Wilhelm von Humboldt
Wilhelm von Humboldt im Verkehr mit seinen Freunden
Wilhelm von Humboldt

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Der Selbstbildner des humanistischen Idealismus in der Epoche seiner Vollendung (1820–1829).

An Welcker.

6. November 1821.

... Ich habe also die ganze Arbeit von neuem aufgenommen, und aus allen Quellen, die ich mir habe verschaffen können, nunmehr etwa zwanzig Spezialgrammatiken zusammengetragen. Über mehr als höchstens dreißig amerikanische Sprachen besitzt man nicht so umständliche Nachrichten, als zu meinem Zweck erfordert wird, und somit bin ich von der Vollendung der Vorarbeiten nicht so sehr weit entfernt. Aus diesem denke ich nun eine allgemeine Abhandlung zu bilden, welche das Charakteristische des grammatischen Baues dieser Sprachen darstellen, prüfen soll, inwieweit sie unter sich übereinkommen oder abweichen, wie sie sich von den Sprachen des übrigen Erdballs unterscheiden und bestimmen, was davon bloß aus ihrem sonst gemeinsamen Charakter, daß sie von Nationen auf der ersten Kulturstufe gebildet sind, herfließen kann. Soviel ich jetzt sehen kann, wird sich zeigen, daß jene Sprachen noch gar nicht die Stufe grammatischer Bildung erlangt haben, daß sie das formale Denken zu befördern imstande sind, so reich sie auch an Ausdrücken und Formen für die Materie des Denkens, selbst wo sie geistige Gegenstände betrifft, sind. Auf der Stufe der Beförderung des formalen Denkens steht, wenn man die Sprachen rückwärts, von den gebildetsten zu den ursprünglichen hinauf durchgeht, erst das Sanskrit, aus dem auch alle grammatische Form der klassischen und unserer Sprachen herstammt. Aber zwischen dem Sanskrit und dem Griechischen scheint nun wieder eine Kluft zu liegen. Denn ich halte das Sanskrit nicht für den vollendeten Ideengebrauch fähig. Als das Zeichen und das Resultat von diesem sehe ich die ausgebildete Prosa an und ich glaube nicht, daß man diese über die Griechen zurück aufsuchen darf. Hier sehen Sie nun auch den Grund, der mich bewogen hat, mich so ernstlich mit dem Sanskrit zu beschäftigen, als ich seit einem Jahre tue. Ich habe jetzt ziemliche Fortschritte gemacht und mich überzeugt, daß, wer wahrhaft Sprachstudium auf eine zugleich gründliche und für den Geist interessante Art (nicht bloß um Schälle und Formen zu vergleichen), treiben will, des Sanskrits in nicht zu geringem Grade mächtig sein muß. Es ist in meiner Ansicht ein Zentrum, von dem man zurück auf die minder ausgebildeten Sprachen, um den Mechanismus der Sprache zu beurteilen, und vorwärts auf die höher ausgebildeten, um die Fähigkeit der Sprache zur Ideenentwicklung zu beurteilen, gehen kann.

... Was Sie in Ihrem Briefe über die mechanischen Erklärungsarten, vorzüglich bei der bildenden Kunst sagen, ist ungemein geistreich. Ich darf mir danach doppelt schmeicheln, daß Sie mit dem übereinstimmen werden, was darüber in der Ihnen neulich übersandten Abhandlung gesagt ist. Es ist ein Hauptfehler und der auch wohl anderwärts als bloß bei der Erklärung der Spracherfindung vorkommen mag, daß man den Anfangsepochen der Nationen gerade mechanische Erklärungen unterschiebt, als wären diese dem anpassend, was man Kindheit der Menschheit nennt. Gerade da aber ist das Mechanische am wenigsten vorhanden. Da, in der natürlichen Frische des Gemütes, wird immer ein Ganzes empfunden, und wenn auch mit rohen Zügen, ein Ganzes wieder darzustellen versucht. Das mechanische Verfahren findet sich auf der Mitte einer vorgerückten, aber nicht durchgedrungenen Bildung. Es ist nie reine und rohe Natur und wird an den Ort verwiesen, an den es hingehört, wenn die vollendete Bildung wieder Natur geworden ist. So einfach aber und begreiflich das ist, so hat man doch viel Mühe, damit durchzudringen. Die Leute schreien über Dunkelheit und Mystizismus und klagen, daß man da Wunder sucht, wo ihrer Meinung nach alles ganz natürlich vor sich geht. Sie denken gar nicht daran, daß sie von Wundern solcher Art umgeben sind, und daß das Hervorkommen jedes Blattes im Frühjahr kein geringeres ist. Indes scheint mir doch die jetzige Zeit nicht gerade so sehr an dieser Krankheit zu leiden als vielmehr an der, auffallende, bisher unerhörte Resultate aufstellen zu wollen und sie auf isolierte Tatsachen zu gründen, da doch gerade der jetzige Zustand der Wissenschaft und Literatur es beinahe unverzeihlich macht, nicht alles zusammenzunehmen, worauf sich eine Untersuchung gründen läßt. Dahin gehört besonders so vieler etymologischer Unfug.

... Ich befinde mich hier auf einem kleinen Gute, auf dem mein Bruder geboren ist, und wo wir beide unsere Kindheit und einen großen Teil unserer Jugend zugebracht haben. Für Berlin ist die Gegend hübsch, und ich habe den Ort lieb. Ich baue jetzt eben ein neues Haus hier, das vorzüglich den Zweck hat, unsere Marmor und Gipse zu stellen, doch nicht in einer Art Museum, wozu die Sammlung zu klein ist, sondern so, daß die Kunstsachen sich mit dem häuslichen Wesen verbinden. Schinkel und Rauch haben viel Güte für das Unternehmen, und so hoffe ich, soll es hübsch werden. Das Haus, das ursprünglich ein Jagdschloß des Großen Kurfürsten war, bekommt vier Türme und jeder von diesen zu Basreliefs zwei der Winde aus Athen. Für ein Landhaus scheint mir die Verzierung passend; in den Flur stelle ich die antike Brunneneinfassung, in welchem der heilige Calixtus ertränkt sein soll, zu der Wolf eine Inschrift gemacht hat. Ich erzähle Ihnen dies, weil Sie an allem, was uns angeht, fortdauernd so gütigen Anteil nehmen.

Leben Sie wohl. Mit herzlicher Hochachtung der Ihrige Humboldt.

An Charlotte Diede.

Burgörner, 3. Mai 1822

Ich habe Ihre beiden lieben Briefe vom 24. und 29. April empfangen und sage Ihnen, liebste Charlotte, auf der Stelle meinen herzlichen Dank. Sie haben mich recht sehr dadurch erfreut und ganz meinen Erwartungen entsprochen. Nie könnte ich irre an Ihnen werden oder den Glauben an die Ausdauer und die Treue Ihrer Gesinnungen und Empfindungen verlieren. Das sagte ich Ihnen schon neulich, und es ist nur natürlich. Wenn uns jemand eine so lange Reihe von Jahren, ohne irgendein Zeichen des Andenkens empfangen zu haben, die tiefen Empfindungen eines edeln und zarten Gemüts bewahrte, so wäre es wahrer und hoher Undank, daran ferner zu zweifeln. Es ist gewiß ein seltenes Glück für einen Mann, daß ihm ein weibliches Gemüt die ersten Empfindungen der jugendlichen Brust heilig und vertrauensvoll bewahrt, und ich bin mir bewußt, daß ich dies Glück, so wie es ist, würdige und schätze. Aber ich sage ohne Stolz, der mir wahrlich nicht eigen ist, allein auch ohne eine kindische Bescheidenheit, es kann auch Ihnen durch mich vieles kommen, was Ihr Leben bereichert, erheitert und verschönert. Wenn das Schicksal so etwas für zwei Menschen aufbewahrt hat, muß man es nicht hinwelken lassen, sondern erhalten und in Vereinigung bringen mit allen äußeren und inneren Verhältnissen, da auf diese Harmonie allein alle Zartheit der Gefühle und alle Ruhe der Seele gegründet sein kann. Weil nun kein persönlicher Umgang unter uns stattfinden kann, so wollen wir einen brieflichen beginnen und feststellen. Ich schreibe zwar nicht gern und klage mich zum voraus an; Sie werden sehr oft Nachsicht, Geduld und Großmut zu üben haben; aber ich lese sehr gern Briefe, besonders die Ihrigen, nicht nur, weil ich gern lese, was Sie schreiben, sondern noch mehr, weil mich Ihr äußeres und noch mehr Ihr inneres Leben in der innigsten Teilnahme interessiert. Sollte ich also einmal seltener schreiben, so lassen Sie sich das nicht hindern. Schreiben Sie mir immer den 15., so habe ich immer einen Tag, auf den ich mich freue. Wenn Sie mir in der Zwischenzeit schreiben, so ist das eine liebe Zugabe, die ich stets mit Dank empfangen werde.

Ihr Gartenleben und schon die Wahl desselben hat etwas, das mir ungemein gefällt. Es spricht Ihre Neigungen charakteristisch aus und vereint Einsamkeit und Annehmlichkeit. Die erste paßt zu Ihrem Charakter, Ihren Empfindungen und Ihrer Lage; die letzte erheitert und verschönert Ihr Leben. Es ist mir daher am liebsten, Sie so zu denken, zu denken, daß Sie nur selten in die Stadt kommen. Besuche, das fühle ich, können Sie nicht vermeiden, und es ist auch gut, in einigen Verbindungen zu bleiben, besonders da Sie mir sagen, daß diese Verbindungen meist bewährte alte Freunde sind.

Daß Sie am liebsten in Kassel leben, wo Ihre Jugend, wenn auch nicht immer schmerzlose, doch auch frohe und heitere Erinnerungen zurückließ, begreife ich ganz. Auch ist die Gegend schön, und eine größere Stadt bietet, wie Sie sehr richtig bemerken, vor allem andern Freiheit zu leben, wie es die Neigungen fordern, und daneben, ohne großen Aufwand, manche Genüsse, welche in kleinen Städten versagt sind. Ich billige also ganz Ihren Entschluß, dort ferner zu wohnen. Sorgen Sie aber vor allem in Ihrer ländlichen Wohnung für Ihre Gesundheit. Zu wenig sagen Sie mir darüber, und doch sind Ihre Ruhe, Ihre Gesundheit, Ihr Glück das, worauf es mir ankommt. In selbstsüchtigen Wünschen und Absichten habe ich mich Ihnen nicht wieder genähert, wenn ich auch einen Wunsch hege, den ich Ihnen nächstens aussprechen werde.

Burgörner, 1822.

Ich will Ihnen, beste Charlotte, heute einen Wunsch, eine Bitte aussprechen, durch deren Erfüllung Sie mir große Freude machen werden, die ich gewiß recht dankbar empfange. Ihre Lebensgeschichte, besonders auch die Entwicklung und seltene Ausbildung Ihres inneren Lebens, möchte ich gern im Zusammenhange übersehen und genau kennen. Dieser Wunsch ist schon durch Ihre früheren Briefe in mir erregt und entstanden und durch die jetzigen vermehrt. Schwer kann es Ihnen nicht werden, Sie haben sich eine große Fertigkeit im Schreiben erworben. Sie schreiben leicht, gewandt, geläufig, natürlich und ausgezeichnet gut. Die Sprache steht Ihnen ganz ungewöhnlich zu Gebote. Ich sage Ihnen da keine Schmeichelei; es ist die Wahrheit, die ich mit Überzeugung ausspreche und die sich in jedem Ihrer Briefe darlegt.

Wollen Sie in meine Wünsche eingehen, so tun Sie es auf folgende Weise. Fangen Sie mit Ihrem Geburtstag und Jahr an, in chronologischer Folge und in der größten Ausführlichkeit. Schreiben Sie aus dem Gedächtnis, auf was Sie sich besinnen, nicht aus der Phantasie. Gehen Sie zurück in Ihre Kindheit und Jugend, zurück auf Ihre Eltern und Großeltern, auf Ihre Vorfahren, wenn Sie davon Nachricht haben. Lieb wäre es mir, wenn Sie in dritter Person redeten. Geben Sie den Orten und Menschen, wenn Sie dahin kommen, auch mir, andere Namen, nur den Namen Charlotte behalten Sie. Ich habe das mit Goethe gemein, daß ich eine besondere Vorliebe für Ihren Namen habe. Aber reden Sie über sich vor allem wie über eine Dritte, loben und tadeln Sie sich, wo Sie ein anderer loben und tadeln würde. Was ich besorge, ist, daß Sie von schmerzlichen Erinnerungen ergriffen werden, da ich ja schon weiß, daß Sie viel gelitten haben. Allein vorerst sind Sie davon noch fern. Kindheit und Jugend sind meist heiter und froh und waren es gewiß auch bei Ihnen, und die Schilderung beider werde ich von Ihnen mit Freude empfangen. Sie schreiben nur für mich, und kein anderes Auge als das meinige ruht auf dem, was Sie für mich schreiben. Ich sehe Ihrem Entschluß und Ihrer Antwort mit Verlangen entgegen. Leben Sie herzlich wohl! Ihr H.

Burgörner, 1822.

Meine beiden Briefe werden Sie, liebe Charlotte, empfangen haben, ob sie gleich noch unbeantwortet sind. Beide hatten die Absicht, Sie über Ihre Bedenklichkeiten zu beruhigen. Ich hoffe, das ist mir gelungen, und ich wiederhole Ihnen heute zuerst, was Ihnen mein letzter Brief sagte, daß alles, was Sie mir aus Ihrem Leben und Ihrer Vergangenheit mitteilen, ganz durch Ihre Empfindungen bestimmt werden muß. Es soll ein Zurückgehen in die Vergangenheit sein mit dem, der den innigsten Teil an Ihnen nimmt, aber kein Aufreißen schmerzlich vernarbter Wunden; das mußte ich Ihnen zuerst sagen.

Recht herzlich danke ich Ihnen für die mir als Probe übersandten wenigen Bogen. Die Erzählung beginnt so ganz zu meiner Zufriedenheit, nur wünschte ich doch hier und da noch mehr Ausführlichkeit. Lassen Sie sich ja keine Furcht angehen, daß Sie zu weitläufig werden könnten, und denken Sie nicht, wie langsam Sie verweilen. Wir leben beide noch sehr lange, wenngleich Sie länger. Gerade die Schilderungen Ihres väterlichen Hauses, bestes Kind, haben ein großes Interesse für mich, und Sie haben wieder völlig wahr gemacht, was ich Ihnen immer sagte, daß Sie sehr gut schreiben, sehr wahr, hübsch und natürlich erzählen. Fahren Sie nur ebenso fort, und wenn es Ihnen manchmal beschwerlich wird oder Ihnen Zeit raubt, so denken Sie, daß Sie mir Freude damit machen. Es verlängert und erweitert gewissermaßen das Leben, wenn man so individuelle Schilderungen einer Zeit vor sich hat, die man an ganz andern Orten und in ganz andern Verhältnissen verlebte, und es gibt doch in der Welt nichts Interessanteres für den Menschen, als wieder der Mensch. Man kann eigentlich nie genug sehen und nie genug hören. Es entstehen selbst durch jedes neue Gesicht, möchte ich sagen, neue Ideen. Erhält man nun aber gar bestimmte, ins Einzelne gehende Schilderungen, so sind es neue Figuren, die sich vor der Seele bewegen, und mit denen man ebenso lebt wie in der Wirklichkeit. Dieser Hang, sich eigentlich an Menschengestalten zu ergötzen, in ihnen, wie unter Anwesenden zu leben, verträgt sich doch sehr gut mit dem entschiedensten Hange zur Einsamkeit. Sobald man mit Menschen umgehen muß, oder noch mehr, sobald man recht gern mit ihnen umgeht, befindet man sich selbst zu sehr in Tätigkeit, will sich auch wohl selbst geltend machen und wird von bloß reiner Beschauung abgezogen. Lebt man aber mit dem Hange zur Einsamkeit unter Menschen, was man von Zeit zu Zeit nicht vermeiden kann, so gehen sie mehr wie Figuren der Beschauung vor einem vorüber, man richtet seine Aufmerksamkeit ganz auf sie und nicht auf sich selbst. Wie man auf sie wirkt, wie man ihnen gefällt, bleibt einem sehr gleichgültig, wenn man sie nur in ihrer eigentlichen Natur sieht. Kehrt man dann in die wirkliche Einsamkeit zurück, so hat man viele Bilder um sich, und wenn man zu innerer Geistesbeschäftigung geneigt ist und aufgelegt, so entstehen aus den wirklichen Menschen idealische in der Phantasie, denen die wirklichen nur in den äußeren Umrissen zugrunde liegen. Alle moralischen Fragen, alle tieferen Betrachtungen über Leben und Zweck des Lebens, über Glück und Vollkommenheit, über Dasein und Zukunft gewinnen ein reicheres Interesse, erlauben mannigfaltigere Anwendungen, wenn man sie gleichsam an so vielen Menschengestalten einzeln prüfen kann. Denn in jedem, auch selbst unbedeutenden Menschen liegt im Grunde ein tieferer und edlerer, wenn der wirklich erscheinende nicht viel taugt, oder noch edlerer, wenn er in sich gut ist, verborgen. Man darf sich nur gewöhnen, die Menschen so zu studieren, und man kommt unvermerkt aus einem anscheinend alltäglichen Leben in eine ungleich höhere und tiefere Ansicht der Menschheit überhaupt. Es ist ja eigentlich das, worin das Gepräge jedes größeren Dichters liegt, diese Ansicht überall, und da er nur frei schaffen kann, ganz rein zu geben, oder vielmehr sie mitten aus aneinandergereihten, oft zufällig scheinenden Begebenheiten hervortreten zu lassen. Die Geschichte hat etwas Ähnliches. Das menschliche Wesen tritt auch schon reiner und größer in ihr hervor als in den tausendfältigen kleinen Umgebungen der Gegenwart. Einen interessanten Charakter mehr im Bilde zu besitzen, ist ein eigentlicher Lebensgewinn, und mit dem einzelnen verbinden sich nun bisweilen die von Ständen, Zeiten, Gegenden... Sie wundern sich, daß eine Liebe zu Beschäftigung mit Empfindungen, eine Milde und Zartheit in denselben, ein Eingehen in fremde Gemütsstimmungen mir unter vielen und abziehenden Geschäften geblieben ist.

