitel.
Wolken und Sonnenschein

Der so sehr gefürchtete Tag der Versteigerung kam heran, ohne daß man hoffen konnte, sie abzuwenden. Mutter Huber brachte den Tag bei einer Freundin der verstorbenen Schwester zu. Käte, die sie begleitet hatte, ging nachmittags in den Wald, wo Elisabeth und Leonore sie erwarteten. Das sonst so fröhliche Plaudern wollte nicht recht in Gang kommen. Kätchen war es immer, als müsse sie hinhorchen nach der Gegend, wo das Bohnenhäuschen stand, um zu erfahren, was dort geschehe.

»Liebes Kätchen,« bat Elisabeth, die von jeher es verstand, auf dem Angesicht der Jugendfreundin zu lesen, was in deren Seele vorging. »Beunruhige dich nicht zu sehr. Denke lieber, ihr habt, so wie wir in diesem Sommer, eine Erholungsfahrt hierher gemacht, und die ist nun bald zu Ende.«

»Ich bin nur der Tante wegen so unruhig,« erklärte Käte, »weil ich weiß, wie schmerzlich ihr das alles ist. Ich selbst, ihr kennt mich ja, bin mit allem zufrieden und werde ganz fröhlich sein, wenn ich das liebe Tantchen wieder heiterer sehe. Aber ich kann heute wirklich an gar nichts anderes denken und will lieber mein Nähzeug zusammenpacken und zu ihr gehen. Die Sonne steht schon recht tief, und sie wird nach Hause verlangen. Jedenfalls ist nun doch schon alles vorüber. Seid nicht bös, aber ich habe keine Ruhe mehr.«

Die Freundinnen küßten einander, und Käte ging.

Frau Huber hatte bereits ungeduldig nach Kätchen ausgeblickt. Sie hatte heute mehr Schmerzen in den Füßen als seit lange und sehnte sich nach völliger Ruhe. Sie erzählte Kätchen sogleich, daß der Gärtner Bartel das Häuschen erstanden und, wie man sage, recht gut bezahlt habe. Dann traten sie den Heimweg an.

Als sie eine Strecke gegangen waren, bemerkte Mutter Huber, daß sie in der Eile den Hausschlüssel vergessen hatte, und Kätchen mußte eilends umkehren, ihn zu holen.

»Aber hier ist keine Bank, kein Stein, gar nichts, worauf du dich indes niederlassen könntest, Tantchen,« sagte Käte besorgt, »und weitergehen kannst du ohne mich durchaus nicht.«

»Das schadet nichts, liebes Kind. Ich bleibe ruhig stehen, stütze mich auf meinen Stock und warte, bis du kommst.«

»Hier an dem Baum,« bat das junge Mädchen und führte die Frau an den Stamm einer Birke; »da hast du doch eine Art Lehne. Aber, mein Tantchen, warte auch hübsch geduldig, ich bin flink wieder da.«

Sie eilte behend davon, aber der Schlüssel war trotz des eifrigsten Suchens nicht zu finden. Endlich entdeckte ihn Kätchen, als sie schon im Begriff war, ohne ihn fortzugehen, in dem dunkeln Vorflur des Hauses auf der Erde, wo ihn die Tante wohl aus der Hand hatte gleiten lassen. »Ihre armen Hände sind schon so schwach von den vielen Schmerzen wie ihre Füße,« sagte Käte zu sich selbst, während sie so schnell als möglich zurückeilte.

Der weißliche Stamm der Birke leuchtete ihr nun schon entgegen, aber mit heftigem Erschrecken sah sie, daß die Tante ihr Kommen nicht abgewartet hatte, sondern weitergegangen war. »Und sie ist doch schon einmal so hart gefallen,« flüsterte angstvoll Käte, »und hatte doch fest versprochen zu warten. Wenn sie nur nicht – –«

Sie beendete ihr Selbstgespräch nicht, sondern stieß plötzlich einen Schreckensruf aus und rannte den steinigen Weg atemlos abwärts, da sie eine Gruppe von Feldarbeitern um eine augenscheinlich verunglückte Person in lebhafter Beratung versammelt sah.

