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[173] III.
Im Noviziat des Geistes.


 

[174] [175] Die Heimkehr.

Sechsmal seit jenem Klosterbrand
Zog neu der Frühling in das Land,
Bis aus dem Schutt der Kirchenhallen
Ein neuer, mächt'ger Bau erstand,
Nachdem sie jahrelang, zerfallen,
Trübselig in den Himmel starrten
Und auf den neuen Bauherrn harrten.

Was einst in jener Schreckensnacht
Abt Innocenz sich ausgedacht,
Sein ehrner Wille hat's vollbracht.
Tief in der öden Waldesschlucht
Steht längst sein armer Klosterbau,
Drin er in strengster Erdenflucht,
Fern der Natur Sirenenau,
Sein und der Seinen Heil gesucht.
Nur manchmal noch in's Thal hervor
Trägt Nordwind nun den Büßerchor,
Drin Menschenhaß und Gotteswort
Ein unharmonischer Accord.
Sonst lebt der Abt dort wie verschollen.
Nur manche Priester noch und Laien,
Die in des Leibs wie Geists Kasteien
Absonderlich sich heil'gen wollen,
[176] Die lehrt er durch ascet'sche Zucht
Auf myst'schem Heilsweg vorwärts schreiten.

Und hofft er selbst auf einst'ge Zeiten,
Darin er, fern der finstern Schlucht,
Im röm'schen Purpur strahlen werde –
Wer will der Hoffahrt ihn verklagen?
Wer gar drum »Heuchler« zu ihm sagen? –
Auch er war nur aus Stoff der Erde …

Die andern Schafe jener Heerde,
Die gern sich fett'rer Trift erfreuten,
Als minder strenge Gottesstreiter
In andre Klöster sich zerstreuten.
Nur in dieß alte, brandverzehrte,
Kein einz'ger Mönch je wiederkehrte.
Zu sichtbarlich und fluchesschwer
Ward's ja von Gottes Arm zertrümmert,
Der sich in jenem Feuermeer
Selbst nicht um's Gnadenbild gekümmert.

»Drum weg von dem verfluchten Orte,
Dem durch des Himmels Zorn geschah
Gleich Sodoma und Gomorrha!«
So eiferten des Abtes Worte,
Als Rom ihn zum Bericht geladen.
Und Papst wie Ordensgeneral,
Sie strichen aus der Klöster Zahl
Den Namen von »Mariagnaden.«

Und doch – ob auch dem neuen Bau
Nicht schlanke Thürme mehr entsteigen
Und Lied wie Glockengrüße schweigen;
[177] Ob auch vor'm Bild der lieben Frau
Die Pilger nicht mehr niederfallen;
Ob sie sich auf den Brunnentreppen
Gesund nicht mehr die Augen baden,
Und rutschend in den Kreuzganghallen
Die schweren Kreuzesbalken schleppen –
Noch heißt der Bau: »Mariagnaden.«

Ach, andres Kreuz, das schwerste wohl,
Hält nun die Geister hier beladen.
Mit kranken Blicken, wirr und hohl,
Durchirren die Bewohner jetzt
Des Kreuzgangs zierliche Arcaden,
Drin noch jed Steinbild unverletzt.
Statt Orgelklang und Psalmenchor
Schlägt Toben, Fluchen, Angstruf, Lachen,
Jetzt aus den Zellen noch an's Ohr.
Und nächtig schwankt des Geistes Nachen
An irrlichtreichen Sumpfgestaden,
Umhüllt von stetem Nebelflor,
Im Irrenhaus »Mariagnaden« …

Doch im besonnten Thalesgrunde
Liegt unverändert noch zur Stunde
Frau Walburgs weinumranktes Haus.
Die Schwalbe huscht, wie längst zuvor,
Im Nest am Erker ein und aus.
Am Fenster prangt der Nelkenflor,
Mit Blumen lichte Falter scherzen
Und wie aus vollem Menschenherzen
Tönt aus dem nahen Amtmannshag
Der Nachtigall eleg'scher Schlag.
[178] Und doch, was ist der Frühlingstag
Gen jenen innern Freudenschimmer,
Wie er nun drin im Erkerzimmer
Vier edler Menschen Herz umfluthet?
Ist in der Nacht doch unvermuthet
Der Sohn des Hauses heimgekommen!

Frau Walburg sitzt bei Odilo.
Sieh nur, wie hat sie bänglich froh
Bei beiden Händen ihn genommen,
Als könn' er wieder ihr entrinnen!
Und mit so liebesel'gem Sinnen
Ist sie jetzt in sein Bild versenkt,
Daß sie fast völlig drauf vergißt,
Wie sie ja dessen Mutter ist,
Und vielmehr jener Zeit gedenkt,
Da sie voreinst als frohste Braut
Zu dem Verlobten aufgeschaut.
Ja, so in brauner Welle floß
Auch einstens ihres Justus Haar.
Gleichfarbig auch der Vollbart war,
Der um des Sohnes Antlitz sproß,
Das zart geglüht wie Rosensammt.
Auch von demselben edeln Stolz
War einst des Liebsten Blick entflammt.
Der ganze Sohn vom selben Holz,
Wie einst des Vaters Baum entstammt.

Zur Seite saß Herrn Justus Muhme,
Genannt »die Base Katharine,«
Mit ihrer klugen, milden Miene
Ein Demant im Altjungfernthume.
[179] Stets sorgte sie für's Glück der Andern;
Drum war sie einst auf stetem Wandern.
Beim weit verzweigten Sippenkreise,
Dem hilfreich Herz und Hand sie lieh
Und ihre selbstsuchtlose Weise
That Allen wohl in Freud und Leid.
Nun aber längst schon theilte sie
Nur Walburgs Wittweneinsamkeit.
Ob sie auch gut katholisch war,
Nie störte sie die Harmonie.
Mit ihrem silberweißen Haar
War sie des Hauses gute Fee.
Und wie an Odilo sie hing!
Kaum dessen Mutter schwerer je
Sein Scheiden stets zu Herzen ging.
Und doch, wie barg sie's liebesklug,
Wenn sie Frau Walburgs Mutterweh
Ihr tröstend aus dem Sinne schlug!

Und sieh, wie jetzt die gute Base
In stumm wehmüthiger Ekstase
Den heimgekehrten Sohn beschaute,
Als ob er just aus Himmelshöhn
Zur schlimmen Erde niederthaute,
Für diese viel zu rein und schön!
Doch wie sie auf die Rosen blickte,
Zu duftig blühend auf den Wangen,
War ihr ein Stich durch's Herz gegangen
Und mit dem weißen Kopf sie nickte.
»Warum ich doch jetzt traurig bin?
Er blüht gleich einer Rose ja.
Sei still! Wer denkt an's Welken da?«
[180] Dann sann sie wieder vor sich hin:
»Doch denk' an Vater ich und Ahn,
Hängt frühen Grabes Erbschaft dran.
Die Rosen haben bösen Sinn. –
Ich weiß, warum ich traurig bin.«

Der Dritte, der voll heil'ger Scheu
Nun dieses Hauses edeln Sohn
Mit Blicken tiefster Devotion
Abseits besah so dankestreu
Das war der lahme Cyprian,
Der, seit er aus dem Kloster schied,
Als Knecht und doch Familienglied,
Im Haus und Garten Dienst gethan,
In seiner Arbeit stumm beschaulich –
Den beiden Frau'n stets hocherbaulich.
Denn, was er that, worauf er sann,
Der stille, wundersame Mann,
War Alles so ganz andrer Art,
Als andrer Diener sich gebahrt.
Niemals er nach der Arbeit fragte
Und that doch viel mehr, als er sollte;
Und wenn die Herrin loben wollte,
Sein stiller Blick nur Dank ihr sagte.
Nie sprach sein Herz er Jemand aus,
In seinem Wandel nur ward's klar,
Wie tief er seines Retters Haus
In trostessüßem Knechtesjoch
Bis in den Tod ergeben war.
Nur, als ihm einst, der täglich noch
Zur Messe ging, wann Alles schlief,
Ein junger eifernder Caplan
[181] Vorwurfsvoll in's Gewissen rief,
Daß er bei einer Ketzerin
So lang schon Sündendienst gethan –
Da ward er zu dem Wort getrieben:
»Bis in den Tod ihr Knecht ich bin.
Doch ihr, lernt erst gleich dieser lieben,
Auf daß ihr Gottes Diener seid!«
Dann sah er noch mit stummem Leid
Dem Eiferer in's Angesicht
Und ging des Wegs. – Mehr sprach er nicht.

* * *

O ihr drei stillen Hausgenossen,
Die ihr in wandellosem Frieden,
Wie ihr im Glauben auch geschieden,
Doch solcher Eintracht Bund geschlossen –
Wie hattet ihr doch früher schon
Euch um den heimgekehrten Sohn
Mit größrer Neugier stets geschaart,
Wann er von immer weit'rer Fahrt,
Als ein Student der Medizin,
Erst aus der Musenstadt am Main
Und dann vom Neckar, drauf vom Rhein,
Ja, endlich von Berlin und Wien
Im elterlichen Haus erschien!
Und als im letzten Herbste gar
Er selbst als »Doctor« heimgekehrt,
»Mit höchstem Lobe« promovirt –
Wohl nirgends eine Mutter war,
Durch ihren Sohn noch mehr geehrt,
Kein Haus, noch stolzer ausgeziert.
[182] Heut aber an dem Frühlingsmorgen
Respectsvoll über alle Maaßen,
Die Dreie wieder ihn umsaßen.
Und nach welch ausgestandnen Sorgen!
War er doch erst in letzter Nacht
Von einer Weltfahrt heimgekommen,
Die, wie die Base sich gedacht,
Bis an des Weltends Brettverschluß
Kein Sterbensmensch noch unternommen!
Und die ihm noch gar billig kam,
Was man doch auch bedenken muß,
Weil ihn ein junger Prinz mitnahm
Als quasi Hofleibmedicus.

Wie sie jetzt so verwundert lauschten,
Himmel, wie da seine Worte
Gleich Mährchenwellen sie umrauschten!
Lag doch die Mehrzahl dieser Orte
Noch nie in ihrem Schulgedächtniß
Als geographisches Vermächtniß!
Denn, wenn auch London, wie Paris,
Und Rom mitsammt Neapels Strand,
Den andern Zwei'n Frau Walburgs Hand
Stets leicht noch auf der Karte wies,
So oft von dorther Briefe kamen –
So klangen jetzt nur Räthselnamen
Vom alten Reich der Pharaonen,
Und drauf aus noch viel fernern Zonen,
Wo schwarze Heidenfürsten thronen
Mit menschenblutigen Altären
Und Tiger vor den Dörfern lauern.
Da horchten sie in solchen Schauern,
[183] Als ob sie große Kinder wären,
Im Zwielicht lauschend Geistermähren.
Und als er gar dann noch erzählt,
Wie sie, verirrt und durstgequält,
Mit knapper Noth vor der Oase
Entflohn dem Schuß der Beduinen –
Wie da die Mutter sammt der Base
Mit hoch erregten Horchermienen
Nachträglich drum noch Angst erlitt,
Drein er beruhigend gelächelt!
Hatt' er ja doch nach heißem Ritt
Zuletzt erjagt noch kühlen Trank,
Drauf er, vom Palmenwald umfächelt,
In sternumglänzten Traum versank!

Und jetzt sein Wanderzauberstab
Sie rasch zum heil'gen Lande führte.
O wie vor Christi Wieg' und Grab
Ihr Herz da gleich daheim sich spürte!
Jedwedem war das Weinen nah'
Und sie beneideten ihn drum,
Daß er mit eignen Augen sah
Der Erde größtes Heiligthum.
Doch, so genau er auch beschrieb,
Gleich Kindern hoben sie die Hände,
Weil stets noch was zu fragen blieb
Und seiner Antwort ward kein Ende.

Da – plötzlich, wundersam gelaunt,
Er all die Rührung unterbrach,
Daß fragend sie ihn angestaunt,
Als er in hellstem Freudeton,
[184] Und doch zu ihrem Schrecken sprach:
»Doch wißt ihr, meine Liebsten, schon,
Daß ich jetzt wieder wandern muß?«

»Mein Gott, wohin?« Frau Walburg rief
Und neu das Aug' ihr überlief.
Doch rasch gab er ihr einen Kuß
Und rief dann mit erhobner Hand:
»Ja, wandern muß ich morgen wieder
In ein gar räthseldunkles Land.
Drin ging des Geistes Sonne nieder.
Der Wahn sitzt auf dem Herrscherthron.
Als Nachtgespenst spuckt die Vernunft
Im Geisterthurm von Babylon
Und harrt voll Wuth und Angst und Hohn
Auf ew'gen Lichtes Wiederkunft.
Und ich auch, meine Lieben, ich,
Will lernen dieses Reich ergründen
Und der Erlösung Licht entzünden …
Lieb Mütterchen, verstehst du mich?«

»Herrgott, er will in's Narrenhaus,«
Platzt' auch die Base schon heraus,
Bevor die eigne Mutter sich
Der Angst entwand, die sie beschlich.

