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Siebzehntes Kapitel.
Rom

In dem berühmtesten großen Zimmer der Welt, in dem Zimmer im Palazzo Venezia, das der Aufenthaltsraum des Duce ist, besteht das ganze Mobiliar außer dem Schreibtisch des Duce aus einem niedrigen Bücherregal hinter ihm und einem Pult zu seiner Rechten, auf dem ein Atlas liegt. Der Atlas ist aufgeschlagen und zeigt eine Karte Europas.

Unter dem Atlas, an die gekreuzten Beine des Pultes gelehnt, ruht ein halb Dutzend Fechtklingen. Sie sind nicht zum Schmuck da, sondern zum Gebrauch. Aber seit einiger Zeit sind sie nicht gebraucht worden. Signor Benito Mussolini, Regierungschef, Minister des Auswärtigen, des Innern, Kriegs- und Marineminister, Luftfahrtminister, Arbeitsminister, Stabschef der fascistischen Miliz, der Duce, Gehirn und Wille Italiens, ist in den letzten Tagen allzu beschäftigt, um Sport zu treiben.

Er sitzt da in einem bequemen schwarzen Anzug mit weichem, weißem Hemd, er hat sich die Krawatte gelockert, um es bequemer zu haben und sieht aus, als säße er seit achtundvierzig Stunden da und arbeitete. Ein Beamter des Außenministeriums lenkt seine Aufmerksamkeit auf zwei ganz neue Berichte aus einem zehn Pfund schweren Stapel von Dokumenten. Mussolini hört mit weit geöffneten Augen zu, unterbricht ihn, sagt zwei kurze Sätze, und der Beamte geht. Ohne eine Pause zu machen, als wäre sein Gast ein Glied mehr in der endlosen Kette, die den Duce mit den Ereignissen in engerem Kontakt hält als vielleicht alle anderen Staatsoberhäupter Europas, beugt er sich vor und beginnt Fragen zu stellen.

»Kommt Krieg in Europa?« Das ist die Frage, die im letzten Grunde Mussolini so lange an den Schreibtisch gefesselt hat, nicht nur heute, sondern das ganze letzte Jahr hindurch. Kein anderer Mann kennt genauer die Gefahren, die Europa bedrohen. In allen Hauptstädten auf dem Kontinent hat Mussolini einen Stab von Vertrauensmännern sowie von offiziellen Vertretern, die mit dem Chef, wenn es notwendig ist, auch nachts und manchmal Stunden hintereinander telephonieren. Kein Journalist kann auch nur annähernd so viel authentische Informationen haben, wie täglich zu Mussolinis Ohren dringen. Andere Völker haben ihren Nachrichtendienst in verschiedene Abteilungen aufgeteilt. Italiens Männer im Ausland sind nur für einen Schreibtisch da: für den des Duce. Seine Macht gründet sich auf dreierlei: seine Informationen, sein Urteil, seinen Willen.

Alle diese Dinge spielten eine Rolle, als er zu fragen aufhörte und anfing, Fragen zu beantworten. »Exzellenz, auf wie lange, meinen Sie, ist es möglich vorauszusagen, daß der Friede in Europa erhalten bleibt?«

»Auf einige Jahre«, antwortete er in nicht sehr optimistischem Ton. Dann sammelte er sich und fügte hinzu: »Ja, ich glaube jetzt, daß der Friede in Europa mindestens zehn Jahre lang erhalten werden kann. Die Unterzeichnung des zehnjährigen Nichtangriffspaktes zwischen Polen und Deutschland war von großer Wichtigkeit. Die Frage des polnischen Korridors war überaus bedrohlich. Und in der Vergangenheit vielleicht die gefährlichste überhaupt. Nun ist sie für mindestens zehn Jahre bereinigt.

Ich glaube«, sagte er mit Nachdruck, und diese offensichtlich aufrichtige Äußerung muß für mehr als eine Staatskanzlei von Interesse sein, »ich glaube, wir können diesem Pakt einen guten Kurswert geben. Er wird eingehalten werden. Hitler wird sich von seiner Seite an die Abmachungen halten, und Polen von seiner gleichfalls. Das heißt, daß es über den polnischen Korridor zu keinem Krieg kommen wird.«

»Aber was ist mit Österreich?« fragte ich. »Glauben Sie, Exzellenz, daß Österreich seine Unabhängigkeit bewahren wird, und droht, wenn das mißlingt, nicht doch der Krieg?«

Der Außenminister Italiens erhob sich. Mit ihm erhob sich der Kriegs-, Marine- und Luftfahrtminister und der Stabschef der fascistischen Miliz. Eine halbe Million Soldaten des italienischen Heeres, eine Viertelmillion italienischer Milizmänner standen im Hintergrund. 1500 Kriegsflugzeuge kreuzten in der Luft. Etwas näher im Vordergrund standen die 40 000 Mann des automobilisierten Armeekorps in Bozen.

