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3.

Mit der fortschreitenden Saison entwickelte sich auch das gesellschaftliche Leben in den Salons Frau Bettina Wittelsbachs. Nicht, daß sie das Prinzip der »offenen Tür« in ihrem Hause einführte. Die schöne Frau, welcher ihr Gatte Verbindungen mit den ersten Häusern hinterlassen hatte, hielt sehr auf eine erlesene Auswahl, und die kleinen, vornehmen und doch künstlerisch bewegten Abende, die sie mit nie trügendem Geschmack zu arrangieren verstand, erfreuten sich in der weltkundigen Gesellschaft bald eines Rufes, daß es für eine besondere Bevorzugung galt, hinzugezogen zu werden. In wenigen Monaten hatte die zielbewußte und starkgeistige Frau erreicht, wozu andere eines Einlebens von Jahren bedurften: ihr Salon bildete einen Machtfaktor. Nicht offenkundig, nicht vor den Augen der Welt; noch weniger aber insgeheim. Die Herren und Damen, die sich an jedem Mittwoch abend bei ihr zu versammeln pflegten, gehörten durchweg Kreisen an, die eine gewisse Bedeutung in sich schlossen: maßgebende Staatsbeamte, hohe Offiziere, Künstler von Einfluß, alle mit ihren Damen, deren Beziehungen wiederum weit durch die Salons der Hauptstadt reichten. Handelte es sich darum, einen Wunsch, eine Persönlichkeit an die Öffentlichkeit zu bringen, so spannen sich die Fäden der Protektion von hier aus bald nach allen Seiten.

Es war nicht allein Frau Bettinas reizvolle Art, jeden Menschen einzeln seiner Individualität gemäß zu behandeln und in jedem den Glauben zu erwecken, daß er vor allen die besondere Sympathie der Hausfrau genösse, was der vielvermögenden Frau so schnell die Ausnahmestellung schaffte. Unter den Näherstehenden war es ein stilles Geheimnis, daß sich ein hoher Herr aus der Seitenlinie eines regierenden Hauses stark um die Gunst der jungen, reichen Witwe bewerbe und lediglich deshalb in diesem Winter fern von Berlin und in der langweiligen mitteldeutschen Residenzstadt weile, um den Chef des Hauses seinen Heiratsplänen zugängig zu machen. Hatte doch der Prinz, der sich gelegentlich der Frühjahrsrennen der damals ins Leben zurückkehrenden Dame hatte vorstellen lassen, ihretwegen sogar an der Nordlandsfahrt teilgenommen und nur deshalb während der Reise ein mehr zurückhaltendes Wesen zur Schau getragen, um die Dame nicht in vorzeitiges Gerede zu bringen und dadurch die Chancen einer Verbindung mit Frau Bettina zu erschweren.

Man hielt in den Kreisen um Frau Bettina mit großem Zartgefühl darauf, daß dieser Gegenstand nicht mit Worten erwähnt wurde. Einerseits geschah es aus dem natürlichen gesellschaftlichen Takt, andererseits aber stand die Person des in Frage Kommenden immerhin so hoch, daß man sich die für später sicher nützlichen Verbindungen nicht leichtfertig verscherzen wollte.

Hans Steinherr war wohl der einzige, dem von dem stillen Geheimnis nichts bekannt war und auch nichts bekannt wurde. Er trat den einzelnen des Kreises nicht sonderlich näher, beschäftigte sich fast ausnahmslos mit der Dame des Hauses und galt bald als das Protektionskind, als ein junger, talentvoller Dichter, dem man sich bemühte, durch freiwillige Herolddienste die Wege zu ebnen. Den Austausch eines wärmeren Blickes zwischen ihm und Frau Bettina hätte man vergeblich zu erspähen versucht. Nur auf dem Nachhausewege pflegten zuweilen einige der Herrschaften ihre Gedanken über die Beziehungen zwischen Steinherr und der Dame des Hauses laut werden zu lassen. Dann zerbrach man sich den Kopf, ob dem Verhältnis wirklich das Rückgrat einer Liebschaft anhafte, oder ob die kluge und ehrgeizige Frau es nur inszeniere, um, wie sich ein diplomatisch geschulter Geheimer Rat ausdrückte, »Hoheit scharf zu machen«.

Eines stand jedenfalls fest: Frau Bettina hatte der Person Hans Steinherrs ein Relief gegeben, das bald über die Grenzen des gesellschaftlichen Lebens hinaus seinen Wert erhielt.

An den Abenden, die in ihrem Heim den Künsten gewidmet waren, bedrängte sie ihn, seine starken, leidenschaftlichen Poesien vorzulesen, und ihr äußerlich vornehm heiteres, innerlich drängendes, begehrendes Wesen fand einen verfeinerten Genuß darin, vor aller Augen und Ohren Verse zu hören, die ebensoviele Liebesbeteuerungen und Liebesschilderungen enthielten, die einzig und allein sie angingen und die sie inmitten des buntesten geselligen Treibens all die Stunden heimlichen Glückes noch einmal durchschwelgen ließen. Sie lächelte unmerklich, wenn ein spontaner Beifall sich über den Dichter ergoß, wenn Steinherr, nur für sie erkenntlich, sich und die Situation ironisierend, eine Sekunde lang den Blick auf sie heftete.

Aber Frau Bettina blieb hierbei nicht stehen. Durch Schmeicheln, Trotzen und Befehlen veranlaßte sie den Geliebten, die Gedichte in den ausschlaggebenden modernen Zeitschriften zu publizieren, und da ihr Namen von Bedeutung zur Seite standen, so war es ihr ein leichtes, ihren Wünschen bald die Erfüllung folgen zu sehen.