»O Base, sprachst du jetzt prophetisch!«
Rief Odilo scherzhaft pathetisch
Und dann in freud'gem Liebesdrang
Der Mutter Hand er traut umschlang.
»Ja, Mütterchen, wohl manch ein Jahr,
Dir und der Menschheit Heil zu dienen,
[185] Bleibt nah' dir nun dein Odilo.
Und in denselben Mauern gar,
Aus deren rauchigen Ruinen
In solcher Trübsal einst ich floh.
Sag': ist's nicht seltsames Geschick?«

»Ach ja, gewiß, mein bester Sohn!«
Sprach Walburg mit umflortem Blick –
Noch war ihr Alles nicht ganz klar –
»Doch weiß es denn der Hofrath schon,
Der erst noch gestern bei uns war
Und doch kein Sterbenswort mir sagte?«

Der Mann, nach dem sie jetzt so fragte,
Das war der Hofrath Friedrich Streiter,
Des neuen Irrenhauses Leiter,
Der einst im ersten Burschenjahr
Des sel'gen Justus Leibfuchs war
Und bis in's Grab ihm Freundschaft wahrte,
Wie einst sein Kranz drauf offenbarte.
Und auch der Wittwe Freund er blieb.
Doch wie er oft auch niederstieg,
Er dennoch Alles ihr verschwieg,
Was Odilo ihm heimlich schrieb,
Bevor sein Schiff zur Heimath trieb:
Ob, wenn er nun nach Hause kehre,
Des sel'gen Vaters Freund ihn nicht
Aufnehmen woll' in Haus und Lehre,
Ihm in des Wahnes nächt'gem Meere
Vorleuchtend mit des Wissens Licht,
Daß er der Menschheit Helfer sei,
Und Trost der Mutter nebenbei.
[186] Denn just zu diesem Wissenszweige
Sein Geist unwiderstehlich neige,
Der, selber einst in Nacht verschlagen,
Nach geistiger Erlösung rief.
Und auf sein schüchternes Befragen
Eilt' ihm solch freud'ger Willkommbrief
Zum Hafen von Triest voraus,
Wie aus dem eignen Vaterhaus.

So hörten sie's gleich Wildbachwellen,
Seit gestern Nacht schon angestemmt,
Nun ungehemmt ihr Ohr umschwellen.
Zu viel des Glücks war's auf einmal!
Durch die Besinnung neu gedämmt
Mußt' erst der jähe Sprudelstrahl
Zu stiller Fluth sich wieder klären.
Nur mit der Freude stummen Zähren
Der Mutter Haupt an's Herz ihr sank
Und all ihr Wort war: »Dank – o Dank!«

Andächtig saß die Base da,
Wie Sonntags auf der Kirchenbank.
Sie sprach, da sie zu Walburg sah:
»O du glücksel'ge Mutter, du!« –
Und still auch ihre Thräne rann.

Doch Cyprian, der stumme Mann,
Der faltete die Hand dazu
Und sann mit nickender Geberde:
»Es giebt noch Glück auf dieser Erde.«

 

[187] In trauter Dämmerstunde.

Nun Hand in Hand so dämmrungstraut
In ihres Gärtleins Geisblattlaube
Bei Odilo Frau Walburg ruht.
Und immer sie ihn neu beschaut,
Als ob sie noch nicht daran glaube,
Daß ihr des Herzens höchstes Gut
Nun wirklich sei zurückgegeben.

Da sprach der treue Sohn zu ihr:
»O Mutter, du mein andres Leben!
Nun bleib' ich immer nahe dir.
Doch dir schon jetzt so ganz zu sagen,
Wie ich nur heimgekommen bin,
Der Liebe Schuld dir abzutragen –
Dazu reicht all mein Wort nicht hin.
Nur Thaten sind der richt'ge Preis.«

»Ach Sohn!« die Mutter unterbrach,
»Dein ganzes Leben war danach,
So lang ich nur zu denken weiß.«

Sie drückten sich die Hände leis.
Doch er dann schmerzlich weiter sprach:
[188] »Nein, Mutter, nein! so war es nicht.
Denn seh' ich dort im Abendlicht
Die neue Geisterzwingburg ragen,
So muß ich heut noch mich verklagen,
Wie in der alten, nachtversenkt,
Ich einst dein Mutterherz gekränkt;
Wie jemals ich vergessen konnte,
Daß deiner Liebe reine Gluth
Des Lebens Morgen mir besonnte,
Und daß, was an mir menschlich gut,
In diesem Lichte nur gedieh.
Ach, nein! so lang ich denken kann,
Vergess' ich dieß Vergessen nie.
Und, was der Jüngling einst verbrach,
Das hole nun an dir der Mann
In kindlicher Vergeltung nach.«

»Du guter Sohn,« gerührt sie sprach,
»Wie nie ein besserer gewesen!« –
Und doch ein Seufzer ihr entstieg.
Ihr war's im feuchten Blick zu lesen,
Daß noch etwas sie wollte sagen,
Was sie aus Scheu vor ihm verschwieg.

Und schnell bestürmte sie sein Fragen:
»Wem gilt der Seufzer, Mutter? – Sprich!
Verschweig' mir Nichts! Ich bitte dich.«

Doch wie sie auch ihr Herz bezwang,
Befangen nur ihr Wort erklang:
»Du weißt! … So oft du heimgekehrt,
Ward von uns in den flücht'gen Wochen
[189] Nie über Glauben was gesprochen.
So hatte mich's mein Herz gelehrt
Und stets in tiefstem Liebesfrieden
Allherbstlich wiederum wir schieden.«

»So war's,« gelassen drauf er sagte,
Doch bebte seiner Stimme Ton.
Auch ihre Lippe wieder zagte:
»Nun fürchte nicht, mein liebster Sohn,
Daß ich in hitz'gem Wortgefechte
Um Glauben nochmal mit dir rechte.
O nein! das that ich einmal nur.
Und welch ein Leid uns widerfuhr,
Das weiß dein Herz, so gut, wie's meine.
Sieh, Odilo: nur dieß ich meine –«

Da stockte sie. Der Muth ihr schwand,
Den zarten Faden fortzuspinnen.
Doch ihres Herzens heimlich Sinnen
Sein zarter Geist sogleich verstand
Und er bot selber ihr die Hand,
Den Faden wieder aufzunehmen.
»Ich weiß gar wohl, was dich mag grämen.
Und eine Mutter, so wie du,
Hat auch das heil'ge Recht dazu,
Mein innerst Herz nun auszufragen.
So will ich dir auch Antwort sagen
In solcher Wahrheit strengem Geist,
Als ob du mein Gewissen seist!«

»Ach, Sohn!« frohlockte schmerzlich sie,
»Das wußt' ich, denn du logst ja nie,
[190] Nicht einmal, da du noch ein Kind,
Die unbewußt oft Lügner sind.«

Drauf mit der Wahrheit mildem Wort
Fuhr Odilo, wie beichtend, fort:
»O liebste Mutter, weißt du's noch,
Wie in des Abts zelot'schem Joch
Ich deinen Glauben einst verwarf,
Daß unsre Eintracht tödtlich krank
Durch diese Logik, giftesscharf,
Ein volles Jahr zu Grabe sank?
Und doch – nur aus dogmat'schem Kraut,
Dran jedes Blatt katholisch echt,
War jener Trank vom Abt gebraut.
Und heut noch ist's mir sonnenklar,
Daß Innocenz im log'schen Recht
Mit deines Heils Verwerfung war.«

Frau Walburg rief: »Was sprichst du da?«
Und bangen Blicks sie ihn besah.
Da lächelte sein klar Gesicht:
»Lieb Mütterchen, erschrick nur nicht!
Des Sohnes Herz schon längstens ja
Den schönsten Platz im Paradies,
Draus jener Mönch dich einst verwies,
Dir, frömmste Mutter, auserkor.
Doch, daß du auch das Andre weißt,
So wiß: desselben Sohnes Geist
Drum längst den Glauben auch verlor
An jener Schlüsse Fundament,
Die einst mich von dir losgetrennt.
Dann schlug noch jener Blitzstrahl ein.
[191] Und aus des Dogma's Schuttgestein
Nur noch die heil'ge Lieb' allein
Als ungebrochne Säule ragte,
An der nach Licht ich rang und klagte.«

»Du armer Sohn! Ach ja, ich sah's« –
Der Mutter Mitleid los sich rang,
Da sie mit Blicken tief und bang
Sein nun umflort Gesicht durchmaß.

Und Wehmuth dämpfte jetzt sein Wort:
»So zog ich damals von dir fort,
An Kirchenglauben ganz verwaist.
Der Schwalbe glich mein Herz und Geist,
Die noch ihr sturmzerrissnes Nest
Mit scheuem Fittig lang umkreist,
Nicht wissend, wo ein neues nun
Gleich traut, wie dieß, sich bauen läßt,
Doch sichrer gegen Sturmesbrausen. –
So ließ auch mich's dann nimmer ruhn.
Und auf der hohen Schule draußen,
Als neu zu denken ich begann,
Ich Tag und Nacht darauf nur sann:
Wie ich des Wissens neue Steine
Mit jenen Trümmern wohl vereine,
Des Glaubens Neubau zu errichten.
Doch, wie ich auch die alten Bohlen
Auf neue Mauern wollte schichten;
Am Tag sie wegwarf, um verstohlen
Des Nachts sie wieder herzuholen;
Trotz all dem Messen, all dem Sichten –
Nie wollte mir der Bau genügen.
[192] War doch mein Geist zu streng gewöhnt
An logisch fest Zusammenfügen
Nach theologisch scharfen Rissen!
Und immer blieb mir unversöhnt
Der Streit von Glaubenssatz und Wissen.«

Sie sprach: »Was mußtest du wohl leiden?«
Und streichelt' ihm die heißen Wangen.
Dann wieder fragte sie befangen:
Und wie ist dir's mit diesen beiden
Dann weiter in dem Streit ergangen?« –
Doch eh er nur zur Antwort kam,
Macht' ihr die Frage wieder bange,
Und selbst das Wort sie wieder nahm:
»Ach, liebster Sohn, was frag' ich lange?
Nur gut ist's dann ergangen dir.
Das sagt dein Ton, dein Auge mir.
Ich spür's an deines Herzens Schlag:
Neu strahlt drin Gottes Feiertag.
Nur größer, milder noch es ward
Und ganz von Glaubenshasse leer.
Gelobt sei solche Irrsalsfahrt
Mit solchen Friedens Wiederkehr!«

Wie fühlt' er laut sein Herz nun schlagen!
So Vieles wollt' er noch ihr sagen,
Der Seele tiefsten Grund ihr zeigen.
Und doch mußt' er sich jetzt befragen:
Ob es nicht zarter sei, zu schweigen,
Statt neuen Mißklang anzuschlagen?
Drum nur das Eine sagt' er ihr:
»Ja, Mutter, ja, ich sage dir:
[193] Nach jahrelangem Streiterdrang
Des Glaubens Neubau mir gelang.
Drin lehrt das Evangelium
Mir Lieb' und Sitte, wie zuvor;
Nur ängstlicher noch sorg' ich drum,
Daß, was an Glauben ich verlor,
Die That mir gebe zum Ersatz.
Die ganze Menschheit hat drin Platz –
So groß ist jetzt dieß Gotteshaus,
Und meiner Liebe heil'gen Schatz,
Ich zahl' ihn Allen darin aus
Ohn' irgend einen Unterschied.«

Wie rauschte da gleich hehrem Lied
In's Mutterherz des Sohnes Wort!
Und, wie gelobend, fuhr er fort:
»Die Kirchen alle will ich ehren,
Die, nur von Gottes Geist durchschienen,
Durch reinster Nächstenliebe Lehren
Zur Sittigung der Menschheit dienen.
Ich hasse nur den Haß in ihnen,
Der, von der Hoffahrt aufgebläht,
Fluchsamen in die Völker sä't.
Zuwider sind mir nur Zeloten,
Die Selbstgerechten, Herzenstodten,
Die, hier wie dort stets gleicher Art,
An Worten nur und Formen kleben,
Nichts ahnend von des Geistes Leben,
Der sich im Lieben offenbart.«

»Ach ja, mein Sohn, wie hast du Recht!«
Sprach Walburg nun voll Herzensgluth,
[194] »Durch Lieb' erst wird der Glaube gut,
Doch Haß macht auch den besten schlecht.
Und, seit du uns im Herbst verlassen –
O wie auch hier durch solches Hassen
Die Herzen meist verschlechtert sind!
Fanat'schen Eifers böser Wind
Hat vor den beiden Glaubenszelten
Den Staub der Zwietracht aufgerührt.
Nur rohes Poltern, hämisch Schelten,
Des Friedens Heiligthum entweiht,
Und wer am kecksten hetzt und schürt,
Will drum auch für den Frömmsten gelten.
Ach, ist das eine schlimme Zeit! –
Doch, was zumeist mich muß entsetzen:
Die Gott bestellt zur Friedenswache,
Sie selbst die Heerden so verhetzen.
Und ihre Herzen so verderben,
Da sie nur, statt für Gottes Sache,
Für irdischen Parteihaß werben.«

»Wie?« fragt' erstaunt nun Odilo,
»Die sonst so gut zusammen waren,
Bekriegen sich nun plötzlich so
Trotz friedlich weiß gewordnen Haaren?«

»Die alten Herrn – daß Gott behüte!«
Frau Walburg sprach und ihr Gesicht
Vor schmerzlicher Erregtheit glühte,
» Die sind die Friedensstörer nicht.
Doch sieh, da kam erst vorig Jahr
Ein junger Raufbold von Kaplan;
Der band erst mit dem Stadtvicar,
[195] Der eben auch gar störrig war,
Zuerst den bösen Handel an.
Bischof und Consistorium,
Die lobten noch die Beiden drum
Und halfen tapfer schürend mit,
Bis dann der alten Herren Hand
Stets mehr das Regiment entglitt.
Und immer weiter griff der Brand
In der einst friedlichen Gemeinde.
Uralte Nachbarn wurden Feinde;
Ja, selbst im selben Hause stand
Der alten Eintracht Baum in Flammen.
Auch auf der Kanzel hier wie dort
Hört man statt heil'ger Liebe Wort
Nur Glaubenshaß noch und Verdammen,
Und geht das weiter noch so fort,
Bricht aller Glaube hier zusammen.«

