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Zwölftes Kapitel.
Sofia

Eisschollen tauchen aus dem Nebel auf und treiben still auf ihrem Weg zum Schwarzen Meer dahin. Wir sitzen in einem langen, schmalen Boot, für dessen Fortbewegung sechs Ruderer sorgen. Ein hochgewachsener, lederhäutiger Seeräuber am Steuer führt uns und murmelt heiser der Mannschaft seine Anordnungen zu. Wir sind mitten auf der schönen blauen Donau.

Eine Eisscholle gleitet von hinten an uns heran. Die Riemen schlagen hart auf das Eis. Der Steuermann hält angestrengt Kurs, das Boot schwankt, die sechs Passagiere werfen einander Blicke zu; aber die Ruderer lachen, und dreißig Minuten später sind wir in Bulgarien.

Das ist der einzige Weg, auf dem man von Bukarest nach Sofia kommen kann. Auf demselben Weg wurde schon vor tausend Jahren die Reise gemacht, als die Vorfahren der Balkanvölker sich in Felle kleideten und Brücken etwas Unbekanntes waren. Auch heute noch führt unterhalb Budapests keine Brücke über die Donau.

Es gibt keine Brücke, weil die Völker zu beiden Seiten des Flusses einander so mißtrauen, daß sie lieber den Strom zwischen sich haben. Heute ist das Mißtrauen noch nicht tot, aber es gibt Brücken in der internationalen Politik: man unterzeichnet in diesem Teil der Welt Nichtangriffspakte mit geradezu bestürzender Geschwindigkeit.

»Paktomanie« nennt man das in Genf. Man sieht es in Völkerbundskreisen nicht gern, weil es bedeutet, daß Europa jede Hoffnung darauf aufgegeben hat, der Völkerbund könne etwas Wirksames zur Erhaltung des Friedens tun. Als der Völkerbund ins Wanken geriet, machte sich erst die eine, dann die andere Nation hastig an die Aufgabe, selbst Einzelverträge mit den Nachbarn abzuschließen. Als Hitler zur Macht kam und Deutschland aus dem Völkerbund austrat, beschleunigte sich diese Bewegung, und heute nehmen den Vordergrund der diplomatischen Bühne Europas Außenminister ein, die von einer Hauptstadt zur anderen eilen, die Hände anderer Außenminister ergreifen und sagen: »Geben wir uns das Versprechen, nicht zu kämpfen.«

Die Sowjet-Union fing damit an. Sie lebte stets in Angst vor Angriffen, weil Lenin gelehrt hat, die kapitalistische Welt werde einem sozialistischen Staate nicht erlauben zu existieren. Heute hat Japan aus Rußlands theoretischer Besorgtheit eine sehr reale gemacht. Getrieben von dem Wunsch, sich im Rücken zu decken, schloß die Sowjet-Union, vertreten durch den überaus geschickten Maxim Litwinoff, eiligst Verträge mit allen seinen westlichen Nachbarn ab. Sie erhielt von Finnland, Estland, Lettland, Litauen, Polen und sogar von Rumänien das Versprechen, daß man nicht gegen sie kämpfen werde.

Was Rußland dafür Rumänien versprach, bedeutete in praxi, daß es seine Ansprüche auf Beßarabien aufgab, das Rumänien an sich gerissen hatte, während die Bolschewisten von ihrer Revolution in Anspruch genommen waren. Beßarabien ist auch einer der Gründe der Kriegsangst, die völlig verschwunden sind.

Hitlers Aufstieg trieb Frankreich in das Sowjet-Lager. Frankreich war von Rußland durch den alten Streit über die zaristischen Schulden getrennt worden. Moskau stand in den besten freundschaftlichen Beziehungen zu Berlin. Ein Blick auf das nationalsozialistische Deutschland genügte, um Moskau und Paris einander anzunähern. Sie schlossen gleichfalls einen Pakt, und wenn auch ihre Freundschaft noch keineswegs mit der alten Allianz zwischen Paris und St. Petersburg verglichen werden kann, so ist die Gruppierung der Großmächte in Europa 1934 doch nahezu identisch mit der im Jahre 1914. Frankreich, Rußland und England sympathisieren miteinander zumindest in ihrer Gegnerschaft gegen Deutschland, während Italien die Rolle des Unentschiedenen spielt.