Als die Saison im Februar ihren Höhepunkt erreicht hatte, war der Name Hans Steinherr unter den literarischen Feinschmeckern bekannt wie in den unzähligen Salons, die sich in Berlin zu den Treffpunkten der oberen Zehntausend rechnen, weil Neugier und Nachahmungssucht das Tun und Lassen der wirklichen Oberen hier zu beklatschen pflegt, als stände man mit den so hoch interessanten Vorbildern familiär auf du und du.

Hans Steinherr war eine der plötzlich aufschießenden Saisongrößen geworden und wußte selbst nicht, wie er zu der Ehre kam. Wenn er an der Seite Frau Bettinas, die durch ihre blendende Erscheinung und nicht weniger durch ihre aparten, geschmackvollen Toiletten stets die allgemeine Aufmerksamkeit auf sich zog, zu den Premieren in der Theaterloge erschien, erregte er den Hauptteil des Interesses. Dann sprach man in Logen und Parkett über seine Persönlichkeit, die berufen war, dieser Dame de grande tenue als bevorzugter Kavalier zu dienen, und der Neid schuf ihm ein noch größeres Renommee als die Freundschaft.

»Wer ist denn dieser Günstling der schönen Wittelsbacherin?«

»Aber, gnädige Frau, das ist doch Hans Steinherr!«

»Hans Steinherr? Also von der Kunst, weil Sie den Vornamen nennen.«

»Meine Gnädige: Hans Steinherr, der bedeutende und eigenartige Lyriker! Treiben Sie denn nicht die neueste Literatur? Allerverehrteste, wie können Sie nur so unmodern werden!«

So wurde Hans Steinherr der »bedeutende und eigenartige« Lyriker, und hatte kaum ein Dutzend Gedichte veröffentlicht, die er nicht einmal für die Öffentlichkeit niedergeschrieben hatte. Man gab ihm einen Ruf, damit es umso interessanter würde, über seinen Ruf Andeutungen mit kleinen Pointen loszulassen. Irgend ein Dutzendmensch hätte sich nicht gelohnt.

Über Hans Steinherrs Seele gingen die Wandlungen, welche die Außenwelt mit ihm vornahm, spurlos hinweg. Es war dasselbe Fluten und Ebben in ihm, derselbe Wechsel von Rausch, Ernüchterung und neuem Rausch; alles wie seit dem ersten Tag in Frau Bettinas Haus. Nicht um eine Spanne war die Klärung fortgeschritten. Wenn er mit Ungestüm darauf drang, zog sie sich zornig von ihm zurück und schalt ihn einen Alltagsmenschen, eine poesielose Natur, einen Undankbaren, der nicht wert sei, mit ihr ein so wunderbar anregendes Geheimnis zu teilen, und durch seine prosaische Verständnislosigkeit den kleinsten Stimmungszauber verderben müsse. Wurde er kalt und zurückhaltend, so überschüttete sie ihn unvermutet mit einer so stürmischen Flut von Liebkosungen, daß er sein Blut sausen fühlte und nach innerlicher Gegenwehr plötzlich die Reserviertheit aufgab und ihre Küsse erwiderte, wie sie gegeben wurden.

Sonnenschein und Sturm, Sturm und Sonnenschein.

Er war in einen Kreislauf geraten, aus dem er sich nicht mehr herausfand.

Packte ihn in nüchternen Stunden die Scham, wie eine Drohne zu leben und sein Dasein arbeitslos und daher zwecklos zu vergeuden, faßte er den Entschluß, diesem für seinen Lebensstolz unhaltbaren Zustand ein Ende zu machen, selbst auf die Gefahr eines gänzlichen Bruches hin, so wandelte schon der nächste Abend ihn wieder zum modernen Tannhäuser, der außer den Augen der liebsten Frau nichts will und nichts weiß.

Was ihm jeden tatkräftigen Gedanken erschwerte, war das unausgesprochene Bewußtsein, daß neben der wilden Zuneigung die Eitelkeit des Mannes in ihm wachgerufen war. Die Eitelkeit des Mannes, die weniger Schmerz um eine verlorene Liebe als um die sichtbaren Zeichen einer Niederlage empfindet. Die Vorstellung, Bettina an der Seite eines anderen zu sehen, während er unbeachtet abseits zu stehen habe, zu wissen, daß sie einem anderen die Zärtlichkeiten gebe, die sie ihm gegeben hatte, ließ ihn in wortlosem Grimm die Nägel in die Handflächen graben.

Dieses endlose Hin- und Herzerren, dieses immer sich wiederholende Kapitulieren vor dem Ziele machte ihn launisch und reizbar. Er war nicht der Mann des ewigen, verborgenen Brautlebens, er hatte ein Ruhebedürfnis, und nicht zuletzt ein Bedürfnis nach der Ruhe des Besitzes.

Und dennoch: wenn er wieder einmal eine der immer seltener werdenden Stunden verlebt hatte, in denen sie im engen Beisammensein allen Sonnenschein über ihn ergossen hatte, wenn er sie vor sich sah in dem weich herniederfallenden Hausgewand, das in dem schlanken Ausschnitt die weißen Schultern freigab, dann unterlag auch er dem Zauber, den gerade die Verschwiegenheit ihrer Liebe so außergewöhnlich prägte, und er schmiegte knabenhaft, ein selig Träumender, sein Gesicht dicht neben das ihre auf den Pfühl des Diwans, während er vor ihr kniete und seine Arme sie umfaßt hielten.

