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III.
Das Tagebuch.

Erwin sitzt an seinem Schreibpulte. Die Feder ist seiner Hand entfallen. Sinnend stützt er sein blondes Haupt mit der linken Hand und blickt wie traumverloren auf das Schriftstück vor ihm, das seine Handschrift trägt. Es enthält die Aufzeichnungen der großen Ereignisse, von denen das Denken und Fühlen der ganzen Menschheit erfüllt ist. Wir lassen nunmehr das Tagebuch des Künstlers sprechen, weil es den unmittelbarsten Eindruck wiedergibt, den die unheilvollen Vorgänge jener Tage auf eine edle Menschenseele ausgeübt.

 

10. Oktober 1899.

Trotz der allgemeinen Betäubung ist in Handel und Wandel noch keine vollständige Stockung eingetreten. Die Menschheit geht ihren Geschäften nach, zwar lässig und kraftlos; aber nach dem Gesetze der Trägheit erfüllt sich das Tagewerk jedes Einzelnen. Mit ängstlicher Sorgfalt trachtet jeder, so gut als möglich seinen Platz auszufüllen. Niemand will den Gedanken über sich Herr werden lassen, daß in diesem geschäftigen Walten nur ein frommer Selbstbetrug liegt; denn würde dieser Gedanke allgemein werden, so käme das Chaos, die furchtbare Entfesselung roher Instinkte und wilde Akte der Selbstzerstörung. Die große Menge blickt hilfesuchend zu ihren Führern empor, und diese können ihr nichts Weiseres raten als Arbeit und treue Pflichterfüllung. So ist der Puls der Menschheit noch fühlbar; aber hastend und hüpfend, dann wieder schwach und aussetzend, wie im letzten Fieberparoxysmus. Die Menschheit ohne Zukunft! Dieser Gedanke nagt und bohrt in den Gehirnen, und keine Thätigkeit kann ihn betäuben, kein Vernunftgrund zum Schweigen bringen. So wird die äußere Zucht und Ordnung noch durch Gewohnheit und Beispiel erhalten; aber inzwischen hat sich, wie von selbst, in der menschlichen Gesellschaft eine Wandlung vollzogen, an der die Besten und Edelsten seit Jahrtausenden vergeblich gearbeitet. Es giebt keine Kriegsheere mehr. Die Armeen sind auf den niedersten Friedensstand gestellt, die Grenzen sind offen. Die wenigen Truppen werden zur Aufrechthaltung der Ordnung verwendet. Das alles geschah ohne Beratung, ohne Notenwechsel und ohne Congresse. In aller Stille mit einem Gefühle der Beschämung, wurden die Truppen abberufen. Der Schleier, der den freien Blick der Menschheit so lange getrübt, ist gefallen. Die Nationen fühlen sich als Brüder. Das gemeinsame Unglück der Menschheitsfamilie hat sie wieder zusammengeführt. Aber es giebt auch keine Armen mehr; gerne und freigebig spendet jeder von seinem Überfluß. Kirchen und Tempel stehen offen, und die Frommen aller Bekenntnisse suchen Trost und Ergebung an den geheiligten Stätten. Unabsehbare Prozessionen wallen durch die Straßen. An ihrer Spitze wandeln katholische Priester, Pastoren und Rabbiner in brüderlicher Gemeinschaft. Sie sagen damit der thörichten Menge: Laßt euer Gezänke und euren Dünkel. Nur ein Geist waltet über den Dingen, durchdringt das All, gebietet dem Lauf der Gestirne, vernichtet Welten und richtet sie wieder auf. Wir kennen ihn nicht, wir fühlen ihn bloß in uns und außer uns. Nennt ihn, wie ihr wollt, Name ist Schall und Rauch. All das, wofür im Laufe der Geschichte Ströme Blutes geflossen sind und was den Menschen als Offenbarung, Legende und Überlieferung wie ein heiliger' Besitz erschienen ist, um den man gekämpft und gestritten und für den viele Tausende freudig ihr Leben hingegeben, erscheint dem letzten Geschlechte in Erwartung des kommenden Endes wie ein Märchentraum der Kindheitsphantasie. Hellsehend, wie Sterbende sind, erkennen sie jetzt den großen Irrweg, den sie durch lange Zeiträume auf der Suche nach der Gottheit gegangen. Sie suchten das Sittliche, das Edle außer sich, während die Gottheit in ihnen wohnte und vergeblich mit den elementaren Trieben des blinden Schöpfungsdranges nach Entfaltung rang. Der allgewaltige, vielgestaltige, in seinen Milliarden von Einzelerscheinungen unfaßbare Werdetrieb ist weder vernünftig, noch zweckmäßig, noch ethisch. Blind gehorcht er den ewigen Gesetzen, zerstört und baut auf. Was als zweckmäßiger Schöpfungsgedanke erschien, war die notwendige Auslese aus Millionen Unmöglichkeiten. Die wärmende Sonne, welche die dampfende Erde mit Myriaden von Keimen befruchtete, brachte nichts als Wärme, Licht und Polarität in den Haushalt der Natur. Sie kannte nur physikalische Gesetze und chemische Gewalten. So groß und erhaben, so unausdenkbar diese immer sein mögen, sie bergen keinen voraussehenden Gedanken, keine Vernunft und keinen Endzweck in sich. Sie gab ihren Geschöpfen keine Gesetze zur freien Wahl, denn diese Geschöpfe waren selbst organisierte Naturgesetze mit gebundener Marschroute. So bist du und so mußt du sein, hieß ihr Machtwort, dem noch kein Lebewesen zuwider gehandelt hat.

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Da kam das letzte, vollendetste Geschöpf des Lichtes, der Mensch, und in den engen Zellen der Gehirnwindungen bewirkte derselbe Lichtstrahl durch unerklärte Metamorphosen geheimnisvolle Veränderungen, die sich als Anschauung, Erkenntnis, Urteil, Vernunft darstellten. Dieser Prozeß vollzog sich bei ihm mit derselben Notwendigkeit, mit der sich ein Lichtstrahl unter dem Prisma in die sieben Farben des Regenbogens verwandelt. Aber der wunderwirkende Strahl beunruhigte ihn. Er fragte nach dem Warum? Er forschte nach dem Zweck. Die Sonne, die ihm das furchtbare Geschenk gegeben, konnte es ihm nicht sagen. Sie wußte es selbst nicht. Die übrige Natur blieb stumm; sie war ja unvernünftig; in ihr hatte der Strahl noch nie einen quälenden Gedanken entzündet.

