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Eine Silvesterfestlichkeit und eine Trauung

*

(Aus den Aufzeichnungen eines Unbekannten)

1848


Neulich sah ich bei einer Trauung zu … aber nein; ich will doch lieber zuerst von einer Silvesterfestlichkeit erzählen. Die Trauung war ja schön und gefiel mir sehr; aber das andere Ereignis verdient doch zuerst erzählt zu werden. Merkwürdigerweise mußte ich, als ich bei dieser Trauung Zuschauer war, an jene Silvesterfestlichkeit denken. Das hing folgendermaßen zusammen.

Es ist jetzt gerade fünf Jahre her, da erhielt ich für den Silvesterabend eine Einladung zu einem Kinderballe. Der Hausherr, der mich einlud, war eine in der Geschäftswelt sehr bekannte Persönlichkeit, die sehr gute Konnexionen und ausgedehnte Bekanntschaften besaß und an allerlei Machenschaften beteiligt war, so daß anzunehmen war, dieser Kinderball sei nur ein Vorwand für die Eltern, um sich zu einer größeren Versammlung zu vereinigen und so ganz harmlos und gelegentlich von allerlei interessanten Dingen zu reden. Ich war in diesem Kreise ein Fremder und hatte zu diesen interessanten Dingen keine Beziehung; so kam es, daß ich mich den Abend über vielfach auf meine eigene Gesellschaft angewiesen sah. Es war noch ein Herr anwesend, der, wie es schien, gleichfalls zu keiner der hier vertretenen Sippen gehörte, sondern, ähnlich wie ich, zufällig auf dieses Familienfest geraten war. Es war ein hochgewachsener, hagerer Mann, von sehr ernsthaftem Wesen, sehr anständig gekleidet. Aber augenscheinlich war sein Sinn nicht darauf gerichtet, sich zu amüsieren und an den Freuden der Familie teilzunehmen; sooft er sich in irgendeine Ecke zurückzog, hörte er sofort auf zu lächeln und zog seine dichten, schwarzen Augenbrauen finster zusammen. Außer mit dem Hausherrn war er auf dem ganzen Balle mit keiner Seele bekannt. Man sah ihm an, daß er sich sehr langweilte, aber die Rolle des vergnügten, entzückten Gastes tapfer bis zum Ende durchzuführen entschlossen war. Ich erfuhr später, er sei ein Herr aus der Provinz, der in der Residenz ein sehr wichtiges, sehr schwieriges Geschäft zu erledigen habe; er habe unserm Hausherrn einen Empfehlungsbrief überbracht; infolgedessen lasse ihm dieser seine Protektion zukommen, wiewohl durchaus nicht con amore, und habe ihn aus Höflichkeit zu seinem Kinderball eingeladen. Karte wurde nicht gespielt; die Zigarren waren ihm nicht angeboten worden; ein Gespräch hatte niemand mit ihm angeknüpft, vielleicht weil man schon von weitem den Vogel an den Federn erkannte, und so war denn dieser Herr, um nur seine Hände irgendwo zu lassen, genötigt, während des ganzen Abends seinen Backenbart zu streicheln. Sein Backenbart war tatsächlich sehr schön; aber er streichelte ihn mit so beharrlichem Eifer, daß, wer das mit ansah, entschieden auf den Gedanken kommen mußte, zuerst sei nur der Backenbart auf die Welt gekommen und dann erst der Mann an ihn angefügt worden, um ihn zu streicheln.