In weiter Ferne oben im Norden sangen die zweieinhalb Millionen Mann der deutschen Sturmabteilungen, Schutzstaffeln und Stahlhelmer das Horst Wessellied. In der Mitte lauschte eine kleine Gestalt auf einem winzigen Podium dem Gesang der Braunhemden, blickte zum Duce und fragte mit österreichischem Akzent: »Na?«

»Österreich«, erklärte Mussolini, während seine Faust in einer wuchtigen Bewegung über seinem Kopf durch die Luft fuhr, »Österreich muß seine Unabhängigkeit als Staat bewahren. Seit mehr als einem Jahr sagt man Woche um Woche, die österreichische Regierung würde stürzen. Sie ist bis jetzt nicht gestürzt, und sie wird nicht stürzen.

Die Deutschen« – in diesem Augenblick verstummte das Singen im Norden, und alles lauschte – »die Deutschen kennen unsere Haltung. Sie kennen die Haltung aller Großmächte. Diese Haltung geht dahin, daß Österreich ein unabhängiges Land ist und unabhängig erhalten bleiben muß, und daß kein Schritt eines anderen Landes, der zu einer Verletzung dieser Unabhängigkeit führen könnte, geduldet werden wird. Wir können auch voraussagen, daß ein solcher Schritt nicht unternommen werden wird.«

»Aber welche wirksame Aktion«, fragte ich, »könnte von irgendeiner der Großmächte eingeleitet werden, wenn die Nationalsozialisten in Österreich selbst, ohne offene Unterstützung aus dem Ausland, zur Macht gelangen sollten?«

Der Außenminister Italiens entgegnete: »Aber wer kann mit Gewißheit behaupten, daß die Mehrheit der Bevölkerung in Österreich gegen das jetzige Regime sei? Und daß ihre Mehrheit für den Anschluß sei? Vergessen Sie nicht, die Geschichte hat gezeigt, daß die Österreicher und die Deutschen trotz ihrer gemeinsamen Sprache und vielleicht auch Rasse durch Jahrhunderte gesonderter Existenz getrennt sind, daß sie oft Kriege gegeneinander geführt haben und daß außerdem ihre Kulturen fundamental verschieden sind.

Die Interessen Europas als eines Ganzen jedoch sind an die Aufrechterhaltung der österreichischen Unabhängigkeit geknüpft. Jede Entwicklung, die diese Unabhängigkeit bedrohte, würde das Interesse aller Großmächte in gleichem Maße wachrufen.

Es ist nicht eine Frage, die Italien allein angeht. Im Gegenteil«, erklärte der Kriegsminister, »zwischen uns und dem Norden liegen die Alpen. Die Alpen sind die beste natürliche Grenze. Sie sind schwer zu ersteigen, und wenn sie stark verteidigt sind, ist es unmöglich, sie zu überklettern. Nicht jedes Land hat solche, man könnte sagen, gottgegebene Grenzen.

Aber«, und wieder vollführte die gesamte italienische Regierung eine Kampfgeste, »es liegt im Interesse meines Landes mindestens so sehr wie im Interesse ganz Europas, die Unabhängigkeit Österreichs zu einer dauernden zu machen, und ich werde weiter in diesem Sinne handeln. Italien hat den besten Beweis seiner Interessiertheit und seiner Entschlossenheit gegeben. Es wird auf dieser Linie bleiben.«

Unter den Büchern, die nachlässig auf dem niedrigen Regal hinter dem Schreibtisch des Duce aufgestapelt sind, ist ein alter, im Jahre 1744 erschienener Band, der eine der Stadt Bozen von Maria Theresia verliehene Urkunde enthält. Bozen, die Hauptstadt Südtirols, Hauptstadt der durch Italien vom gewesenen österreichisch-ungarischen Reich »befreiten« Provinzen, war bis 1918 deutsch. Jetzt ist es italienisch. Aber dem Duce ist es eine Wonne, darauf hinzuweisen, daß selbst die Urkunde Maria Theresias sowohl italienisch wie deutsch gedruckt wurde.

