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Achtes Kapitel.

Als Chala spät am Morgen aus dem dumpfen Schlaf erwachte, in den er endlich gesunken war, empfand er eine Art von Ruhe. Allerdings war es nur die Ruhe der Abspannung; aber sie brachte für den Augenblick dieselbe Wirkung hervor, als käme sie aus dem Gemüthe: sie machte den jungen Mann weich, unendlich bedürftig irgend einer Erquickung und darum zugänglich der Hoffnung. Zum erstenmale fragte er sich, ob es für ihn nicht möglich sein sollte, im Besitze von Alix friedlich glücklich zu werden. Jede Leidenschaft hat Augenblicke des tiefen Athemholens; dann ruht sie still in der Brust, die ihr Reich ist; Chala fühlte die seinige heute gegen gestern nur als Erinnerung; er dachte: »vielleicht ist das ihr Todeskampf gewesen.« Frau von der Burg empfing erst gegen Mittag Besuche; er ging zuerst zu Bertha. Sie kam ihm so lieblich mild und still entgegen, daß er im Innern die Hände vor ihr faltete. »Ewig mein Heiligstes –« dachte er; »ich will Dich nicht länger entweihen.« Auch sein Antlitz war still, als er sich an ihre Seite setzte und ihr erzählte, daß Alix seine Braut sei. Er log nicht mehr, wie gestern; er sprach von dem jungen Mädchen wie von einem Gute, das Gott ihm anvertraut. Bertha hörte ihm andächtig zu; eine heilige Freude, die der Aufopferung, erfüllte ihr Herz, das sich heute nicht zusammenzog. Die Thränen kamen ihr freilich nah; aber sie stand einmal auf und rückte einen Blumenstock mehr in die Sonne, und als sie zu dem Grafen zurückkehrte, lächelten ihre Augen wieder. Lange blieb Chala; sie redeten das künftige Leben durch; es dämmerte in diesem Gespräch wie in goldenem Frieden. Endlich stand Chala auf; er fürchtete, zu weich zu werden. Bertha wünschte ihm mit innigem Blick Glück bei seinem Besuch. »Ich habe die Ahnung davon,« antwortete er. »Diesen Abend hören Sie Alles.« Es war gerade heute große eingeladene Gesellschaft im Burg'schen Hause.

Als Chala unten an Antoniens Zimmer vorüberkam, entstand in ihm der Wunsch, das liebe Mädchen auf eine Viertelstunde zu sehen: er dürstete nach Weiblichkeit. Er klopfte leise an und fragte, als Antonie freundlich heraustrat, nach dem Arzte. Der war nicht da; Chala wußte das; der Vater war bloß der Vorwand gewesen, um die Tochter zu sehen. Unbefangen bat der Graf um Erlaubniß, bei dieser Gelegenheit mit ihrem Zimmer Bekanntschaft machen zu dürfen. »Daran ist wenig zu sehen;« antwortete Antonie lachend. Es war jedoch zierlich und heimlich eingerichtet und allenthalben eine schöne Blumenfülle. Auf dem Sopha saß ein noch sehr kleiner und sehr häßlicher Knabe, der in ungeschickten Händchen Kuchen hielt. Chala bemerkte das uneinnehmende Aeußere des Kleinen. »Das geht dem armen Jungen immer so,« sagte Antonie mitleidig, »und eben weil Niemand ihn seiner Häßlichkeit wegen recht mag, bin ich um so besser gegen ihn. Ich habe ihn wirklich lieb; denn er erbarmt mich.« Dem Grafen gefiel das sehr; Antonie sagte es ganz einfach. Er befragte sie um ihr Leben – ihre Gewohnheiten. Alles war frisch, lustig fast, und doch dabei gedankenreich. Chala sagte: »s hat ein guter Geist über Ihnen gewacht, daß Sie ohne Leitung einer Mutter so ganz das Richtige gefunden haben.« – »Meine Mutter lebte mir immer,« erwiederte Antonie, »und vielleicht bewahrte ihre unsichtbare Gegenwart mich mehr, als es ihre sichtbare vermocht hätte; denn ich dachte bei jeder Handlung daran, daß ihr Auge auf mir ruhe, und so ist sie gewissermaßen meine Heilige geworden – die Mittlerin zwischen Gott und mir.« Der Graf betrachtete das junge Mädchen mit dem Ausdruck der reinsten Achtung; Antonie freute sich dieser Huldigung, und fast als Freunde schieden Beide. Chala fühlte ein lebendiges, erhebendes Zutrauen zu dem weiblichen Herzen und wahrhaft mit seelenvollem Ernst bat er Frau von der Burg um Alix. Graziös und liebenswürdig wurde ihm die Gewährung gegeben und die öffentliche Verlobung gleich auf den Abend beschlossen. Alix dachte mitten in ihrer Seligkeit mit mädchenhaftem Triumph an Bertha, welche ihr den Glauben habe geben wollen, daß Chala's Liebe zu gewinnen, fast unmöglich sei. »Jetzt liebt er mich doch!« jubelte sie heimlich. Da erzählte Chala ihr, wie er Frau von Garnier bereits sein neues Glück anvertraut, wie sie sich daran erfreue. Er bat Alix, diese seine Freundin auch als die ihrige anzunehmen. Ach, wie heiter, mit welchem strahlenden Lächeln willigte Alix ein! Sie glaubte ja Siegerin zu sein – sie, die erwählte Braut. Die Freundschaft und alles Gute sonst auf Erden gönnte sie der jungen Frau aus überreichem Herzen.

