Henry Fielding
Die Geschichte des Tom Jones / Theil I
Henry Fielding

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Neuntes Kapitel.

Enthält Dinge nicht eben friedlicher Art.

Molly hatte kaum ihren gewöhnlichen schlechten Anzug angelegt, als ihre Schwestern sich heftig über sie äußerten und besonders die älteste erklärte, es sei ihr schon recht geschehen. Warum habe sie sich angemaßt ein Kleid zu tragen, das das junge Fräulein Western der Mutter gegeben? »Wenn das Eine von uns tragen soll,« sagte sie, »so habe ich doch das größte Recht dazu; aber ich weiß, Du denkst, es gehöre Deiner Schönheit. Ich glaube, Du hältst Dich für hübscher als uns alle.« – »Gieb ihr doch das Stückchen Spiegel dort,« rief die andere; »ich würde doch erst das Blut aus dem Gesichte waschen, ehe ich von meiner Schönheit redete.« – »Du hättest besser gethan, wenn Du das beachtet hättest, was der Pfarrer sagt,« fiel die älteste ein, »als daß Du auf Männergeschwätz hörtest.« – 173 »Ja, Kind, das hat sie gethan,« sprach die Mutter schluchzend; »sie hat uns alle in Schande gebracht. Sie ist die Schlechteste in der Familie.« – »Du solltest mich darum nicht schelten, Mutter,« antwortete Molly, »Du kamst ja selbst mit der Schwester da eine Woche nach Deiner Hochzeit nieder.« – »Ja, Du Nickel,« entgegnete die erzürnte Mutter, »und war dies ein so großes Verbrechen? Ich war damals eine ehrbare Frau; würdest Du auch eine ehrbare Frau werden, so wollte ich nicht böse sein; aber Du mußtest es mit einem vornehmen Herrn zu thun haben, Du Nickel; Du wirst ein Hurkind in die Welt setzen und das sage einmal Jemand von mir!«

So fand der schwarze Georg seine Familie, als er nach Hause zurückkam. Da seine Frau und drei Töchter zu gleicher Zeit sprachen und ziemlich laut, so verging einige Zeit, ehe er eine Gelegenheit fand, sich hörbar zu machen; sobald aber eine Pause eintrat, theilte er der Gesellschaft mit, was Sophie ihm gesagt hatte.

Mutter Seagrim fing darauf von neuem an, ihre Tochter zu schelten. »Nun,« sagte sie, »da hast Du uns in eine schöne Verlegenheit gebracht. Was wird das Fräulein von dem dicken Leibe da sagen? Ach daß ich das erleben mußte!

Molly antwortete muthig und unverzagt: »und was ist denn das für eine gewaltige Stelle, die Du für mich erhalten hast, Vater?« (Sie wußte nicht, was Sophie mit den Worten sagen wollte, »um ihre Person.«) »Ich soll wohl der Köchin an die Hand gehen, aber ich werde für Niemanden aufwaschen. Mein Geliebter wird anders für mich sorgen. Seht da, was er mir heute gegeben hat. Er versprach mir, es solle mir nie an Geld fehlen, und Dir auch nicht, Mutter, wenn Du still sein willst.« Dabei zog sie einige Guineen hervor und gab der Mutter eine davon.

174 Die gute Frau fühlte kaum das Gold in der Hand, als ihr Zorn sich besänftigte, so groß ist die Wirkung dieser Panacee. »Nun, Mann,« sagte sie, »nur ein Esel wie Du kann nicht fragen, was für ein Posten es ist, ehe er ihn annimmt. Es kann in der Küche sein, wie Molly sagt, und meine Tochter soll kein Küchenmensch werden, so arm ich auch bin, denn ich bin von gutem Stande. Wenn ich mir auch, als mein Vater, ein Geistlicher, starb und ich keinen Pfennig zur Mitgift erhalten konnte, etwas vergeben und einen armen Mann heirathen mußte, so vergesse man doch nicht, daß ich über allen solchen Dingen stehe. Das Fräulein Western möge doch ja bedenken, wer ihr Großvater war. Manche aus meiner Familie fuhren in der Kutsche, wenn die Großväter mancher Leute zu Fuße gingen. Ich glaube, sie meint wunder wie viel gethan zu haben, als sie uns das alte Kleid schickte; manche aus meiner Familie würden solche Lumpen nicht von der Straße aufgehoben haben; aber arme Leute werden immer gedrückt. Das Kirchspiel hätte nicht nöthig gehabt, solchen Lärm wegen der Molly zu machen. Du hättest den Leuten sagen sollen, Kind, Deine Großmutter habe Besseres neu aus dem Laden getragen.«

»Alles gut,« fiel Georg ein, »aber bedenkt, welche Antwort soll ich dem Fräulein geben?« – »Ich weiß nicht, was wir antworten sollen,« sagte sie;»Du bringst Deine Familie immer in Noth und Verlegenheit. Denkst Du noch daran, wie Du das Rebhuhn geschossen hast, was alles unser Unglück veranlaßte? Rieth ich Dir nicht immer, das Revier des Squire Western nicht zu betreten? Habe ich Dir nicht viele Jahre vorher gesagt, was die Folge davon sein würde? Aber Du willst immer Deinen eigenen Weg gehen, schlechter Mann.«

Der schwarze Georg war eigentlich ein friedfertiger 175 Mann, keineswegs übereilt und cholerisch; aber er hatte etwas Jähzorniges an sich, das seine Frau hätte fürchten sollen. Er kannte es lange aus Erfahrung, daß, wenn der Sturm sehr heftig ist, Gründe eben auch nur Wind sind, der ihn eher steigere als mindere. Er hatte deshalb meist immer eine Ruthe in der Hand, ein Mittel von wunderbarer Kraft, wie er oft erfahren, und dessen Anwendung durch den Ausdruck »schlechter Mann« angezeigt wurde.

Er griff auch, sobald jenes Symptom sich gezeigt hatte, ohne Umstände zu dem erwähnten Mittel, das zwar (wie es bei jeder starken Medizin der Fall ist) im Anfange die Krankheit zu steigern und zu verschlimmern schien, bald aber eine völlige Beruhigung bewirkte.

Es ist freilich eine Pferdecur, welche nur von einer sehr starken Constitution vertragen wird und sich deshalb blos für die gemeinen Leute eignet, ausgenommen in einem einzigen Falle, wenn z. B. bessere Herkunft sich geltend machen will. In diesem Falle dürfte es unserer Meinung nach von jedem Manne mit Erfolg angewendet werden, wäre eben diese Anwendung selbst nicht so gemein, daß sie die Hand, welche sich damit befaßt, tief erniedriget und entehrt.

Die ganze Familie war bald wieder zu vollkommener Ruhe gelangt, denn die Wirksamkeit dieser Medicin wird oft, wie die Electricität, durch eine Person auch vielen andern mitgetheilt, welche das Instrument selbst nicht berührt. Ueberhaupt wäre es möglich, da beide durch Friction wirken, daß sie etwas mit einander gemein hätten.

Es wurde darauf Rath gehalten und nach vielen Debatten beschlossen, da Molly sich fortwährend sträubte, in Dienst zu gehen, Frau Seagrim solle selbst zu Fräulein Western gehen und sich bemühen, die Stelle ihrer ältesten 176 Tochter zu verschaffen, die sich zur Annahme bereit erklärte; das Glück aber, das dieser kleinen Familie sehr feindlich gesinnt gewesen zu sein scheint, verhinderte später ihren Eintritt in diesen Posten.


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