Niemand weiß, was Mussolini tun könnte, um zu verhindern, daß Österreich von innen nationalsozialistisch wird. Die besten Beobachter sind außerstande, zu erraten, was fremde Mächte unternehmen könnten, um eine innere Entwicklung in einem anderen Staat zu verhindern, wenn sie sich ohne offenen Druck von außen abspielt. Gewiß, der polnisch-deutsche Nichtangriffspakt scheint den Frieden im Osten für etliche Jahre gesichert zu haben. Aber welche Folgen hatte er auf die Aussichten Deutschlands, Österreich in die Hand zu bekommen?

Der Duce sprach es nicht aus, aber es ist sowohl Rom wie Wien klar, daß die Deutschen sich durch den Abschluß eines Waffenstillstandes mit Polen den Rücken gedeckt haben und jetzt freie Hand dafür hätten, an der Verschmelzung der deutschsprechenden Völker im Süden zu arbeiten. Wie immer aber auch diese Möglichkeiten sein mögen, der Duce hat seinen Willen entschieden klar gemacht.

Für die Zukunft Europas hängt viel davon ab, zu welchem Kurs Italien sich am Ende entscheiden wird: mit Deutschland oder gegen Deutschland. Für den Frieden der Zukunft hängt alles davon ab, ob Deutschland unbeschränkt aufrüstet oder in Grenzen aufrüstet. In diesem Interview hat der Duce Ansichten geäußert, die sich als Ansichten von historischer Wichtigkeit erweisen könnten.

*

Julius Caesar, sagen die nationalsozialistischen Historiker, war ein nordischer Mensch. Rom war groß, sagen sie, weil einige Tropfen nordischen Blutes in den Süden hinunterkamen. Das hört Rom heute nicht gern.

Benito Mussolini ist stolz darauf, Italiener zu sein. Er flößte den Italienern Stolz auf ihr Italienertum ein. Kein Italiener stimmt der nationalsozialistischen Doktrin über die Gründe für die Größe Roms zu.

Man muß diese Stadt selbst besuchen, um sich klar zu machen, wie viele Anlässe der Meinungsverschiedenheit zwischen den Braunhemden und den Schwarzhemden bestehen. Von dem Chef der hiesigen Regierung hat man in weiten Kreisen gemeint, er sei »deutschfreundlich«. Der Eindruck, den man auf Grund eines persönlichen Zusammenseins gewinnt, ist der, daß Mussolini in erster Linie italienfreundlich, in zweiter Linie friedensfreundlich ist und die Wahl eines dritten Objektes seiner Freundschaft einzig und allein von seinen beiden ersten Neigungen abhängig machen wird.

Ganz gewiß ist Mussolini für den Frieden. Vor zehn Jahren nannte ihn Europa die gefährlichste Kriegsdrohung auf dem Kontinent. Heute ist seine Hauptstadt das Stelldichein aller jener Staatsmänner, die, von ernsten Sorgen getrieben, auf dem ganzen Kontinent hin- und hereilen und bemüht sind, Unheil zu verhüten. Kein Mann in Europa hat die Frage »Kommt Krieg?« genauer studiert, und keinem ist es so verzweifelt ernst mit seinen Anstrengungen, die Antwort zu einer negativen zu machen.

Er hat erklärt, er glaube, daß der Krieg zehn Jahre lang hinausgeschoben werden könne. Aber heute hat er klar gemacht, daß es seine Meinung sei:

Der Krieg wird kommen, wenn Europa sich auf ein Wettrüsten einläßt.

Die Abrüstung ist unmöglich.

Deutschland wird offen aufrüsten, und niemand kann es daran verhindern.

Ferner, wenn Deutschland offen, ohne eine Vereinbarung über Beschränkungen, aufzurüsten beginnt, wird das Wettrüsten im Gange sein, und wenn es einmal im Gange ist, kann es nicht mehr aufgehalten werden.

Wenn daher Frankreich nicht bald zu einem Abkommen gelangt, das Deutschland so viel Waffen gestattet, daß es sich zufrieden erklärt und ein Versprechen der Beschränkung abgibt, wird Deutschland bald offen unbeschränkt aufzurüsten beginnen.

Schließlich, diese Zeit ist ganz nahe vor uns, die Angelegenheit ist von der äußersten Dringlichkeit für ganz Europa, und Frankreich muß handeln.

