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7.

Kaum hatte Haroun den entscheidenden Schritt gethan, als es ihn reute. Seine Unruhe, seine Eifersucht folterten ihn schrecklicher, als je; mehr als einmal sprang er von seinem Sitze auf, um die Glücklichen, die er eben vereinigt hatte, durch einen Machtspruch wiederum zu trennen. Nur sein Ehrgeiz, die Sorge für seinen Ruhm, seine Klugheit, sein Verstand hatten gesiegt, nicht sein Herz; dies fühlte er nun. Schon wollte dieses alle gemachte Vorstellungen unterjochen, als ihm sein böser Dämon den entworfenen Plan zulispelte. In diesem sah er Ruhe für sich, Genugthuung, die peinvollste Probe für Giafar, Strafe, Rache an ihm, an seiner Schwester; mit eben dem wollüstigen Genusse, mit dem die Großen jeden Plan zur Unterjochung des Menschen ansehen, betrachtete er ihn nun. Zum erstenmal lächelte er wieder. Kalt gab er seinem obersten Diener den Befehl, Alles auf den künftigen Abend zur Hochzeit der Prinzessin einzurichten, davon zu schweigen, bis er ihm gebieten würde, laut zu werden. Die schnelle, unerwartete Nachricht sollte ihn zugleich an Khozaima rächen, den er als den Urheber seiner Qual ansah.

Giafar erschien den folgenden Tag vor dem Khalifen, ließ sich vor ihm nieder und dankte ihm mit dem lebhaftesten Gefühl für das hohe Glück, das er ihm bestimmte.

Haroun. Danke mir nicht, Barmecide, für Das, was ich gezwungen that – und erwäge, daß das Glück, für das du mir so entzückt nun dankst, mein Unglück macht – vielleicht das deine – später beweinst auch du vielleicht diesen Augenblick, den nun ich beweine. Schweige und höre; ich weiß, was mir deine Weisheit alles sagen kann, Haroun hat sich's selbst gesagt und bedarf deines Geschwätzes nicht. – O unaussprechlich Glückliche, die ich hasse und liebe – bewundre und verabscheue – die ich lieben muß, so sehr ich sie verabscheue – du – du hast mich alles Dessen beraubt, was meinem Leben Reiz und Werth gab. Hier steh' ich, Asiens Herr, von äußerm Glanz umschimmert und Finsterniß, Pein, Groll und Mißmuth im zerfleischten Busen.

Giafar. So klage sich der Herr Asiens selber an, daß er eine Pein in seinem Busen nährt, die ihn, seinen Werth und seinen Ruhm zu verzehren droht. Ich bin schuldlos und kann dich mehr bedauern, als entschuldigen.

Haroun. Schuldlos! Keiner ist schuldlos, der die Ursache des Leidens eines Andern ist. Sein Dasein scheint Dem ein Verbrechen, der durch ihn leidet, und reizt nur zu oft dazu.

Giafar. Herr, das Glück ist groß, das du mir einen Augenblick gezeigt hast. Nie konnt' ich wagen, es zu hoffen, und noch scheint mir's ein Traum, von dem ich mich, wachend, wie ich vor dir stehe, kaum überzeugen kann. Auch sagst du weise, vielleicht in prophetischem Geiste, ich könnte einst diesen Augenblick beweinen. Setze deinen Ruhm, dein Glück in Sicherheit, wenn du es auf eine andre Weise kannst, und laß mir Alles, was geschah, einen Traum bleiben. Kann ich ihn nicht vergessen, so kann ich ihn doch verschweigen.

Haroun. Feiger! so kalt kannst du diesem Glück entsagen? Kannst, willst Der entsagen, deren Preis mein ganz von ihr durchdrungenes Herz nicht zu bestimmen, nicht auszusprechen fähig ist? O Abbassa, kein Sterblicher war deiner werth, als Haroun! Und Diesem – Diesem da sollt' ich dich geben, dem kalten Schwätzer, der dich nimmt, weil ich's so haben will, der dir entsagt, weil ich mürrisch auf ihn blicke. Du liebst Abbassa nicht!

Giafar. Mein Geständniß würde deinen Zorn entflammen, – und doch – ja, ich liebe sie – liebe sie mehr wie du – reiner und edler – und darf sie lieben.

Haroun (ergrimmt und dann sich fassend). Giafar – die Wiederholung dieses Geständnisses könnte mich zu deinem Mörder machen. Ich bitte dich, sei hier nicht vorschnell. – Liebt sie Der, welcher um ihretwillen nicht sterben kann? Und du – du kannst ihr entsagen, wenn ich es gebiete?

