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15

Kristian Kalland war in der Stadt und kaufte Nahrungsmittel und Material. Er hatte allerhand Scherereien, bevor er fertig wurde, denn er hatte es sich in den Kopf gesetzt, daß er eine besondere Sorte holländischen Wergs haben wollte, die er erst nach vielem Suchen beim Segelmacher Thomsen bekam.

Nachdem er alles erledigt hatte, schlug er den Weg nach der Gemeindewiese ein, wo das Boot lag, und schlenderte so dahin, wie man zu gehen pflegt, wenn man endlich mit etwas fertig geworden ist und außerdem alles, was einem begegnet, schon hundertmal gesehen hat. Er ließ seinen Blick über die Pflastersteine gleiten, wo kleine Kinder saßen und mit Sand spielten, und blickte gleichzeitig bald in dieses, bald in jenes Fenster hinein. In einem sah er einen dicken Mann in Hemdsärmeln stehen, der, wie er wußte, die ›Tonne‹ genannt wurde. Alles dies aber zog fast unbewußt an ihm vorüber.

Plötzlich aber blieb er stehen. Jemand hatte seinen Namen gerufen. Er sah sich um. Da rief wieder jemand: Kalland! und zwar so laut, daß eine alte, schwerhörige Frau mit einem Strickbeutel und Regenschirm stehen blieb und fragte, ob es brenne? – »Wo brennt's denn?«

Jetzt sah er, daß einer den Kopf aus dem Posthaus heraussteckte. Es war der Briefträger Herman, der hinter ihm hergerufen hatte.

»Das Meer brennt! Machen Sie, daß Sie hinkommen und helfen Sie mit Petroleum löschen!« brüllte Kalland der alten Frau ins Ohr, machte kehrt und ging aufs Posthaus zu. Es war wohl ein Brief für ihn da; von wem aber mochte er sein? er erwartete keinen.

Als er ins Kontor kam, stand da der alte Postmeister und wühlte in einer Schublade. Einmal wandte er sich um und sah über die Brillengläser zu Kalland hin.

»Sie sind ja bei Bootsbauer Jon Gräff?«

Ja, das sei er.

»Hier ist ein Brief für den Bootsbauer Jon Gräff. Wollen Sie ihn mitnehmen … Es kommt kein Briefträger in die Gegend. Sie sollten hin und wieder sicherheitshalber mal vorfragen. Dieser Brief wär' hier liegen geblieben, wenn Pedersen mich nicht auf Sie aufmerksam gemacht hätte – bitte!«

Kristian nahm den Brief entgegen. Es war ein dickes, gelbes Kuvert mit zwei amerikanischen Freimarken. Er dachte gleich, daß der Brief von Gräffs Freund sei, Kristen Olsen, der mal bei Kaufmann Karlsen gewesen und dann nach Chicago gereist war. Wenn Kalland recht tief nachdachte, konnte er sich sogar noch erinnern, die beiden des Abends zusammen gesehen zu haben.

Kalland ruderte nach Hause und brachte die Nahrungsmittel und das holländische Werg in aller Eile an ihren Platz. Dann suchte er Gräff auf und zeigte auf das Kuvert: »Was steht da, Gräff? Das möcht' ich wohl wissen.«

Der Bootsbauer kniff die Augen zusammen und nahm gleichsam von den Buchstaben Maß. Schließlich lächelte er, zeigte auf seinen Namen und antwortete:

»Da steht Jon Gräff!«

»Was du sagst?« erwiderte Kalland, als ob er es nicht recht glaubte. »Na, meinetwegen! aber dann kriegen wir wohl zu wissen, was drin steht? Denn der Brief kommt ganz weit aus Amerika, und von dort gibt's nicht alle Tage Neuigkeiten – was Iwer? – Sieh, hier hast du ein Messer, schneide ihn nun fein säuberlich auf und zieh' das Eingeweide heraus. Denn darauf kommt's an.«

Als aber Jon den Brief in der Hand hielt, konnte er nicht damit zurecht kommen. Er kehrte ihn von oben nach unten, und konnte trotzdem nicht den Anfang finden. Dies aber dauerte Kalland zu lange, und einmal, als Gräff ihn zufällig richtig hielt, hielt Kristian ihn an der einen Ecke fest und begann vorzulesen, während er mit dem Finger daraufzeigte, damit Gräff folgen konnte:

 

Mein lieber John!

Ich schreibe Dir, mein lieber John, um Dich zu fragen, wie es Dir geht; denn ich habe seit vielen Jahren nichts von Dir gehört, aber von Kaufmann Karlsen hab' ich erfahren, daß Du noch immer auf der einsamen Insel Boote baust, wo Du Dich vor langer Zeit angesiedelt hattest. Ich bin jetzt Amerikaner und kann nicht begreifen, was Du auf der öden Insel willst. Lieber wäre es mir, Du hättest Dein Auskommen in der Stadt gefunden, oder Du kämest hierher und fingest von vorn an. Für viele Leute mag es dort ja ganz gut sein, weil sie nicht so leicht ein ausschweifendes Leben führen können. Für Dich, John, aber ist es nicht gut; denn Du bist von vornherein schief angekommen. Und ich schreibe Dir dies nicht ohne Absicht; denn ich hab' die Hoffnung noch nicht aufgegeben, daß Du herüber kommst, und Du sollst herzlich willkommen sein, lieber Freund, und wirst hier schon für Deine Kräfte Verwendung finden. Reisegeld kannst Du bei Kaufmann Karlsen bekommen, er weiß Bescheid, wenn Du zu ihm kommst; denn Karlsen und ich stehen in lebhafter Geschäftsverbindung miteinander.