Nun hat die Paktomanie den Balkan ergriffen. Erst kam die Aktion der Kleinen Entente im Frühling des vergangenen Jahres, als die Tschechoslowakei, Rumänien und Jugoslawien ihre Front befestigten und bekannt gaben, daß von nun an keiner von ihnen politisch etwas ohne die anderen unternehmen würde.

Der kluge Tewfik Rushdi Bey von der Türkei und der verschlagene Maximos von Griechenland machten den Anfang, indem sie im vergangenen September einen Nichtangriffs- und Freundschaftspakt unterzeichneten – ein Schritt, dem in der westlichen Welt zu wenig Beachtung geschenkt wurde. Er bedeutete wieder einmal, daß zwei uralte Feinde, getrennt durch Jahrhunderte der Gegnerschaft, ihre Streitigkeiten begraben hatten, und daß eine Kriegsmöglichkeit mehr zum Verschwinden gebracht worden war.

Heute haben dieselben beiden Staatsmänner den anspruchsvollsten aller Balkanpakte lanciert, einen Pakt, der sämtliche Balkanstaaten umfassen soll, der ein Gelöbnis ewiger Freundschaft vorsieht und einen Eid, einander niemals anzugreifen. Die wichtigsten Mitglieder sind die Türkei, Griechenland, Rumänien und Jugoslawien. Vor allem aber wünschen sie, Bulgarien dafür zu gewinnen. Bulgarien jedoch bleibt seinerseits dabei, es werde dem Pakt nicht beitreten, wenn er eine Festlegung seiner jetzigen Grenzen enthalte.

Der bulgarische Ministerpräsident Nikola Muschanoff, ein großer, breiter Mann mit rotem Gesicht und weißem Kavalleristenschnurrbart, freut sich sehr über die Besserung der Aussichten auf eine Erhaltung des Friedens auf dem Balkan. Ganz besonders erfreut ihn die Besserung der bulgarisch-jugoslawischen Beziehungen. Die beiden Länder befanden sich seit Kriegsende in latentem Kriegszustand. Mazedonien gehört teils zu Jugoslawien, teils zu Bulgarien. Mazedonische Banden aus Bulgarien machten immer wieder Einfälle nach Jugoslawien. Belgrad war zehn-, zwölfmal daran, zu mobilisieren. Heute hat die Sofioter Regierung die Mazedonier so unterdrückt, daß die Überfälle aufgehört haben.

Auch Belgrad machte, aus Furcht vor dem aufkommenden Sturm in Westeuropa und geleitet von dem Wunsch, sich den Rücken zu decken, Sofia Avancen. Die beiden Könige statteten einander Besuche ab. »Heute«, sagte Ministerpräsident Muschanoff, »ist das wichtigste Ereignis auf dem Balkan seit Jahren die Besserung unserer Beziehungen zu Jugoslawien. Wir verhandeln über eine Tierarzneimittelkonvention, über Handels- und Paßabkommen und über eine Vereinbarung zur Erleichterung des Transitverkehrs zwischen beiden Ländern. Das ist ein guter Anfang, und es ist wirklich erstaunlich zu beobachten, wie die Freundschaft wächst.

Sehen Sie sich unsere Besuche aus Belgrad an. Wir hatten eine Delegation jugoslawischer Maler hier, die eine Ausstellung veranstaltete; der jugoslawische Pen-Club hat uns einen Besuch abgestattet; und der jugoslawische Akademiker-Chor hat ein Konzert bei uns gegeben. Das erscheint Ihnen vielleicht ziemlich unwichtig. Aber noch vor einem Jahr wäre es völlig unmöglich gewesen.«

Es ist klar, daß Bulgarien ein gegenseitiger Freundschafts- und Nichtangriffsvertrag mit Jugoslawien lieber wäre als ein Beitritt zu dem großen Balkanpakt, durch den es gezwungen wäre, gegenüber Griechenland, Rumänien und der Türkei, die ihm alle Gebiet weggenommen haben, seine Grenzen zu bestätigen.

Was die allgemeinen Aussichten auf Krieg oder Frieden in Westeuropa betrifft, war der Ministerpräsident nicht allzu hoffnungsvoll: »Es gibt nur eine Möglichkeit, den Krieg zu verhüten«, sagte er, »und die besteht darin, daß man die Ungerechtigkeiten aus der Welt schafft, die in den Menschen die Kriegswünsche erwecken, und dann abrüstet. Wenn es Deutschland gelingt, die anderen Mächte dazu zu bringen, daß sie ihre Versprechungen halten und abrüsten, wird es keinen Krieg geben. Wenn die Abrüstung nicht kommt, erscheint mir der Krieg schließlich und endlich unvermeidlich.

