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Zweites Kapitel.

An der jungen Frau glitten diese einsamen Wochen recht rasch vorüber. Bertha konnte allein sein; denn sie hatte Beschäftigungen und liebte Musik und Poesie, nicht bloß in männlicher Gegenwart, um durch diese Liebe selbst poetisch zu erscheinen, sondern ganz egoistisch um des eigenen heimlichen Genusses willen; der ist immer der süßeste – den allein ausgenommen, welchen Liebende miteinander theilen. Bertha sang also an den einsamen Abenden ebenso voller Begeisterung, wie in Gemeinschaft mit Chala; auch fuhr sie auf das Land, schaffte Obst für den Winter an, spielte mit Antonien vierhändig, unterrichtete den Kleinen und einige junge Katzen, und arbeitete fleißig, um ihren Mann mit einem zierlichen Kissen überraschen zu können – genug, die anderthalb Monate waren gewesen, ehe sie eigentlich daran gedacht hatte, und in heiterer Erwartung empfing sie den heimkehrenden Eduard und den ihm bald folgenden Freund.

Aber ihre Erwartung wurde getäuscht, Chala kam in der unglücklichsten Stimmung zurück. Dieses alberne Kriegsspielen, wie er die jährlichen Uebungen nannte, war ihm von jeher zuwider gewesen und sein ganzer heftiger Unmuth gegen seinen Stand und seine Zukunft auf das Neue aufgeregt worden. Bertha versuchte, ihn abermals zu beschwichtigen; ihre Bemühungen blieben ohne Erfolg. Chala kam nach wie vor zu ihr; doch ihre Gesellschaft konnte nichts über seine finstern Gedanken; er war immer zerstreut, oft einsylbig, bisweilen ganz stumm – unlustig zur Musik, zum Lesen, zum ganzen Leben, um es mit einem Worte zu sagen immer achtungsvoll gegen die junge Frau, dagegen unliebenswürdig, anmaßend und spöttisch gegen Jedermann sonst – kurz, ein unheimlicher Gesellschafter für die arme Bertha, die ihn ängstlich beobachtete und alle ihre reinen Gedanken aufbot, um irgend einen Ausweg zu ersinnen. Der einzige für den Augenblick dünkte ihr ein Befreunden mit dem Gegenwärtigen, bis sich irgend eine Aussicht öffnen würde. Es mußte doch für Chala ebenso gut Ferne, Zukunft, Hoffnungen geben, wie für so viele andere junge Männer, die sich aus der größten Beschränkung in ein freieres Leben Bahn gebrochen hatten – nur mußte Chala zur Energie erwachen und die Augen nach dem ersten Anhalt auswerfen. Das aber war es eben, wozu sie den jungen Mann nicht erwecken konnte, und seine Gleichgültigkeit gegen sich selber und gegen ihre Bitten ängstigte sie oft unbeschreiblich. Die arme Bertha hatte zu wenig Lebenserfahrung, um mehr zu können, als bitten und sich beunruhigen. Einmal sprach sie mit ihrem Mann über Chala. »Liebes Kind,« sagte Eduard achselzuckend, »an dem ist jeder Rath verschwendet; er weiß selbst nicht, was er will – wie soll ich es wissen? Lasse Du ihn ungestört in seiner Laune – er wird schon wieder menschlicher werden. Einstweilen lobe Deinen Eduard, der anders ist.« Bertha sprach nicht zum zweiten Male mit Eduard über diesen Gegenstand, und auch gegen Chala schwieg sie jetzt meistens und suchte ihm nur durch ihre immer gleiche Güte ihren Antheil deutlich zu machen. »Es tröstet ihn doch etwas,« sagte sie zu sich selber.

