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[255] IV.
Angelica.


 

[256] [257] Das Sternenlied.

»Nun, Kind, das Sternenlied uns sing'! –
Wie mir's auch stets zu Herzen ging
Aus Leid um den, der's einst erdacht,
Soll's unser Freund doch kennen lernen,
Auf daß er seh', welch goldne Pracht
Des jetz'gen Wahnbilds tiefste Nacht
Einst dürft' in bess'rer Zeit besternen.« –

So sprach beim trauten Lampenschein
Der Hofrath jetzt zum Töchterlein,
Das vorhin damit fertig ward,
Nach liebenswürd'ger Hausfrau'nart,
Wie's schon der sel'gen Mutter Brauch,
Für diesen lieben Gast nun auch
Den Theetrank zierlich zu bereiten.
Doch that sie's heut fast ungewandt;
Sogar der einen Tasse Rand
Ließ sie verwirrt ganz übergleiten.
Und wie der Wasserkessel traulich
Vom lieben Heim sein Lied nun summte,
Auch Odilo vor ihr verstummte,
In sie versunken, bang beschaulich.
[258] Und Gertraud, die Erzieherin,
Sah forschend auf die Beiden hin.
Darauf, des Vaters Wunsch gewährend,
Die Tochter zum Klaviere trat,
Da noch ein Lächeln, sie verklärend,
Stumm sagte, wie so gern sie's that.

Wie sie jetzt, äußerlich vergessen,
Versenkt im innern Heiligthume,
Die Tasten schüchtern erst durchmessen,
Da glich sie noch der Waldesblume.
Doch wie in schwellenden Accorden
Sie dann ihr volles Herz ergossen,
War sie zur prächt'gen Rose worden,
Von sommerlichem Glanz umflossen.
Und horch, der Sturm besänftigt sich;
Bald hebt das Sternenlied nun an.
Es glätten still und feierlich
Zum Spiegel sich der Töne Wogen,
Und drüber, wie ein lichter Schwan,
Kommt ihrer Stimme Klang gezogen.

»Es glänzt am Himmel Stern an Stern,
Ein unermeßlich Meer von Licht;
Und flög' ich noch so himmelfern –
Ich fände doch das Ufer nicht.
Unendlicher im Strahlenkleid,
Wie schauert mir's vor deiner Pracht!
Ach, mich erfaßt der Sehnsucht Macht:
Zu wissen, was ihr Sterne seid!«

Verklungen war die hehre Weise,
Mit der zum ew'gen Sternenkreise
[259] Die Sehnsucht fragend aufwärts rang.
Darauf ein Zwischenspiel erklang,
Wie ein Mysterium erst leise,
Und wie ein Sinnen, andachtsvoll.
Und dann in immer lauter'n Wogen
Zum Hymnenjubelchor es schwoll,
Darein vom nächt'gen Himmelsbogen
Mitfangen alle Sternenheere:
»Die Himmel künden Gottes Ehre.«

Und all der Völkerschaaren Strom,
Den Odilo erst jüngst durchreiste,
Der schwoll nun auf vor seinem Geiste;
Er dampfte von Gebetsarom.
Und aus dem kreuzgeschmückten Dom,
Aus den Moschee'n wie Synagogen,
Und götterreichen Tempelbogen,
Umsang es ihn: – »O Menschengeist,
Und ob du auch der größte sei'st,
Und selbst das Allerschwerste weißt –
Ohnmächtig hier bezeige dich,
Voll heil'ger Scheu verneige dich!
Denn Keiner je verschweige sich:
Wie auch dein Geist hier mißt und wägt,
Kein Boot durch diese Lichtfluth trägt,
Die nirgends an ein Ufer schlägt. –
An hehrstem Staunen weide dich!
In tiefste Demuth kleide dich!
Anbetend stumm bescheide dich!« …

So hört' aus dieser Töne Macht
Jetzt Odilo den Sinn hervor,
[260] Wie wohl der Sänger ihn gedacht.
Bedeckten Aug's lauscht' er empor,
Um mit noch schärferm Geistesohr
Der Töne Deutung zu begreifen.
Nur einmal sank die Hand ihm hin
Und ließ er auch zur Spielerin
Verstohlner Sehnsucht Blicke schweifen.