Giafar. Ich entsagte einer, die ich mir erzogen, zu meinem künftigen Glück erzogen hatte. Gestern überraschtest du mich mit der Vermählung deiner Schwester, der schönsten, erhabensten Sterblichen; meine Seele erhob sich, da ich aus meinem ersten Erstaunen erwachte; schon sah ich mich durch ihren Besitz der hohen Tugend näher, nach der ich ringe, fühlte mich gedoppelt glücklich, weil ich wähnte, diese Verbindung würde auch deine Ruhe sichern. Was ich heute sehe, setzt mich in Zweifel über dich, und darum sage ich dir noch einmal: Kannst du auf Kosten meines Glücks, bisher nur geträumten Glücks, deine Ruhe sichern, so thu' es. Ich liebe, bewundere deine erhabene Schwester; aber mich fesselt ein noch stärkeres, wichtigeres, älteres Band, dem ich deine Gunst, sie und mich aufopfre!

Haroun. Und dieses Band?

Giafar. Die Pflicht, die mich an dein Volk, durch dein Volk an dich bindet; denn kein anderes Band an dich hast du mir verstattet, so sehr mein Herz es suchte. Erlaube mir zu thun, was meine Vernunft für gut erkennt, und hier stehe ich, das Spiel deines Unwillens, deiner Laune, deines Hasses – tritt auf das Opferthier, das sich dir geweiht hat.

Haroun. Giafar, du lehrst mich meine Pflicht, ich fühle sie; aber wenn ich dir sagte, wie ich sie liebe – dir den Kampf erzählte – die Qualen, die ich ausgestanden – die Gefahr, in der ich schwebte – Pflicht, Herrschaft, Ruhm, Thron, Alles würd' ich ihr aufgeopfert haben. Nur Eins fesselte mich, der Zuruf des Gewissens, das Bewußtsein, das Gefühl, die Reinste, die Erhabenste ihres Geschlechts herabzuwürdigen. Schaudere nun! ohne dies wär' ich gefallen, für diese und jene Welt gefallen. O warum ward ich nicht mit ihr geboren, bevor der Prophet durch einen Machtspruch, den ich mit schaudernder Ehrsucht verehre, über mein Schicksal entschied! Warum lebt' ich nicht, da die Herrscher dieses Landes – deine Vorfahren, Barmecide, sich mit Denen vermählen durften, mit denen sie die Natur schon durchs Blut vermählt hatte. – Giafar, sie wuchs an meinem Busen auf – ich bildete sie – belebte die ersten Empfindungen ihres Herzens, entwickelte mit Sorgfalt die Blüthe der Schönheit ihres Körpers, ihres Geistes. Mein waren ihre ersten Empfindungen, nur floßen sie verklärter, schöner in mein Herz zurück. Mit der Sanftmuth ihres Geistes geschmückt, neu beseelt hört' ich meine Gedanken wieder. Sie begleitete mich auf meiner Flucht vor meinem Bruder, ward meine getreue, unermüdete Gefährtin, trotzte allen Gefahren, schlief oft mit mir in unzugänglichen Höhlen, ergötzte mich mit ihrem süßen Geschwätze, heilte meinen Trübsinn mit ihrer Musik, ihren schöngedichteten Liedern, und die Schwache, die Furchtsame, die Zartgebaute ward aus Liebe zu dem irrenden Flüchtling kühn und stark. Wie nun die reine Bruderliebe in eigennützige, leidenschaftliche ausartete, dies weiß ich nicht – es begann und war – entstand, ohne daß ich's wußte, ohne daß ich's sah, ohne daß ich's wollte – und da sie da war – schon in meinem Busen glühte, da konnt' ich nicht mehr wollen, daß es anders sei – da faßte ich den Entschluß, sie sollte nie eines Andern sein, – nur mir leben – sollte sich mit meiner Tugend, meinem Ruhm vermählen, in ihnen den Lohn der Aufopferung finden und meine Stirne mit denen an ihrer Seite errungenen Lorbeern kränzen. So hoffte ich, die wilden Flammen an ihrem Glanze zu reinigen, und gelungen wär' mir's ohne dich. – – Es ist vorbei, ich habe sie nicht mir gebildet, habe für Andere der Blume gewartet – doch bei dem Propheten, kein Lebender soll die schöne Blüthe beflecken – rein, duftend, wie sie nun noch ist, soll sie die verheißnen Gärten des Propheten schmücken; dort will ich sie wieder finden, wie ich sie hier gewaltsam hingeben muß, und dieses ist's, was ich dir nun sagen will. Raserei ergreift mich bei dem Gedanken, daß sie eines Andern Weib soll werden, wie das Weib es wird – sie – dich – die Kinder, die sie zeugt – laß mich's nicht aussprechen, Allmächtiger! – Ja, starre, zittre, erblasse, bebe – heute vermähl' ich dich mit ihr – noch diesen Abend – doch vorher mußt du mir auf das heilige Wort des Propheten schwören, ihr nie als Mann zu nahen. Du mußt deine Seele durch einen Eid an meine Ruhe, an meine rastlose Eifersucht fesseln, mit dem Bewußtsein fesseln, daß du des Todes stirbst, wenn du ihn verletzest. Schwöre und sei mein Freund, mein Retter – gebiete über Asiens Schätze – fordere, Alles, was Haroun vermag, ist dein!