Da fand der Mensch seinen Gott. Er war das Warum und Wozu. Er wohnte nur in ihm, ward nur durch ihn gedacht. Die Sonne kannte ihn nicht; die Erde kannte ihn nicht; der Fisch im Wasser und der Vogel in der Luft fragten nie nach dem Warum und Wozu. Jetzt ging der Mensch auf die Suche nach seinem Gotte aus. Er ahnte nicht, daß er in seiner Gehirnzelle saß, daß er die letzte und edelste, die sich selbst schauende That des allschaffenden Sonnenstrahles war. Er suchte den Gott außer sich. Er sah den flammenden Sonnenball, der seit Jahrmillionen Licht und Wärme spendet und alles Lebende zeugt, und sagte sich: Das ist Gott! Andere bildeten scheußliche Fratzen aus Stein und Erz und sagten: Das ist Gott. Auch Tiere und Bäume hielten sie für die Wohnung ihres Gottes. Wieder andere fanden für jedes Warum und Wozu einen Gott; der Baum, das Wasser, der Fels, die Wolke hatten einen innewohnenden Gott. Nur der Mensch hatte in sich den Gott nicht gefunden. Er ist nur Einer! Ein allgewaltiger Geist, der den Himmel und die Gestirne und alles Lebende nur für uns geschaffen. Er ist unser Gott, der Gott unseres Volkes, sagten die Einen. All die ungezählten Millionen, die sonst noch auf der Erde wandeln, haben keinen Teil an ihm. Wir haben ihn erkannt, obwohl er sich nie zu erkennen gegeben und auch alle anderen Völker der Erde nie wissen ließ, daß er so und nicht anders erkannt und verehrt werden will. Dann wieder lief die Kunde durch die Welt: In Bethlehem hat ein Weib ein Kind geboren, in dem wohnt Gott. Er wandelte auf Erden als Mensch, aber was er sprach und lehrte, was er that und litt, war göttlich. Die Besten von uns haben sein Urbild im Herzen getragen, bevor ihn das Weib gebar. Es schien, daß der Mensch seinen Gott gefunden habe. Aber wieder verdunkelte sich das reine Bild, und die Menschheit vergaß, daß der lebendige Gott wieder und wieder aus jedem Menschen geboren werden müsse. Sie thaten groß und glaubten ihn erkannt zu haben, den Heiland, den Erlöser, und doch, wie weit waren sie von ihm entfernt, und wie entfernten sie sich immer wieder von neuem von ihm! Geradeso wie die erste Zelle im Meeresgründe die Urform zu all den Myriaden wundervoller Organismen bis hinauf zum Menschen bildete, hat auch der erste kindliche Gedanke des Urmenschen von der Gottheit all die späteren Vorstellungsformen der civilisierten, geistig vervollkommneten Menschheit gezeugt. Doch auch heute noch leben die einfachen Zellenwesen auf dem Meeresgrunde, und auch heute noch spukt in Millionen Köpfen neben der selbstlosen Lehre Christi die plumpe, ungeschlachte Vorstellungsform von einem höchsten Wesen, wie sie der Urmensch ausgedacht. Egoismus, Aberglaube, Furcht, schlaue Spekulation, Staatsraison schaffen heute noch die wunderlichsten Ausgeburten, und nur wenige hochstehende Menschen haben ihren Gott gefunden, weil sie es verstanden, ihm ähnlich zu werden. Der Gott des sicilianischen Bauern und der des russischen Muschiks, des bekehrten Samojeden und des getauften Feuerländers kann doch nicht derselbe sein wie der des selbstlosen, auf der höchsten Zinne einer sittlichen Weltanschauung stehenden Gelehrten! So gilt auch hier das Wort: Jeder Einzelne hat den Gott, den er verdient!

 

20. Oktober.

Wenn man so auf die Straße tritt! Wo ist das Hasten, wo sind die zerstreuten Mienen, wo ist die sich selbst vergessende Fröhlichkeit, wo die Gedanken an Geschäft und Erwerb, die man sonst von tausend Gesichtern ablesen konnte? – Es ist furchtbar, bei all den Tausenden, welche an mir vorüberfluteten, nur das eine unveränderliche Antlitz zu sehen. Alle die vielfachen Interessen des Lebens, welche sich sonst in unzähligen Zügen in den Gesichtern der Vorübereilenden bemerkbar machten, lassen jetzt keinen Abglanz zurück. Unbewegliche Masken, in welche mit ehernem Griffel ein einziger Zug eingegraben ist: Dumpfe Ergebenheit!

Und dennoch, die große Maschine » Gesellschaft« haspelt ihr Tagewerk gedankenlos ab; scheinbar geht alles in regelmäßigem Geleise. Man fürchtet den Stillstand, wie das Chaos. Ich trete auf die Straße. Kein Lüftchen regt sich. Herrlicher denn je strahlt die Sonne vom wolkenlosen Firmament herunter, und so erneut sich Tag um Tag. Baum und Strauch setzen neue Knospen und Blüten an, die Lerche schwingt sich tirilierend hoch hinauf in den hellblauen, zitternden Äther – denn die rauhen Herbststürme des Äquinoctiums sind ausgeblieben, die Wandervögel haben ihren Zug nach dem Süden eingestellt – sie tragen Halme in ihre Nester und bereiten sich auf einen neuen Sommer vor.

Man glaubt das goldene Zeitalter gekommen. Die Wintersaat ist üppig in die Halme geschossen und verspricht hundertfachen Ertrag. Durch einen unerklärlichen Vorgang im Mechanismus unseres Planetensystems gelangte die Erdachse in eine nahezu senkrechte Stellung zur Ekliptik. So heißt nämlich die kreisähnliche Kurve, die die Erde bei ihrem jährlichen Umlauf um die Sonne beschreibt. Für unsere Zone bedeutet diese Umwälzung einen ungeheueren Zuwachs an Wärme.