Und neue Weise hebt nun an,
Und wieder singt der lichte Schwan:

»Kreist ihr nur als des Himmels Zier
Auf ew'gen Bahnen ganz allein?
Wohnt ein Geschlecht auf euch, wie wir,
Das Wiege kennt und Todtenschrein?
Und Menschenglück und Menschenleid?
Und das gleich uns so liebt, wie haßt? –
Ach, wie die Sehnsucht mich erfaßt:
Zu wissen, was ihr Sterne seid!«

Neu brauste nach des Lied's Zerrinnen
Accordenmächt'ges Wogenspiel,
Und wiederum in höchstes Sinnen
Sein schwärmerischer Geist verfiel:
»Und sollten Wesen auf euch wohnen,
Mit Geist und Herzen, unsern gleich –
O all ihr Sternenmillionen,
Giebt's dann auf einem wohl ein Reich,
Darin ein Glaube nur, ein Recht,
Der Völker göttlich Fundament?
Nicht, wie beim irdischen Geschlecht,
Das hundertfachen Glaubens Meinen
[261] In hundertfache Lager trennt,
Drin oft nur Opferfeuer brennt,
Zu heil'gen Hasses Krieg zu scheinen,
Weil jeder Glaube sich den einen
Untrüglichen der Erde nennt?«

Und horch, wie der Accorde Sturm,
Gleich Sprachgewirr vom Babelthurm,
Vergeblich jetzt nach Einklang ringt,
Und dann in Moll gelöst verklingt! …

Auf's Neue jetzt zum dritten Mal
Der Schwan den Silberflügel schwingt,
Und in noch tief'rer Sehnsuchtsqual
Nach höchsten Wissens heil'gem Gral
Er fragend zu den Sternen singt:

»Wohnt höheres Geschlecht darin
Mit Geist und Herzen höh'rer Art?
Wird dieses Lebens Räthselsinn
Vielleicht einst dort uns offenbart?
Fliegt unser Geist, stets mehr befreit,
Dereinst von Stern zu Stern vielleicht,
Bis er des reinsten Licht erreicht? –
Ach, Sterne, sagt mir, was ihr seid!«

Nun noch ein letztes Tönefluthen,
In majestät'schem Vollklang rauschend,
Bis mehr und mehr die Wogen ruhten,
Mit klarem Spiegelbild sich tauschend.
Und wie ein Aar aus Felsenschlünden
Sich jetzt sein Geist gen Himmel schwang: [262]

»Ach, könnt' ich doch mit einem Blick
Die ew'gen Fragen all' ergründen!
Wie wollt ich drum mein Leben lang
Erdulden schwerstes Mißgeschick,
Ja, gleich zur Stelle jetzt mein Leben
Als Kaufpreis für die Antwort geben!«

Da – nach ersterbenden Accorden,
Horch, todtenstill ist's nun geworden,
Als flieg' ein Engel durch das Zimmer!
Wie noch umstrahlt von Sternenschimmer.
Erhob sich jetzt Angelica,
Und lächelnd sie zum Vater sah,
Der erst die Hand ihr hingestreckt
Und dann, wie seinem Stuhl sie nah',
Zum stummen Dank ihr Haupt bedeckt.

Doch, wie ergreifend in dem Liede
Sie vorhin auch die Sterne fragte,
Und keiner drauf ihr Antwort sagte –
In ihr blieb's sternenklarer Friede.
Noch stand in ihr ganz unzertrümmert
Ihr Tempel auf des Glaubens Flur,
Um erster Liebe Räthsel nur
War ihre Seele jetzt bekümmert.
Und als ihr Blick, ohn' es zu wissen,
Von diesen sel'gen Kümmernissen
Auch Odilo nun ausgeplaudert –
Wie's da tiefinnerst ihn durchschaudert!
Neu ging des Lebens Lust ihm auf,
Und auch um jener Antwort Kauf
Hätt' er zu sterben doch gezaudert,
[263] Eh' zu der Liebe Paradies
Der Engel ihm die Pforte wies.

Inzwischen war die Sängerin
Zum Vater wieder hingesessen;
Sie sah, holdselig traumvergessen,
Zur weißen Hand im Schooße hin.
Und Odilo verbeugte sich
Und sagte schüchtern inniglich:
»O wie ich tief euch dankbar bin!
Denn solchen Sang hört' ich noch nie.
War's das Gedicht, die Melodie?
War's, wie ihr Beides vorgetragen?
Kaum weiß ich selbst es recht zu sagen.«

Wie sie da groß ihn angeblickt,
Und Fräulein Gertraud zugenickt!
Doch sinnend fiel der Vater ein:
»Nicht wahr? ein Lied voll seltner Pracht!
Und solch ein Geist versank in Nacht –
Nach solchem Flug im Sternenschein!«

»Ach ja! – Ein furchtbar schwer Geschick!«
Sprach Odilo mit feuchtem Blick
Nach dieses Mädchens Huldgestalt. –
Doch ob die Thränenperle drin
Nicht mehr der holden Sängerin,
Als jenem irren Sänger galt? …

 

[264] Verschwiegene Liebe.