Wie da das Herz der sanften Frau
Sichtbar ein heil'ger Schmerz zerwühlte!
Doch schnell sein Wort gleich mildem Thau
Verständnißvoll die Wunde kühlte:
»So laß der ew'gen Liebe Lehren
Zum ird'schen Zerrbild sie verkehren!
Wir, Mutter, wollen's anders halten.
Und wie ihr Drei durch all die Jahre,
Ob eure Kirchen auch gespalten,
Vom Pred'gerstuhl wie Meßaltare
Heimkamt zu gleicher Liebe Walten –
So nehmt nun mich als Vierten an,
Der in der freien Forschung Kahn
Auf unbegrenzter Meeresfahrt
[196] Der Gottheit dient in seiner Art,
Gleich ehrfurchtsvoll ihr unterthan.
Doch nie laß uns vom Glauben reden!
Nie den der Andern gar befehden! –
Das ist das rechte Frommsein nicht,
Das gleichsam zum Geschäft man macht.
Es gleiche mehr dem Sonnenlicht,
Und mehr dem Thau der Sternennacht,
Die lautlos nur ihr Amt vollführen,
Und das die Blumen doch verspüren,
Wenn sie, ganz gleich geheim gehalten,
Die Blätter und den Kelch entfalten.«

Wie dieser Worte sanfter Fluß
Ihr lind harmonisch wohl gethan!
Doch wieder hub sie schüchtern an:
»Nur Eins noch ich dich fragen muß.
Nicht wahr, mein Sohn, du denkst doch nicht,
Daß, wer noch glaubt einfältig schlicht
Nach seines Kinderglaubens Lehre –
Daß der drum des Verstands entbehre,
Wenn er nicht gar ein Heuchler sei? –
Nein, nicht wahr, liebster Sohn, o du,
Nie dachtest du noch Solcherlei!
Bist du doch viel zu klug dazu,
Zu edel und gerecht dabei!«

Und Odilo erwidert' ihr:
»O Mutter, darauf sag' ich dir:
Des Glaubens Stimmung gleicht dem Duft,
Der einer Landschaft Bild umsponnen;
Und ist er durch des Zweifels Luft
[197] Vorm Forscheraug' einmal zerronnen,
Dann schaut es auch in anderm Lichte
Der Schöpfung göttliche Geschichte.
Wer will den Einen nun drum loben,
Wem dieser Schleier nie zerstoben?
Wer schilt des Anderen Gewissen? –
Der Eine hat ihn nicht gewoben,
Der Andre willig nicht zerrissen. –
Wie wollt' ich nun mit stolzem Haupt
Bespötteln, der noch glauben kann,
Was ich als ganz wahrhaft'ger Mann
Einst selbst so felsenfest geglaubt
Und Abertausend noch bekennen,
Die edel, wahr und klug zu nennen?
Doch wollen mich die Andern schelten,
Daß meines Glaubens inn're Welt
Sich mir nun anders dargestellt –
Nie werd' ich Haß und Hohn entgelten.
Empfand ich's doch einst hundertmal,
Daß in des Dogmenglaubens Thal,
Von Wunderrosenduft umschwommen,
Des Lebens Luft viel milder weht
Und leichter Leid-Ertragen geht,
Als auf dem Berg, den ich erklommen,
Drauf uns, mit eignen Kräften nur
Sammt der Ergebung Macht verbündet,
Die unerbittliche Natur
Ihr göttliches Gesetz verkündet.«

Versunken saß Frau Walburg da.
Wie ein in Schlaf gesungnes Kind
Das Herz ihr aus den Augen sah,
[198] Indessen durch die Geisblattranken
Leis flüsterte der Abendwind.
Auch Odilo saß in Gedanken.
Der Friede selbst nicht stiller sinnt. –
Aufstehend er die Hand ihr gab
Und wies darauf zum Thal hinaus.
»Nun laß mich zu des Vaters Grab!
Sonst schlief' ich schlecht in seinem Haus,
Hätt' ich ihm nicht noch heut vor Nacht
Als Sohn der Heimkehr Gruß gebracht.«

In kindlicher Gedächtnißfeier
Entwallt' er drauf im Wiesengrunde
Durch duftgewobne weiße Schleier.
Da zog in dieser Dämmerstunde
Sein ganzes wechselreiches Leben
Ihm wie ein Traumbild durch die Sinne.
Stets tiefer ward er dabei inne,
Wie Vieles noch er müss' erstreben,
Daß er des Vaters würdig bliebe. –
Jetzt hört' er aus den Friedhofrüstern
Des sel'gen Geistes Willkomm flüstern:
»Der Menschheit Höchstes ist die Liebe!«

 

[199] Wieder in Mariagnaden.

War's heut ein Morgen, klar und frisch,
Als Odilo im Gärtlein stand,
Den Krämpenhut noch in der Hand,
Und Walburg schmerzlich träumerisch
Dem Scheidenden in's Auge sah! –
Am Hausthor stand die Base da,
Als ob sie nicht dazu gehörte,
Damit sie ja die Zwei nicht störte.
Doch, wie's nun an den Abschied ging
Und an der Mutter Wimper schon
Die erste große Perle hing,
Wischt' ihr sie rasch hinweg ihr Sohn:
»Lieb Mütterlein, kein Weinen heut!
Nicht Abschied heißt das ja genommen.
Stet Gehn nur ist's und Wiederkommen,
Das mehr als Bleiben noch erfreut.«

Und Walburg sich zum Lächeln zwang:
»Ach ja, ich will mein Weinen sparen,
Bis wir einst wirklich Leid erfahren.«
Wie klang dieß Wort gleich froh wie bang!
Und wie die Base seltsam nickte!
[200] Doch er nur morgenheiter blickte.
Des Schicksals besserm Genius,
Der ihn als Arzt nun aufwärts führte,
Voraus er frohste Grüße schickte.
Der Mutter gab er letzten Kuß,
Die Base seinen Handschlag spürte.
Drauf schon im Gehn vom Rosenstock
Steckt' er ein Knösplein an den Rock,
Das noch der Morgenthau umwob.
Und sieh, schon winkt er überm Steg. –
Nachhinkend auf dem Fuhrmannsweg
Der Cyprian den Karren schob.

Jetzt ist er in beschwingtem Schritt
Den Klosterberg hinangeklommen.
Zu mächt'ge Sehnsucht ging noch mit,
Die selbst die kleinste Rast nicht litt,
Als er zu jener Bank gekommen,
Drauf einst, umgrünt von Buchenzweigen,
Er zweimal mit der Mutter saß:
In innern Jubels Uebermaaß
Am einen Tag beim Aufwärtssteigen
Zu der Dogmatik Himmelsleiter;
Beim Niedergang am andern Tag,
Da sie zerbrochen vor ihm lag
Und nur der Zweifel sein Begleiter.

Doch, wie er auch vorbeigeflogen,
Und Niemand auf der Bank vorhanden,
Zwei Geister doch, dort aufgestanden,
Sie waren sacht ihm nachgezogen –
Der eine licht, der andre düster.
[201] Und dann mit streitendem Geflüster
In ihre Mitte sie ihn nahmen,
Bis sie zur Hügelhöhe kamen,
Wo mit verdrossenem Gesichte
Der links dann in die Felsen schlich,
Indessen rechts der sonnenlichte
Nicht mehr von seiner Seite wich.

Jetzt ist er, wundersam befangen,
Vom Pförtner freundlich eingeführt,
Zum einst'gen Klosterhof gegangen
Das erstemal seit jener Zeit. –
Von der Erinnrung angerührt
Ward ihm das Herz wie zugeschnürt;
Und in des Kreuzgangs Einsamkeit
Setzt' er sich auf die Marmorbank.
Drauf sah noch heute, kreuzbeladen,
Der Heiland, wie er niedersank,
Als steinern Bild aus den Arcaden.

Und trüb er vor sich nieder sann:
»Einst saß ich hier auf dieser Stelle,
Als jener mystische Tyrann
Mich weggeschickt in meine Zelle,
Der Mutter Glauben zu bekehren.
Und o, wie grübelt' oft ich dann
Auf dieser selben Marmorschwelle
In quälendem Michselbstverzehren,
Und lechzte nach der Mutter Blick,
Die der Ascese Geißelstrick
Aus meinem Herzen fortgejagt!
O unnatürliches Geschick,
[202] Das grausam einst mein Herz zernagt!
Jetzt dünkt es mir ein wüster Traum.
Aus Glauben eine Mutter lassen!
Das that ich einst? – Ich fass' es kaum,
Und heut noch möcht' ich mich drum hassen.«

Jetzt führt ihm der Gedanken Lauf
Den Blick zu diesem Bild hinauf.
»Du Menschenvorbild, unerreichbar,
An Lieb' und Sanftmuth unvergleichbar!
Du Reinster vorher und noch heut,
Deß Wort, das du einst ausgestreut,
Das Angesicht der Welt erneut!
Deß milde Menschenfreundeshand
Das Herz so liebestief geweitet
Und sein Empfinden zart besaitet,
Wie nie zuvor es noch empfand! –
O hast du, Weisester der Weisen,
Uns nicht gelehrt einst durch dein Lieben:
Das Leben nur als Gut zu preisen,
Wenn, von der Liebe Geist getrieben,
In aller Völker Friedensbunde
Sich alle Menschen Brüder heißen? –
Ist das nicht der Erlösungskunde
Tiefinnerlichster, wahrster Sinn,
Von einst bis zu der heut'gen Stunde,
Wie aller Zeiten Heilsgewinn? –
Und hättest du wohl je gedacht,
Daß Priester einst zum selben Schacht,
Draus einst nur reinste Liebe quoll,
Geweihten Eimer niederließen,
Um dann ihn, trüben Hasses voll,
[203] Nicht achtend solch fanat'schen Hohnes,
Lieblos in Herzen auszugießen,
Wie das der Mutter und des Sohnes,
Die Gott zur Liebe nur verwiesen?« …

Zum Himmel blickt' er ernst empor,
Als wollt er auf die Antwort warten.
Und aus der Laube sah vom Garten
Jetzt scheu ein Lockenkopf hervor –
Das war des Hofraths Töchterlein.
»O, ganz gewiß! das muß er sein!«
Sprach bang Angelica zu sich.
»Doch, was er nur so Ernstes sinnt,
Der schöne Mann?« – O hüte dich,
Neugierig schwärmend Engelskind!

Und länger noch saß er so da.
Und seines Geistes Auge sah
Den Abt Johannes freundlich nicken.
Dann trat mit eisigkalten Blicken
Abt Innocenz vor ihn und höhnend
Bewarf er ihn mit Anathemen.
Und wieder schwang, ihn mild versöhnend,
Vom Grab der african'schen Wüste
Sich durch die Morgenluft ein Schemen,
Der schmerzlich lächelnd niedergrüßte.

Jetzt fuhr er auf mit raschem Sprung.
Was sollten ihm beim Tageslichte
Noch solche Phantasiegesichte,
Wie einst zur Zeit der Dämmerung?
Die Treppe schritt er schnell empor,
[204] Dann durch den langen Corridor.
Wie war noch Alles ihm bekannt!
Er mußte fast sich erst besinnen
Auf sein nun weltliches Gewand.
Und kaum der Wärter ihm entschwand,
Ihn seinem Herrn zu melden drinnen,
Folgt' ihm schon dieser auf dem Fuß,
Ein stämm'ger Mann mit vollem Bart,
So gar nicht nach Gelehrtenart.
Mit herzlich warmem Willkommgruß
Gleich einem heiß ersehnten Gaste
Er ihn bei beiden Händen faßte.
Und da er flüchtig ihn beschaut,
Dabei er über's Haar ihm strich,
Rief er so freudig überlaut,
Wie's nur der Freundesbrust entquillt:
»Herrgott, wie ähnlich! – Lächerlich! –
Ganz eures Vaters Ebenbild!«

Als sie in's Zimmer dann gekommen
Und er beim Hofrath Platz genommen,
Da sah er an der Wände Raum,
Daß das – wie traf sich's wunderbar! –
Voreinst der Saal des Abtes war.
Und wie ein banger, dumpfer Traum
Befiel ihn die Erinnerung,
Wie erst vorm Abt Johannes hier
In idealem Glaubensschwung
Er einst mit seiner Mutter saß
Und, beim dogmatischen Turnier,
Dann späterhin in hitz'gem Sprung
Mit Innocenz die Speere maß.
[205] Ja, dort, wo jetzt der Schädelschrank,
Dort war es, wo er niedersank,
An Geist und Herzen sterbenskrank.
Und Bild auf Bild ihn hetzend jagte …