Seit kurzem häuften sich diese stillen, schönen Stunden. Es war, als ob auch Bettina etwas Schmerzliches in der Art ihrer Liebe empfände, als ob sie plötzlich zu der Erkenntnis seines unduldsamen Leidens gekommen wäre und sich nun bemühte, durch eine fortlaufende Reihe ungetrübter Tage viele voraufgegangenen Launen wieder gut zu machen. Mitten im Gespräch konnte sie verstummen, sein Gesicht in ihre beiden Hände nehmen und ihm lange, mit verschleiertem Blick, in die Augen schauen. Die Weichheit ihres Wesens nahm zeitweilig einen Charakter an, daß ihn erschreckte, was ihn sonst mit Freude erfüllt haben würde.

An einem Abend, an dem er die an ihr so ungewohnte Erscheinung stärker als je empfand, fragte er sie.

»Was hast du, liebste Frau? Dich quält etwas. So verbirg es mir doch nicht.«

Und sie sagte kopfschüttelnd und ihm leise über das Haar fahrend: »Es ist nichts. Und wenn auch. Wir wollen uns in den kurzen Stunden doch nicht mit Grillen plagen.«

»Du bist eine andere geworden, Bettina – –«

»Hast du dich nicht auch verändert – –?«

»Ich –? Nenn mir meine Fehler, und ich will sie dir zuliebe ablegen.«

»Hans«, sagte sie nachdenklich und legte die flache Hand auf die Stirn, »wann hast du mir das letzte Gedicht gebracht?«

»Ich wußte nicht, daß dir noch daran gelegen war«, entgegnete er ernst.

»Hab' ich dir wirklich Anlaß zu solchen Vermutungen gegeben?«

»Ja«, sagte er. »Du schicktest, was ich schrieb, in die Öffentlichkeit, bevor du es noch recht gelesen hattest. Und das Beste, was zwischen den Zeilen geschrieben stand, hättest nur du empfinden können. Aber dir lag an dem Druck mehr als an der Schrift; mir an deinen Augen mehr als an denen des Publikums. Da streckte ich die Wehr.«

»Und nie, nie wieder hast du das Gefühl gehabt: du mußt jetzt für Bettina dichten?«

»Doch. – In den letzten Tagen. – Seitdem du so – so verändert wurdest.«

»Hans«, sagte sie und streckte ihm die Hände entgegen, »komm, Hans. Wie damals, als es anfing. Hier auf dem Diwan lag ich, und da knietest du – siehst du, ich habe alles behalten – und du lasest mir eine Jugendbeichte von einer Liebe am Niederrhein, und wie du sie erst ganz überwunden hättest durch mich. War das ein Abend! – – – Komm, ich sitze wieder hier, und du lehnst deinen Kopf gegen meine Kniee. Und nun lies. Es soll nur für mich sein.«

Und er las, mit stiller, schwerer Stimme.

»Wenn der weißen, stolzen Schultern Bogen
Wie des Marmors Schneekristalle flimmern,
Deiner Brust geheimnisvolle Wogen
Wie von Mondschein übergossen schimmern;

Wenn ich dich, die mir entgegenleuchtet,
Mit gebenedeiten Händen streichle,
Und dein Auge sich vor Liebe feuchtet,
Wenn ich wie ein Knabe stumm dir schmeichle –

Weißt du, Liebste, was ich schauernd fühle
Bei dem selbstvergessenen Umschlingen,
Wang' an Wange auf demselben Pfühle?
– Sieh, die Seelen wollen sich durchdringen!

Wollen sich durchdringen und vereinen,
Wollen unauflöslich sich verketten,
Wollen uns, wenn unsre Augen weinen
Fern der Heimat, unsern Frieden retten.

Wo ich geh', nun trag ich deine Seele;
Wo du bleibst, dich tröstet meine heiter:
Glaub' es nicht, daß dir die Liebe fehle;
Ich bin bei dir, fürchte dich nicht weiter. – – –

Heil'ge Stille … Dann, mit beiden Händen,
Greifst du meinen Kopf und starrst mit weiten
Augen auf mich, die ein Wunder spenden;
Und voll Inbrunst und voll Seligkeiten,

Bleich vor Wonne flüsterst du: Bedränger!
Zärtlichster und wildester der Knaben,
Press' mich fester, daß die Seelen länger
Süß und heimlich einst zu raunen haben …«

Er sah nicht auf. Er hatte das Gefühl, daß es jetzt an ihr sei, zu sprechen; irgend etwas hinreißend Liebes zu sagen, das all die vielfachen kleinen Dissonanzen, die sich in die Melodie ihres Verkehrs eingeschlichen hatten, in einem lange nachzitternden Vollton vergessen machen würde. Aber es blieb Stille, ein lastendes Schweigen.

Müde hob er den Kopf. Da fielen brennend heiße Tropfen auf seine Stirn.

»Bettina!« rief er, sprang auf und faßte sie an den Schultern. »Bettina, was geht in dir vor? So kenn' ich dich ja gar nicht. Du weinst? Herr Gott im Himmel, du kannst weinen? Liebste, Liebste, dann ist ja alles gut.«

Ihr Mund verzog sich krampfhaft, aber sie konnte den hervorschießenden Tränen keinen Einhalt tun. Sie streifte seine Hände herab und wanderte im Zimmer umher, bis sie ihre Haltung wiedergefunden hatte.

