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XI. Die Kelter des Todes

»Vendémiaire« heißt in dem neuen Kalender, nach dem Frankreich nun rechnet, die Zeit vom 22. September bis 22. Oktober. Vendémiaire – Weinmonat. Dunkelpurpurn träuft in diesen Tagen das Blut der blaubereiften Trauben in die Kelter, dunkelpurpurn träuft das Blut der Menschen in die Todeskelter, deren finsterer Winzer Fouquier-Tinville ist, der öffentliche Kläger des Revolutionstribunals, dieses mörderischen Schwurgerichts, gegen dessen Urteil es keine Berufung gibt. Ein Dämon muß diese Kelter mit grausigem Spruch verwünscht haben, denn ob das Blut auch stromweis rinnt, so will sie doch nie randvoll werden, und niemals gebietet eine Stimme dem finsteren Winzer: »Halte ein!« Der Herr über Kelter, Winzer und Menschenblut ist der Bürger mit dem zierlich aufgerollten Haar und dem blütenweißen Jabot; während seine Augen starr auf sein letztes Ziel gerichtet blicken, deutet seine magere Hand auf Hunderte, Tausende, Zehntausende, und seine schrille Stimme befiehlt: »Töte!«

Im Oktober fand der Prozeß der verhafteten Girondisten statt (den entflohenen war das Ächtungsdekret nachgesandt, das sie, wo immer sie aufgegriffen werden sollten, dem Tode überlieferte), von den unzähligen skandalösen Prozessen der Revolution vielleicht der skandalöseste. Weniger noch als sonst kam es ja dem Revolutionstribunal auf ein richtiges Ermittlungsverfahren und gerechtes Urteil an, sondern der Spruch stand fest, ehe das Verhör begonnen hatte. Und als die Verteidigung die Stimmung zugunsten der Angeklagten zu beeinflussen schien, erließ der Konvent eilig ein Gesetz, das dem Präsidenten des Tribunals gestattete, nach Ablauf von drei Prozeßtagen das Urteil zu fällen, »sofern das Gewissen der Geschworenen den Tatbestand als genügend aufgeklärt betrachtet«. Da unter diesem Hochdruck jedweder Tatbestand plötzlich taghell aufgeklärt war, lautete das Urteil, daß die Girondisten sich durch eine Verschwörung gegen die Einheit und Sicherheit des Staates des Todes schuldig gemacht hätten, daß das Urteil unverzüglich zu vollstrecken, durch Maueranschlag in den Departements bekanntzumachen und aller Besitz der Verurteilten dem Staate verfallen sei.

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Robespierre im Konvent.
Zeichnung von Gerard.
Aus: Buffenoir, Tafel 3

Einundzwanzig Menschen wurden so in einer einzigen Stunde dem Tode zugesprochen, dem einer von ihnen – Valazé – freiwillig in die Arme lief: er erdolchte sich im Gerichtssaal. »Vergniaud dagegen warf Gift, das er bei sich trug, fort, weil er gemeinsam mit den Genossen sterben wollte, die alle in ihren letzten Stunden bewiesen, daß sie von Rom und römischer Würde nicht immer nur geredet hatten, sondern auch nach römischem Vorbild zu sterben wußten. In der Nacht vom 30. Oktober gegen elf Uhr wurde ihnen das Urteil verkündet. Keinem von ihnen kam es überraschend, nur für Ducos und Fonfrède hatte man ein wenig gehofft, und sie selber waren vielleicht nicht aller Hoffnung bar gewesen. Das verabredete Zeichen, das uns den Spruch verkündigen sollte, erscholl: vaterländische Gesänge, in die wir alle einstimmten und mit denen sie der Freiheit den letzten Gruß darbrachten. Diese ganze schreckliche Nacht hindurch ertönten ihre Gesänge, und wenn sie sie einmal verstummen ließen, so sprachen sie nur über das Vaterland oder auch über einen Einfall Ducos.« (Riouffe.) Als man sie zum Richtplatz führte, wurde die Leiche des erdolchten Valazé auf einem Karren vorangefahren. Die Lebenden aber stellten die Henker in drei Reihen auf und begannen die Massenabschlachtung. Als ob es nicht Menschen sondern Tiere gewesen wären, die dastanden und des Todesstreichs harrten, räumten die Henker, als acht geköpft waren, gemächlich die enthaupteten Leiber beiseite, um dann ebenso gemächlich ihre Schlächterei fortzusetzen. Die Todgeweihten erschütterte nichts. Mit einem Vaterlandslied auf den Lippen standen sie vor der Guillotine, ein armseliger und zugleich erhabener Chor, der immer dünner wurde, bis er schließlich mit dem letzten gefallenen Haupte verstummte … Doch all dies Blut löschte den Terror gegen die Girondisten und ihre Anhänger nicht. Unerbittlich wurden flüchtig Gewordene verfolgt und gerichtet, sobald man sie aufgriff. In Bordeaux, in Périgueux, in Rochelle und wiederum in Paris – überall floß Girondistenblut, sofern nicht Valazés Beispiel Nachfolge fand. Und es fand Nachfolge. Der flüchtig gewordene Roland erstach sich, als er erfuhr, daß auch seine Frau enthauptet worden war, deren Todesmut jedem, der sie sah, die höchste Ehrfurcht abzwang. Rebecqui ertränkte sich in Marseille, Condorcet nahm Gift.

