Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Siebzehntes Kapitel.
Ein Segel in Sicht

Es wäre langweilig, wenn ich eingehend weiter berichten wollte, wie die Stunden verrannen. Es regnete den ganzen Tag; kein Lüftchen rührte sich; das Wrack schlingerte sanft. Um mich beim Heraustreten nicht immer von neuem zu durchnässen, holte ich mir einen der vorhandenen Oelanzüge; mit diesem angetan stieg ich wiederholt auf die Plattform des Fockmastes und sah mir die Augen aus in der Hoffnung, irgend etwas zu entdecken. Doch immer vergeblich. Die Aufregung machte mich ganz nervös; wenn ich im Deckhaus saß, sprang ich alle Augenblicke auf, weil ich mir einbildete, Ruderschläge zu hören. Niemals aber war es etwas anderes, als das Plätschern des Wassers gegen die Seiten des Wracks oder das Knarren des Ruders.

Diese fortwährenden Enttäuschungen und die zunehmende Niedergeschlagenheit meiner Gefährtin ließen auch meine Stimmung immer düsterer werden. Es war unbeschreiblich traurig, dieses stolze, schöne Geschöpf, dem bisher jeder Luxus zu Gebote gestanden, so gebrochen zu sehen. Wie ein Marmorbild saß sie, mit schweren Augenlidern und achtlos vor sich hinstarrend, in ihrer Ecke. Keine Spur von ihrer früheren gebieterischen Entschlossenheit war mehr an ihr zu erkennen. Sie schien ein völlig anderes Wesen geworden zu sein.

Still sie beobachtend, dachte ich, ob dieses Erlebnis wohl imstande sein würde, ihren Charakter zu ändern. Falls der Ostindienfahrer uns rettete, lagen noch vierzehn bis sechzehn Wochen des Zusammenlebens vor uns. Würde sie dann ihr bisheriges Benehmen gegen mich – die kalte Gleichgültigkeit, das absichtliche Uebersehen meiner Person – von neuem einschlagen, würde sie von neuem das verletzende Wesen gegen mich herauskehren, das mich mit um so größerem Haß gegen sie erfüllt hatte, als ich nicht aufhören konnte, ihre Schönheit zu bewundern? War sie nicht ein Weib, das jede Verbindlichkeit annahm, hinterher aber denjenigen keines Wortes mehr würdigte, dem sie verpflichtet war?

Lächerlich, wie im Grunde solche Gedanken waren, wo wir vielleicht beide in wenigen Stunden als Leichen fadentief in dem bleiernen Ozean schwammen, gestehe ich doch, daß ich einigermaßen frohlockte. Wurden wir gerettet – und mochte sie dann auch ihr Benehmen gegen mich einrichten wie sie wollte – so stand doch das eine fest, daß uns eine Lebenserinnerung verband, die mich unverwischbar in ihr Gedächtnis eingegraben hatte. Sie konnte weder jemals vergessen, daß sie auf diesem schrecklichen Wrack mit mir allein gewesen, noch verhindern, daß dieser Umstand ihren Verwandten und Freunden bekannt wurde. Es war dies ein Gedanke, der mein Herz mächtig erhob. Wer von uns hätte auch nur ahnen können, daß das Schicksal uns einander plötzlich so nahe bringen, einen so vollständigen Wechsel in unsern beiderseitigen Beziehungen herbeiführen würde! Aus der stolzen Dame an Bord der Gräfin Ida, die sich kaum herabgelassen hatte, ein Wort zu mir zu sprechen, war jetzt ein zaghaftes, furchtsames Mädchen geworden, das mich nicht mehr von ihrer Seite lassen wollte, sich bei jedem Schritt fest an mich klammerte, nur einzig in mir Trost, Schutz und Hilfe fand, ein Mädchen, das sich gänzlich meiner Fürsorge überließ und mit einer Vertraulichkeit zu mir sprach, die sie an Bord des Ostindienfahrers für niemand anders als ihre Tante gehabt hatte.

