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Urteil und Schluß

I

Und über diesem Tag nach wengen Wochen, eines trüben Morgens, als die Wolken träge niederhingen von dem grauen Himmel, unbestimmt, wohin sie zögen, kroch der Geier tanzend nach des Daches höchster First, und allda, häßlich in die Runde schielend mit geducktem Halse, hüpft er eine Weile auf und nieder, bis er endlich plumpen Sprungs hinunterfiel und kreischend, mit verdroßnem Flügelschlage flüchtete zur unbekannten Ferne.

Und es geschah, mit diesem Augenblicke wurde weniger das Fieber in des Kranken Brust, und über eine Zeit, so ward er mehr und mehr gesund, und wieder über eine Zeit, so ward er stärker als zuvor, und kräftig regte sich in ihm der Wille.

Und als nun gänzlich fest und unerschütterlich sein Leib bestand, und längst verschwunden hinterm fernen Berge war die schlimme Krankheit allzugleich mit ihrem garstigen Gefolge, also daß von ihr noch ihrem Trosse war kein Hauch noch Schein und nicht die Schleppe eines Kleides mehr zu sehn, wie sehr die Wächter ängstlich danach spähten, schickt er jetzt sich an, Gericht zu halten in dem Erdental und Rechenschaft zu fordern von den Menschenkindern.

Und setzte einen Tag, daß sich das Volk versammle auf der allgemeinen Wiese unter seinem Thron, und redete und sprach durch Boten zu des Volkes Führern:

«Wohlan! vernehmet euer Festgewand: An jenem Tage sollt ihr euch in Sack und Asche schmücken, sollt mit Stricken euren Hals verzieren, Ketten tragend mit den Händen, Steine schleppend an den bloßen Füßen; dieses sei das Festgewand. Und schafft mir aus der Feinde Land die Leichen meiner Kinder, eurer Tat Geständnis, leget sie vor meinen Thron, auf daß ich euch gewähre Blut für Blut und reinige das Gottesreich vom allzuvielen Unkraut.

Und wenn vielleicht euch dieses nützlich scheint, daß ihr besänftigt meinen Zorn, wohlan, so rat ich euch geheimen Winks, in Freundschaft, ohne meiner Gottheit Wissen:

Wenn ich erscheine an der Erde Marken, will zuallererst ich schauen den, der sich allein aus allem Volk erbarmt zu meines Kindes Rettung. Diesen stellet zwischen euch und meinen Zorn; denn euer Mittler ists, und er allein hat euch bewahrt vor gänzlicher Vernichtung. Aber eh ich noch gekommen vor dem Throne zu den Leichen meiner heißgeliebten Söhne, laßt mich küssen meines Jüngstgebornen Antlitz, daß vielleicht um seinetwillen ich verschone diesen oder jenen aus der wohlverdienten Strafe. Also rat ich euch als Freund, und weise scheint mirs, so ihr es beachtet.»

II

Und als gekommen nun der ernste Tag mit seinem düstern Scheine, schritt der Engel zu der Kirche auf des Himmels höchstem Berge, betete und sprach zu Gott mit Kämpfen und mit Ringen:

«Du Gott des Leidens, der du wandelst gramverzehrt auf einsam stiller Wiese, wägend aller Welten Schmerz in deinem einzgen Haupte!

O, sende mir von deines Kummers Reichtum einen großgearteten Gedanken, laß aus deiner ewgen Qual mich spüren einen wehmutvollen Hauch, damit ich, fühlend ähnlich deinem Fühlen, mich enthebe meinem eignen Einzelschmerz und mich erbarme deines Volkes, übend billiges Gericht entgegen meinen schweren Wunden.

Denn sieh, es grollt und gärt und schwillt in mir, und ohne deinen Beistand werd ich mich ergrimmen!»

Und über dem, da stand er auf mit neugestärktem Mut und wandte sich und schritt hinab zum Erdental und zu der Menschen schmachbeladenen Gefilden.

Und rachedürstend zog an seiner Seite Doxa, seine stolze Buhlin.

 

Und als er nun gekommen zu der Erde Marken, warteten gebückten Haupts die Ältesten des Volkes, vor der auserlesnen Schar Prometheus widerwilligen Gebarens, gleich wie wem Gewalt geschehn und wer nicht liebt das Amt, das ihm beschieden.

Und jener, da er kaum Prometheus sah vor seinen Augen, eilt er hastig auf ihn zu, umarmt ihn heißen Dankes, redete und sprach zu ihm mit Weinen und mit bitterem Gedenken:

«In Wahrheit, vieles Böse hab ich dir getan und hab um eines schlechten Mannes willen dir entzogen dein gerechtes Erbteil, samt dir zum Ersatz gegeben jede Erdenqual und giftige Entsagung, ungezählt mit vollen Händen auf dich werfend, was ich jetzt vergebens Korn für Korn zurückbegehre mit des Herzens peinlichstem Verlangen.

Jedoch wenn eignes Unglück fremdes Leid versöhnt und wenn durch meinen unheilbaren Schaden du vermagst zu heilen, wohl, so hab ichs alles pünktlich und genau bezahlt mit meines Reiches Niedergang und meiner Kinder jammervollem Sterben.»

Und es erwiderte und sprach Prometheus demutvollen Blickes:

«Erhabner Herr des Himmels und der Erde! heilig sei dein Name! mögen ewig deinem Szepter unterworfen bleiben alle Lande! dir mit Gut und Blut zu dienen heischet eines jeden Menschen Pflicht, und unsres Daseins Zweck ist deines Reiches Wohlgedeihn, und auch in deinen Kindern ruht des ganzen Volkes Hoffnung!

Beschäme länger nicht mein Angesicht mit unverdientem Dank, denn sieh, ein weniges hab ich getan, und dieses wenige, gezwungen hab ich es getan; um deinetwillen nicht, um eines andern willen.»

Doch jener grüßt ihn nochmals mit gerührtem Blick, entgegnete und sprach mit leidenschaftlichem Betonen:

«Ob dus gezwungen oder gerne tatest, hast dus ganz und voll und kunstgerecht getan, und wenn um eines andern willen, wohl, so magst du jenem andern meinen Segen überbringen. Aber da du dieses wenige vollbracht, daß du allein aus allem Volke hast dein Leben eingesetzt für meines Kindes Rettung, mußt du mir gestatten eines Vaters Dank und Tränen, samt des Herzens warmer, inniger Verwandtschaft.»

Und also sprechend küßt er ihn und überhäuft ihn immerfort mit seiner Liebe Zeichen.

 

Doch über eine Zeit, des großen Tagewerkes eingedenk, gebot er Stillstand seinem weichen Wesen, raffte sich zusammen, redete und sprach mit lauter, fester Stimme:

«Und nun, wenn es dir nicht mißfällt, so sollst du König sein an deines Bruders Stelle, daß du ehrest den beschimpften Thron und reinigest des Menschen Volk mit deiner Tugend Vorbild.»

Und es erwiderte und sprach Prometheus trüben Mutes:

«Erhabner Herr! wohl ists ein edles Amt, das du in deiner Gnade mir gewährst, und wahrlich Schöneres auf Erden kenn ich nicht, als Gottes Reich zu warten und zu pflegen samt an deiner Statt zu herrschen über Berg und Tal, so daß zu Recht und Satzung sich verwandelt jedes Gute, das ich irgend wünsche, daß ich nach dem Bilde meines eignen Wesens präge das gesamte Volk, und niemals schafft mein Geist ins Leere, sondern alles, was ich um mich schaue, eignet sich zu meiner Arbeit! Darum hab ich alles dies in meiner Jugend Tagen sehr begehret.

Jedoch du weißt: kurzlebig ist der Menschen Art, und zwischen Werden und Verderben liegt des Schaffens eine kleine Zeit, und wehe jenem, der sich irrt, es sei durch eignen oder fremden Irrtum!

Denn euch ist Irrtum zwar erlaubt, und herrlich gleich der Sonne durch die Nebel offenbart sich eurem Geist durch Täuschung die Erkenntnis, daß ihr nach gezahlter Buße mutiger und weiser wiederum beginnt ein neues Streben. Aber also nicht die Erdgebornen; sondern wenn für uns der späte Tag erscheint, der Tag des Rechts, der Wahrheit, der Vergeltung, ist verbraucht des Körpers kleine Kraft, und eigne oder fremde Reue bringt sie nimmer wieder.

Und drum, dieweil ein böser Irrtum meinen Leib und all mein Wesen hat zerstört und ist in mir gestorben so der Löwe als das Hündchen, bleibts für mich zu spät, und einzig Einsamkeit begehrt mein Herz, und erdwärts blicken meine Augen.»