Ich habe immer nach zwei Dingen gestrebt: mich empfänglich zu halten für jede Freude des Lebens, und dennoch durchaus in allem, was ich mir nicht selbst geben kann, unabhängig zu bleiben, niemandes zu bedürfen, auch nicht der Begünstigungen des Schicksals, sondern auf mir allein zu stehen und mein Glück in mir und durch mich zu bauen. Beides habe ich in hohem Grade erreicht, über keine Freude und keinen Genuß des Lebens bin ich hinweg, wie es die Leute nennen. Die einfachste Sache, wenn sie nur etwas Anmutiges oder Höheres an sich trägt, oder wenn sie mir durch irgendetwas besonders zusagt, gewährt mir reine Freude. Daher niemand so dankbar ist als ich, weil wirklich auch wenig Menschen so viel Grund zur Dankbarkeit haben. Teils begegnet ihnen vielleicht weniger Erfreuliches, teils aber finden sie auch in dem, was ihnen begegnet, das Erfreuliche nicht so heraus und genießen es nicht, wie sie könnten. Aber kein Mensch ist auch so wenig bedürftig als ich, und darauf beruht ein großer Teil meines Glücks; denn jedes Bedürfnis ist, wie es befriedigt wird, nur eigentlich Stillung eines Schmerzes, und alles, was darauf verwendet wird, geht dem reinen, ruhigen, stillen Genuß ab...

Der Fähigkeit, sich einem fremden Willen, bloß weil es ein solcher Wille ist, auch geradezu gegen die Neigung zu unterwerfen, als Muß sich zu unterwerfen, dieser Fähigkeit bedarf jeder, auch der Mann, und ich würde mich sehr tadeln, wenn ich nicht wüßte, daß ich sie hätte. Sie macht überdies das Gemüt milder, weicher und, so sonderbar es scheint, zugleich stärker, selbständiger und der Freiheit würdiger...

Ohne Kampf und Entbehrung ist kein Menschenleben, auch das glücklichste nicht; denn gerade das wahre Glück bauet sich jeder nur dadurch, daß er sich durch seine Gefühle unabhängig vom Schicksale macht...

An Karoline.

Burgörner, 7. November 1822.

... Vorräte hinterlasse ich hier für die Zukunft. Ich habe vor einigen Tagen erst 5 Pfund Kaffee und einen großen Hut Zucker getauft. Das letzte habe ich getan, auch, weil man mit dem pfundweise Kaufen so leicht bestohlen wird. Der Hut ist sicher, seinen ewigen Formen kann man nichts anhaben. Dann habe ich den ganzen Hut geschlagen, mit eigener Hand! Daran habe ich vielleicht nicht recht getan; aber es war hier eine prächtige Schachtel, in der einmal ein Kuchen aus Halle gekommen ist, und es war längst meine fixe Idee, eine Schachtel mit geschlagenem Zucker ganz angefüllt zu sehen. Ich habe sie einmal bei Karolinen vorgebracht, bin aber immer abgeschlagen worden. Da ich nun hier die Zuckerherrschaft allein führe, habe ich nicht widerstehen können. Damit Gr. mich nicht auslachte, habe ich das große Werk um Mitternacht vorgenommen und mich, da ich fertig war, ordentlich triumphierend ins Bett gelegt. Wenn nun Karoline wieder herkommt, hat sie in weiter Zeit nichts zu tun...

An Charlotte Diede.

Berlin, 2. Dezember 1822

... Je mehr ich die Umgebungen kennen lerne, in denen Sie, meine gute Charlotte, aufwuchsen, je mehr ich Sie mir darin denke, desto mannigfaltiger bewegt schweben mir die Züge vor, an die meine Einbildungskraft immer gern und lieblich geheftet ist. Solchen Genuß der Phantasie rechne ich zu den höchsten, die den Menschen gegeben sind, und in vieler Rücksicht ziehe ich ihn der Wirklichkeit vor. In diese kann immer leicht etwas störend eintreten; aber jene nähert sich den Ideen, und das Größte und Schönste, das Menschen zu erkennen imstande sind, bleiben doch die reinen, nur mit dem inneren Blick erkennbaren Ideen. In ihnen zu leben ist eigentlich der wahre Genuß, das Glück, was man ohne Beimischung irgendeiner Trübheit in sich aufnimmt. Nur haben wenig Menschen eigentlich Sinn dafür. Denn es gehört dazu eine Neigung der Beschauung, die in Menschen unmöglich ist, bei denen Sinnlichkeit und innere moralische Empfindung im Verlangen zur Wirklichkeit und zum Genuß übergehen. Ich bin von diesem Verlangen mein ganzes Leben hindurch sehr frei gewesen und habe daher mehr durch den Anblick vom Inneren und Äußeren genossen und in beiden Rücksichten mehr die Wahrheit der Dinge erkannt, ohne mich Täuschungen hinzugeben...

Sie haben mich, liebe Charlotte, schon vor längerer Zeit gebeten, Ihnen Nachricht von den Meinigen zu geben; Sie haben den Wunsch leise erneuert und sprechen ihn jetzt wieder auf eine so zart empfundene Art aus, daß ich mir fast einen Vorwurf darüber mache. Sie sagen, die nahen Angehörigen geliebter Männer seien für Frauen unendlich teure, geheiligte Gegenstände; die Kinder, Teile seines Wesens, die Lebensgefährtin, als die Mutter dieser, würden in dem Grade, wie sie den Geliebten beglücken, von der innigsten Zärtlichkeit umfaßt. Indem ich es zu würdigen weiß, aus wie edler Quelle dergleichen Äußerungen kommen, danke ich Ihnen recht herzlich dafür. Ich habe es nur von Brief zu Brief verschoben, weil ich gewöhnlich das letzte Wort eines Blattes und die letzte Viertelstunde der Zeit erreichte, ehe ich dazu kam.

Ich fange bei meiner Frau an, da ich mich nicht erinnere, ob Sie wissen, wer sie eigentlich ist. Wenn ich Ihnen also etwas sage, was Ihnen bekannt ist, so seien Sie mir darum nicht böse. Sie war ein Fräulein von Dacheröden, in ihrer Jugend sehr schön, und ist, ob sie gleich acht Kinder gehabt hat, noch viel mehr erhalten, als es Frauen, die nicht in dem Falle sind, gelungen ist. Sie ist seit einiger Zeit kränklich, aber auf keine Weise, die Besorgnis erregte oder ihre natürliche Heiterkeit störte. Burgörner gehört ihr und ist eins ihrer Güter, dahingegen Tegel und die schlesischen mir gehören. Unsere Ehe wurde bloß durch gegenseitige Neigung, ohne alles Zutun von Eltern und Verwandten geschlossen; sie hat in den 31 Jahren, die sie nun währt, nie einen nur weniger zufriedenen Moment gehabt; unser Glück ist gegenseitig heute wie im Anfange und hat nur die Farbe der verlaufenden Zeit nach und nach angenommen. Da wir beide von Natur heiter sind, so ist unser Verhältnis selbst jugendlicher geblieben, als es sonst der Fall sein würde. Meine Geschäfte haben uns manchmal lange voneinander getrennt; aber seitdem ich freier Muße genieße, sind wir fast ununterbrochen zusammen, und dies fortsetzen zu können wird mich vorzüglich bewegen, wenn es nicht durchaus sein muß, nicht wieder in Dienst zu treten. Gleich nach meiner Verheiratung lebte ich auch außer Dienstverhältnissen über 10 Jahre lang und reiste damals mit meiner Frau nach Frankreich und Spanien. Jetzt in der Stadt berühre ich fast die Straße mit keinem Fuß und fahre auch selten aus. Auf dem Lande gehen wir immer zusammen spazieren oder sind beide zu Hause. Von unsern acht Kindern haben wir leider drei, eins in Paris, zwei in Rom verloren, als ich dort Gesandter war. Jetzt haben wir noch drei Töchter und zwei Söhne. Die älteste Tochter wird sich schwerlich verheiraten, sie bleibt gern mit uns, und wir würden sie, da sie so lange mit uns gewesen ist, noch ungerner missen. Meine beiden andern Töchter sind verheiratet. Die zweite heiratete, ehe sie noch 15 Jahr alt war und ihr Mann in den Krieg ging. Sie hat den Obristlieutenant von Hedemann zum Manne und lebt überaus glücklich. Die jüngste ist an den Geheimen Rat von Bülow verheiratet, der Legationssekretär bei mir in London war und jetzt hier bei dem auswärtigen Departement steht. Sie hat eine Tochter, die bald ein Jahr alt sein wird, und lebt gleichfalls sehr heiter und in ihrer Häuslichkeit zufrieden. Mein jüngster Sohn ist noch im Hause und wird bei mir erzogen. Mein ältester ist Kavallerieoffizier in Breslau und hat eine schöne und liebenswürdige Frau. Sie hat leider noch keine Kinder. So wissen Sie wenigstens im ganzen so viel, daß Sie sich meine Familie und mein Leben in derselben vorstellen können ...

An Welcker.

Berlin, 18. März 1823

... So habe ich eine entschiedene Abneigung gegen alle Einmischung und allen Parallelismus unserer (d. h. der deutschen und nordischen) Märchen, Volkssagen, Legenden mit den griechischen. Ich finde in den griechischen, und gerade immer mehr, je weniger man auf einzelne Erklärung hinausgeht, eine solche Zartheit, Lieblichkeit, ja, ich möchte sagen Göttlichkeit, daß mir schon die Erinnerung an unsere dabei wie eine Beimischung roher Metalle zu edlen erscheint. Ich bin nicht günstiger gestimmt gegen die Einmischung des Indischen und Ägyptischen. Wenn was man auch von der Schönheit und Erhabenheit des Ramayana, Mahabharat, der Nibelungen sagen mag, um nur das zu nennen, was ich doch nun, so gut als ein anderer, in großen Stücken in der Urschrift gelesen habe, so fehlt ihm immer gerade das eine, in dem der ganze Zauber des Griechischen liegt, was man mit keinem Worte ganz aussprechen kann, aber was man tief und unendlich fühlt, was machen würde, daß in jeder ernsthaftesten und heitersten, glücklichsten und wehmütigsten Katastrophe des Lebens, ja im Momente des Todes, einige Verse des Homer und, ich möchte sagen, wenn sie aus dem Schiffskatalogus wären, mir mehr das Gefühl des Überschwankens der Menschheit in die Gottheit (was doch die Summe alles menschlichen Fühlens und alles irdischen Trostes ist) geben würden, als irgendetwas von einem andern Volke. Auch mag es wohl sein, daß die Griechen viel von andern genommen haben; aber noch viel gewisser ist es, daß sie jedes, was sie nahmen, zu etwas anderem machten, und daß es nun erst Würdigkeit, Größe und Schönheit erhielt.

An Aug. Wilh. Schlegel.

Ottmachau, 21. Juni 1823.

Ich erhielt Ew. Hochwohlgebornen gütige Zeilen vom 19. vorigen Monats (die aber wohl später abgegangen sein müssen) so kurz vor meiner Abreise hierher, daß es mir unmöglich war, sie noch von Berlin aus zu beantworten. Jetzt ist es mir um so lieber, die Antwort verschoben zu haben, da ich Ihnen sagen kann, daß ich die ersten 10 Gesänge des Gita gelesen habe. Bemerkungen, die Sie interessieren könnten, werden Sie von mir, und am wenigsten nach der Lesung des bloßen Abdrucks schon selbst nicht erwarten. Aber danken tue ich Ihnen recht herzlich für die große Freude, die mir das Lesen schon dieses Teils des Gedichts gewährt hat. Es ist mir in solchen Dingen eine gewisse Kindlichkeit geblieben, und ich kann nicht ableugnen, daß mich während dieses Lesens ein paarmal das Gefühl einer wahren Dankbarkeit gegen das Schicksal überrascht hat, das mir vergönnt hat, diese Dichtung so gut, wie es mir nun jetzt eben damit geht, in der Ursprache zu vernehmen. Es ist mir, als würde mir etwas recht Wesentliches gefehlt haben, wenn ich ohne das hätte die Erde verlassen müssen. Man kann nicht sagen, daß man gerade dadurch neue Wahrheiten entdeckt; der unbeschreiblich fesselnde Reiz liegt nicht einmal in der Bestätigung längst erkannter. Aber man wird von einem so wundervollen Gefühle altertümlicher, großartiger und tiefsinniger Menschheit ergriffen, daß man wie in einem Punkt die geistige Entwicklung aller Menschengeschlechter und ihre Verwandtschaft mit dem Reiche alles Unsichtbaren zu empfinden glaubt. Die Sprache erscheint ganz anders in diesen Überbleibseln der ältesten Zeit. Der Gedanke scheint inniger mit den Worten verschmolzen, und in dem Laute, der Bewegung dieser, ihren Anklängen an verwandte Begriffe und Bilder fühlt man immer mehr als den einzelnen Gedanken, ja selbst als ein Individuum, wirklich das geistige Walten eines ganzen Zeitalters. Nichts, was ich bisher im Sanskrit gelesen, hat mir einen solchen Eindruck hinterlassen; ich begreife indes, daß, wer das Stück nur in der Übersetzung, und sei es auch die beste, liest, das gar nicht empfinden kann. Die Übersetzung eines solchen Werks gleicht wirklich der Beschreibung eines Gemäldes. Farben und Licht fehlen. Ich werde gewiß, wenn ich mit dem Überrest des Gedichts fertig bin, es oft wieder lesen, wie ich mich nicht habe enthalten können, schon mit den ersten Gesängen zu tun ...

Wegen des Arabischen haben Ew. Hochwohlgebornen eigentlich wohl recht, daß es nicht gut ist, sich zu sehr zu verbreiten. Aber mein Weg führt mich einmal dahin, mich mit der Sprache überhaupt zu beschäftigen, und da darf man eigentlich keinen der Hauptstämme vernachlässigen. Eine natürliche Folge davon aber ist freilich, daß man in jeder einzelnen Sprache gegen andere zurücksteht. Nur mache ich doch sorgfältige Unterschiede. Es ist gar nicht meine Absicht, eigentlich in die arabische Literatur einzugehen; ich suche nur insofern zu verstehen, als man ohne das doch keinen anschaulichen Begriff von der Grammatik haben kann. Diese ist aber im Arabischen sehr merkwürdig, wenn man auch nur die fast gänzliche Gleichgültigkeit der Vokale, wenigstens bei den Wurzeln, den bestimmten Unterschied zwischen den Wurzelbuchstaben und einigen wenigen, ausschließend zu den Beugungen gebrauchten, und das Einschieben von Beugungslauten zwischen die Wurzelbuchstaben nimmt. In ihrem Wesentlichen ist die arabische Grammatik überaus leicht; viele der kleinlichen Mühseligkeiten, mit denen man zu kämpfen hat, gehören nur den Grammatikern an. Für das Persische muß es aber doch anziehend sein, beides, Arabisch und Sanskrit, zu kennen. Es ist gewissermaßen für die orientalischen Sprachen, was das Englische in den abendländischen. – Nun leben Sie herzlich wohl und vollenden Sie Ihre Reise glücklich. Erhalten Sie mir Ihr gütiges und wohlwollendes Andenken, und wenn Sie mich in den nächsten beiden Monaten mit einem Briefe erfreuen wollen, so lassen Sie ihn doch, ungeachtet meiner Abwesenheit, nach Berlin gehen. Ich bekomme ihn auf diese Weise sicherer. Mit der lebhaftesten und hochachtungsvollsten Ergebenheit der Ihrige H.