So lebt' er in der neuen Bahn,
Die sich so hold ihm aufgethan,
Am hellen Tag dem nächt'gen Wahn,
Und nächtens träumt' er von der Minne
Zum sonnenlichten Liederschwan.
Kaum merkt er, wie die Zeit verrinne,
So war's ein Hirn- und Herzverzehren.
Und oft mußt' ihm sein Mentor wehren:
»Genug für heute! – Haltet inne!« –
Denn nicht sein Kopf, sein Denken nur,
War mit den Kranken ganz vergarnt;
Auch seinem Herzen widerfuhr
Noch allzu viel des Leids um sie,
Wie auch des Lehrers Rath gewarnt
Vor zuviel Mitleids Sympathie,
Die manchen Arzt, den sie erfaßte,
Schon selbst gemacht zum Zellengaste.

Doch, war's sein rastlos grübelnd Ringen,
Des Irrsinns Räthsel zu entwirren,
Und nur sein Mitleid mit den Irren,
Was ihn stets mehr auf dunkeln Schwingen
[265] In stiller Schwermuth Reich entrückt? –
War's erster Liebe Sternenpracht,
Die ihn unsäglich froh beglückt,
Und gleich unsäglich ernst gemacht? –
Ach, von den Rosen auf den Wangen,
Die allzu leuchtend sie geschmückt,
War nun auch seinem Arztesblick
Die düstre Deutung aufgegangen.
Denn wie der här'ne Büßerstrick
Einst dem Novizen streng ascetisch
Die Lenden eng zusammenschnürte –
So jetzt des Vaters gleich Geschick
Durch gleichen Druck er bang prophetisch
In heimlich kranker Brust verspürte.

Und doch, wie schnell er all dieß Weh
Auf Stunden wiederum vergaß,
So oft beim abendlichen Thee
Er traulich ihr zur Seite saß
Und wieder neues Lied sie sang! –
So oft er ihr im Lindengang
Zu flüchtig trauter Schau begegnet,
Wann wie ein Engel, dankgesegnet,
Mit Halbgeheilten klug verkehrend,
Den duft'gen Schatten sie durchwandelt,
Und, heiteres Vertrau'n sie lehrend,
Als Herzensarzt den Geist behandelt!

So war auch ihm sie Arzt gewesen.
Und wenn er wieder, neu genesen,
Daheim den Spiegel vor sich hielt,
Dünkt' ihm der Wangen Rosenschmuck
[266] Nur seiner Liebe Morgenschein,
Der im Gesichte widerspielt.
Und auf der Brust den schweren Druck
Hielt er nur für der Zagheit Stein,
Darunter sein Geständniß lag,
Und, den zu heben, Tag für Tag
Umsonst er rang aus Angst vor'm Nein.

Doch braucht's denn laute Förmlichkeit,
Wenn heimlich sich zur Maienzeit
Im Liebeslenz zwei Herzen finden?
Ob sich's auch nur die Augen sagen,
Weil es die Lippen noch nicht wagen –
Es wird dieß Wort auf duft'gen Winden
Vom Frühling selber fortgetragen.
Eh's noch die Beiden selber glauben,
Da wissen's schon die Rosenlauben
Und freu'n sich auf das Stelldichein.
Es wissen's alle Nachtigallen
Und üben schon das Brautlied ein;
Die Wolken wissen's und die Wellen,
Eh nur ein Wörtlein noch gefallen
Vom Ringlein- und vom Kranzbestellen.

Und mit geheimer Vaterlust
Errieth es auch der Hofrath schon.
Was ahnt' er von der kranken Brust?
Und wüßt' er sich noch bessern Sohn?
Auch Gertraud hatt' es längst gewußt. –
Doch, wer in allerfrühster Zeit
In dieß Geheimniß eingeweiht,
Das war ein prächt'ger Bernhardiner
[267] Mit großen Augen, menschenklug.
Stets nur an ihrer Seit' erschien er.
In's Halsband zierlich eingestickt
Er ihren Engelsnamen trug,
Und ganz, wie Menschentreue blickt,
Sah er sie an verständnißtief,
Wenn traulich sie ihn »Cäsar« rief.
Ja, oft im Freudenüberschwang
Er jauchzend sie im Kreis umsprang;
Dann stürmisch mit den mächt'gen Tatzen
Er ihre zarte Brust umschlang,
Als sei das Herz ihm voll zum Platzen.
Ja, wer solch thier'scher Seele Drang
Mit weisen Worten ganz erklärte! –
Kaum daß es wenig Tage währte,
Dieß kluge Thier auch schon empfand,
Wie's nun mit seiner Herrin stand.
Gleich schmiegsam auch an ihm er hing
Und er, der sonst mit Niemand ging,
Gab stets zur Stadt ihm froh Geleit.
Sagt' ihm ihr freundlich Auge ja:
»Was fragst du mich! – Begleit' ihn doch!« –
Und als dann in der spätern Zeit
Die Beiden stets er seltner sah,
Und dann auch stets befangner noch –
Da sprang als postillon d'amour,
Laut bellend und doch so verschwiegen,
Dieß Thier bald zu Angelica,
Die kosend über's Fell ihm fuhr,
Um dann an ihn sich hinzuschmiegen,
Als sagt' er ihm: »Sie liebt dich ja!
Und warum meidest du sie nur?« [268]