Und über diesen Worten ward der Engel über alle Maßen ernst und dachte sinnend eine Weile nach, wie wer mit seinem Geiste folgt den feierlichen Schritten eines stattlichen Gedankens, aber lange währt es nicht, so schloß er ab, entgegnete und sprach mit Seufzen, doch mit festem Mute:

«Wohlan, was du gesagt, ist wahr, und daß wirs ändern, lieget nicht in meiner, noch in deiner Macht, und drum so laß ein andres uns erspähn, damit wir dich erhöhen aus dem allgemeinen Volke.

Und dieses nicht zu deinem Preis und Lohn, denn sieh: dein Schuldner werd ich bleiben allezeit, und nicht um deinetwillen, sondern meinetwegen; denn es herrscht ein Anstand über meinem Amt, und eine Scham gebeut im Himmel und auf Erden, also daß ich um des Anstands willen ungeehrt und unbeneidet jenen nicht entlassen darf, der einzig meinem Hause treu geblieben in der Stunde der Gefahr, damit nicht ‹Undank› heiße unterm Volk mein Name, sondern daß im Gegenteil sie dich beneiden, samt der Tat, wodurch du es errungen.»

Und es erwiderte und sprach Prometheus ungelaunten Willens:

«Ob Scham und Anstand dirs gebiete, mir verbietets meines Wesens Stolz, und auch, was immer du in deinem Schatz besitzest, Ruhm und Ehre samt des Fleisches Lüste, sind nun ganz und gar zuwider worden meinem alten Herzen – weil ich schauen mußte, wie da käuflich ist der Ruhm und buhlt mit niedern Seelen, weil vom täglichen Gebrauch durch aller Leute Hände sind beschmutzt die Ehren, weil mein Fleisch ist welk geworden, daß es nach den Lüsten nimmer lüstet.

Und drum erhöre mein Gebet, mein Gott und Herr, und gönne endlich Urlaub deinem müden Knechte, wenn ich anders frei und schuldlos vor dir stehe.»

Und feinen Blicks mit dünner Stimme lächelte und sprach der Engel:

«Wohlan, nach deinem Wunsche sei es dir gewährt; denn wahrlich adelig und freigeboren stehest du vor mir, und keine andern Schulden walten zwischen uns als jene Schulden, die ich selber schulde.

Doch siehe, da ich kam gezogen auf der Erdenstraße, kam des Wegs ein kleines Hündchen mir entgegen, trug ein Halsband deines Namens, schnupperte begierig nach den Schätzen unter meinen Händen, also daß vielleicht, wenn du es selbst verschmähst, dus deinem Hündchen nicht mißgönnest.»

Und es geschah, sobald der Engel kaum erwähnte dieses Hündchen, ward Prometheus sehr verwirrt und suchte, wie er mit geneigtem Haupt und mit verstelltem Angesicht verberge seine peinliche Beschämung, bis er endlich demutvollen Willens sich ergab und stammelte und sprach zerknirschten Mutes, sich entschuldigend mit ungeschickten Lügen:

«In Wahrheit, nicht versteh ich deiner Rede Meinung, da kein Hündchen irgend mir gehört, und wenn es trägt ein Halsband meines Namens, ist es ein gestohlen Zeichen. Übrigens so ists ein hergelaufnes Waisenhündchen, das ich aus Erbarmen aufgespart, und habe weiter keinen Teil an ihm, und was es immer tut und unterläßt, geschieht es ohne meinen Rat, und wenn es Törichtes und Sündiges und Unanständiges begehrt, so seis auf seine eigne Schuld und Strafe, ohne meinen Schutz und Beistand.

Und drum, so darf ich seinetwegen weder etwas hindern noch gestatten, sondern frei nach deiner königlichen Laune magst du es bestrafen oder auch beschenken.»

Und über diesem schieden sie und zogen jeder seines Wegs in großer Freundschaft.

Und planlos in die Ferne wanderte Prometheus ohne Ziel noch Willen, einzig Einsamkeit begehrend, daß darin er kläre sein Gemüt – doch finstern Mutes schritt der Engel zu der Urteilsstätte, nicht beehrend die Gesandten eines Blicks noch Grußes, während jene lautlos ihn geleiteten, gedrängten Zugs, mit scheuen Mienen.

 

Und als ihn nunmehr kommen sah das Volk aus weiter Ferne, eilten sie herbei mit Schreien und mit Weinen, jammerten und fleheten und stellten ihm vor Augen seinen heißgeliebten Sohn, damit sie rühreten des Vaters Herz und also Rettung fänden über seiner Rührung.

Und da der Engel kaum erblickte seines Kindes Antlitz, stürzt er ihm entgegen, nahm es auf die Arme, herzt und küßt es unter vielen Tränen, konnte nimmer sättigen sein Herz mit seinen Küssen. Aber als nun endlich seltener sich regete das Schluchzen seiner Stimme, auch mit längerem Verweilen ruhete sein Blick in den geliebten Augen, hub er an und redete und sprach zu seinem Kind mit Wehmut und mit Trauer:

«Du mein geliebtes Kind! du Kleinod meines Herzens! niemals wirst du wiedersehen deiner Brüder holde Bilder, Mythos, deinen treuen Freund, der seiner selbst vergessen deiner nur gedachte, da er vorempfindend seines hohen Amtes großgemütete Gefühle dich zu seinem Schützling auserwählt, daran er übe seines jungen Mutes Opferfreudigkeit, und Hiero, den unersetzlichen, aus dessen Wesen unbewußt und stetig floß die Liebe, gleich dem klaren Quell und gleich der Sonne goldnen Strahlen, seiner Brüder kleine Leiden überflutend und besiegend, samt verschönernd und veredelnd zu Kristall und ewig leuchtendem Gestein gemäß den zauberhaften Kräften seines schöpferischen Herzens! nimmer wird dich rufen ihrer Stimmen süßer Ton, denn tot, von Schurkenhand gemordet, liegen sie in ewger Stille, daß sie keine Macht des Himmels und der Erde kann erwecken.

Und nun, so bleibest du mir ganz allein, und drum so will ich dich zum Erben setzen aller meiner Liebe.»

Und also sprechend preßt ers leidenschaftlich gegen seinen Busen, überdeckt es immerfort mit ungestümem Schmeicheln und Liebkosen.

Und über dem, da überließ er seinen Knaben Doxa seiner treuen Freundin, welche seitlich mit ihm ging zu stehen, rückwärts von dem Thron, damit er nicht erfahre seiner Brüder schmerzverzerrtes Antlitz, während selbst er jetzt mit leichenblassen Wangen wankte nach der Stelle, wo das Volk mit Grausen und mit Zagen sah nach einem selben Punkt vor ihren Augen.

Und schrägen Blickes zog er seine Bahn, und als er durch die Menschengasse kaum vernahm den Trauertisch mit seinen schwarzen Särgen, schloß er zuckend seine Lider, blindlings schreitend, tastend mit den Armen, bis nach einer langen Weile seine Hand am harten Holz sich stieß, und über dem verhüllt er sein Gesicht mit seinem Mantel, kniete langsam auf den Boden, betend mit des Herzens innigster Verzweiflung.

 

Und lange lag er also da und sog aus hohen, göttlichen Gedanken Kraft, zu tragen den gehäßgen Anblick, wagt es immer nicht, mißtrauend seiner eignen Stärke, aber als ers endlich nun vermocht und fühlte sich getrost zu jedem Schlag und warf die Kappe von der Stirn und schaute seiner Kinder krampfentstellte Leiber, da brach ihm dennoch plötzlich all sein Mut, und spurlos weggenommen war von ihm die schwer erworbne Kraft, und ohne Schranken siegte über ihn des Kummers Anprall, also daß er rief und schrie in rasendem Ergrimmen:

«O meine Kinder! meine heilgen Sprossen! die zu ewgem Leben ausersehn und zu des Menschenvolkes unvergänglichem Entzücken!

So war denn keiner, den da rührten eure adeligen Formen! keiner, der sich schämte über eurer Augen Flehen! Aber hingemordet liegt ihr da, verraten von der Menschen großer, feiger Herde!»

Und also sprechend warf er sich auf seines Ältsten Brust und jammerte und schluchzete mit maßverlassenen Gebärden:

«Du warst mein Sohn! mein Ebenbild! In deinem kleinen Körper lag begraben eines Riesen Seele! Schon begann sie ungeduldig sich zu regen, flatternd mit den starken Flügeln, schnaubend mit den Nüstern, daß du deine Locken schütteltest in edlem Zornmut, daß von stolzer Gnade funkelte dein Blick, und jegliches Bewegen deiner zarten Glieder war bestimmt und heftig, gleich dem jungen Adler, der die scharfen Fänge krallend in des Nestes dürre Wände wirft den Kopf hervor und schleudert seitwärts aus den königlichen Augen seinen Willen nach dem untergebnen Tale».