Obwohl auch diese Veränderung auf den Einfluß des unheilvollen Gestirnes zurückzuführen war, gab es doch viele, welche in ihrem Optimismus geneigt waren, die Reihe der Veränderungen damit als abgeschlossen zu betrachten. In Flugblättern und Telegrammen wurden Hunderte von Hypothesen verbreitet, die jedoch immer wieder von anderen verdrängt wurden. Dies konnte die Menge nicht befriedigen. Im heißen Drange, die Vorfälle dieser ereignisvollen Zell im günstigen Sinne auszulegen, veranstalteten die Bewohner der Erde Dankprozessionen, in denen sie sich im überquellenden Dankgefühle vor ihrem Schöpfer niederwarfen und den Allerhalter anflehten, die drohende Heimsuchung von ihnen abzuwenden. In unabsehbaren Zügen, unter Vorantragung ihrer Heiligtümer und mit Entfaltung des herrlichsten Kirchenprunkes zogen sie hinaus unter Gottes freien Himmel, und indes in der verlassenen Riesenstadt die Glocken der hundert Kirchentürme wie das Gebetlallen ihrer Bewohner zum Himmel klangen, unterstützte draußen der Donner aus Hunderten von Kanonenschlünden den inbrünstigen Aufschrei der Kreatur …

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22. Oktober.

Auf meinen täglichen Wanderungen durch die Stadt gelangte ich heute auf einen der größten Plätze, der von einer tausendköpfigen Menge besetzt war. Es herrschte tiefe Stille auf dem Platze. Ein Mann mit wallendem Haupthaar und einem langen, weißen Vollbart, anscheinend dem Gelehrtenstande angehörig, sprach zu der Menge.

Die Wissenschaft, sagte er, kann uns leider wenig Trost spenden, daß die Reihe der Veränderungen mit diesem gewaltigen Eingriff in den Himmelsmechanismus abgeschlossen sei. Sie wissen alle, fuhr er fort, daß unsere Erde nicht der Mittelpunkt des Weltalls ist, wie man vor dem großen Kopernikus allgemein geglaubt hatte, sondern daß sie sich seit vielen Jahrmillionen mit ihren Geschwistern, den Planeten, um ihre Mutter und Ernährerin Sonne dreht. Wie könnte es auch anders sein! Nur Beschränktheit oder Größenwahn der Menschheit konnten annehmen, daß die winzig kleine Erde, die eineinviertel Millionen mal kleiner ist, als die Sonne, den Mittelpunkt des Weltalls bildet.

Was das kleine Sandkörnlein Erde im großen Weltenplan bedeutet, das sehen wir jetzt, wo ein unbedeutendes Gestirn, ein Vagabund des Himmels, sich anschickt, der ganzen vieltausendjährigen Herrlichkeit ein ruhmloses Ende zu bereiten. – Mensch, deine ganze Geschichte und alle Errungenschaften des Wissens und Erkennens gehen in einen Fingerhut, wenn du den Blick zu den Myriaden Sonnen erhebst, die am nächtlichen Himmel flammen. Und du hast dich vermessen, zu glauben, daß all die Myriaden Sonnen, die so weit von dir entfernt sind, daß dein armes Gehirn den Gedanken nicht auszudenken vermag, vom Schöpfer zu Vasallen dieses winzigen Sandkörnchens, Erde, bestimmt wurden? Wißt Ihr, daß diese glitzernden Punkte, deren Zahl keine Ziffer auszudrücken vermag, ebensoviele Sonnen sind, größer und herrlicher als unsere Sonne und jede einzelne umkreist von Planeten wie unsere Erde? Die nächste dieser Sonnen ist dreieinhalb Lichtjahre von unserem armseligen Wohnort entfernt. Das ist so leicht ausgesprochen. Wißt ihr, was ein Lichtjahr ist? Ein Lichtjahr ist der Weg, den das Licht innerhalb eines Jahres zurücklegt. Da habt ihr noch immer keine Vorstellung. Wenn ich euch sage, daß das Licht in einer Sekunde 40 000 Meilen zurücklegt und daß es bei dieser unfaßbaren Geschwindigkeit dreieinhalb Jahre braucht, um den Weg vom nächsten Fixstern bis zur Erde zurückzulegen, da dämmert euch wohl eine schwache Vorstellung davon auf. Aber noch besser werdet ihr euch die Entfernung vorstellen, wenn ich euch sage, daß der Orient-Expreßzug 75 Millionen Jahre brauchen würde, um diesen Weg zurückzulegen. Das ist aber der nächste ebenbürtige Nachbar unserer Sonne. Da giebt es in der Milchstraße und in den Nebelflecken Millionen und Millionen Sonnen, deren Licht erst nach Jahrtausenden auf unsere Erde gelangt. Ja, es ist fraglich, ob nicht einzelne Gestirne schon seit Jahrtausenden erloschen find, deren Lichtstrahl erst jetzt in unser Auge gelangt. Und was die Größe dieser Welten betrifft, so ist es nicht auszudenken, was trockene Zahlenreihen uns verkünden. Wir haben schon gelernt, bescheiden zu sein, und unsere Erde, die den Alten noch als die unendliche Welt erschienen, ist zu einem kleinen, schimmernden Pünktchen zusammengeschrumpft, von dessen Dasein die mutmaßlichen Bewohner der großen Himmelslichter ebensowenig Ahnung haben, als wir von den Planetensystemen der übrigen Fixsterne. Und wenn man dort oben auf dem Sirius tausendmal mächtigere und schärfere Fernrohre hätte, als wir, man könnte das schwachleuchtende Pünktchen doch nie und nimmer entdecken. Und wenn unsere Erde einmal auf den Sirius fallen würde – glaubt ihr, das würde dort ein sonderliches Aufsehen machen? Selbst wenn sie einem Siriusbewohner auf den Kopf fiele, würde er kaum ein Unbehagen davon verspüren; denn sie hätte für ihn nur die Größe eines Kirschkernes! Möglich, daß er sie seinen Kindern zum Spielen nach Hause brächte. Aber selbst die sonnigen Augen dieser Fixsternbewohner würden auf dieser, mit Schimmel überzogenen Kugel nichts Merkwürdiges entdecken. Die Städte, Wälder, Flüsse, Berge und auch die mikroskopischen Lebewesen würden ihren Blicken verborgen bleiben.