»Erscheint es Ihnen wünschenswert, Exzellenz«, fragte ich, »daß Deutschland an der Wiederaufrüstung verhindert werde, beziehungsweise, erscheint dies als erreichbar, und meinen Sie andererseits, falls es nicht erreicht wird, daß es möglich sein wird, ein Wettrüsten zu verhindern?«

»Es ist jetzt klar geworden«, sagte der Duce, »daß die sogenannte geistige Abrüstung unmöglich ist, wenn sie auch gerade das ist, was die italienische Regierung am meisten herbeigewünscht hat und wonach zu streben sie nicht aufhören wird. Es liegt also auf der Hand, daß es unmöglich ist, Deutschland am Aufrüsten zu verhindern. Es hat nach dem Vertrag, der ihm Gleichberechtigung versprach, ein Recht darauf. Wenn die bewaffneten Mächte nicht abrüsten, hat Deutschland offenbar juristisch das Recht, aufzurüsten.

Heute ist es jedermann klar, auch den neutralen Staaten, den kleineren Staaten wie der Schweiz, Holland und Dänemark, daß Deutschland aufrüsten wird, daß es durch nichts davon abgehalten werden kann und daß die einzige Frage jetzt lautet, ob seine Proportionalaufrüstung innerhalb gewisser Grenzen gehalten werden kann. Das ist auch die einzige Möglichkeit, ein Wettrüsten zu verhüten.

Ist das nicht klar, logisch unwiderlegbar? Ganz davon abgesehen, was erstrebenswert ist – wenn es klar ist, daß Deutschland das Recht zur Aufrüstung hat, daß es aufrüsten wird und daß niemand es vom Aufrüsten abhalten kann, wäre es da nicht unendlich wünschenswerter, ein Versprechen vom Reich zu erhalten, daß es seine Aufrüstung beschränken werde, als die ganze Diskussion auseinanderfallen und alle unbeschränkt darauf los rüsten zu lassen?

Hier liegt heute die wirkliche Gefahr in Europa. Nun erklären die Leute, die an diesem völlig klaren und unwiderlegbaren Argument Kritik üben: ›Aber wir können den Deutschen nicht trauen.‹ Ich sage, wir müssen ihnen trauen. Wenn Hitler und Hindenburg immer und immer wieder ihr Wort dafür verpfändet haben, daß sie den Frieden halten werden, müssen wir das ernst nehmen. Ich bin bereit, ihnen zu glauben und entsprechend zu handeln.

Wenn andere nicht dazu bereit sind, möchte ich sie fragen: ›Was wollt ihr also tun?‹

Offenbar ist es besser, ein Versprechen zu haben, als kein Versprechen zu haben, und wenn man nicht bereit ist, einen anderen Weg einzuschlagen, ist es auch besser, dem Versprechen zu trauen. Niemand ist bereit, einen anderen Weg einzuschlagen, und darum müssen wir die Friedensversicherungen akzeptieren, die gegeben worden sind, und müssen wir bereit sein, Versprechungen, die hinsichtlich der Rüstungsbeschränkungen abgegeben werden könnten, als das zu nehmen, was sie wert sind. Vergessen Sie nicht, daß solche Versprechungen diesmal von Deutschland freiwillig gegeben, nicht abgepreßt wären.

Und es gibt noch andere Gründe dafür, an die Aufrichtigkeit von Hitlers Friedensversicherungen zu glauben«, sprach der Duce weiter. »Deutschland ist mitten in einer gewaltigen inneren Reorganisation begriffen. Seine inneren Probleme sind so vielfältig und werden zu ihrer Lösung so viel Zeit in Anspruch nehmen, daß den Deutschen zu einem Krieg nicht viel Zeit übrig bleibt.

Bedenken Sie auch, daß die Vorschläge militärischer Reorganisation, die in den deutschen Forderungen und in dem Memorandum meiner Regierung enthalten sind, bedeuten, daß die deutsche Militärmaschine einen beträchtlichen Zeitraum hindurch mit ihrer Reorganisation beschäftigt wäre. Es ist wohl bekannt, daß militärische Reorganisationen dieser Art die augenblickliche militärische Schlagkraft beträchtlich herabmindern. Auch das ist ein Faktor, den die Franzosen bei ihren Wünschen nach Sicherheit in Betracht ziehen müßten.«

»Aber, Exzellenz«, fragte ich, »werden die Franzosen ihre Sicherheit durch die Bedingungen Ihres Memorandums für genügend garantiert halten?«

»Nach den Bedingungen meines Memorandums«, antwortete Mussolini, »würden die Franzosen ihren gegenwärtigen Rüstungsstand ungeschmälert behalten und könnten ihn auch weiter aufrecht erhalten. Die Deutschen würden lediglich die Verteidigungswaffen bekommen, die sie gefordert haben, während die Franzosen alle Vorteile ihrer jetzigen sogenannten Angriffswaffen genießen würden.