»Mach doch nicht solch ein Wesen daraus. Ich bin nur nervös. Ich bin gar nicht so tief, wie deine Dichterseele sich jetzt wieder einbildet. Gemütsbewegungen! Das ist doch zum lachen. Ich bin in diesen Dingen tatsächlich so oberflächlich, wie du es schon zu wiederholten Malen mir vorgehalten hast. Die echte und rechte mondäne Frau. Daran läßt sich nichts ändern, das liegt in einem. Nur deine rheinische Art macht mich immer wieder fassungslos. Das wühlt auf und lullt ein, bis man vor Sehnsucht nicht mehr aus noch ein weiß und jede Dummheit begehen möchte.«

»Du sprichst mir so oft von den – Dummheiten. Eine Frau wie du sollte den Mut besitzen, sich klarer auszudrücken.«

»O, ich – – da siehst du's ja, wie recht du hast – ich bin eine ganz oberflächliche Natur.«

»Wenn ich nicht besser wüßte, was in dir steckte, würde ich dich nach dem ersten Tage zu den Toten gelegt haben.«

»Hans!« rief sie. Alle Unruhe war zurückgekehrt. Durch ihren Körper flog es wie Angstschauer. Er hatte sie noch nie in solcher Aufregung gesehen.

»Du, du, ich hab' ja eine Sehnsucht, eine ganz tolle, unbezwingbare Sehnsucht. Wie soll das nur werden? Seid ihr denn alle so an eurem Rhein? Ich habe gedacht, da leben nur frohe, leichtsinnige Menschenkinder. Ähnlich wie ich. Oder seid ihr vom Niederrhein so ganz anders? Ihr mit dem harten westfälischen Schädel und dem heißen rheinischen Blut, ihr unauskennbaren Grenzlerleut'!«

»Du solltest mich noch nicht auskennen, Bettina?«

»Nein, schweigen sollst du, nicht reden. Ich weiß es ja, daß ich rettungslos verliebt in dich bin. Aber wie weit du in mich – ob auch rettungslos – das – das weiß ich nicht. Und deshalb fürcht' ich mich vor der Probe.«

»So stell' mich doch auf die Probe. Denk dir doch mal was ganz Unerhörtes aus.«

Sie blickte ihm starr in die Augen, als ob er ihre Gedanken erraten hätte und sie sich vor der nächsten Sekunde fürchtete. Aber seine scharf gewordenen Züge zeigten keinen Sarkasmus, nur eine sich nähernde, mitleidsvolle Liebe.

Das konnte sie nicht ertragen. In diesem Augenblick nicht. Ein Schluchzen schüttelte ihren Körper, und sie ließ die Tränen strömen, wie sie wollten. Sie hatte jede Gewalt über sich verloren.

»Ich kann ja nicht leben ohne dich. Was soll denn nur werden?«

Er zog sie sacht wie ein krankes Kind auf seinen Schoß und streichelte ihre schönen Arme.

»Glück soll daraus werden. Glück, nichts als Glück. Ein seliger Mann und eine selige Frau.«

»O du arme Dichterseele, wie werde ich dich enttäuschen.«

»Dann werde ich meine Lieder zu dir reden lassen; von alten Zeiten, von stolzen Menschen, von verschwiegenen Stunden, die uns mehr waren als Jahre. Und die Erinnerungen werden so mächtig werden, daß sie eine Fortsetzung fordern.«

»Du – Hans«, sagte sie hastig.

»Ich höre«

»Du sollst mir eins versprechen.«

»Ich verspreche dir heute alles.«

»Du sollst mich nicht mehr andichten. Jetzt nicht, die nächsten Tage nicht. Ich ertrag' es jetzt nicht, so – so deine Seele zwischen den Fingern zu halten in ihrer beispiellosen Offenheit. – So blicke mich doch nicht so ironisch an. Du kannst mich ja gar nicht verstehen. Gerade weil ich deine Seele nun besser kenne als du, und weil ich dir gerade in diesem Punkte nicht oberflächlich erscheinen will. Weil ich erst – – Ach nein, später, später. Du mußt jetzt gehen. Nimm deinen Mantel und Hut. Wie kalt es ist; fühlst du es nicht auch? Gute Nacht, Liebster …«

Er berührte ihre Lippen nur ganz sanft und ging.

An der Tür drehte er sich um. »Ich werde morgen abend bei dir sein. Bestimme nur die Stunde. Zur Teezeit, um sieben?«

»Morgen? Nein, morgen komme nicht!«

»Aber weshalb morgen nicht? Ich muß mich doch nach meinem Patienten umsehen.«

»Ich erwarte morgen Besuch.«

»Und wenn schon. Der soll mich doch nicht hindern, du nervöses Geschöpf.«

»Wenn ich dich aber bitte. Der Besuch würde dich nur – nur – langweilen. Das will ich nicht. Komme übermorgen, Mittwoch, aber eine Stunde früher als die Mittwochsgäste. Um sechs; willst du?«

Er sah sie lächelnd an, nickte ihr zu und ließ sie allein.

Auf dem Wege nach seiner Wohnung befiel ihn eine unerklärliche Unruhe. Aber er redete sie sich aus. Wenn ihr etwas zustieße, morgen, während er nicht zugegen wäre? Nun, er würde der erste sein, den sie rufen lassen würde. Sie konnte ja doch nicht ohne ihn sein. Soeben erst hatte er es von ihrem leidenschaftlichen Munde vernommen.