Als die zweite Nacht gewitterschwarz, aber ohne einen Hauch von Luftzug mit strömendem Regen niedersank, drang ich in sie, zu ruhen.

Sie müssen schlafen, sagte ich. Ich werde Wache halten.

Ach, wie könnte ich denn, schüttelte sie den Kopf.

Versuchen Sie es doch, bat ich wärmer. Sie werden auf dem Kasten ganz bequem liegen; es fehlt nur ein Kopfkissen, und das würde ich Ihnen so gern, wenn Sie erlauben, aus meinem Rock herstellen.

Sie sind sehr gütig, aber schlafen könnte ich nicht.

Ich fuhr fort, ihr zuzureden, und meine Beharrlichkeit hatte endlich Erfolg.

Mit einem matten Lächeln zu mir aufsehend sagte sie nachgebend: Wenn ich Ihnen einen Gefallen damit tue, will ich mich niederlegen. Gleichzeitig nahm sie die Beine auf den Kasten und streckte sich aus.

Ich zog den Rock ab, rollte ihn zusammen und bettete ihn sorglich unter ihren Kopf.

Wie gut Sie sind, sagte sie leise und schloß die Augen.

Die ruhig brennende Kerze warf ihren Schein auf die herrliche Gestalt der Daliegenden, die mir in ihrem weißen Kleide, mit den in malerische Unordnung geratenen Haaren und den blitzenden Edelsteinen an Hals, Ohren und Händen wie eine Märchenprinzeß erschien.

Eine kleine Weile konnte ich mich von dem Bilde nicht losreißen, dann nahm ich das Licht und befestigte es so, daß die Ruhende im Schatten lag. Hierauf setzte ich mich an die Tür, stopfte mir die Pfeife und achtete sorgsam darauf, den Rauch ins Freie hinauszublasen. So hielt ich Wacht und horchte mit schwerem Herzen auf das Prasseln des Regens, auf das zeitweise schwache Knistern, Knarren und Seufzen des Holzwerks und auf das Quieken und Nagen der Ratten in der Kajüte unten – höchst widerwärtige, unheimliche Geräusche, kann ich sagen, wenn man sie in der Stille einer schwarzen Meeresnacht vernimmt.

Von Zeit zu Zeit sprach das Mädchen, das anfangs öfters ihre Lage wechselte, noch einige Worte zu mir, endlich aber merkte ich an ihren tiefen Atemzügen, daß sie fest schlief.

Es war kurz nach zehn Uhr, und ohne sich weiter zu rühren, schlief sie volle fünf Stunden, nur ab und zu etwas im Traume murmelnd.

Eigentlich war es überflüssig, mich noch länger wach zu halten, denn es gab bei dem Wetter nichts zu erhoffen und zu erwarten. Doch der Ratten wegen, von denen ich einen ständigen Besuch befürchtete, durfte ich um des Mädchens willen nicht schlafen.

Als die Bestien einmal besonders laut wurden – denn bei der nächtlichen Stille drang der Lärm, den sie machten, sehr vernehmlich herauf – fiel mir plötzlich mit Schrecken ein, ob ich auch die Tür zur Vorratskammer gut verschlossen hätte. Gelangten die gefräßigen Tiere dort hinein, so nahmen sie uns alles, und wir hatten dann nichts mehr, unser Leben zu fristen, falls uns ein längerer Aufenthalt auf diesem Schiff beschieden war.