Ja, es war ihr liebes, altes Tantchen, das da auf dem harten Erdboden lag, regungslos, mit todbleichem Gesicht und geschlossenen Augen, und Käte war es zumute, als müsse auch sie ohnmächtig niedersinken, so heftig pochte ihr das Herz, und so dunkel wurde es vor ihren Augen. Aber sie mußte ja helfen, hier galt kein Zögern. Sie überwand gewaltsam die körperliche Schwäche, kniete neben der alten Frau nieder und legte angstvoll die Hand auf deren Herz. Ein Dankesblick flog zum Himmel; die geliebte Pflegemutter lebte.

»O Gott, ihr lieben Leute, geschwind etwas Wasser und eine Trage,« bat Käte flehentlich mit gefalteten Händen, »damit wir sie nur schnell heimbringen können.«

Wasser wurde bald aus der nahen Quelle herbeigebracht, und nachdem Stirn und Lippen der Kranken mehrfach damit benetzt waren, wich die Ohnmacht, die die Sinne der armen Frau umfangen hielt, und sie öffnete die Augen.

»Tantchen, geliebtes Tantchen, fühlst du dich besser?« fragte zärtlich Käte.

Mutter Huber versuchte zu lächeln. »War ungehorsam – Strafe muß sein. O weh, Kind, der Fuß – der Fuß!« und von neuem erbleichend, schloß sie die Augen.

So schonend als möglich trugen die mitleidigen Bauern die Kranke in das Bohnenhäuschen; der Arzt, der glücklicherweise im Dorfe weilte, wurde gerufen, erklärte den Fuß für gebrochen, jedoch sei die Verletzung derart, daß sie gut heilen würde. »Natürlich aber«, fügte er hinzu, »werden Wochen dazu nötig sein – bei völliger Ruhe und sorgsamer Pflege.«

Käte, die ernst und bleich neben dem Lager der Tante stand, versicherte, es solle der Kranken nicht an sorglicher Pflege fehlen, denn sie würde Tag und Nacht bei ihr sein.

Mutter Huber war erschöpft in Schlaf gesunken, während Käte leise ab und zu ging, um für die Nacht und den nächsten Morgen alles Nötige herzurichten. Dann setzte sie sich auf ihr Lieblingsplätzchen am Fenster, müde und traurig, das Herz bestürmt von sorgenvollen Gedanken. In acht Tagen sollte das Häuschen geräumt werden, hatte ihr die Freundin der Tante zugeflüstert, und das war doch nun unmöglich, da ein wochenlanges Krankenlager in Aussicht stand.

Die kleine Kasse von Mutter Huber war fast leer, und der Doktor verordnete Kraftbrühen und guten Wein. Wie sollte das werden?

Sie sann und sann und fand doch keinen Ausweg aus den Bedrängnissen. Aber plötzlich dachte sie: Käte, du mußt doch vor allen Dingen Gott danken, daß deine liebe Pflegmutter lebt, daß ihre Verletzung nicht noch gefährlicher und schmerzhafter ist, so sei doch zufrieden und quäle dich nicht mit nutzlosem Grübeln. Gott verläßt uns nicht.

Leise öffnete sie das kleine Fenster und lehnte noch eine Weile im Wehen der milden Abendluft.