Aber ein Krieg hat noch niemals Probleme gelöst. Neue Kriege konnten immer nur neue Probleme schaffen. Mir ist völlig klar, daß Europa nach noch einem Krieg kommunistisch werden würde, und meiner Meinung nach wären dann gerade die sogenannten ›Sieger‹ diejenigen, die am meisten verlieren würden.«

Es waren nahezu eben dieselben Worte, deren sich Hitler bedient hatte. Ich fragte ihn, was er von den deutschen Absichten halte.

»Hitler«, erklärte er, »kann nicht den Krieg gegen ein geeintes Europa wünschen. Ganz entschiedene Zeichen sprechen für eine Änderung der deutschen Haltung. In den letzten Monaten hat Hitler von nichts anderem als vom Frieden gesprochen.«

Die Katastrophen-Theorie, das heißt die Theorie, daß ein Krieg das Ende der Zivilisation mit sich brächte, ist heute das in Europa am weitesten verbreitete Argument gegen die Möglichkeit eines Krieges. Das zweitwichtigste Argument ist die wachsende Neigung, die Möglichkeit zu prüfen, daß Hitler wirklich die Erhaltung des Friedens wünscht, und vielleicht auch für die Dauer wünscht. Es wird noch nicht von allen europäischen Staatsmännern geglaubt, aber die völlige Ungläubigkeit, die noch im vorigen Jahr Hitlers Versprechungen entgegengebracht wurde, hat heute einem skeptischen »Vielleicht« Platz gemacht.

*

Für einen Arbeiter in Amerika bedeutet die N. R. A., die National Recovery Act, kürzere Arbeitsstunden, höhere Löhne, mehr Beschäftigung.

Für den König von Bulgarien bedeutet die N. R. A. heute, daß der Krieg in Europa schließlich vielleicht doch vermieden werden kann.

Die Amerikaner, die völlig davon in Anspruch genommen sind, sich von der schlimmsten Krise der Geschichte zu erholen, ahnen nur zum geringsten Teil etwas von der internationalen politischen Bedeutung und dem Interesse, das das amerikanische Wirtschaftsexperiment in der ganzen Welt hervorruft. Hier in Bulgarien nennt der Souverän König Boris III. den Plan des Präsidenten Roosevelt als allerersten unter den Gründen, weshalb Europa vom Krieg verschont bleiben wird.

Er sieht darin die stärkste Friedenshoffnung und die verheißungsvollste Garantie gegen Revolutionen. Hier, in diesem entlegenen Teil Europas, der siebentausend Meilen von den Vereinigten Staaten entfernt ist, haben der amerikanische Präsident und das amerikanische Volk einen Bewunderer und Freund. König Boris nimmt das so ernst, daß er heute zum erstenmal in seinem Leben eine Ausnahme machte, daß er einen Korrespondenten empfing und ihm gestattete, ihn zu zitieren.

König Boris, ein junger, kaum vierzigjähriger Souverän, hat ein Benehmen, das so anspruchslos ist wie das jedes beliebigen Bürgers. Er ist eine Bestätigung der paradoxen Behauptung, die sein Ministerpräsident, Nicolas Muschanoff mir gegenüber machte: »Das Königreich Bulgarien ist eine Demokratie.« Er kommt nahezu bis zur Tür, um seinen Besucher zu begrüßen, und sein gastlicher Händedruck läßt jeden Gedanken an Formalitäten verschwinden.

Von den Wänden seines Arbeitszimmers, die bis zur Decke mit zahllosen Porträts bedeckt sind, blicken die Augen fast sämtlicher gekrönten Häupter auf uns herab, die im Europa des letzten halben Jahrhunderts gelebt haben. Sie alle tragen Kronen und funkeln von Gold und Juwelen. Sie blicken herab auf ihren königlichen Verwandten, der einen doppelreihigen grauen Straßenanzug anhat und nur eine »Dekoration« trägt: einen einfachen breiten goldenen Ehering.

König Boris spricht gut englisch, drückt sich aber lieber deutsch aus. Sein Gesicht ist mager, seine Züge sind rasch mit einem Lächeln da, und seine sensitiven Hände bewegen sich mit einer Geschwindigkeit, die die innere Spannung verrät.