So sieht es aus mit unserer Erde, wenn wir einen Vergleich ziehen mit ihren gigantischen Brüdern aus der Sternenwelt. Nur der Größenwahn, der sich dieses kleine Wandelsternchen zum Mittelpunkt des Weltalls schuf, konnte sich in den Gedanken einlullen, daß der erhabene Geist, der all diese herrlichen Welten schuf, mit der Kirchturmpolitik und dem Gezänke seiner Bewohner rechnen wird. Ihr geht in Eurer Blasphemie so weit, zu glauben, daß Ihr den großen Geist für Eure kleinen Zwecke gewinnen könnt durch Unterwürfigkeit und Bitten. In eurem beschränkten Gehirn ist er noch immer der griesgrämige Alte, der schilt und tobt, mit Blitz und Donnergroll seine üble Laune zu erkennen giebt und seinen ungeratenen Kindern für gute Vorsätze immer wieder Straf-Prolongationen gewährt. Was gilt ihm ein Mißton in dieser gewaltigen Weltensymphonie! – Vor zehn Jahren leuchtete im Sternbild der Andromeda ein Stern auf, den vorher kein menschliches Auge gesehen. Anfangs hellleuchtend, erblaßte er allmählich und verschwand nach wenigen Monaten. Das war ein Weltuntergang! Durch den Zusammenstoß zweier nichtleuchtender Gestirne kam es zu einer ungeheuren Wärmeentwicklung – zwei Welten gingen in Flammen auf. Sie waren nicht mehr selbstleuchtend, also erstarrt, folglich für die Entwicklung von Lebewesen geeignet – welch weites Feld für kühne Konjekturen! Zwei Welten, die seit Jahrmillionen durch den Äther kreisen, in denen sich Leben, Kultur, Kunstentfaltung entwickelt, schöner und herrlicher vielleicht als auf unserer Erde, zerschellen aneinander in Folge eines kleinen Mangels in dem gewaltigen Uhrwerk, wie zwei Schiffe, die bei Nacht und Nebel auf stürmischem Ocean aufeinanderprallen. Wir Erdenbewohner sahen diese, die kühnste Phantasie übertreffende, unfaßbare und unausdenkbare Katastrophe – aber was da in ungeheuren Ätherfernen vor sich ging, das hatte ja für unsere Erde keine Folgen. Man hörte ja kein Prasseln und Knattern, und die Lichtspur der flammenden Welten war so klein wie das Dachfeuer eines meilenweit entfernten Hauses. Wenn es nicht zu unserer Gemeinde gehört, so regt es uns nicht weiter auf. Unsere Phantasie ist so stumpf, unsere Sinne sind so plump! Und als wir zudem hörten, daß diese, einer anderen »Gemeinde« angehörigen Welten so unermeßlich weit seien, daß der Lichtstrahl uns Dinge verkündete, die vielleicht vor Jahrtausenden geschehen find, da nahmen wir die Nachricht von einer Weltkatastrophe recht gefaßt hin und erhitzten uns weiter für unsere Kirchturmpolitik und unsere Zänkereien.

Werden und Vergehen ist doch das erste und uns erkennbarste Gesetz im Weltenplan; also müssen auch Welten vergehen; das leuchtete uns ein, so lange der Beweis dafür auf eine Entfernung von Billionen Meilen geführt wurde.

Nun soll es auch an uns heran! Wie ist unsere Erde entstanden, das heitere Sonnenkind? Der Mathematiker Laplace hat dafür eine Erklärung gegeben. Die Sonne war einst ein ungeheuerer Ball von glühenden Gasen, dessen Halbmesser länger war als die Entfernung des äußersten Planeten, des Neptun, von dem Mittelpunkt der Sonne, also über 600 Millionen Meilen. Dieser ungeheure Ball von glühenden Gasen kühlte sich auf seiner Wanderung allmählich ab, und da sich alle Körper durch die Kälte zusammenziehen, so nahm auch der Sonnenball an Volumen ab. Dieser Zusammenziehung konnten aber einzelne Teile des Sonnenkörpers nicht folgen, und während er sich zu einem kleineren Volumen verdichtete, schnürte sich ein Ring von Sonnenmaterie ab, der nun frei im Weltenraum schwebte. Dieser Ring, der die Bewegung des Hauptkörpers beibehielt, ballte sich allmählich zu einer Kugel zusammen und umkreiste den Mutterkörper nach der ursprünglichen Richtung der Bewegung seiner kleinsten Teilchen.

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Nach einem ungeheueren Zeitraum, der nur nach Jahrmillionen zu berechnen ist, hat sich vom glühenden Sonnenball abermals ein Ring losgelöst, dessen einzelne Teile sich in Folge der Rotation zu einer Kugel zusammenballten, und so ging das fort durch Äonen. Auf diese Weise entstanden der Reihe nach Neptun, Uranus, Saturn Jupiter, der Schwarm der Asteroiden, ferner die Planeten Mars, Erde, Venus und Mercur. Die Erde zählt also mit ihren Geschwistern, den Planeten, zu den Sonnenkindern. Sie empfängt Leben und Nahrung, Licht und Wärme ausschließlich von ihrer erhabenen Mutter, und viele Millionen Jahre früher, bevor das letzte Licht auf dem Sonnenball verflackert ist, müssen ihre Kinder, die Planeten, erstarren und vergehen …

Doch viel früher, als die Wissenschaft in ihren kühnsten Hypothesen voraussetzen konnte, droht der Erde Tod und Verderben durch einen Himmelsvagabunden, der in Folge seiner ungeheueren Größe einen unheilvollen Einfluß auf die Umdrehungsgesetze unseres Planeten ausübt. Noch bevor er dem Auge sichtbar war, konnte man Unregelmäßigkeiten beobachten, und jetzt, da er mit seiner ganzen ungeheueren Masse auf die Erde wirkt, hat die Stellung der Erdachse zur Ekliptik eine wesentliche Änderung erfahren, wodurch wieder die Veränderung der klimatischen Verhältnisse unserer Zone hervorgerufen wurde. Wir in Europa, dann die Bewohner des nördlichen Asiens und Nordamerikas haben durch diese Änderung gewonnen. Die Bodenfrüchte gedeihen allenthalben in unerhörter Üppigkeit. Man heimst Ernten mit hundertfachem Ertrage ein. Dafür aber kommen aus den Äquatorialgegenden die haarsträubendsten Berichte von versengendem Sonnenbrand. In ängstlicher Hast fliehen die Völker Indiens und des inneren Afrikas nach dem Norden, um sich vor den mordenden Strahlen der Sonne und vor der durch kein Lüftchen gemilderten Glutatmosphäre zu retten.

