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Sechzehntes Kapitel.
Peggys erst es Auftreten

Endlich war das Spiel vorüber; die Himmelblauen hatten gesiegt. Die Zuschauermenge zerstreute sich, und Goring lenkte sein etwas störrisches Pferd aus dem Kreis, innerlich seelenvergnügt über das Aufsehen, das seine Frau erregt hatte. Eine unerwartet große Anzahl von Kameraden hatte sich herbeigedrängt, um ihr vorgestellt zu werden, und die hübsche Peggy von Nieder-Barton hatte ganz stattlich Hof gehalten.

Als sich die Kunde von Gorings Verlobung verbreitet hatte, waren verschiedene Lesarten aufgetaucht. Eine Kellnerin, Putzmacherin oder Choristin sollte seine Auserwählte sein, und daß Gorings Wahl auf eine dieser Berufsklassen gefallen sein möchte, wurde willig geglaubt. Dann war rechtzeitig ein Brief von Hauptmann Kinloch nach Dublin gelangt, der den Thatbestand feststellte: ein Mädchen aus verarmter adeliger Familie, in der Stille eines entlegenen Dorfs aufgewachsen. Jetzt erst verwunderte man sich, denn daß Taffy Goring die Lebensgefährtin abseits von der großen Heerstraße suchen würde, das war überraschend. Die Damen des Regiments, die ihn durchaus nicht liebten, nahmen sich vor, die junge Frau um so herzlicher zu empfangen. Hätten sie geahnt, wie wenig Gegenliebe sie finden sollten!

»Ich sage dir, Schatz,« sagte Goring, in schlankem Trab durch den Park fahrend, »du mußt dir eine Menge Sachen anschaffen, Kleider, Hüte, Mäntel, alles pikfein – zahlen werde ich schon.«

»Ist schon geschehen! Frau Catchpool war ganz deiner Meinung und wählte verschiedenes für mich aus: einen Mantel, ein Theekleid und einen Hut. Du wirst entsetzt sein, wenn du den Hut siehst und erst die Rechnung!«

»Wieso? Was ist's mit dem Hut?«

»Schrecklich auffallend! Halb Eisenbahnsignal, halb Lampenschirm!«

»Um so besser! Bestell dir nur gleich sechs Hüte von dem Schlag, sechs Theekleider und Abendmäntel!«

»Das werde ich hübsch bleiben lassen! Solche Verschwendung!«

»Du sollst aber gut gekleidet sein!« erklärte Goring in einem Anfall von Großmut. »Ich bin furchtbar stolz auf meine hübsche Frau, die hübscheste in ganz Dublin, was bekanntlich viel sagen will, und daß die Kinderkleidchen aus Nieder-Barton nicht für deine jetzige Stellung und Erscheinung passen, siehst du doch wohl ein.«

»O Charlie, du fandest doch das Dunkelblaue so hübsch, und mein Brautkleid hat zehn Pfund gekostet.«

»Und wenn's hundert gekostet hätte, es hat keinen Schick! Du wirst jetzt zu Diners, Bällen und Theegesellschaften kommen.«

»Im Regiment natürlich?«

»Keine Rede! Da ist blutwenig los, und je weniger du von den Offiziersfrauen zu sehen bekommst, desto besser. Die Oberstin hat mich seit Monaten nicht eingeladen; sie findet, daß ich ein gefährliches Subjekt sei, ein schwarzes Schaf und ein böses Beispiel für ihre Lämmer. Wenn sie einmal ihre lange Nase zu uns hereinstreckt, sei dessen eingedenk! Frau Timmins ist ein Gänschen, und Timmins ist ihrer würdig, die reine Milchsuppe. Dann kommt noch Frau Hesketh, Kinlochs Cousine, in Betracht. Wenn sie kommt, so sage nur ja nichts Böses über Kinloch ...«

»Wie käme ich dazu, Charlie? Ich hab' ihn ja so gern!«

Wirklich? Nun, die Liebe ist gegenseitig; er meint, du seiest viel zu gut für Taffy Goring.«