Fern im reifenden Kornfelde tönte der Ruf der Wachtel, am dunkeln Waldrande flogen unzählige Glühwürmchen umher wie leuchtende Funken, und die Luft war erfüllt von dem Duft frischgemähten Heues, das auf der nahen Wiese zum Trocknen lag. Friedvolle Schönheit ringsum, ringsum ein Mahnen an des Schöpfers Größe, an des Schöpfers Güte, und immer freudiger wurde Kätchens Zuversicht. Sie erinnerte sich der freundlichen Gespräche, die sie mit dem biederen Gärtner geführt, seiner Bereitwilligkeit, ihr junge Pflänzchen und allerlei schönen Blumensamen zu geben, und war plötzlich fest davon überzeugt, daß er es gern gestatten würde, daß sie im Bohnenhäuschen blieben, bis Mutter Huber ohne Nachteil reisen könne. Sie wunderte sich, daß ihr das nicht gleich eingefallen sei, und wollte morgen schon mit dem Gärtner darüber sprechen.

Als der erste Tagesschimmer in das kleine Fenster fiel, kleidete sie sich sogleich an und setzte Wasser zum Feuer, um den Kaffee zu bereiten. Dann trug sie ihre Betten in die Dachkammer und räumte das Stübchen sauber auf. Die Tante fühlte sich sehr matt und hatte Schmerzen, zeigte aber Kätchen ein heiteres Gesicht, um sie nicht zu beunruhigen.

Und nun schien die Sonne so freundlich in das geöffnete Fenster, die grünen, prächtigen Bäume rauschten, die Vögel jubelten ihr Morgenlied, und hell und sonnig, wie die schöne Welt da draußen, war es in Kätchens Seele, und sie bangte nicht mehr vor der drohenden Zukunft. Wie gerufen, sah sie plötzlich den Gärtner auf das Häuschen zukommen.

Er hatte, wie das in so kleinem Orte natürlich ist, schon gestern von dem Unfall gehört und kam, wie Kätchen vermutet hatte, um sich nach dem Befinden der Kranken zu erkundigen. Sie berichtete alles getreulich und sagte dann schnell entschlossen: »Und nun sind wir bei all dem Schreck und Leiden recht glücklich darüber, daß gerade Sie, Herr Bartel, unser Häuschen gekauft haben, denn Sie werden es sicher erlauben, daß wir das eine Stübchen und die Dachkammer so lange benutzen dürfen, bis mein armes Tantchen gesund ist, nicht wahr?«

Ihre freundlichen, klaren Augen blickten ihn bittend und forschend an, und leise und errötend fügte sie hinzu: »Wenngleich wir kaum imstande sein werden, Miete für das Stübchen zu zahlen.«

Der schlichte Mann, der ein gutmütiges Gesicht hatte, wurde auch rot bis zur Stirn hinauf. Er neigte bedächtig den Kopf hin und her, wie in großer Sorge, und sagte dann, sich verlegen das Kinn reibend:

»Liebes, kleines Fräulein, wie gern sagte ich mit Freuden, bleiben Sie doch mit Gottes Namen in dem Stübchen, solange Sie wollen, aber – es wird leider nicht gehen, durchaus nicht gehen, obwohl ja noch viel Raum im Hause ist. Aber meine Frau – ja – die möchte am liebsten schon heute hier einziehen, und sie ist ein bißchen absonderlich, und wenn sie sich mal etwas in den Kopf gesetzt hat – hm – ja, da ist's ein Stück Arbeit, es ihr auszureden.«

»O, lieber Herr Bartel, wenn Sie nur ja sagen, ist alles gut. Eine Frau ist doch mitleidiger als ein Mann, und Ihre Frau wird es uns gern erlauben, das hoffe ich fest,« rief lebhaft Käte.

Der Mann schwieg und zeichnete mit seinem Stock allerlei Figuren in den Sand. Kätchen sah, daß er nachdachte, und schwieg auch.

»Kleines Fräuleinchen,« sagte er endlich, »versprechen kann ich nichts, aber herschicken will ich meine Frau abends, wenn die Wirtschaft und die Küche versorgt ist. Stellen Sie selbst ihr die Sache vor. Es soll mich herzlich freuen, wenn meine Frau ja und Amen zu der Sache sagt. Sie ist eine brave, arbeitsame Frau, aber – hm – sie hat einen harten Kopf.«

Kätchens Mut war ein wenig gesunken, aber sie kam nicht zu vielem Nachdenken. Eine Suppe mußte besorgt werden; dann schrieb sie an Bruder Hermann, und Tantchen verlangte dies und jenes.