Und nun nehmt es gefaßt hin, was die Wissenschaft als das wahrscheinliche Schicksal unserer Erde voraussagen kann. Der unheimliche Genosse wird uns nicht mehr verlassen. Die Erde wird mit ihm als Doppelgestirn um die Sonne kreisen. Doch da er der Stärkere ist, wird er die Erde aus ihrer Bahn zu reißen trachten. Die Erde wird ihm folgen müssen – unwillig zwar, denn sie will ihre vorgeschriebene Bahn einhalten – aber allmählich in großen Spirallinien werden ihre Kreise immer weiter werden, und das Licht der Sonne wird immer mehr verblassen; dann aber wird das Leben auf unserer Erde erstarren – ein fahler Dämmerschein wird aller einhüllen, war ehedem der Menschen Auge entzückt hatte, und in der ewigen Sternennacht werden wir – so lange Lebenswärme noch in unseren Adern wohnt – mit Sehnsucht nach einem schwach schimmernden Sterne blicken, der einst unsere Sonne war …«

Mit unheimlicher Ruhe nahm die Menge die Wahrheiten entgegen, die ihr die unerbittliche Wissenschaft durch den Mund des Gelehrten verkündete. In stumpfer Resignation verließ sie den Platz. Freunde umarmten einander und drückten sich die Hände, als wollten sie Abschied nehmen für's Leben. Dann blickten sie wehmütig hinauf zum leuchtenden Sonnenball, der in gewohnter Schönheit und Majestät herniederstrahlte auf die Erde … Kopfschüttelnd und fiebernd fast vor innerer Erregung suchten sie ihr Heim auf. ES kann ja nicht sein! Es ist ja so ganz unfaßbar! …

 

25. November 1899.

Das waren Stunden! Noch immer tobt es in meinen Adern, noch immer schwingen die Nerven von den Eindrücken der letzten Stunden! – Die zweite Ernte war geborgen. Ein Segen, wie ihn der Landmann noch nie vorher gesehen. Was da eingeführt wurde in Scheunen und Gruben, das reichte auf Jahre hinaus für die europäische Menschheit. Arbeitskräfte waren in Fülle vorhanden; denn die Heere waren aufgelöst und die männliche Jugend hatte geholfen die Felder bestellen und die Ernte bergen. Der Segen des Himmels hatte seine Wirkung gethan. Es war in den letzten Tagen wie Ruhe und neue Zuversicht über die Menschheit gekommen.

Da kam der Abend des 24. Novembers. Der Dämon am nächtlichen Himmel lagerte über dem südlichen Horizont. Die gelblich fahle Dämmerung verscheuchte bald die wenigen Passanten aus den Straßen. Sie waren fast menschenleer. Da kam es. – Vom Sternbild der Casilopeja schien es auszugehen. Zuerst ein hellglänzender Lichtstreif, dann ein Funkenregen, wie von einer Sprührakete. Das kam immer häufiger, bald da, bald dort, und bald schien es, als ob an einem Teile des Himmels eine Feuerwerksfront abgebrannt würde. Wir sahen vom Fenster unserer Wohnung diesem eigenartigen Schauspiel zu. – »Ein Meteoritenregen,« meinte der Rat. – »Ja wohl,« sagte ich »diese Meteore sind aber Bestandteile des Kometen. Die Erde ist also in einen Teil des Kernes eingedrungen.« – In diesem Augenblicke gewahrte ich eine Menschengruppe, die lebhaft gestikulierend einen Gegenstand betrachtete. Ein Mann schien den Umstehenden den Gegenstand zu erklären. Hie und da bückte sich einer, um etwas vom Boden aufzulesen. Auf einmal hörte ich einen Jubelschrei ausstoßen, und gleich darauf stob die Menge jauchzend auseinander. – »Was ist nur wieder los, was stimmt die Menge auf einmal so fröhlich?« fragte der Rat. – Ich versprach den Meinigen, bald wieder da zu sein, und begab mich auf die Straße. Überall das wirre Durcheinanderdrängen, Jauchzen und Schreien. Aus den Hausthoren stürzten sie hervor auf die Straße, lebhaft gestikulierend und einander die Gegenstände zeigend, die sie vom Boden auflasen. »Was ist's, was giebt es denn?« rief ich den Nächststehenden an. – Er that einen Freudensprung und schrie: »Gold, Gold – pures Gold – alles, was da herunterfällt vom Himmel ist pures Gold!«

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Es war wirklich so. Ich bückte mich nach einem glänzenden Gegenstand in der Größe einer Haselnuß. Er war noch heiß von seiner jähen Fahrt; aber es war Gold – pures Gold. Während ich es aufmerksam betrachtete, riß es mir ein Vorübereilender brutal aus der Hand. »Such dir ein anderes!« rief er mir zu. Mir schoß das Blut heiß in die Schläfen. Auch jetzt, Menschheit, in der Zeit des namenlosen Schreckens wühlt das Wörtchen Gold mit einem Male all die bösen Leidenschaften wieder auf, die dich seit vielen Jahrtausenden fruchtlos im Kreise herumgeführt haben! Gold, Gold! Was hat das jetzt noch für Bedeutung – Ihr braucht es nicht. Es ist doch nur ein wertloses Symbol. – Aber jedes Wort verhallte in dem Lärm. Von heftigster Leidenschaft erregt, fielen sie über die Goldkörner her, die anfangs vereinzelt, dann in immer größerer Zahl und in größeren Stücken zur Erde fielen. Sie achteten nicht der empfindlichen Wunden, welche die herabfallenden Stücke verursachten – mit Körben und Kisten und allerlei Gefäßen stürzten sie aus den Häusern und rafften zusammen, was im Bereiche ihrer Hände lag. Dabei kamen sie miteinander in Streit, der die wildesten Formen annahm – Gold, Reichtum! – ein grauenhaftes Delirium kam über, die Massen – Besinnung, ruhiges Nachdenken konnten nicht zur Geltung kommen. Jeder raffte, was er nur konnte, und sah voll Wut auf den Nächsten – und ich sah, wie einer seinem Nachbar das Messer in den Rücken bohrte, um sich der Beute zu bemächtigen. Von namenlosem Grauen erfaßt, floh ich die Stätte des Wahnsinns. –