Giafar. Ich kann diesen Eid nicht schwören.

Haroun. Warum? Giafar. Weil ich nichts beschwören kann, wovon ich nicht gewiß bin, ob ich die Kraft es zu erfüllen habe.

Haroun. So gedenkst du's nicht zu halten?

Giafar. Herr, hast du erwogen, was du nun von mir forderst? Nach deinem eignen Herzen erwogen? Hast du erwogen die Reize deiner Schwester, die Schwäche der Menschheit, das Unnatürliche, was du forderst?

Haroun. Ich habe es und fühle, daß ich dich vor allen Großen meines Reichs zu meinem Schwager erhebe, daß dieser Name dich mehr belohnt, als du je verdienen kannst. Ich lebte Stunden an ihrer Seite wo ich gerne mein Leben um ihren Besitz gegeben hätte, noch gerne drum gäbe! ihre Reinheit fesselte mich – Laß sie dich nun fesseln –

Giafar. Sie soll mich fesseln – ich will der Menschen Recht vergessen, der Natur Hohn sprechen und Haroun wiederum zu dem Mann machen, den ich jetzt in ihm vermisse. Doch nur der Leichtsinnige, der auf augenblicklichen Gewinn sieht und das Uebrige dem Zufall überläßt, bindet sich durch einen Eid.

Haroun. Ein Mann wie du, der seine Pflicht nie aus den Augen verliert, der selbst meiner Macht trotzt, wenn er mit ihr im Widerspruch steht, kann diesen Eid mir leisten, kann ihn halten. Schwöre ihn und sei mein Freund.

Giafar. Der dir ihn schwört, verpflichtet sich über seine Kräfte, oder schwört ihn in der Hoffnung, dich zu täuschen.

Haroun. So schwöre ich – hier auf dieses heilige Buch – bei dem Glanze meiner Vorfahren – bei dem erhabenen Propheten – bei dem Allmächtigen, zu dessen Thron mein kühner Schwur aufsteigt, du stirbst den Tod des Verbrechers, wenn du meine Schwester – die ich über Pflicht und Gewissen liebe, die ich dir gezwungen abtrete, als Weib erkennst. – Blässe des Todes deckt nun deine Wangen – ich kann nicht anders – an meinem Herzen nagt die Verzweiflung, und das Gift der Eifersucht hat es ganz erfüllt.

Giafar. Hier steht dein Opfer – das Schicksal hat dir's zugeführt, und die Pflicht unterwirft es deinem Wahnsinn. Tödte, vernichte – und wisse nur, daß Giafar, dem du dräust, Abbassa nicht um seinetwillen, nicht um ihrentwillen zum Weibe nimmt! daß er deinen Willen erfüllt, um dich zu retten, da du anders nicht zu retten bist! daß er nur dadurch deine durch diese Leidenschaft zerrüttete Tugend wieder herzustellen hofft.

Haroun. Sei ein Mann! Dir geb' ich sie, weil ich nur deiner Tugend traue. Weil ich dich eben so achte, als ich dich hassen muß, und weil ich hoffe, daß du mich nicht zur Rache reizen wirst. Diesen Abend wird sie deine Gemahlin – ihren Namen sollst du nicht mehr von meinen Lippen hören; vernimmst du ihn, so ist er der Ausspruch deines Todes.