Es ist die Spannung eines rastlosen Verstandes. Er liest gierig, alles, englisch, französisch, deutsch, italienisch und in den slawischen Sprachen. Er interessiert sich für alles. Seine Wißbegierde umfaßt die ganze Welt. Aber von allen Ländern interessieren ihn am meisten die Vereinigten Staaten und Rußland.

Unser eigentliches Thema war der Krieg, aber die N. R. A. und die Planwirtschaft der Sowjet-Union nahmen den größten Teil unserer Unterredung ein.

»Wir sind in der unglücklichen Lage, in einer Übergangszeit zu leben, in der das Alte noch nicht abgetreten und das Neue noch nicht gekommen ist«, bemerkte der König.

Er fuhr sich mit der Hand über das Gesicht, und diese Bewegung beschwor die Erinnerung an die Geschichte der letzten vierzig Jahre herauf. Neben uns lagen auf einem gewaltigen Schreibtisch zahllose Papiermesser, merkwürdige Federn und Bleistifte, Familienerinnerungen von Generationen der Koburger. An der Wand hing ein Bild von Nikolaus II. von Rußland auf dem Thron.

»Zwei mächtige Kräfte arbeiten in der Welt, die eine zieht zurück, und die andere stößt vorwärts.« Der König machte mit seinen Fingern eine zupackende Bewegung und stieß dann die Fäuste nach außen.

»Es kommt vor allem darauf an, durch Verständnis, Zusammenarbeit und guten Willen den Versuch zu machen, daß der Zwist vermieden werde, zu dem es kommen muß, wenn diese beiden Kräfte mit allzu großer Wucht aufeinanderstoßen.« Der König unterbrach sich. Hinter allem, was er sagte, stand ein Ernst, der einen glauben machte, daß er viel nachgedacht hatte und tief empfand.

»Das interessanteste Experiment, das auf unserer Welt gemacht wird, um diese beiden Kräfte mit einander zu versöhnen und eine Lösung der Krise ohne Revolution herbeizuführen, wird in Amerika angestellt. Wenn es für Amerika möglich ist, mit Hilfe seiner N.R.A. diese Kräfte miteinander auszusöhnen und ohne die Gewaltsamkeit und Heftigkeit, die mit Revolutionen einhergehen, eine neue Ordnung auf der Grundlage von Vereinbarungen zu schaffen, wäre das für die übrige Welt von ebenso großer Wichtigkeit wie für Amerika selbst.

Denn damit wäre der ganzen übrigen Welt ein Beispiel gesetzt und die Hoffnung gegeben, daß wir uns eine glücklichere Welt schaffen können, ohne vorher durch eine noch unglücklichere gehen zu müssen, durch all die Zerstörung und die Verluste, ohne die es keine Revolution gibt.«

Ich bemerkte, daß der große englische Nationalökonom John Maynard Keynes dieselbe Ansicht geäußert hatte. Keynes hatte es mehr negativ ausgedrückt und gesagt, wenn die N. R. A. versage, so würde das den Verlust der einzigen sichtbaren Hoffnung bedeuten, daß die kapitalistische Welt ohne Gewaltsamkeit reorganisiert werden könne. König Boris, der berühmt dafür ist, wohl der bescheidenste aller lebenden Könige zu sein, war darüber erfreut, aber er hatte Keynes' Äußerung nicht gekannt.

»Ich für meine Person«, sprach er weiter, »bin der Überzeugung, wenn irgend eine Nation das erreichen kann, dann muß es die amerikanische sein. Ich habe nach dem Kriege hier auf dem Balkan Gelegenheit gehabt, den amerikanischen Charakter zu studieren.

Sie erinnern sich vielleicht«, er lächelte, »daß Bulgarien und Amerika, obwohl sie auf verschiedenen Seiten standen, nicht Krieg gegeneinander führten. Ich beobachtete Ihre Hilfsaktionen nach dem Krieg, Ihren Christlichen Verein Junger Männer und die amerikanische Hilfsorganisation, und ich konstatierte dabei, wie überaus menschlich der amerikanische Charakter ist. Ich habe den Eindruck, daß das eine sehr wichtige und notwendige Vorbedingung zu einem Erfolg bei der Überwindung der Krise mit Hilfe der amerikanischen Methode ist. Denn wenn etwas für die Menschheit getan werden soll, ist Interesse für die Menschheit natürlich eine wesentliche Vorbedingung.