»Ach, Charlie! Spaß beiseite – ich möchte etwas mehr über Frau Hesketh wissen.«

»Sie will sich mit aller Gewalt ›beliebt‹ machen und nimmt sich mit Mama Vallancy der jungen Frauen an, ist aber die Schlimmste von der Bande. Seit ich ihrem Hund die Rippen entzwei gebrochen habe, behandelt sie mich schlecht.«

»Aber, Charlie, das hast du doch nicht gethan?«

»Gewiß hab' ich's gethan!« versetzte er, sein Pferd mit einem scharfen Peitschenhieb antreibend. »Hunde sollen einem nicht in den Weg laufen, und daß sie Rippen haben, ist überhaupt eine Anmaßung! Ich bin sehr froh, daß Frau Catchpool sich deiner annimmt; wenn du dich an sie hältst, wirst du Vergnügen genug haben. Sie wird dich auch gelegentlich in ihrem Wagen mitnehmen, denn mit einem Reitpferd und zwei Poloponies kann ich mir kein Fuhrwerk leisten. Hadfield leiht mir zwar öfter das seine, aber natürlich braucht er's hie und da auch selbst. Immerhin ist er mein Untergebener und – hier wären wir an Numero siebzig.«

Am Tag darauf kam die Oberstin, eine schmächtige, vornehm aussehende Dame, mit geschmackvoller Einfachheit gekleidet. Peggy empfing die Frau, die ihren Charlie für ein schwarzes Schaf hielt, mit gebührender Steifheit, die aber wohlwollend als Schüchternheit aufgefaßt wurde. Doch je herzlicher Frau Vallancy der jungen Frau entgegenkam, desto deutlicher wurde ihre abwehrende Haltung.

»Ich würde mich sehr freuen, wenn Sie und Ihr Mann am Dienstag bei uns speisen wollten,« sagte sie schließlich, den Besuch abkürzend, weil kein Gespräch in Fluß kommen wollte.

»Sehr freundlich – ich werde es meinem Mann bestellen.«

»Hoffentlich wird er keine Abhaltung haben! Uebrigens, da fällt mir ein« – Frau Vallancy erhob sich, um zu gehen – »Ihre Heimat ist in der Nähe von Bridgeford?«

»Ja, in Nieder-Barton.«

»Dann sind wir richtige Landsleute! Mein Bruder bewohnt Schloß Tratton.«

»Tratton?« wiederholte Peggy errötend. »Wo das Hochwild unmittelbar von dem Wildstand Eduards des Bekenners abstammt?«

»Ja; kennen Sie Schloß und Park?«

»Ich war nur einmal dort, bei einem Sonntagsschulausflug. Es ist das Schönste, was ich je gesehen habe!«

»Freut mich, daß es Ihnen gefiel. Tratton ist mein Geburtshaus, meine Heimat. Auf Wiedersehen am Dienstag!«

Peggy war so betäubt von der Erkenntnis, daß sie eine Tochter aus dem Hause Tratton – für Nieder-Barton etwa gleichbedeutend mit Windsor – schlecht behandelt hatte, daß sie nicht im stande war, der Jungfer zu klingeln, und die Oberstin sich allein aus dem Haus finden mußte. Frau Hesketh und Frau Timmins kamen miteinander, trafen Peggy aber nicht an; die ledigen Regimentskameraden stellten sich zu zweien und dreien ein und viele verheiratete Damen auch aus andern Regimentern gaben ihre Karten in Nr. 70 der Bourkestraße bei der hübschesten Frau von Dublin ab.

Peggy hatte Anpassungsvermögen und begriff rasch. Sie bemerkte bald, daß andre Salons anders aussahen als der ihrige, daß ihre Haartracht veraltet war und daß ihr Wortschatz der Bereicherung bedurfte, weshalb sie sich schleunig Ausdrücke wie »süß«, »elend«, »fesch«, »schick«, »scheußlich« und andres beilegte! Sie mußte ja alles aufbieten, uni Charlie zufriedenzustellen, und er beobachtete ihre Anstrengungen mit heiterer Genugthuung.