Er öffnete die Thüre, winkte den Hofleuten, einzutreten, und stellte ihnen den Barmeciden als seinen Schwager vor. Alle standen erstaunt, blickten wie träumend bald auf den Khalifen, bald auf Giafar; nur Khozaimas Freunde erholten sich zuerst und bezeigten ihre Freude über Harouns Entschluß. Reiner, wärmer fühlte sie das Volk, da das Gerücht durch Bagdad erscholl. Die Handwerker warfen ihr Werkzeug weg, die Kaufleute schlossen ihre Buden, Alles stürzte auf die Straßen, eilte nach des Khalifen, nach Giafars Palast und schrie ihnen Dank, Glück und Segen zu. Sie riefen einander zu: »der Khalife habe nur darum den Barmeciden gezwungen, seine erste Gemahlin zu verstoßen, damit er ihn mit der schönsten und größten Prinzessin, mit seiner erhabenen Schwester, belohnen könnte.«

Haroun fühlte nun, was er gewonnen hatte; aber er fühlte es als Regent, lächelte seiner Weisheit und Stärke zu, genoß die Frucht des schwer erfochtnen Siegs und erinnerte sich Dessen nicht, der ihm, ihn zu erkämpfen, die Mittel gab, der sich so großmüthig als Opfer seiner Rettung hingegeben hatte. Giafar hörte das Freudengeschrei des Volks, ahnete die Ursache, und Thränen stürzten aus seinen Augen – rollten über seine Wangen nach seinen bebenden Lippen. Ein düstres, Unglück weissagendes Gefühl verfinsterte seinen Geist und zog sein Herz zusammen. Er eilte nach dem Garten des Khalifen und fühlte nun mit aller Stärke, zu was er sich verbunden hatte. Sein Geist empörte sich gegen die Grausamkeit Harouns, seine harten Aeußerungen, sein Geständniß des Hasses, das er ihm ohne alle Schonung machte. Sein Herz fühlte Alles zurück, was er schon von ihm erlitten, und schauderte ahnungsvoll vor Dem, was er noch zu erwarten hatte. In der widernatürlichen, tyrannischen Bedingung sah er seinen von ihm entworfenen Sturz, seine tückisch ausgesonnene Rache, eine die Menschheit empörende Eifersucht, einen gänzlichen Mangel von moralischer Kraft und Werth. Alles Edle, Große, was er bisher von ihm gedacht hatte, stürzte vor diesen Vorstellungen zusammen, und er fand in seinen Tugenden weiter nichts, als einen kalt ausstudirten Plan des gefühllosen Herrschers. Sein Herz wollte sinken, die schmerzhaften Empfindungen wollten seinen Verstand umhüllen – ein heller Blick auf das Vergangene, auf Das, was er gethan hatte, noch thun konnte; sein Ruf, Das, was das jauchzende Volk von ihm erwartete; das Große, Erhabene des Siegs, wenn er hier nicht unterläge, die Hoffnung, durch sein Dulden, sein Ausharren, seine Stärke eben diesen, ihm nun bedaurungswürdig scheinenden Khalifen zum Glauben an die Tugend zu zwingen; der Gedanke, ihn von einem Verbrechen gegen die Natur gerettet zu haben; der feste Vorsatz, nichts zu thun, was den Zweck stören könnte, auf den ihn seine Vernunft so hell und bestimmt hinwies, erhoben seine Seele. Vor seinen Augen stand Abbassas Bild in ihrem ganzen Reiz, sein Herz erglühte in reinem Feuer, und sein erwachter Geist dachte nun, was sie ihm sein könnte, wie sie durch die Größe ihrer Seele, durch ihre Sanftmuth das Gute, das er suchte, befördern würde. Nun sah er in ihr eine ihm zugetheilte Gesellschafterin, ihn auf dem rauhen, gefährlichen Weg zu leiten, worauf die Menschheit sich so leicht verirrt. Er fühlte die Möglichkeit des Siegs über sich, blickte auf das Glück der Millionen, die Vollendung seines Zwecks, und Schamröthe färbte seine Wangen, daß er, der Prüfung gewohnt, auf Prüfung gefaßt, das Erhabene seiner Bestimmung so lange vergessen, sie gegen einen augenblicklichen Genuß der Sinne in Anschlag bringen konnte. Seine ganze Stärke war zurückgekehrt; er eilte nach dem Palast zurück, entschlossen, wenn er fallen müßte, als ein reines Opfer der Tugend hinzusinken, im Bewußtsein, seine Pflicht gethan zu haben, in der Gewißheit, der Mensch sei Schöpfer seines Werths, und nichts entschuldige die Unterlassung des Guten, das er auszuführen fähig ist.


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