Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Viertes Kapitel.
Eine wichtige Begegnung

Der kleine Kreis im Gasthaus zum »Weißen Hund« war durch zwei fanatische Angler erweitert worden. Frau Banner hatte ihrem Tisch eine Platte einfügen müssen und die zwei Bedienten der neuen Gäste mehrten ihre Müh' und Not, statt sie zu erleichtern, denn diese wichtigthuenden Herren schienen anzunehmen, daß sie einen Brunnen mit kochendem Wasser im Hof haben müsse, geradezu einen Geiser. Die Mahlzeit verlief heiter und angeregt, man unterhielt sich lebhaft, aber Kinloch wurde nicht nach seinem Abenteuer gefragt und niemand schien anzunehmen, daß ihm etwas Merkwürdigeres, als etwa ein Kaninchen oder ein Lamm über den Weg gelaufen sein könne! Technische Ausdrücke der edlen Angelkunst flogen hin und her, Angelerlebnisse wurden ausgekramt und die allgemeine Verachtung traf einen dunklen Ehrenmann, der mit einem Wurm statt mit Fliegen Forellen geangelt hatte.

Goring aß mit vorzüglichem Appetit, Kinloch dagegen lehnte Kalbskoteletten schroff ab. Nach Tisch schlug Goring ein Spielchen vor und fand auch zwei gleichgesinnte Seelen, die mit ihm zu den Karten griffen. Whiting und der General setzten sich vor die Hausthüre, um weitere Geheimnisse des Fischfangs zu erörtern, und Kinloch griff nach Andersons: »Stille Gedanken über die Vorteile beim Angeln«. Allein diese Gedanken waren für seine jetzige Gemütsverfassung gar zu still, und so nahm er einen neuen Roman vor, der zwar gut geschrieben war, aber doch nicht die Kraft hatte, ihn zu fesseln. Was er kurz vorher in Wirklichkeit erlebt hatte, schien ihm anziehender und aufregender. Sich in ein reines Kind, in eine wilde Blume wie Peggy Summerhayes zu verlieben, wäre ja, wie er genau erkannte, bodenlos thöricht gewesen! Trotzdem wollten ihre Augen nicht von ihm lassen und ein strahlendes Gesichtchen voll Jugendlust und Wärme blickte unter einem großen Schutzhut hervor zwischen den Blättern seines Buchs heraus, bis er dieses ungeduldig beiseite legte und zu den beiden Herren vor die Hausthüre trat.

Auch die Beschreibung einer Riesenforelle, die der General einmal beinahe gefangen, aber wieder losgelassen hatte, verfehlte ihren Zauber, und so steckte sich Kinloch eine Pfeife an und wanderte allein in die laue duftige Mainacht hinaus, ziellos, wie er meinte, bis er mit einemmal im Dunkel der mächtigen Linden stand, die den Eingang zum Travenorschen Hof beschatteten. Er stützte die Ellbogen auf das Gartenthor und sah zum Haus hinauf.«

Das Erdgeschoß war erleuchtet und die Fenster standen weit offen; hinter dem einen sah er hie und da ein gesenktes braunes Köpfchen auftauchen und ein Rosakleid schimmern. Dann ging er weiter, beschämt, schuldbewußt – was war ihm nur in den Sinn gekommen, bei diesen schlichten, braven Leuten zu spionieren? Wie war er, Geoffroy Kinloch, dazu fähig gewesen?

Eine andre innere Stimme erklärte zwar laut, daß dies keine Missethat sei, daß in all diesen niederen Häusern offene Thüren und Fenster förmlich zum Einblick aufforderten. Das war so Sitte im Dorf und zwar eine freundliche angenehme Sitte, die einem zuweilen krause Nackenlöckchen im Lampenlicht zeigte! Trotzdem war seine Stimmung unbehaglich geworden, wie immer, wenn der Mensch etwas gethan hat, das seinem Wesen widerspricht, und er war ein ernsthafter Mann, für den es keine Narrenfreiheit gab.

Dagegen erhob sich nun wieder eine Stimme und fragte, ob es denn nicht etwa die größte Narrheit sei, sein ganzes Leben dem Dienst zu opfern, nicht höchste Unvernunft, in Mathematik, Ranglisten und Drill aufzugehen.

Sein Abendspaziergang wurde weit ausgedehnt; traumverloren wanderte er über tauige Wiesen, wellige Hügel hinauf und hinab, und dabei begleitete ihn das Mädchen wie am Nachmittag – sollte sie es sein, die er unbewußt so lange, ach so lange schon erwartet hatte?

Es war schon Mitternacht, als Kinloch in den Gasthof zurückkehrte. Die Kartenspieler waren noch sehr vertieft. Goring verlor schweres Geld; mit funkelnden Augen, zuckenden Nüstern, fest zusammengepreßten Lippen saß er da – der richtige Spieler. Kinloch kannte diesen Ausdruck auf seinem Gesicht. Leise zog er die Thüre wieder zu; keiner von den Spielern hatte ihn bemerkt.