Trotz eines gewissen Grauens, das mich überkam, zündete ich ein zweites Licht an, damit die Schlafende, wenn sie etwa plötzlich erwachte, sich nicht im Dunkeln finden sollte, und stieg hinunter. Zu meiner Beruhigung fand ich die Tür sicher geschlossen, und alles, wie ich es verlassen hatte. Meine Nerven schienen jedoch furchtbar überreizt zu sein; niemals werde ich den eisigen Schauder vergessen, der mich plötzlich ergriff, als ich, durch die Kajüte zurückschreitend, in die Nähe des Stumpfes des über Bord gegangenen Großmastes kam, der wie ein Pfeiler emporragte, und der sich im Flackern des Lichtes zu bewegen schien. Vor Schreck stand ich wie zu Eis erstarrt, und kalter Schweiß trat mir auf die Stirn. Ueberall glaubte ich undeutliche Gestalten zu sehen, die an mir vorüber durch den Raum flatterten. Rings um mich huschten Ratten, welche aus dem Boden zu kommen schienen, und die dumpfen Geräusche aus dem Kielraume klangen mir wie menschliches Stöhnen und Aechzen. Ich weiß nicht mehr, wie ich herauf gekommen, das aber weiß ich noch, daß ich wie Espenlaub zitterte, und mein Herz wie im Fieber schlug, als ich endlich wieder auf meinem Kasten saß.

Ich versuchte mich durch einen Becher Wein zu stärken und meine Furcht lächerlich zu finden, indessen meine Erregung war doch so groß, daß meine Lippen sich fortwährend mechanisch in Gebeten bewegten, während ich gespannt auf jedes Geräusch, den plätschernden Regen und das unverständliche Gemurmel des schlafenden Mädchens lauschte.

Zwischen drei und vier Uhr erwachte sie. Sie richtete sich mit einem Schreckensschrei auf und blickte verwirrt umher. Ich ließ ihr Zeit, sich zu sammeln. Nach einer Weile lispelte sie: Ich habe von zu Hause geträumt. Wie spät ist es?

Ich sagte es ihr.

Wie schwarz die Nacht noch immer ist; ach, und wie schaurig still!

Ja, es regt sich kein Lüftchen, und seit zwei Stunden hat es aufgehört zu regnen. Ich erwarte mit Ungeduld den Morgen, denn der Horizont könnte erträglich klar werden.

Haben Sie geschlafen?

Nein.

Dann werden Sie sich nun gleich legen. Ich bin jetzt an der Reihe zu wachen.

In kurzer Zeit bricht die Dämmerung an, wandte ich ein. Bis dahin will ich warten, um Umschau zu halten. Sollte dann nichts in Sicht sein, will ich versuchen zu ruhen. Bei Tageslicht werden Sie nicht so unter dem Gefühl der Einsamkeit leiden, falls ich schlafen sollte.

Nein, nein. Ich versichere Sie, daß ich mich nicht einsam fühlen werde, wenn Sie auch schlafen. Ich bin zufrieden, wenn Sie nur da sind. Sie haben den Schlaf so nötig, das verrät mir Ihre Stimme. Ich habe fünf Stunden geschlafen und bin nun ganz frisch. Also, bitte, folgen Sie mir.

Hiermit ergriff sie mein Jackett, rollte es von neuem ein und legte es auf dieselbe Stelle, wo ihr eigener Kopf gelegen hatte.

Ihr zu Gefallen gab ich nach und lagerte mich. Sie setzte sich so dicht zu meinen Füßen, daß diese sie beinahe berührten. Doch obgleich meine Augenlider schwer wie Blei waren, fühlte ich, daß meine nervöse Unruhe mich keinen Schlaf würde finden lassen. Und so war es auch. Nach einer halben Stunde vergeblichen Wartens wurde ich ungeduldig und sprang wieder auf.

Ich wußte es schon, ich kann nicht schlafen, rief ich. Deshalb legen Sie sich wieder, bitte, und beenden Sie Ihren Schlummer.

Das aber wollte sie nicht; sie beteuerte, völlig ausgeruht zu sein. Ehrlich gesagt, war mir das auch sehr recht, denn ich wünschte zu sehr ihre Gesellschaft, und so saßen wir nebeneinander, bis der Tag anbrach.