Und vieles hätt er noch gejammert und geschluchzt, doch gleich wie wenn vor einer engen Tür sich staut der Menschen schaubegierige Gemeinde, also stockte von dem ungestümen Andrang der von Leiden ungebärdigen Gedanken seine Rede, konnte ferner nicht sein Mund ihn lösen von dem Überflusse seiner Schmerzen, sondern stummer Ohnmacht beugt er sich auf seines Kindes Stirn und badete sein Angesicht mit seinen Tränen.

Und zitternd, angehaltnen Atems lauschte das erschreckte Volk, und ward kein Laut gehört in der gewaltigen Versammlung.

Und über dem, da kniet er vor des zweiten Lager, blickte innig, gleich der Mutter überm kranken Kinde und gleich des Greises Auge überm letzten Erben, in das schöne Antlitz, während lautlos gleich dem Regen rieselten die Tränen über seine Wangen, bis er endlich schmeichelnd, mit gebrochner Stimme, kosend, weinete und sprach die leisen, sanften Worte:

«Ein Lilienfeld in dürrer Steppe, eine Sonnenknospe zwischen grauem Regen, also wuchsest du und blühtest du und strahltest, nicht von außen gleich den andern Blumen leihend deine Säfte, sondern aus den farbenreichen Tiefen deines heilgen Wesens dich vermehrend und verstärkend, Ahnung war dein Fühlen und Erinnerung dein Träumen, daß du die vergangnen und die künftgen Dinge ewig gegenwärtig schautest auf dem fleckenlosen Plane deines Herzens, daß vom duftgen Hauche deiner reinen Seele sich umschleierte dein Auge, über deinem feinen Angesicht der Abglanz deiner Mutter, wie sie jung und schön, von selgem Glück verklärt, des Abends mir vom Schloß entgegeneilte, wenn ich ruhig und zufrieden nach vollbrachter Tagesarbeit aus des Himmels Bergen wiederkehrte nach dem Erdental, in jenen frohen Zeiten, ehe noch der Tod zerstörte ihren göttergleichgeformten Leib gemäß dem scharfen Urteil ihrer irdischen Geburt und Herkunft!»

Und über diesem Angedenken hub er bittrer wieder an zu weinen, weil vom neuen Schlag getroffen barst die längstvernarbte Wunde, also daß ihn schmerzte seines Weibes älterer Verlust zugleich mit seines toten Sohnes Anblick.

 

Und über eine lange Zeit erhob er sich, und feierlichen Schrittes nahend dem gewaltgen Throne, stieg er mit des Richters Würde nach der schwarzverhängten Kanzel, während von der andern Seite Doxa mit dem Knaben kam zu gleicher Zeit empor, bescheiden außerhalb der Tür sich haltend auf der Treppe höchstem Grad – und als nun Todesstille herrschte um und um, ergriff er das geschärfte doppelschneidge Schwert, und düstern Blickes, drohend mit den Brauen, mustert er das ungeheure Volk mit unbegrenztem Haß und ungemessener Verachtung, während jene schluchzend, stöhnend, mit den Händen schüttelnd ihre Ketten, sich zur Erde beugten, weil ein jeder augenblicklich fürchtete den wohlverdienten Spruch der peinlichen Verdammnis.

Und lange gönnt er sich die grimme Lust, daß er erlabe sein Gemüt an ihrer Todesangst und räche seiner Kinder schmählichen Verrat an ihrem niederträchtgen Anblick,

Da nahm er einesmals das Schwert zu seinen Füßen, trat es unter kurzem Stoß entzwei, und wilden Blicks die Splitter werfend vor den schmachbedeckten Haufen, hub er an und rief und sprach mit zornerstickter Stimme:

«Zu eurem Schutz bin ich von Gott bestellt, und nicht erlaubet mir mein Amt, euch zu vernichten, wie es billig euch gebührte; sondern maßen über eine jede Strafe ist erhaben eure Schuld und keiner, der da besser wäre als die andern, will ich nicht erfahren eines jeden Missetat, doch samt und sonders sei es euch verziehn mit Schimpf und Schande.

Und also bleibe ungebüßt, was ihr an mir getan. Doch weil ihr also weit getrieben eures Herzens Niederträchtigkeit und Bosheit, daß ihr überdies verhöhntet meine königliche Freundin, die da kam in meinem Namen, daß sie Hilfe werbe für mein eigen Kind, so sollt ihr alle euch zu ihren Füßen werfen, ob vielleicht sie eurer schone kraft der Gnade ihrer groß gestimmten Gottheit.»

Und sprachs, und jene drängten eifrig sich herbei und warfen flehend sich vor ihr zur Erde.

Und lässig, mit zerstreutem Blick und halbgeschloßnen Lidern schaute Doxa auf den jammervollen Haufen; aber als nun naheten mit süßlichen Gebärden die Athener und Propheten, holte sie das Gotteskind auf ihren Arm und zwang es unter Drohen und beständgem Hetzen, bis es endlich spuckte gegen die ideegerechte Horde – aber siehe da, ein Lämmchen tänzelte heran und wedelte und sprang an ihm empor: dem Lämmchen gab sie einen Tritt, und dienstbeflissen stürzte das entzückte Volk herbei und stieß es jubelnd in die Wüste.

Und vor der großen Menge hätte niemals sie beendet die gewaltge Arbeit, aber über eine kurze Zeit so ward des Ekels ihr zu viel, und bittend wandte sie den Hals zurück – und auf den Wink des Herrschers stellte wieder sich das Volk zurecht und fügte sich zum Kreise mit erneuerter Erwartung.

Und über dem ergriff der Engel seinen Knaben, übergab ihn unter vielen Küssen feierlicher Weise den Erlesenen des Volkes, lehrete und sprach mit lauter, hocherhobner Stimme, während öfters noch verspätet ihm die Tränen rannen über Bart und Wangen:

«In eure Hände wiederum befehl ich meinen Sohn, des Gottesreiches erdgebornen Erben. Aber nunmehr hütet ihn und wachet über ihn, und nicht allein um meinetwillen, sondern ein gemeinsam Schicksal waltet über euch und meinem Hause.

Denn wenn der Bau zerbricht und wenn der Feind entrissen die Gewalt aus meinen Händen, werdet ihr durch Krieg und Brand und eurer besten Söhne jammervolles Sterben schauen eurer Freiheit Untergang und eures Volkes endliche Vernichtung, werden fremde Rosse stampfen über euren Feldern, werden in entlegnen Städten eure Weiber buhlen, werden eure Knaben schlechte Götter lernen unter falschen Sitten, Wasser schleppen eure Mädchen nach den schmutzgen Küchen, weil ihr selber, sitzend auf den Trümmern eurer Häuser, morsch das Herz von giftger Reu, das Auge blind von Zähren, höret, wie die Vögel zierlich ätzen ihre Jungen, auch die Bächlein hüpfen wie zuvor, und niemand, der sich über euch erweicht, es sei denn unter Lachen und mit kräftiger, gesunder Weisheit und Belehrung. Darum, wenn ich dessen unwert euch erscheine, daß um meinetwillen ihr beschützet meinen Knaben, samt euch nicht vermag zu rühren seiner Augen reiner Blick und seiner Glieder junge Unschuld: wohl, so hütet ihn um eurer eignen Kinder willen, da ihr wahrlich nicht zu teuer zahlet seines Leibes Heil mit euer aller Tode.»

Und also redet er, und Antwort gab das Volk mit vielem Schluchzen.

Indessen nahmen jene ihren heilgen Mündel ehrfurchtsvoll entgegen, welcher ohne Widerstand, gehorsam seines Vaters Wort, vertrauensvoll sich ihren Händen überließ; und als sie nunmehr nach und nach verschwanden auf der großen Straße in der Richtung zu der königlichen Burg, beschloß der Engel das Gericht und lösete den Thing, erlaubete das viele Volk mit trübem Gruß und Abschied:

«Und nun so folget eine neue Zeit, und junge Sorgen werden wachsen statt der abgenützten, auch erwarten mancherlei Geschäfte unsre Arbeit.

Und siehe, den der eigne Wert bestimmt zu eurem Herrscher, bleibet uns versagt nach seinem eignen Wunsch, und wahrlich nicht versteh ich, wie ich ihn ersetze. Aber nun so mag ein andrer Tag uns Rat erteilen wider diesen Zweifel, während heute wir allein betrauern und begraben unsre teuren Toten.»

Und also sprechend stieg er von dem Thron, und ehrerbietig naheten des Volkes auserwählte Männer, traten ernsten Grußes vor die Särge, schlossen sie zumal und führten sie von dannen feierlichen Schrittes.

Und mit gebeugtem Haupte folgete des Engels mächtige Gestalt, auf seinen Spuren das gesamte Volk in ungeheurem Zuge.

 

Und wieder läuteten wie damals alle Glocken von den Bergen und den Tälern, wieder gab es Antwort von dem Himmel, aber traurig klang der Ton, und weinend zitterten die langgezogenen Gesänge durch die trüben Lüfte, gleich dem Wiegenlied in eines Siechen Ohr und gleich der Heimat Wiedersehn nach seiner Eltern Tode.