Außer diesem Herrn, der in der angegebenen Weise an dem schönen Familienfeste des Hausherrn teilnahm (unter den Kindern befanden sich die fünf wohlgenährten Knaben des Hausherrn), fiel mir noch ein anderer Gast auf. Aber dieser war von ganz anderer Art. Er war eine hochwichtige Persönlichkeit und hieß Dmitri Petrowitsch Narkin. Auf den ersten Blick konnte man sehen, daß er ein Ehrengast war und ebenso hoch über dem Hausherrn stand wie dieser über dem Herrn, der seinen Backenbart streichelte. Der Hausherr und die Hausfrau sagten ihm eine Fülle von Liebenswürdigkeiten, behandelten ihn sehr respektvoll, nötigten ihn fortwährend zum Trinken, machten ihm den Hof und führten ihm ihre andern Gäste zum Zwecke der Vorstellung zu, während er selbst zu niemandem geführt wurde. Ich bemerkte, daß dem Hausherrn sogar Freudentränen in die Augen traten, als Herr Narkin im Laufe des Abends sich dahin äußerte, er habe selten seine Zeit so angenehm verbracht wie heute. Es wurde mir ordentlich ängstlich zumute in der Gegenwart eines so bedeutenden Mannes; daher verließ ich den Saal, nachdem ich mich genugsam am Anblicke der Kinder gefreut hatte, und begab mich in einen kleinen Salon, in dem sich kein Mensch befand; hier setzte ich mich in eine der Hausfrau gehörige Blumenlaube, die fast die Hälfte des ganzen Zimmers einnahm.

Die Kinder waren alle außerordentlich nett und hatten gar keine Lust, alles so zu machen wie die Erwachsenen, trotz aller Ermahnungen der Gouvernanten und Mütter. Im Umsehen hatten sie den ganzen Weihnachtsbaum bis auf das letzte Stück Konfekt geplündert, und sie hatten bereits die Hälfte der Spielsachen zerbrochen, ehe sie erfuhren, für wen ein jedes Stück bestimmt sei. Ein besonders angenehmes Wesen hatte ein schwarzäugiger Knabe mit lockigem Haar, der mich durchaus mit seiner hölzernen Flinte totschießen wollte. Doch am meisten zog seine Schwester die allgemeine Aufmerksamkeit auf sich, ein etwa elfjähriges Mädchen, reizend wie eine Amorette, still, sinnig, von blasser Gesichtsfarbe, mit großen, weit geöffneten, nachdenklichen Augen. Die andern Kinder hatten sie irgendwie gekränkt; deswegen ging sie von ihnen weg und kam in denselben kleinen Salon, in dem ich saß; hier beschäftigte sie sich in einer Ecke mit ihrer Puppe. Ich hole hier einige Beobachtungen nach, die ich vorher gemacht hatte. Die Gäste machten wiederholentlich einer den andern mit großem Respekt auf einen reichen Branntweinpächter, den Vater dieses kleinen Mädchens, aufmerksam, und jemand bemerkte flüsternd, es seien als Mitgift für sie schon dreihunderttausend Rubel zurückgelegt. Ich wandte mich um, um mir die Leute anzusehen, die sich für diesen Umstand interessierten, und mein Blick fiel auf Herrn Narkin, der, mit den Händen auf dem Rücken und den Kopf ein wenig zur Seite geneigt, mit gespannter Aufmerksamkeit dem öden Gespräche dieser Herren zuzuhören schien. Ferner konnte ich nicht umhin, die Weisheit unserer Gastgeber bei der Verteilung der Geschenke an die Kinder zu bewundern. Das kleine Mädchen, das schon dreihunderttausend Rubel Mitgift hatte, bekam die prächtigste Puppe. Dann folgten in Abstufungen die übrigen Geschenke, entsprechend den Abstufungen des Ranges der Eltern aller dieser glücklichen Kinder. Das letzte Kind, ein etwa zehnjähriger Knabe, mager und klein, mit rötlichem Haare und Sommersprossen, erhielt nur ein Buch mit Erzählungen, die von der Herrlichkeit der Natur, von Tränen der Rührung und ähnlichen Dingen handelten, ohne Bilder und nicht einmal mit einer Vignette. Er war der Sohn der Gouvernante der Kinder unserer Gastgeber, einer armen Witwe, ein ganz verschüchtertes, ängstliches Kerlchen. Er trug ein Jäckchen von billigem Nanking. Nachdem er sein Büchelchen in Empfang genommen hatte, ging er lange Zeit um die anderen Spielsachen herum; er hatte schreckliche Lust, mit den andern Kindern zu spielen; aber er wagte es nicht; offenbar fühlte und begriff er bereits seine Stellung. Ich beobachte Kinder sehr gern; sie sind überaus interessant bei ihrem ersten selbständigen Auftreten im Leben. Ich bemerkte, daß der rothaarige Knabe von den reichen Spielsachen der andern Kinder, namentlich von einem Puppentheater, bei dem er sehnlich wünschte selbst eine Rolle zu übernehmen, sich dermaßen locken ließ, daß er sich sogar zur Anwendung eines unwürdigen Mittels entschloß. Er lächelte den andern Kindern zu, versuchte, mit ihnen kleine Scherze zu machen, und gab seinen Apfel einem fetten kleinen Burschen, der ein ganzes Säckchen voll Näschereien am Gürtel hängen hatte; ja, er verstand sich sogar dazu, einen andern Knaben huckepack zu tragen, damit sie ihn nur nicht von dem Theater wegjagen möchten. Aber im nächsten Augenblick prügelte so ein kleiner Raufbold ihn gehörig durch. Das Kind wagte nicht zu weinen. Da kam die Gouvernante, seine Mutter, und sagte ihm in strengem Tone, er solle die andern Kinder nicht beim Spiele stören. Der Knabe ging nun in denselben Salon, in dem sich das kleine Mädchen befand. Sie hatte gegen seine Gesellschaft nichts einzuwenden, und beide machten sich sehr eifrig daran, die prächtige Puppe anzukleiden.