Ihr erstes Auftreten in der Geselligkeit war eine ziemlich saure Arbeit. Als Frau Catchpool ihr zu Ehren ein großes Diner gab, erschien Peggy in weißer Seide, mit Charlies Perlenschnur, vom ersten Haarkünstler frisiert. Sie sah entzückend aus, war aber furchtbar befangen; nur der Anblick ihres Mannes in tadellosem Gesellschaftsanzug stärkte ihren Mut.

Die Damen waren bei dieser Gelegenheit in der Minderzahl. Die Hausfrau selbst überstrahlte ihre Gäste. Künstliches Licht war ihr Fall, und Peggy, die sie seither am Morgen als hohläugiges Gerippe kennen gelernt hatte, war ganz verblüfft von ihrer Schönheit. Weicher, rosa Seidenkrepp umfloß die Gestalt und verdeckte mit üppigen Falten deren rechtwinklige Linien, Diamanten funkelten in den hochgelben Haaren, an Hals und Kleid, die Gesamtwirkung war nicht gerade vornehm, aber strahlend. Fräulein Gussie trug tomatenfarbigen Samt mit gewagtem Ausschnitt, sichtlich ein Pariser Kleid; zwei Fräulein Milton, Engländerinnen, die Frau Catchpool irgendwo kennen gelernt hatte, und die sich in Weiß und Gold wie zwei zierliche Liebhaberbände lyrischer Gedichte ausnahmen, und eine Madame Paradiso, eine pikante französische Witwe in verblüffendem Anzug, bildeten den Mittelpunkt des weiblichen Teils der Gesellschaft, dem eine Frau Sherlock und Tochter, Cousinen vom Lande, in abgetragener schwarzer Seide höchstens als Hintergrund dienen konnten.

Frau Goring wurde vom Hausherrn zu Tisch geführt. Das Speisezimmer machte ihr einen wahrhaft fürstlichen Eindruck; silberne Schalen mit ausländischen Blumen, funkelndes Krystall, große Leuchter mit gelbbeschatteten Kerzen, alles war so festlich und glänzend, daß es dem Landkind fast den Atem benahm. Die Unmasse von Gläsern und Gabeln, die sie bei ihrem Gedeck vorfand, die Länge der Speisenliste, die ihr der Hausherr reichte, alles war beängstigend, letztere um so mehr, als sie die französischen Benennungen nicht verstand – was mochte ein »Filet à la Ravigotte« sein und was ein »Caneton aux Olives?« Nun, von allem brauchte sie ja nicht zu essen, und was die Gläser betraf, so trank sie nur Wasser!

Mittlerweile hatte die Tischgesellschaft Platz genommen, die Servietten entfaltet und Gespräche eröffnet. Peggy sah ihren Tischnachbar näher an. Er war ein großer, hagerer Mann mit kahlem Kopf, borstigen Augenbrauen, freundlichen braunen Augen und einer gewissen Aengstlichkeit im Ausdruck, die man teils der Verantwortlichkeit für Frau Netty zuschrieb, teils seiner zunehmenden Taubheit, die er immer noch zu verbergen suchte. Sehr gesprächig war er nicht, dagegen ging's am oberen Ende des Tisches, wo die Hausfrau saß, um so lebhafter her, und schließlich rief diese mit klingender Stimme hinunter: »Ihr wollt ja gar nicht auftauen! Frau Goring, Sie müssen meinen Mann ein wenig anfeuern! Wenn Sie von alten Stichen reden, kommt er gleich in Zug!«

Diese Aufgabe ging nun über Peggys Vermögen, aber ihr gutes Herz trieb sie, wenigstens den Versuch zu machen. Von den Bildchen auf Tischkarten zu den Bildern an der Wand zu gelangen, war nicht sonderlich schwierig, und da ihr Wirt mit wahrer Freude darauf einging, waren sie bald in eifrigem Gespräch begriffen, denn Herr Catchpool erzählte ihr jetzt von zwei wertvollen Morlands, die er bei einem Antiquar am Wellington Quai unter altem Quark aufgestöbert, und einigen Hogarths, die er bei einem Trödler gefunden hatte. Zum Glück fielen Peggy die alten Stiche ein, die im Travenorschen Haus hingen.