Das schien jedoch nicht so; im Gegentheil gerieth Chala oft eben wenn Bertha's milde braune Augen recht theilnehmend auf ihm ruhten, in eine Stimmung, die noch gereizter und herber war, als seine gewöhnliche. Dann brach er unter irgend einem sichtbar ersonnenen Vorwande seinen Besuch ab, ließ rasch satteln und ritt, es mochte Tag oder Nacht sein, achtlos in die Gegend hinein, die aus kleinen Hügeln und sumpfigen Niederungen bestehend, Gelegenheit genug zum Stürzen und Einsinken darbot. Beides begegnete denn auch dem Grafen mehr, als einmal, und daß er nicht bereits ernstlich verunglückt war, begriff Niemand und er selbst am wenigsten. Bertha hörte seine Abentheuer, die er ihr jedesmal getreulich erzählte, immer ganz blaß an, die kleinen Hände ängstlich gefaltet, den Mund bebend halb geöffnet. Der Graf mußte sie wohl gern so betrachten, da er immer neue Unvorsichtigkeiten beging und endlich gewissermaßen das Geschick, das sich ihm bisher gnädig gezeigt, auf eine unverantwortliche Art herausforderte. Bertha hätte ihn sich selbst überlassen sollen – Bitten und Bangen spornt nur an – jede kluge Frau weiß das; aber Bertha war keine kluge Frau, sondern ein einfaches wahres Geschöpf, das von einem berechneten Benehmen keine Ahnung hatte. Darum bat sie den Grafen eindringlich, sich doch nicht so unnützer Weise auszusetzen, und als er mit leichtsinnigem Lächeln spottend antwortete, wurde sie unwillig und sagte: es sei nicht nur eine Thorheit, es sei auch eine Sünde; Gott habe ihm das Leben nicht gegeben, um es so jedem Augenblicke, der damit spielen wolle, zu überlassen. »Ich finde selbst keinen Muth darin;« endete sie. »Auch ich nicht,« antwortete Chala kaltblütig. »Der Muth erkennt die Gefahr, überdenkt was er opfert und geht ihr dennoch ruhig und gefaßt entgegen. Gleichgültigkeit, Trunkenheit, Verzweiflung – das alles sind falsche Antriebe zur Kühnheit – dem Muth allein gebührt die Bewunderung. Ich z. B. reite nur aus Gleichgültigkeit so in das Gelag hinein. Das Leben ist mir langweilig: erbarmt sich meiner eine Gelegenheit und hilft mir davon, so gebe ich es hin, ohne deswegen im Geringsten Anspruch auf irgend etwas zu haben, weder auf Bewunderung, noch auf Bedauern. Als Unrecht aber, oder gar als Sünde erkenne ich diese Gleichgültigkeit nicht an. Es ist eine Ermattung des Geistes. Lebte irgendwo auf Erden ein Wesen, dessen Glück von mir abhinge, und wäre es auch nur eine alte Wärterin – ich würde es vielleicht für meine Pflicht halten, mich am Leben abzumüden; doch ich bin, Gott sei Dank, allein und unabhängig.«

Es bebte auf Bertha's Lippen, dem Grafen zu sagen: »um meinetwillen denn!« Eine unüberwindliche Scheu hielt die Aussprache dieser Bitte gefesselt; »ich darf es nicht fordern,« dachte die junge Frau; »es klänge, als glaubte ich, ihm viel zu sein. Aber wenn er eine Mutter hätte, oder – eine Geliebte!«

Dieser Gedanke gewann, kaum gefaßt, in dem lieben, reinen Gemüthe auch gleich die deutlichste Innigkeit. Der Arzt kam eben herauf, um eine Stunde mit Bertha zu verschwätzen. Das mochte er gar gern thun, und Bertha sah ihn ebenso gern kommen; er dachte immer selbst und sprach nie Alltäglichkeiten; daher entspann ein wirkliches Gespräch mit ihm sich gleich auf eine anziehende Art. Auch jetzt geschah das, und er und Bertha moralisirten äußerst erbaulich, während Chala halb las, halb zuhörte. Der Arzt äußerte endlich: mancherlei Unmoral entspringe nicht sowohl aus der innerlichen Bosheit, als aus der Trägheit, welche nicht die Schatzgräberin des innern Goldes sein, sondern bequem auf dem Leben liegen wolle, als sei es ein Bett des Ausruhens. »Als ob Gott uns dazu erschaffen hätte!« sagte Bertha einstimmend. – »Gott?« wiederholte der Arzt, – »Gott hat uns gar nicht erschaffen.« Ganz erschrocken blickte die junge Frau den sonderbaren Mann an, der selbst über den Anfang alles Lebens sich abweichend zu denken erlaubte. Er dagegen fragte sie ganz ruhig: »wie können Sie den heiligen Gott durch den Glauben zu unserer Erbärmlichkeit herabziehen, er habe ein so sündiges schlechtes Geschöpf geschaffen, wie der Mensch gewöhnlich ist? Gott, der ewig und einzig gut ist, hätte doch nur Gutes geschaffen?« – »Aber, lieber Doktor, einen Urheber müssen wir doch haben, oder läugnen Sie unser Dasein überhaupt?« – »Gar nicht; die Naturkraft hat uns erzeugt. Gott hat die Natur erschaffen und ihr Erzeugungsgewalt geschenkt. Da hat sie denn erst sich selbst ausgearbeitet und dann mehr und mehr Gestaltungen und Geschöpfe. Endlich hat ein Bedürfniß des Freiwerdens sie in ihrem innersten Dasein ergriffen, und der Gedanke, der daraus entstanden, ist sichtbar geworden. Das ist der Mensch. Er ist unvollkommen und gequält und geänstigt, weil sein Dasein eigentlich unerlaubt ist. Gott jedoch hat in seiner Gnade sich dieses Geschöpfes erbarmt und die Obervormundichaft über dasselbe übernommen. Er sendet uns seinen Geist, und reicht uns seine Hand, damit wir uns zu ihm aufarbeiten. Die seine Hand ergreifen und seinem Geiste gehorchen, die kommen in ein höheres Dasein, seiner Gottheit immer näher. Die sich im Schlamm und in der Sünde gefallen, die bleiben auf der Erde, gehen aus Gestalt in Gestalt, bis sie geläutert genug sind, um aufsteigen zu können. Das ist mein Glaube, und den soll keine Kirche auf Erden mir auspredigen.«