Ein überhebendes Gefühl wallte in ihm auf, und wieder reckte und streckte sich die männliche Eitelkeit in ihm weit über die selbstlose Liebe hinaus und ließ ihn sich nur als lächelnden Gebieter dieser vielgefeierten Frauenschönheit sehen. Aber als er in der Frühe erwachte, war auch die Unruhe wieder erwacht und gab ihn nicht mehr frei und ließ ihn alle Handlungen mechanisch verrichten.

Auch Frau Bettina fand, als der Morgen graute, keinen Schlummer mehr. Ziel- und zwecklos durchwanderte sie im Frisiermantel alle Räume der Wohnung, blieb an den Fenstern stehen, blickte in den trüben Tag hinaus, gab der Jungfer Aufträge, die sie sofort widerrief, und kehrte immer wieder in den Salon zurück, um gedankenlos das Zifferblatt der Bronzeuhr zu betrachten. Stellte sich wirklich ein Gedanke ein, so dachte sie ihn nicht zu Ende, sondern eilte schnell in das nächstgelegene Zimmer, um sich von irgend einem anderen Gegenstand abziehen zu lassen.

Endlich gegen Mittag, brachte ihr das Mädchen eine Depesche.

Sie nahm den Papierstreifen entgegen, dankte kurz und legte ihn neben sich auf den Tisch. Erst als sie sich wieder allein befand, griff sie danach und drehte das Blatt in den Händen umher. Dann erhob sie sich plötzlich, warf den Kopf zurück, als ob sie das letzte schwache Zaudern ein für allemal abweisen wolle, vergewisserte sich durch einen klaren Umblick, daß sie ganz und gar Herrin der Situation sei, und entfernte ruhig die Siegelmarke von der Depesche.

Sie schlug das Blatt auseinander und las:

»Reise soeben ab. Gestatten Sie mir, Ihnen um sechs Uhr meine Aufwartung zu machen. Ich küsse Ihre Hände. Georg.«

Ruhig faltete sie das Papier wieder zusammen und legte es auf eine Schale. Dann klingelte sie.

»Sie können das Frühstück bringen, Anna. Ich werde heute nicht dinieren.«

Sie trank in kleinen Zügen ein Glas Sherry aus und wählte in den Speisen herum, ohne viel zu genießen. Trotzdem saß sie über eine Stunde zu Tisch. Als auf ihr Klingelzeichen das Mädchen wieder erschienen war, fragte sie nach der Zeit.

»Es ist zwei Uhr, gnädige Frau. Befehlen gnädige Frau eine Toilette?«

»Zwei Uhr? Ja, da muß ich wohl daran denken, mich anzuziehen. Kommen Sie doch gleich mit.«

Während sie in ihrem Ankleidezimmer vor dem wandhohen Spiegel stand, kam es ihr in den Sinn, daß sie für Hans Steinherr nie einen großen Toilettenapparat hatte in Szene zu setzen brauchen. O, dem hätte sie in dem losen, weichen und bequemen Hauskleid immer am besten gefallen. Das war auch Hans Steinherr. Und der andere, der heute – endlich – sein Kommen gemeldet hatte – –

»Nein, Anna, was legen Sie mir nur heute vor! Das ist ja schon zwei-, dreimal getragen. Mädchen, seien Sie nicht so ungeschickt! Wo ist denn der Karton, der gestern gekommen ist? Ja, ja, das seegrüne Unterkleid und das Überkleid aus schwarzen Valenciennes mein' ich. ›Diese fürstliche Robe?‹ fragen Sie Unschuld? Endlich der erste vernünftige Ausdruck, den ich von Ihnen höre. Also – die fürstliche Robe.«

Sie lehnte sich in ihrem Frisiermantel in den Stuhl und blickte unverwandt in den Spiegel. »Lassen Sie sich Zeit. Sie sollen mich heute so schön machen, wie ich noch nie war.«

»O, gnädige Frau sind immer schön. Wenn gnädige Frau noch so kunstvoll frisiert sind, schöner können gnädige Frau darum nicht ausschauen.«

Als wenn Hans Steinherr spräche … Nur daß er für »gnädige Frau« einen etwas präziseren Ausdruck setzte.

»Erzählen Sie mir etwas, Anna!«

Und das Mädchen schwatzte drauf los, Geschichten von Bekannten und Unbekannten, und kam sich von Minute zu Minute wichtiger und interessanter vor, während Frau Bettina sie längst vergessen hatte. – – Bis das letzte Spitzenendchen mit kleinen Brillantnadeln über dem Seidenstoff befestigt war, hatte es fünf Uhr geschlagen.

Sie schickte das Mädchen fort, in der ganzen Zimmerflucht alle Flammen der elektrischen Kronen zu entzünden, und blieb selbst, ein Buch in der Hand, in ihrem Ankleidezimmer.

Punkt sechs Uhr klopfte das Mädchen. Sie sah dem erstaunten Gesicht an, daß es sich um eine außergewöhnliche Meldung handelte.

»Nun, Anna?« fragte sie lächelnd und nahm die ihr auf dem Tablett dargereichte Visitenkarte.

»Gnädige Frau, der Prinz von –«

»Es ist gut, Anna. Bitten Sie Hoheit, mich nur eine Sekunde zu entschuldigen. Ich würde sofort erscheinen.«

Noch einmal stellte sie sich vor den Wandspiegel, musterte ruhig ihre Gestalt und den Glanz ihrer Augen und ging mit der Sicherheit der Weltdame, um den Prinzen zu begrüßen.

Er stand mitten im Salon, im eleganten Frackanzug, den chapeau claque unter dem Arm, und eilte ihr, sobald sie die Portiere zurückschlug, entgegen.