All die Blutgreuel, besonders aber die Hinrichtung der Girondisten, riefen in der Provinz eine Wirkung hervor, über die Paris entsetzt sein durfte. Toulon hatte sich freiwillig den Engländern ergeben, Lyon löste sich aus der »einzigen, unteilbaren Republik«, Marseille erhob sich für die Gironde, Bordeaux und andere Städte folgten dem Beispiel. Paris schrieb blutige Antwort. Die Guillotine begann zu reisen. Kommissäre, mit Blutplakaten ausgerüstet, geleiteten sie, und deren Walten bestätigte die Wahrheit des Wortes, das Buzot dem Konvent zugerufen hatte: »Wer seine Hände einmal in Menschenblut getaucht hat, dürstet immer wieder danach!« Überall Metzeleien ohne Erbarmen. Greise, Frauen, Kinder – alles wird geköpft, erschlagen, erschossen, ertränkt. Ganze Familien werden bis auf den letzten ausgerottet, nur weil ein einziger von ihnen schuldig oder auch nur »verdächtig« war. Kranke erhalten den zynischen Bescheid: »Also auf später!« In Toulon wurde unter Barras, Fréron und Augustin Robespierre (Bonbon!) die Bevölkerung auf diese Weise um etwa drei Viertel ihrer Einwohner reduziert! Fouché, Collot d'Herbois, Tallien wüten in Bordeaux. Über Marseille aber, dessen Rekruten als erste sangen: »Allons enfants de la patrie!« wird neben schrecklichen Bluturteilen eine Strafe von groteskem Pathos verhängt: es wird seines Namens beraubt, wird künftighin als »Namenlos« entehrt weiterleben. Aber Robespierre hat eine besondere Vorliebe für diese Stadt, und darum wird sie nach etlichen Wochen wieder vom geographischen Schandpfahl erlöst und heißt wieder Marseille …

Doch die kleine, unfreiwillig-heitere Episode geht unter in Grauen. Die Kommissäre wüten weiter. Die schlimmste aller Trunkenheiten – der Blutrausch – ist über sie gekommen, und sie morden ohne Besinnung, ohne Scham, ohne Gewissen, ohne Angst vor Vergeltung.

Vom Geschützfeuer eines sechsfachen Feindbundes umdonnert, liegt das Land. Seine waffentragenden Kinder werden in die Schlacht geführt, seine waffenlosen zur Schlachtbank. Im Heer wie in der Heimat fehlt es an allem; denn wer vermöchte in einem revolutionierten Lande die straffe Organisation zu handhaben, die ein Heer ernähren, equipieren, und obendrein die Zivilbevölkerung versorgen könnte? Paris leidet bitteren Mangel. Nicht nur die Nahrungsmittel sind aufs knappste rationiert, sondern auch Kleidung, Wäsche, Feuerung und Beleuchtungsmittel fehlen fast gänzlich. Darbend, sich verblutend liegt das Land wie ein Schwerkranker, und auf der Brust des Schwerkranken hockt gleich einem Nachtvogel mit unheimlich glitzernden Augen das gefräßige Mißtrauen Robespierres, das unaufhörlich die Todesmelodie krächzt: Verrat! Verrat! Verrat!