Bertha war zu naiv und ernstlich in dem ihr gegebenen Glauben, um nicht ganz gewiß zu sein, daß jede Abweichung von der kirchlich geweihten Bahn an den ewigen Abgrund führe; daher versuchte sie mit aufrichtigem, fast rührendem Eifer, dem Arzt eine andere Ansicht beizubringen. Es glückte ihr jedoch nicht – er entwickelte sein seltsames System nur noch deutlicher, und die arme Bertha, die nur glauben, nicht philosophiren und beweisen gelernt, kam in Angst und wandte sich endlich an Chala. »Sie sind ja Mann und klug genug,« bat sie treuherzig; »überzeugen Sie doch den Doktor von unserer Gottursprünglichkeit.« – »Ich kann viel Ungöttliches beweisen – Göttliches nichts;« antwortete Chala kalt. Der Bediente unterbrach hier das Gespräch, indem er den Grafen im Namen seines Herrn bat, doch einen Augenblick zu diesem zu kommen. Eduard arbeitete und bedurfte eines Rathes. Chala stand auf und ging, Bertha sah ihm mit einem Blicke stiller Trauer nach. Der Arzt hatte Chala's Antwort nicht leicht überhört; »der junge Mann ist auch einer von den Hitzköpfen, die es sich erlauben, dem lieben Gott den Gehorsam aufzukündigen, wenn er ihnen nicht immer gleich zu Befehl ist,« bemerkte er. »Es ist dies die Krankheit fast aller junger Männer aus der Gegenwart; das Bedürfniß, welches der Befriedigung entbehrt. Der junge Mann möchte in der ersten Glut auf irgend einem Gestirn in das Unbekannte schiffen, und erkennt er dann, daß es dazu eben gar keine Gelegenheit giebt, daß er seine Kraft nicht aufreizen, sondern gefangen nehmen soll, daß die Gesellschaft seiner nicht bedarf, um auseinandergesprengt, sondern um im Geleis gehalten zu werden, daß er endlich auf Erden ist, um alltäglich redlich zu sein und streng eine bestimmte Pflicht zu thun – ja, dann erhebt sich ein großer Unmuth in ihm und Gott handelt unverantwortlich gegen ihn.« – »Es mag schrecklich sein, das Große zu können und das Kleine zu sollen;« meinte die junge Frau, traurig; weil sie in dieser Schilderung den Grafen nur zu gut erkannt hatte. – »Glauben Sie mir, diese jungen Leute könnten das Große ebensowenig, wie sie das Kleine können,« antwortete der Arzt. »Es ist sehr leicht, von Großthaten zu phantasiren; die Ausführung erfordert andere Kräfte, als diese Klagefertigen ahnen. Die meisten kommen denn auch ganz glücklich wieder bei der Alltäglichkeit an und genießen ihr täglich Brodt, so weiß das Geschick es ihnen gegeben hat. Einzelne freilich sind und bleiben unfähig zu diesem Genusse, und Graf Chala mag unter ihnen sein. Aber kann der junge Mann nichts Besseres, als Gott läugnen? Ich weiß es so gut, wie er, daß wir hier auf Erden nur in einem großen Gefängnisse sind, indessen, da wir doch darinnen aushalten müssen, bis der Gesandte Gottes, der Tod, uns befreit, so thun wir es mit Ruhe. Resignation ist die größte Kraftäußerung.« – »Ich dächte,« sprach Bertha fast schüchtern, »wenn ein liebendes Auge an dem Streben eines jungen Mannes hinge, wenn er eine Mutter zu erfreuen, oder eine Geliebte zu erringen hätte, da könnte ihm jede alltägliche Pflicht als eine geheiligte erscheinen.« – »Eine Mutter zu erfreuen dünkt solchem jungen Herrn gewöhnlich eben nichts Großes,« erwiederte lächelnd der Arzt; »eine Geliebte zu erringen das könnte ein Antrieb sein; nur hat die liebe männliche Jugend jetzt nicht viel Liebe zur Liebe; Geld genießt sich bequemer.«