Schluß

Und während diese also feierten das Totenamt mit Singen und mit Klagen, wandelte Prometheus langen Schrittes hin und wieder auf dem Hügel, welcher nahe hinterm königlichen Berge sich erhob vom ebenen Gefilde.

Und lauschte mit gespanntem Ohr den Tönen, die da aus der Ferne drangen gegen ihn empor, und ob es waren Trauertöne, schien verborgne Süßigkeit darin zu wohnen, also daß er immerdar daselbst beharrte, hin und wieder hemmend seinen Fuß, damit er ungestörter nähre seine Seele an dem wehmutvollen Trunke.

Und Stund um Stunde glitt an ihm vorbei, geräuschlos, unbemerkt, mit großen Segeln eine nach der andern langsam schwankend durch den feuchten Raum, den Schwänen gleichend, wenn sie weißen Fadens schaukeln auf den grauen, sturmbewegten Wellen – weil auf ihren Spuren abgerißne schwarze Wolken schweren Zuges strichen über Stadt und Land, vom warmen West getrieben, während ab und zu ein falscher Sonnenschimmer giftgen Blickes schielte auf die niedre Erde, daß von gelbem Schein geblendet, nicht beleuchtet, abenteuerlichen Angesichts die vielen Gegenstände riesig und gespenstisch ragten in die dunkle Luft – und immerwährend wandelte Prometheus auf dem flachen Hügel, gleich wie wer erwartet einen Gast, und wer da ahnt ein unbestimmtes künftiges Ereignis.

Doch als nun gegen Abend nach und nach verstummte der Gesang und scharenweise zog das Volk nach Hause, auch der Engel schlich am fernen Berge einsam himmelwärts, da macht er endlich notgedrungen, aber unbefriedigt sich bereit, begierig zu entrinnen dem bewohnten volksbelebten Gau, – da blitzt ein Widersonnenlicht vom Schlosse her, und spiegelnd tat sich auf ein Fenster, in dem Fenster zeigten sich des Gotteskindes weiche goldne Locken.

Und lächelnd hub es an und lehnte weit vornüber Kopf und Brust und Nacken, winkte grüßend mit den Armen:

«Mein Freund und Vater, der aus Henkers Hand du mich errettet, warum fliehest du von hier und warum kommst du nicht zu wohnen neben deinem Kinde?

Und siehe, wüst und einsam gähnt um mich das Schloß, und meine Kammer stehet trüb und leer, und tot sind meine Brüder, meine lieblichen Genossen, während ferne wohnt mein Vater auf den himmlischen Gebirgen. Aber du, mein teurer Freund, in dessen Angesicht ich finde Trost und Frieden, willst du ähnlich allen andern mich verlassen?»

Und es erwiderte und sprach Prometheus schweren Mutes:

«Du holdes heilges Kind, zu Großem aufgespart, der Menschheit Ziel und Hoffnung! Wohl! wenn Freund und Vater du mich nennst, so höre mein Gebot, damit du willig mir gehorchest ohne Widerstreben:

Vor allem pflege deinen heilgen Leib und lege dich zu ruhn, denn krank und gar erschöpft erscheinst du mir von Leid und Kummer, und dein Herz begehret Schlaf, und deine Augen blicken müde; darum tue also, wie ich dir gesagt und schließe ungesäumt das Fenster, während ich indes begrabe einen meiner Freunde; übrigens, wenn er begraben, will ich wieder zu dir kehren.»

Und traurig, müden Herzens fragete und sprach das Kind mit Zweifeln:

«Und willst du wahrlich wiederkehren, wenn du ihn begraben?»

Und trüben Lächelns gab Prometheus ihm zurück: «In Wahrheit, wenn ich ihn begraben, will ich wiederkehren.»

Und also sprechend stieg er nach dem niedern Lande.

 

Und ziellos, schien es, war sein Wandel, weil er ohne Eifer träge schlich durch die verlaßnen Ackerpfade, öfters rückwärts schauend nach der Stadt und nach den Dörfern oder aufwärts zu den schwangern Wolken, welche schweren Bauches lagen überm Feld, die garstgen Zitzen tief herniederhangend, während aus den grauumhüllten Tälern brüllt ein dumpfer Donner – aber nach derselben Richtung immer wählt er seinen Pfad, und ohne Zaudern traf er die Entscheidung an der Wege Kreuzung.

Und war sich selber einer Absicht nicht bewußt und folgte willenlos, mit schlaffem Geiste, träumend seines Fußes Führung – aber als sich endlich über eine lange Stunde seine Blicke stießen gegen ein bekanntes Tal, da wacht er plötzlich auf und rief und sprach zu seinem Herzen unter drohenden Gebärden:

«Was Törichtes beginnest du? und wie so tückisch meinst du zu erschleichen deine unverständge Absicht?

Und doch, du weißt: ein Ungeheuer wohnt in diesem Tal, und giftig ist daselbst des Baches Hauch, und mannigfaltige Gespenster lauern überall im Hain und an den Felsen. Darum laß uns eher rückwärts wenden unsern Fuß, damit im Gegenteil wir ganz und gar vermeiden diese böse Richtung.»

Und bittend, unter vielem Schmeicheln, gab das andre ihm zurück: «Mein Herr und Meister! mein geliebter Freund! Mit Unrecht strafst du mich, denn wahrlich nicht gedenk ich, daß ich dich verführe nach den gleisnerischen Gründen, sondern wohl nach meiner reichlichen Erfahrung hab ich es erkannt: es ist ein lügnerisches Tal, und hinter seinem stillen Frieden birgt es Leid und Tränen.

Doch über alle dem, so ist es meiner Heimat Tal und ist darüber hingebreitet meiner Jugend Hauch, und ist darin kein Stein noch Baum, davon nicht widerschimmerte ein reiches Sehnen. Darum laß mich steigen nach den hohen Wäldern auf den heilgen Bergen, daß ich wittre Heimatluft und schaue einen kleinen Augenblick die Wolken, wie sie ziehen überm tiefen Grunde.»

Und ungern mit dem Geiste, lüsternd mit dem eignen Wesen, gab er endlich nach: «Wohlan, es sei! doch hemme deinen Atem, daß es nicht geschieht und du erweckest die verborgnen Geister.» Und also sprechend nahm er einen Umweg mit gewaltgem Bogen, stieg von weitem näher zu des Tales Rücken, leise tretend, ängstlich wachend über jedem Atemzug, und gerne hätt ers unternommen, zu verbieten seines Pulses Schlagen.

Doch wie er immer auch verheimlichte des eigenen Daseins Gegenwart, und ob er sich versteckte in des Waldes dichtestem Verschluß, so faßt ihn plötzlich eine unsichtbare Faust, und über dem verfolgt es ihn von Baum zu Baum, und ob auch weit und offen war der Pfad, an jedem Busch und Strauche ward er wund und blutete in seines Herzens innersten Gelassen.

Und es begann und sprach Prometheus strafenden Erinnerns:

«Und nun, mein Herz, ich hatt es dir gesagt, und besser wären wir im flachen Lande blieben ohne Leid und Schaden.»

Doch flüsternd gab es ihm zurück: «Und dennoch ist mir süß ob alledem dies Leid, und gerne mag zu Ende ichs genießen.»

 

Und also ließ er ihm Gewähr und folgte immerdar getreu des waldgen Weges Führung, bis nach einer Weile talwärts fiel der Pfad, und über dem, da ließ er ab von dieser Richtung, hielt sich seitlich an des Berges Wänden, nicht beachtend Busch und Stein, damit er jedenfalls vermeide jedes Licht und jeden Ausblick.

Und an der Berge innerm Winkel über dem geheimsten Tale hielt er plötzlich still und spähete umher, und als nun eben eine Lichtung traulich winkte hinterm letzten Waldessaum, da sprang er aufgeregten Wesens vor, und angewurzelt auf den weichen Rasen, lauscht er mit gespanntem Ohr und schauete mit angestrengtem Blick hinunter durch das undurchsichtige Gebüsch und starrete in seinem Schaun, wie wer ein andres sieht, als was sein Aug betrachtet.

Und leer und einsam wölbte sich der Wald, und schweigend schlief das Tal, und ward von nah und fern kein Laut gehört als nur der Krähe unterdrückter, weicher Ruf und dann und wann der Elster heiseres Geschrei, und regungslos, dem Steine gleich und gleich den Bäumen um ihn her, so stand Prometheus unbeweglich still, und regte sich an ihm kein Glied und keine Muskel.

Und über eine Zeit, so wurde über alle Maßen ernst und düster seine Art, und Todestrauer überschleierte sein Antlitz.