»Was ist euch?« ihn der Hofrath fragte,
Da Alles, was ihm Jener sagte,
Dem Seelenkenner wohl verrieth,
Daß trotz der äußerlichen Rede
Sein Geist auf anderem Gebiet.
Da, in solch wirrer inn'rer Fehde,
Ermuthigt durch des Fragers Blick,
Hatt' er des Lebens ganz Geschick
Gleich offnem Buch ihm aufgeschlagen;
Von allen den Novizentagen
Bis zu des Blitzes Niederfahren
Und seinen Lehr- und Wanderjahren.
Voll Hast es ihm vom Munde floß,
Und jetzt er sein Bekenntniß schloß:
»Doch bitt' ich: nennt es Schwäche nicht,
Weil vorhin Wehmuth mich beschlich!
Des stärksten Helden Angesicht,
Ihr wißt es ja, verdüstert sich,
Wenn einstig Schlachtfeld er betritt,
Ob er auch drauf einst Sieg erstritt.
Und hab' ich Nichts auch zu bereuen,
Da inn'rer Zwang mich Schritt für Schritt
Mein altes Denken hieß erneuen –
Heiß' ich doch Jeden hochbeglückt,
Der, so als Jüngling wie als Mann,
Bis an sein Sterben unverrückt
Die immer gleiche Denkungsart
[206] Wahrhaftiglich bewahren kann.
Viel heißer Kampf ist ihm erspart
Sammt vielen schweren, bangen Stunden.
Denn ist der Streit auch überwunden,
Und freut der Geist sich seines Siegs
Nur langsam kann das Herz gesunden
Vom Wundenschmerz solch innern Kriegs.«

Der Hofrath sprach: »O seid getrost!
Wer solche Kampfesrast gefunden,
Nachdem ihn solcher Kampf umtos't,
Der freue selbst sich seiner Wunden!
Viel mehr, als ihres Heilseins Jene,
Die, ohne daß sie Blut noch Thräne
Jemals dabei vergossen haben,
Der Dogmen Bau nur niederrissen:
Im Schutt dann Sitte wie Gewissen
Sammt Idealen zu begraben.«

»O ihr versteht mich, edler Mann!«
Aufathmend Odilo begann,
»So bleibt mir Lehrer und Berather!«

»Nein, nennt mich euern zweiten Vater!«
Rief feuchten Blicks der Hofrath aus.
»So heiß ich auch den Sohn begehrt –
Das Leben hat ihn mir verwehrt.
Ersetzt denn ihr ihn meinem Haus!
Und wie voreinst im Burschenleben
Mir euer Vater Hort und Rath,
So will ich's ihm zurück nun geben
In eures Geists Noviziat.«
[207] Und Odilo die Hand ihm gab:
»Ach ja! bei meines Vaters Grab!
Laßt mich gleich einem Sohn euch sein!«

»So wahr es Mannestreue giebt,
Und euern Vater ich geliebt!«
Fiel küssend drauf der Hofrath ein.

 

[208] Wahnbilder.

Längst war im trauten Speisesaal
Vollbracht der Beiden Mittagsmahl –
Noch fehlte heut das Töchterlein,
Des Wittwerhauses Edelstein –
Und saßen plaudernd sie beim Wein.
Des Hofraths Herz ward wieder jung
Von Burschenzeit-Erinnerung
Und froh erregt das Glas er hob.
»Auf eures Vaters Ehr' und Lob
Stoßt jetzt noch einmal mit mir an,
Daß euch deß Geist Geleitsmann sei
Auf eurer neuen Forscherbahn!«
Hei, welchen hellen Klang das gab!
Es spürten's ordentlich die Zwei,
Als ob der Dritte nun vom Grab
An ihren Tisch getreten sei
Und drüber seine Hände halte:
»Habt Dank, ihr Lieben! – Gott das walte!«

Jetzt stand der Hofrath auf und sprach:
So tretet in das Amt nun ein
Und folgt aus Frühlingssonnenschein
[209] In schauerreiche Nacht mir nach!
Doch nehmt auch noch auf jedem Schritt
Als Ampel den Gedanken mit:
Wer nicht als Arzt bloß und als Gast,
Nein, auch als Mensch die Nacht betritt
Und jedes Wahnbilds Sinn erfaßt –
Dem wird das überwundne Grausen
Den eignen Geist vom Wahn erlösen,
Als sei in jener Welt da draußen
Der Wille nur der Grund des Bösen.
Hier trifft er jeden finstern Wahn,
Dem je die Menschheit unterthan,
Verkörpert als ein Krankheitsbild.
Und war er vorher wohl gewillt,
Auf allzustrengem Richterstuhle,
Entrüstet ob der Bosheit Pfuhle,
Drin Menschenwürde je versank,
Nur der Verdammung Stab zu brechen –
Hier lernt er milder Urtheil sprechen,
Erkennend, daß oft wahneskrank
Der bösen That Vollbringer waren –
Die Pöbelmassen wie Cäsaren.«

»O Dank euch, hochverehrter Mann!«
Begeistert Odilo begann.
»Einst schlossen diese Mauern hier
Als des Gemeingefühles Grab
Von aller Außenwelt mich ab;
Und nun erweitert ihr sie mir,
Einschulend mich im Weltgerichte,
Zum Schauplatz gar der Weltgeschichte!« [210]

Rasch fiel darauf der Hofrath ein:
»Doch sollt ihr deß gedenk auch sein! –
Nicht wahr, mein lieber Odilo?
's ist Niemand mehr so herzensroh,
Daß Einen hier er Narren schelte
Und je die Bosheit ihm entgelte.
Nur Mitleid hier jed' Herz ergreift.
Doch wie viel Wahn, unausgereift,
So im Gemüths- wie Geistesleben,
Läuft in der Welt noch frei herum!
Und wie ereifert man sich drum,
Gehäss'ge Namen ihm zu geben
Und drob in Zorngluth zu entbrennen!
Die Klügsten thuen's oft, doch ihr,
Lernt am enthüllten Wahne hier
Auch den verschleierten erkennen!
Und trefft ihr dann ihn draußen wo,
Weist Zorn wie Lachen in die Schranken!
Nein, lächelt nur, ganz ebenso,
Wie's Mitleid hier bei unsern Kranken! –
O glaubt mir, lieber Odilo!
Wer dieses Lächelns Kunst versteht,
Nur Der mit vollem Weltverstand,
Und Seelenruhe Hand in Hand,
Durch diese Weltkomödie geht.«

Stumm, mit verständnißvollem Nicken
Hört' Odilo des Lehrers Worte.
Mit seinem Lächeln in den Blicken
Wies dieser dann nach ferner Pforte:
»Ich denke wohl, 's wird besser sein,
Wir fangen nicht zu düster an.
[211] Drum tretet dort erst mit mir ein
Zu harmlos glücklichem Cumpan!
Doch tief euch beim Empfange bückt
Und jeden Lachreiz unterdrückt,
Soll er nicht in Affect gerathen,
Der gleich das ganze Bild verrückt!«

Mit ehrerbiet'ger Reverenz
Die Zwei nun in die Zelle traten.
Da saß denn auch der Irre schon,
Wie stets bei solcher Audienz,
Gleich majestät'schem Potentaten,
Auf seines Stuhles Wahnesthron –
Kaum, daß er mit dem Kopfe nickte.
Und, Himmel, warf er heute sich,
Wie's in der Hast sich grade schickte,
In Pomp ganz ungeheuerlich!
Denn vorher schon im Corridor
Hört' er sie nahn, ihn zu begrüßen.

Ein Zinntopf, keck auf einem Ohr,
Der stellte wohl die Krone vor.
Vom Halse bis fast zu den Füßen
Ihn eine grobe Schnur umfing,
Daran ein Messingleuchter hing
Und Theegeschirr am Henkelring
Sammt eines Vorhangs Broncerosette.
Sein Scepter war ein Haselstock.
Kreuzweise prangt' um seinen Rock
Das Handtuch und die Serviette.
Die galten ihm als Gnadenkette,
In deren plumpem Knopfgeflecht
[212] Wohl als Symbole höchster Macht,
Wenn auch nur in verhüllter Pracht,
Rockbürste stak und Stiefelknecht.

Wie dieses wunderliche Bild
Jetzt Odilo verblüfft beschaute,
War er zu lächeln erst gewillt.
Doch schnell ihm wieder davor graute
Und schnürt' es ihm die Lippen zu,
Als der nach wahnesstarrer Ruh,
Drin er sich erst bewundern ließ,
Den Haselstock zu Boden stieß,
Und hohlen Geistertones dann
In lang gezognem Wort begann:

»Ich bin des Weltalls Großmogul
Und unser Herrgott ist mein Vetter;
Regier' die Welt von diesem Stuhl,
Doch Jener macht drin nur das Wetter.
Zuerst kam ich – er kam nach mir;
Da hieß ich ihn die Welt erschaffen
Sammt Raub- und Last- und Bratgethier,
Wie auch für mein Privatpläsir
Noch Hunde, Papagei'n und Affen. –
Ich bin der Großmogul der Welt
Und meine Macht hat keine Schranken.
Ich mache drin, was mir gefällt
Und, wenn sie noch zusammenhält,
So hat sie das nur mir zu danken. –
Ich bin der Kaiser dieser Welt,
Die andern Fürstlein sind nur Fretter.
Die Menschheit ist ein Sündenpfuhl
[213] Und braucht gar oft ein Donnerwetter.
Nur ich bin rein, der Großmogul,
Und unser Herrgott ist mein Vetter.«

Erst stiert' er auf die Beiden hin.
Dann hatt' auf seinen feisten Wangen
Ein solches Lachen angefangen –
Die Sonn' ist eine Stümperin
Gen dieses Lachens Vollmondprangen.
Trotz ihrem Flammenangesicht,
In solchem Gottgefühl der Macht
Vermag sie doch zu lachen nicht.

Und also hoheitswahnesfroh
Noch immer von ihm angelacht
Besah ihn fröstelnd Odilo.
Nicht konnt' er sich dem Blick entzieh'n.
Dann kam es fragend über ihn:
»Der sitzt hier fest in sichern Schranken;
Unschädlich ist er, und man hört
Nur lächelnd seine Wahngedanken.
Doch saßen nicht, gleich geistgestört,
Schon wirklich Fürsten auf den Thronen,
Als Geißeln ganzer Nationen
Nur Trümmer, Brand- und Blutgeruch
Nachlassend auf der Herrscherbahn,
Und aller Nachwelt ew'gen Fluch?
Und doch, wer fällt gerechten Spruch:
Wie viel es Willensschuld und Wahn?«

Doch seltsam, ob der Irre jetzt
Von diesem Sinnen was errieth?
Fühlt' er in seinem Gottgebiet
[214] Sich durch den Menschenzwerg verletzt? –
Denn plötzlich ward er hoch erregt.
Es kollerte wie weggefegt
Der Zinntopf ihm vom Haupt herab.
Schon stieß er seinen Herrscherstab
Am Boden auf von Wuth entfacht.
Und rasch der Hofrath näher trat.
»Still, Majestät!« er freundlich bat,
»Sonst habt ihr eine schlechte Nacht,
Was euer Wohlsein schäd'gen kann.«

Und – wunderbar – da lag auch gleich
Der erst so grimmige Tyrann
In seines Meisters geist'gem Bann.
»Ich folge schon,« sprach er ganz weich,
»Ja, ja, ihr seid ein kluger Mann!«
Und wieder schmunzelt' er sodann
Gleich wohlerzognem frohen Kind.

Der Hofrath mahnte: »Fort geschwind!«
Drauf, rasch gebeugt zum Irrenstuhl,
Scheu Odilo noch aufwärts blickte.
Und gnädig bis zur Thüre nickte
Ihm nach des Weltalls Großmogul.

* * *

Wie sie nun wieder draußen waren,
Da sprach der Hofrath: »O nicht wahr?
Welch tragikomisch Exemplar
So manches römischen Cäsaren!«
Doch Odilo fiel ein sogleich:
»Nicht mußt' ich denken nur an diese.
[215] In noch gar manchem andern Reich,
Unsterblich, scheint es, fortgesetzt,
Sich wohl dieß Wahnbild finden ließe –
Gottlob nur keins aus deutschem Stamm. –
Doch, was in dieser Zelle jetzt
Ergriffen mich ganz wundersam:
Das war, wie ihr mit einz'gem Wort
Des Irren Zorn besänftigt habt!
Und denken muß ich fort und fort:
O wäre doch in allen Landen
Mit solcher Zaubermacht begabt
Ein treuer Rath bei den Despoten
So mahnend stets am Thron gestanden,
Als rasend sie ihr Volk bedrohten!
Und hätten sie auch stets gerufen:
›Ich folge schon‹ – o wie viel Fluch
Wär' einst schon an des Thrones Stufen
Unschädlich dann in Nichts zerronnen!
Und hätten in dem Völkerbuch
Die jetzt verfluchten Majestäten
Des Völker segens Preis gewonnen! –
Doch ach, von all den Fürstenräthen,
Wie Vieler Namen sind zu lesen,
Die, muth'ge Weisheit stets im Munde,
Mit Rechtsgefühl im edeln Bunde,
Der Herrscher guter Stern gewesen
Und in der Arglist feigem Dunkel
Des Völkerrechtes siegreich Licht? –
Trotz all der Orden Sterngefunkel,
Nur Wen'ge weiß ich – Viele nicht!«

* * *

[216] Der Hofrath drückt' ihm stumm die Hand,
Zum Zeichen, wie er ihn verstand.
Und wieder schritt er mit ihm weiter,
Ein neues Wahnbild ihm zu zeigen.
»Nun wollen auf der Wahnesleiter
Wir eine Sprosse höher steigen
Und treten ein beim irren Dichter.
Bald trüb' ist dessen Schau, bald lichter,
Wie eben der Besuch ihm paßt.«
Und er erzählt' in kurzer Rast
Von diesem zweiten Zellengast:

»Einst war er solch ein Kraftgenie,
Wie in der Sturm- und Drangperiode,
Jedwedes Maaßes Antipode.
Und wer kann sagen, ob und wie,
Durch lehrend Tadeln, maaßbewährt,
Der Most sich nicht zum Wein geklärt,
Hätt' ihm nicht gleich den Pegasus,
Kaum, daß sein wilder Genius
Zum Sturmesritt sich draufgesetzt,
Der krit'sche Knüppel todtgehetzt.
So aber ward der Most zur Galle
Und Roß und Reiter kam zu Falle.
Denn, statt zu üpp'ge Phantasie
Maaßlernend streng dann zu beschneiden,
Ward er auch maaßlos nun im Neiden.
Und, wem ein gutes Werk gedieh,
Den jetzt mit umgedrehtem Stiel,
Verkappt als Selbstapologet,
Voll gleichen Hohns er überfiel.
So ward der Kritiker-Poet
[217] Durch dieses marternde Gewirr
Von neid'scher Bosheit, hast'gem Ringen,
Wie Mißmuth über stet Mißlingen,
Dann an sich selbst so völlig irr,
Daß er den Schaffensüberdruß
Zuletzt ersäuft' im Weingenuß,
Bis auf den müden Genius
Umnachtend dann der Schleier sank.
Und so nun, visionenkrank,
Kreist er im Wahngedankenring,
Daß nur durch höhn'schen Stümperneid
Sein Ruhmessternbild unterging,
Doch einst in vollster Herrlichkeit
Fortleuchten werde für Aeonen,
Wenn er, zum Trotz der Epigonen,
Erst hilfreich noch den class'schen Todten
Des eignen Geistes Licht entboten.
Und Tag und Nacht der Dichter Geister,
Die allergrößten wie die kleinen,
In seiner Zelle jetzt erscheinen,
Und lassen sich durch ihn, als Meister,
Der eignen Werke Sinn erklären,
Wie nie sie selbst im Stand es wären.«

Der Hofrath klopfte. Geisterhohl
Klang aus dem Innern Declamiren.
»Aha, ich hör' ihn commentiren,
Weiß Gott, welch einen Dichter wohl?
Da wird er nicht gar freundlich sein.«

Sie traten leisen Fußes ein.
Doch, wie jetzt nur die Thüre ging,
[218] Fuhr er aus wüstem Blätterhauf,
Drauf wirr sein Haar herunterhing,
Vom Schreibtisch grimmen Blickes auf,
Und schlug den Schlafrock voller Schmutz
In malerische Togafalten,
Drein sich in höchst antikem Trutz
Die tintenfleck'gen Finger krallten.
»Was wollt ihr hier, ihr dummen Laffen,
Und habt solch colossalen Denker
In bester Arbeit anzugaffen?
Maulaffen, scheeret euch zum Henker!«

Doch, da er Odilo fixirte,
Er rasch sich freundlich corrigirte:
»Pardon, ihr Junger hier, nicht wahr?
Mit dem romant'schen Bart und Haar,
Euch schickt man wohl zu mir als Boten
Von irgend einem class'schen Todten,
Wäschzettel und dergleichen Wische
Mir unterthänigst vorzulegen,
Drauf ich mein Visa ›classisch‹ drücke.
Nun ja, so legt sie her zum Tische!
Vielleicht lass' ich mich dann bewegen,
Daß ich die Menschheit mit beglücke.
Doch seht ihr diese Stöße ja,
Die alle noch zu absolviren!
Und wißt: für solch' Allotria
Lass' ich mich niemals drangsaliren,
Wo gestern Shakespeare erst und Dante
Zugleich mir schier die Thür einrannte,
Als just dem Heinse und dem Grabbe
Von wegen ihrem ew'gen Klagen
[219] Ich vor der Nase diese Mappe
Mit zorn'gen Fäusten zugeschlagen.
Geduld drum, Herr! 's muß Ordnung sein.
Erst kommt, was groß, und dann, was klein,
Geht auch das Rad noch so geschwind
In meines Geistes Lichtesschwingung.
Nur daß die Herrn auch Todte sind,
Das ist für mich die Hauptbedingung.«

Wie jetzt ihn Odilo belauschte,
Es wie ein Mühlbach ihn umrauschte.
Und in süpremster Positur
Der Irre höhnisch weiter fuhr:
»Ha ha, ihr Herren, höret nur:
Was gestern Abend mir geschah –
Ein Jux, um Vieles mir nicht feil! …
Es saß bei mir der Goethe da,
Dem über Faustens zweiten Theil
Urgründlich ich den Text gelesen,
Daß er wie ganz verzückt gewesen,
Weil ich mich wieder sein erbarmte.
Und, als er eben mich umarmte,
Um heimzufliegen zum Parnaß –
Ha, ha, denkt euch den netten Spaß!
Da kamen aus den Bodendielen
Ameisen plötzlich vorgekrabbelt,
Die mich so blitzschnell überfielen,
Daß selbst auf Nas' und Backenkiefer
Dieß unverschämte Volk gezappelt.
Und dann – kaum traut' ich meinem Ohr –
Erbettelte dieß Ungeziefer
In larmoyantem Pilgerchor
[220] Ganz deutlich meine Protectionen.
Da merkt' ich's erst: das war, hi, hi,
Das Neidsackpack der Epigonen! –
Natürlich lacht' ich nur darüber.
Verächtlich strich vom Leib ich sie
Und gab den kecksten Nasenstüber.
Hei, ward's ein Purzeln da kopfüber
Und winselnd Wehgeschrei dazu,
So lyrisch, episch wie dramatisch!
Ich aber voll olymp'scher Ruh,
Ich decretirt' epigrammatisch:
›Was kreischt ihr Spaßen und ihr Raben
In einst'gen Adlerluftgehegen?
Gesindel, laß dich erst begraben!
Dann will ich mir's noch überlegen,
Ob Einer von euch meinetwegen
Unclass'schen Nachruhm noch soll haben.‹
Und kaum hatt' ich das ausgesprochen,
Hatt' auch vor Todesangst im Nu
Das Ungeziefer sich verkrochen. –
Na, na, was sagt ihr jetzt dazu?«

Drauf gellend fort und fort er lachte,
Als unterdeß der Hofrath sachte
Den Doctor bat, etwas zu sagen.
Und Der erwiderte mit Zagen:
»Nun ja, ich kann euch drum nur loben,
Daß ihr doch wollt den Epigonen
Zum Mindesten mit Nachruhm lohnen.
Ist Tagesruhm doch schnell zerstoben!«

»Ha, Nachruhm, Nachruhm! Faselt ihr?«
Der Irre schrie. »Nur Narren, Narren,
[221] Die noch auf einen Nachruhm harren!
Gehört der einzig doch nur mir! –
Denn, bessr' ich class'schem Todtenpack
Des Nachruhms schäb'gen Lorbeer aus,
Fällt er einst nur in meinen Sack.
Pah, ist die Welt ein Narrenhaus
Und Alles drin nur Schabernack!«

Jetzt stiert' er nach dem Bücherschrank
Und ging sein Pathos hoch auf Stelzen:
»Seht, dort in jenem Zauberfelsen,
Dort ruht der Welt Erlösungstrank!
Ein Epos, ganz alliterirt,
Nicht so gereimt, wie Jeder schmiert.
Doch erst, wenn ich zu Grabe sank,
Und thron' auf einz'gem Meisterstuhle,
Lass ich die Menschheit mit begnaden,
Daß sie aus schmutz'gem Krötenpfuhle
Aufsteige zu des Lichts Gestaden.«

Ausstreckend dann die Arme plastisch
Rief er posaunenton-bombastisch:
»Dann aber, ist mein Werk erschienen,
Mag Goethe's Ruhm als Hausknecht dienen,
Der Schiller's lege sich auf's Betteln!
Doch auch die andern Musenvetteln
Erstarren dann zum blöden Nichts
Vorm Sphynxblick dieses Allgedichts.
Denn Alles, was ein Chaosfluß
Von Menschenkunst bisher gewesen,
Schuf mein Allvatergenius
Zu einz'ger Allkunst Götterleib,
[222] Die dann als ein Allmutterweib
Von diesem Weltepos genesen.«

Wie Zeus, so schüttelt' er die Locken.
Dann auf des Größenwahnes Socken
Trat er dem Hofrath herrschend nah'.
»Du ausgebalgtes Wolfsgesicht,
Hinaus mit dir! dich mag ich nicht.«
Hierauf er Odilo besah.
Und seltsam! – das Gesicht ihm streichelnd
Zog er ihn seitwärts und sprach schmeichelnd,
Daß Dem ganz schauerlich geschah:
»Du aber, du bleibst bei mir da!
Sagt mir doch deiner Augen Licht:
Du kennst den bösen Neid noch nicht!
Drum hör' auch du mein Allgedicht,
Du ganz allein – sonst Keiner mehr!
Ich muß dich küssen, Mensch! – Komm her!« …

Und krampfhaft er ihn drauf umschlang,
Und küßt ihn also heiß und lang,
Daß Der sich ängstlich ihm entwand,
Schnell fassend seines Führers Hand. –
Und rasch der Thürstein niederrollte.

Durch's Guckloch sie ihn noch beschauten.
Erst starrt' er, als ob schwer er grollte.
Dann saß er hin mit düsterm Haupt
Und lallt' in dumpf gezognen Lauten:
»Neidlos – ein Mensch? – hätt' ich geglaubt:
Die träfe man nurmehr im Grabe! …
[223] Pah, dummes Zeug! – Geträumt ich habe. –
Neidlos? – Hi, hi – ein weißer Rabe!« …

* * *

Und längs den Zellen schritten Beide,
Da manches Wort vom bösen Neide
Noch der zwei Männer Mund entfloß.
Der Hofrath dann die Rede schloß:
»Doch nicht allein den Baum der Kunst
Zernagt der Neid mit gift'gem Zahn;
Auch in des Forschers Sonnenbahn
Qualmt stinkend auf deß sumpf'ger Dunst.
Ja, er verfolgt den Arzt sogar,
Nachschleichend bis in's Krankenzimmer.
Und nicht ist's Stümperneid nur immer –
Nein, Schmach der Menschheit, daß es wahr! –
Im Lichtreich selbst der höchsten Geister
Ist er oft deren niedrer Meister,
Sehn Andre sie den Lorbeer brechen.
Freund, beherzigt drum die Lehre,
Daß unter allen Menschenschwächen,
Die der Natur unwürdig Erbe,
Nicht eine so den Geist entehre;
Daß keine so das Herz verderbe
Und also traurig sei, als Neid,
Den fremdes Glück nur traurig macht,
Und auch so froh nur fremdes Leid,
Wie man auf Gräbern eben lacht.«

»Da lob' ich mir mein gut Geschick,«
Sprach Odilo mit freiem Blick,
» Ich brauche mich des Neides nicht,
[224] Als nächt'gen Erbtheils, zu entwöhnen.
Mir war das Wiegenangebind
Einst nur der Liebe heitres Licht,
Wie's oft bei andrer Väter Söhnen
Der Leidenschaften Schatten sind. –
Wem größre Kräfte zugemessen,
Der mag auch größern Flug entfalten!
Neidlos werd' ich mich freuen dessen
Und gern ihn für den Größern halten.
Denn nie werd' ich darauf vergessen,
Daß unsrer Aller geist'ges Walten
Der ganzen Menschheit dienen soll;
Und Jeder dient ihr ganz und voll,
Wenn auch in ganz verschiednem Maaß,
Wer ganz ihr gab, was er besaß.«

»Ach, alter Freund, du sel'ger Mann,
Mit solchem Sohn zum geist'gen Erben!«
Bewegt der Hofrath für sich sann,
»Fortleben heißt das nur – nicht sterben.«

Und wie es nur ein Vater kann,
Drückt' er nun seines Schülers Hand.
Dann wieder von der Hallenwand,
An der gelehnt sie Rast gehalten,
In tiefre Nacht sie weiter wallten.

* * *

»Nun habet Acht vorm nächsten Bild!«
Klang jetzt des Hofraths Warnerruf,
»Oft schaut sich's an hyänenwild
Und Manchem schon es Grauen schuf.«
[225] Und Odilo trat scheu gespannt
An seines Führers Arm herein.
Doch, kaum daß jetzt die Thüre knarrte,
Hatt' er sich furchtsam abgewandt –
So fuhr's ihm gleich durch Mark und Bein.
Kam doch vom Winkel, drin sie starrte,
Die Faust geballt und wuthentbrannt,
Die Kranke belfernd hergerannt!
»Aha, da bist du, lump'ger Pfaff'!
Und da, schau' her: ist auch die Hex'!
Den Teufel aus dem Bauch mir schaff'!
Puh, wie der stinkt! – Komm her und schmeck's! –
Hast auch Weihwasser mitgebracht?
Willst wieder Hocuspocus treiben?
Doch's hilft dir Nichts. Er muß drin bleiben
Und pfeift auf deine Pfaffenmacht.«

Jetzt himmelwärts den Schaum sie spie,
Von dem ihr Mund umbrodelt schrie:
»Puh, Vater, Sohn und heil'ger Geist!
Maria und du Heil'genpack!
Was macht ihr nur die Faust im Sack,
Statt daß ihr ihm die Zähne weist?
Hab' selbst vorm Teufel mehr Respect.
Der hält doch fest, wo er mal steckt
Und will der Hexe Liebster sein,
Wenn er ihr Seelchen auch verdreckt.«

Drauf, frech das Bein weit ausgestreckt,
Sang trällernd sie und schnalzte drein:
»Hui, Besenstiel und Schornsteinloch!
Magst du mich, schwarzer Teufel, noch?
[226] Heisa, schau her, wie geht's noch gut!
Das Mieder reißt, es fliegt der Rock.
Hei, hab' ich hitzig Hexenblut!
Tanz' mit, du brünst'ger Ziegenbock!«

Mit immer wilderem Gestampfe
Verrenkte wirbelnd sie die Glieder.
Aufkreischend stürzt im Fallsuchtkrampfe
Sie dann im Tanze rücklings nieder,
Danach sie schäumend um sich fuhr.
Der Hofrath zog die Klingelschnur,
Daß er den Wärter ihr bestelle;
Nahm dann beim Arme den Genossen
Und zog von Schauern übergossen
Ihn eilig aus der Irrenzelle.