Nachmittags kamen die Freundinnen, und jede brachte ein Körbchen mit allerlei erfreulichen Dingen, die zu Mutter Hubers Pflege und Erquickung dienen sollten. So war der Tag schnell vergangen, und Kätchen spähte mit etwas beklommenem Herzen oft den Weg hinunter, auf dem Frau Bartel erscheinen sollte.

Die Sonne war längst verschwunden, nur noch das Abendrot stand leuchtend am Himmel, als endlich die sehnlich Erwartete den Weg heraufkam. Kätchen eilte ihr entgegen, begrüßte sie herzlich und fragte nach den Kindern, die sie zuweilen im Garten getroffen. Dann führte sie die Frau in die Laube und bat sie, sich von dem Gange auszuruhen.

Frau Bartel sah erhitzt und mürrisch aus. »Müde genug könnte ich wohl sein,« sagte sie, »denn man ist den ganzen Tag an der Arbeit und hat Plage von früh bis spät, aber ich bin gottlob kein feines Stadtkind und kann schon mein Teil aushalten. Und nun kommen Sie nur mit der Sprache heraus, Fräuleinchen, denn Sie haben ein Anliegen an mich, sagt mein Mann, und da bin ich doch neugierig, was das sein kann.«

Käte hatte während des Sprechens der Frau Herzklopfen bekommen, so wenig ermutigend war ihre ganze Art und Weise. Aber sie bekämpfte ihr Zagen und sprach in warmen, bittenden Worten ihr Anliegen aus.

Doch noch ehe sie geendet, unterbrach die Frau sie mit den heftig hervorgestoßenen Worten: »Nein, geben Sie sich keine Mühe weiter. Daran ist nicht zu denken. Was meinen Sie denn? Haben wir uns das Haus gekauft, damit fremde Leute darin wohnen? Nächsten Sonnabend ziehen wir ein, und da müssen Sie räumen. Was hätt' ich denn davon, wenn ich Ihnen die Stube noch auf Wochen überließe?«

»Was Sie davon hätten?« fragte mit mühsam bekämpfter Entrüstung Käte. »Das Bewußtsein, eine gute Tat vollbracht zu haben, für die wir Ihnen so innig dankbar sein würden. Denken Sie nur, wie traurig es wäre, wenn mein armes Tantchen, die so viel Schmerzen leidet, noch kränker durch einen Umzug werden sollte. Würde Ihnen das nicht sehr leid tun?«

»Wer hat denn mit mir Mitleid, daß ich mich jahraus, jahrein den ganzen Tag plagen und mühen muß?« fragte höhnisch die Frau. »Bezahlen Sie die Wohnung, dann können Sie sie gleich haben.«

Käte stieg das Blut zu Kopf, ihr Angesicht glühte, ihre Augen blitzten zornig die Bäuerin an, das richtige Brauseköpfchen war wieder da.

»Wieviel verlangen Sie für Stube und Kammer?« rief sie mit bebender Stimme.

»Es ist 'ne sehr hübsche Stube und eine trockene Kammer – unter sechs Mark die Woche vermiete ich sie nicht.«

»Gut, wir werden Ihnen die sechs Mark geben. Die Sache ist also abgemacht.«

Sie drehte der Frau den Rücken und ging zu ihrer lieben Kranken, während Frau Bartel befriedigt heimwärts wanderte und zusammenrechnete: für zwei Wochen sind's schon zwölf Mark, für vier das Doppelte, und acht Wochen wird's wohl dauern. Na, da konnte man den Leuten schon den Gefallen tun.