Und wieder über eine Zeit, da fing es an zu leben in den Tiefen seines Auges, offenbarte sich in seinem Blick ein wundersames Feuer, das beleuchtete mit überirdschem Glanz sein Angesicht, und endlich war er ganz und gar verklärt, und all sein Wesen strahlete vor reinem Glücke.

Und eine lange, ewge Stunde stand er also da, doch als nun endlich Müdigkeit ihn rief zurück und weckte wiederum in ihm des Leibes schmähliches Bewußtsein, macht er rasch ein Ende seinem hohen Sinnen, gleich wie wer es oft geübt und hats gelernt zu wiederholten Malen.

Und also wandt er sich hinweg, jedoch mit zögerndem Gebaren, wanken Schritts, weil noch sein Herz gefangen ruht im heilgen Land und noch sein Auge trunken sich gebärdete, daß mühsam er vermochte zu vernehmen all der körperlichen Gegenstände Form und Grenzen.

 

Und also zögernd, wankend, tastend mit den Händen, naht er wiederum dem Waldestor – da zitterte ein Sonnenstrahl hernieder durch die dunklen Lauben, tanzte spielend gegen eine mächtge Buche, wo er nunmehr mit behenden Sätzen ähnlich einer rotgeöhrten Katze kletterte am Stamm empor und hin- und herwärts schlüpfend durch die Äste oder schaukelnd auf den letzten Blättern lustig sich vergnügte, bis er plötzlich sprang zur Erde, ruhend mitten auf Prometheus' Weg und schauend gegen ihn herauf aus seinem großen Auge.

Und es geschah, ob diesem Anblick ward Prometheus außer sich vor tödlichem Entsetzen, sprang mit jähem Schreck zur Seite, schrie und sprach mit Zittern und mit leidenschaftlichem Verwehren:

«Hinweg! Versucher aus der Hölle schwärzestem Verließ! denn sieh, ein Mensch bin ich, und nicht nach Menschenrecht ist dieses Fühlen!»

Doch ruhig lächelte zu ihm der Strahl – und über dem, da stand er wie gebannt, und Wahnsinn zeigte sich auf seinem Angesicht, und krampfhaft, mit verzerrten Zügen, ballt er seine Faust, und aus den Höhlen strebten seine Augen. Und also blieb er allezeit, solange lebete der zauberhafte Schein, doch als nun jener nach und nach erlosch und eine um die andre schwanden die beseelten Farben, fiel er auf sein Angesicht und seufzete und betete und sprach mit seiner Stimme Beben:

«Du meine Seele, meine gnadenvolle Göttin! Wahrlich, tausendfältig hast du mir gelohnt und reichlich alles Leid und alle Kränkung wohl vergolten!

Denn siehe, auf des Daseins höchste Stufe hast du mich gestellt, und wegen dieses Augenblickes sollen mich beneiden alle künftigen Geschlechter, trotz der ruhelosen Arbeit meiner langen Jahre.»

Und über diesen Worten stand er auf und brach sich einen Stecken vom Gebüsch, und als er erst mit großem Eifer einen Streifen eingegraben in den zarten Wiesenplan, so wandt er feierlicher Weise sich zurück, und auf den Knieen liegend murmelt er und betete und sprach begeisterten Gemütes:

«Und nun: leb wohl, du Gotteszeit, du Zeit des Hochmuts und der stolzen Leiden, da mir Sieg verkündete ein jeder Stein und mit mir hofften Hain und Quelle!

Und nun vielleicht, wenn bleibt, was ewig ist nach seinem Wert, vielleicht so wirst du bleiben! Aber ich, von hinnen muß ich wandeln, daß ich gehe, zu begraben meinen kranken Leib in Staub und Erde.»

Und sprachs und überschritt mit festem Mut den Streifen, wo er nunmehr neulings fiel auf seine Knie, das Angesicht der Grenze abgekehrt, und betete und rang ein letztes Mal mit todesmüdem Herzen:

«Geliebte Seele, meines Lebens gnadenvolle Herrin! Wohl! beendet ist nun Kampf und Sieg, und ohne Zweck und Nutzen bleibt hinfort mein Leben. Aber da noch eine kleine Weile leben will mein Leib nach Leibestorheit, bet und fleh ich jetzt zu deiner mildgesinnten Langmut, meine hohe Freundin:

Aus freier Gnade wirst vielleicht du dann und wann dich deines alten Knechtes noch erinnern, daß du in geweihten Stunden ihm gestattest zu verspüren dein geliebtes Flüstern, samt das wonnevolle Rauschen deines Kleides. Weil mein eignes Fühlen ruht in dir allein, und wie vermocht ich über diesem Augenblicke zu ertragen ein gemeines Dasein, dem du selber dich entzogen!»

Und also sprechend richtet er sich auf in Todestrauer.

 

Und nach des Zufalls Laune wählt er jetzt den Pfad, und jede Straße war ihm recht, und alle Dinge mußten sich bequemen seiner heilgen Stimmung.

 

Und als von ungefähr er wiedrum nahte seiner Brüder Stadt und Heimat, war verstummt der klagende Gesang, und Todesstille ruhte überm ganzen Land, und schwer und dunkel lastete die Luft, und langsam stieg vom Berg die Nacht empor in ihrem schwarzen Mantel.

Und aus den Wolken fielen feine Tropfen einzeln hie und da herab, geraden Falls mit ruhigem Beginnen, leise knisternd auf dem Gras und auf den Blättern, aber über eine kurze Zeit, so wurden größer sie an Zahl und gleichgemessener an Zwischenraum, und wieder über eine Zeit, so stieg ein Rauschen von den Wäldern nach dem Tal, und bald umhüllt ein grauer Regen alle Welt einförmigen Gesanges.

Und eine Weile zog Prometheus an den Bergen noch umher, genießend seines reinen Glückes wehmutvollen Nachklang, weil die jüngstgeschauten Bilder zarter auferstanden aus dem schwarzen Raum, doch bald ermattete sein Leib, vertaubete das Fühlen seines Herzens, also daß er schläfriger nun förderte den Wandel, bis er endlich gänzlich stille stand, und als nun eine Bank erschien am Wege, setzt er unwillkürlich sich zu ruhn, und mit den Händen stützend das gedankenschwere Antlitz, schlief und schlummert er mit seinem ganzen Wesen.

 

Und Stund um Stunde saß er also da mit halbbewußtem Geist, in Müdigkeit versunken, nicht beachtend, wie der Regen immerdar ihm netzte Haupt und Nacken,

Da schlich sich leisen Trittes ein Gedanke an sein Lager, beugte sich von hinten über seine Schulter an sein Ohr und redete und sprach mit lauter, klarer Stimme:

«Wohlan, wo bleibt dein Bruder: Gotthold Menschenwonne?

Und wo ist hingekommen sein gerechtes Wesen und die viele schlanke Tugend?»

Und mit erstauntem Geiste schrak Prometheus auf, wie wer ein Wunderbares rasch bemerkt, doch als er endlich über eine Weile sich erholt, erwidert er und sprach verächtlich, lässigen Gebarens:

«Wohlan, nach seinem Willen ist ihm recht geschehn, denn siehe, seine Seele bot er zum Verkauf, und nun so ist ihm widerfahren laut gesetzlichem Vertrage des Verkaufes.»

Und sprachs und dacht es kurzen Abschieds zu beendigen mit diesem Spruch – da redete und sprach zum andernmal die Stimme:

«Jedoch, bei alle dem, so ists dein Bruder, welcher war gekommen dich zu trösten, als du selber wohntest im verfluchten Lande.»

Und es geschah, ob diesen Worten funkelten Prometheus' Augen, zuckten seine Muskeln, also daß er rief und sprach mit Knirschen und mit Beben:

«Fürwahr, des Schimpfes hab ich all mein Leben viel geschmeckt und jede Art von Hohn und Kränkung reichlich wohl erfahren, kraft dem Schicksal solcher, die um eines Gottes willen leiden.

Doch niemals ward mit feigerm Schmutz mein Angesicht befleckt als dieses Mannes Trösten, da er, naß von seines Weibes Küssen, meinem wunden Herzen nahete mit Strafen und mit Salben, links und rechts auf einen Freund sich stützend.»

Und also sprechend zwang er sich zurück und blieb gewaltsam, heuchlerischen Gleichmuts sitzen mit gestütztem Haupte. Aber wie er auch sich selber täusche mit verstelltem Schlummer: Ruh und Frieden fand er ferner nicht, und aufgeregten Pulses, fieberhaften Fühlens hört er immer wieder dieser Stimme Mahnen, bis er endlich plötzlich sprang empor und eilte blindlings durch die regendüstre Nacht mit angstbeschwingtem Eifer.

Und spähte an den Hügeln ringsumher und horchte an den Höhlen, unermüdlich streifend durch die Wälder, sorgsam prüfend jede Schlucht und immerfort begehrend Epimetheus' Namen, leise bald und bald mit lauterm Ruf, so daß von diesem einen Worte widerhallten die erstaunten Berge.