Aber der Hohn des Schicksals brachte diesen Unglücklichen Sättigung ihrer grenzenlosen Leidenschaft. Bald waren die Dächer und Straßen zollhoch mit Goldkörnern bedeckt. Unablässig schaufelten sie das kostbare Metall in ihre Häuser. Und der zweifelhafte Segen nahm kein Ende. Immer dichter wurde der Regen, und zuweilen fielen auch Klumpen von beträchtlicher Größe herab, die mit lautem Jubelgeschrei begrüßt wurden. Hier und dort blieb einer, von einem schweren Stück getroffen, liegen. Des achteten aber die anderen nicht und schaufelten eifrig weiter. Jetzt aber kam ein Geprassel und ein Geknatter, als ob die Feuerschlünde von hundert Batterien sich geöffnet hätten. Gold – Gold und wieder Gold fiel herunter. Hunderte von Leichen lagen in den Straßen – da ergriff die übrigen starres Entsetzen. Sie flüchteten in ihre Wohnungen und fluchten dem Golde! Dem lieben Golde, das sie seit vielen Jahrtausenden mit allen Listen erschlichen, mit allen Lastern errafft – mit Mord und Todschlag erbeutet hatten. Jetzt war es da – und jetzt ließ sich der einst so spröde Gast nicht abweisen. Mit Donnergekrach fielen ganze Blöcke zur Erde, zerschmetterten Menschen und Häuser, und über den Unglücklichen häuften sich Leichenhügel und Berge von Gold.

Als die Sonne aufging, beleuchtete sie ein entsetzliches Bild der Zerstörung.

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Fußhoch lag das gelbe, gleißende Metall in den Straßen und auf den Feldern, zumeist in erbsengroßen Stücken; dazwischen aber Blöcke von riesigen Dimensionen, deren verheerende Wirkungen allenthalben sichtbar waren. Wo solch ein Block mit seinem ungeheueren Gewichte hinfiel, da zerschmetterte er alles, was nicht aus Erz und Granit gefügt war. In vielen Straßen waren die Dächer der Häuser demoliert, ja ganze Stockwerke durchschlagen. Nach Tausenden zählten die Opfer, welche der schrecklichen Katastrophe erlegen waren. Inmitten des Stromes war ein Block von solch ungeheueren Dimensionen gefallen, daß das Wasser aus seinem Bette austrat und weithin die Gegend überschwemmte. Dieser »Berg von Gold« glänzte nun weithin in der aufgehenden Sonne; er überragte an Höhe die umliegenden Hügel und stellte eine Masse vor, die sämtliches gemünzte und zu Geschmeiden verarbeitete Gold der Erde um das Tausendfache übertraf. Als ich mit bebender Seele durch die Straßen der Stadt schritt und mit Schaudern die Erschlagenen betrachtete, welche noch die zusammengerafften Goldbrocken in den erstarrten Händen hielten, stand auf einmal der alte Professor Holberg, ein wunderlicher Kauz, dessen Äußeres schon den Sonderling verriet, hinter mir, tippte mir auf die Schulter und sagte mit seiner schnarrenden Stimme: »Nun, da wären wir ja so weit! Das liebe Gold, das herrliche Gold, das durch so viele Jahrtausende unserer Weisheit Anfang und Ende war – es braucht nicht mehr erlistet, erschlichen, erkämpft, ertrotzt, erpreßt zu werden, es liegt auf der Straße – da kommt und nehmt es – ihr seid freundlichst eingeladen. Schleppt es fort in eure Höhlen und Schlupfwinkel, bis ihr unter seiner Last zusammenbrecht – je mehr, desto bester. Haben Sie gesehen, Herr Kollege, wie sie in ihr altes Delirium verfielen, wie der chronische Goldhunger der Menschheit auf einmal in einen wahnwitzigen Paroxysmus ausartete und gleich darauf in sein Gegenteil verfiel?«

Er bückte sich und hob ein eigroßes Stück vom Boden auf. »Schade, ei, wie schade!« rief er aus. »Dich hätt' ich im vorigen Jahre noch brauchen können, als ich den Sohn der armen Witwe behandelte. Er sollte fort in ein wärmeres Klima, da hätte er noch gerettet werden können, der Ernährer seines alten Mütterchens. Warum bist du denn damals nicht durch den Schornstein hereingeflogen, du dummes, plumpes Stück Gold – weißt du denn nicht, wie sehr sie dich herbeigesehnt, das weißhaarige Mütterchen, wie sie ihr armes Gehirn zermartert hat, um einen Weg zu finden, wie man dich herbeischaffen könnte, wie sie vor dem Bilde ihres Schöpfers auf den Knieen gelegen, um dich vom Himmel herabzuflehen – alles vergeblich; du bist damals nicht gekommen, du dummes, fühlloses, gleißendes Stück Metall – sie mußte ihr Kind, ihren Ernährer täglich mehr hinschwinden sehen, und wenn sie gleich aufschrie in ihrem wilden Schmerze – es fand sich doch keiner, der sich von dir um seines Mitmenschen willen getrennt hätte, denn sie hatten dich alle lieb mit einer sündhaften, abgöttischen Liebe, sie hatten dich lieber als ihren Nächsten, lieber als Mutter und Vater, lieber als ihr eigenes Kind, ihre Ehre, ihren Gott! Du durftest nur blinken, so kehrte sich die Natur des Menschen um – du machtest den ehrlichen Mann zum Betrüger, das schamhafte Weib zur Dirne, den strengen Richter zum käuflichen Rechtsverdreher. Hahaha! Und jetzt bist du da – aber den Sohn der armen Witwe hat man inzwischen schon eingegraben, und die Alte ist ihm schnell gefolgt. Ein Glück für dich; denn sie hätte dir ja doch geflucht, wenn du jetzt gekommen wärst, wie zum Hohne. Und sie fluchen dir alle – haben Sie gesehen, lieber Kollege, welcher Verachtung und welchem Ekel das gelbe Metall allenthalben begegnet? Es ist nichts mehr wert! Hahaha! Entthront, der Purpurmantel herabgerissen, das Scepter entzwei gebrochen – du stolzer Herrscher über die Menschheit, mächtiger als Dschingiskhan und Tamerlan, aber auch grausamer als diese, deine Herrschaft ist zu Ende. Du hast abgewirtschaftet, du stolzer Verächter des Schweißes und der Arbeit, du unerbittlicher Sklaventreiber der Armut, dein Reich ist dahin, du kupplerischer Sklave des Wohllebens, du stets dienstbeflissener Helfer des Übermutes, du Hofnarr des Müßiggangs und des Dünkels. – Ei, was seh' ich denn da? Goldene Spangen und Ringe, kunstvolles Geschmeide – alles auf die Gasse geworfen, wie unnützen Kehricht! Da sehen Sie nur selbst, wie man all den Tand zum Fenster hinauswirft! Und jener Bettler, in Lumpen gehüllt, er stößt das glitzernde Geschmeide, das eben aus jenem Fenster gefallen ist, verächtlich mit dem Fuße bei Seite. Ein Stück Brot ist ihm lieber.