An Karoline.

Ottmachau, 21. Juli 1823.

... Ich habe heute etwas sehr Hübsches in der »Bhagavad Gîtâ«, dem Sanskritgedicht, das ich jetzt lese, gefunden, wobei ich sehr an Karlsbad gedacht habe. Du weißt, es ist ein großes Gespräch zwischen einem Helden und einem zum Menschen gewordenen Gott über die göttliche Natur. Da kommt auch vor, daß es einen eigenen Geist gibt, der seinen Sitz in den Eingeweiden hat und sich um nichts anderes bekümmert, als daß der Mensch gute Öffnung hat. Er heißt apana. Es ist wirklich eine himmlische Entdeckung. Man weiß nun doch, an wen man sich zu wenden und wem man die Schuld beizumessen hat, wenn es nicht geht. In Karlsbad muß aber der arme Gott gar nicht fertig werden können ...

An Welcker.

Tegel, 25. September 1823.

... Schlegel habe ich auf seinen letzten Brief nicht mehr geantwortet, da ich überzeugt war, daß er schon abgegangen sein mußte, und er wohl längere Zeit ausbleibt, obgleich er mir nie bestimmt geschrieben hat, wie lange er sich in London aufhalten wird. Ich bin überzeugt, daß seine Reise seinen Studien sehr beförderlich sein wird. Ich weiß nicht, ob seine letzten Aufsätze in der Indischen Bibliothek Ihnen auch so sehr gefallen haben; uns außerordentlich. Sie scheinen zwar keines sehr wichtigen, noch weniger tiefen Inhalts; aber sie sind doch so geistvoll verfaßt und so hübsch geschrieben, daß sie, dächte ich, jedem Leser sehr viel Interesse einflößen müssen. Ich kann es mir denken, daß meine Begeisterung über die Bhagavad Gita, wie Sie es mit Recht nennen, Ihnen hat befremdend vorkommen müssen. Es gibt zwar einige Stellen, die auch in der Übersetzung frappieren und erheben und tief erscheinen müssen. Auch ist die ganze Szene, im Angesicht zweier feindlichen Heere zu philosophieren und viele Gesänge hindurch die Waffen ruhen zu lassen, im höchsten Grade wunderbar, aber großartig. Endlich wird diese Großartigkeit dadurch gesteigert, daß der Krieger und Held sich scheut, das Blut so verwandter Geschlechter zu vergießen, und der zum Menschen gewordene Gott diese Schwachheit bekämpft und ihm zeigt, daß doch alles Lebendige nur diesen großen Kreisgang durch den Tod zu neuem Leben gehen muß. Allein alles dies ist sehr weit entfernt, das, was ich Schlegel schrieb, vor den Augen dessen zu rechtfertigen, der nur die Übersetzung, wie gut sie selbst sei, liest. Das Eigentliche, was doch keine Übersetzung nachbilden kann, liegt in dem Ton, dem Zusammendrängen und Auseinanderlegen der Gedanken in die einzelnen Worte, der Folge der Gedanken und Bilder, der Art der Metaphern und in dem Unbegreiflichen, was sich, weil es unzertrennlich der Sprache anklebt, nicht analysieren und angeben, aber doch darum nicht wegleugnen läßt. Ich habe noch nicht Gelegenheit gehabt, historisch je das Alter dieser indischen Gedichte zu untersuchen, und weiß also nicht, ob sie in ein so sehr hohes über Homer hinausgehen mögen. Es scheint mir aber darin auch vieles nur relativ zu sein. Denn selbst das uns Näherstehende und mithin Jüngere kann ja durch die Abgeschiedenheit, in der es entstanden ist, dem Urzustand der Menschheit näher liegen als das in der Tat bei weitem Ältere. Das aber nun ist mir eine unumstößliche Überzeugung, daß diese indischen Gedichte eine Farbe des Altertums an sich tragen, gegen die Homer gewissermaßen jung erscheint. Hierzu tritt nun die Eigentümlichkeit hinzu, daß sich dies Altertum gerade in philosophischer und theosophischer Tiefe, aber verbunden mit jugendlich scheinenden und reizenden Bildern ausspricht. Ich glaube, daß man ohne Vorurteil sagen kann, daß man eigentlich immer nur in der Ursprache eine Nation selbst in ihrer Einzigart reden hört; in der Übersetzung kommt nur das Material der Gedanken zurück, und das Wenige, was die beste auch in der Form beibehält, wird in der Wirkung wahrer Ähnlichkeit wieder durch die Veränderung geschwächt, die selbst das Material in der neuen Form erleidet. Dies gerade, daß man die Nation selber hört, halte ich für den höchsten, vielleicht einzigen Nutzen und Reiz des Studiums von Sprachen, unabhängig von den Zwecken dadurch sonst zu erlangender Einsichten oder Notizen, und je älter eine Nation ist, desto mehr steht sie gerade in einer solchen Verbindung mit ihrer Sprache, als nötig ist, das Studium dieser wahrhaft anziehend zu machen. Alles wahre Erkennen und Wissen muß doch am Ende darauf hinausgehen, das zu erreichen, was der Mensch, seinem Vermögen, das Universum zu erfassen und selbst mit umzuschaffen, nach wirklich ist. Die Kraft und Begeisterung des Seins werden aber nicht eigentlich verstärkt und entzündet durch etwas, was sich bloß erkennen und begreifen läßt, sondern nur durch die Anschauung dessen, was der Mensch schon einmal gewesen ist und das Erahnen dessen, was er sein kann. Darum ist, wenn man alle Mittelzwecke vergißt und nur auf das Letzte und Wesentlichste geht, wahre Erweiterung und Erkenntnis nur wahre Erweiterung des Daseins, und diese ist auf historischem Wege nur durch Anschauen gewesenen Daseins möglich. Insofern nun das Studium einer wichtigen Originalsprache allein dies Anschauen in einiger Vollständigkeit gewähren kann, nenne ich eine darin gemachte größere Erfahrung, wie z.B. das Lesen der Bhagavad Gita, ein so wichtiges Lebensmoment, daß man sich Glück wünschen kann, das noch, ehe man hinweggeht, erlangt zu haben. Insofern man immer eine stille Sehnsucht in der Seele nährt, die verschiedenen Arten, in welchen sich der menschliche Geist und das menschliche Gemüt groß zeigen, selbst angeschaut und gefühlt zu haben, so ist ein Teil dieser Sehnsucht gestillt und eine Beruhigung für das Hinaustreten erlangt. Denn wenn ich mir denke, wie man wohl ohne ekle und mir sehr fremde Sattheit am Leben, auf eine edle und würdige Art den Kreislauf hier so vollendet zu haben denken kann, daß man nicht voraussieht, daß leicht etwas hinzukommen könnte, so ist es nicht durch Vollendung einer Reihe von Taten noch einer Masse von Richtungen, nicht durch ein Erschöpfen eines Kreises des Wissens (denn das Tun und das Wissen sind nie aufhörende Reihen von Einzelheiten, durch die man doch nie zur Unendlichkeit gelangt); aber wohl dadurch, daß jedes Vermögen, das man in sich spürt, einmal einen Gegenstand in sich gefunden hat, in dem es ganz aufgegangen ist, wo nun jede neue Beschäftigung gleichsam nur eine Wiederholung sein würde. Nur also, was imstande ist, ein Geistes- oder Gemütsvermögen so zu beschäftigen und zu bewegen, kann für den Menschen eine absolute Wichtigkeit haben, eine solche, bei der Leben und Tod in Betrachtung kommt; alles übrige fällt in den Kreis des Zufälligen und Außerwesentlichen und wird, wie man den ernsten Gedanken des Todes faßt, so bis zur Gleichgültigkeit entfärbt, wie Kohlen ihren Schimmer verlieren, wenn daneben eine Flamme auflodert.

... Ich wünsche von Herzen, daß Sie recht bald Muße zur Ausarbeitung Ihrer Äschyleischen Ideen finden mögen. Ich bin sehr ungeduldig, sie zu sehen. Gewiß ist Äschylus auch schon im Altertum nicht so gewürdigt und gefaßt worden, wie er eigentlich verdient hätte. Die Versuche, die Titel und Fragmente der verloren gegangenen Stücke nach Trilogien zu ordnen, müssen eine sehr unterhaltende Arbeit gewähren und zugleich auf seine und für die Dramatik der Alten wichtige Bemerkungen führen. Sehr schmeichelhaft ist es mir, daß Sie sagen, Gelegenheit gefunden zu haben, auch von meinen Bemerkungen Gebrauch gemacht zu haben. Ich wünschte aber nicht, daß Sie ihnen zu viel Gewicht beilegten, und am wenigsten möchte ich die Vergleichung der Sagen verschiedener Völker gewissermaßen ganz verwerfen. Meine Meinung war nur, zu warnen, daß man nicht aus zu wenigen Zügen der Ähnlichkeit gleich auf Identität, noch weniger aber, auch bei größter Ähnlichkeit, auf Verwandtschaft schließen möchte. Ganz gleiche Mythen können sehr füglich, jede selbständig, an verschiedenen Orten emporkommen.

An Karoline.

Weimar, 17. November 1823

... Heute war den Morgen, den ich zwischen Karolinen und Goethe teilte, Ruhe, weil der Großherzog auf der Jagd war. Den Nachmittag besuchte ich wieder Goethe. Dann mußte ich ins Theater, in die kleine Loge mit dem Großherzog und hernach zum Souper bei der Großfürstin. Ich bilde mich hier ordentlich. Ich habe die »Kleinstädter« gesehen und war so vertieft in das Stück, daß es mich ordentlich verdroß, wenn mich der Großherzog unterbrach. Wie wir bei der Jagemann waren, wurde ausgemacht, daß übermorgen, mir zu Ehren, eine Oper, »Figaro«, gegeben werden sollte. Ich lasse alles geschehen und rede gar nicht von meiner Abneigung gegen die Musik. Seitdem ich keinen Tee mehr trinke, ist alles aus. Ich stehe einmal am Rande des Abgrundes, und einen Schritt weiter, so schwimme ich im Bier. Ach Gott! liebes Kind, Goethe hat auf nichts Appetit, nicht auf Bouillon, Fleisch, Gemüse – er lebt von Bier und Semmel, trinkt große Gläser am Morgen aus und deliberiert mit dem Bedienten, ob er dunkel- oder hellbraunes Köstritzer oder Oberweimarisches Bier, oder wie die Greuel alle heißen, trinken soll. Doch geht er meist in eine andere Stube dazu, wenn ich da bin. Die Scheu geht doch in einer menschlichen Brust nicht ganz aus.

Über seine Gesundheit war man heute und gestern bedenklicher als früher, ich glaube aber mit Unrecht. Mir schien er eher besser. Unmittelbare Gefahr ist bei diesem Übelbefinden nicht, nur die, daß dieser Husten Anzeige anfangender Brustwassersucht sei oder Ursache davon werde. Er sprach heute manchmal sehr schön, er zeigte mir auch ein Gedicht, das er im Frühjahr gemacht hat und das nun im neuesten Heft von Altertum und Kunst gedruckt wird. Es ist indischen Inhalts, ein Gegenstück zur »Bajadere« und heißt »Der Paria«. Parias sind die unterste Kaste der Indier. Es ist sehr schön, sehr künstlich und merkwürdig, weil er den Stoff 40 Jahre mit sich herumgetragen, ihn auf alle Weise zu behandeln versucht hat und erst jetzt damit fertig geworden ist. Ob es aber so gefallen wird, wie die Bajadere, zweifle ich doch. Der Stoff wird vielen widrig sein, ich vermute auch Dir. Mündlich mehr davon.

Es ist schrecklich, daß die Ursache von Goethes Krankheit höchstwahrscheinlich eine einzige Erkältung ist, von der ich Dir auch mündlich erzählen werde. Er kann nicht genug sagen, wie wohl und tätig er vorher war. Es ist peinlich zu hören, daß er alle Augenblick Ach Gott! ach Gott! sagt. Doch ist das mehr Angewohnheit. Denn er klagt nicht über Schmerzen.

Kunstsachen gibt es hier wohl vielerlei, aber nichts sehr Schönes, gar keine oder so gut als keine Antiken, sehr wenig gute alte Bilder, nur mittelmäßige und wenig Gipse. Ich tauschte unsere Sachen nicht gegen diese. Da man so lange Zeit zum Sammeln gehabt, Künstler und Kenner um sich, soviel Verbindung mit Italien und nicht wenig Geld, so ist es mir in hohem Grade wunderbar.

Als der Großherzog hörte, daß ich nach Rudolstadt wollte, wunderte er sich sehr, aber bald darauf sagte er: Ich begreife schon, Humboldt macht die Reise, um alle seine Jugendwege wieder zu gehen.

Weimar, 19. November 1823.

... Heute früh habe ich eine himmlische Stunde bei Goethe zugebracht, die ein reicher Lohn für die ganze Reise ist. Ich muß Dich aber sehr bitten, niemandem ein Wort davon zu sagen, weil er äußerst geheim damit tut. Ich habe Dir erzählt, denke ich gewiß, daß er mich neulich hatte den »Paria« lesen lassen. Gestern gab er mir ein Buch des »Divans«, zu dem er mehreres neu hinzugedichtet hatte. Es war sehr Hübsches darunter, doch nichts, was einen bei Goethes früheren Sachen verwundern konnte. Heute gab er mir ein eigen gebundenes Gedicht, eine Elegie. Ich sah schon, daß sie sehr zierlich und sorgfältig äußerlich in Band und Papier behandelt war. Sie war ganz von seiner Hand geschrieben; er sagte mir, es sei die einzige Abschrift, die davon existiere; er habe sie noch niemandem, ohne Ausnahme, gezeigt und werde sie noch lange nicht, vielleicht nie drucken lassen. Er habe sich aber auf meine Ankunft gefreut, weil er vorher wisse, ich werde mit ihm fühlen. Er sagte das alles in einem bewegteren und sich mehr erschließenden Ton, als ihm sonst eigen war. So fing ich an zu lesen, und ich kann mit Wahrheit sagen, daß ich nicht bloß von dieser Dichtung entzückt, sondern so erstaunt war, daß ich es kaum beschreiben kann. Es erreicht nicht bloß dies Gedicht das Schönste, was er je gemacht hat, sondern übertrifft es vielleicht, weil es die Frische der Phantasie, wie er sie nur je hatte, mit der künstlerischen Vollendung verbindet, die doch nur langer Erfahrung eigen ist. Nach zweimaligem Lesen fragte ich ihn, wann er es gemacht habe. Und als er mir sagte: »Vor nicht gar langer Zeit«, war es mir klar, daß es die Frucht seines Marienbader Umganges war. Die Elegie behandelt nichts als die alltäglichen und tausendmal besungenen Gefühle der Nähe der Geliebten und des Schmerzes des Scheidens, aber in einer so auf Goethe passenden Eigentümlichkeit, in einer so hohen, so zarten, so wahrhaft ätherischen und wieder so leidenschaftlich rührenden Weise, daß man schwer dafür Worte findet. Die selige Nähe der Geliebten ist in ihrer ganzen faltenlosen Einfachheit des Glücks geschildert, mit dem Frieden Gottes, mit dem Gefühl frommer Seelen verglichen. Von dem, was eigentlich fromm sein heißt, ist in wenigen Zeilen eine namenlos schöne Beschreibung. Dann ist die Betrachtung der Natur, die Anschauung des Weltalls, also das, was Goethes innerste Beschäftigung ausmacht, der Geliebten gleichsam entgegengesetzt, indem der Dichter sich fragt, warum ihm das alles denn nicht mehr genüge. Und dieser Kontrast hebt das Gefühl der Liebe auf eine wundervolle Weise. Die Geliebte ist nur in einer einzigen Stanze (das Gedicht besteht aus sechszeiligen Stanzen) mehr angedeutet als geschildert. Wie er nämlich davon spricht, daß ihn Fels und Feld und Wiese nicht mehr ansprechen, sagt er: »auch nicht der Wolken zart Gebilde«, und wie er dies Gebilde beschrieben, heißt es, womit sie am ähnlichsten zu vergleichen ist, sie »die lieblichste der lieblichen Gestalten«. An dieser Stelle geht er gleich auf sie wieder über, doch gleich wieder vom Sinnlichen ab, indem er sagt: »Allein warum suche ich sie da und nicht im inneren Gemüt, wo ihr Bild so tausendfältig herrscht, daß es als eins sich zu vielen hinüberneigt«? Zuletzt, da nun die Scheidung gewiß ist, wo gesagt ist, daß sie ihm nachgeeilt ist, noch nach dem letzten Kuß ihm einen letztsten gegeben, bricht er in die volle Rührung aus: »So fließt denn meine Tränen unaufhaltsam« usf.