»Der Glückliche!« rief Catchpool, dem es selten zu teil ward, daß die Gäste seiner Frau sich mit ihm unterhielten und noch dazu über sein Steckenpferd. »Ihr Herr Schwager ist wohl ein Kenner, bekannter Sammler?«

»O nein, er sammelt nichts! Eigentlich gehören diese Stiche meiner Schwester und mir,« erwiderte Frau Goring.

»Wie – wie sagten Sie?« fragte er, die Hand ans Ohr haltend.

»Mein Schwager macht sich nichts aus Stichen,« erwiderte Peggy, lauter und deutlicher sprechend. »Er ist mit Leib und Seele Landwirt.«

Es war gerade eine Pause in den Gesprächen eingetreten, die ihre helle Sopranstimme deutlich durchdringen ließ, und eine peinliche Stille trat ein. Schon spitzte Fräulein Gussie den Mund, um eine spöttische Bemerkung hinzuwerfen, als Goring ihr eine Blume zuwarf, die sie sofort mit einem Bonbon erwiderte. Sein nächstes Wurfgeschoß war ein Stückchen Brot, das ihrige eine Maccaroninudel, die glücklich an seiner Nase hängen blieb, worauf die Heiterkeit allgemein und sehr stürmisch wurde, bis Frau Catchpool bemerkte, wie mißbilligend die Cousinen vom Lande diesen geistreichen Scherz beobachteten, und dem auf allen Flanken beginnenden Ballspiel ein Ende machte. Nun wurde mit erneuter Lebhaftigkeit geredet und offenbar kam am oberen Tischende die Schönheitsfrage aufs Tapet, denn Frau Nettys schrille Stimme ließ sich mit einemmal vernehmen: »Frau Hesketh eine Schönheit! Diese Idee! Sie sieht ja so zart aus, daß man immer Angst hat, sie könnte einem in der Hand zerbrechen! Und Fräulein Jones – Sie werden doch nicht verlangen, daß ich ein Mädchen hübsch finde mit einer Haut wie ein gesottenes Huhn?«

»Aber, meine Gnädige, Sie sind ungerecht!« erwiderte ein wohlbeleibter Herr mit rotem Gesicht und blondem Schnurrbart. »Keine Frau wird je der andern gerecht.«

»Vielmehr ist der Geschmack sehr verschieden! Das gebe ich gerne zu, Major, aber ich habe Gott sei Dank gute Augen,« versetzte sie mit einem bedeutungsvollen Blick auf seinen Kneifer. »Uebrigens – haben Sie das Neueste von ›Brutus‹ schon gelesen?«

»Nein, noch nicht.«

»Verschaffen Sie sich's doch! Wird Sie sehr amüsieren!«

»Hm – wie ich höre, soll's starker Tabak sein! Der Verfasser ist selbstverständlich eine junge Dame?«

»Falsch geraten! Dieses Mal ist's ein Mann, und zwar kenne ich ihn persönlich. Es war sogar die Rede davon, daß ich seine Mitarbeiterin werden solle,« setzte sie lachend hinzu. »Ich hätte dann die Männer, er die Frauen in der Geschichte übernommen.«

»Ich wußte gar nicht, daß Sie schriftstellerischen Ehrgeiz haben?«

»Bis jetzt habe ich ihn noch nicht bethätigt,« sagte Frau Catchpool. »Ich warte die Entwickelung einiger problematischen Fälle im wirklichen Leben ab.«

»Was für eine Persönlichkeit ist denn dieser ›Brutus‹?« fragte ein Fräulein Milton bildungsbeflissen.