Wie Gifte des Orients das Hirn mit schwülen Bildern umgaukeln, so erfüllt das Krächzen dieses Nachtvogels das schwerkranke Land mit wüsten Fieberträumen von Mord und Blut, und wenn der Fiebertraum für Augenblicke weicht, dann merkt es schaudernd, daß der Fiebertraum Wirklichkeit geworden ist. Riouffe berichtet von seinem Aufenthalt im Gefängnis der Conciergerie: »Wurden doch zu uns junge Schwangere hergeführt und andere, die eben erst vom Wochenbett aufgestanden und noch so schwach waren, wie es die Frauen eben nach diesem schweren Werk sind, das die Natur ihnen auferlegt hat und vor dem sich selbst wilde Völker in Ehrfurcht beugen. Wieder anderen war jählings die Milch ausgeblieben, der einen vor Schrecken, der anderen, weil man ihr das Kind von der Brust gerissen hatte. Tag und Nacht stürzten solche Opfer in den unersättlichen Abgrund, nachdem man sie zuvor mit gebundenen Händen von einem Kerker zum anderen geschleift hatte. Manche von ihnen mußten ohnmächtig von den sie verhöhnenden Kerkermeistern hereingetragen werden, andere waren in Tränen aufgelöst, noch andere in einem Zustand der Betäubung, daß sie wie geistesgestört erschienen. Tag und Nacht knirschten die Riegel. Am Morgen trafen sechzig Personen ein, um am nächsten Morgen aufs Schafott zu gehen, wurden aber alsbald durch hundert neue Ankömmlinge ersetzt, deren dasselbe Schicksal harrte. So ging es Tag für Tag.

Aus ganz Frankreich brachte man die Opfer in die Conciergerie. Sie füllte sich unablässig durch diese Frachten aus allen Departements und leerte sich unablässig durch Massenmord oder durch Überführung in andere Gefängnisse. Noch spät in der Nacht trugen die Kerkermeister die Klageakten in die verschiedenen Kerkerräume. Durch ihre rauhen Stimmen aus dem Schlaf geschreckt, meinte jeder, daß nun er an der Reihe sei, und so versetzten diese alltäglich oder allnächtlich für sechzig oder achtzig Personen bestimmten Todesurteile jedesmal sechshundert Menschen in furchtbaren Schrecken. Häufig empfing auch einer ein Urteil, das für einen anderen bestimmt war. Dann strich der Gerichtsdiener einfach den falschen Namen aus und fügte den richtigen ein! Wenn die Kerkermeister gemütlich beisammensaßen und tranken, vergnügten sie sich damit, solche Urteile zu verfassen. Es gab Frauen, die hörten, wie unter Gelächter und Witzen ihr Anklageakt entworfen wurde: ›Schicken wir die da doch ihrem Manne nach!‹ schrien die Betrunkenen, und das Opfer entging ihnen nicht, denn diese Urteile bestanden aus einem vorgedruckten Formular, dem man nur wenige handgeschriebene Zeilen einzufügen brauchte. Diese handschriftlichen Zeilen aber riefen die absurdesten und schrecklichsten Irrtümer hervor, ohne daß jemals Strafe für solchen Irrtum erfolgt wäre. So wurde die ehemalige Herzogin von Biron auf Grund eines Anklageaktes verurteilt, der ihrem Verwalter galt!«

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Robespierre richtet den Henker hin.
Satirisches Flugblatt der Zeit