 

Und Stund um Stunde sank dahin, und müde ward sein Fuß und heiser seine Stimme, während immerdar vergeblich sich sein Ruf verirrte durch die finstre Nacht – da kam er endlich, steigend an des Berges schroffen Wänden, über einen Marmorbruch, in dessen Kessel tobt ein Wildbach donnernd gegen den granitnen Kerker, schäumend, zischend über der verlornen Freiheit, während klotzig die polierten Mauern durch den Nebel reckten ihre harte, breite Stirn, und aus der fernen Tiefe, wo der Menschen Stadt, im Regenmeer versunken, sichtbar nicht, doch nur vermutbar schien dem kundgen Auge, schwankten wenge trübe Lichter durch den nassen Schleier.

Und da nun ob des Baches Wut und ob des Regens tausendfältgem Summen keines Menschen Ruf vermochte zu ergründen die gewaltgen Schlünde, nahm er abwärts kletternd einen Umweg durch die Tannen, ob vielleicht er selber nahe dem geheimen Grund, und als er über eine Weile zwischen Quadern und Geröll und mannigfachem Werkgerät entdeckte einen breiten Gang mit steilem Abfall, rückt er jetzt behutsam vor und schob sich tappend durch die schlüpfrige Saline.

Und also blindlings hat er viele Schritte schon getan, beschwerlich mit den Händen und den Füßen ratend in dem mitternächtgen Schacht, da traf ein klarer, schöner Schimmer unvermutet seinen Blick, und siehe, seitwärts ihm zur Rechten öffnete sich jetzt ein Tunnel, in des Tunnels Mitte saß ein Weib und blätterte und las in einem Buch beim Scheine der Juwelen.

Und es begann und blinzelte das Weib, erhob bequem und lässig das geschmückte Haupt, und lächelnd, mit vergnügten Mienen, während Haß und Siegesfreude funkelten in ihren Augen, hub sie an und grüßete und redete und sprach mit rätselhafter Stimme:

«Vergeblich suchest du allhier, Prometheus, du Begnadeter aus all dem ungezählten Menschenschwarme!

Denn wird auch solche Strafe dem zuteil? und ist auch diesem also prophezeiet? Sondern auf! hinüber zu der Erde niedrigstem Verflachen! Allda ist ein Sumpf und in dem Sumpf ein Pfuhl und in dem Pfuhl ein Tümpel. In dem Tümpel wirst du finden deinen Bruder, fressend seine Schande mit vergrabnem Antlitz.»

Und kalten Schreckes, grausend, nahm Prometheus diesen Spruch entgegen, wandte hastig sich zurück, und als er über eine lange Stunde wiederum erreicht des Schachtes Eingang, floh er überstürzten Eifers nach dem Tal und von dem Tal mit steter Richtung nach dem flachen Lande.

 

Und bei des Tages erstem Dämmern überm nassen Felde kam er an den Sumpf und sah den giftgen Pfuhl erglänzen schmutzgen Strahles.

Und bangend, schaudernd vor gewaltgem Mitgefühl und peinlicher Beklemmung, während vor dem ekelhaften Anblick sich sein Herz empörte, hielt er eine Weile still, indessen störrisch widerstrebend seine Sinne kämpften gegen des Gemütes Herrschaft, bis er endlich selbst mit überlegner Kraft den Sieg entschied – und über dem, da zwang er mit des Willens heftigem Gebieten sich hinweg, und wo er eine Furt erblickte zwischen Tang und Schilf und Röhricht, schritt er sicher und entschlossen durch die stinkenden Gewässer.

Und als er nun gekommen zu dem Tümpel in des Sumpfes Mitte – Molche litaneiten mit verliebten Kröten – horch! da tönt ein leises Wimmern an sein Ohr, darob gefroren seines Blutes Wellen; aber dunkel war das Grab, so daß er nicht vermochte zu erraten irgendeines Dinges äußere Form und Grenze.

Und über dem versucht ers zu erspüren mit der Stimme Fragen, aber jetzt verstummte ebenfalls der Ton, und ohne Führung stand er da mit Beben und mit Grausen.

 

Indessen lag in seines Bruders nächster Nähe, wenge Schritte nur von ihm entfernt, der König in der nassen Grube, träumend, also daß, von farbenschönen Bildern fortgetragen, ihm entschwand das gegenwärtige Bewußtsein.

Und auf des Schlosses stolzer Zinne sah er sich hinwegversetzt, inmitten seiner auserlesnen Freunde, unter seinen Füßen das gesamte Volk in ernster, schweigender Gemeinde; aber siehe, bloß von jedem Kleide stand er da, und hellen Mittags leuchtete die Sonne überm weiten Felde.

Und heftigen Errötens dacht er zu entfliehn, da ward das viele Volk von übermäßigem Entzücken außer sich, und heilgen Wahnsinns rasten seine Freunde, daß sie seiner sich bemächtigten und ihm bekränzten seine Blöße so mit Blumen als mit bunten Bändern bei des Volkes ungestümem tausendstimmgen Jubel.

Und von dem allgemeinen Beifall wurde über alle Maßen fröhlich sein Gemüt, und mit zufriednem Angesicht lustwandelt er mit Anstand auf des Daches Zinnen, drehte sich und spreizte sich und ließ sichs baß behagen. Aber plötzlich tat sich eine Stimme auf und schrie und sprach mit giftigen Gebärden:

«Wie wagt es dieser Mensch, daß er entweihe dieser frommen Erde Staats- und Kirchenluft? und wie vermeint er unsren heilgen Augen zu beweisen seine bloße Nacktheit?»

Und über dem, da war verwandelt alles Volk, und gleich dem Sturm und gleich den wilden Tieren heulten sie und brüllten sie und schäumeten und droheten und warfen ihn mit Steinen und mit Stöcken, bis sie endlich kletterten am Dach empor, und als er nunmehr ängstlich sich versuchte zu verstecken, faßten ihn mit roher Faust die Freunde, stießen ihn mit Spott und Hohn hinunter in den tollen Haufen.

Und Nacht und Dunkel ward es wieder um ihn her, und wüsten Schmerzes brannt ihn all sein Wesen.

Doch lange währt es nicht, da fing sein aufgeregter Geist von neuem an zu malen, also daß sein Fühlen nochmals sich vergaß am Augenscheine.

Und sah durch Sturm und Graus sich in des Waldes Dickicht unaufhaltsam vorwärts stürzend, nicht beachtend Hag und Dornen, noch der todesmüden Glieder Widerstreben, weil auf seiner Spur erscholl Geräusch von Menschentritt und Stimmen.

Und tödlichen Verzweifelns sucht er immerfort umher, und als er endlich unter einem mächtigen Gebüsch vernahm ein sicheres Versteck, da eilt er sehnsuchtsvoll hinzu, und schnappend vor der unverhofften Rettung öffnet er den Mund – da zischte plötzlich eine Schlange unterm Busch hervor und rief und sprach mit zornigen Gebärden:

«Hinweg von hier! denn treuer Leute Haus ist dieser Strauch, und nimmer sollen ihn entweihn die falschen Hände des Verräters!»

Und schimpflichen Errötens wandt er um und setzte fort die ruhelose Flucht, doch als nach einer Zeit ein Bächlein hemmte seinen Lauf, da siegte seines Gaumens qualenvoller Durst ob aller seiner Todesangst, und hastig beugt er sich hinab und reckte seine Hand, damit er lösche die gewaltge Brunst – da stürmt ein Schwein mit Grunzen und mit Husten aus des Baches Schlamm und schnob ihn an mit wildem Ärger:

«Was denkest du von diesem Quell? Denn siehe, reiner Leute ist das Bad! du aber wage nicht, daß deine Lippen ihn besudeln!»

Und blinden Laufes stürzt er fort, doch nicht gehorcht ihm länger mehr sein Leib, und jähen Falles brach er hin und wartete des Todes. Aber sieh, da bebete und dröhnete die Erde unter ihm, bewegte sich und barst, und rote Flammen zuckten aus dem Schlund hervor und droheten und sprachen:

«Bescheidenheit ist nicht dein Teil, daß du vermeinst zu sterben in dem gottgeschaffnen Walde, sondern edle Tiere liegen hier bestellt, und nicht ist deiner Schändlichkeit gestattet zu verfaulen über ihrem Grabe.»

 

Und wieder ward verdunkelt das belebte Bild, und in des Sumpfes Pfuhle lag er einsam und verlassen, wüst und grau um ihn die weite Welt, und traurig wandelte am fernen Horizont die todeskranke Hoffnung,

Da stand vor ihm mit unvermitteltem Belieben seines Bruders Angesicht und lächelte ihm zu und nannte seinen Namen.