Kätchen hatte eine unruhige Nacht. Sie machte sich Vorwürfe, daß sie zu voreilig gehandelt, daß sie nicht noch länger versucht habe, das Herz der Frau umzustimmen. Aber immer wieder kam sie zu der Überzeugung, daß bei dieser Frau wohl alles umsonst gewesen wäre, und daß doch unter allen Umständen Tantchens Ruhe gesichert bleiben mußte. Nun war das ja geschehen, und es war alles gut, bis auf eine Sorge: Woher die hohe Miete für das Stübchen nehmen? Und freilich, diese Sorge war nicht klein.

Am nächsten Tage kamen Frau Helmdorf, Frau Hohenau und Tante Josephe, um zu hören, wie es der Kranken erginge. Die beiden jüngeren Damen wollten noch einen weiteren Spaziergang machen, Tante Josephe aber fühlte sich müde und erklärte, in der Laube die Rückkehr der Damen abwarten zu wollen.

»Und nun setze dich ein Viertelstündchen mit dem Strickzeug zu mir, Kind,« sagte sie zu Kätchen, »und gestehe mir offen und ohne Rückhalt, ob der Unfall, der die gute Frau Huber betroffen, euch nicht obendrein in Geldverlegenheit bringt. Lorchen meint, es sei euch im letzten Winter nicht ganz gut ergangen, aber du klagst nie, und wenn ich das auch lobe, so gibt es doch Zeiten, wo es Pflicht ist, jeden falschen Stolz aufzugeben und den Freunden, die man hat, seine Sorgen mitzuteilen.«

Kätchen, die mit der Arbeit neben dem guten Fräulein saß, wurde sehr rot und strickte so eifrig, daß die Nadeln ordentlich klapperten. »Ja,« sagte sie leise, »Lorchen hat wohl recht. Der Winter war nicht leicht für uns. Tantchen war meist krank und sollte immer eine warme Stube und kräftiges Essen haben. Es war ein so kalter Winter; man brauchte viel Holz und Kohlen, und der Arzt und die Apotheke mußten bezahlt werden. Aber mein Tantchen verlor nie den Mut und ich auch nicht, und sie sagte oft: Kein Mensch darf es wissen, wie knapp wir uns behelfen. Es werden auch wieder bessere Tage kommen.«

»Hast du aber nie daran gedacht, liebe Käte, daß wir euch gern beigestanden hätten? War es wohl recht, mir gar nichts davon zu sagen? Du weißt es doch wohl, daß ich dir von jeher herzlich zugetan war, Kind.«

Käte blickte zärtlich und dankbar die gütige Dame an. »O, ich weiß es,« sagte sie bewegt. »Ich war oft genug im Begriff, zu Ihnen zu kommen, Ihnen unsere Kümmernisse zu klagen – aber mein Tantchen! Sie hatte immer glücklich und zufrieden gelebt, hatte so viel gehabt, daß sie noch andern helfen konnte – sie erlaubte es nicht; es war ihr ein schrecklicher Gedanke, fremde Hilfe anrufen zu sollen.«

»Ja, aber wie ging es denn? Wie schafftet ihr das Nötige?«

Käte senkte den Kopf, und es tropften plötzlich Tränen aus ihren Augen. »Wir verkauften ein Stück nach dem andern von Tantchens Wirtschaft, und das war freilich schwer. Sie hängt so sehr an den alten, lieben Sachen, aber – es ging doch nicht anders.«

»Und so habt ihr alles verkauft und dachtet nun, hier eine eingerichtete Wirtschaft zu finden?« fragte Tante Josephe mit lebhafter Teilnahme.