Ich saß schon ungefähr eine halbe Stunde in der Efeulaube und war fast eingeschlummert, während ich das kindliche Geplauder des rothaarigen Knaben und des schönen Mädchens mit den dreihunderttausend Rubeln Mitgift mit anhörte, die mit der Puppe viel Sorge und Mühe hatten; da trat plötzlich Herr Narkin ins Zimmer. Er hatte einen tumultuarischen Streit, der unter den Kindern ausgebrochen war, dazu benutzt, unbemerkt aus dem Saale zu verschwinden. Ich hatte beobachtet, daß er einen Augenblick vorher mit dem Vater der künftigen reichen Braut, dessen Bekanntschaft er soeben gemacht hatte, ein sehr eifriges Gespräch geführt hatte über die Vorzüge einer gewissen dienstlichen Stellung vor einer andern. Jetzt nun stand er überlegend da und schien etwas an den Fingern auszurechnen.

»Dreihunderttausend … dreihunderttausend,« flüsterte er. »Elf … zwölf … dreizehn usw. Sechzehn, … noch fünf Jahre! Sagen wir, zu vier Prozent … das sind zwölftausend; mal fünf sind sechzigtausend; nun, und auf diese sechzigtausend noch … na, sagen wir, es werden in fünf Jahren vierhunderttausend sein. Ja! … Aber zu vier Prozent läßt der sein Geld nicht arbeiten, der Gauner! Der nimmt wohl acht oder zehn Prozent. Na, sagen wir, fünfhunderttausend, mindestens fünfhunderttausend; das ist sicher; na, und dann Nadelgeld, hm …«

Er beendete seine Überlegung, schnob sich die Nase und wollte schon das Zimmer wieder verlassen, als er auf einmal das kleine Mädchen erblickte und stehenblieb. Mich konnte er hinter den Efeutöpfen nicht sehen. Er schien mir höchst aufgeregt zu sein. Ob nun seine Berechnung so gewirkt hatte oder irgend etwas anderes, aber er rieb sich die Hände und konnte nicht ruhig auf einem Flecke stehen. Diese Aufregung stieg auf den höchsten Grad, als er einen zweiten Blick, nun voll fester Entschlossenheit, auf die zukünftige Braut geworfen hatte. Er setzte schon dazu an, zu ihr hinzugehen, sah sich aber vorher noch einmal rings um. Dann schritt er auf den Zehen, als ob er sich einer Übeltat schuldig fühlte, auf die Kleine los. Er näherte sich ihr lächelnd, beugte sich zu ihr nieder und küßte sie auf den Kopf. Diese, die eines solchen Überfalles nicht gewärtig gewesen war, schrie vor Schreck auf.

»Nun, was machen Sie denn hier, liebes Kind?« fragte er flüsternd, blickte sich wieder um und klopfte dann das kleine Mädchen auf die Wange.

»Wir spielen …«

»So? Mit dem da?« Dabei warf Herr Narkin dern Knaben einen schrägen Seitenblick zu.