Und es geschah, ob diesem neuen Traume häufte sich in eins zusammen all sein bittres Leid und schmolz und brach sich Bahn, und fast erstickten ihn die heftgen Stöße seines Schluchzens. Aber als er endlich nach dem ungehemmten Fluß der Tränen wiederum gefunden seinen Atem, preßte sich mit Macht die Stimme aus dem längstverschloßnen Busen, daß er schrie und stöhnete in namenlosem Schmerze:

«Prometheus, mein geliebter Bruder, meiner Seele Freund! du einziger in wüster Welt, in dessen Herzen wohnt ein Übermaß von Güte! Aber ich in meiner niederträchtigen Verblendung habe dich getreten und gehöhnt am Tage deines Unglücks!

Und alle meine andre Buße, alle meine wohlverdiente Schmach – ein Leichtes ist es mir zu tragen gegenüber dieser Tat Gedächtnis!» Da tat sich eine Stimme auf und tröstete und sprach mit milden Worten:

«Mit Unrecht strafst du dich, mein lieber Bruder, der du Übles niemals hast an mir getan, und einzig Liebes hab ich allezeit von dir erfahren.

Und nun wofern du mich gehöhnt und auch getreten laut dem Willen deines Wortes, wohl, so war es eines Bruders Tritt und Hohn, von jenen, die nicht schmerzen, also daß ich flehe, daß mir ewig Gott gestatten möge mit dem Hohn und Tritt den Bruder.» Und über dieser Stimme lebenswahrer Ähnlichkeit und Treue wurde bitterer des Königs Sehnsucht, also daß er rief und jammerte und schrie in seinen Träumen:

«In Wahrheit, dies ist meines Bruders Rede, dieses seiner sonderbaren Stimme wohlbekannte heimische Betonung.

Und nun wofern ichs nicht verwehrt durch meine niederträchtige Beschimpfung, stand er selber jetzt in körperlicher Gegenwart vor meinem Angesicht, und Wirklichkeit bedeutete die traute, gnadenvolle Rede.»

Und sprachs, und heißer flossen seine Tränen.

Und lauter redete und sprach zu ihm die Stimme:

«In Traum und Fieber irrest du, mein Freund! und dich betört die große Menge deiner Leiden!

Denn sieh, in Wahrheit steh ich über dir, und nun so wache auf und trockne deine Tränen, daß du grüßest deinen Bruder, der da deiner wartet mit betrübtem Herzen.»

Und über diesen Worten ward der König vor verworrenem Erstaunen etwas wach und wandte seinen Leib von ungefähr, geschloßnen Auges zwar und noch von Müdigkeit und Schlaf verstört, doch über seines Körpers Wendung ward er plötzlich harten Ruckes seiner selbst bewußt, und gräßlich stand vor seinem Geist die Gegenwart, und fest bestätigte das Fühlen seiner Glieder die verfluchte Wahrheit. Aber weil nun ob dem starken Nachklang jener Stimme noch sein Wille nicht genügte zu entfernen jede Spur des Traumes, auch sein Urteil zwischen Wirklichkeit und Täuschung völlig nicht vermochte zu entscheiden, öffnet er das Auge, daß er besser einesmals beseitige das wehmutvolle, liebe Bild – und siehe da Prometheus' mächtige Gestalt in riesenhaftem Gegenstande über ihm und mit der Augen scharfem Funkeln. Und es geschah, ob diesem Anblick wandte sich der König jähen Aufschreis ab, und mit den Händen schützend sein Gesicht, begann und rief er leidenschaftlichen Verwehrens:

«Wie ist in Grausamkeit verkehrt dein weich Gemüt, Prometheus, mein geliebter Bruder, daß dir nicht genügt dein hoher Sieg und meine wohlverdiente Schande, sondern pünktlich willst du deine Rache weiden an dem grauenvollen Bild der göttlichen Vergeltung.

Doch über alle dem geschieht mir eitel Recht und Billigkeit, und auch vielleicht so ist es besser, daß du gänzlich sättigest dein grimmig Herz an meinem jammervollen Anblick, daß hernach vielleicht du minder hassest deinen armen, schuldzerdrückten Freund und Bruder!»

Und sanften Vorwurfs mit bewegter Stimme gab Prometheus ihm zurück: «Was hab ich je an dir getan, mein lieber Bruder, meiner Jugend Spielgenosse, daß du also mir mißtraust und legst in meine Brust ein häßliches Gemüt und feindlich wendest du von mir dein Antlitz?

Denn siehe, einzig darum kam ich her, daß ich wie ehedem mit Herz und Mund und Armen dich begrüße, samt errette dich von hier, damit in traulicher Gemeinschaft wir beschließen unsres Lebens Tage.»

Und über dieser Worte tröstlichem Versprechen, mehr noch ob der liebevollen Art der Stimme ward erträglicher des Königs Mut, und leichter flossen eine Weile seine Tränen – aber als er eben kaum zum Danken rüstete den Mund, da warf er sich von neuem hin, begann und schrie mit stürmischen Gebärden:

«Hinweg! denn keinerlei Gemeinschaft waltet zwischen dir und mir, und deinen Gruß, nicht will ich ihn erfahren!

Denn sieh, um deine Schultern seh ich leuchten eines ewgen Ruhmes Feuer, aber ich, wie soll mein schmachbeladnes Herz ertragen diesen Anblick ohne Neid und bittere Verzweiflung.»

Und ruhig gab Prometheus ihm zurück: «Was kümmert dich, was leuchten mag um mich herum, von außen um mich hingeworfen? Auch ich weiß es nicht und kann es nimmer ändern.

Jedoch, vielleicht, wenn Lieb und Freundschaft du von innen strahlen siehst aus meinen Augen, wirst du mir vielleicht verzeihen meiner Schultern Leuchten.»

Und über diesen Worten wurde gänzlich weich des Bruders Herz, und Dank, im tiefsten Innern ausgeglüht, verkündete sein Mund mit Stammeln.

 

Und schon erhob er seinen Leib und machte sich zurecht, begierig, daß er sich entreiße dem verdammten Pfuhl, da schaut er bei des Tages trübem Licht die Welt von jeder Hoffnung leer und alles Dasein mit der eignen Schande übertüncht – und es geschah, ob diesem Anblick krampfte sich sein Stolz, und wehrend mit den Armen rief und sprach er mit entschloßnem Willen:

«Laß ab von mir! Verführer, der du suchst mit schmeichlerischen Lügen mich zu täuschen, daß ich nicht bemerke mein verdammtes Urteil, das da heißet Tod in Einsamkeit und ewger Reue.

Denn ob zum Himmel ich erhebe meinen Blick und ob zu Gott ich denke, oder ob zur Erde ich mein Angesicht verberge, treff ich überall denselben Spruch, und Sterben ist der einzge Ort, dahin ich mich vor diesem Fluch errette.»

Und sprachs und warf sich auf den Boden mit verzweifeltem Entschlusse.

Und es erwiderte und sprach Prometheus finstern Angesichts mit dunkler Stimme:

«Mein Bruder Epimetheus, Erbe meines Wesens, meines Herzens Kind! was ist uns Erd und Himmel? was verschlägt uns Gottes und der Menschen Urteil? Fremde sind es, die da nicht vermögen zu beglücken oder zu verdammen unsre innre Heimat!

Und nun, wenn Sterben ist dein Ziel, wohlan, so ist gemeinsam unsre Bahn, und drum so wollen wir nach warmer Tiere Brauch uns aneinander drängen, daß wir einer an des andern Brust verspotten jeden fremden Fluch und jedes kalte Urteil!»

Und mächtigen Erstaunens hob der König seine Stirn und prüfte großen Auges seines Bruders Mienen, aber ernst und düster gleich wie Wahrheit prallt er ihm zurück, und nirgends war zu schaun ein Hinterhalt und ein verkappter Wille.

Und über dem, da stand er langsam auf, und festen Muts, doch zitternd an den Gliedern, weil vor gar gewaltigem Gefühl ihm fast versagte seine Stimme, hub er an: «Wohlan, um deinetwillen lohnt sich mir das Leben, unter deinem großen Schatten mag ich noch verweilen. Aber eines hält mich noch zurück, und wo du dieses letzte überwindest, sollst du mich als deinen Knecht gewinnen:

Es ist geschehen am verfluchten Tag, da hab ich weggegeben meine gottgeborne Seele um ein zubereitetes Gewissen, welches richtig auf der tugendhaften Straße mich geleitet hat durch ‹Heit› und ‹Keit› zur allgemeinen Niedertracht und Schande.

Und drum so bin ich meines eignen Wesens bloß und bar, und was mir übriges von mir verbleibt, ist meinem Herzen Haß und Ekel.»

Und es erwiderte und sprach Prometheus gleichen Mutes, mit verstellten Mienen:

«Es ist geschehen gestern, da ich wandelte im Abendsonnenschein, da sah ich unter einer Laube sitzen deine Seele, welche, freundlich nach dir fragend, mir verkündete den Gruß und Auftrag:

‹Wohlan, zurückerhalten haben sie den Preis, warum er mich verkauft, und pünktlich hat er alles eingezahlt mit Zins und Wucher.