Ich erinnere mich, daß ich unter anderem äußerte: Ich bedaure, daß es Ihnen auferlegt ist, die Kerkerhaft auf diesem Wrack mit mir, anstatt mit einer Ihnen genehmeren Person teilen zu müssen.

Wozu diese Redensart? erwiderte sie mit einem Blick, der mir Schweigen gebot. In unserer Lage würde ein Kompliment doch wirklich geschmacklos sein.

Ich will ja kein Kompliment hören, ich drücke nur mein Bedauern aus.

Sie bedauern, daß Sie hier sind? Nun, das tue ich allerdings auch. Da es aber mein Los ist, hier zu sein, wüßte ich niemand vom Bord der Gräfin Ida, mit dem ich Sie vertauschen möchte.

Ich verbeugte mich verbindlich.

Sollten wir gerettet werden, fuhr sie, ihre dunklen Augen auf mich richtend, fort, so werde ich tief in Ihrer Schuld stehen, und auch meine Mutter wird Ihnen nicht genug zu danken wissen.

Sehen Sie, entgegnete ich lächelnd, jetzt könnte ich auch sagen, wozu diese Redensarten? Was habe ich denn Besonderes getan, was so viel Dank verdiente? Bis jetzt konnte ich nur versuchen, Ihre Lage zu erleichtern.

Sie schüttelte mit einem schmerzlichen Zug um den Mund den Kopf und schwieg. Dann begann sie aber wieder: Wie klein und kläglich hat sich mein Mut erwiesen, als er auf die Probe gestellt wurde! Wissen Sie noch, als diese unheilvolle Brigg in unserer Nähe lag, wie ich da im Uebermut meinen Sonnenschirm drohend nach ihr schwenkte und nichts mehr wünschte, als ein Seegefecht zu erleben und einen Piraten zu erschießen? Wie tapfer war ich doch da, wo die Gefahr noch weit ablag, und wie feige habe ich mich jetzt gezeigt!

Ich hätte kaum geglaubt, erwiderte ich, verwundert, daß Sie damals meine Anwesenheit bemerkten.

Wieso?

Nun es kam mir immer so vor, als ob meine Person für Sie an Bord nicht vorhanden war.

Ihre Lippen kräuselten sich trotzig, und ihre Augen funkelten mich an. Wissen Sie, Herr Dugdale, wenn Ihnen mein Benehmen nicht gefiel, so sind doch jetzt weder Ort noch Umstände geeignet, mir das vorzuwerfen!

Mein Gott, ich denke ja nicht im entferntesten daran, Ihnen etwas vorzuwerfen. Verzeihen Sie, wenn ich unbedachtsam einen Gedanken aussprach, der mich immer bewegte.

In diesem Augenblick vernahm ich ein stärkeres Geriesel des Wassers an den Schiffsseiten. Ich sprang auf und eilte zur Tür, indem ich rief: Ich glaube, es kommt Wind!

Hinaustretend fand ich, daß ich mich nicht getäuscht hatte, ein angenehmes Lüftchen zog über den Steven des Rumpfes. Es war aber noch pechfinster und kein Stern zu entdecken. Ich kehrte daher zurück und setzte mich wieder, jedoch nicht mehr auf meinen verlassenen Platz, meiner Gefährtin zur Seite, sondern ihr gegenüber. Dies wunderte sie, wie ich auf ihrem Gesicht erkannte, doch was sie auch denken mochte – ob sie es für Respekt oder Empfindlichkeit hielt – sie sprach nicht darüber, sondern fragte nur lebhaft:

Kommt die Brise aus der Richtung, in der Sie die Schiffe vermuten?

Das läßt sich unmöglich mehr nach dem Wetter der Nacht bestimmen, wo uns die Dünung fortwährend wie einen Kreisel gedreht hat. Doch der Morgen wird ja nun bald dämmern, und dann werde ich schnell orientiert sein.