Und wenn das amerikanische Experiment zu einem Erfolg führt und auf Grund dessen eine allgemeine wirtschaftliche Erholung der ganzen Welt einsetzt, dann wird meiner Überzeugung nach die Kriegsgefahr gebannt sein.«

Der König hatte ein außerordentliches Interesse an dem Unternehmen gezeigt, in ganz Europa eine Untersuchung der Aussichten auf Krieg oder Frieden anzustellen. Er hatte erklärt, einer der triftigsten Gründe für die Annahme, daß es in der näheren Zukunft keinen Krieg geben werde, wäre darin zu suchen, daß es noch zu viele Menschen gebe, die den letzten Krieg miterlebt haben. Ich hatte wiederholt, was viele Beobachter meinen, nämlich daß die größte unmittelbare Gefahr für den Frieden das Anwachsen des kriegerischen Geistes in der deutschen Jugend sei, und hatte hinzugefügt, es sei bereits so viel Zeit vergangen, daß alle Männer unter vierunddreißig Jahren zu jung seien, um den letzten Krieg mitgemacht zu haben. Die Jugend Deutschlands habe das Bürgerideal aufgegeben, sich sein Brot zu verdienen, und statt dessen das Heldenideal gewählt, für das Vaterland zu leben und zu sterben. Allerdings habe die Wirtschaftskrise es der Jugend Deutschlands praktisch unmöglich gemacht, dem normalen Bürgerideal zu folgen, so daß das Heldentum der einzige ihr gebliebene Weg sei.

Der König nahm den Faden dieses Argumentes auf und verfolgte ihn bis zu seinem logischen Ende: wenn man der Jugend die Möglichkeit normaler, friedlicher und einträglicher wirtschaftlicher Tätigkeit bieten könnte, würde sie nach ihr greifen. Ferner, wenn die Handelsbarrieren, die jetzt als Resultat der Wirtschaftskrise den internationalen Verkehr hemmen, zum Verschwinden gebracht werden könnten, würden gleichzeitig auch die stärksten Kriegsgefahren zum Verschwinden gebracht werden.

»Ich glaube«, erklärte der König, »der größte Teil der Reibungen in der Welt von heute wird durch die Gifte der Wirtschaftskrise hervorgerufen, und sobald diese Gifte einmal entfernt sind, wird, davon bin ich überzeugt, unsere Generation von Männern, die den letzten Krieg mitgemacht hat, nichts zulassen, was uns noch einmal in einen sinnlosen, nutzlosen und zerstörerischen Konflikt ziehen könnte, der in seinem letzten Ende zu nichts anderem führen könnte als zu einer Katastrophe für die ganze Welt. Wir in Bulgarien haben genug vom Krieg, und es ist unser ehrlicher Wunsch, nicht noch einen erleben zu müssen.«

Kein Staatsoberhaupt hat es unterlassen, eine Erklärung seiner friedlichen Absichten abzugeben, aber nur bei wenigen wirkte die Erklärung so eindrucksvoll wie beim König von Bulgarien. Er ist das Oberhaupt eines Staates, der im Jahre 1912 zu kämpfen begann. Bulgarien hat zwei Jahre mehr Krieg durchgemacht als Westeuropa. Der König diente selbst an der Front. Nach Ende 1918 blieb Bulgarien verkleinert und verarmt. Und doch ist Bulgarien unter allen Staaten, die den Krieg verloren haben, der einzige, der ganz still und in seinen Beschwerden gegen die Verträge völlig unkriegerisch gewesen ist.

Ein flüchtiger Besucher hat den Eindruck, daß Bulgarien ehrlich entschlossen ist, den Frieden zu erhalten. Beobachter an Ort und Stelle hier erklären, daß Bulgarien im Falle eines Krieges zwischen Deutschland und Frankreich auf jeden Fall große Anstrengungen machen würde, um nicht mit hineingezogen zu werden. Sein König weiß zu viel vom Krieg. Er weiß zu viel von der Revolution. In ganz merkwürdiger Weise nähert sich König Boris, der Monarch ist und nur halb so alt wie der achtzigjährige Republikaner, der philosophisch-politischen Erkenntnis Masaryks, des Präsidenten Masaryk von der Tschechoslowakei. Präsident Masaryk sagte, der Krieg würde nicht kommen, weil die Völker zu arm seien. König Boris glaubt, der Krieg werde nicht kommen, weil die Völker weniger arm sein werden, wenn die N. R. A. in Amerika zu einem Erfolg führe. Der Monarch und der Republikaner sind sich einig in der Ansicht, daß der Krieg nicht kommen werde. Das ist auf jeden Fall ein Trost für das besorgte Europa.


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