* * *

»Die Fliege überm Bach!« war die große Neuigkeit des folgenden Morgens, und wenigen Insekten, mit Ausnahme der ägyptischen Heuschreckenschwärme, mag es je gelungen sein, eine solche Bewegung hervorzurufen. Alles schrie nach Stiefeln, warmem Wasser, Kaffee oder Thee, der Hauseingang war durch Angelgeräte versperrt, und Frau Banner glühte vor Anstrengung, galt es doch, sechs einzelne Frühstückskörbe bereit zu machen!

Um neun Uhr lag dafür Nieder-Barton in tiefer Stille, am Bach aber herrschte ein andres Leben als gestern. Nicht nur der »Weiße Hund« hatte seine Fremden samt ihren Dienern ausgesandt, jedes Wirtshaus meilenweit in der Runde schien sich vornehmer Gäste rühmen zu können. Auf jedem der Holzbänkchen saß ein Angler, mit triumphierendem Blick die alte Weisheit verkündigend: »Wer zuerst kommt, mahlt zuerst,« und dazwischen mußten sich viele mit Stehplätzen begnügen. Im Laufe des Tages wurde es drückend heiß, aber der Sport gedieh vorzüglich, man hatte Südwestwind, der Fisch kam übermütig an die Oberfläche und die Körbe füllten sich mit Forellen. Besonders Kinloch hatte ganz verdächtiges Glück. Schließlich muß aber alles ein Ende nehmen und nach sechs Uhr abends lenkten Goring und er mit sonnverbrannten Gesichtern ihre Schritte dem gastlichen Obdach zu.

Sie waren über die Wiese gegangen und befanden sich ganz in der Nähe des gestrichenen Verhauthors, als Kinloch zwei weibliche Gestalten bemerkte – sollte er sich freuen oder darüber erschrecken, daß eine davon Peggy war? Sie trug heute ein weißes Kleid und hatte große Zweige blühenden Rotdorns im Arm, was ihr allerliebst stand. Neben ihr wandelte ganz wohlerzogen ein sauber gewaschenes Lamm. Die große, sein aussehende Dame an ihrer andern Seite mußte wohl die Schwester sein.

Jetzt kamen sie näher, und in Peggys Augen leuchtete ein freudiges Erkennen auf. Kinlochs Begleiter war ganz der Mann, den Reiz dieses Frühlingsbildes zu würdigen, und rief halblaut: »Nun, das muß ich sagen!« um im nächsten Augenblick hinzuzuspringen, das Thor zu öffnen und mit dem Hut in der Hand festzuhalten, als ob sich's um den Durchgang königlicher Prinzessinnen handelte. Seine beweglichen Züge drückten unendliches Staunen aus, als die lichte Gestalt der niedlichen Frühlingsgöttin Kinloch mit strahlendem Lächeln begrüßte.

»Wie geht es Ihnen ... leider habe ich, wie Sie sehen, keine Hand frei! Hanna, das ist der Herr, von dem ich dir erzählte, der Teddy gestern aus dem Wasser gezogen hat ... Herr Hauptmann Kinloch, meine Schwester.«

Frau Travenor nahm ihn ernsthaft in Augenschein.

»Ein großes Glück für den Jungen, daß Sie zur Stelle waren,« bemerkte sie, seine Verbeugung erwidernd.

»Ach, das Wasser war ja nur knietief! Ich bin überzeugt, Fräulein Summerhayes wäre ebenso hineingesprungen und würde den Jungen gerettet haben!«

Den unbeteiligten Zuschauer zu spielen, war für Goring neu, und er ließ, da die Zunge vorläufig schweigen mußte, die Augen um so deutlicher reden. Das war ja wahrhaftig nicht das alltägliche hübsche Landmädchen, sondern eine Erscheinung so eigenartig, fein und durchgeistigt, daß ihr eine große Zukunft gewiß war, sobald sie ihrer Macht einigermaßen inne werden würde, einer Zukunft, die weitab lag von diesem schläferigen Dorf, dieser mißvergnügten Schwester und dem blökenden Bäh-Schaf!

Hauptmann Gorings verzehrender Blick ruhte eine Weile auf Peggys Gesicht, ohne daß sie ihn gefühlt hätte. Jetzt sah sie auf und ihre Blicke begegneten sich; rasch senkten sich die langen seidenen Wimpern auf die erglühende Wange. Ja, Goring mit der kecken Sportmütze auf dem Kraushaar, dem hübschen lebensfrohen Gesicht paßte gut in das Frühlingsbild!

Kinloch und Frau Travenor hatten das wortlose Drama wohl beobachtet. – Ob sie wohl daran dachten, daß solche Augenblicke manchmal das Leben auf Jahre bestimmen?