* * *

Gleichwie am Herzen jach erkrankt
War Odilo hinausgewankt,
Als seines Geists verirrte Welle
Des Hofraths klares Wort darauf
Einlenkt' in des Bewußtseins Lauf:
»Ja, seht mein Freund, in dieser Zelle
Erwägend so das Einst wie Heute:
Einst hätt' als Hexe man die Kranke
Bei Bußpsalmliedern und Geläute
Verbrannt mit höllischem Gestanke
Und ihre Asche noch verflucht.
In unsrer glaubensärmern Zeit
Barmherz'ger sie die Menschlichkeit
Als Kranke hier zu heilen sucht.« [227]

Stumm schritten sie den Gang entlang
Und Odilo sich erst bezwang.
Dann, wie ein Wildbach, angeschwollen
Durch erst geschmolznen Bergesschnee,
Entlud sich seiner Seele Weh:
»O, welchen Schmerz, längst schon verschollen,
Hab' ich auf's Neue jetzt durchlitten,
Wie einst im Buch des Grafen Spee,
Des edelsten der Jesuiten –
Verzweifelnd schier am Gotteslichte
In unsres Geistes Wahngeschichte!
Ja, neu krampft sich mein Herz zusammen:
Denk' ich an all die Holzstoßflammen,
Die in dreihundertjähr'ger Nacht
In noch lebend'gem Teufelsglauben
Der Hexenwahn einst angefacht,
Aus höll'scher Lust zum Mord und Rauben.
Denk' ich an all der Unschuld Jammer,
Herausgepreßt auf Folterschrauben;
Und, daß noch gar der Kirche Macht
Mit papstgeweihtem ›Hexenhammer‹,
So gut, wie mit luther'schem Knüppel,
Das deutsche Volk zum blöden Krüppel
An Leib und Geist danieder schlug,
Statt, daß sie auf der Wahrheit Wacht
Solch grausam sittenlosen Trug
Gebannt mit Acht und Aberacht!«

Und ernst hob jetzt der Hofrath an:
»Ja, furchtbar wohl ist jeder Wahn,
Wird gar der Mächt'gen Geist deß Knecht.
Dann sinkt er unter's Thiergeschlecht
[228] Und fletscht verderblich seinen Zahn
Gen alles heil'ge Menschenrecht.
Der schlimmste doch ist gläub'ger Wahn,
Der, durch's Gewissen noch gedeckt,
Durch keiner Macht Gesetz geschreckt,
Zum Himmel, ihm nur unterthan,
Vermeintlich reine Hände streckt. –
Nun denkt bei all dem Hexentrug,
Dem höll'schen Wehrwolf, der die Zähne,
Der göttlichen Vernunft zum Hohn,
In's Herz des armen Volkes schlug
Denkt nun auch noch an die Hyäne
Der heiligen Inquisition,
An Ketzerkrieg und Judenmord,
Die Kreuzzugfahnen mit zu segnen –
Und ihr erkennet klar sofort:
Auch in des Menschengeists Geschichte
Wir gleichem Räthselbild begegnen,
Mit gleichen bestial'schen Zügen,
Wie an der Völker Sphynxgesichte.
Doch laßt es euch am Satz genügen,
Daß, wie im Zeitenwechselfluß
Wir sehn den Krankheitsgenius
Mit epidemischer Gewalt
Stets neu der Völker Leib ergreifen:
So auch in wechselnder Gestalt
In deren Geist Wahnpilze reifen,
Die gleich im Hirne ganzer Massen
Vernunft verpestend Wurzel fassen.
Drum lasset uns in alle Zeit
Dem Gottesgeist der Forschung danken,
Daß er vor solchem Wahnerkranken
[229] Den Menschengeist voreinst befreit!
Und wollen wir uns stets bereiten:
Auch stets in unsrer jetz'gen Zeit,
Als Priester edler Menschlichkeit,
Der Wahrheit Lichtstrahl zu verbreiten!«

Voll Andacht ihm der Schüler lauschte.
Des Lehrers maaßvoll Denkerwort
Gleich einem Hochwald ihn umrauschte,
Drin Ast und Wipfel nie verdorrt.
Doch weit von dieser Halle Bogen
War blitzschnell jetzt sein Geist entflogen. –
Der Weltdurchwandrer war er wieder. –
Und, wie von hohem Berg herab,
Sah er auf all die Reiche nieder,
Drin ihm vor ries'ger Städte Grab
Und Königsgrüften, längst entweiht,
Draus staubzerflogen das Gerippe,
Der Weltgeschichte Gotteslippe
Von ird'scher Größe Nichtigkeit
Erschütternd ernste Predigt hielt.
Und, ihrer eingedenk, er sprach,
Von herbem Zug den Mund umspielt:
»Ja, jeder Unthat ew'ge Schmach
Die je der Glaubenswahn verrichtet!
Und doch für sie, die selbst umnachtet,
In Wahnesketten einst geschmachtet
Und Scheiterhaufen aufgeschichtet,
Mein Herz auf Mitleid nicht verzichtet.
Zu tiefst nur die mein Geist verachtet,
Die, ihrer That sich klar bewußt,
Aus Habgier nur und Sinnenlust
[230] Verhöhnt einst Völkerrecht und Sitten;
Die an der Seite der Mätresse,
Um Gottes Gnaden zu erbitten,
Zur Predigt gingen und zur Messe;
Die erst vor'm Raubzug, gleich Banditen,
Die Hand einst zum Gebet gerungen
Und, war der Rechtsbruch wohl gelungen,
Mit gleißnerischen Beterschritten,
Vom Weihrauchfaß das Haupt umschwungen,
Danksagend dann für Gottes Thaten
Siegreich zum Tempel Gottes traten,
Mit schuldbefleckten Opferspenden
Des Rechtsgewissens Aug' zu blenden.«

Dann rief er mit der Wahrheit Grolle:
»Ich bin kein träumender Phantast
Und weiß, wie bis an's Zeitenziel
Das Unrecht spielt gewalt'ge Rolle.
Doch, wer des Rechtes Ordnung haßt,
Laß auch den Namen aus dem Spiel –
Erniedrigend ihn zum Bombast –
Den ehrfurchtsvoll das Volk nur nennt
Und der des Thrones Fundament!
So hehr er klingt beim heil'gen Recht
Zum Frevel stimmt er zehnfach schlecht.
Und noch in unsern heut'gen Tagen
Den Gottesmantel drum zu schlagen –
Cäsaren wahn nur kann's noch wagen.«

»Wohl wahr!« fiel ernst der Hofrath ein,
»Und um so stolzer dürft ihr's sagen,
Als deutsche Kronen makelrein!
[231] Doch nicht nur Fürstenschuld allein
Und Laster höchster Kirchenhirten,
Die einst im Sumpfe sich verirrten,
Verhäßlicht noch die Gleißnerhülle.
Kommt nur erst in der Jahre Fülle,
Und leider werdet ihr erfahren:
Auch andrer Menschen Glaubensgeist
Gar oft als Maske sich erweist,
Um äußern Anstand nur zu wahren.
Statt zur Erhebung aus dem Staube,
Statt zu verklären Herz und Haus –
Wie Vielen dient oft äußrer Glaube,
Daß er bei ihrem Weltlustschmaus
Als heuchlerische Tugendrose
Die sinnlich trunkne Stirn bekränze,
Und noch beim Nachtisch zur Narkose
Der Schuldvergebung Kelch kredenze,
Damit, wann's letzte Stündlein schlüge,
Zu gleichem ewigen Behagen
Gleich Engelshand sie aufwärts trüge.
O solch ein Glauben – Wahn und Lüge! –
Doch brauch' ich euch wohl erst zu sagen,
Euch, der ihr Nichts als Liebe wollt,
Wie ihr den Glauben ehren sollt,
Trefft ihr ihn wo in Wort und That,
Vereint wie gute Frucht und Saat?« –

* * *

Ein großer Blick nur, liebesklar,
Darauf des Schülers Antwort war.
Und wieder bot nach langem Stehen
[232] Sein Mentor ihm den Arm zum Gehen.
Dann wies er nach entfernter Thüre –
In spitzem Winkel stand sie offen –
Und sprach: »Wir haben's gut getroffen.
Zum Philosophen ich euch führe;
Vielleicht: wir haben eben Glück,
Daß er ein neu System erbaut.
Doch haltet ängstlich euch zurück,
Daß wir nicht seinem Blick begegnen!
Denn schon beim allerschwächsten Laut
Wird's Scheltwort' auf uns niederregnen.«

Sie schlichen auf den Zehenspitzen,
Bedächtig, wie nach Wild im Lager;
Da sahn sie seitwärts drin ihn sitzen.
Ein Sechz'ger war's, derbknochig hager;
Nur spärlich graues Lockenhaar
Umrahmte noch der Glatze Spiegel.
Sein Rock, gleich schlottrigem Talar,
War bis zum Kinne zugeknöpft.
Und wie mit siebenfachem Siegel
Ein Buch voll myst'scher Grübelei'n,
Deß Sinn nie der Verstand erschöpft,
Sah furchenreich sein Kopf darein.

Und Odilo, kaum athmet' er –
So ängstlich scheu beschaut' er ihn.
Erst völlig todt deß Auge schien,
Versenkt in Träumen, dumpf und schwer.
Doch siehe, wie er jetzt sich reckte!
Und seine langen Finger streckte
Nach einem Kästchen dann er aus.
[233] Er nahm ein Bündel Karten draus,
Macht' auf dem Tische bunte Reihe;
Dann legt' er mittendrein ein Aß,
Hielt drauf die Hände wie zur Weihe
Und murmelt' in gedämpftem Baß:
»Du absolut abstractes Sein,
Das ich concret nur selber bin!
Sei diesem Haus der Weisen Stein!
Dann löst sich aller Räthselsinn
Zu ew'ger Wahrheit Sonnenschein.«

Jetzt nahm er sorglich die vier Buben
Und baute, wie in Kinderstuben,
Um jenes Aß viereck'ge Mauer.
Nun schien sie ihm von ew'ger Dauer,
Doch ängstlich rückt' er weg davon
Und rief aus freudetrunkner Brust:
»Victoria, da steht es schon! –
O metaphys'sche Götterlust!
Welch vierfach herrlich Fundament,
Und mit welch scharfem Kantenschliffe!
Nun aufgepaßt, daß die Begriffe
Mein Geist auch richtig jetzt benennt!
Denn in den Namen liegt die Kraft
Der metaphys'schen Wissenschaft.«

Und, grübelnd wie ein Astrolog,
Er seine Stirn in Falten zog,
Da er zum Tisch sich niederbog.
»Das ist die Kraft des Unbekannten.
Man kann auch Urprinzip sie heißen.
[234] Hier diese: Kraft des Urverwandten,
Darin die Sphärenwirbel kreisen.
Die dritte – –«
                        Doch hier hielt er an.
Und sieh, was schaute jetzt sein Wahn,
Daß plötzlich er vom Stuhle sprang
Und in des Jähzorns hitz'gem Drang
Zur Thür sich seine Fäuste ballten? …
Sah er wohl feindliche Gestalten,
Von visionärer Phantasie
Als greifbar Luftgebild geschaffen?

Und höhnisch er in's Leere schrie:
»Ha, kommt ihr wieder, dumme Laffen,
Den Genius mir abzugucken,
Ihr blöden geistigen Eunuchen.
Und König Pöbels Leibhaiduken?
Na, gut! will euch zu helfen suchen.
So schauet her, ihr Zeitgeistkinder,
Und doch des eignen Geists Negirer!
Sterngucker ihr und Hirnsecirer,
Steinklopfer und Karnikelschinder,
Ihr Knochen- und ihr Pilzefinder,
Und pantschende Retortenschmierer!
Die nie ihr andern Geist entdeckt,
Als den ihr seht und riecht und schmeckt
Und ganz noch in der Urschleimwindel
Mit eurer Affenweisheit steckt! –
Schau' her, du Stoff- und Kraftgesindel!
Du Wechselbalg der Wissenschaft!
Durch diese vierfach mag'sche Spindel
Beweg' ich alle Kosmoskraft.«
[235] Jetzt, wie verzückt zur Decke stierend,
Er in frenet'schem Pathos schrie:
»Vivat des Urlichts Phantasie,
Vom Stofflichen ganz abstrahirend,
Und ew'gen Geist nur emanirend!
Auf's Knie mit euch! – Anbetet mich! –
Die Urlichtphantasie – bin – ich!«

Doch, wie er mit erhobner Hand
Vor seinen Wahngebilden stand,
Mußt' er wohl Hohngelächter hören.
Denn in noch wilderm Sichempören
Entflammte seiner Blicke Gluth
»Du lachst noch, Ignorantenbrut?
Ha, daß dir deine Affenzunge
Verdorren mög' ob diesem Lachen!«

Da – weh' – in unvorsicht'gem Sprunge
Kam er dem Tische nah'. Die Wände
Des Kartenhauses fielen um
Und seines Wahnes Spuk zerrann.

Wehklagend hob er seine Hände.
»Ach, aller Weisheit Heiligthum
In Schutt und Staub!« – Er sank sodann
Zum Stuhl als ein verlorner Mann
Und stierte hin – verzweiflungsstumm.