Der Graf lehnte die Mittageinladung ab; er bedürfe, sagte er, der Einsamkeit, um sein Glück erst recht zu fassen, und so nahm er bis auf den Abend Abschied von seiner Braut, deren leuchtende Augen ihn innig rührten. Sie war so ganz unbefangen selig, und er – doch er war ja auch glücklich auf die Art, wie es eben möglich war, und ruhiger, als seit Jahren, saß er bald darauf am Schreibtisch, um seiner Familie, der es so gleichgültig war, ob er lebte oder nicht, seine Verlobung anzuzeigen: die Formen beobachten, macht das Gewissen der guten Gesellschaft aus.

Alix war im Saal unter den Blumen zurückgeblieben, mit denen der zum Abend geschmückt werden sollte. Dieses Geschäft war immer das des jungen Mädchens; heute dünkte es ihr ein liebliches Glück. Die Blumen stimmten mit ihren Empfindungen überein, und über alle Erwartung reizend, füllten die Vasen und Schaalen sich unter ihren glühenden Händen. Eben klopfte sie in kindlicher Freude über ihre Geschicklichkeit ein Mal in die Hände, da öffnete die Thür von dem Hausflur her sich leise und vorsichtig, und Albert trat herein.

Alix erblaßte. lange hatte sie mit keinem, keinem Gedanken an den armen Albert gedacht; aber jetzt stand Alles plötzlich vor ihr – der Abschied von ihm, wo er Gewißheit zu haben und sie ihn zu lieben glaubte – seine frühere innige Annäherung, und mitten in ihrem Glücke ergriff sie ein tiefes Weh um ihn.

Er kam rascher, als je zu ihr, freudig im Innersten. Ihr Erblassen mochte er für Ueberraschung halten; denn er bedauerte herzlich, daß er sie durch sein plötzliches Kommen erschreckt. »Aber ich fand Keinen, der mich melden konnte,« setzte er hinzu.

Alix faßte sich. »Ob Sie mich erschrecken, oder nicht,« antwortete sie sanft, »Sie sind doch immer gleich gern gesehen.«

»Ich bin lange, lange nicht hier gewesen;« sagte er; »ich habe mich recht gesehnt.«

Das treue Auge ruhte so rührend auf ihr, daß rasch von ihren langen Wimpern einige helle Thränen herabrollten.