So waren Wochen hingegangen
Voll Freud' und Leid. Die ros'gen Wangen
Längst wieder Odilo vergaß,
Indessen die Angelica's
Stets mehr der Lilienblüthe glichen,
Und Gram des Vaters Herz beschlichen.

Da saßen jetzt im Abendschein
Die beiden Männer ganz allein.
's war auf derselben Bank von Stein,
Drauf Theophil voll Seelengram
Einst vom Novizen Abschied nahm. –
Manch ernstes Wort zum Austausch kam.
Dann wies erregt des Hofraths Hand
Nach einem Häuschen, dessen Wand
Aus dunkelm Laub hervorgeleuchtet.
Sein Vaterauge ward befeuchtet;
Er zwang sein Wort zu trautem Ton,
Und dennoch, wie ihm heimlich bangte:
»Wenn je einmal, mein lieber Sohn,
Es dich nach eignem Heim verlangte –
O sieh, da drüben siehst du's winken!«

Und an das Herz mußt' er ihm sinken,
Der Hofrath küßt' ihn auf den Mund.
Und ach, wie jubelt' urgesund
In erster Liebe sel'ger Lust
Nun seine heimlich kranke Brust!
»Ach, Vater! – Kann's denn möglich sein? –
Nun, schöner Engel, bist du mein!« …

 

[269] Am Opferaltare.

Einfält'ge Base Katharine!
Wie sprachst du mit prophet'scher Miene
Einst traurig sinnend vor dich hin? –
»Doch denk' an Vater ich und Ahn,
Hängt frühen Grabes Erbschaft dran.
Die Rosen haben bösen Sinn –
Ich weiß, warum ich traurig bin.«

Und noch in selber Sternennacht,
Vor der zum Liebesparadies
Des Vaters Hand das Thor ihm wies,
War er urplötzlich aufgewacht,
Als hört' er's an der Mauer klopfen.
Und allzumal ohn' alle Schmerzen
Entrannen warme, süße Tropfen
Ihm von den Lippen auf das Kissen,
Als wär' inmitten in dem Herzen
Des Lebens Räderwerk zerrissen.
Wie er dann, ängstlich aufgerafft,
Beim Vollmondschein das Blut entdeckte,
wie ihn der »besondre Saft«
Drauf zitternd wieder niederstreckte!
[270] Nur, wem die Botschaft der Natur
Schon selbst einmal ward ausgerichtet,
Ein Solcher kann's erfassen nur,
Wie auch dem allerstärksten Denker
Sie Leib und Seele so vernichtet,
Als riss' aus frohstem Lebensglücke
Urplötzlich ihn auf's Knie der Henker,
Daß er das Richtschwert auf ihn zücke.

Lang lag er so voll Ohnmacht da;
Ermattet nickt' er endlich ein.
Und wie er wach beim Frührothschein
Das Blut auf's Neue dann besah,
Erst bitter seine Thräne rann.
Drauf faltet er die heißen Hände;
Voll Mannesmuth er sich besann,
Wie's nun mit seinem Schicksal stände.
Dann sprach er zu der Tropfen Spur:

»Ich kenn' euch, Boten der Natur,
Und weiß, was ihr mir künden wollt!
Doch Niemand sei darum gegrollt! –
Das ewige Gesetz, es habe
Nun auch an mir den freien Lauf!
Denn keine Klage hebt es auf.
Auch zittr' ich nicht vorm frühen Grabe,
Als Erbe von des Vaters Blut,
Durch das auch meines nun verderbt.
Hat mir in geistigem Vermächtniß
Doch auch der höchsten Liebe Gut
Sein urgesundes Herz vererbt! –
Und jetzt noch segn' ich sein Gedächtniß.« [271]