Und nun, vielleicht, wenn er mich wiederum begehrt, wohlan: es ist ein Tal und in dem Tal ein Bach und an dem Bach ein Gaden. An dem Gaden ruht ein Baum und in dem Baum ein Vogel, aber überm Vogel schwebt die blaue Luft, und nun, wenn er vielleicht mich wiederum begehrt, wohlan, so will ich an dem Gaden ihn erwarten›.»

Und als Prometheus kaum genannt den Gaden, fiel der König ihm zu Füßen, dankete und rief mit sehnsuchtsvollen Tränen:

«Mein heißgeliebter Bruder, führe schneller mich von hinnen, daß noch heut ich wiederschaue meiner Heimat Tal und sehe meine Seele wandeln Hand in Hand mit deiner Seele, gleich als wie vor alten Zeiten, da wir traulich zogen durch das waldige Geländ und war gemeinsam jeder Wunsch und jedes Hoffen.»

Und sprachs und trieb mit Hast von dannen, aber ernst und langsam folgete sein sieggekrönter Bruder.

 

Und als sie noch des Sumpfes Ende nicht erreicht, da hörten sie ein Blöken von der Stelle, wo am tiefsten lag der Schmutz, und siehe da ein Lämmchen, welches sich gebärdete mit Tanzen und mit Prophezeien.

Und ob auch unterm vielen Kot, damit es war beschmiert, sein weißes Fell verschwand, so blieb doch rein und fromm der Inhalt seiner Rede, also daß von Sanftmut und von Frieden überfloß sein Mund und sich sein Herz empörte ob des Volkes törichter Verblendung.

Und wenig achtete Prometheus dieses Tiers und zuckte seine Schultern, aber als der König kaum vernahm des Lämmchens Stimme, ward von maßvergeßner Wut sein Angesicht verzerrt, und knirschend mit den Zähnen, zitternd mit den Gliedern, während aus den Höhlen strebten seine Augen, hub er an und flehete und sprach mit leidenschaftlicher Begierde:

«Ists auch erlaubt zu sättigen mein Herz an diesem Tiere?»

Und freundlich gab Prometheus ihm zurück: «Nach deinem ganzen Herzen magst du, wie es dir gefällt, dich weiden!»

Und über dem, da warf sich jener in den Sumpf, und mit den Nägeln spielend in des Lämmchens Wolle, grub er ihm die Zähne tief in das geweihte Antlitz, daß von unwillkommener Empfindung heiserer erscholl das Blöken, samt natürlicher geriet das Prophezeien und das Tanzen.

Und lange könnt er nicht genügen seinem Zorn, und als er endlich nach vollbrachter Arbeit seufzend wiederkehrte, frohen Blickes, mit befriedigten Gebärden, gleich als wer vollendet eine hohe Pflicht, da hub er an und rief und sprach mit herzlichem Behagen:

«Wohlan, mein Bruder, habe Dank! denn wahrlich mehr verschlug es mir, daß du mir dieses hast gewährt, als daß du mich errettet aus dem traurigen Verließe.»

Und freundlich nahm Prometheus dieses Wort entgegen, übrigens da zogen sie des Wegs zum heimatlichen Tale.

Ende

Und zogen unverdrossen auf den feuchten Pfaden, über Hügel, zwischen Tälern, aber meistens nach den Wäldern richtend ihren Fuß, und über eine Zeit, da kamen sie von ungefähr zu einer Stelle, wo ein alt Gemäuer sperrte ihren Weg und zeigte sich ein einzger Gang, mit Unkraut übersät und überdacht von wucherndem Gebüsch, und nassen Hauches glitzerten die Wände.

Und als der erste schritt der König ohne Hindernis hindurch und freute sich des Lichts und wartete des Bruders. Aber als Prometheus eben sich bereitete zu folgen, schwankt ein Schatten über seinen Weg, und unversehens stand vor seinen Füßen Doxa, seine stolze Feindin, pocht ihm leichthin mit gekrümmtem Finger auf die Schulter, Halt gebietend.

Und festen Willens, mit befehlerischen Blicken hub sie an und heischete und sprach mit ungewöhnlicher Betonung:

«Prometheus! ist auch Wahrheit deine Art, und willst du deutlich mir verkünden, was ich jetzt von dir verlange?»

Und ruhig gab er ihr zurück: «Es ist in meiner Art, und ob mans Wahrheit oder Lüge nenne, weiß ich nicht zu sagen, daß ich einem jeglichen entspreche, wie ich es vermag, nach meiner falschen oder richtigen Erkenntnis.»

Und über dem, da fuhr sie fort, begehrete und sprach mit Freundlichkeit und faßt ihn traulich an dem Mantel:

«Wohlan! wer ist die Seele, welche dieses alles hat vollbracht und welcher also blindlings du gehorchtest allezeit und hast ihr willentlich geopfert deines Lebens Glück und Wohlfahrt?»

Und einfach gab er ihr zurück: «Nach Stand und Namen hab ich nichts gefragt und auch kein Zeugnis je verlangt, und eines Sommermittags bei der Blumen Leuchten fand ich sie am Bach, und allda hab ich ihr geglaubt aus Gründen ihrer gar gewaltgen Schönheit.»

Doch nicht genügt ihr dieser Spruch, und eigensinnig hub sie neulings an, versuchete und sprach zum zweitenmal das Fragen:

«In Rätseln redest du, und auch vielleicht, daß du mißtrauest meiner lautern Meinung;

Doch siehe, irgend keine Absicht wohnt dabei, und auch bei jenem Kinde, welches du gerettet, schwör ich dir, was immer du mir bietest, sollst du straflos bleiben, also daß du nunmehr ohne Furcht mit Offenheit mir meldest die gesamte Wahrheit.»

Und ehrerbietig bot er nochmals ihr Bescheid: «Erhabne Herrin, wohl ist gegenwärtig meinem Herzen: Gottheit wohnt in deiner Brust, und großgemütet ist dein Haß, und darum: deiner lautern Meinung werd ich immerdar vertrauen!

Doch sieh! ein andres, als ich dir verkündet, weiß ich nicht, und mit und ohne Furcht, so bleibts dieselbe Wahrheit.»

Und unmutvollen Schweigens sann die Fürstin eine Weile nach und hielt den Kopf zur Seite, während immer düsterer geriet ihr Blick – und über eine Zeit, da raffte sie sich auf, und mit geheimnisvollen Mienen holte sie von neuem aus, begann und redete und sprach das Fragen:

«Wohlan, Verschlossenheit ist deine Art – und auch vielleicht, daß heimliche Gesetze dies verbieten. Aber nun ein Neues heisch ich jetzt von dir, und gänzlich unverfänglich ist mein Wunsch, und schwerlich wirst du deinem Herrn und Meister ihn verweigern:

Ich habe, deinen Spuren folgend, alles wohl gesehn, was du getan und auch gesprochen, seit dem Augenblicke, da du gestern wandeltest am Bergesrücken bis zu dieser Stunde. Auch des Sonderbaren hab ich allerlei geschaut und Rätselhaftes viel vernommen; aber alles andre will ich nicht bemerken noch beachten, daß du mir allein erklärest dieses eine:

Sag an: was ist es, daß du also eifrig dich bemühtest wegen Epimetheus', deines Bruders, der dir eitel Schlechtes allezeit getan und hat vor deinen Augen weggestohlen deinen wohlverdienten Lohn und dich verspottet in der Zeit des schweren Schicksals?»

Und es geschah durch Zufall, während sie so sprach, so fiel vom Blätterdach der Mauer eine Raupe mitten zwischen beiden auf den Weg, und als sie erstens sich gekehrt und aufgerichtet, floh sie hastgen Schrittes mit erhobnem Haupte nach dem Efeu an des Tores Eingang.

Und unwillkürlich wandte Doxa ihre Augen, unbewußten Geistes sich bemühend mit des Tieres Flucht; und also auch Prometheus, folgsam ihren Blicken. Aber als nun jenes über eine kleine Weile sich errettet in die undurchsichtgen Lauben, hub er an, erwiderte und sprach mit ehrerbietigem Verneigen:

«Erhabne Herrin, dieses ists, wovon du fragtest: ‹Welches ist die Seele, die dies alles hat vollbracht und welcher also blindlings du gehorchtest allezeit und hast ihr willentlich geopfert deines Lebens Glück und Wohlfahrt?›

Und beide Fragen fragen sich einander an, und was die eine wünscht, das wird die andre nicht versagen.»

Und sprachs und wartete in Demut des Befehls, doch als nun jene immerfort verstummte, neigt er sich und zog von dannen ehrfurchtsvollen Grußes.


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