Als der Tag anbrach, erkannte ich, daß der Luftzug aus Nordwest wehte. Fräulein Temple kam zu mir heraus, und in quälender Ungeduld warteten wir, ob es klar werden würde. Die Hoffnung dazu war vorhanden, denn schon augenblicklich vermochten wir einen nicht unbedeutenden Umkreis zu durchspähen. Je heller es wurde, je mehr unser Horizont sich erweiterte, desto größer wurde unsere Spannung, und desto öfter bemerkte ich, wie die vor Aufregung glühenden Augen meiner Gefährtin an meinem Gesicht hingen, um aus diesem zu lesen, ob ich etwas sähe. Ich mußte aber all ihre Hoffnungen zerstören. Unwillkürlich stöhnte ich in Grimm und Gram: Dieselbe leere, trostlose Oede wie gestern! Doch als ich die Verzweiflung erkannte, die sich bei diesen Worten auf ihrem Gesicht ausdrückte, fügte ich hinzu: Aber wir können hier nur wenig mehr als sieben Meilen übersehen. Die Brise ist stark genug, um die Schiffe in Fahrt zu halten, und es können doch nicht alle Schiffe auf dieser sonst so belebten Fahrstraße in der gestrigen Windstille verfault sein! O, was gäbe ich darum, jetzt mein Teleskop zu haben!

Damit ging ich nach vorn und stieg wieder auf den Mast. Anfangend bei dem Punkt, auf den das verstümmelte Bugspriet wies, suchte ich langsam und genau die ganze Seelinie entlang, und als ich die Seite erreicht hatte, die über Steuerbord lag, da auf einmal – das Herz stand mir beinahe still – traf mein Auge ein winziges Etwas, das sich zum Himmel streckte – eine weiße Spitze wie die Schwinge einer Möwe – aber unverkennbar ein Segel! Ich mußte mir Gewalt antun, nicht laut aufzuschreien; möglicherweise konnte ich mich doch noch täuschen. Ich mußte warten, bis ich völlige Gewißheit hatte. Mein Herz pochte mir in den Ohren, ich atmete kurz und stoßend. – Endlich, nachdem kein Zweifel mehr vorhanden, warf ich einen freudestrahlenden Blick zu Miß Temple hinunter. Sie fing ihn auf und schlug die hocherhobenen Hände zusammen:

Sie sehen etwas! Sie sehen etwas! jubelte sie. Was ist es?

Ein Segel! antwortete ich, den Krampf, der mir den Hals zuschnürte, mit Anstrengung überwindend. Ich muß aber noch hier oben bleiben, um zu sichten, welchen Kurs es nimmt. Dort ist es, deutete ich mit dem Arm. Sie können es jedoch von unten noch nicht sehen.

Die Brise hatte Kraft genug, die Sache schnell zu entscheiden. Wenn das Segel sich von uns entfernte, mußte es bald verschwinden. Gott sei Dank, tat es das aber nicht. Ich will zwar nicht sagen, daß es mir unter den Augen wuchs, aber die Stetigkeit, mit welcher es mir sichtbar blieb, überzeugte mich, daß es einen Kurs steuerte, der uns in den Bereich seines Horizontes bringen mußte. Als ich darüber keinen Zweifel mehr hatte, stieg ich eilig hinab.

Kommt das Schiff auf uns zu? bebte es mir entgegen, als ich auf Deck sprang.

Jawohl!

Aber wird es uns auch sehen?

Das muß es, wenn es seinen augenblicklichen Kurs beibehält, denn wir werden es zwingen, uns zu sehen.

Bei diesem Trost nahm sie plötzlich meine Hand in ihre beiden Hände und beugte sich darüber. Wir konnten beide einen Augenblick nicht sprechen. Ich fühlte eine Träne auf meiner Hand. Langsam schlug sie endlich ihre großen nassen Augen zu mir auf.

Was ist das für ein Erlebnis gewesen! flüsterte sie in ihrer Rührung. Niemand wird mir glauben, wenn ich erzähle, was ich durchgemacht habe.