Nach der Lesung spann sich nun ein Gespräch darüber an; die Person wurde nie genannt; aber es war eigentlich immer von ihr die Rede, und es sei nun, daß sie noch sehr, wie ich glaube, in seiner Seele herrsche oder nicht, so ist gewiß, daß ohne sie diese wirklich himmlischen Verse nie entstanden wären, und damit hat sie denn ein bleibendes Verdienst. Denn es gibt doch eigentlich nichts Höheres als ein Gefühl, selbst welches es sei, wahrhaft gelungen in Poesie vorgetragen.

Ich konnte mich nicht enthalten, ihm zu sagen, daß ich wirklich erstaunt wäre, in ihm noch diese Jugendlichkeit des Talents und des Gefühls, da solchem Gedicht ein wirkliches zugrunde liegen müsse, zu finden, und daß diese Geistes- und Phantasiestärke wahrhaft Gewähr leiste, daß, wenn nicht ein Zufall ihn dahinraffe, er noch für lange Jahre Lebenskraft besitze, und wirklich hätte ich nie gedacht, daß er dessen noch fähig sei. Er sagte darauf selbst, daß man wohl damit dem Leser den Geburtstag des Dichters zu raten aufgeben könne. In keiner Silbe des Gedichtes ist des Alters erwähnt, aber es schimmert leise durch; teils darin, daß alles darin so ins völlig Hohe und Reine gezogen ist, teils in der umfassenden Fülle der Naturbetrachtung, auf die hingedeutet ist und die Reife der Jahre fordert.

Goethe wurde über das Gedicht, von dem er selbst sehr naiv sagte: »Ich habe nicht aufhören können, es so lange zu lesen, bis ich es nun auswendig weiß; ich habe mir auch darin nachgesehn, warum soll man sich solche Genüsse versagen?« Er wurde, wollte ich sagen, über das Gedicht und meine Freude daran so gehoben, daß er, sein Übel vergessend, mit ganz ungewöhnlicher Heiterkeit sprach und sicher lange fortgesprochen hätte, wenn nicht der Großherzog plötzlich hereingetreten wäre. Dieser suchte mich auf, um mir bei dem schönen Sonnenschein, den wir heute hatten, das Palmenhaus in Belvedere zu zeigen, das ich neulich bei dunkelm Wetter gesehen hatte.

Es ist mir sehr klar geworden, daß Goethe noch sehr mit den Marienbader Bildern beschäftigt ist; allein mehr, wie ich ihn kenne, mit der Stimmung, die dadurch in ihm aufgegangen ist und mit der Poesie, mit der er sie umsponnen hat, als mit dem Gegenstand selbst. Was man also vom Heiraten und selbst von Verliebtheit sagt, ist teils ganz falsch, teils auf die rechte Weise zu verstehen. Nur glaube ich doch, daß die Einförmigkeit, vielleicht sogar die geringe Erfreulichkeit des Familienkreises ihm, nach der lebendigeren Regung in Böhmen, nicht wohltut, und daß ihm dies Gefühl mehr lastet, weil seine Krankheit ihm den gewohnten Trost beständiger Beschäftigung raubt, wozu denn zufällig auch der Mißmut kommt, mir nicht das alles selbst lesen und wahrhaft darüber sprechen zu können.

Schulpforta, 25. November 1823.

... Ich kann nicht leugnen, daß ich mit wahrer Wehmut von Goethe geschieden bin. Ich habe seine noch immer sehr schöne Stirn, die so das Bild seines freien, weiten, unbegrenzten Geistes entfaltet, mehrere Male, da er eben saß und ich ihn nicht aufstehen lassen wollte, geküßt, und ich zweifle, daß ich ihn je wiedersehe. Es geht unendlich viel mit ihm dahin, meinem Glauben nach mehr, als je wieder in deutscher Sprache aufstehen wird.

Burgörner, l. Dezember 1823.

... Ich habe nichts von trockenen und mühevollen Studien hierher mitgenommen. Die wenigen Stunden, die mir von der Geschäftsschreiberei und dem Spazierengehen, Leutesprechen usf. bleiben, lese ich fast bloß die Ethik des Aristoteles und den »Bhagavad Gîtâ«, den Schlegel herausgegeben hat. Beide behandeln eigentlich dasselbe Thema, den Zweck aller Dinge, den Wert des Lebens, das höchste Gut, den Tod als den Anfang eines neuen Daseins. Im Aristoteles ist die Erhabenheit eines großen und beinah ungeheuren Geistes und der gebildetsten Nation des Erdbodens, in dem indischen Gedicht die vielleicht noch rührendere des höchsten Altertums und eines zu tiefsinniger Betrachtung gleichsam geschaffenen Volkes. Ich lese von beiden eigentlich immer nur wenig; aber jeder Laut ergreift mich mit einer zum eigenen Nachdenken anregenden Stärke. Es fällt mir dabei oft ein, daß es doch eigentlich sonderbar ist, daß Goethe so fast ausschließend in den Produkten der Zeit lebt und an dem hängt, was er seine Arbeit in seinen Heften nennt, was doch wieder nur eine für die neueste Zeit ist. Wenn ich mich meinem Hinscheiden so nahe glauben müßte wie er, seinem Alter und seiner Gesundheit nach, wäre mir das unmöglich. Ich ginge vielmehr dann nur in die Vorzeit zurück und suchte dasjenige um mich zu sammeln, worin sich die menschliche Natur am reinsten und einfachsten ausgesprochen hat.

An Charlotte Diede.

Berlin, 12. Januar 1824.

... Sie erinnern mich an eine Stelle der Bibel und fragen mich, ob ich sie gelesen habe. Ich habe die Bibel von einem Ende zum andern mehrmals durchgelesen, das letztemal noch in London, und ich kannte daher sehr gut das Kapitel des Briefes an die Korinther, das Sie anführen.I. Korinther 13. Es ist allerdings eines der schönsten im Neuen Testament, wenn es recht verstanden wird, allein auch eines von denen, in welche zu leicht ein jeder etwas von seinem eigenen Gefühl und seiner Einzelart hineinträgt, und wenn diese auch recht gut und fromm sind, so können sie doch der ursprünglichen Bedeutung fremd sein. Im griechischen Urtext ist das weniger möglich. Wir haben im Deutschen nur das eine Wort Liebe, welches zwar sehr rein, edel und schön ist, aber doch für sehr verschiedenartige Empfindungen gebraucht wird. Im Griechischen gibt es ein eigenes für die ruhige, sanfte, leidenschaftlose, immer nur auf das Höhere und Bessere gerichtete Liebe, das niemals für die Liebe zwischen den Geschlechtern, wie rein sie sein möchte, gebraucht wird, und dies Wort, welches mehr den christlichen griechischen Schriftstellern als den früheren eigen ist, steht gerade in diesem Kapitel. Ich möchte damit aber keineswegs die lutherische Übersetzung tadeln; vielmehr leugne ich nicht, ist mir unser deutsches Wort lieber als jedes andere, gerade weil es so vielumfassend ist und die Empfindungen in der Seele gerade bei ihrer Wurzel aufnimmt. Was sowohl den Inhalt dieses Kapitels vorzüglich würdig und groß macht und auch den Begriff deutlich zeigt, der mit dem Worte Liebe nach dem Sinne des Apostels verbunden werden soll, sind, wie es mir scheint, zwei Dinge. Erstens, daß nicht bloß auf die Ewigkeit hingedeutet, sondern die Liebe selbst, als etwas Ewiges, mehreren andern, auch großen und schätzenswürdigen, aber dennoch vergänglichen Dingen entgegengesetzt wird, und daß die Liebe nicht als ein einzelnes Gefühl, sondern sichtbar als ein ganzer, sich über den ganzen Menschen verbreitender Seelenzustand geschildert wird. Die Liebe, heißt es, hört nimmer auf. Dies beweist zur Genüge, daß sie auf Dinge gerichtet sein muß, die selbst ewig und unvergänglich sind, und daß sie dem Herzen auf eine solche Weise eigen sein muß, daß sie in keinem Zustande des Daseins demselben entrissen werden kann. Es ist nicht sowohl von einer bestimmten Liebe, nicht einmal der des höchsten Wesens, die Rede, sondern von der inneren Seelenstimmung, die sich über alles ergießt, was der Liebe würdig ist und worauf sich Liebe anwenden läßt. Es ist auf den ersten Anblick nicht gleich zu begreifen, warum da alles hienieden Stückwerk genannt wird, die Liebe allein zu dem, was ganz und vollkommen ist, gerechnet wird. Denn das übrige, welches der Apostel anführt, ist doch offenbar deshalb Stückwerk genannt, weil es in endlichen Wesen nicht vollkommen sein kann, und die Liebe, wie rein und erhaben sie sein möge, ist doch auch nur in endlichen Geschöpfen nach der Art, wie sie in diesem Kapitel genommen ist. Es ist aber wohl deshalb, weil alles übrige, wovon als von Stückwerk die Rede ist, eine Kraft des Wissens und des Tuns voraussetzt, die sich in menschlichen und endlichen Wesen nicht befinden kann. Die Liebe hingegen geht selbst von einem bedürfenden Zustande aus, sie gehört rein der Gesinnung und dem Gefühle an und ist überall aufopfernd, gehorchend und hingebend. Sie wird daher durch die Schranken der Endlichkeit nicht so gehemmt. Allerdings könnte sie im Menschen nicht wohnen, wenn ihm nicht selbst eine Verwandtschaft mit dem Unendlichen im Innersten seines Wesens zugrunde läge; denn wenn ihr Odem ihn einmal beseelt, so kann er sich in ihm mehr als irgend sonst dem Höheren verwandt fühlen. Da aber, wie ich im Anfange sagte, wohl jeder, ohne auch irgend in Mißverständnisse zu verfallen, gerade diese Stelle der Bibel nach seiner individuellen Empfindung nimmt, so gestehe ich, daß ich den Ausdruck Liebe hier von aller und jeder einzelnen Empfindung für ein Wesen durchaus geschieden und getrennt halte und darin nur eine Schilderung des an sich weit höheren Seelenzustandes finde, der, frei von aller Selbstsucht, fern von jeder Leidenschaftlichkeit, mit Wohlwollen auf allem verweilt, das günstige wie das widrige Schicksal mit Ergebung und Gelassenheit trägt, und aus dessen Ruhe selbst die belebende Wärme in alles, was ihn umgibt, übergeht. Darum heißt es, daß die Liebe nicht eifert, sich nicht ungebärdig anstellt usf. Darum werden ihr Glaube und Hoffnung zur Seite gestellt, sie aber über beide erhoben; darum besonders wird sie über die Werke gesetzt. Dies letzte kann augenblicklich sonderbar scheinen. Allein es ist sehr richtig, da, wenn die Gesinnung wahrer Liebe da ist, die Werke von selbst aus ihr entspringen. Diesem Seelenzustande ist das Fordernde, das Unruhige, Sorgende, auf Ausübung von Recht mehr als auf strenge Übung der Pflicht Bedachte, das sich selbst Lobende und mit sich Zufriedene entgegengesetzt. So nehme ich diese biblische Stelle, obgleich ich fern bin zu behaupten, daß nicht auch eine andere Ansicht statthaft wäre ...

An Welcker.

Tegel, 22. Mai 1824.

... Bei allen Arbeiten über die Sprache habe ich in meiner Ansicht damit zu kämpfen, daß nur sehr wenige Menschen auch nur im allerallgemeinsten das Gefühl von der Sprache haben, bei dem diese Ansicht allein Überzeugung gewähren kann. Die ganz gewöhnlichen Ideen, daß die Sprache ein Werkzeug, ein Mittel ist, die Worte gleichgültige Zeichen, die Grammatik eine Einrichtung, die, welche Vorzüge oder Mängel sie habe, sich doch am Ende immer mit gleichem Fortgang gebrauchen lasse, die Verschiedenheit der Sprachen ein Hindernis, dessen Hinwegräumung man wünschen müsse, wäre es auch nur dadurch, daß alle Lateinisch oder Französisch schrieben, das Studium der Sprachen bloß in Beziehung auf das in ihnen Geschriebene Wichtigkeit habe usf., sind durchweg und nicht bloß bei denen, die sich eigentlich mit Wissenschaften beschäftigen, sondern auch bei den Philologen die herrschenden. Dieser von gänzlicher Stumpfheit gegen das echte Sprachgefühl ausgehenden Ansicht ist alles spitzfindig oder schwärmerisch, was über die wahre Natur der Sprache auch noch so überdacht, noch so vorsichtig mit Tatsachen in Zusammenhang gebracht, noch so nüchtern gesagt wird. Bei dieser Abhandlung darf ich mir auch von einer andern Klasse von Lesern nur wenig versprechen, nämlich von denen, welche das Altertum, das höchste meine ich, ganz anders als ich ansehen, einen Unterschied unter den Nationen machen, der sich kaum noch dem Grade nach messen läßt, eine ursprüngliche Vollkommenheit auch in der Sprache, gewissermaßen eine Offenbarung annehmen, von der man nur nachher herabgesunken ist usf. Diese Ansicht hat Friedrich Schlegel zuerst auf die Sprachen angewendet. So unvollkommen aber auch seine Kenntnis selbst des Indischen war, und so sehr ihm alle nur einigermaßen allgemeine Sprachkunde mangelte, so hat dies System doch viel Beifall gefunden. Noch im letzten Stück der Indischen Bibliothek ist eine Stelle enthalten, aus der man sieht, daß auch sein Bruder diese Meinung noch teilt. Denen, die hieran hängen, muß ich nun vorkommen wie einer, der Wunder aus natürlichen Ursachen erklärt. Ich sage Ihnen dies, liebster Freund, um Ihnen zu zeigen, wie wichtig es mir bei dieser Lage der Dinge ist, Ihr Urteil zu hören, und wie viel mir daran liegt, daß Sie es mir recht offen und unverhohlen aussprechen. Ich sehe das wenige, was ich drucken lasse, vorzüglich gern als Vorwürfe an, über die sich allgemeiner reden läßt, und mithin ist mir auch Tadel, wo er die Kenntnis des Gegenstandes erweitert, immer willkommen. Ich habe auch die Absicht, die Hauptseiten des allgemeinen Sprachstudiums nicht nur mir klar zu machen, sondern auch mit anderen zur Sprache zu bringen, weil ich fühle, daß eine das Ganze umfassende, jedoch fürs erste nur einleitende Bearbeitung desselben, ein eigentliches Lehrbuch für dasselbe, das das System der Sprache von allen Seiten aufstellt, ein großes Bedürfnis ist. Denn dabei, daß man bloß eine allgemeine Grammatik aus philosophischen Begriffen, einen Mithridates, eine Art Topographie und Statistik der Sprachen und endlich einzelne Grammatiken und Lexiken hat, kann es unmöglich bleiben. Ich schmeichle mir selbst auf keine Weise, ein solches Lehrgebäude aufzuführen. Allein es wird früh oder spät doch zustande kommen, wenn eine richtigere Sprachansicht herrschend wird. Ehe man jedoch nur daran denken kann, es zusammenzutragen, muß man die Hauptfragen einzeln erörtern, und dies ist vorzüglich der Zweck, den ich bei diesen einzelnen Abhandlungen habe, die außerdem aus der Notwendigkeit entstehen, in der Akademie obligate Vorlesungen zu halten, eine Einrichtung, die ich nicht für sehr gut halte, die aber einmal besteht. – Daß Sie, liebster Freund, im ganzen dieselbe Ansicht mit mir von der Sprache haben, haben mir Ihre früheren Äußerungen oft bewiesen und spricht auch Ihr letzter Brief dadurch aus, daß Sie mit großem Recht der Sprache in der philologischen Enzyklopädie eine ganz eigene Stelle und Behandlung einräumen. Neuerlich habe ich einen anderen Punkt desselben Gebietes, nämlich das Alphabet, abgehandelt. Sie erinnern sich vielleicht, mir einmal geschrieben zu haben, daß Sie Zoegas Vorstellungsart, das Alphabet nur aus den Hieroglyphen entstehen zu lassen, nicht teilten. Dies hatte auch mir immer so geschienen. Im vorigen Winter fing ich eine Arbeit über die verschiedenen Schriftarten an und hatte schon die hieroglyphischen nach der Art abgehandelt, wie man es bloß nach den alten Schriftstellern kann. Glücklicherweise fiel mir Champollions lettre à Mme Dacier in die Hände, und ich sah voraus, daß von meiner Arbeit nichts zu brauchen sein würde und die Sache ganz anders stehe. Ich prüfte also diese neuen Ideen mit großer Genauigkeit und Schärfe und überzeugte mich noch mehr nach Erscheinung des ganzen Systems, daß die Champollionsche Entdeckung in der Tat haltbar und wirklich sehr wichtig ist. Ich verglich die Papyrusrollen, die Graf Minutoli mitgebracht hat, und die Champollion also nicht kennt, mit seinen Behauptungen, fand dieselben bestätigt und vieles in den Rollen vollkommen lesbar. So kehrte ich nun zu den Ideen über das Alphabet im allgemeinen zurück. Die Zoegasche Idee wird jetzt mit Triumph erneuert werden, da man nun wirklich aus Hieroglyphen unleugbar entstandene Alphabete und ein Alphabet in Hieroglyphen hat. Meine Meinung hat sich darum aber nicht umgeändert. Ich habe die Überzeugung, daß die Buchstabenschrift, d.h. ihre Erfindung, Art und eifrige oder kalte Aneignung, immer von der Stärke und Richtigkeit des Sprachsinns der Nationen abhängt, und daß, wo das Alphabet nicht auf diese Weise entsteht, es auch die Spur seiner Entstehung an sich trägt. Das hieroglyphische z.B. ist von der Art, daß es den wahren, immer wissenschaftlichen Nutzen des Alphabets wenig befördern kann. Es trägt immer das Gepräge einer Bilderschrift. Sind alle übrigen, z.B. die indischen, daraus entstanden, was mir sehr zweifelhaft scheint, so hat sich echter Sprachsinn der Idee bemächtigt und sie zu ganz etwas anderem gemacht; aber in diesem echten Sprachsinn lag schon die Idee des Alphabets präformiert da, und der Zufall bot mit den äußeren Zeichen nur die Gelegenheit, daß es äußerlich ans Licht trat. Ich habe vor wenigen Tagen in der Akademie eine Abhandlung über diesen Zusammenhang der Buchstabenschrift mit dem Sprachbau gelesen, die aber nur die allgemeine Idee und einiges über die Schriftlosigkeit der amerikanischen Sprachen enthält. In einer zweiten werde ich die ägyptische Schrift besonders abhandeln. In der jetzigen habe ich mich vorzüglich darauf eingelassen, wie in den Sprachen alles daran hängt, daß der Gedanke immer einzig und ganz an den Ton geknüpft werde, und bin also in diesen und seinen Einfluß auf die Sprache genau eingegangen. Allein genug von meinen Beschäftigungen, in die ich nur darum so weit eingetreten bin, weil ich weiß, daß Sie gütigen Teil daran nehmen.