»Die unanständigen Charaktere in seinen Romanen sind nach seinem Bild gezeichnet,« gab Frau Netty zum Bescheid.

»Dann wundere ich mich, daß Sie mit ihm verkehren,« bemerkte der Major.

»Jedenfalls ist die Handlung im letzten höchst unwahrscheinlich – rein unmöglich,« erklärte Madame Paradiso achselzuckend.

»Das glaube ich,« sagte ein verständig aussehender, bartloser Herr, »denn sie soll haarklein nach dem Leben geschildert sein bis auf die Küchenfenster und Schuhkratzer hinaus.«

»O Herr Lynch, das kann nicht sein!« hielt ihm Gussie entgegen. »Welche Frau würde sich in der Stunde, wo ihr Mann sich erschossen hat, auf sein Bankbuch stürzen?«

»Ich dachte, Sie hätten das Buch nicht gelesen?«

»Man hat mir davon erzählt,« sagte sie leichthin.

»Im wesentlichen beruht der Inhalt auf Thatsachen, und die Wirklichkeit ist bekanntlich immer kühner als die Erfindung. Der Dichter hält gelegentlich inne und verschleiert manches, das Leben scheut vor nichts zurück; die Dichtung bricht ab, wenn es ihr zu bunt wird, die Wirklichkeit führt alles zu Ende. Ich habe im Leben oft genug Unwahrscheinliches, sogenannte Unmöglichkeiten gesehen, die Thatsachen waren.«

»Dazu haben ja Juristen hervorragende Gelegenheit,« stimmte die Wirtin bei, »und wir haben alle vom ›Lynch‹-gesetz gehört! Ich glaube aber nicht, daß Sie Seltsameres erlebt haben als ich – das ließe ich drauf ankommen!«

»Wetten wir, gnädige Frau?« versetzte Lynch.

»Wieviel?«

»Sogar eine halbe Guinea!«

»Frau Goring, sagen Sie meinem Mann, daß er mir eine halbe Guinea heraufschicken soll!« rief Frau Catchpool. »So, Herr Lynch – Sie fangen an! Was ist das Seltsamste, was Ihnen je vorkam?«

»Nach Ihnen, bitte! Damen haben den Vortritt!«

»Nein, Frauen haben das letzte Wort.«

»Das ist auch. wieder richtig, und der erste Schlag entscheidet den Kampf. Lassen Sie mich's ein wenig überlegen. – Zum Seltsamsten, was ich erlebt habe, gehörte eine Gesellschaft, wo ein geschiedenes Paar sich zu Tisch führen mußte.«

»Wissen Sie nichts Erstaunlicheres? Dem fühle ich mich gewachsen, denn ich – ich habe einmal eine kirschfarbige Katze gesehen!«

»Eine kirschfarbige Katze!« rief das jüngere Fräulein Milton. »Unmöglich!«

»Ganz gewiß!. Und ihre Pfötchen waren rosenfarben. Was sagt ihr dazu?«

»Daß es gar keine Katze war,« bemerkte ein Herr.

»Daß sie es selbst ist!« rief Fräulein Gussie. »Ihr Kleid ist kirschfarben und an der Katzennatur fehlt's nicht.«

»Falsch, falsch! Soll ich's erklären?«

Allgemeine Zustimmung.

»Nicht sehr scharfsinnig seid ihr,« begann Frau Catchpool herablassend. »Hat denn keins von euch je schwarze Kirschen oder weiße Rosen gesehen?«

»Oho!« stöhnte der Gegner. »Eine solche Mausefalle! Dafür bleibe ich in Ihrer Schuld – ...«

»Mit der halben Guinea werden Sie nicht in meiner Schuld bleiben,« sagte die Hausfrau, ihre offene Hand ausstreckend. »Barzahlung ist bei uns Losungswort.«

Diese Bemerkung erregte eine stürmische Heiterkeit, die für Peggy so unverständlich war, daß sie sich mit Beklommenheit Mangel an Humor zum Vorwurf machte! Später sollte sie inne werden, weshalb dieser Witz so viel Anklang gefunden hatte.