»Aber du tätest doch besser in den Saal zu gehen, mein lieber Junge,« sagte er zu ihm.

Der Knabe schwieg und sah ihn mit weitgeöffneten Augen an. Herr Narkin blickte wieder rings um sich und beugte sich von neuem zu dem kleinen Mädchen hinab.

»Was haben Sie denn da, mein liebes Kind? Ein Püppchen?« fragte er.

»Ja,« antwortete die Kleine etwas scheu und machte dabei ein finsteres Gesichtchen.

»Ein Püppchen … Aber wissen Sie auch wohl, liebes Kind, woraus Ihr Püppchen gemacht ist?«

»Nein …« antwortete die Kleine ganz leise mit tief gesenktem Köpfchen.

»Nun, aus kleinen Läppchen, mein Herzchen. Du solltest in den Saal gehen, Junge, zu deinen Kameraden,« sagte Herr Narkin, den Knaben streng ansehend. Das Mädchen und der Knabe machten böse Gesichter und faßten einander an. Sie hatten gar keine Lust, sich voneinander zu trennen.

»Wissen Sie denn auch, warum Sie dieses Püppchen geschenkt bekommen haben?« fragte Herr Narkin mit immer mehr gedämpfter Stimme.

»Nein.«

»Nun deswegen, weil Sie die ganze Woche über ein liebes, artiges Kind gewesen sind.«

Hier blickte Herr Narkin, der sich in ganz gewaltiger Aufregung befand, wieder umher, und immer leiser sprechend fragte er endlich mit kaum hörbarer Stimme, der die Aufregung und Ungeduld anzumerken waren:

»Aber werden Sie mich auch lieb haben, liebes Kind, wenn ich nächstens Ihre Eltern besuche?«

Nachdem Herr Narkin dies gesagt hatte, wollte er das reizende kleine Mädchen noch einmal küssen; aber als der rothaarige Junge sah, daß ihr das Weinen ganz nahe war, faßte er sie bei den Händen und schluchzte vor lauter Mitleid laut auf. Nun aber wurde Herr Narkin recht ernstlich böse.

»Mach, daß du wegkommst! Geh weg von hier! Mach, daß du wegkommst!« sagte er zu dem Knaben. »Geh in den Saal, geh zu deinen Kameraden!«

»Nein, er soll nicht, er soll nicht! Gehen Sie doch selbst fort!« sagte das Mädchen. »Lassen Sie ihn in Ruhe, lassen Sie ihn in Ruhe!« fügte sie hinzu und war im Begriff loszuweinen.

Da wurden von der Tür her Geräusch und Stimmen hörbar, und sogleich richtete Herr Narkin erschrocken seinen dicken Oberkörper in die Höhe. Aber der rothaarige Knabe hatte einen noch größeren Schreck bekommen als Herr Narkin; er ließ das Mädchen los und ging leise, sich an der Wand entlang drückend, aus dem Salon in das Eßzimmer. Um keinen Verdacht zu erwecken, begab sich Herr Narkin ebenfalls dorthin. Er war rot wie ein Krebs und schien, als er einen Blick in einen Spiegel warf, ordentlich vor sich selbst verlegen zu werden. Er ärgerte sich vielleicht über seine Heftigkeit und Ungeduld. Die Berechnung, die er vorhin an den Fingern angestellt hatte, mußte ihn wohl so aufgeregt, verlockt und enthusiasmiert haben, daß er trotz seines sonst so gesetzten, würdevollen Wesens dazu gekommen war, wie ein Knabe drauflos zu gehen und sich eine Braut zu kapern, die doch frühestens in fünf Jahren eine richtige Braut sein konnte. Ich trat nach ihm ebenfalls in das Eßzimmer und erblickte dort ein seltsames Schauspiel. Der achtungswerte Herr Narkin, ganz rot vor Ärger und Wut, drang auf den rothaarigen Knaben ein, der vor ihm immer weiter und weiter zurückwich und schließlich nicht wußte, wo er vor Angst bleiben sollte.