»Adam, wo bist du?« hatte einst Gott gerufen, als, bösen Gewissens voll, sein Geschöpf sich vor ihm versteckte. Robespierre, wo bist du? möchte man verzweifelt rufen, wo bist du, der Mann der unbeirrbaren Gerechtigkeit, der einst für die Abschaffung der Todesstrafe eintrat, der voll Stolz verkündet hatte: »Ich rufe alle guten Bürger, alle Freunde der Vernunft zu Zeugen an, daß nie eine Revolution so wenig Blut gekostet, so wenig Grausamkeiten im Gefolge gehabt hat wie die unsere.« Da du diese Worte sprachst, schrieb man Februar 1790, und ein Vierteljahr später wolltest du, »keine Anklage ohne Beweise erhoben werden darf«. Und heute, kaum drei Jahre weiter, ist Gerechtigkeit, ist jede menschliche Regung ausgebrannt und Frankreich schwimmt in Blut … Wo bist du, Maximilien Robespierre?

Ach, Robespierre befand sich immerfort auf seinem Lieblingsaufenthalt – im Zukunftsstaat. All diese Verhaftungen, Hinrichtungen, Strafexpeditionen gehörten ja zu den »Säuberungen«, die den Weg ins künftige Paradies frei machen sollten! Die Bestrebungen etlicher seiner Biographen, ihn von der Schreckensherrschaft loszulösen (Hamel betitelt sogar ein Kapitel: »Robespierre entreißt siebzig Girondisten der Guillotine«), sind vielleicht sehr ehrenwert, aber nicht minder absurd. Der Mann, dessen überreiztem Hirn der Gedanke der Massenhinrichtungen entsprang, kann nun und nimmer als Sachwalter der Gerechtigkeit und Milde angesprochen werden. Und doch trennt ihn auch jetzt noch eine beträchtliche Distanz von all den Volksbeauftragten, die im Namen des Konvents schauerliche Justiz übten, von den Fréron, den Fouché, den Tallien, und wie sie sonst noch heißen mögen. Sie alle taumelten in einem Blut- und Freudenrausch dahin, bereicherten sich auf Kosten ihrer Opfer oder des Landes, waren grausam aus böser Lust und wären einem »Tyrannen«, der sie so nobel freigehalten hätte wie die Republik, genau so ergeben gewesen wie der »Freiheit«. Fouché, der spätere Polizeiminister Napoleons, Tallien, der kleine Beamte der Restauration, haben dies, gemeinsam mit vielen anderen, ja deutlich bewiesen. Robespierre hätte keinem Tyrannen gedient. Immerfort durfte er voll Hochmut von sich sagen: »Mein Herz ist nicht käuflich wie die euren!« Nein, er besaß kein feiles Herz, keinen Willen zur Konjunktur, aber er hatte das verzwickte Denken eines Juristen, und sein Herz schlug menschlich nur in seiner kleinen Umwelt. Sobald er für die Menschheit zu denken und handeln begann, wurde dies absonderliche Herz unmenschlich, a-menschlich könnte man sagen, schlug nur für Ideen, für Massen, deren Gesichter und Gestalten er gar nicht unterschied, oder empörte sich gegen andere Massen, die ihm ebenso nebelhaft verschwommen blieben. Auch war er als ein Eitler geboren, und Eitelkeit ist ja nichts anderes als Ehrgeiz in den Kinderschuhen. Bei vielen, ja den meisten Menschen wächst sie nicht mit ihnen, bleibt immer unausgewachsen und wirkt dann eben wie ein hinter seinen Jahren zurückgebliebener Mensch: lächerlich und läppisch. Bei anderen aber, denen besondere Sterne leuchten, wächst sie heran, gebiert den Ehrgeiz, verliert sich in diesem Sohne oder fristet sich auch neben ihm weiter, seine ernste Stirne mit ihren Lächerlichkeiten behängend. So war es bei Robespierre. Wäre er in ruhigen Zeiten, unter normalen äußeren Verhältnissen zur Welt gekommen, so wäre er vermutlich nicht eitler gewesen und geworden als hundert andere Menschen, und man hätte wahrscheinlich gestaunt, daß ein so kluger Mann und Advokat wie der Herr Robespierre so komische Kleinlichkeiten an sich haben könne. Doch seine Eitelkeit bekam Spielraum, mit ihm zu wachsen, sich in Ehrgeiz umzusetzen, in einen Ehrgeiz, der höher hinaus wollte als Diktatur und sogar Thron reichen. Nicht die Art, wohl aber die Stärke jener Macht erträumte und erstrebte er, die später Augustins Waffengefährte, Bonaparte, erringen sollte. Wie jener die fremden Völker versklavte, so wollte Robespierre sie befreien. War jener ein Kriegsgott, so wollte der Rechtsanwalt aus Arras ein Friedenskünder sein. »Krieg den Tyrannen, Friede den Hütten!« Ach, aber auch die Hütten waren dem Robespierreschen Mißtrauen bald »verdächtig«.