Als bald darauf die Tafel aufgehoben worden war und die Damen sich in den Salon verfügt hatten, machte die junge Frau große Augen, als mehrere davon zierliche Cigarettenetuis hervorzogen und ein allgemeines Rauchen begann, woran sich, nur Peggy selbst und die Damen Sherlock nicht beteiligten.

»Sie werden's bald lernen,« rief Frau Catchpool. »Ohne meine Cigarette nach Tisch könnte ich nicht leben – das ist meine Friedenspfeife! Die Spanierinnen und Russinnen rauchen alle, weshalb wir nicht? Nur bei uns ist man so altmodisch und zimperlich.«

»Stelle den Satz nicht so allgemein auf,« kreischte Fräulein Gussie. »Ich bin wahrhaftig nicht altmodisch und mein schlimmster Feind kann mich keine Zimperliese nennen!«

Ungeheure Heiterkeit.

»Meine liebste Frau Goring, Sie sehen einfach süß aus!« bemerkte Frau Catchpool. »Wenn ich doch auch Weiß tragen könnte! Aber für meinen Geschmack kleidet's nur die ganz Jungen oder die Alten! Ich freue mich so, daß Sie singen!«

»Singen? Ich? Aber gewiß nicht!«

»Aber Charlie sagt's doch.«

Wer hatte ihr das Recht gegeben, ihn Charlie zu nennen?

»Ich habe nur im Kirchenchor gesungen.«

»Und für uns thut's Operettenmusik,« erklärte Frau Catchpool mit einem ermunternden Nicken, indem sie mit ihrer Cigarette neben Madame Paradiso auf ein niederes kleines Sofa sank, wo beide Damen eifrig zu flüstern und zu kichern anfingen.

Die sich selbst überlassene Peggy sah sich nach Gesellschaft um. Mutter und Tochter Sherlock standen in der Fensternische, bald nach der Uhr, bald nach der Thüre blickend, wie zwei Gefangene, die lauern, ihrem Kerker zu entrinnen. Peggy gesellte sich zu ihnen; daß sie alle drei nicht rauchten, schuf wenigstens eine gewisse Gemeinsamkeit.

»Ist's nicht ein Greuel!« flüsterte die ältere Dame mit hochgezogenen Augenbrauen. »Sie ist meines verstorbenen Mannes leibliche Cousine, und verwandtschaftliche Gefühle zogen mich her, denn davon hatte ich ja keine Ahnung – wetten, sich mit Speisen bewerfen, rauchen! Ich muß sagen, ich schäme mich, einem von den Dienstboten ins Gesicht zu sehen! Wir warten auf unsre Droschke – zum Glück ist sie schon auf zehn Uhr bestellt, weil ich mich der Nachtluft nicht aussetzen darf.«

»Aber finden Sie denn Frau Catchpool nicht reizend?« fragte Peggy ganz verdutzt. »Mein Mann schätzt sie sehr ...«

»Und da er eine schöne Erscheinung ist, wird er auch von ihr geschätzt werden,« warf Frau Sherlock mit Nachdruck hin. »Männer finden ja zuweilen Gefallen an diesen geschminkten Geschöpfen, meine Meinung ist ...«

Ein Diener, der Kaffee anbot, schnitt diese Meinungsäußerung ab, und Peggy flüchtete sich zu einer Photographieenmappe. Endlich erschienen die Herren bis auf Catchpool, der den Salon seiner Frau nie betrat, und jetzt kam wieder Leben in die Sache. Man scharte sich ums Klavier, und Madame Paradiso trug französische Chansonnetten gewagter Art vor, worauf Frau Catchpool ein Volkslied zum besten gab, dessen Kehrreim von der Gesellschaft mitgebrüllt wurde, daß der Kronleuchter bebte. Dann setzte sich zum größten Erstaunen seiner Frau Goring ans Klavier und begleitete sich, dem Gehör nach, etliche Gassenhauer.