»Scher dich weg! Was tust d. h.er? Marsch, hinaus, du Taugenichts, marsch! Du stiehlst hier Obst, was? Du stiehlst hier Obst? Hinaus, du Taugenichts! Hinaus, du garstiger Bengel! Scher dich zu deinen Kameraden!«

Der erschrockene Knabe griff zu einem verzweifelten Rettungsmittel und kroch unter den Tisch. Da zog sein Verfolger in äußerster Wut sein langes batistenes Taschentuch aus der Tasche und versuchte durch Schläge damit das ganz verängstete Kind unter dem Tische hervorzujagen. Es muß bemerkt werden, daß Herr Narkin etwas korpulent war. Er war ein wohlgenährter, rotbackiger, stämmiger Mann mit einem ziemlichen Bauche und fetten Hüften; alles an ihm war rund und prall wie eine Haselnuß. Er schwitzte, keuchte und war furchtbar rot. Schließlich benahm er sich wie ein Rasender, so groß war bei ihm der Ingrimm und vielleicht (wer weiß?) die Eifersucht. Ich lachte aus vollem Halse. Herr Narkin drehte sich um, und obwohl er eine so bedeutende Persönlichkeit war, wurde er doch furchtbar verlegen. In diesem Augenblicke trat durch die gegenüberliegende Tür der Hausherr ins Zimmer. Der Knabe kroch unter dem Tische hervor und wischte sich die Knie und die Ellbogen ab. Herr Narkin beeilte sich, das Taschentuch, das er an einem Zipfel in der Hand hielt, zur Nase zu führen.

Der Hausherr sah uns drei einigermaßen erstaunt an; aber als ein Mann, der das Leben kennt und es vom praktischen Gesichtspunkt aus ansieht, benutzte er sofort den Umstand, daß er seinen Gast einmal für sich allein hatte.

»Sehen Sie, dieser Knabe hier,« sagte er, indem er auf den rothaarigen Kleinen wies, »das ist der, für den ich mir neulich erlaubte an Sie die Bitte zu richten …«

»So, so!« erwiderte Herr Narkin, der seine Fassung noch nicht ganz wiedergewonnen hatte.

»Es ist der Sohn der Gouvernante meiner Kinder,« fuhr der Hausherr in bittendem Tone fort. »Eine arme Frau, die Witwe eines ehrenhaften Beamten. Und darum … wenn es möglich ist, Dmitri Petrowitsch …«

»Ach nein, nein,« rief Herr Narkin hastig, »nein, nehmen Sie es mir nicht übel, Filipp Alexejewitsch, aber es ist absolut keine Möglichkeit. Ich habe mich erkundigt; es sind keine freien Plätze vorhanden, und wenn auch einer vorhanden wäre, so sind für ihn schon zehn Anwärter da, die ein weit besseres Recht darauf haben als er … Es tut mir sehr leid, es tut mir sehr leid; aber …«

»Schade, schade!« erwiderte der Hausherr. »Es ist ein so bescheidener, stiller Knabe …«

»Vielmehr ein recht unartiger Patron, wie ich gemerkt habe,« antwortete Herr Narkin und zog unwillkürlich den Mund schief. »Geh weg, Junge! Was stehst du hier? Geh zu deinen Kameraden!« sagte er, zu dem Kinde gewendet.

Hier konnte er sich aber, wie es schien, nicht enthalten, auch mich mit einem Auge anzusehen. Und ich hatte mich ebenfalls nicht in der Gewalt, sondern lachte ihm gerade ins Gesicht. Herr Narkin wendete sich sogleich ab, und ich konnte ziemlich deutlich bemerken, daß er den Hausherrn fragte, wer dieser sonderbare junge Mensch sei. Ich sah dann, wie Herr Narkin, als er die Antwort des Hausherrn gehört hatte, mißtrauisch den Kopf hin und her wiegte.