»Nein, o nein. Die Tante hat noch gute Sachen in der Stadt. Das hübsche Sofa mit dem braunen Damastüberzug und weißen Knöpfen, den großen, schön polierten Tisch, an dem wir alle immer beisammensaßen, einen Schrank mit Glasscheiben, in dem viele hübsche Tassen, Krüge und Gläser stehen, die alle liebe Andenken aus Tantchens Jugendzeit sind, und ihren Nähtisch und die Kommode, aber das hat sich alles der Hauswirt behalten, weil – weil wir ihm die Miete schuldig waren. Ach Gott, und nun bin ich gestern noch so schnell dabei gewesen, der Frau Bartel, der nun dieses Haus gehört, Miete für unser Stübchen zu versprechen, damit sie uns nur darin läßt, bis Tantchen wieder gesund wird. Es war vielleicht unrecht von mir, aber ich will nur erzählen, wie das kam.«

Und Kätchen berichtete, zuweilen von Tränen unterbrochen, die Gespräche mit dem Gärtner und mit dessen Frau.

»Beruhige dich, Kind,« sagte Tante Josephe und legte ihre Hand beschwichtigend auf Kätchens kummervoll gesenkten Kopf. »Das soll dir keine trübe Stunde mehr machen. Hole Schreibzeug und Papier heraus. Ich will dir gleich einen genügenden Schein schreiben und dir die Miete für die nächste Woche hierlassen. Das übrige bringe ich mit, wenn ich wiederkomme, und deine Pflegemutter laß ganz in ihrer Ruhe und sprich überhaupt gar nicht von der Sache.«

Kätchen war, wie man zu sagen pflegt, ein Stein vom Herzen gefallen. Sie küßte dankbar die Hand von Tante Josephe und lief hinein, das Verlangte zu bringen.

Fräulein Josephe holte die Brille hervor, nickte Kätchen, die nun mit freudigem Gesicht dasaß, freundlich zu und schrieb den Schein.

»So, mein liebes Kind,« sagte sie heiter, indem sie dem jungen Mädchen das Papier reichte, »nun wird Frau Bartel dir wohl freundlicher begegnen, und ihr könnt in Ruhe den Zeitpunkt der völligen Genesung deiner Pflegemutter abwarten.«

Kätes Augen ruhten auf dem Schriftstück in ihren Händen, aber während sie las, wechselten Röte und Blässe auf ihrem Gesicht, die kleinen Hände, die das Blatt hielten, zitterten, und sie brach plötzlich in leidenschaftliches Weinen aus.

»Um Gottes willen, Kätchen, was geht denn in dir vor?« fragte besorgt Fräulein Josephe und umfaßte liebevoll die Schluchzende. Diese aber schlang ihre Arme um Fräulein Josephes Hals und weinte noch eine Weile fort. Dann trocknete sie die Augen, küßte stürmisch Mund und Hände der alten Dame, wie in überströmender Herzenswärme, und flüsterte mit bebender Stimme:

»Sie also waren es, Sie sind es, der ich all die Jahre hindurch so unendlich viel Gutes verdanke! O wie oft habe ich Gott darum gebeten, daß ich doch einmal in meinem Leben dem verborgenen Wohltäter, der so liebevoll für mich sorgte, danken könnte. Und nun kann ich's, und Sie sind es, Sie selbst, liebes, liebes Fräulein Josephe, die ich immer so herzlich geliebt und verehrt habe.«

Von neuem brachen ihre Tränen hervor, und von neuem zog sie die Hände des alten Fräuleins an ihre Lippen. Diese war errötet wie ein junges Mädchen und schüttelte den Kopf, als ob sie mit sich selbst recht unzufrieden sei.

»Ich habe gar nicht daran gedacht, daß meine kleine Käte von ehemals heute ein so kluges Mädchen ist, die so genau fremde Schriftzüge prüft und wiedererkennt,« sagte sie fast verlegen, mit mildem Lächeln. »Lügen darf ich nun freilich nicht, Kind, aber du darfst es nicht so hoch preisen. Sieh, ich selbst habe doch die meiste Freude an so verborgenem Tun, und es bleibt unser kleines Geheimnis, liebes Kätchen, darum bitte ich dich.«


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