Die Deutschen«, fuhr Mussolini fort, »würden zum Beispiel Feldgeschütze nur bis zu einem Kaliber von 15,5 cm haben, Luftabwehrgeschütze, Panzerwagen oder Tanks nur bis zu sechs Tonnen und, nur zur Verteidigung, Aufklärungs- und Kampfflugzeuge, keine Bombenflugzeuge.

Wenn sie nun diese technisch-militärische Überlegenheit der französischen Bewaffnung in Rechnung ziehen, dazu ihre Grenzbefestigungen und die Verträge, dann scheint es mir doch, daß die französische Sicherheit unbestreitbar außer Frage stehen würde.

Es existiert auch der Viererpakt, der nicht nur ein formales Sicherheitselement darstellt, sondern auch eine Zusammenarbeit der vier Mächte in einer Weise vorsieht, die entschieden eine weitere Garantie für den Frieden ist. Ferner ist der Locarno-Pakt da. Darin haben die italienische und die britische Regierung die Grenze zwischen Frankreich und Deutschland garantiert.

Italien hält sich an den Locarno-Pakt. Was für Garantien könnten noch gegeben werden? Mir scheint, wenn wir fortfahren sollten, diese Versprechungen zu vermehren, würden sie alle an Wert verlieren. Vergessen Sie auch nicht, daß die deutsche Regierung sich erboten hat, mit allen ihren Nachbarn Nichtangriffspakte auf die Dauer von zehn Jahren abzuschließen.«

Mussolini machte eine Pause. »Nein«, sagte er nachdenklich, »ich glaube, wenn wir nur ein unbeschränktes Wettrüsten verhindern können, werden wir den Frieden erhalten. Jetzt ist für uns die Zeit gekommen, rasch zu handeln und ein solches Wettrüsten mit aller Entschiedenheit zu verhindern. Wenn die Auseinandersetzungen mit Deutschland jetzt resultatlos verlaufen und kein Übereinkommen erzielt wird, wenn Deutschland schließlich von Besprechungen nichts mehr wissen will und sich Handlungsfreiheit vorbehält, dann mag es vielleicht zu spät sein, überhaupt jemals eine Konvention herbeizuführen, die die Rüstungen beschränken würde.

Es ist die elfte Stunde. Wir haben keine andere Wahl. Wir müssen ein Abkommen treffen. Wir würden ein Abrüstungsabkommen vorziehen. Aber wenn wir das nicht erhalten können, müssen wir irgendein anderes Abkommen haben. Es ist von vitalster Wichtigkeit für den Frieden der Welt, und das ist vielleicht unsere letzte Chance, ein Abkommen zu erhalten. Wir müssen das von Hitler gegebene Wort in Betracht ziehen. Mit Argwohn läßt sich nichts erreichen. Wir müssen sein Wort akzeptieren und nicht nur darauf vertrauen, daß es gehalten werden wird, sondern auch darauf, daß eine Bewilligung der Forderungen, die Deutschland jetzt stellt, innerhalb der Zeit dieses Abkommens nicht erneute Forderungen nach sich ziehen wird.

Das ist der einzige Weg zum Frieden. Es ist ein Weg, den wir alle beschreiten müssen.«

Die Argumentation hatte den Klang der Überzeugung, und hinter der Forderung nach Eile stand ein starkes Empfinden. Zwischen den Zeilen könnte man lesen, daß Frankreich, als Hitler zur Macht kam, nur eine Alternative hatte: Krieg führen oder ein Abkommen treffen. Und Frankreich wird nicht Krieg führen. Wenn Frankreich andererseits auch nicht ein Abkommen trifft, wird ein unbeschränkt aufrüstendes Deutschland wieder die stärkste Militärmacht auf dem Kontinent werden.

So offenbart sich die angebliche »deutschfreundliche« Politik des Chefs der italienischen Regierung im letzten Grunde als ein realistischer Versuch, die deutsche Aufrüstung in Schranken zu halten. Der Realist sagt aber gleichzeitig, es sei die elfte Stunde.

Unten im Ulpia singt der beliebteste Kabarettist Roms mit leiser Stimme vor der eleganten Welt der Hauptstadt. Er singt die Lieder aller Länder. Ein ausländischer Gast bat ihn um das Horst Wessellied, die Nationalhymne des nationalsozialistischen Deutschland. Der Sänger sagte: »Wir haben es bestellt, aber es ist noch nicht gekommen.«


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