Henry Fielding
Die Geschichte des Tom Jones / Theil I
Henry Fielding

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Drittes Kapitel.

Beschreibung eines Hausregimentes, das auf Regeln beruhet, welche denen des Aristoteles geradezu entgegenstehen.

Mein Leser erinnere sich gefälligst, daß Jenny Jones einige Jahre bei einem gewissen Schullehrer gelebt hatte, der sie auf ihren ernsten Wunsch im Lateinischen unterrichtete, 59 in welchem sie solche Fortschritte machte, daß sie bald ihren Lehrer übertraf.

Obgleich dieser arme Mann einen Stand gewählt hatte, in welchem Gelehrsamkeit unbedingt erfordert wird, so war doch diese seine geringste Empfehlung. Er war einer der gutmüthigsten Menschen von der Welt und besaß zu gleicher Zeit so viel Laune und Humor, daß er für den witzigsten Mann der Gegend galt. Auch suchten alle benachbarten Edelleute seine Gesellschaft so sehr, daß, da er Einladungen nicht abzuschlagen vermochte, er viel Zeit in ihren Häusern verbrachte, die er mit mehr Nutzen in seiner Schule hätte zubringen können.

Es läßt sich denken, daß ein Mann von solchen Kenntnissen und solcher Lebensweise den gelehrten Schulen von Eton und Westminster nicht leicht gefährlich werden konnte. Seine Schüler waren in zwei Classen getheilt; in der obern befand sich ein junger Mann, der Sohn eines Edelmannes in der Nachbarschaft, der in seinem siebzehnten Jahre in die Syntax eingeführt wurde; in der untern dagegen war ein zweiter Sohn desselben Edelmannes, der mit sieben Knaben aus dem Dorfe lesen und schreiben lernte.

Das Einkommen, das der Schullehrer bei diesem Stande seiner Schule bezog, würde ihm schwerlich den Genuß der Annehmlichkeit des Lebens gestattet haben, wäre er nicht zu gleicher Zeit Schreiber und Barbier gewesen und hätte ihm nicht Herr Allworthy einen Jahrgehalt von zehn Pfund St. ausgesetzt, den der arme Mann jede Weihnacht erhielt und der ihn in den Stand setzte, an dem heiligen Feste sich etwas zu Gute zu thun.

Unter andern Schätzen besaß der Pädagog eine Frau, die er ihres Vermögens wegen – 20 Pf. St. – aus der Küche des Herrn Allworthy geheirathet, wo sie sich dieselben erspart hatte.

60 Diese Frau war von Person nicht sehr liebenswürdig. Ob sie meinem Freunde Hogarth saß oder nicht, will ich nicht bestimmen; sie glich aber vollkommen dem Mädchen, das auf dem dritten Bilde des Lebenslaufes eines Freudenmädchens den Thee der Herrin ausgießt. Sie war überdies eine Anhängerin der von Xantippe in der alten Zeit gestifteten Secte und wurde so in der Schule gefürchteter als ihr Mann, denn, wenn wir die Wahrheit gestehen sollen, er war da, so wie überall in Gegenwart seiner Frau keineswegs Herr.

Obgleich ihr Gesicht an sich schon keineswegs ein besonderes sanftes Temperament verrieth, so wurde dasselbe doch durch einen Umstand noch schroffer gemacht, der meist das eheliche Glück vergiftet, denn Kinder heißen mit Recht Pfänder der Liebe und der Mann hatte ihr, ob sie gleich neun Jahre verheirathet waren, keine solchen Pfänder gegeben, ohne daß er diesen Mangel durch Alter oder Krankheit entschuldigen konnte, da er noch nicht dreißig Jahre alt und ein blühender rascher Mann war.

Daraus entstand ein anderes Uebel, das dem armen Pädagogen nicht wenig Unannehmlichkeiten bereitete, weil seine Frau auf ihn so eifersüchtig war, daß er kaum mit einem Frauenzimmer im Dorfe sprechen durfte, denn sobald er sich gegen eines nur einigermaßen artig zeigte, brach das eheliche Ungewitter los.

Um sich im eigenen Hause gegen Verletzungen ihrer ehelichen Rechte zu wahren, wählte sie ihr Dienstmädchen stets aus der Classe, deren Gesicht eine Art Bürgschaft für ihre Tugend ist und zu welcher, wie der Leser bereits weiß, auch Jenny Jones gehörte.

Da das Gesicht dieses Mädchens eine vollkommene Bürgschaft der Art zu gewähren schien, da sie sich auch immer außerordentlich züchtig benommen hatte, so war sie über 61 vier Jahre in dem Hause des Herrn Partridge (so hieß der Schullehrer) gewesen, ohne daß sie im Geringsten den Argwohn ihrer Gebieterin erregt hatte. Ja sie war mit ungewöhnlicher Freundlichkeit und Güte behandelt worden und ihre Herrin hatte dem Herren Partridge erlaubt, ihr den bereits erwähnten Unterricht zu ertheilen.