Diese Gesinnung war bei Chala unmöglich, er mochte stürzen in welche Strudel es war. Bertha kannte ihn darin, und darum dachte sie: »eine Mutter ihm wünschen, ist eitel; eine Geliebte aber kann ihn glücklich machen. O, daß es wäre!« An diesem Abende ergab sich keine Gelegenheit, das Gespräch neu anzuknüpfen; Eduard begleitete Chala, als dieser wieder eintrat. Am nächsten Nachmittage dagegen saß Chala wieder allein bei der jungen Frau und war düsterer, als je. Da sprach Bertha ihre Gedanken einfach aus. »Sie erkannten es als ein Glück an, allein zu sein –« sprach sie sanft, – »es ist keines. Der Mensch, der ganz allein auf Erden ist, steht gleich einem einsamen Baume auf öder Haide; der Sturmwind erfaßt und zerbricht ihn. In Gesellschaft mit andern Bäumen stehend, empfinge und gewährte er Schutz.«

Chala hatte nicht das Herz, diese kindliche Güte durch Spott zu erwiedern; eingehend versetzte er: »es werden auch im dichtesten Gedränge einzelne Bäume erfaßt und entwurzelt; der Sturm und das Geschick erkiesen ihre Opfer. Und wäre es auch wahr, daß der einsame Baum eher zerbrochen würde – es ist ja gleichgültig, ob es geschehe, ob nicht.«

»Es ist nicht gleichgültig, und ich will es nicht;« sagte Bertha graziös befehlend. »Es soll anders mit Ihnen werden, und es ist das ganz leicht. Empfinden Sie nur erst, daß ein Herz an Ihnen ruhe, ein Herz, das Sie nähren und erwärmen können – wie verklärt wird da vor Ihren Augen auf einmal das Alltagsleben erscheinen.«

»Ah, ich soll mich verlieben?« fragte Chala, jetzt spöttisch. »In wen denn, wenn ich – fragen darf? Etwa in eine der hiesigen jungen Damen?« Er ging mit nichtachtender Ironie die Gallerie derselben durch. Die junge Frau zuckte schmerzlich mit den Wimpern. »Ihre Worte schneiden;« sagte sie leise. – »Ist es meine Schuld, daß ich ein Weib verlange, kein geschnürtes, gebildetes Geschöpf?« fragte Chala kalt. »Daß mir in einer Geliebten die Poesie erscheinen soll? Daß ich kein Mädchen kenne, welches eine solche Hoffnung giebt?«

»Die Erde ist reich.«

»Die Erde? Ich bin hier. Damit ist über jede Liebesmöglichkeit für mich das Urtheil gefällt. Blicken Sie hinaus auf diesen Marktplatz, der meine einzige Aussicht ist. Die untergehende Sonne, welche selbst um das dürftigste Gebüsch einen Glanz haucht, selbst etwas Wasser im Wege mit Gold füllt, besitzt keine Magie über diese entsetzliche Umgebung. In der sollte ich eine Liebe empfinden können? Diesem Afterbilde des Lebens gegenüber?«

»Das Leben ist überall gleich bedeutungsvoll; es enthält überall das unendliche Geheimniß des Sterbens.«

»Das Sterben ein Geheimniß? Gnädige Frau, Sie schwärmen. Ein Aufhören der Muskelbewegung, die wir den Herzschlag nennen – darin besteht das ganze Geheimniß.«

Die junge Frau schwieg und erblaßte. Eine eisige Hand legte sich ihr auf das Herz.

»Erschrecke ich Sie?« fragte Chala. »Es ist auch unangenehm, davon zu reden – hören wir auf – singen wir. Ich wollte nur sagen, daß ich zu einer Liebe des Glanzes, des Geistes und der Bewegung bedarf. Eine kleinstädtische Leidenschaft wäre lächerlich, wenn sie nicht unmöglich wäre. Singen wir?«

»Ich kann nicht;« antwortete Bertha. Ihre Stimme war gepreßt. Chala's Auge entwickelte einen sonderbaren Ausdruck – eine peinliche Pause trat ein. Glücklicherweise lag ein neues Buch von einer der besten Schriftstellerinnen nah– Chala ergriff es und bat, lesen zu dürfen. Bertha willigte schweigend ein, und er las, doch begriff er eben so wenig den Inhalt des Buches, wie Bertha auf ihn hörte. –


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