Danach saß er voll Wehmuth da
Und lächelte so friedlich mild,
Als ob des Vaters Geist ihm nah',
Als legt' er ihm auf's Haupt die Hände,
Als ob er der Ergebung Schild
Ermuthigend vor's Herz ihm bände.
Dann trüb' er wieder niedersah,
Wie er sich auch zum Lächeln zwang,
Und sprach, da schier das Herz ihm sprang:
Fahr' wohl, fahr' wohl – Angelica!«

Da, horch, zu seinem Bett empor,
Aus thauesfrischem Busch hervor,
Gleich wehmuthstief wie trostesvoll,
Das Lied der Nachtigallen quoll. –
Geschloss'nen Auges lag er da,
Hinunterlauschend traumbefangen.
Und, wie sie immerfort noch sangen,
War ihm, als käm' Angelica
Ganz geistersacht hereingegangen.
Im Morgenkleid sie vor ihm stand;
Und dann er's ganz leibhaftig spürte,
Wie sie wie mit magnet'scher Hand
Ihm leise Stirn und Brust berührte,
Und drauf vernahm er auch ihr Wort,
Das balsamlind in's Herz ihm rann:
»Nein, liebster, armer, kranker Mann,
Du sollst und darfst nicht von mir fort!
Dich hegen will ich und dich pflegen,
Und will auf deine kranke Brust
Der Liebe Beterhände legen,
Daß du genesen wirst und mußt!
[272] Ach, sieh mich an und glaub' doch ja:
Gar treulich halt' ich bei dir aus.
Von Kindauf in des Vaters Haus
Ich ja nur tiefstes Elend sah.
Ich weiß, was Trost und Pflege thut,
Und auch das größte Leid beirrt
Mir nicht so bald der Liebe Muth.
O warte nur, wie schön das wird! –
Ein jeder Tag, nur leidlich gut,
Wird dann für uns ein Festtag sein,
Und jeden schlimmen, den du hast,
Schreib' ich als gottgeschickten Gast
In meiner Liebe Hausbuch ein.
Gieb Acht, wird das viel schön'res Leben,
Drin so sich Leid mit Liebe paart,
Als eins von stets nur froher Art! –
Wir möchten's für kein andres geben.«

»Ach ja, ich weiß,« seufzt' Odilo,
Da er den Blick nun aufgeschlagen,
»So sprächest du, ganz wörtlich so,
Du wärest sonst nicht, die du bist! –
Und würd' ich dich noch weiter fragen:
Wie aber, wenn in Jahresfrist
Man mich zu Grabe müßte tragen? –
Ich weiß, du würdest wieder sagen:
›Auch dann wollt' ich noch nicht verzagen,
Und träte mit dir zum Altar.
Denn, wenn nur solch ein einzig Jahr
Dir meine Liebe so verklärte,
Für mich als ew'ges Glück es währte
Von allen meinen Wittwentagen,
[273] Bis einst zum sel'gen Wiedersehen!‹ –
Ich weiß: so würdest du mir sagen
Und also würd' es auch geschehen.«

Unruhig ward sein Auge jetzt
Nach dieses Selbstgesprächs Gedanken.
Vergessend schier sein jäh Erkranken
Hatt' er im Bett sich aufgesetzt.
Was er zuerst so klar beschlossen,
Schon kam's im tiefsten Grund in's Wanken;
Sein Denken ward stets mehr zerflossen,
Nur Eins noch hört' er in sich fragen:
»Doch würd' auch so ihr Vater sagen?«

Und sieh, schon naht' auf leisen Sohlen
Mit seiner Liebe Larvenzügen
Ihm die Versuchung zum Belügen,
Und flüstert' ihm in's Ohr verstohlen:
»Kannst du denn dieses Blutes Flecken
Vorerst dem Vater nicht verschweigen,
Bis dessen Kind erst ganz dein eigen?
Wozu schon jetzt ihn mit erschrecken,
Daß er am Ende Nein muß sagen,
Weil das der Arzt in ihm befiehlt?
Ist sie nicht recht erst zu beklagen,
Weil er viel mehr des Glücks ihr stiehlt,
Als er vor Unheil sie errettet,
So früh man auch in's Grab dich bettet?«

O wie das jetzt verlockend klang,
Und auch, wer läugnet's doch, wie wahr! –
Und wie ihm drauf dieß eine Jahr
[274] Voll Liebesglück im Ueberschwang,
Süß wie Angelica's Gesang,
Sein lieberregtes Herz durchbebte! –
Und ob er nicht Jahrzehnte noch
In ihrer frommen Pflege lebte?
Sah er beim eig'nen Vater doch
Einst gleiches Wunder sich vollzieh'n! –
Den Tod, o wer berechnet ihn?