Mir wird es stets eine der glücklichsten Erinnerungen meines Lebens bleiben, erwiderte ich ebenfalls bewegt. Sie werden sich niemals in die Empfindungen versetzen können, die ich bei Ihrer Rettung haben werde.

O doch, doch, entgegnete sie warm. Aber versäumen wir jetzt auch nichts? Wie können wir uns bemerkbar machen? Wird es lange dauern, bis das Schiff kommt?

Bei der schwachen Brise noch eine geraume Zeit. Ich werde inzwischen ein Rauchsignal herstellen; ein anderes Mittel, das Schiff auf uns aufmerksam zu machen, haben wir nicht. Nach meiner Schätzung ist es noch wenigstens zwanzig Meilen entfernt. Selbst wenn die Brise auffrischt, dürften noch gut drei Stunden vergehen, bevor es uns seine ganze Gestalt zeigt. Lassen Sie uns daher erst ruhig frühstücken; dann werde ich an die Arbeit gehen.

Aber unsere Aufregung war zu groß. Ein kleines Stück in Wein getauchter Zwieback war alles, was sie zu genießen vermochte, und auch ich aß nicht viel mehr als ein Stück Käse. Die Hauptsache indessen war, daß ihre Augen beinahe wieder in ihrem früheren Glanze strahlten. Eine zarte Röte färbte ihre Wangen, und unbewußt glättete sie ihr Haar wie in Vorbereitung zu dem ihr bevorstehenden Empfang auf dem Schiff. Sie zweifelte nicht, daß es die Gräfin Ida wäre. Mit kindesfroher Heiterkeit lachte sie: Ich kenne ja meine Tante und kann mir vorstellen, wie sie den Kapitän gequält und unaufhörlich zur Eile angetrieben haben mag, um mich zu suchen. O, was wird das für ein Wiedersehen sein!

Es kann aber auch die Korvette sein, erinnerte ich.

Wenn auch. Sir Edward wird dann sicher den Ostindienfahrer zu finden wissen und uns an dessen Bord bringen.

Ich verließ sie jetzt und ging, um Matten, Decken, Lumpen, feuchtes Holzwerk und andere möglichst dicken Rauch erzeugende Dinge zu sammeln. Ich brachte das Material auf Deck, und dann begannen wir beide unter Scherzen einen mächtigen Haufen zwischen Fockmast und Großluke zu errichten. Als wir ihn anzünden wollten, erwiesen sich aber meine Streichhölzer dem feuchten Zeuge gegenüber als zu schwach. Ich mußte noch einmal auf die Suche gehen nach trockeneren Stoffen. Diese und sogar eine kleine Kanne Oel fand ich endlich in einem der Kasten des Deckhauses. Hiermit brachte ich den Haufen bald zum Schwelen; – der Rauch entwickelte sich prachtvoll. Allmählich stieg eine dicke schwarze Säule wie aus dem Schornstein eines Dampfers gen Himmel. Ein Weilchen freute ich mich an unserm gelungenen Werk, dann, nachdem ich mich überzeugt hatte, daß ein weiteres Verbreiten des Brandes nicht zu befürchten war, stieg ich wieder die Fockwanten hinauf nach meinem Ausguck. Noch ehe ich denselben ganz erreicht hatte, konnte ich schon den obersten Teil der Leinwand des Schiffes unterscheiden – ein Zeichen, daß es uns näher kam. Ich rief meine Beobachtungen dem untenstehenden Mädchen zu und kletterte nach einiger Zeit wieder hinunter, um das verglimmende Brennmaterial durch Heranschaffen neuen Vorrats zu nähren. Wir beide arbeiteten hierbei freudig wie Kinder, die sich auf einem Felde ein Feuer aus vertrocknetem Kartoffelkraut machen. Wir hatten all unser ausgestandenes Elend, Furcht und Angst vergessen und sprachen nur davon, was die Passagiere der Gräfin Ida zu unsern Erlebnissen sagen würden.


 << zurück weiter >>