»Meine schöne und liebenswürdige Freundin –«

Sie reichte ihm anmutsvoll die beringte Hand, die er wiederholt an die Lippen führte.

»Seien Sie mir herzlich willkommen, Hoheit. Was trieb Sie denn so plötzlich aus Ihrer Weltabgeschiedenheit her?«

»Die Sehnsucht, mich meiner gnädigen Frau zu Füßen zu legen.«

»Die Sehnsucht hat lange gebraucht, Hoheit, um zu diesem Entschluß zu kommen.«

»Man hatte ihr die Flügel zusammengeschnürt. Zürnen Sie ihr nicht. Ich war ein abhängiger Mann.«

»Sie waren? Soll ich das dahin verstehen, daß Sie es heute nicht mehr sind?«

»Die Entscheidung wird lediglich von Ihrer Güte abhängen, Bettina.«

Sie saß ihm gegenüber, frei und unbekümmert, und erwiderte seinen festen Blick lächelnd.

»Du lieber Gott, Hoheit, man appelliert so viel an meine Güte. Aber tragen Sie Ihr Anliegen vor.«

Der Prinz wurde für einen Moment unsicher. Er blickte auf die Spitzen seiner Lackschuhe und streichelte mit dem Rande seines Claques nervös die Bügelfalte seines Beinkleides.

Frau Bettina hatte Muße, ihn zu betrachten. Er war eine durchaus vornehme Erscheinung, ein Mann von glänzendster Haltung und großen Formen. Nur die melierten Schnurrbartspitzen und die leicht ergrauten Schläfen wiesen darauf hin, daß er die erste Jugend hinter sich hatte, aber seine fünfzig Lebensjahre hätte ein Fremder nicht erraten. Ein geschultes Auge konnte dem Kolorit des Gesichtes anmerken, daß seine Hoheit den Lebensgenüssen nicht aus dem Wege zu gehen pflegte. Eine leise Lebemannstönung zog sich darüber hin.

»Meine gütige Gnädige«, sagte der Prinz und schaute zu ihr auf, »ziehen Sie doch in Betracht, ich bin in meinem bäuerlichen Waldnest gänzlich außer Form gekommen.«

»Ach, Sie wollen ein Kompliment hören? Nein, nein, Hoheit, so wollen wir nicht beginnen.«

»Meine gnädige Frau, so gestatten Sie mir, ohne Umschweife auf mein Ziel loszusteuern. Über meine Gefühle befinden Sie sich nicht im unklaren. Ich hatte mir, als ich im Herbst schied, die Freiheit genommen, sie Ihnen zu gestehen, und unsere Korrespondenz konnte sie nur noch verstärken und vertiefen. Der Grund meines damaligen Scheidens ist Ihnen bekannt. Es galt, Hindernisse hinwegzuräumen und« – er lächelte auf eigene Weise – »dem hohen Chef unseres Hauses die Gelegenheit zu bieten, sich durch den Augenschein von der nunmehr erlangten Reife zur Ehe zu überzeugen.«

»So notwendig war das?« warf sie ein.

»Meine Jugend hat ein bißchen lange gedauert, ich gestehe es zu. Dadurch aber hoffe ich, mir die Anwartschaft auf einen besonders soliden Ehemann erworben zu haben.«

– Und bei Hans Steinherr, dachte sie bei seinen Worten, sollte die Jugend mit der Ehe wiederbeginnen und endlos sein. –

»Sie haben sich höchst ehrenvolle Vorsätze gestellt, Hoheit«, erwiderte sie in dem Ton, den er angeschlagen hatte.

»Eh bien, meine Gnädige, gegen die Ehe als Ding für sich hatte mein Herr Oheim auch durchaus nichts einzuwenden, das einzige Hindernis war –«

»Die erwählte Dame.«

»Keineswegs, meine gnädige Frau. Die Persönlichkeit der Dame stand über jeder Situation. Lediglich die Rangfrage – verzeihen Sie, daß ich das erwähnen muß, aber die Fragen der Etikette rangieren bei Hof zum wenigsten mit dem Glaubensbekenntnis in einer Linie.«

»Also als gläubig ward ich ohne jede Prüfung befunden?«

»Prüfungslos«, lachte er und küßte ihr die Hand. »Schon daß Sie mich schlimmen Christen bekehrt haben, gewann Ihnen die Gloriole der Heiligen.«

»Es scheint mir doch«, sagte sie leichthin, »als ob die Fragen der Etikette demnach vor den Fragen des Katechismus rangierten. Aber ich werde Sie nicht weiter unterbrechen. Entschuldigen Sie, Hoheit!«

Der Prinz überwand die verblüffende Ironie schnell. Es war ihm darum zu tun, zur Hauptsache zu kommen.

»Der hohe Chef unseres Hauses vermochte an der Aufrichtigkeit meiner Gefühle auf die Dauer nicht zu zweifeln, viel weniger noch an der Stabilität meiner Absichten. Er geruhte, einzulenken und mir den Konsens zu bewilligen. Freilich unter Auferlegung nicht zu umgehender Opfer. Ich habe auf die Berechtigung zur Regierungsnachfolge Verzicht geleistet – nun, für ein Jahrhundert war die Kandidatur ohnedies in sicheren Händen, und später wird's mir keinen Spaß mehr machen, – und ich werde à la suite der Armee gestellt. Den Drill hatte ich schon längst über, und ich werde in jeder Beziehung ein freier Mann. Am Tage unserer Ehe – ich bitte Sie um die Erlaubnis, Bettina, von uns in dieser Gemeinsamkeit zu reden – am Tage unserer Ehe wird uns im Anschluß an den Namen meiner Besitzung der Titel Graf und Gräfin Wallberg verliehen werden.«

Er erhob sich.