Und Angst und hoffen hatt' im Streit
Ihm den Entschluß schon halb entzweit.
Da sich, wie wenn den Nebelflor
Der Sonne Lichtgewalt durchbricht,
So hebt er jetzt sein Angesicht
Aus der Verlockung dunst'gem Kreis
Im Glanz der Wahrheit hoch empor:
»Nein! – Keine Lüge, keine – keine!
Auch nicht um höchsten Glückes Preis! –
Ward doch ihr Vater auch der meine!
Nein, Wahrheit nur, ganz sonnenreine,
Auch meiner Liebe Grab bescheine!«

Und lange, lange mußt' er wieder
Die Augen mit der Hand bedecken,
Dann sah er auf die rothen Flecken
Ohn' alle Angst auf's Neue nieder
Und ein Gedanke, heldengroß,
Rang sich von seinem Herzen los:
»Wohl war schon lange her mir kund:
Es könne weder Strand noch Grund
Im Liebesmeer des Opfers geben.
Doch, daß auch ungezeugtes Leben,
[275] Für's Herz noch gar nicht zu erfassen,
Solch Opfer einst von mir begehre –
Von dieser höchsten Opferlehre
Hätt' ich mir niemals träumen lassen.«

»Und doch!« – er mannhaft fort nun fuhr,
»Du strenge Satzung der Natur
Von kranken Blutes Fortvererben,
Die meinen Stamm heißt auszusterben –
Ich beuge mich vor deiner Macht.
Tief schmerzt es mich, doch murr' ich nicht.
Auf deinem göttlichen Altar
Sei dir als Opfer dargebracht
Mein unterthäniger Verzicht
Auf holder Kinder Engelsschaar,
Die rosengleich den Stamm umranken,
Daß all das Leid, was ich erfahre,
Ich ihnen einst aus Lieb' erspare,
Kann keines mir auch je drum danken,
Weil's nie das Licht der Erde sah …
Fahr' ewig wohl, Angelica!«

 

[276] Auf heiligem Berge.

Inzwischen brach der Sonnenschein
Mit voller Macht schon durch die Scheiben;
Im Haus begann ein rührig Treiben,
Und er auch sollt' am Platze sein.
Doch warum heut zum Dienst sich zwingen,
Ein Adler mit gelähmten Schwingen? –
Die Klingelschnur zog rasch er nieder.
Der Diener kam mit eil'gen Tritten,
Und schnell entsendet' er ihn wieder,
Den Hofrath an sein Bett zu bitten.

Es währte kaum minutenlang,
Und dieser eilte durch den Gang,
Voll Ahnung, daß ihm Unheil drohte:
So tief erschreckt' ihn jener Bote.
Und als im Schmerzesübermaaß
Er an des Freundes Bett dann saß –
Wer wollte noch in Worten lesen:
Was der zwei Männer Wort gewesen?

* * *

[277] Und Abend war's. – Angelica
Saß jetzt dem Vater herzensnah,
Im dämmertrauten Arbeitszimmer,
Noch unerhellt vom Lampenschimmer,
Daß er die bittre Fluth kaum sah,
Die ihres Schmerzes Damm durchbrach.
Voll Mitleid nahm er ihre Hand,
Und tief bewegt er zu ihr sprach:
«Hab' Dank, daß mir dein Herz gestand,
Worum ich dich nicht erst gedrängt!
Denn, wo des Mißtrau'ns Scheidewand
Sich zwischen Kind und Vater zwängt,
In solchem frostig stummen Haus
Weicht auch die Liebe bald sich aus.« –

»O, meine nie, mein Vater, nie!
Auch jetzt folgt sie der deinen nach,
Und Rath und Trost erbittet sie!«
Aufseufzend drauf die Tochter sprach.