Wir sind seit einigen Wochen hier, wo mein Hausbau dies Jahr vollendet wird. Ich wünschte, Sie könnten ihn sehen. Was ich von Gipsen, Marmorsachen usf. besitze und was sich, seit Sie es kennen, nicht unbedeutend vermehrt hat, ist nun hier zusammen aufgestellt und gewährt eine freundliche und belehrende Umgebung. Die Basreliefe sind in die Wand eingelassen. In Gips besitze ich vier der schönsten Stücke aus der Villa Ludovisi: den Junokopf, den sitzenden Mars, Arria und Paetus und Papirius mit der Mutter, Abdrücke, wie man sie selten so schön und rein sieht. – Meine Frau und Karoline grüßen Sie herzlich. Beide sind leidlich wohl. Mit innigster Hochachtung und Freundschaft der Ihrige

Humboldt.

An Karoline.

Tegel, 2. September 1824.

Es fängt jetzt etwas ruhiger an im Hause zu werden, liebe Li, der Saal ist eingerichtet und wird nun schon rein gemacht. Ebenso die große Stube unten, wo ich wohnen werde. In diese habe ich auch Deine Büste gestellt. Sie ist freilich ganz anders, als sie sein sollte und hat nichts von dem Zarten und Lieblichen, kaum einen leisen Schein des Tiefen Deines Gesichts, was im Schickschen Bilde, dem es auch an Grazie mangelt, doch sehr schön ausgedrückt ist. Aber eine Ähnlichkeit liegt immer darin, und ich habe sie in Rom immer in meiner Stube gehabt. Es gewährt doch der Phantasie einen Anhalt. Rauch hat nicht geruht, bis Thorwaldsens Name ihr hinten eingegraben worden ist. Tieck gibt ihm schuld, daß das nur aus Furcht sei, daß man glauben könnte, er habe den übergroßen Haarschmuck gemacht. Sonst stehen, aber an ganz verschiedenen Wänden, in meiner Stube die vier Torse. In meiner Schlafkammer habe ich auch auf ein altes Postament den Römerkopf gesetzt. Es ist nicht übel, eine strenge Miene vor sich zu haben, die einen zum Aufstehen nötigt. Auch die Kinder aber geben zu, daß der arme verschmähte Römer sich in seiner niedrigeren Stellung viel besser ausnimmt. Im Grunde seid Ihr ungerecht gegen den Kopf. Er ist recht gut gearbeitet, kann leicht ein Pompejus sein und ist wenigstens der echte Charakter eines Römers, der sonst im Hause nirgends mehr ist. Rauch meinte, ich solle ihn zwischen die weiblichen Torse stellen. Da hätte er aber wie ein Sittenrichter ausgesehen. Der große weibliche Torso steht in aller seiner Glorie. Es ist doch eine wunderschöne Gestalt. Arria nimmt sich mit den Armen auch viel besser aus, wirklich unvergleichlich schön. Ich denke doch, es soll Dir, geliebte Seele, Freude machen, den Saal neben Deinem Kabinett zu haben ...

An Welcker.

Tegel, 16. Mai 1825.

... Ihr freundschaftlicher Anteil an meinen Arbeiten hat mich herzlich gefreut. Ich habe mich mehrere Monate im vergangenen Winter mit etwas beschäftigt, das der Zusammenstellung aller Ideen über Sprache, die Sie mir vorschlagen, nahe kommt, und bin ziemlich weit darin vorgerückt. Nachher aber haben mich andere Zwischenbeschäftigungen abgezogen, und ich werde erst in einigen Wochen dazu zurückkehren können. Das Sprachstudium ist, wie ich es nehme, so unermeßlich, daß, wenn man nicht, wie ich nicht möchte, a priori absprechen will, man sich in unendlich Verschiedenes einlassen muß. Ich scheue es nicht. Ich sehe wohl, daß, indem ich mich auf diese Weise zerstreue, ich nicht zu einem das Ganze umfassenden Werk kommen werde. Aber einesteils ist meine Überzeugung fest, daß, ohne so viel einzelnes vorher durchzugehen, das Ganze auch besser ununternommen bleibt. Anderseits ist der Hauptzweck meines Lebens eigentlich nie weder das Schreiben noch das Tun gewesen, sondern der, durch Schreiben und Tun soviel als möglich, und durch so nahe kommende Anschauung als möglich von den verschiedenen Arten des menschlichen Seins und der menschlichen Bemühungen in mich aufzunehmen. Darum ist mir das Indische so lieb gewesen, weil es, groß und schön an sich, durchaus eigentümlich ist.

Eine Zeit habe ich wieder den ägyptischen Schriften gewidmet. In meiner Ansicht kann ich dieser Sache nicht fremd bleiben. Sie hat vielerlei wichtige Beziehungen. Die Champollionsche und Youngsche Art kenne ich nun hinlänglich und muß nun mit ihnen fortgehen. Aber die Spohnsche und die seines Herausgebers Seyffarth, der neulich hier bei mir war, sind neu, und ehe nicht der zweite Teil des Spohnschen Werkes erschienen ist, setze ich meine Abhandlung über die Schrift nicht fort und lasse auch den Anfang nicht drucken. Sie können aber einen Auszug aus der Handschrift im Journal Asiatique gesehen haben.

Mit dem Verfasser dieses Auszugs, Schultz aus Darmstadt, der mir ein recht geistvoller Mensch scheint, bin ich im Briefwechsel über das Chinesische, vorzüglich über den alten Stil, den man gewöhnlich chinesische Sprache nennt, der mir aber nur Manier einer philosophischen Sekte scheint, die Sprache zu behandeln. Doch ist dieser Versuch mit der Sprache höchst merkwürdig, auch darum, weil da offenbar die Schrift stark die Sprache gemodelt hat. Ich habe mehreres Chinesische in Übersetzungen und einiges ganz genau grammatikalisch im Original mit den französischen sehr guten Hilfsmitteln gelesen.

Seit mehreren Wochen aber sitze ich fast ohne Ausnahme in der Bhagavad-Gita und der indischen Philosophie, über die man nur ein paar sehr erläuternde Abhandlungen Colebrookes hat. Dies Werk zieht mich mehr an, je tiefer ich es studiere; es in seinen philosophischen Beziehungen, der ganz eigentümlichen und vortrefflichen philosophischen Terminologie zu durchschauen ist keine leichte Sache. Am wenigsten hat es Langlois verstanden, der Schlegeln im Journal Asiatique zu schulmeistern unternommen hat. Es ist ein wahres Glück, daß man mit einer Übersetzung von seiner Hand verschont geblieben ist. Ich möchte nicht bestreiten, daß Langlois ganz gut Sanskrit weiß und traue ihm darüber viel mehr Übung als mir selbst zu. Aber in das Philosophische ist er auch nicht von fern eingedrungen, und an meinem Urteil nach ganz mißverstandenen Stellen sind seine Aufsätze reich. Die Schlegelsche Übersetzung ist, meiner Überzeugung nach, ob sie gleich auch bedeutend viele Stellen hat, wo ich von ihm abweichen möchte, meisterhaft, und hätte sie niemand jetzt so liefern können. Aber ich habe mich durch genaue Prüfung der Wörter und Gedanken doch überzeugt und glaube es beweisen zu können, daß es auch nach dieser in jeder Rücksicht trefflichen Übersetzung unmöglich ist, die Philosophie des Gedichtes wahrhaft zu fassen und einzusehen. Diese ist in der Sprache eingewachsen, und jede Übersetzung bedürfte eines Kommentars, dessen der Text für den, der recht genau alle Parallelstellen vergleicht, entraten kann. Wie viel man in Absicht der Theorie der Wortbildung, vorzüglich der Bildung der unsinnlichen Ausdrücke für die Sprache überhaupt aus dem Indischen lernen kann, darauf bin ich erst jetzt gekommen. Mit der Gita muß man aber auch die philosophischen Stellen aus Manus Gesetzbuch vergleichen. Grüßen Sie doch Schlegel herzlich von mir und entschuldigen Sie mein unglaublich langes Stillschweigen bei ihm. Er ist aber nicht sicher, nicht recht bald einen sehr langen Brief von mir zu bekommen.

Niebuhr das Freundschaftlichste und Herzlichste von mir. Ich habe ihn zwar viel, aber lange nicht soviel gesehen, als ich gewünscht hätte.

An Charlotte Diede.

Tegel, 28. Juni 1825.

... Die Frage, die Sie aufwerfen, ist allerdings eine wichtige moralische Frage, nämlich, wieweit man in der Sicherheit, Gott wohlgefällig zu bleiben, in dem Hingeben an eine geliebte Person gehen könne. Sie haben schon selbst sehr richtig einige Grenzen darin bestimmt; ich glaube aber wohl, daß sich darüber noch einige allgemeinere Ansichten fassen lassen. Zuerst gehe ich davon aus, daß Gott nichts mißfällig ist, was mit reinen, edlen, keiner sittlichen Erkenntnis widersprechenden Gefühlen übereinstimmt. Dies ist gewiß auch Ihre Meinung. Gott hat darum die sittliche Erkenntnis und besonders das sittliche Gefühl, das, noch feinere Unterschiede machend, wohl noch verwirft, was die Erkenntnis wenigstens nicht mißbilligt, in uns gelegt, daß sie uns zur Richtschnur dienen sollen. Wollten wir nun noch weiter gehen und glauben, es könne unerlaubte Dinge geben, gegen die die Sittlichkeit nichts sagte, so schiene mir das eine Übertreibung oder ein Beweis von Mangel an Feinheit des sittlichen Gefühls. Was ein wirklich feines sittliches Gefühl billigt, das halte ich auch für Gott nicht mißfällig. Der Mensch kann nur menschlich urteilen. Ferner kann ich mir nicht vorstellen, daß man fürchten müßte, in seiner Liebe ein Geschöpf gleichsam Gott gleichzustellen. Gott will gerade in seinen Geschöpfen, durch die Art, wie man für sie fühlt und gegen sie handelt, von uns geliebt sein. Eine abgöttische Liebe ist mehr ein Wort, als daß ihm wirklich ein Begriff entspräche. Kein vernünftiger Mensch kann das höchste Wesen auf irgendeine Weise mit einem schwachen und vergänglichen Menschen vergleichen. Das könnte nur ungeregelte Leidenschaft – und dann würde sich auch gewiß finden, daß diese Leidenschaft auch gegen das Geschöpf nicht so rein und fleckenlos wäre, daß sie vor einem feinen und geläuterten sittlichen Gefühl vollkommen tadelfrei bestehen könnte. Alles kommt also immer auf diesen Punkt zurück. Indes müssen Sie mich wohl verstehen, liebe Charlotte, daß ich unter einem sittlichen Gefühl immer ein durch wahre Frömmigkeit geläutertes verstehe. Denn von Religion entfernte Sittlichkeit könnte für sich wohl auf Abwege kommen. Ferner meine ich auch kein dunkles Gefühl. Das Gefühl muß sich auf Erkenntnis und besonnene Einsicht gründen, nur gewissermaßen, um noch feiner zu entscheiden, darüber hinausgehen, so wie bei einem Gesange die gefühlte Musik immer noch etwas zu dem trockenen Begriff der Worte hinzusetzt. Eine Neigung nun, die von einem solchen Gefühl gebilligt wird, braucht sich nicht ängstlich Schranken in Absicht des Grades vorschreiben zu wollen. Welchen Grad sie erreichen möchte, bleibt sie eine reine und fromme Neigung, die nicht Geschöpf und Schöpfer verwechseln wird und vom letzteren nicht abführen kann. Daß Gott auch den Gegenstand einer solchen Neigung jeden Tag hinnehmen kann, ist gewiß. Wenn aber die Neigung so ist, wie ich sie geschildert habe, so wird ein solches Ereignis den, der sie hat, in tiefen Schmerz senken, aber nicht seiner Selbständigkeit berauben. Denn die Neigung könnte nicht von einem fromm-sittlichen Gefühle gebilligt sein, wenn nicht schon in ihr läge, daß man sich bei solchem Fall mit Demut in die Fügungen der Vorsehung ergeben werde. Alles übrige scheint mir nun sich von selbst zu verstehen. Man kann und darf niemanden in dem folgen, was nicht recht ist oder einem nicht so scheint; man kann also nie im voraus unbedingten Gehorsam versprechen noch fordern; man darf seine Wesensart, wenn sie widerstrebt, nicht aufgeben. Wenn aber der eine durchaus nichts fordert, was nicht mit jenem geschilderten sittlichen Gefühl in durchgängiger Harmonie steht, wenn der andere auch außerdem kein Widerstreben in sich fühlt, sein Eigen-Ich in solchen ganz moralisch gleichgültigen Dingen aufzugeben, so kann, ohne alle Verletzung irgendeiner Pflicht gegen sich selbst, völliges Hingeben, ja Unterwerfung eines gegen den anderen stattfinden, wenn nur immer die innere Kraft bleibt, sogleich innezuhalten, falls wirklich etwas, womit das Gefühl nicht übereinstimmte, dazwischenträte. Ohne diese Kraft aber hat und kann auch kein Hingeben Wert haben; es muß immer das Hingeben eines, der selbst stehen könnte, nicht das eines Kindes sein ...