»Zwanzig Frauen aus dem Poitou, zumeist arme Bäuerinnen, wurden gleichfalls auf einmal hingerichtet. Noch sehe ich diese unglücklichen Opfer vor mir, wie sie, überwältigt von den Mühsalen eines weiten Weges, langausgestreckt auf dem Boden der Conciergerie lagen. Ihre Augen, deren gleichmütiger Ausdruck verriet, daß sie nicht die leiseste Ahnung von dem Schicksal hatten, das ihrer harrte, erinnerte an den Ausdruck von Tieren, die man zum Markte führt und die starr und leer um sich blicken. Wenige Tage nach ihrer Ankunft wurden sie hingerichtet.« (Riouffe.) Und wieder erhebt sich die Frage: Wie war es möglich, daß der Mann, der kein Blut sehen konnte, so gleichmütig in Blut watete? Wiederum lautet die Antwort, so unwahrscheinlich sie auch klingen mag: Er wußte nichts von der Wirklichkeit seiner Schreckensbefehle! Riouffe erzählt, zwar nicht von ihm, wohl aber von Lacroix (der zugleich mit Danton eingeliefert wurde), daß er überrascht und tief erschüttert gewesen sei über alles, was er in der Conciergerie sah und hörte, besonders über die große Anzahl gefangener Frauen. Und als ihn einer fragte: »Sind Sie denn niemals einem Todeskarren begegnet, der Ihnen verraten mußte, daß Paris eine Menschenschlächterei geworden ist?« antwortete Lacroix: »Niemals habe ich einen Todeskarren gesehen!« Riouffe meint, das sei von ihm Komödie gewesen. Er mag, was Lacroix betrifft, recht gehabt haben. Viel richtiger aber scheint mir, was er seiner Vermutung zufügt: »Aber selbst wenn sein Nichtwissen keine Komödie war, so bleibt es darum nicht weniger verdammenswert. War doch auch er einer der großen Zerstörer, die Landplagen über die Menschheit hinsenden und zu hochmütig sind, sich um deren Wirkungen zu bekümmern.«