»Nun wohl!« antwortet' er dem Kinde –
»Da du nun weißt, warum er scheidet,
Ich bessern Rath nicht für dich finde,
So sehr dein Herz auch drunter leidet –
Und Nichts auch tröstet dich noch mehr,
Als, daß du fühlst und denkst, wie er

»Ich will's!« – sprach dumpf Angelica,
Die Hände über's Herz geschlagen,
Und dann, gleichsam mit scheuem Fragen,
Ihr Aug' in das des Vaters sah.
[278] Tief schmerzlich senkte sie's dann nieder,
Und forschend sprach der Vater wieder:

»Mein Kind! Noch muß ich zweifeln zwar,
So scharf auch sonst mein Auge sieht,
Ob ich so eben völlig klar
Dieß Fragen deines Blicks errieth.
Und doch, vernimm die Antwort drauf!
Denn, paßt sie nicht, bleibt sie doch wahr.«

Voll Ehrfurcht hob das Haupt sie auf:
»O sprich! – Es wird die rechte sein.«
Sie reicht' ihm beide Hände dar.
Er schloß sie in die seinen ein
Und, Hand in Hand und Blick in Blick,
Sanftmuth im Herzen wie im Munde,
Mit weisem Manneswort im Bunde,
Besänftigt er ihr hart Geschick:

»Du weißt! ob mein Beruf mich auch
Auf weit're Gottesspuren führte,
Ich doch an deinem Kinderglauben,
Wie streng kathol'schem Kirchenbrauch,
Niemals nur mit dem Finger rührte.
Umschwebt von des Gebetes Tauben,
Und unversehrt an Säul' und Wänden,
Steht heute noch deß Tempel da,
Wie ich von deiner Mutter Händen
Ihn einst in dir erbauen sah.«

»Ach, Alles, Alles weiß ich ja,
Du Vater, wie's nicht bessern giebt,
[279] Und wie auch keiner mehr geliebt!«
Sprach lichten Blicks Angelica
Und lehnt' an seinen Arm ihr Haupt.

Und er fuhr fort: »Doch sieh, mein Kind!
Wie felsenfest dein Herz auch glaubt,
Daß alle menschlichen Geschicke
In Gottes Hand geborgen sind,
Der selbst des Sperlings nicht vergißt;
Und daß er mit barmherz'gem Blicke
Nun auch auf dein Herz niedersieht,
Wie, daß Gebet der Zauber ist,
Der seine Hilfe niederzieht –
So glaub' ich doch: 's giebt ein Gebiet,
Drauf, die Gesetze zu erkennen,
Jedwedes Sterblichen Verpflichtung,
Gleichviel, in welcher Glaubensrichtung
Er solch Gesetz auch mag benennen.
Ist's Wahrheit doch, ganz unbestritten,
Daß unerbittliches Verderben
Sie auf Geschlechter oft vererben,
Wird nicht das Erbschaftsband zerschnitten

Sie schwieg darauf und nickte nur.
Erschütternd ernst er weiter fuhr:
»Ja, greif' in dieses Haus hinein!
Wie Viele schließt sein Jammer ein,
Die deßhalb nur der Wahn umnachtet,
Weil Vater oder Mutter nicht
Rechtzeitig das Gesetz erwogen,
Wenn nicht leichtfertig gar mißachtet,
Durch das des Enkels geistig Licht
[280] Nun ward in gleiche Nacht gezogen,
Drin schon des Ahnherrn Geist geschmachtet.
O wie viel Beten, wie viel Hoffen
Hat dieser ew'gen Satzung Walten
Versucht wohl, einstens aufzuhalten!
Und doch, der Tag ist eingetroffen
Sammt unerbittlichem Vollzug.
Was fragt er, wen er mit verderbe?
Welch Glück er ihm zu Grabe trug?
Daß er des kranken Blutes Erbe –
Ihm ist's schuldloser Schuld genug.«

»Ach ja, dein Wort ist furchtbar wahr;
Verhüllt nur ich bisher es sah.
Jetzt ward es mir entsetzlich klar!«
Sprach hohen Muths Angelica.

Wehmüthig fiel der Vater ein:
»Ach, dürft' es lieber Lüge sein!
Mir läge nicht so schwerer Stein
Nun auf der wunden Vaterbrust!
Kind, so bleibe deß bewußt: –
Und wer will mich als gottlos lästern? –
So heut, wie morgen und wie gestern,
Vollzieht sich solch' Gesetzes Lauf.
Nur die Erkenntniß hält ihn auf
Und der Entsagung Opferwille,
Drin jetzt so heldenopferstille
Sich unser edler Freund bewährte.
Und wie er mir den Schmerz verklärte,
So sei es dir auch Trost und Rath,
Daß du in gleicher Heldenthat,
[281] In gleich erhabnem Opfergeist,
Wahrhaftig gottesfürchtig seist!«

Doch kaum dieß letzte Wort er sprach,
Sie wie voll Angst ihn unterbrach:
»Ach, ist's noch gottesfürcht'ger Glaube,
Daß, wenn ich des Gebetes Taube
Nun ausschick' in solch schwerem Ringen,
Sie sonder Oelzweig heim mir kehre?
Wie kann mit meiner Glaubenslehre
Harmonisch das zusammenklingen?«