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Professor Holberg hielt plötzlich inne und deutete auf eine Gruppe von Frauen und Männern, welche, fröhliche Lieder singend, in's Freie zogen. »Haben sie nicht recht?« fragte er mich. »Sie können es ja nicht ändern. Was da kommt, hätte jeden Tag kommen können in all den langen Zeitperioden, an die sich die Menschheit zurückerinnert. Wie viele haben in früheren Zeiten dem Tode in tausendfachen Gestalten furchtlos ins Antlitz geschaut! Und für jeden Einzelnen, wenn es für ihn ans Sterben ging, war der Tod ein Weltuntergang.« –

Wir schlossen uns der Gruppe an. Gegen Westen zu war die Landschaft von dem Meteorregen des vorhergehenden Tages so ziemlich verschont geblieben, während auf der östlichen Seite die Felder verwüstet, die Wälder ihres Laubes beraubt waren, und viele Stämme zerschmettert auf dem Boden lagen. Es war also anzunehmen, daß die Katastrophe nur auf einem begrenzten Strich Landes so ungeheuere Verheerungen angerichtet hatte. Wir kamen an einen herrlichen, freien Platz, von einem hochstämmigen Buchenwald eingefaßt. Die Waldlisière entlang rauschte ein munteres Bächlein. Hier lagerte sich die fröhliche Schar im Schatten hundertjähriger Buchen. Dem äußeren Ansehen nach waren es Menschen aus den verschiedensten Lebenssphären. Der flaumbärtige Student und der grauhaarige Gelehrte, der junge Kleriker und der narbenbedeckte Soldat, die leichtfüßige Nähmamsell und die ehrwürdige Matrone, sie alle hatten sich zusammengefunden zu demselben Zwecke. Sie wallten das ewige und unveräußerliche Menschenrecht, mutig dem Unvermeidlichen ins Antlitz zu schauen und die Gaben der Natur in geselliger Heiterkeit zu genießen, auch jetzt noch aufrecht erhalten. Gleichwie jene mutige Schar während der Florentiner Pest sich in der herrlichen Natur ihr gutes Menschenrecht an der Freude nicht verkürzen ließ und in edlem Freundesverkehr Vergessenheit suchte, so wollten auch sie eine Art Decamerone bilden, in Fröhlichkeit, Gesang und Saitenspiel, im Verkehr mit lieblichen Frauen und bei heiteren Gelagen auf kurze Zeit Lethe trinken und gleichzeitig das Wort des Dichters zum Wahrwort machen:

»Und singend einst und jubelnd
Durch's alte Erdenhaus
Zieht als der letzte Dichter
Der letzte Mensch hinaus.«

Es gab keinen Unterschied der Stände mehr. Jeder in diesem Kreise hatte das gleiche Recht an die Freude. In zwanglosen Gruppen lagerten sich die Pärchen, die sich zueinandergesellt. Der Wein erhitzte die Gemüter, und manches übermütige Scherzwort machte unter fröhlichem Gelächter die Runde. Dann aber kam auch die Kunst an die Reihe. Der Sänger, eine prächtige, männliche Erscheinung, wußte mit dem Zauber seiner Stimme die Anwesenden mächtig zu ergreifen. Herrlich klangen die Töne durch die idyllische Waldeinsamkeit, und das Echo einer fernen Felswand vervielfältigte sie in geisterhafter Weise. In diesem Augenblick stieg der Mond am Horizont empor, immer höher und höher – gleichzeitig wurde die langgestreckte Feuerrute des Kometen sichtbar. Und da trat, in Ereignis ein, welches die eben noch so fröhliche Runde verstummen machte. –