Burgörner, 6. September 1825

... Es sagt dem Menschen eine innere Stimme, daß er frei und unabhängig ist; sie rechnet ihm das Gute und das Böse an, und aus der Beurteilung seiner selbst, die immer stärker und strenger sein muß als die anderer, muß man jene ganz körperlichen Einflüsse völlig hinweglassen. Es sind zwei verschiedene Gebiete, das der Abhängigkeit und das der Freiheit, und durch den bloßen Verstand läßt sich der Streit beider nicht lösen. In der Welt der Erscheinungen sind alle Dinge dergestalt verkettet, daß man, wenn man alle Umstände bis auf die kleinsten und entferntesten immer genau wüßte, beweisen könnte, daß der Mensch in jedem Augenblick gezwungen war, so zu handeln, wie er gehandelt hat. Dabei hat er aber doch immer das Gefühl, daß er, wollte er in das hemmende Rad greifen und sich von dieser ihn umstrickenden Verkettung losmachen, daß er's vermöchte. In diesem Gefühl seiner Freiheit liegt seine Menschenwürde. Es ist aber auch das, wodurch er gleichsam aus einer anderen Welt in diese eintritt. Denn im Irdischen allein kann nichts frei und im Überirdischen nichts gebunden sein. Der Widerstreit ist nur dadurch zu lösen, daß es eine Herrschaft des ganzen Gebiets der Freiheit über das ganze Gebiet der Abhängigkeit gibt, die wir nur im einzelnen nicht begreifen können, die aber die Verkettung der Dinge vom Uranfange so leitet, daß sie den freien Beschlüssen des Willens entsprechen muß.

...Schiller litt sehr, litt dauernd und wußte, wie auch eingetroffen ist, daß diese beständigen Leiden nach und nach seinen Tod herbeiführen würden. Von ihm aber konnte man wirklich sagen, daß er die Krankheit in den Körper verschlossen hielt. Denn zu welcher Stunde man zu ihm kommen, wie man ihn antreffen mochte, so war sein Geist ruhig und heiter und aufgelegt zu freundschaftlicher Mitteilung und interessantem und selbst tiefem Gespräch. Er pflegte sogar wohl zu sagen, daß man besser bei einem gewissen, doch freilich nicht zu angreifenden Übel arbeite, und ich habe ihn in solchen wirklich sehr unerfreulichen Zuständen Gedichte und prosaische Aufsätze machend gefunden, denen man diesen Ursprung gewiß nicht ansah.

Wenn sich Schwäche mit Wallung des Blutes, Unruhe oder gar Beängstigung vereinigt und dies Leiden mehrere Jahre dauert, so begreife ich freilich wohl, daß es Überdruß am Leben überhaupt hervorbringen kann; diesem aber sollte man doch immer mit allen Kräften entgegen arbeiten. Ich will nicht einmal darauf zurückgehen, daß dies offenbar sogar gebotene Religionspflicht ist; aber das Leben ist schon, selbst wenn es am längsten währt, gegen die unendliche Zeit, wo man wenigstens keinen Begriff im voraus von der Art des Daseins hat, so kurz, daß man nicht mit seinen Wünschen die Schranken noch näher rücken, sondern sich vielmehr, so gut es irgend gehen will, darin betten muß; und gewiß ist es fast noch wichtiger, wie der Mensch das Schicksal nimmt, als wie sein Schicksal ist...

Tegel, 17. Oktober 1825.

...Haben Sie in den letzten September- und ersten Oktobertagen wohl die Schönheit des östlichen Sternenhimmels bemerkt? Drei Planeten und ein Stern erster Größe standen überaus nahe beisammen. Am schönsten war es zwischen drei und vier Uhr des Morgens zu sehen. Ich bin mit meiner Frau fast alle Morgen aufgestanden, wir haben lange am Fenster verweilt und haben uns jedesmal nur mit Mühe von dem schönen Anblick losreißen können. Ich habe von meiner Jugend her sehr viel auf die Sterne und das Beschauen des gestirnten Himmels gehalten. Meine Frau teilte, wie die meisten, so auch diese meine Neigungen mit mir, und so habe ich mein ganzes Leben hindurch, zuzeiten mehr, zuzeiten weniger, in sternhellen Nächten zugebracht. Selten ist aber ein Jahr und eine Jahreszeit so günstig dazu gewesen als dieser wunderbar schöne, helle und reine Herbst. Ich kann nicht sagen, daß an den Sternen mich so die Betrachtung ihrer Unendlichkeit und des unermeßlichen Raums, den sie einnehmen, in Entzücken setzt; dies verwirrt vielmehr den Sinn, und in dieser Ansicht der Zahllosigkeit und der Unendlichkeit des Raumes liegt sogar sehr vieles, was gewiß nur auf menschlicher, nicht ewig zu dauern bestimmter Ansicht beruht. Noch weniger betrachte ich sie mit Hinsicht auf das Leben jenseits. Aber der bloße Gedanke, daß sie so außer und über allem Irdischen sind, das Gefühl, daß alles Irdische davor so verschwindet, daß der einzelne Mensch gegen diese in dem Luftraum verstreuten Welten so unendlich unbedeutend ist; daß seine Schicksale, sein Genießen und Entbehren, worauf er einen so kleinlichen Wert setzt, wie nichts gegen diese Größen verschwinden; dann, daß diese Gestirne alle Menschen und alle Zeiten des Erdbodens verknüpfen; daß sie alles gesehen haben vom Anbeginn an und alles sehen werden – darin verliere ich mich immer in stillem Vergnügen beim Anblick des gestirnten Himmels. Aber auch seine bloße Erscheinung, der einfache Glanz entzückt als eins der wundervollsten Schauspiele der Natur. An Welcker.

Tegel, 26. Oktober 1825.

...Mir wird es immer unmöglich bleiben, viel drucken zu lassen. Ich schreibe zum Druck zu zögernd und langsam und mache nicht bloß zu dem, was ich schreibe, oft übermäßig große Vorstudien, sondern oft auch Vorstudien zu Arbeiten, die ich nie mache oder die nie erscheinen, so daß auch von den Vorarbeiten niemand etwas erfährt. So habe ich im vergangenen Winter gewiß vier Wochen mit den Sprachen der Südseeinseln zugebracht und mir die Mühe gegeben, ein ganzes Otaheitisches Evangelium Johannis bloß nach dürftigen Hilfsmitteln verwandter Dialekte durchzuarbeiten, ohne daß ich weiß, ob ich davon je Gebrauch werde machen können. Es scheint mir aber notwendig, in den Studien, die ich treibe, vieles, auch zur Seite Liegendes, zu durchlaufen, bloß um gewiß zu sein, daß da nichts steckt, was den Behauptungen, die man machen möchte, feindlich entgegentritt. Das meiste aber, was in mir der Autorschaft entgegenwirkt, liegt tiefer in meiner Ansicht des Lebens. Ich habe, solange ich in Geschäften war, mehr auf das Tun als die Taten gehalten, und halte im literarischen Leben mehr vom Lernen als vom Hervorbringen. Ich habe einmal die bestimmte Idee, daß man, ehe man dies Leben verläßt, soviel von inneren menschlichen Erscheinungen – für die ich doch allein rechten Sinn habe, da mich alles andere nur vorübergehend berührt – kennen und in sich aufnehmen muß, als nur immer möglich ist. Ein mir neues wichtiges Buch, eine neue Lehre, eine neue Sprache scheinen mir etwas, das ich der Nacht des Todes entrissen habe, und machen mich innerlich viel mehr glücklich, als ich es aussprechen kann. Das geringe Talent äußerer Hervorbringung, das ich besitze, ist auch gar nicht zu vergleichen mit dem, wie ich wahrhaft sagen kann, viel ausgezeichneteren, Verschiedenartiges und Tiefes in mich aufzufassen und innerlich zu verknüpfen, und jeder Mensch muß doch seiner Individualität und seinem charakteristischen Talent nachgehen. Daß ich z.B. Sanskrit gelernt habe, kann ich in der Freude und Genugtuung, die es mir innerlich verschafft, mit keinem anderen Gut und keiner anderen Freude vergleichen. Es ist mir geradezu ein solcher Gewinn, wie es mir war, in das Griechische einzugehen, und da es sich mit dem Griechischen glücklicherweise in mir verbindet, stellt es sich auf einmal auf eine viel höhere Stufe. Den ganzen Sommer habe ich Manus Gesetzbuch gelesen und studiert, großenteils mit dem indischen Kommentar, und ob es gleich bei weitem die Eindrücke nicht hinterlassen kann, welche die Bhagavad-Gita macht, so gewährt es mir doch einen ungemeinen Genuß. Friedrich Schlegel hat von beiden Gedichten (verraten Sie mich aber dem Bruder nicht) wirklich ziemlich wie der Blinde von der Farbe gesprochen, und mit schneidender Systemsucht. Ich werde vermutlich auf die fertige Abhandlung über die Gita eine über den Manu folgen lassen, in der ich alle metaphysischen Stellen, die zum Teil ganze Bücher sind, auf das sorgfältigste durchgegangen bin. Ein großer Reiz des Altertums, davon bin ich jetzt fest überzeugt, liegt gewiß darin, daß eine Schrift aus klassischer Zeit nicht mehr Gedanken eines einzelnen, sondern einer Nation, eines Zeitalters scheint, und der Mensch will doch immer auf der breiten Basis der Menschheit ruhen, nicht ohne geheime Ahnung, daß in dieser unmittelbarer die Gottheit liegt.

Sie haben vielleicht, liebster Freund, aus den Zeitungen gesehen, daß ich an der Spitze eines Kunstvereins stehe, der sich hier gebildet hat, um die Hervorbringung und Verbreitung von Kunstwerken zu befördern. Die Sache hat sehr guten Fortgang, und wir mögen wohl schon 1200 bis 1300 Taler jährliche Beiträge unterzeichnet besitzen. Ich werde so frei sein, Ihnen einige Exemplare des Statuts und der Ankündigung zu überschicken, und es würde uns sehr freuen, wenn wir durch Sie auch von dorther Unterschriften erhielten ...

Februar 1826

... Meine Abhandlung über die Buchstabenschrift, die Schultz im Asiatischen Journal erwähnt hat, werden Sie, wenn nicht in diesem Briefe, doch in wenigen Tagen nachher erhalten. Ich werde sie sous bande abgehen lassen und so frei sein, ein Exemplar für Niebuhr und Schwenck beizulegen. Ich halte die Sache für wichtig und wahr und bin auch Ihrer Meinung, daß Alphabete ohne Hieroglyphen und chinesische Figuren erfunden worden sind. Über das Ägyptische habe ich in dieser Abhandlung fast ganz geschwiegen. Man muh erst abwarten, daß sich die streitenden Parteien mehr aussprechen. Dagegen habe ich mich diesen Winter ernstlich mit dem Chinesischen beschäftigt, was für das grammatische Studium ganz unentbehrlich ist. Es ist eine wahrhaft wunderbare Sprache, die man nicht überschätzen muß, aber nicht verachten kann, vielmehr von einer Seite sehr hoch achten muß. Die äußeren Schwierigkeiten scheinen groß, sind aber bis zu dem Zweck, um schon sehr wichtige Bücher lesen zu können, in weniger als vierzehn Tagen überwunden. Ich habe darüber geschrieben, will es aber erst Rémusat mitteilen, weil meine Kenntnis doch etwas jung ist. Über das Japanesische werden Sie eine Kleinigkeit von mir in kurzem im Journal Asiatique finden. Die Abhandlung über die Bhagavad-Gita werde ich erst im Sommer drucken lassen. Über den Manu habe ich nur erst die Materialien gesammelt. Ich erwarte die neue nun erschienene Ausgabe.

Bei allen diesen Sprachstudien komme ich immer darauf zurück und hoffe Gelegenheit zu finden, es einmal recht ordentlich zu sagen, daß die griechische Sprache und das griechische Altertum das Vorzüglichste bleiben, was je der menschliche Geist hervorgebracht hat. Was man vom Sanskrit rühmen mag: das Griechische erreicht es nicht, auch ganz einfach als Sprache nicht. Das wird immer mein Glaubensbekenntnis sein, und Schlegel weiß zu viel Griechisch, um das nicht auch zu finden; er müßte denn sagen, daß ich zu wenig Sanskrit wüßte. Dagegen würde ich wenig streiten, allein gerade das Grammatische habe ich genau im Sanskrit studiert, und darin möchte ich es ziemlich mit jedem aufnehmen. Ich verfolge jetzt in allen Sprachen, was keiner allein angehört, und darum muß ich mich verbreiten; aber ich denke mich doch einmal wieder bloß im Griechischen zu vertiefen und einer alten Idee nachzugehen, daß alle wahrhafte Geistesbildung aus den Eigentümlichkeiten des attischen Dialektes hervorgeht. Lassen Sie es sich also nicht leid sein, vorzugsweise im Griechischen zu leben und weben...

An Karoline.

Breslau, 25. April 1826

... Ich bin also hier, bestes Kind, und bin gestern mit drei Deiner Briefe sehr glücklich gewesen. Du liebes, gutes Herz bist gewiß noch mit der Hand sehr behindert und hast so viel und so hübsch, auch von Hand so hübsch geschrieben. Und so viele Neuigkeiten! Denn ich weiß gar nichts und habe noch nie in solcher Ruhe von der Außenwelt gelebt. Ich sterbe ihr auch immer mehr ab. So habe ich mit Staunen bemerkt in Ottmachau auf dem Altan, daß, wenn ich das linke Auge zumache, ich mit dem rechten auch nicht einmal so viel mehr bei der heitersten Luft die Berge sehe, daß ich mich noch an ihrer Schönheit freuen kann. Da ist es aber etwas Großes im Menschen, daß ihm das Innere doch bleibt. Freilich ist der arme K. ein schreckliches Beispiel des Gegenteils. Aber darin habe ich einen wunderbaren Glauben an die innere Kraft. Das kann nicht jedem begegnen. Der Arme tut mir sehr leid. Grüße ihn herzlich von mir.

Von Karoline.

... Daß Du eine so merkliche Abnahme Deines rechten Auges bemerkst, hat mich sehr traurig gemacht. Ach, lies und schreib nicht mehr so viel. Überlaß Dich bloß so mehr Deinen inneren Gedanken! Deine übrige Gesundheit ist doch derart, daß Du wahrscheinlicherweise noch ein 10 bis 15 Jahr lebst, und das Licht der Augen ist doch so unersetzlich, so kostbar. Und wenn ich Dir nun fehlen sollte in den letzten Jahren, es wäre Dir doch da doppelt traurig. Meine Augen und Deine Gesundheit im übrigen machen erst einen vollständigen Menschen.

An Karoline.

1. Mai 1826

... Es ist närrisch, daß ich meine Augen den Vormittag beim besten Licht schwächer fühle (denn das ist es nur, weh tun sie nie) als den Abend und die Nacht. Eine Brille möchte mir doch jetzt helfen. Denn ich sehe auch mit dem rechten ganz gut, wenn ich es fast auf den Gegenstand lege. Ach! süßes Kind, wenn ich Dich nicht mehr hätte, würde mich die Blindheit nicht so sehr betrüben. Dann geht für mich alles unter, und dann hüllt man sich gern in Schatten. Blindheit ist gewiß ein großes Unglück und eine durch nichts zu ersetzende Entbehrung. Allein die Finsternis ist auch Ruhe, und der Geist brütet über sich, wenn die Außenwelt ihm entrückt ist ...

Karoline an Humboldt.

Regensburg, September 1826

... Nun muß ich noch eins erwähnen. Ich habe mit mehr wie Wahrscheinlichkeit, leider muß ich sagen mit Gewißheit in Erfahrung gebracht, daß Hermann Toback raucht. Vielleicht tut er es nicht im Zimmer, aber bestimmt auf der Jagd. Ich hatte es ihm schon vor Monaten, wo ich eine Ahnung davon hatte, streng untersagt, und muß Dich bitten, es nicht zu leiden. Es führt zu Gemeinheiten, und wer den Anstrich nicht vermeidet, meidet auch nicht das Wesen ...

An Karoline.