Ganz ruhig fuhr der Vater fort:
»Kind, mir sagt dein ängstlich Wort:
Nicht ganz du meines noch erfassest!
Nicht gab ich dir den schlimmen Rath,
Daß du Gebet nun unterlassest,
Und niemals noch ich solches that. –
Nein, bete, Kind, so heiß du kannst!
Doch ob der Seele Taubenschwingen
Du auch zum höchsten Himmel spannst,
So heiß' sie doch im Niederflug
Nur der Ergebung Oelzweig bringen,
Sammt der Erlösung von dem Trug,
Als sei nicht jed' Naturgebot,
Vom Tropfen Blut bis zu den Sonnen –
Wie's Menschenglück auch oft bedroht –
Allweiser Allmacht Born entronnen!
Nur darum bet', und, tröste dich:
Du wirst erhört ganz sicherlich!«

Wie färbte wunderbares Licht
Jetzt ihr verhärmtes Angesicht!
[282] Doch eh sie selbst zum Worte kam,
Es schon der Vater wieder nahm:
»Wie, oder hätten jene Frommen
Wohl höhern heil'gen Berg erklommen,
Die, der Gesetze Drohn mißachtend,
Nach Selbstbefriedigung nur trachtend,
Den ›lieben Gott‹ darum beschwören,
Daß er im ries'gen Weltenall,
Um nicht ihr winzig Glück zu stören,
Als ganz besondern Ausnahmsfall,
Gesetzvollzug heiß' aufzuhören,
Dem schon von Ewigkeiten an
Die ganze Schöpfung unterthan? –
Und nun, mein Kind, magst du entscheiden:
Wer ist wohl frömmer von den Beiden?«

»O Vater!« sprach sie, »frage nimmer!
Längst hat mein Herz ja schon entschieden.
Am Frömmsten ist: entsagend leiden!«
Und mit der Opferflamme Schimmer
Umstrahlte sie der Seele Frieden.
Der Vater rief: »An's Herz mir komm!
Nun denkst und bist du wahrhaft fromm!«
Und Kuß um Kuß er mit ihr tauschte,
Dann wieder ehrfurchtsvoll sie lauschte:

»Du siehst, mein Kind, dein Gottvertrauen
Wollt' ich auf höhern Berg nur bauen,
Mit höh'rer Ausschau von der Zinne,
Daß drunter jedes Truggebild
Aus falscher Hoffnung Dunst zerrinne.
So halte hoch den Opferschild,
[283] Und bleib' gleich ihm so heldengroß,
Wie du in dieser Stunde bist!
Ach, meist der besten Menschen Loos
Auf Erden hier das Opfer ist.«

»Nun wohl! – So sei's auch mein Geschick!
Und seiner würdig werd' ich's tragen;«
Sprach sie mit fromm ergebnem Blick.
»Nur Eins noch, Vater, laß mich fragen:
Darf ich noch Lebewohl ihm sagen?
Soll ich ihn nie mehr wiedersehen? –
Wie du es willst, so soll's geschehen!«

»Ich werd' ihn selber fragen drum,
Wie es ihm selbst am Liebsten sei.
Denn so wie so bleibt's für euch zwei
Wie mich ein gleich Martyrium!«
Der Vater sanft entgegnete.
Dann küßt er sie und segnete
Das bleiche Haupt ihr wehmuthstumm;
Und Kind und Vater trennten sich.
Noch schmerzlich Nicken auf der Schwelle –
Darauf entwallte feierlich
Angelica zur Hauskapelle.

* * *

Drei Tage drauf – 's war Morgenzeit –
Vor seines Wohngebäudes Thür
Mit Odilo der Hofrath stand.
Da trat, zum letzten Gruß bereit,
Zum Hofe still sein Kind herfür.
[284] Sie gaben zitternd sich die Hand,
Sahn stumm und thränenlos sich an –
Und wandten sich. – Es war gethan!

Als die zwei Männer drauf verschwiegen,
Umglänzt von goldner Sonnengluth,
Durch's Thor zum Thalgrund niederstiegen,
Wie jauchzend da voll frohstem Muth
Der kluge Cäsar sie umsprang!
Ach, heute merkt' er dennoch nicht
Des Einen Sonnenuntergang. –
Doch säh' er jetzt Angelica
Mit roth verweintem Angesicht
Vorm Christusbild im Kreuzgang liegen,
Wo sie zum ersten Mal ihn sah –
Wie würde sich dieß treue Thier
Wohl schmerzlich fragend an sie schmiegen:
Was weinst du, Herrin? – Sag' es mir!« –


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