Gleich darauf verabschiedeten sich die Damen Sherlock mit sichtlicher Erleichterung und die beiden Fräulein Milton mit sichtlichem Leidwesen, und noch waren sie nicht in ihre Droschken gestiegen, als schon zwei niedliche Spieltische für Whist und Poker ins Zimmer getragen wurden.

Während der Vorbereitungen zum Spiel trat Frau Catchpool zu Peggy und sagte: »Haben Sie je, außer in Altertumssammlungen, solche Kuriositäten gesehen wie diese Sherlocks? Sie kamen heute sehr früh, und ich konnte sie vollauf genießen. Die Alte beschrieb mir alle Krankheiten und Uebel, die sie von ihrer Geburt bis heute gehabt hat, alle Krankheiten ihres Mannes und sein Sterben, die Leiden zweier Kinder, die an der Schwindsucht hinsiechten, und die Anzeichen dieser Krankheit bei dem einzigen überlebenden Sohn.«

»Das muß lang gedauert haben!«

»Mir kam's vor wie eine Ewigkeit! Jetzt kommen Sie zum Spiel, Herzchen!«

Peggy lehnte diese Aufforderung dankend ab, indem sie erklärte, daß sie sehr ungeschickt im Kartenspiel sei, weder Whist noch Poker kenne und viel mehr Vergnügen haben werde beim Zusehen. Da Frau Catchpool schon einmal die Erfahrung gemacht hatte, daß Peggy nein sagen konnte, fügte sie sich darein, ja sie bemerkte sogar: »Am Ende ist's auch besser, wenn Ihr Mann allein zahlen muß!«

»Zahlen?« wiederholte Peggy erstaunt. »Spielen Sie denn um Geld?«

»Doch nicht um Liebe? Die ist zu wertvoll!«

Die Spieltische wurden rasch umringt, und ein ganzer Haufen Banknoten und Goldstücke wurde in eine Schale gelegt; Charlie schien sich dabei wohl zu fühlen wie der Fisch im Wasser und war am thätigsten bei den Vorbereitungen. Peggy begriff allmählich, worauf es bei dem Spiel ankam, und verfolgte ihres Mannes Schicksal mit gespannter Aufmerksamkeit. Wie ernsthaft all die Gesichter geworden waren! Das »kleine Gesellschaftsspiel« mußte ordentlich eine wichtige Sache sein! Einmal wurde Fräulein Gussie kreideweiß und sah, ihre Lippen beißend, nichts weniger als hübsch aus, und diesem Herrn Gilland standen dicke Schweißtropfen auf der Stirn und seine Hand zitterte.

»Ist das ein Vergnügen?« überlegte Peggy, die gespannten verzerrten Gesichter beobachtend.

Hauptmann Gorings »Schwein«, wie er sich ausdrückte, war »futsch« und er stand gegen zwei Uhr morgens als ein geschlagener Mann von seinem Platz auf.

»Ich glaube, du bringst mir Unglück, Schatz!« sagte er, als sie in der Droschke saßen. »Ich werde nicht mehr spielen, wenn du mir mit deinen großen verwunderten Augen in die Karten siehst.«

»Hast du viel verloren?«

»Ganz anständig – hundertundzwanzig Pfund etwa. Etwas teuer für ein Diner? Das bringe ich aber im Cruiskeenklub bald wieder herein, nur keine Angst, kleine Maus. Ich spiele rasend gern, selbst wenn ich verliere. Es liegt mir im Blut – meine Großmutter hat sogar ihren Trauring verspielt! Diese Frau Catchpool spielt gut und verwegen.«

»Hat sie auch verloren?«

»Heute nicht, sie kann aber auch verlieren wie ein Mann. Solche Frauen passen für mich!«


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