Schulpforta, 12. Dezember 1826

... Mit meiner letzten Abhandlung über die Bhagavad-Gita habe ich besonderes Glück. Solltest Du glauben, daß sie auch auf Ilgen viel Eindruck gemacht hat, was ich mir nie hätte träumen lassen? Die darin entwickelten Ideen scheinen aber wirklich von der Art, daß sie auf die verschiedensten Menschen wirken. Der sonst bloß in die trockensten Beschäftigungen versenkte Ilgen hat mir einiges darüber gesagt, was mich wirklich verwundert hat. Ich bin sehr neugierig, ob Goethe einige Blicke hineingetan haben wird und ob es bei ihm einige Anregung gefunden hat. Ich glaube es nicht. Mir ist es bis jetzt die liebste Arbeit, die ich noch je gemacht habe, und sie kann es leicht bleiben. Ich las das indische Gedicht zuerst in Herrnstadt und verstand noch vieles darin nicht. Anderes dämmerte mir nur so im Halbdunkel. Aber ich werde nie den tiefen Eindruck vergessen, den es mir machte. Ich hatte so ein wahrhaft dankbares Gefühl gegen das Schicksal, es erlebt zu haben, solche Töne der Vorzeit zu vernehmen. Das, was man aus der ganzen Menschheit Neues, Großes oder Eigentümliches in sich auffaßt, sei es aus dem, was allen angehört im Studium der Zeiten und Völker, oder sei es im Privatleben in der Beschäftigung mit einzelnen Individuen, das allein ist doch das, was dem Leben Wert gibt. Reicher und immer reicher und voll inneren, stillen, über sich selbst brütenden Lebens das Leben zu verlassen, ist, je näher man dem Augenblick kommt, meiner Empfindung nach immer mehr das Ziel, was alle Wünsche verschlingt. Es mag, um dies ebenso zu empfinden, eine gewisse Innerlichkeit notwendig sein, die nicht allen Menschen eigen ist und von der es vielleicht gut sein mag, daß sie nicht allzu viele haben. Ich aber lebe und webe in ihr, und ich fühle doch, daß sie mich nie hindert und nie gehindert hat, auch an allem Äußerlichen teilzunehmen, wie es die Umstände forderten oder erlaubten. Nur freier und unabhängiger hat mich diese Richtung noch immer erhalten und mir Freuden gegeben, die sich mit nichts anderem vergleichen lassen.

Jena, 17. Dezember 1826.

... Ich habe vergessen, Dir aus der Pforta zu schreiben, daß Jahn jetzt in Freyburg lebt und bisweilen nach Naumburg kommt. Er hat bisher einen sehr lang herunterhängenden Bart gehabt. Seine Freunde haben ihn endlich vermocht, ihn abzuschneiden. Um aber das auch noch feierlich zu machen, hat er sich diesen Bart die Nacht abgeschnitten und ihn seiner Frau, die ruhig schlief, auf das Deckbett gelegt. Die Unglückliche hat beinah den Tod vor Schreck gehabt, wie sie beim Erwachen das rauhe Ungeheuer entdeckt hat...

Weimar, 26. Dezember 1826.

... Mit Goethe habe ich nun seine »Helena« ganz durchgelesen. Er selbst hat sie mir von einem Ende zum anderen vorgelesen. Leider aber hat seine Stimme doch durch das Alter sehr verloren, so daß es ihr manchmal selbst an Deutlichkeit fehlt.

Die »Helena« macht eine Episode im »Faust«. Sie ist aber so abgeschlossen für sich, daß sie jetzt allein gedruckt werden wird. Sie beruht auf der Legende, daß Faust die Helena verlangte, der Teufel sie ihm herbeischaffte und beide einen Sohn miteinander zeugten. Das ganze Stück, das Goethe selbst eine Phantasmagorie betitelt, spielt also mit Gespenstern, geistigen und traumhaften Gebilden, und so, als eine Traumgestalt, muß man es betrachten, um es richtig zu beurteilen. In den ersten Szenen sieht man ihm das aber nicht an. Vielmehr ist es da wie ein wirkliches Drama mit leibhaften Figuren, ungefähr wie die Gespenstergeschichten, die man hat, wo Leute glauben, mit Menschen zu sprechen und dann Gespenster sehen. Der Hebel im ganzen Stück ist wieder Mephistopheles, der aber in der Gestalt eines weiblichen, fabelhaften antiken Ungeheuers, der Phorkyas, die als von Menelaos zurückgelassene Schafferin auftritt, spielt. Nur nach dem Stück legt er die Maske ab und erscheint, aber ohne mehr zu sprechen, als Mephistopheles.

Das Stück fängt damit an, daß Helena mit dem Menelaos zurückkehrt, aber vorausgeschickt wird, den Palast leer findet, nur die Phorkyas antrifft, die ihr ankündigt, daß Menelaos sie opfern wird. Von da zieht sie, um sich zu retten, in Fausts Burg, die im Peloponnes ist, und hier und in einem arkadischen Waldgebirge spielt nun das Stück aus.

Das Sonderbarste, und was man an sich nicht raten würde, ist, daß Faust und Helenas Sohn Lord Byron ist, der als wilder Knabe herankommt, vor den Augen der Zuschauer zum Jüngling heranwächst und endlich, weil er im Griechenkriegs überkühne Flüge machen will, wie Ikarus versengt auf den Boden fällt. Genannt ist er nicht, auch so wenig bezeichnet, daß wenigstens ich ihn nicht erraten habe; aber wenn man weiß, daß er gemeint ist, so paßt alles und wunderschön auf ihn. Von dem Ende der »Helena« an ist der »Faust« jetzt, wie mir Goethe sagt, so gut als fertig. Ich muß auf die »Helena« ein andermal zurückkommen, heute habe ich nicht Zeit ...

Weimar, 29. Dezember 1826.

Heute Nachmittag habe ich bei Goethe Schillers Schädel gesehen. Goethe und ich – Riemer war noch dabei – haben lange davor gesessen, und der Anblick bewegt einen gar wunderlich. Was man lebend so groß, so teilnehmend, so in Gedanken und Empfindungen bewegt vor sich gesehen hat, das liegt nun so starr und tot wie ein steinernes Bild da. Goethe hat den Kopf in seiner Verwahrung, er zeigt ihn niemand. Ich bin der einzige, der ihn bisher gesehen, und er hat mich sehr gebeten, es hier nicht zu erzählen.

Zuerst mußt Du wissen, daß man den Kopf nicht absichtlich vom Rumpf getrennt hat. Die oberen Särge hatten in dem Gewölbe, wo Schiller vorläufig hingestellt war, die unteren zerbrochen. Das Gewölbe war außerdem feucht gewesen. So waren die Gebeine der einzelnen Begrabenen auseinandergegangen und lagen entblößt. Man suchte nach den Schillerschen und fand das ganze Skelett bis auf einige Teile. Goethe nahm nur den Schädel und ließ die übrigen Gebeine in der Bibliothek in einen Kasten niederlegen. Da sollen diese ruhen, bis er selbst stirbt. Dann hat er auf dem neuen Kirchhof, wo sich auch der Großherzog eine Familiengruft errichtet hat, eine Gruft neben dieser zurichten lassen. In dieser will dann er mit Schiller begraben sein. Ob man den Schädel auch in die Gruft tut, überläßt er dann den Übrigbleibenden. Jetzt liegt er auf einem blausamtenen Kissen, und es ist ein gläsernes Gefäß darüber, das man aber abnehmen kann. Man kann sich wirklich an der Form dieses Kopfes nicht satt sehen. Wir hatten einen Gipsabguß von Rafaels Schädel daneben. Der letztere ist regelmäßiger, gehaltener, in ganz gleich verteilter Wölbung. Aber der Schillersche Kopf hat etwas Größeres, Umfassenderes, mehr auf einzelnen Punkten sich ausdehnend und entfaltend, neben anderen, wo Flächen oder Einsenkungen sind. Es ist ein unendlich ergreifender Anblick, aber doch ein sehr merkwürdiger.

Daß man bei der Niederlegung des Kopfes Reden gehalten, daß Schillers Sohn dabei tätig gewesen ist, alles das ist gegen Goethes Absicht geschehen, der auch keinen Teil daran genommen. Er ist vielmehr den Tag verreist. Goethes Absicht ist allein gewesen, die Gebeine und besonders den Schädel herauszufinden, hervorzusondern von den übrigen, die durch eine Art Nachlässigkeit im Gewölbe vermischt lagen, und sie schicklich und anständig aufzubewahren, bis man sie der Erde auf eine angemessene Weise zurückgeben könnte.

So, liebe Li, wirst Du auch nichts hierin finden, das irgendeine Zartheit verletzte. Vielmehr liegt in der Vereinigung zweier großer Männer, die sich so nahe im Leben standen, auch im Grabe etwas Schönes und edel Empfundenes.

Goethe spricht von seinem eigenen Tode mit einer großen Ruhe und Gelassenheit, mit mehr selbst, als ich erwartet hätte. Ich glaube aber, daß glücklicherweise der Zeitpunkt noch weit entfernt ist. Er hat eigentlich weder Krankheit noch Krankheitsstoff, wie es scheint. Ein großer Beweis dafür ist, daß er, der sonst so regelmäßig ein Bad besuchte, jetzt ohne allen Schaden nun schon zwei- oder gar dreimal die Kur unterlassen hat. Er ist kräftig, heiter und sehr produktiv, auch an allem mehr oder weniger Anteil nehmend. Er hatte eine Geschwulst der Ohrdrüse (parotis), die aufging und mehrere Monate lang in Eiterung geblieben ist. Man glaubt, daß ihm dies heilsam geworden ist, und merkwürdig ist es, daß, da man alles tat, um ein Zuheilen absichtlich zu verhindern, das Geschwür sich von selbst geschlossen und die Eiterung nach und nach aufgehört, und daß er auch davon keinen Nachteil gespürt hat. Alle seine Sinne sind noch von gewohnter Schärfe. Zu seiner Erhaltung trägt wohl ein junger verständiger Arzt bei, von dem ich Dir schon geschrieben zu haben glaube. Er heißt Vogel, ist zuletzt in Liegnitz gewesen und von da hierher berufen worden. R. muß ihn kennen, er soll ihn sehr geliebt haben. Er wirkt weniger durch Arzneien bei Goethe und vorzüglich auch beim Großherzog, als dadurch, daß er sich bei beiden Vertrauen und ärztliche Autorität verschafft hat und nun beide eine bessere Diät führen läßt, sowohl im Essen und Trinken, als in täglicher, aber mäßiger Bewegung. Der Großherzog hatte sich besonders an vieles Medizinieren gewöhnt.

Goethe ißt indes doch ziemlich stark. Im Lauf des Vormittags trinkt er ein großes Wasserglas Wein und ißt Brot dazu, und am Weihnachtsfeiertag sah ich ihn des Morgens eine solche Portion Napfkuchen zu dem Wein verzehren, daß es mich wirklich wunderte. Ich bleibe dabei, nichts außer der Schokolade den Morgen zu nehmen.

Seit dem Mittwoch sind wir wieder in schwarzen Unterkleidern, was immer das Wahrzeichen der wiederkehrenden Ruhe hier bei Hofe ist. Ich esse alle Mittag nach gewohnter Sitte an der großherzoglichen Tafel und seit der Abreise des Prinzen alle Abend mit dem Großherzog bei Frau von H. Er bringt mich dann in seinem Wagen zu Hause.

...Von Riemer schrieb ich Dir, glaube ich, noch gar nicht, obgleich er mir immer Grüße und Empfehlungen für Dich aufträgt. So verhäßlicht in den Zügen hat sich kein Mensch. Alles ins Breite, Stiere und Schlaffe übergegangen. Unglaublich und bedauernswürdig. Aber man mag wohl selbst so werden, ohne daß man es weiß. Goethe hat mich zeichnen lassen und findet die Zeichnung sehr ähnlich und unverbesserlich. Sie ist es also gewiß. Aber ich leugne nicht, ich habe Dich ordentlich bedauert, daß Du mich immer um Dich sehen mußt. Die Zeit hat meine Züge, die immer etwas Auffallendes hatten, noch mehr alteriert, und was unvermerkt vor sich geht, kommt einem bei einem Bilde auf einmal ins Auge.

Lebe wohl, inniggeliebtes Kind.

An den Schwiegersohn Hedemann.

1827.

...Stein hat sich mit dem lebhaftesten Anteil nach Dir erkundigt und mir viele Grüße aufgetragen. Er war liebenswürdiger als ich ihn je gekannt habe, ebenso milde als lebendig, heiter und offen und wahr über alle Menschen und Sachen. Er hat über alles mit der größesten Freiheit sich geäußert. Seine Gesinnungen und Meinungen habe ich noch gerade ebenso gefunden, als ich sie kannte, da ich ihn 1817 verließ. Es ist durchaus falsch, daß er sich zu sehr auf eine Seite neige. Er ist immer im besten Verstande des Wortes sehr adlig gesinnt gewesen; er hat immer ein wenig zu viel, wenigstens mehr als ich tue, Gewicht auf die Geburt gelegt – beides tut er noch. Allein damit hängt, und ohne die mindeste Inkonsequenz, die weitherzigste Gesinnung und die vorurteilsloseste Abwägung aller Interessen in ihm zusammen. Ich habe ihn sehr viel gesehen, da man uns immer zusammen einzuladen pflegte. Besonders tat dies oft und sehr freundschaftlich Gneisenau.

An Charlotte Diede.

Tegel, 16. Oktober 1828.

...Am Himmel werden Sie sich bald orientieren, da Sie einen schönen und weiten Horizont von allen Seiten haben, und in Ihren Beobachtungen fortfahren. Man muß nämlich den Himmel nach einer gewissen Methode durchgehen und sich große Abteilungen machen. Zuerst müssen Sie suchen, die Sterne recht genau und fest zu erkennen, die bei uns niemals untergehen und nur vor der Helligkeit des Tages verschwinden, sonst aber ihren ganzen täglichen Kreis vor unseren Augen vollenden würden. Sie stehen bekanntlich nur, wie Sie wissen, im Norden, und drehen sich um den Polarstern und die beiden Bären herum und sind leicht zu erkennen, da man sie an jedem sternenhellen Abend sieht und sie zu denselben Stunden in allen Jahreszeiten dieselbe Stelle haben. Zu diesen gehört auch die Capella, deren Sie erwähnen. Zweitens müssen Sie die zwölf Sternbilder des Tierkreises aufsuchen. Man sieht in jeder Jahreszeit immer nur sechs auf einmal am Himmel. Bliebe man eine ganze Nacht auf, so gehen natürlich einige unter und andere kommen herauf. Allein einige werden dann immer vom Tage überholt. Wenn man nur eins recht fest kennt, sind die anderen sehr leicht zu finden, da sie, wie in einem großen Gürtel um den Himmel herum liegen, man also die Richtung, in der man suchen muß, nicht verfehlen kann, wenn man sich vorher mit der Ordnung und Folgenreihe, vor- und rückwärts, recht bekannt gemacht hat. Die im Winter, im Januar und Dezember, so zwischen sieben und neun Uhr erscheinen, sind schöner als diejenigen, die man zu gleicher Zeit im Sommer sieht. Der Löwe ist ein sehr schönes Gestirn, ist aber jetzt erst in späten Stunden sichtbar. Die Planeten erscheinen immer nur in demselben Gürtel, und können diejenigen, die noch nicht recht geübt sind, manchmal sehr irre machen. Allein man lernt sie doch auch bald unterscheiden. Kennt man einmal recht fest die nie untergehenden nördlichen Gestirne und die Tierkreiszeichen, so ist es dann leicht, sich für die noch übrigen Gestirne zurechtzufinden. Denn nun macht man sich mit denen bekannt, die zwischen dem Tierkreis und den nie untergehenden Gestirnen, und dann mit denen, die zwischen dem Tierkreis und dem südlichen Horizont auf- und untergehen.

Sie sagen sehr richtig, daß das Betrachten des gestirnten Himmels von der Erde abzieht und die Seele mit höheren Ahnungen, Sehnen und Hoffen erfülle, tröste und erhebe. Das tut es im höchsten Grade. Wenn man diese unendliche, unzählige Menge von Gestirnen betrachtet und bedenkt, so scheint es zwar ein ordentlich schaudernder Gedanke, daß eine so ungeheure Menge im Weltall herumschwimmt. Der Mensch fühlt sich darin gleichsam wie erdrückt. Allein die Ordnung und Harmonie, in denen alle Bewegungen vor sich gehen und alle Zeiten hindurch vor sich gegangen sind, ist ein wohltätiges, tröstendes Zeichen einer höheren Macht, einer geistigen Herrschaft, die wieder beruhigt und die Besorgnis tröstend aufhebt. Mit unveränderlicher Teilnahme Ihr H.

Wilhelm v. Humboldt an seine Tochter Gabriele.

Berlin, 30. November 1828.