Albert kam in der tiefsten Bewegung ganz nah zu dem jungen Mädchen – er wollte sein Geständniß aussprechen. Das durfte er nicht thun; Alix überwand sich gewaltsam und sprach klar und deutlich, aber freilich an allen Gliedern bebend: »Sie kommen, um mir Glück wünschen zu können; ich bin seit diesem Morgen Braut.«

Ein Schweigen erfolgte. Alix wagte nicht, Albert anzusehen; sie kämpfte gegen das schmerzliche Weinen. Lange genug stand sie so, um es quälend lange zu finden. Endlich sagte Albert mit bekämpfter Stimme: »Ich wünsche Ihnen Glück. Mit wem sind Sie Braut?« Alix nannte fast unhörbar den Geliebten. »Ja, dann,« sprach Albert unwillkührlich. Er fand es sehr natürlich, daß Chala ihm Alix abgewonnen; aber sein Schmerz war darum nicht minder groß.

»Erinnern Sie sich noch, wie Sie mir sagten, Sie fürchteten sich vor seinen Augen?« fragte er, sich zum Scherze zwingend.

»Ja wohl;« antwortete Alix; »damals ahnte ich noch nicht, was er mir einst sein würde.« – »Auch ich nicht,« sprach Albert schwer.

Alix sehnte sich unsäglich nach dem Aufhören dieses Alleinseins. Ein Bedienter, der sie zu ihrer Mutter rief, kam hier einmal zur rechten Zeit. Albert ergriff die Gelegenheit und nahm Abschied. Alix fragte ihn, ob er am Abend nicht kommen werde. »Auf eine Stunde,« antwortete er.

»Ich will nicht als unglücklicher Liebhaber erscheinen,« dachte er bitter. »Auch Chala soll nicht glauben, daß er mich um mein Glück gebracht; ich will zu ihm gehen.«

Diese Aufwallung der Eigenliebe war kurz. Als Albert dem Grafen die Hand reichte und Chala sie rasch mit sichtlicher Bewegung ergriff und drückte, da erwachte die angeborene Redlichkeit in Albert und mit einem Blicke der nicht heuchelte, sagte er: »Ich komme von Deiner Braut um Dir Glück zu wünschen.«

»Ich habe einen Edelstein gewonnen;« antwortete Chala.

»Das hast Du;« sprach Albert. Dann trat er an das Fenster und setzte abgewandt hinzu: »mache sie so glücklich, wie sie es verdient, und liebe sie, wie ich sie geliebt hätte.«

Chala kam rasch zu Albert. »Andernach, verzeihst Du mir?«

»Du wußtest es ja nicht;« erwiederte Albert, immer noch ohne sich umzuwenden.

Der Graf verachtete die Lüge unter Männern. »Ich wußte es;« antwortete er.

Jetzt blickte Albert ihn langsam an, und einen Augenblick schwoll die Ader auf seiner bleichen Stirn. Chala begegnete diesem Blicke mit Ruhe; Albert, welcher zornig ihm gegenüber stand, war für ihn nur noch der Mann, nicht mehr der Freund. Aber Alberts Auge wurde wieder sanft und nur mit unendlicher Trauer sagte er: »ich kann es mir denken, daß Du sie trotzdem geliebt.«

Der Graf brandmarkte sich innerlich mit der bittersten Verachtung. Die Entschuldigung der Liebe – er hatte sie nicht dafür, daß er den Freund um die Geliebte betrogen. »Ich wollte, daß ich sie Dir gelassen,« stieß er zwischen den gepreßten Lippen hervor; »Du verdienst sie besser, als ich.«

»Das nicht; ich begreife es sehr gut, daß Du sie angezogen, selbst wenn sie damals eine leise Neigung zu mir gehabt. Aber das bezweifle ich jetzt – ich habe mich selbst über ihr Benehmen getäuscht.«

Diese Resignation der einfachen Herzensgüte vernichtete den Grafen fast. »Andernach, leidest Du sehr?« fragte er mit zuckender Stirn.

»Ja,« antwortete Albert; »aber was ist Dir?«

»Nichts, nichts;« erwiederte Chala. »Ich dachte nur daran, wie viel ich gut zu machen habe.«



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