Und jetzt sage ich Dir, daß Du Dich nicht lange besinnen, sondern so bald wie möglich kommen sollst; denn ich weiß wohl, daß es Dir nicht gut geht, wo Du bist; hier aber soll es Dir wohlergehen, denn, ich bin selbständig, und Du sollst es so gut haben, wie Du es Dir nur wünschen kannst. Alles wird noch all right werden. Ich wünsche Dir von ganzem Herzen ein leichtes Leben, lieber Freund, und will Dir so viel Liebes antun, wie in meiner Macht steht. Gleichzeitig würde ich mich über Dein Kommen sehr freuen; denn es wäre eine Erinnerung aus der Kindheit, und die vergißt keiner. Schreibe nur, wann Du kommst, und ich werde Dich jederzeit mit Freuden empfangen. Du bist ein arbeitsamer Mensch, das weiß ich, und Du sollst eine Arbeit bekommen, die Dir zusagt; bleibe nicht länger auf der einsamen Insel und baue Boote; denn das kann kein Mensch auf die Dauer aushalten. Lieber John! Du bist um unsere Vaterstadt herumgegangen, wie die Katze um den Brei; denn Du hast sehr viel Heimatsgefühl. Tu' mir aber den Gefallen und komm', dann tu' ich Dir auch mal was zuliebe. Geh' zu Karlsen und sprich mit ihm, und dann erwarte ich mit dem ehesten Brief von Dir, und gib ihm Deinen Brief, dann schickt er ihn mir. Tu' es und Du machst mich froh. Lieber Freund! Ich mein' es gut mit Dir.

Immer und ewig
Dein Kristen Olsen.

 

Ja, ja, das war ein Brief, den man nicht mißverstehen konnte. Dieser Kristen Olsen war ein ganzer Kerl! Der Brief war Geldes wert … Wenn Gräff nun nur gehorchen und seine sieben Sachen so schnell wie möglich packen wollte; ja, sonst würde Kristian ihm Beine machen! Na, was sagte er dazu?

Gräff saß da und sagte gar nichts, schließlich aber wandte er den Kopf zu Kristian um, nickte und sagte:

»Ja, er will, daß ich zu ihm kommen soll.«

Ja freilich, und nun wollen wir alles aufs beste ordnen. Erst müssen wir mit Kaufmann Karlsen wegen der Reise sprechen, und dann wollen wir die Sachen ordnen, die mitgenommen werden sollen. All der alte Kram muß wohl verkauft werden – solch schwere Sachen wie der Tisch und das Bett und die Truhe – was, Gräff?«

Hierauf aber erwiderte Gräff keine Silbe.

Am nächsten Tage kam Kalland wieder auf dasselbe zurück, aber auch dann antwortete er nicht viel, und plötzlich stieß er barsch hervor, die Truhe wolle er nicht hergeben und an das, was darin sei, habe niemand ein Anrecht.

Er schien zornig geworden zu sein, weil Kristian die Truhe genannt hatte, und das Schlimmste war, daß er sich so in den Gedanken daran verbiß, daß er das übrige, was Kristian ihm erklärte, gar nicht erfaßte. Ja, einmal, als Kalland etwas sagte, was gar nichts mit der Kiste zu tun hatte, antwortete der Bootsbauer mit tiefer Stimme, er solle das Maul halten, denn die Truhe gehöre ihm und niemand anders.

Das war klar und deutlich!

Und einmal schien es Kalland, als wenn Gräff ihn so sonderbar ansähe, wie er es noch nie getan hatte. Es war, als wache er über eine Sache, der er nicht sicher sei.

Kristian Syvertsen Kalland wußte nicht, was er dazu sagen sollte. Daß Gräff ihn aufforderte, das Maul zu halten, das mochte hingehen, aber daß er ihn anglotzte, wie 'n Ochs das Rote – das gefiel ihm nicht!

Teufel noch einmal! Seinetwegen konnte er gern die Truhe behalten. Konnte sie mit Nägeln und Schlössern fressen, wenn er dazu Lust hatte. Er hatte wahrlich nicht im Sinne gehabt, sie ihm fortzunehmen! … Aber er würde es schon zu fühlen bekommen, was es für 'ne Last sei, so 'n Ding mit sich herumschleppen. Er werde sicherlich jedesmal eine Karre und fünf Lastträger für zwei Dollars pro Mann nötig haben. Aber bitte! Mit der Truhe könne er machen, was er wolle; eines aber sei abgemacht: zu Kristen Olsen müsse er bestimmt! … Wie beliebt? Habe er vielleicht was dagegen, ein reicher Mann zu werden und in einer Kalesche mit drei Pferden zu fahren und vier Gerichte jeden Tag zu essen und sie mit Wein 'runterzuspülen, so wie 'n einfacher Mann Wasser trinkt?


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