»Das wäre die Lösung der einen Seite der Frage. Die Lösung der anderen steht in Ihrer Hand.«

Auch Bettina hatte sich erhoben. Sie blickte einen Moment sinnend vor sich hin.

»Und man wird, Hoheit, mich nicht als lästigen Eindringling betrachten? Ich kann annehmen, daß man mir meine Stellung nicht zu einer exponierten gestaltet, daß es mir nicht an verwandtschaftlichem und freundschaftlichem Entgegenkommen seitens Ihrer Familienmitglieder fehlen wird? Das ›Nullerl‹ zu spielen, liegt nicht im Bereich meines Ehrgeizes.«

»Meine Brüder sind entzückt, Sie als Schwägerin zu sehen. Ihr Bild, das ich besitze, hat allein schon Wunder gewirkt. Meine Brüder Dick und Fredy suchen bei der schönen Herrin dieses Hauses und dieses Herzens um die Ehre nach, der Vermählungsfeierlichkeit beiwohnen zu dürfen, und senden jetzt schon ergebensten Handkuß mit der Versicherung blinder Anhänglichkeit. Gestatten Sie, daß ich mich meines Auftrages in vollem Umfange entledige!«

Er nahm mit ritterlicher Verbeugung ihre Hände und küßte die rechte und die linke.

»Georg«, sagte sie und zog sanft ihre Hände zurück, »halten Sie mich nicht für unzart. Aber bei einer so außergewöhnlichen Verbindung ist es direkt notwendig, den realen Dingen ins Auge zu sehen. Ich denke, wir sind über die Sentiments erhaben. Sie sehen in mir die schöne und liebenswerte Frau. Aber das dürfte nicht genügt haben, mir die Stellung an Ihrer Seite anzubieten. Sie sehen in mir auch die vollkommen unabhängige und mit den Schätzen dieser Welt einigermaßen gesegnete Frau.«

»Bettina!« warf der Prinz in verweisendem Tone ein.

»Es ist sehr liebenswürdig von Ihnen, das an die zweite Stelle zu schieben. Aber es ist ein Grund mehr für mich, es zu beachten. Das können und dürfen Sie nicht in Abrede stellen. Vorwürfe zwischen uns müssen von vornherein ausgeschlossen sein, jeder von uns wird dem anderen seine kleinen Liebhabereien nicht mißgönnen. Ihr Rennstall hat Sie viel gekostet, der Troubadourendienst« – sie lächelte vor sich hin – »kurz, sagen Sie mir ruhig die Höhe Ihrer Engagements.«

»Bettina! Ich bitte tausendmal um Verzeihung. Aber das – das ist mir nicht möglich.«

»Nein, nein, lieber Freund, jetzt kein übertriebenes Zartgefühl. Wir haben ernstere Dinge vor, als hier das verschämte Liebespaar zu spielen. Wir kennen uns beide, und wir wollen es miteinander wagen. Schaffen wir also sofort die richtige Grundlage. Das ist für lebenserfahrene Menschen wie wir das einzig Würdige.«

»Ich strecke vor Ihrer klaren Lebensauffassung die Waffen, Bettina.«

»Also?« neckte sie und reichte ihm ermutigend die Hand. »Ist es eine sechs- oder eine siebenstellige Zahl?«

»Rund eine siebenstellige«, sagte er mit einem schweren Seufzer, der humoristisch klingen sollte.

»Nun«, entgegnete sie mit einem frappierenden Gleichmut, »das wird sich immerhin arrangieren lassen. Über diesen Punkt brauchen wir also nicht mehr zu sprechen. Die Regelung können wir unseren Sachwaltern überlassen. Und wann gedachten Sie die Verlobung zu publizieren?«

»Pardon«, sagte er, legte den Hut hin und kam auf sie zu. »Gestatten Sie mir, daß ich mich zunächst in aller Form Rechtens meines Besitzes versichere.«

Sie stand regungslos, mit leicht vorgebeugtem Kopf, und er küßte sie respektvoll auf die Stirn.

Dann atmete sie tief auf. Es war geschehen. –

Nun stand sie auf der Höhe, und das Leben war ihr tributpflichtiger denn je. Nach der Sklavenrolle der ersten Ehe die Herrscherrolle der zweiten. Unumschränkte Freiheit, und die Gesellschaft ihr zu Füßen. Jetzt erst wollte sie das Leben erschöpfen, jetzt erst war sie ganz gerüstet, denn über ihr hing der Schild.

»Meine liebe Bettina«, sagte der Prinz feierlich, »ich huldige als erster der Gräfin Bettina Wallberg.«

»Ich danke dir, Georg. Die Gebieterin wird nicht allzu strenge sein.«

Er steckte ihr einen reich gefaßten Brillantring an die Hand, und sie ließ es sich lachend gefallen, daß er alle Ringe, die sie trug, abzog und anprobierte, bis er sich, für einen Rubin entschied.