Auf dem westlichen Firmamente leuchtete plötzlich ein Meteor auf, das an Größe und Helligkeit die eben untergegangene Sonne zu erreichen schien. Langsam und majestätisch strich es in weitem Bogen über das Firmament hin. So groß war die Lichtfülle, welche dieses Phänomen ausstrahlte, daß die erstaunten Beobachter vermeinten, die Sonne sei wieder über den Horizont emporgestiegen. Das Licht des Mondes erblaßte vollständig. Die leuchtende Kugel näherte sich in ihrem Fluge immer mehr dem Monde; sie mußte in ungeheuerer Entfernung von der Erde sein; denn man bemerkte trotz der Riesengröße dieses Himmelskörpers kaum seine Bewegung. In atemloser Spannung verfolgte die eben noch so fröhliche Schar die Bewegung des Meteors. Es war kein Zweifel, der fremde Weltkörper war in den Attraktionsbereich des Mondes gelangt und mußte mit ihm zusammenstoßen. Furchtbare, bange Minuten verstrichen; kaum wagte einer zu atmen. Immer näher und näher rückte der unheimliche Körper an den Mond heran – jetzt trennte ihn nur mehr ein Zwischenraum von wenigen Graden von dem ruhig dahinwandelnden treuen Begleiter unserer Erde. Da schien es, als ob mit einem plötzlichen Ruck die beiden Körper in einen verschmolzen wären. Gleich darauf erlosch das Licht des gewaltigen Meteors, und an der Stelle, wo es in den Mondkörper eingedrungen war, sah man eine fackelförmige, rote Flamme aufsteigen. Wie gelähmt standen die Beobachter und konnten kein Auge abwenden von dem ungeheuerlichen Vorgang, der sich über ihnen im Weltenraume abspielte. Welch furchtbare Kräfte der Zerstörung mag dort oben das Aufeinanderprallen zweier Weltkörper entfesselt haben! Und dennoch, kein Laut drang an das Ohr der irdischen Zuschauer, keine Schallwelle verkündete den Effekt der wildwütenden Gewalten. Dort oben im Ätherraum giebt es keinen Schall. Lautlos, klanglos spielen sich alle Bewegungsphänomene ab; denn nur dort, wo Atmosphäre oder Wasser ist, kann sich die Schallbewegung fortpflanzen. Aber selbst angenommen, daß der Äther die Schallwellen fortpflanzen könnte, so hätten die Beobachter doch erst etwa, vierzehn Tage nach der Katastrophe das Geräusch, welches diese verursachte, gehört; denn da der Schalle in der Sekunde nur einen Weg von 330 Metern zurücklegt, so hätte er die Entfernung des Mondes von der Erde, welche circa 52 000 Meilen beträgt, erst in dieser Zeit durcheilen können.

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Dort und da wurden längs der Peripherie feurige Garben emporgeschleudert, als ob sie aus dem Krater eines ungeheueren Vulkans gespieen würden. Mit einemmale geschah etwas, das den Zuschauern das Blut in den Adern erstarren machte. Ungefähr in der Mitte der hellglänzenden Mondscheibe wurde plötzlich ein unregelmäßiger dunkler Streifen sichtbar, der sich langsam erweiterte. Dieser dunkle Streifen war das durchscheinende Firmament. Durch den Zusammenstoß mit dem riesigen Meteor war eine Zertrümmerung des Erdtrabanten erfolgt. Was da oben vor den Augen der Erdbewohner sich in wenigen Minuten vollzogen hatte, war der Zusammenbruch einer Welt, mit der unsere Erde, seit Äonen verschwistert, ihre vorgeschriebene Bahn im unendlichen Raum durchrollte. Schau einmal, vor ungezählten Jahrmillionen, hatte einen Genossen unserer Planetenfamilie ein ähnliches Geschick ereilt. Er hatte seine Bahn zwischen dem Mars und dem Jupiter. Durch welche Ursache seine Vernichtung erfolgte, ist unbekannt. Wahrscheinlich aber ist es, daß der Zusammenstoß mit einem anderen Weltkörper seine Zertrümmerung zur Folge hatte; denn statt des einen großen Planeten, der nach der Laplace'schen Theorie an jener Stelle um die Sonne kreisen sollte, entdeckte das Fernrohr bis jetzt über dreihundert winzig kleine Planeten, die sogenannten Asteroiden. Sie sind so klein, daß einige von ihnen kaum einige Meilen Durchmesser haben, und das Merkwürdigste daran ist, daß sie keine kugelförmige Gestalt wie die übrigen Planeten haben. Es sind also die Trümmer eines großen, durch eine Weltkatastrophe zerschmetterten Planeten.

In den folgenden Nächten waren alle Fernrohre nach dem Monde gerichtet. Jetzt unterschied man schon genau drei größere Stücke, welche sich voneinander langsam entfernten, da ein jedes Stück vermöge seiner verschiedenen Masse dem Gesetze der Attraktion in anderer Weise unterworfen war. Das kleinste Stück umkreiste die beiden größeren, wie ein Trabant des Trabanten.

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Jahre waren seit dem oben geschilderten Ereignisse geschwunden. Was hatte die Menschheit in dieser Zeit für herbe Prüfungen durchzumachen gehabt! Kein schöner, tragischer Tod war der Erde beschieden – keine Götterdämmerung, kein plötzliches Aufflammen in einer ungeheueren, alles verzehrenden Lohe. Eine Reihe von furchtbaren Heimsuchungen hatte das Menschengeschlecht allmählich decimiert. Aber die Menschheit hatte den Kampf nicht aufgegeben. Mit der Gefahr und der Größe des Unglücks wuchs auch der Mut, die zähe Ausdauer, ja der Trotz. Anfangs kleinlaut und verzagt, endeten Tausende durch Selbstmord, oder ihr Geist erlosch in der Nacht des Wahnsinns.

Aber je mehr die Schwierigkeiten sich häuften, desto gewaltigere Anstrengungen machte der Menschengeist, die Erhaltung der Gattung zu ermöglichen. Und dann, als auch der letzte Hoffnungsschimmer zu erbleichen begann, daß ein Staubgeborener dem allgemeinen Verderben entrinnen könnte, da flammte die neue Hoffnung in ihnen auf, daß es möglich sein werde, die Spuren ihres Daseins in monumentalen Werken zu hinterlassen. Vielleicht, daß nach dem Chaos eine neue Schöpfungsära in ungezählten Zeiträumen den Funken der Intelligenz wieder anfachen wird und neue Geschlechter den rätselhaften Zeichen eines früheren Lebens nachspüren und die Fackel des Geistes an dem glimmenden Funken der Überlieferung neuerdings entzünden werden.

Langsam und Schritt für Schritt waren die Veränderungen eingetreten, welche die Lebensbedingungen der Menschheit bis auf ein Minimum herabgesetzt hatten. Zuerst kam ein großes Sterben über die Menschheit. Es war ein sanfter Tod – ein Müdewerden und Hinüberschlummern. Er traf in erster Reihe die Alten; dann die Kranken und Hinfälligen. Die Gelehrten fanden die Ursache dieses Sterbens in einer, für die Sinne nicht wahrnehmbaren Vermengung unserer Atmosphäre mit den irrespirablen Gasen der Kometensubstanz.

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