* * *

»Nun kommt!« der Hofrath leise sprach
Und zog den Tieferregten nach,
Mit dem er sich im Corridor
Auf eine Ruhbank hingesetzt.
[236] Und auf den Meister horchte jetzt
Des Schülers aufmerksames Ohr.

»So baut er nun, Jahr ein, Jahr aus,
Alltäglich neu sein Kartenhaus
Und täglich stürzt es neu zusammen,
So wie er einst Jahrzehnte lang
Nach neuen Kosmosformeln rang,
Um stets sie wieder zu verdammen,
Weil der Natur stets abgekehrt;
Bis höhnend endlich aus den Flammen,
Die seines Grübelns Wahn verzehrt,
Der Wahngeist selbst emporgestiegen,
Deß nächt'ger Macht er mußt' erliegen.«

Verloren Odilo erst sann:
»Der Wahngeist! – Armer, irrer Mann!«
Doch wie ein Sonnenblick es dann
Durch sein umwölktes Sinnen brach:
»Und doch, und doch, wer schilt sie Thoren,
Die in solch Grübeln sich verloren?
Ist nicht allmächt'ger Drang danach
Dem Menschengeist wie angeboren?
Sahn wir die größten aller Geister,
Die heut noch unsrer Denkkunst Meister,
Sich nicht von jeher drein versenken?
Und wie so oft, wenn höh'res Denken,
Vergiftet auf der Sinnenweide,
Schien eingesargt im Sterbekleide –
Wer hat mit geist'gen Weihgeschenken
Den Todesgott dann neu versöhnt,
Und bess're Geister neu gewöhnt,
[237] Auf der Entsagung rauhen Pfaden
Zum Strom des Ew'gen hinzulenken,
Der Selbstsucht Staub drin wegzubaden
Und sich mit Gotteslicht zu tränken?«

Der Hofrath rief: »O ganz gewiß!
Die Denker waren's und die Dichter,
Der Ideale Himmelslichter
In niedrer Denkart Finsterniß,
Und jene Zeit müßt' ich beklagen,
Drin diese zwei einst würden fehlen.
Doch dürfen wir uns nicht verhehlen:
Nicht mehr genügt's in unsern Tagen,
Wie's einst der Weltweisheit gelüstet:
Mit Phantasie nur ausgerüstet,
Dem eignen Traumbild nachzujagen.
Heut gilt es auf dem Kampfesplatz
Sich auch mit vollem Forscherschatz,
Geschöpft aus der Natur Erfragen,
Sammt scharfer Logik einzufinden.
Sonst wird's, statt inhaltschwerer Rede,
Begriffeswirre Phrasenfehde,
Und fabelt man vom Licht gleich Blinden.«

Mit einem Blick, gleich klar wie frei,
Stimmt ihm der Schüler freudig bei.
Und weiter sprach mit weisem Munde
Der Meister in der Forscherkunde:
»Doch dieses Weltenräthsels Sein,
Den bloßen Denkern nicht allein
Bleibt's ewig nur der Weisen Stein –
Nein, glaubt es mir, auch allen Jenen,
[238] Die im Ergründen der Natur
Vom Meeresgrund zur Sternenflur
Die Brücken immer weiter dehnen.
Denn äußre Formen nur wir schauen
In ewig neuem Stoffverweben,
Und diese nur, so weit wir eben
Des Auges Spiegelbild vertrauen.
Doch von dem Urbild alles Lebens,
Das alle Kraft in sich begreift,
Auch alle Forschung stets vergebens
Wie's ihrer Endlichkeit Gebot –
Des ew'gen Räthsels Schleier streift.
Drum thut auch ihr die Demuth noth,
Die selbst dem kühnsten Wissensstreiter
Auf allzu kurzer Himmelsleiter
Zuruft: »Bis hieher und nicht weiter!«

Und, wie zur Sphynx einst Oedipus,
Nach diesem inhaltsschweren Schluß
Jetzt Odilo zum Himmel sah.
Dann rief er schmerzlich aus: »Ach, ja,
Am eignen Geist ich's längst erfuhr:
's ist unsrer endlichen Natur
Nur Raum und Zeit zur Noth verständlich.
Doch, was allewig und unendlich –
Mocht' ich's mit noch so hehren Namen
Als sinnlich faßbar Bild umrahmen –
Ach, mit den irdischen Organen
Nur als Geheimniß konnt' ich's ahnen

Stumm sinnend er jetzt nieder sah.
Der Lehrer fühlte völlig nach,
[239] Wie seinem Schüler nun geschah
Und ehrfurchtsvollsten Tons er sprach:
»Ja, ein Mysterium ist's, unsagbar,
Voll Majestät, ganz unertragbar,
Und alles Licht hier, noch so prächtig,
Strahlt gegen dessen Glanz so nächtig,
Daß, wenn es jemals Einem glückte,
Frei dessen Angesicht zu schauen:
Fürwahr, ihm würde davor grauen,
Daß jeden Sinn es ihm zerdrückte,
Und wär' er noch so geistesgroß.
Drum wollt auch ihr nicht darum klagen,
Daß wir nicht schauen schleierlos,
Was nur verschleiert wir ertragen.«

»O nein, nicht klag' ich deßhalb, nein!«
Fiel Odilo begeistert ein.
»Ach, auch an den verhüllten Zügen
Läßt sich's mein geistig Schau'n genügen.
Fühl' ich des Urbilds Widerschein
Doch in der eignen Seele Tiefen
Als hehren Lichtquell niedertriefen!
In all den ew'gen Idealen
Vom Guten, Schönen, Heil'gen, Wahren,
Seh' ich deß Glanz sich offenbaren.
Deß göttlich Feuer seh' ich strahlen
Auf aller Völker Weihaltären.
Ich spür's, wie's in den Geistern flammt,
Die in der Künste Priesteramt
Stets mehr den Menschengeist verklären.
Von all den Sternenmyriaden
Bis zu den winzigsten Monaden,
[240] Wie in der Völker Wogengang,
Seh' ich in weiser Allmacht Zwang
Des Gottesgeistes Weltgesetze
Unwandelbar sich gleich erfüllen.
Drum, ob auch ew'ge Schleiernetze
Das volle Gottesbild verhüllen –
Was hindert's mich an dem Gelingen:
Mich in nur ahnendem Erschauen
Zu Gottes Tempel auszubauen,
Drin Liebesopfer darzubringen?«

Und großen Auges muthig heiter
Er jetzt durch's offne Fenster schaute,
Durch das der Frühlingshimmel blaute.
Dann seltsam lächelnd sprach er weiter:
»Ja, sei aus tiefsten Lebensstufen
Der Mensch nur mälig aufgestiegen –
Was könnte meinem Stolz dran liegen? –
Zu solchem höchsten Ziel berufen,
Mit solchen einz'gen Gottesgaben,
Wie sie dem Menschen nur erlesen,
Fühl' ich mich doch ob allen Wesen
Gleich einem König hoch erhaben,
Kühn hoffend, daß im Lauf der Zeiten
Der Menschheit Geist wird aufwärts schreiten.
Stets näher ew'gem Lichtesschein –
Und rühm' ich mich, ein Mensch zu sein!
Und dennoch – denk' ich wieder dran:
Wie nur, unmeßbar winzig klein,
Im ew'gen Weltenocean
Ein Tropfen unser Erdball ist –
Dann nirgends ich den Maaßstab finde,
[241] Der an dem ganzen Weltall mißt:
Wie klein ich mich als Mensch empfinde.«

Beschaulich saß der Hofrath da,
Als er hinab zum Perlengrunde
Der schönen Menschenseele sah.
Dann sprach er, etwas Salz im Munde:
»Ei sieh, wie seid ihr stolz geworden,
Novize im Gelehrtenorden,
Den man so gern des Dünkels zeiht
Genüber der Bescheidenheit,
Womit die Kirche sonst geprunkt,
Daß unsers Erdballs winz'ger Fleck
Der ganzen Schöpfung Mittelpunkt,
Zu deß ornamentalem Zweck
Des Universums Majestät
Mit Sternenblumen übersät! –
Und welchen Stolz es doch verräth:
Sich für die Menschheit abzuplagen,
Um der Natur es abzufragen,
Wie wohl der ew'ge Jäger Tod
Am Spätesten sein Wild erjage!
Wie über's Meer der Menschennoth
Naturkraft sichre Brücken schlage
Und immer mehr das Morgenroth
Hochsinn'ger Menschlichkeit uns tage! –
Gottlose Umsturzgeister schelten
Uns drum der freien Forschung Feinde.
Und doch, wie bin ich deß gewiß!
Wehklagend stürzt' aus ihren Zelten
Auch selbst der Gläubigsten Gemeinde,
Wenn all der Vorzeit Finsterniß,
[242] Die Wissensleuchten einst erhellten,
Rückkehrend in der Völker Haus,
Urplötzlich nun auch sie umfinge!
So aber nützen guter Dinge
Auch sie des Wissens Aernten aus
Und lassen's uns durch Haß entgelten –
Doch Längstgewöhntes dankt man selten.«

Befremdet horchte der Scholar,
Wie herb des Meisters Wort nun war.
Doch wieder klang's im alten Ton,
Gleich wie ein Vater spricht zum Sohn:
»Und jetzt noch einen guten Rath
Für eures Geists Noviziat
Und mög' er nie für euch veralten! –
Soll freier Forschung neuer Schatz
Euch je das Denken umgestalten,
So sei's nur solcher Wissenssatz,
Wie ihn Kopernicus bewies! –
Macht' er die Welt in Trümmer gehen,
Er müßte doch zu Recht bestehen! –
Doch, junger Freund, bedenkt auch dieß:
Wie oft ward schon was ausgesonnen
Und als untrüglich auch geglaubt!
Kaum aber Jahre nur verronnen,
Stand der Erkenntniß Baum entlaubt, –
Scheinbar ein Sprößling der Aeone –
Und nur von Zweifeln ward umsponnen
Vermeinter Wahrheit dürre Krone.
Drum, was uns Alte klug gemacht,
Davor nehmt euch schon jetzt in Acht!
Und tragt ein Licht, kaum erst entfacht,
[243] Als überhast'ger Lichtverbreiter
Nicht in den Schwarm Uneingeweihter!
Halbwisser nur verfahren so,
Marktschreiend auf dem Wanderkarren,
Die Geister nur verwirrend meist.
Doch ihr, mein lieber Odilo,
Ihr sollt in echten Wissens Geist
Mit Vorsicht und Geduld drauf harren,
Bis der Berufnen Tribunal
Das Urtheil sprach unzweifelbar:
Ob's ew'ger Wahrheit Himmelsstrahl
Und nicht ein irdisch Irrlicht war!«

* * *

»O Dank euch, tausendfachen Dank
Für euern weisen Lehrerrath!«
Sprach Odilo nun herzenswarm.
Zugleich auch von der Nischenbank
Er wieder in die Halle trat,
Fortschreitend an des Hofraths Arm.

Der sprach: »Nun schaut ein irres Weib,
Das einstens draußen in der Welt
Gar reich begabt an Geist wie Leib!
Und ist auch dieser längst entstellt,
Doch selbst im Wahn noch oft ihr Geist
In solch erhabne Sphären kreist,
Daß fragend man deß Wort vernimmt:
Dieß Instrument, ist's wahnverstimmt?
Wie, oder scheint es uns nur so,
[244] Weil dessen Klang, so seltsam hoh,
Aus Irrenmund ganz ungewöhnt,
Erschütternd unser Ohr umtönt?
Doch zeigt dieß Wahnbild euch so recht
Den Wahn im heutigen Geschlecht:
Durch des Genusses wilde Jagd,
Die sich jedwedes Maaß versagt,
Nur noch nach äußerm Glück zu ringen,
Um dann in selbstgelegten Schlingen,
Umklammert von der Reue Krallen,
Dem innern Elend zu verfallen.
Ja, junger Freund, erkennt daran:
Manch einst'ger Wahn ist abgethan.
Doch, wie wir auch in Wissenswahrheit
Der Menschheit neue Tempel bauen –
Stets trübt ihr wieder neuer Wahn
Der neuen Tempelflammen Klarheit
Und sumpfentstiegne Nebel brauen
Um neuer Glückessonnen Bahn.«

Sie traten in die Zelle jetzt.
Da saß das Weib, gespenstig hager,
Auf wirr gehäufter Lumpen Lager;
Ihr schwarzes Kleid war gleich zerfetzt,
Erloschen ihres Auges Strahl.
Wie Odilo dieß Bild entsetzt! –
Und, als ob sie ein Kindlein tränkte,
Ihr Kopf sich voll besorgter Qual
Auf einen Bündel Lappen senkte.
Doch, wie der Beiden Tritt sie schreckte,
Angsthastig unter'm Lumpenhauf
Sie ihr vermeintlich Kind versteckte
[245] Und, da den Arm sie vorwärts streckte,
Schrie sie in jähem Jammer auf:

»Weh', weh', hinweg! Was wollt ihr hier?
Hinaus und helft! Hört ihr nicht draußen
Der Hölle Sturm mein Schloß umbrausen?
Und seht ihr nicht voll Fraßesgier
Die Raben über'n Schloßteich fliegen?
Wollt ihr wohl auch davon was kriegen?«

Jetzt hob sie stiller ihre Hand
Und klagt': »O, dort am Waldesrand,
Seht ihr, umqualmt von hohen Schlöten,
Dort meines Glückes Haus einst stand,
Das meines Mannes Vater baute!
Der rang sich einst aus Bergmannsnöthen
Zum großen Grubenherrn herauf.
Ach, ach, doch mir vor'm Ruße graute,
Wie vor dem öden Tagsverlauf.
Und eine Schlange kroch herbei –
Und eine Eva ward ich drauf –«