»Darf ich den Damen meinen Kameraden vorstellen ... Hauptmann Goring,« sagte Kinloch, den die Stille peinigte. »Wir sind dem Angelsport zu Ehren hier.«

Er stieß die Worte abgerissen, mit harter, rauher Stimme heraus. Frau Travenor neigte den Kopf mit leisem Lächeln; sie war eine schlanke dunkeläugige Frau von etwa dreißig Jahren mit einem Zug von Lebensüberdruß und Mißvergnügen um die Mundwinkel. Kleidung und Erscheinung waren die einer Gutsherrin, nicht einer Pächtersfrau.

»Und war der Sport ergiebig?« fragte sie mit kühler Höflichkeit.

»Allerersten Rangs,« versetzte Gorings warme, einschmeichelnde Stimme. »Sie werden mir hoffentlich die Ehre erweisen, einen Teil der Beute anzunehmen?«

Er löste rasch den Riemen und ließ sie in den silberglitzernden Korb sehen.

»Sehr freundlich,« erwiderte sie mit einem flüchtigen Blick auf Peggy. »Aber Sie haben gewiß Freunde, die ...«

»Ich werde die Fische rechtzeitig vor Tisch schicken,« entgegnete er mit seinem unwiderstehlichsten Lächeln und fragte dann Peggy, ob sie nicht auch angle.

»O nein,« rief sie errötend. »Um keinen Preis! Ich finde es grausam!«

»Grausam? Die sanfteste aller Jagden?«

»Sanft? Den ganzen Tag lebende Fliegen am Haken zu spießen?« rief sie beinahe leidenschaftlich.

»Jetzt besteigt meine Schwester ihr Steckenpferd,« sagte Frau Travenor entschuldigend. »Wenn sie auf Tierschutz kommt, findet sie kein Ende, und wir müssen nach Hause!«

Auch das Lamm hatte durch wuchtige Stöße mit dem wolligen Kopf seiner Herrin zu verstehen gegeben, daß die Unterhaltung für seinen. Geschmack lange genug gedauert habe.

»Wohl ein besonderer Liebling?« bemerkte Goring, ihm den Kopf tätschelnd, und hätte ihn Kinlochs Nähe nicht im Zaum gehalten, so würde er sicher hinzugefügt haben: »Beneidenswertes Geschöpf!«

Frau Travenor entführte mit leichter Verbeugung gegen beide Herren ihre hübsche Schwester.

»Solch ein Heimtücker wie du!« legte Goring los, sobald die Damen außer Hörweite waren. »Solch ein Heuchler! Von dieser Bekanntschaft keine Silbe verraten! Solch ein Mädchen kennenlernen und ihr noch dazuhin nach altem Romanrezept als Lebensretter und Held beispringen können! Fandest du's etwa nicht« der Mühe wert, diese Begegnung zu erwähnen?«

»Allerdings,« sagte Kinloch, dieses Mal in der That ein Heuchler. »Ich dachte nicht an die Möglichkeit, Fräulein Summerhayes ein zweites Mal zu treffen, und konnte nicht annehmen, daß du dich dafür interessieren würdest, besonders weil du mir heute sagtest, daß du morgen gehen willst.«

» Jetzt nicht mehr, bei Gott!« beteuerte Goring.

»Und weshalb nicht?«

»Weil wir jetzt Aussicht auf Sport höheren Rangs haben.«

Die Antwort ließ zweierlei Deutungen zu, Kinloch hielt es aber für geraten, sich nicht darauf einzulassen.

»In meinem ganzen Leben hab' ich kein so hübsches Mädchen gesehen,« gestand Goring mit einem tiefen Atemzug.

»Das sagst du alle vierzehn Tage mindestens einmal.«

»Diese Augen, dieser Ausdruck! Ich glaube, daß du mir dein Abenteuer absichtlich verschwiegen hast, alter Brummbär, aus Angst, ich könnte mich in sie verlieben!«

»Oder sie sich in dich?«

»Das wird vermutlich geschehen,« versetzte Goring frohgemut, »ich habe gar nichts dagegen – die Schwester wird hoffentlich drauf halten, daß sie den Schutzhut trägt, denn diese Haut!«

»Ja, und vollkommen echt, keine Schminke!«

»Gescheit wird sie ja schwerlich sein – unterhaltend für einen Nachmittag, nicht fürs Leben. Ein Sommerliebchen, meinst du nicht?«

»Ob Sommer oder Winter, kann dir doch einerlei sein!«

»Die Liebe vom Zigeunerstamme« trällernd ging Goring ohne weitere Bemerkungen bis ins Wirtshaus zurück, wo er mit einer bei ihm auffallenden Sorgfalt die Forellen für Frau Travenor ordnete, die schönsten aus seinem und aus Kinlochs Korb zusammenlesend. Ein paar Zeilen in seiner kühnen, ansprechenden Schrift geleiteten die Sendung, und nicht einmal die Karten hielten ihn an diesem Abend fest; er war seltsam unruhig und machte noch einen langen Mondscheinspaziergang.


 << zurück weiter >>