Du mußt mir nicht böse sein, liebes Kind, daß ich Dir, seit wir uns in London so schmerzlich verließen, noch nicht geschrieben habe. Aber ich komme wenig zum Briefschreiben und sehe Deinen Briefwechsel mit der lieben Mutter als einen an, der zugleich zwischen uns beiden ist. Ich nehme den innigsten Teil an allem, was Du über Dich und die Kinder schreibst, und bin unendlich oft in Gedanken bei Euch. Es scheint ja jetzt mit Dir und Deiner Gesundheit sehr gut und mit den Kindern auch so zu gehen, daß auch Linchen Dir keine Besorgnis gibt. Umarme das liebe Kind tausendmal von mir. Sie ist so gut und klug und hat immer eine besondere Zuneigung zu mir gehabt. Die beiden anderen werden nun schon viel besser Englisch sprechen als wir alle. Es ist nicht zu leugnen, daß den Kindern der Aufenthalt in London zu ihrer Entwicklung sehr vorteilhaft sein wird. Da Ihr fortfahrt, mit ihnen Deutsch zu reden, so werden sie das nicht verlieren. Auch haben wir bei Dir, süße Gabriele, und Adelheid gesehen, daß selbst eine ganz fremde Erziehung das einer Deutschen angeborene Wesen nicht nimmt, ja nicht einmal schwächt, und der Aufenthalt in einem fremden Lande, besonders in so zarter Jugend, gibt doch Eindrücke und Kenntnisse, die auf das ganze Leben bleiben. Wenn wir darum nur Euch hier nicht missen müßten! Ich komme nie gegen Abend im Wagen zu Hause und sage, daß angespannt werden soll, ohne daran zu denken, wie süß es war, sonst immer hinzusetzen zu können, daß nach Tisch für Dich angespannt werden müsse. Es ist recht öde im Hause ohne Dich, geliebte Seele, und Bülow und die hübschen Kinder. Mit der Gesundheit der Mutter geht es im ganzen, wie Du weißt, gar nicht recht, manchmal besser, manchmal weniger gut; aber im ganzen ist der Zustand schwer zu beurteilen und zu beschreiben. ...

Heute aber ist es so gut gegangen, daß ich wirklich Hoffnung schöpfe, daß die Besserung diesmal dauernder und anhaltender sein wird. Die Mutter war heute auch bei weitem heiterer, hatte gut geschlafen und scheint selbst Vertrauen zur Heilung geschöpft zu haben. So, liebe Gabriele, ist der Zustand so wahr beschrieben, wie er sich wirklich verhält. Ich fürchte beinahe, daß Dir die Mutter zu wehmütig und niedergeschlagen schreibt, da sie wirklich alle diese Wochen so war. Sehr unangenehm ist das Übel allerdings. Allein wenn es so in Schranken gehalten wird, daß es nicht zu sehr zunimmt, so ist es auf keine Weise beunruhigend und wirklich ist es in einem Wege der Besserung. Ich hoffe sogar, daß es ganz geheilt werden soll, und sehr viel halte ich gewonnen, wenn die Mutter nur selbst wieder Vertrauen faßt und weniger niedergeschlagen ist...

Mit innigster Liebe Dein treuer Vater H.

An den Schwiegersohn Hedemann.

Berlin, 12. Dezember 1828.

Ich halte es für gut, Dir, liebster Sohn, allein einige Worte über den Gesundheitszustand der armen Mutter zu sagen, von dem Du, was Du gut hältst, der lieben Adelheid mitteilen wirst. Ich werde Dir alles Wesentliche sagen, aber sehr kurz sein ...

Die Mutter machte selbst die Entdeckung ... Sie sagte mir eben mit großer Bewegung (dies waren ihre Worte), »daß sie wohl bald Abschied nehmen würde«, und Kunth sagte sie, »es sei der Anfang des Endes«. So ist es nun auch offenbar. Das Übel ist da und ist unheilbar. Wie kurz oder lange, ob und wie schmerzhaft sein Fortgang sein wird, kann niemand bestimmen. Es ist möglich, daß es sehr langsam geht, daß jene Schwäche die Schmerzen lindert. So könnte es Jahre dauern. Aber mir ist das nicht wahrscheinlich, die physische Kraftlosigkeit ist zu groß ...

Die Mutter freut sich unglaublich auf Euch, Hermann wird auch zu Weihnachten hier sein.

Nun lebe wohl. Mein Gemüt ist zerrissen. Karolinen hat die Mutter alles sorgfältig verheimlicht. Sie ist traurig, ahnet doch aber die nahe Gefahr nicht.

Ich habe nun die schreckliche Gewißheit, daß ich die Mutter überleben werde. Ich hoffte immer das Gegenteil, und es wäre für mich, für Euch alle, auch für meine Frau selbst, so sehr sie mich vermißt haben würde, besser gewesen. Ich werde suchen, ruhig und gefaßt zu bleiben und mich in das Unvermeidliche zu finden. Aber mein inneres Dasein wird durch diesen Tod noch mehr als die äußere Existenz zerstört. Das weiß ich, wie man eine Naturbegebenheit voraus weiß. Außerdem tut mir die arme Karoline unglaublich leid.

Sage nicht, lieber August, daß ich mich zu sehr im voraus ängstige. Die Sache ist leider zu gewiß. Nur der Zeitpunkt ist ungewiß, und man kann nicht einmal unbedingt einen späten wünschen. Es könnte auch langes Leiden sein.

So, lieber August, habe ich, wie ich immer gern tue, mein Herz gegen Dich ausgeschüttet. Lebe wohl!

Von inniger Seele Dein treuer Vater H.

Humboldt an Goethe.

Berlin, 12. Februar 1829.

Ich hatte, seitdem ich das Glück hatte, Sie das letztemal zu sehen, verehrtester Freund, wo Sie mich so ungemein freundschaftlich und liebevoll aufnahmen, mehrere Male den Gedanken, Ihnen zu schreiben, ließ mich aber immer durch die Furcht abhalten, Ihnen mit meinen Briefen lästig zu werden. Die Beschäftigungen, dir ich jetzt ausschließlich treibe, können keinen Anspruch darauf machen, zu dem Kreise zu gehören, der Sie lebhaft interessiert, und darum sandte ich Ihnen auch die Kleinigkeiten nicht zu, die ich in dieser Zwischenzeit drucken ließ. Sie sagten mir einmal, daß Sie, was ich sehr natürlich finde, jetzt Ihre Zeit nur für solche Lektüre verwendeten, die auch Ihnen gleich unmittelbare Veranlassung zu eigener Beschäftigung gäbe...

Die erschienenen Teile Ihres Briefwechsels mit Schiller habe ich mit unendlicher Freude gelesen. Sie haben mir nicht den Eindruck eines Buches, sondern einer schönen verlebten Zeit gemacht. Es hat mich aufs neue gerührt, welche freundschaftliche Stellung Sie beide mir damals zwischen sich erlaubt hatten, und wie oft Ihre Briefe Zeuge davon sind. Ich sehe dies als das schönste Denkmal an, das mir hätte für die Nachwelt gewährt werden können.

Was ich in der neuen Ausgabe Ihrer Werke gelesen habe, hat mir einen unendlichen Genuß verschafft. Es ist aber eine unglückliche Idee des sonst sehr braven Cotta, die Oktavausgabe zurückzuhalten und die Duodezausgabe allein zu geben. Meine Augen erlaubten mir nicht mehr, diese selbst zu lesen, und so sehr es ein zehnfacher Genuß ist, Sie, teuerster Freund, Ihre Arbeiten selbst vortragen zu hören, so ist es kaum, für mich wenigstens, ein halber, sie sich von einem anderen vorlesen zu lassen.

Meine Frau trägt mir die herzlichsten und liebevollsten Grüße auf. Sie war sehr, sehr krank, und es gab im November und Dezember Wochen, wo ich mich dem schrecklichen Augenblicke, sie zu verlieren, sehr nahe glaubte. Diese nahe drohende Gefahr ist jetzt vorüber; aber die wohltuende Empfindung des ruhigen Besitzes, wo man keine andere Unsicherheit vor sich sieht als die allgemeine Ungewißheit aller menschlichen Dinge, ist nicht wiedergewonnen, und ich weiß nicht, ob ich sie wiedergewinnen werde. Das Zusammenleben mit meiner Frau war und ist die Grundlage meines Lebens, ich fühle mich daher in meinem Innersten angegriffen und zerstört. Ich sage nichts weiter darüber, weil ich Sie auch nicht betrüben möchte.

Leben Sie herzlich wohl und sagen Sie mir bald mit einigen gütigen Zeilen, daß es Ihnen nicht unlieb war, daß ich mich in Ihr Andenken zurückrief. Mit der innigsten Verehrung und Freundschaft der Ihrige Humboldt.

An die Tochter Gabriele von Bülow.

Berlin, 27. März 1829.

Das Herz hat mir geblutet, teure Gabriele, so oft ich in diesen letzten Wochen die Briefe an Dich zumachte. Ach, Du konntest doch nicht daraus eigentlich sehen, welche Gefahr die arme Mutter bedrohte, welcher Schmerz Deinem liebenden kindlichen Herzen bevorstand. Die gute, liebe Mutter hat ausgelitten. In Liebe gegen uns alle, Abwesende und Anwesende, die sie in ein: »Lebt wohl! Weint nicht! Seid ruhig!« zusammenfaßte, in frommer Ergebung in Gottes Willen, in himmlischer Ruhe und Klarheit des Geistes schlief sie gestern früh um halb acht Uhr sanft und, Gott sei's ewig gedankt, ohne Schmerzen ein. Keine, auch nicht die leiseste Verzückung entstellt die lieben Züge, und sie gleicht auch heute noch nur einer tief Schlafenden. Sie hatte sich, wie sie Dir wohl geschrieben haben werden, vor mehreren Tagen mit ihrem Bett in den Salon tragen lassen, mit dem Gesicht gegen die Wand gekehrt, wo Dein, Deiner Schwestern und Mathildens Bilder hängen, und es war sichtbar, welchen Trost ihr diese lieben Bilder, vorzüglich Deines, gewährten. Sie nannte es selbst oft eine Unschuldswelt. Überhaupt, teure Gabriele, mußt Du Dir kein zu trübes Bild von der ganzen Krankheit der Mutter entwerfen. Ich sage es Dir mit Fleiß, weil man in der Entfernung das große Schreckliche allein in die Einbildungskraft faßt, aber sich gar nicht deutlich denken kann, wie ein starkes und immer wohlwollendes, immer freundliches und heiteres Gemüt, wie es die teuerste Mutter besaß, jeden Moment der Erleichterung benutzt und selbst das schwer zu Tragende milder aufnimmt. Wirklich hat auch die arme Mutter nicht viel heftige Schmerzen, mehr nur Leiden an großer Beschwerlichkeit, schlaflose Nächte und Entbehrung an Bewegung und frischer Luft gehabt. Wie sie sich nur irgend freier körperlich fühlte, und dies war noch zwei, selbst einen Tag vor ihrem Ableben der Fall, war sie heiter und scherzte, wie sie es in gesunden Tagen pflegte, und bekümmerte sich um alle Kleinigkeiten im Hause. Es ist mir ein wahrer Trost für sie und Dich, geliebte Tochter, daß sie Dir noch vor kurzem selbst hat schreiben können. Es ist das wohl das Letzte, was von ihrer Hand übrigbleibt. Sie gedachte Deiner und Deiner lieben Kinder immer mit einer so rührenden Liebe und doch nie mit der quälenden, ungestillten Sehnsucht, die mehr weh als wohl tut. Sie sah alle Dinge so in ihrer wahren Gestalt und fügte sich immer mit so schöner Bereitwilligkeit in alle Fügungen des Geschicks. Vor dem Tode hatte sie auch nicht einen Schatten von Unruhe oder Besorgnis, und doch war ihr wieder das Leben teuer. Sie nahm jede ärztliche Hilfe an, wies nichts zurück, faßte sogar, wenn sie doch in etwas besser war, gleich wieder Mut zum Besserwerden, ob sie gleich im ganzen schon lange einsah, daß sie von dieser Krankheit nicht genesen würde. Ein wirklich unendliches Glück war es, daß Dieffendach, den sie bei R.'s Krankheit eigentlich allein als Arzt brauchte, ihr so in jeder Rücksicht zusagte. Sie liebte ihn eigentlich als Menschen, und sein Hereintreten ins Zimmer wirkte schon beruhigend auf sie. Er ist die letzten Nächte unausgesetzt bei ihr gewesen. Uns schickte sie immer und schon früh fort. Wir sollten alle schlafen. Es war Sorge für uns, uns dem Anblick ihres Leidens zu entziehen; aber ihre Nerven waren auch in so gereiztem Zustande, daß sie oft nur die Nähe eines einzigen Menschen ertragen konnte und also außer der Pflegerin niemand um sich haben wollte. Begraben wünscht sie, wie sie Adelheiden einmal geäußert hat, in Tegel zu werden, bei der großen Eiche und den dunklen Tannen, die am Ende des Weinbergs stehen. Sie hat auch da so liebevoll hinzugesetzt: »Man sieht da das Schloß«. Sie will also, daß ihre sterbliche Hülle in unserer Nähe bleibe. Ich werde dort einen Platz mit einem Monument einrichten lassen; bis man sie aber dorthin bringen kann, lasse ich sie auf dem Tegelschen Kirchhof in einer mit Holz verwahrten Gruft beisetzen. Ich war heute dort, um den Platz auszusuchen. Ich habe eingeleitet, daß Schleiermacher die Beerdigung verrichtet; es wird ein Trost für uns sein und ist auch dem Herzen und dem Gefühl der Verstorbenen gemäß. –

Ja, liebe Gabriele, ich stehe jetzt sehr allein, Eure Liebe und Eure Güte können mein einziger Trost sein. Möge der gütige Gott mit Dir alles glücklich wenden! Er wird es, Dir Trost und Beruhigung und Freude nach der tiefen, bitteren Schmerzenszeit geben. Lasse Dich aber, teure Gabriele, durch den Schmerz nicht zu sehr niederbeugen. Die gute Mutter, die gewiß jetzt immer von Dir und uns allen weiß und Dir näher steht als hier in dieser hilflosen Endlichkeit, will gewiß nicht, daß uns, daß Dich der Schmerz niederdrücke. »Weinet nicht! Seid ruhig!« sagte sie mit rührend mahnender Stimme so oft in ihrer letzten Stunde. Sieh, geliebtes Kind, das ist nicht anders. Die Eltern gehen früher fort, einer folgt dem anderen. Denke mit Wehmut, aber mit milder, mit stiller und der, die die Seele zu der unendlichen Zukunft erhebt, der teuren, geliebten Mutter; mische dies Andenken in die Freuden, die Dich durch Bülows Liebe, durch die lieben, lieben Kinder umgeben. Schreibe mir manchmal – recht oft, ich liebe Dich unendlich und beschäftige mich so gern mit Dir. Bisher hatten wir eine Sprache miteinander durch die liebe Mutter; jetzt, da diese verstummt ist, schreibe mir öfter. Und nun drücke ich Dich und die Kinder mit tiefster Innigkeit an mein Herz. Lebe wohl und gedenke mein!

Dein treuer Vater H.

An Karoline von Wolzogen.

Berlin, 9. April 1829.

...Ich bin bei allem gegenwärtig gewesen. Ich habe jeden Tag fünf-, sechsmal sie besucht und halbe Stunden bei ihr gesessen. Es ist ein unendlich schmerzliches, aber auch unendlich anziehendes Gefühl, sich die Züge, die einem das Grab nun auf ewig entreißt, noch einmal recht tief einzuprägen. Aber das Zumachen des Sarges, das Wegtragen, das sind die fürchterlichen Momente, und nun lagert sich die Öde über das Haus, den Familienkreis, das Dasein, die nie wieder weicht. Meine Frau hat in Tegel im Garten begraben sein wollen; sie hat den Fleck bezeichnet, wo eine Eiche unter dunklen Tannen steht, und so menschlich, als wollte sie mit uns bleiben, hinzugesetzt: Da sieht man das Haus. Keine Gruft... Wir werden sie an diesem Denkmal in der Erde begraben. Das ist naturgemäßer. Staub mit Staub zu mischen, und so hatte sie es auch gewünscht. Denn noch in den letzten Tagen hatte sie gesagt: In Tegel wird mir's besser werden im Rasen mit Blumen, ich meine den Rasen über mir. Schleiermacher, zu dem sich die Verstorbene hier immer hielt, der auch unsere Töchter getraut hat, hielt eine einfache, aber passende und schöne Rede.


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