»Das ist Herzblut«, erklärte er, »dein rotes, feuriges Herzblut.«

Sie schloß die Augen und dachte an ihr rotes, feuriges Herzblut – –

»Wie schön du bist. Ich habe weder in Paris, noch in Nizza eine wundervollere Toilette gesehen. Was brauchst du mich eigentlich? Du bist ja die geborene Prinzessin.«

Dann begann er, ihr seine Pläne zu entwerfen. Keine lange, offizielle Verlobung. Die Vermählung heute in vier Wochen. Nur so viel Zeit, um die notwendigen Reisevorbereitungen zu treffen. Dann eine mehrmonatliche Reise durch den Orient: Bukarest, Sofia, Konstantinopel, Alexandria, wohin und so weit sie wünsche. Seine intimen Beziehungen reichten an alle Höfe und Vizehöfe. Sie würden überall der glänzendsten Aufnahme gewiß sein können, und überall würde sie die Herzen besiegen.

Sie lauschte gern seinen weltmännischen Plaudereien. Eine schmeichelnde Vorahnung unzähliger Triumphe zog durch ihre Seele und gab ihr ein erhöhtes Selbstgefühl …

Leben, leben – auf den Höhen! – –

Draußen erscholl kurz und fest die Korridorklingel.

»Ah, wir werden gestört«, meinte der Prinz bedauernd und horchte auf.

Auch Bettina war zusammengeschreckt. Sie kannte diese Art des Klingelns.

»Ich bin für niemand daheim«, murmelte sie zornig. »Ich habe ihm doch untersagt – –« Aber das Mädchen hatte keinen dahinlautenden Befehl. Zumal bei Herrn Doktor Steinherr wußte sie, daß eine zeremonielle Anfrage, ob gnädige Frau den Besuch anzunehmen gedenke, außer Betracht stand.

Hans Steinherr wechselte auf dem Korridor ein paar Worte mit dem Mädchen, darauf öffnete dieses die Salontür nach leichtem Anklopfen und meldete gewohnheitsgemäß den täglichen Besucher: »Herr Doktor Steinherr, gnädige Frau.«

Frau Bettina blieb ruhig sitzen, und der Prinz verhielt sich nach ihrem Vorbild ebenfalls reserviert.

Hans Steinherr trat ein. Seine Augen blitzten in der Erwartung eines lachenden, überraschten Willkommens. Er hatte es einfach nicht mehr ausgehalten daheim, der vergangene Abend mit seiner verweinten Seligkeit und den rätselhaften, springenden Gefühlsstimmungen lastete ihm auf der Seele. Wenigstens sehen wollte er Bettina und ihr den Beweis liefern, daß er ihretwegen selbst die langweiligste Gesellschaft gern ertrüge.

Mit lässiger Handbewegung stellte Bettina vor.

»Herr Doktor Steinherr – Seine Hoheit Prinz Georg.«

Der Prinz machte eine höfliche Verbeugung und nahm seinen Platz wieder ein. Hans Steinherr stand noch immer. Vergaß man vor der hohen Ehre, einem Prinzen von Geblüt das Gastrecht zu erweisen, ihm, der sich als Herr der Gastgeberin dünkte, einen Stuhl anzubieten?

»Was führt Sie her, lieber Herr Doktor? Ein neuer literarischer Plan? – Ich bin nämlich die Egeria dieses großen Dichters und bilde mir nicht wenig darauf ein«, wandte sie sich lächelnd an den Prinzen. »Hoheit haben allen Grund, auf der Stelle eifersüchtig zu werden.«

Hans Steinherr trat einen Schritt näher. Mit festem, zwingendem Blick sah er Bettina an, und auf seiner bleichen Stirn trat eine schwere, dunkle Ader hervor.

»Ich bitte um Entschuldigung, Herr Doktor«, sagte die schöne Frau hastig, »daß ich Sie nicht zum Niedersitzen einlade. Aber ich mußte, so schwer es mir wurde und entgegen allem Gastrecht, Hoheit bereits meinen leidenden Zustand erklären und ihn bitten, seinen Besuch morgen zu meinem Mittwochabend zu wiederholen. In meinem Schlafzimmer wartet das Migräninpulver, meine Herren.«

Der Prinz verstand und erhob sich sofort. »Möge Ihnen eine angenehme Ruhe und ein heiteres Erwachen beschieden sein, meine Gnädige«, und er küßte ihr, abschiednehmend, die Hand, dicht unter dem Verlobungsring.

Sie bemerkte seine Galanterie und gab es ihm durch einen leisen Druck der Fingerspitzen zu verstehen.

»Gute Nacht, Herr Doktor, auf morgen also! Ich rechne bestimmt auf Sie. Weil Sie heute zu kurz gekommen sind, dürfen Sie morgen eine Stunde früher erscheinen.«

Hans Steinherr verbeugte sich kalt. Er war überhaupt nicht zum Reden zugelassen worden.

Auf der Straße zogen die Herren die Hüte. Der Prinz winkte eine Droschke heran und ließ sich zu einem Theater fahren. Für den Klub, in dem er einst Stammgast gewesen war, war es ihm noch zu früh. Hans Steinherr wanderte planlos weiter.

Was war das? dachte er immer wieder, was war das? Das war doch eine Komödie, eine ganz richtige Komödie! Oder – auch früher schon? – Wie? Was? – Er fühlte sich total überrumpelt. Er fand sich nicht zurecht. Wofür hatte sie sich so geschmückt. Das fiel ihm nachträglich ein. Dann versagte das Gehirn den Dienst, und es war ihm so sonderbar angenehm, nicht mehr denken zu können. Nur der frivole Heinesche Vers zog ihm kreuz und quer durch den Sinn, und er konnte ihn nicht abschütteln:

»Um sechse des Morgens ward er gehenkt,
Sie aber schon um achte
Trank roten Wein und lachte.«

*


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