Nachdem ich mich satt gelacht hatte, kehrte ich in den Saal zurück. Dort fand ich den hochvermögenden Mann umringt von Vätern und Müttern, unter denen sich auch der Hausherr und die Hausfrau befanden; mit großer Wärme sprach er zu einer Dame, der er soeben vorgestellt worden war. Die Dame hielt das kleine Mädchen an der Hand, mit welchem zehn Minuten vorher Herr Narkin das kleine Gespräch im Salon gehabt hatte. Jetzt strömte er über von Ausdrücken des Lobes und Entzückens über die Schönheit, die Talente, die Anmut und Wohlerzogenheit des lieben Kindes. Er suchte sich offenbar bei der Mutter einzuschmeicheln. Die Mutter weinte beim Zuhören beinah Wonnetränen; um die Lippen des Vaters spielte ein vergnügtes Lächeln. Der Hausherr war glücklich über die freudige Stimmung dieser drei wichtigen Personen. Auch die übrigen Gäste fühlten sich sympathisch berührt; man veranlaßte sogar die Kinder, ihre Spiele ein Weilchen zu unterbrechen, um dieses Gespräch nicht zu stören. Die ganze Luft war von Rührung durchtränkt. Ich hörte dann, wie die tiefgerührte Mutter des interessanten kleinen Mädchens in den gewähltesten Ausdrücken Herrn Narkin bat, er möchte ihnen doch eine besondere Ehre damit erweisen, daß er ihnen seinen höchst schätzenswerten Besuch zuwende und in ihrem Hause verkehre; ich hörte weiter, mit welchem unverstellten Entzücken Herr Narkin diese Einladung annahm, und wie darauf die Gäste, als sie alle der Sitte gemäß gleichzeitig aufbrachen, in ihren Gesprächen untereinander den Branntweinpächter und seine Frau und namentlich Herrn Narkin in geradezu rührender Weise lobten.

»Ist dieser Herr Narkin verheiratet?« fragte ich ziemlich laut einen Herrn, den ich kennengelernt hatte, und der nicht weit von ihm entfernt stand.

Herr Narkin warf mir einen durchbohrenden, zornigen Blick zu.

»Nein,« antwortete der von mir Gefragte, nicht wenig ärgerlich über meine Taktlosigkeit, die ich aber absichtlich begangen hatte.


Neulich führte mich mein Weg an der ***schen Kirche vorüber; die große Menschenmenge und die vielen Wagen am Eingange fielen mir auf. Ringsumher wurde von einer Trauung gesprochen, die hier stattfinden sollte. Es war unerfreuliches Wetter: trüb und frostig. Ich drängte mich durch die Menge in die Kirche hinein und erblickte dort den Bräutigam. Dies war ein kleiner, rundlicher, wohlgenährter Mann mit einem ziemlichen Bauche, außerordentlich geputzt. Er lief geschäftig hin und her und hatte noch dies und jenes anzuordnen. Endlich hieß es, die Braut werde gebracht. Ich bahnte mir einen Weg durch den dichten Schwarm und erblickte ein Mädchen von wunderbarer Schönheit, für welches der Lenz der Jugend eben erst angebrochen war. Aber dieses schöne Mädchen war blaß und traurig. Sie hatte ein zerstreutes Aussehen; es schien mir sogar, daß ihre Augen von unlängst vergossenen Tränen gerötet waren. Die antike Strenge ihrer Gesichtszüge verlieh ihrer Schönheit etwas Würdevolles und Feierliches. Aber durch diese Strenge und Würde und durch diese Trauer schimmerte noch die erste, unschuldige Kindlichkeit hindurch; es lag in dem Ausdruck ihres Gesichtes etwas unaussprechlich Harmloses, Unsicheres, Hilfloses; es machte den Eindruck, als ob sie ohne Worte um Schonung bäte.

Ich hörte die Umstehenden sagen, sie sei noch nicht sechzehn Jahre alt. Als ich aufmerksam den Bräutigam betrachtete, erkannte ich in ihm plötzlich Dmitri Petrowitsch Narkin, den ich seit fünf Jahren nicht mehr gesehen hatte. Ich sah die Braut genauer an … Mein Gott! Ich drängte mich durch die Leute, um so schnell wie möglich aus der Kirche hinauszukommen. In der Menge wurde davon geredet, daß die Braut reich sei, daß sie eine Mitgift von fünfhunderttausend Rubeln bekomme und soundso viel Nadelgeld.

»Also die Berechnung war richtig!« dachte ich, als ich mich auf die Straße hindurchgearbeitet hatte …


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