Aber es geht mit der Eifersucht wie mit der Gicht; wenn solche Leiden einmal im Blute liegen, muß man den Ausbruch immer fürchten, der oft auf die geringste Veranlassung erfolgt und wenn man es am Wenigsten erwartet.

So erging es der Frau Partridge, die Jahre lang zugegeben, daß ihr Mann das junge Mädchen unterrichte, und selbst eine Vernachlässigung der Arbeit dieses Lernens wegen geduldet hatte. Als sie eines Tages vorüberging, während das Mädchen las und der Lehrer sich über sie bog, sprang das Mädchen, ich weiß nicht aus welchem Grunde, plötzlich von ihrem Stuhle auf, und jetzt zog zum ersten Male der Argwohn in das Herz ihrer Herrin ein.

Dieser offenbarte sich indeß damals nicht sogleich, sondern lag lauernd in ihrem Herzen wie ein versteckter Feind, der erst seine Kräfte zu stärken sucht, ehe er offen auftritt und zu feindlichen Handlungen schreitet. Auch fand sich diese Stärkung bald, um den Argwohn zu steigern; denn nicht lange nachher, als Mann und Frau bei Tische saßen, sagte der Lehrer zu dem Mädchen: da mihi aliquid potum, worauf das Mädchen lächelte, vielleicht über das schlechte Latein und, als die Herrin sie ansah, erröthete, möglicherweise weil sie ihr Unrecht einsah, ihren Lehrer ausgelacht zu haben. Madame Partridge gerieth darüber sogleich in die größte Wuth, warf der armen Jenny den Teller, auf welchem sie aß, an den Kopf und schrie: »Du treibst vor meinen Augen mit meinem Manne Narrenspossen!« sprang zu gleicher Zeit mit einem Messer in der Hand auf und würde höchst wahrscheinlich eine höchst tragische Rache geübt haben, hätte nicht das Mädchen den Vortheil benutzt, näher an der Thüre als bei ihrer Herrin zu sein und der Wuth derselben sich durch die Flucht entzogen. Der arme Ehemann dagegen saß, ob ihn die Ueberraschung bewegungslos gemacht oder die Furcht (was eben so wahrscheinlich ist) gehindert, irgend einen Widerstand zu leisten, stier vor sich hinsehend und zitternd auf seinem Stuhle, bewegte sich nicht und sprach nicht, bis seine Frau von der Verfolgung Jenny's zurückkam und er sich genöthiget sah, wie das Mädchen die Flucht zu ergreifen.

Die Frau befahl dem Mädchen, sogleich ihre Habseligkeiten zusammenzupacken und zu gehen, denn sie mochte es nicht länger dulden, daß sie noch eine Nacht unter ihrem Dache schlafe.

Herr Partridge selbst hatte aus Erfahrung gelernt, sich in Dinge dieser Art gar nicht zu mischen. Er nahm deshalb seine Zuflucht zu seinem gewöhnlichen Geduldrecepte, denn ob er gleich im Lateinischen kein eben so großer Held war, so erinnerte er sich doch der Worte:

Leve fit quod bene fertur onus.

Dieser Rath, den er immer im Munde führte, heißt zu Teutsch: »Leicht wird die Last, die man gut trägt,« und er hatte häufig Gelegenheit gehabt, die Wahrheit des Spruches zu erproben.

Jenny wollte zwar ihre Unschuld betheuern, aber das Ungewitter war zu heftig, als daß sie sich hätte Gehör verschaffen können. Sie begann also ihre Habseligkeiten einzupacken, wozu einige Bogen Papier hinreichten, und als sie ihren geringen Lohn empfangen hatte, machte sie sich auf den Heimweg.

Der Schulmeister und seine Frau verbrachten diesen Abend unangenehm genug; es geschah jedoch vor dem 63 nächsten Morgen etwas, das den Unwillen der Frau Partridge einigermaßen besänftigte, und sie gestattete endlich, daß er sich entschuldige. Auch glaubte sie seiner Entschuldigung um so bereitwilliger, als er, statt für die Rückberufung Jenny's sich zu verwenden, seine Freude über deren Entfernung aussprach und äußerte, sie sei als Magd nicht tauglich, indem sie ihre Zeit auf Lesen verwende und dabei gar eigensinnig und spitzig geworden. Sie hatte wirklich in der letztern Zeit häufig literarische Streitigkeiten mit ihrem Herrn gehabt, den sie an Kenntnissen jetzt bedeutend zu übertreffen schien. Dies wollte er freilich nicht eingestehen und da er es Hartnäckigkeit nannte, wenn sie auf dem Richtigen bestand, so fing er an sie zu hassen.


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