Zu hochmütig – das ist das Wort für Robespierre. Mit jenem starren Hochmut ausgerüstet, den die absolute Reinheit des Herzens und der Sitten so leicht züchtet, stand er inmitten eines Sumpfes von Korruption. Seine Unbestechlichkeit erlaubte sich den Luxus unbewußter Grausamkeit, gestattete ihm, leeren Blicks über alles wegzusehen, was ihm für sein Auge unwürdig erschien. Und weil eben sein krankhaftes Mißtrauen immer weitere Kreise der »Unwürdigkeit« zog, opferte er Hekatomben, strich ihre Namen aus den Listen der Lebenden aus, als wären sie allesamt nur Ziffern, und nicht jeder einzelne ein Mensch, den andere Menschen liebten und um den sie weinten. Er hatte einst von sich gesagt, daß es ihm nicht möglich sei, den Privatmenschen vom Richter zu trennen, aber er trennte vollkommen den Politiker vom Privatmann. Er, den die kleinen Savoyardenkinder in den Champs Elysees »den guten Herrn« nannten (auch Heine erzählt in seinen »Pariser Briefen« von einem aus der Revolutionszeit übriggebliebenen Logenschließer des Palais Bourbon, der Robespierre noch gekannt hatte und von ihm stets als »Der gute Herr Robespierre« sprach!), war, sobald Politik in Frage stand, gleichviel, ob innere oder äußere, ein Tyrann, wie er ärger kaum je ein Volk beherrscht hatte. Er war es, mußte es sein, weil er dann eben kein Mensch mehr war, sondern nur der Spuk eines Menschen, dem die »Idee«, »der Grundsatz« alles Leben aufgefressen hatten. So erscheint er nicht nur grausam und hochmütig sondern auch hinterhältig, weil er immer wieder den Freund von heute morgen auf die Guillotine schicken wird. Immer wieder wird er es tun, weil sein Mißtrauen von Tag zu Tag unheimlicher wird und – weil er selber festgewurzelt auf seiner »Idee« wie auf einem unanfechtbaren Dogma stehenbleibt. Es gibt keinen Menschen, nein, keinen Politiker, der weniger wandlungsfähig wäre als er. Fast alle anderen um ihn her, die einst mit ihm die Freiheit wollten und ihr Reich aufrichteten, haben Mäßigung gelernt, begreifen, da der erste Rausch vorbei ist, daß es auf Erden nichts Vollkommenes gibt und daß man die Menschen nehmen muß, wie sie sind. Er nicht. Wäre ihm ein langes Leben beschieden gewesen, er wäre über Kaiserreich und Restauration und über Julikönigtum hinweg der Revolutionär vom Jahre 1792 geblieben. Ein Don Quichotte der Revolution – das wäre sein Los gewesen, wäre er nicht ihr blutbesprengter Schleppträger und zuletzt ihr Opfer geworden …

Unablässig erschallte seit Mitte des Jahres 1793 sein Ruf nach »Säuberung«. Gegen Ende des Jahres stellte er gemeinsam mit Philippeaux im Konvent den Antrag, daß jedermann Rechenschaft ablegen solle über seinen Besitz vor und nach der Revolution. Der Antrag hört sich spartanisch an, und man könnte meinen, daß allen Wucherern und Schiebern der Schreck in die Glieder fuhr, aber dieser Antrag zielte nicht nach dem unrechtmäßig erworbenen Gut, sondern nach der Gesinnung des Erwerbers. Er nimmt sich aus wie strengste Rechtlichkeit und war doch kaum anderes als politische Schnüffelei. Im Konvent erhob sich alsbald heftiger Widerstand. Die Gemäßigteren aus dem Jakobinerklub hatten sofort begriffen, daß es sich hier nur um ein Manöver handelte, das abermals eine Anzahl Volksbeauftragter denunzieren und vernichten sollte. Der Konvent ging nach einer stürmischen Auseinandersetzung zur Tagesordnung über, und alles, was schob und wucherte, mag erleichtert aufgeatmet haben. Aber hatte der Konvent die »Säuberung« abgelehnt, so vollzog sie dafür der Jakobinerklub, indem Robespierre aus ihm alle verdächtigen ci-devant-Adeligen (welcher ci-devant wäre ihm nicht »verdächtig« gewesen?!), alle Bankiers und alle Fremden ausschloß, unter den letzten auch den Baron Cloots, den »Sprecher des Menschengeschlechts«, der als Volksbeauftragter des Departements Seine-et-Oise im Konvent saß. Doch der Gegensatz zwischen ihm, seinen Gesinnungsgenossen und Robespierre klaffte zu stark, als daß er auf die Dauer durch die Klubgemeinschaft hätte überwunden werden können. Dieser Gegensatz und die Ausstoßung Cloots sowie die ein wenig später erfolgende Héberts hängt mit dem tiefsten Zug in Robespierres Wesen zusammen, und wenn er in ihnen Schädlinge der Freiheit sah, so tat er ihnen zu gleicher Zeit unrecht und recht. Unrecht, denn sie dachten gewiß nicht daran, die Monarchie wiederaufzurichten oder mit den feindlichen Mächten insgeheim zu verhandeln, recht, denn sie vergewaltigten eine höhere Freiheit als die politische – die Gewissensfreiheit.


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