Jetzt that sie einen gellen Schrei,
Drein lachte sie mit wildem Hohne:
»Nun liegt im Teich, im sumpf'gen Teich,
Bankrott mein Adam, kalt und bleich!
Und seine neue Ritterkrone
Mitsammt dem alten Grafenschloß
Liegt auch dabei. – Heisa, juchhei,
Was saß ich damals hoch zu Roß
Und gab ich flotte Gasterei
All dem schmarotzenden Gesindel!
Hui, war's ein toller Glückesschwindel!«
[246] Drauf dämpfte sie auf's Neu' den Ton:
»Weh', wehe mir! Vorbei – vorbei!
Mein Mann ist todt, ein Lump mein Sohn.
Mir selber brach das Herz entzwei.
Nur Höllenqual wohnt noch bei mir.
Ach, gute Leute, weicht von hier!
Um Christi willen habt Erbarmen!«

Und lauernd mit gesenkten Armen
Bewachte sie den Lumpenhauf.
Mild tröstend sprach der Hofrath drauf:
»O liebste Frau, seht mich doch an!
Wann hätt' ich euch ein Leids gethan
Und wisset: mein Begleiter hier,
Auch dieser ist ein Arzt gleich mir.
Nur euch zu trösten kommen wir.«

Mißtrauisch sah jetzt gläsern stier
Erst lang auf Odilo die Kranke.
Dann war's, als ob des Irrsinns Schranke
Allmälig mehr und mehr sich lichte.
Wie düstre Schleier sank es nieder
Vom wahnumflorten Angesichte
Und leuchtete draus wehmuthweich
Der Liebreiz einst'ger Schönheit wieder.
Drauf, ganz versenkt in Odilo,
Hob sie den Finger sehergleich.
»Ein junger Arzt seid ihr? – So, so? –
Doch wißt ihr auch von jenem Leid,
Das einzig an der Seele zehrt?
Ward euch auch jene Kunst gelehrt,
Die Habgier heilend und den Neid?« [247]

Erst ward es athemlose Stille,
Dann einer mahnenden Sibylle
War sie im Tone zu vergleichen:
»Weh', ruf' ich, wehe allen Reichen,
Die an dem Gold der Liebe geizen!
Die nur nach Sinnenkitzel trachten
Und zu dem Wahn die Armen reizen,
Der Arbeit Segen zu mißachten!
Weh' allen Armen hier auf Erden,
Die in des Neides Ketten schmachten!
Sie werden dreifach elend werden. –
Ach, ach, das wahre Herzensglück
's ist ja für Arme wie für Reiche
Durch Maaß und Arbeit nur das gleiche
Geheimnißvolle Meisterstück.
Doch ach, die Habgier wie das Neiden
Verpfuscht das Glück ganz gleich den Beiden. –
Herbei zu mir, herbei! – Ich bin
In der Geheimkunst Meisterin!
Ich nur belehr' euch drin, nur ich,
Von Gott dem Herrn dazu erkoren …«

Sie schwieg erschöpft und wie verloren.
Sie aus der Stirn die Haare strich.
Dann klang es hoch, wie Klagliedlaut:
»Nicht liegt's nur an den äußern Steinen,
Draus man des Glückes Haus erbaut.
Denn ob das Schicksal sie dem Einen
Zum Schloßbau auf die Erde schütte,
Ob Anderm nur zu Haus und Hütte –
Nie schreckt mit ihren Todtenschreinen
Vor noch so stolzer Räume Pracht
[248] Zurück des Unheils finstre Macht.
Nur desto größer Weh' und Weinen,
Je mehr des Glücks versank in Nacht! –
Und 's ist kein Haus so arm und klein,
Drin hold' Geschick nicht wollt' erscheinen,
Um selbst des Aermsten Freund zu sein,
Ihm segnend seiner Arbeit Frucht,
Der Ehe Treu', der Kinder Zucht. –
Doch ein Gesetz vollzieht sich gleich,
Allgültig so für Arm wie Reich:
Nur von dem Guten und dem Reinen
Läßt innres Glück als Braut sich frei'n
Und spröd versagt sich's dem Gemeinen.
So kann trotz Lehm und Marmorstein
Des Reichsten äußres Glück nur Schein,
Des Aermsten inn'res Wahrheit sein!«

Wie seltsam diese Töne waren! –
Gesprochnes Wort und Melodie! –
Drauf, wie vor hehrem Unsichtbaren,
Sank sie geneigten Haupts in's Knie.
Doch wieder rasch, wie blitzgeschreckt,
Hielt sie die Hände vorgestreckt.
»Ha, seht ihr dort die Höllenflammen?
Und wie die Engel allzusammen –
Hört ihr's, wie sie nur mich verdammen
Für all den Jammer unsrer Zeit? –
Hilf, ewige Gerechtigkeit!
Ich will ja büßen, will ja kühnen!
Nur muß aus meinem morschen Stamme
Des Heiles junges Reis erst grünen.
Halt' ein, halt' ein, du Unheilsflamme!« [249]

Und zitternd, keuchend vor Entsetzen,
Riß sie ein Tuch aus all den Fetzen,
Das sie am Boden glättend strich.
Drauf murmelte sie jämmerlich:
»O seht, o seht, dieß schwarze Tuch!
Drein wob die Selbstsucht ihren Fluch
Und als der Hölle Nachtgezelt
Umspannt es jetzt die ganze Welt.
Ich aber will es bleichen jetzt
Und Tag und Nacht mein Aug' es netzt.
Ach, ach, wie macht dieß Weinen matt!
Doch seht, wie's schon geholfen hat!
Nur – hier der Fleck – des Neides Haß –
Gott, wie wird der langsam blaß!«

Und seufzend sank der Kopf ihr nieder.
Doch wieder neues Wahngebild!
Sie sprang empor und grollte wild:
»Ha, grinst und höhnet ihr mich wieder,
Gewissenlose Volksverführer,
Elende Neidesflammenschürer,
Und Mischer falscher Glückeskarten?
O ihr, nur ihr seid daran Schuld,
Daß mich dieß Bleichen so läßt warten!
Fluch über euch! – doch nur Geduld!
Dieß Tuch wird doch noch fleckenrein! –
Dann wird's der Liebe Banner sein!«

Jetzt riß sie aus dem Lumpenhauf
Den Lappenbündel auch herauf
Und zeigt' es im Triumph den Zwei'n:
»O seht! auch dieser Sohn ist mein!
[250] Und kommt einst Der zu seinen Tagen
Der wird's im heil'gen Gottesstreit
Voran dann allen Völkern tragen,
Der Selbstsucht Drachen zu erschlagen! –
Ach, laßt mir armer Mutter Zeit,
Zu bleichen dieses Siegspanier,
Bis meine Thränen ganz sich stillen
Und bis mein Sohn zum Kampf bereit!
Und habt ihr Mitleid nicht mit mir –
Habt's um der ganzen Menschheit willen!«

In Mark und Bein durchgraust verließen
Die Beiden nun die Zelle wieder.
Da sahn sie noch beim Thürverschließen,
Wie auf den schwarzen Fetzen nieder
Des irren Weibes Thränen flossen,
Dabei sie an der welken Brust
In neuer Hoffnung Mutterlust
Den Bündel Lappen hielt umschlossen.

* * *

Noch standen schweigend sie im Gang.
Zu laut, zu schaurig noch umklang
Sie dieser Irren ries'ge Klage.
Da brach des Hofraths Wort das Schweigen:
»Wie ward es spät! – Am hellen Tage
Wir unsern Zellengang begannen,
Und schon will sich die Sonne neigen.
So gehn wir eilig jetzt von dannen,
Die Mitternacht gleich zu beschreiten!
Ihr seht im ganzen Hause hier
Nicht schwärzer sie die Flügel breiten,
[251] Denn weniger als Mensch, denn Thier,
Lebt drin der ärmste Kranke fort.« –
Sie gingen nun zur letzten Zelle,
Doch erst noch in der Zwielichthelle
Erklang des Führers tragisch Wort:

»O hört, welch ein Geschick das ist! –
Er war ein junger Componist,
Und eines armen Lehrers Sohn,
Das älteste von sieben Kindern.
Drum sucht' er durch Musiklection
Des Elternhauses Noth zu lindern. –
Ganz einsam erst in tiefer Nacht
Holt' er aus seines Herzens Schacht
Des Liedes goldnen Hort hervor
Und sang mit prächtigem Tenor
Oft gleich zur Sternennacht hinaus,
Was ihm sein Genius offenbarte,
Daß oft das kleine Lehrerhaus
Andächt'ger Hörer Kreis umschaarte.

Da fuhr einmal im Vollmondschein
Des reichsten Kaufherrn Töchterlein
Mit ödem Herzen heim vom Ball.
Doch bei dem seltnen süßen Schall
Sie heimlich halt dem Kutscher rief,
Indeß die Mutter ruhig schlief,
Und aus der Stimme Wunderbronnen
Quoll's ihr zum Herzen sehnsuchtstief
Von nie geahnten Liedeswonnen.
Lag doch auch Gold in ihrer Kehle!
Nur fehlt ihm Vollklang noch und Seele.
Das sollte sie der Mann nun lehren.
[252] Die Eltern stimmten freudig ein.
's galt ja durch neuen Edelstein.
Des Hauses Kleinod noch zu mehren.
Und also kam in allen Ehren
Der junge Mann in's Kaufherrnhaus.
Er bildet in der Mutter Hut
Der Tochter Stimmengold dann aus
Und bald klang's auch so wundergut,
Daß zu des Vaters größtem Stolz
Man nächtens nun auch sie belauschte.
Am Seelenvollsten aber scholl's,
Wenn dieses Sängers ›Sternenlied‹
Durch's offne Fenster niederrauschte.
So ward er – wie das so geschieht,
Trotz all der werbenden Verehrer,
In Lied wie auch in Lieb' ihr Lehrer. –
Und als nach diesem Lied einmal
Die Beiden kurze Zeit allein,
Und er den ersten Kuß ihr stahl,
Da trat – mit Hundepeitsch' und Sporn
Der Kaufherr von der Hetzjagd ein.
Erst starrt' er auf ihn hin wie Stein.
Und dann befiel ihn solcher Zorn,
Wie auch die Tochter weinend bat,
Daß mit dem Fuß er nach ihm trat
Und noch mit scharfem Peitschenhiebe
Ihn taumelnd vor die Thüre setzte,
Worauf gleich angstgehetztem Diebe
Verzweiflung ihn nach Hause hetzte.
Die Mutter brach in Jammer aus,
Zu ihrem Kinde hingekniet. –
Das war in diesem reichsten Haus
[243] Der beiden Aermsten letztes Lied! …
Und endlich – was erzähl' ich lang? –
Auf ihrem Grab voll nächt'gem Schnee
Sein Sternenlied in wildem Weh
Volltönend er noch einmal sang.
Dann Nacht für Nacht, doch immer leiser,
Im Friedhof seine Stimme klang.
Zuletzt in irrem Kreiselgang,
Wie Wölfe heulend, dumpf und heiser,
Er seiner Liebsten Grab umschrie
Und ward er selbst zum wölf'schen Thier,
Denn 's war sein Wahn – Lykanthropie. –
Ist das ein Schicksal! – Folget mir!«

Und wortlos, doch zu tiefst durchschauert,
Trat Odilo mit Zagen ein.
Da lag am Boden hingekauert,
Gleich wie im Schlamm ein feistes Schwein,
Blödsinnverthierten Angesichts
Ein Klumpen Fleisch – und weiter Nichts –
Den man noch reinigt und noch füttert.

«Seht!« sprach der Hofrath jetzt erschüttert,
»Das ist von all dem Lied und Lieben
An ihm allein noch übrig blieben,
Zur lehrreich traurigen Beschau!
So liegt er schon seit zwanzig Jahren.
Ich sah ihn noch mit dunkeln Haaren.
Ihr seht: nun sind sie aschengrau.«

Und Odilo sprach wieder Nichts.
Nur, in sein Innerstes versunken,
Sah er voll goldnen Sternenlichts
[254] Im Geiste nun den Himmel prunken.
Gleich goldne Wellen hört' er rauschen,
Sehnsuchtgeschwellt, zur Nacht hinaus
Und drunten vor dem Lehrerhaus
Sah er das Kind des Kaufherrn lauschen. –
Dann mußt' er, ob er wollt', ob nicht,
In dieses blöde Thiergesicht
Tiefdüstern Fragerblick versenken
Und immer an das Räthsel denken:
»Wo ist nun dieses Sängers Geist,
Wie ihn sein Liebchen einst gekannt?
Ist er durch Wahn jetzt nur gebannt?
Und wenn des Leibes Fessel reißt,
Wie lebt einst dieser Sänger fort?
Mit diesem nächt'gen Geiste hier,
Viel tiefern Grades, als das Thier?
Mit jenem andern einst von dort,
Der, frühlingsmorgengleich durchlichtet,
Himmlische Harmonie'n gedichtet?«

So sann er lang vergeblich nach,
Fuhr dann zur kalten Stirn und sprach:
»O kommt! Führt wieder mich zum Licht!
Noch mehr der Nacht ertrag' ich nicht.«

Und sorglich, wie ein Vater, nun
Den Arm um ihn der Hofrath schlug:
»Wohl habt ihr Recht! – Es ist genug.
So kommt, euch bei mir auszuruhn.«

Zugleich ein süßer Mädchensang
Einladend aus der Halle klang.


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