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Elftes Kapitel.

Bei näherer Ueberlegung hatte Frau von der Burg eingesehen, daß die Gesellschaft ganz und gar nicht berechtigt sei, eine Erklärung zu heischen, sondern daß sie von der einfachen Thatsache unterrichtet, diese, so gut es eben gehe, sich selbst erklären möge.

Alix empfing den Befehl, herunterzukommen. Als sie blaß, aber gefaßt erschien, sagte Frau von der Burg ihr, Graf Chala habe eben Abschied genommen. »Ich konnte ihm bei Deinem Eigensinne nicht zurückhalten,« fuhr die Mutter fort, »und so unangenehm mir auch das Ganze ist, so ist es doch nun Deinem Begehren nach geschehen. Aber jetzt befehle ich auch, daß Dein Benehmen passend sei, daß Du nicht etwa die unglücklich Liebende spielest. Du hast Deinen Brautstand geendet, folglich ist Dir Dein Bräutigam gleichgültig geworden, und diese Gleichgültigkeit erwarte ich in Deinem Betragen ausgedrückt.«

Alix antwortete sanft, sie werde dieser Erwartung entsprechen. Auch konnte, als spät am Abend noch einige Besuche kamen, selbst das prüfendste Auge an ihr nichts gewahren, als höchstens eine unnatürliche Röthe. Frau von der Burg ließ an diesem Abende das Geheimniß, welches bald keines mehr sein konnte, noch unausgesprochen. Erst am andern Morgen vertraute sie es bei einem Besuche derjenigen von den Damen der Stadt, welche als die beste Behörde zur Beförderung von Neuigkeiten galt. Ein maßloses Erstaunen empfing diese Mittheilung; Frau von der Burg hingegen behandelte die ganze Sache als eine äußerst unbedeutende. »Ein junges Mädchen täuscht sich sehr leicht in seinem ersten Gefühle,« sagte sie, »und ein aufgehobener Brautstand ist jedenfalls minder bedenklich, als eine unglückliche Ehe. Alix erklärte, sie habe die feste Ueberzeugung gewonnen, mit dem Grafen unglücklich zu werden; da konnten wir nicht anders, als einwilligen, und der gute Graf mußte sich fügen.« – »Aber wie unglücklich wird er sein!« – »Ich denke, nicht allzulange. Das Leben ist sehr trostvoll und ein Mann sehr trostbegierig.«

Dabei blieb es. Des Grafen wurde im Burg'schen Hause nur noch oberflächlich als eines gewöhnlichen Bekannten erwähnt. Frau von der Burg gab mehr Gesellschaften, als je; Alix mußte immer gegenwärtig, immer aufmerksam sein. Auch war sie es; ihre Ruhe dabei hätte erschrecken müssen, hätte man sie nicht eben als wirkliche Ruhe angenommen. Die Urtheile über diese Gleichgültigkeit nach einer solchen Liebe wurden Alix nicht geschenkt. Man nannte sie kokett, launenhaft, gewissenlos. Der Graf erregte allgemeinen Antheil. Es wurde mit dem lebhaftesten Bedauern angehört, daß er einen sechsmonatlichen Urlaub genommen, daß er sich um Versetzung zu einem ganz entfernten Regimente bewerbe. Er war der Gegenstand aller Gespräche.

Bertha erkannte das junge Mädchen: sie liebte Chala, wie Alix ihn liebte. Aber eben diese Liebe gab ihr dem jungen Mädchen gegenüber jetzt wirklich die quälende Empfindung einer großen Schuld. Oft betete sie mit Händeringen, daß Alix noch glücklich werden möge. An sich dachte sie nicht, und ein Gebet für Chala hätte ihr jetzt eine Entheiligung gedünkt. Alix begegnete ihr immer gleich herzlich, ohne sie jedoch besonders aufzusuchen.

An Gräfin Lodoiska hatte Alix ganz einfach geschrieben: »Ich bin nicht mehr die Braut des Grafen Chala; frage mich nicht – lasse über ihn fortan Schweigen zwischen uns sein.« Gräfin Lodoiska empfand um so größere Angst, je weniger Alix aussprach. Auf schriftliche Mittheilung hoffte sie nicht weiter, wohl aber auf ein Wiedersehen. Dann konnte Alix nicht ihrem Auge widerstehen und schweigen. Bittend schrieb die Gräfin an Frau von der Burg, sie möge Alix einen Besuch erlauben. Frau von der Burg antwortete artig und abschläglich. »Die empfindsame Gräfin wäre für Alix die ohnedies albern genug ist, die allerkläglichste Gesellschaft;« sagte sie zu dem Major. Der gute Mann, der trotz seines etwas schweren Begriffsvermögens nicht ganz ruhig über sein einziges Kind war, versuchte umsonst, seine Frau umzustimmen; Frau von der Burg nahm eine Entscheidung nie zurück. Ebenso erklärte sie sich auch gegen eine Reise. »Das wäre gerade, als müßten wir Alix vor der Abzehrung aus Liebeskrankheit retten,« antwortete sie spöttisch auf die Andeutung des Majors. »Ich will keine lächerliche unglückliche Liebe. Ihr ist geschehen, wie sie gewollt. Bereut sie – und das kann wohl sein, denn sie weiß, wie jedes sentimentale Geschöpf selber nie was sie will – gut, so möge sie sich in ihre Reue finden. An Zerstreuung fehlt es ihr hier nicht. Auch können wir auf den Herbst den Besuch meiner Neffen erwarten, und so dürfte denn leicht ein neuer Brautstand entstehen. Den jedoch würde ich vor einer ähnlichen Auflösung zu sichern wissen.«

Der gute Major hatte niemals Gründe gegen seine Frau. Er schwieg; aber er seufzte, und nicht bloß dieses Mal, sondern oft und schwer genug. Chala fehlte ihm überall und so, dachte er, müsse es auch Alix sein, obgleich sie ihn scheinbar ohne Grund aufgegeben. Der Major begriff nichts, aber es kam ihm doch so vor, als sei nicht Alles, wie es sein sollte, als werde nicht alles gut enden. Er faßte endlich einmal den Muth, Alix darüber zu befragen. »Mein liebes Kind,« sagte er, »bist Du auch nicht unglücklich? Du scheinst mir es zu sein. Dein Lachen klingt nicht mehr, wie früher; es bekümmert mich, wenn ich es höre. Ich bitte Dich, sprich ehrlich zu mir – bekenne mir Alles. Soll Chala wiederkommen? Ich will thun was Du willst – Du sollst nur nicht unglücklich sein. Lieber Gott, ich überlebte es ja nicht, Dich zu verlieren; Du bist ja mein einziges Glück auf Erden.« Der arme Mann weinte recht herzlich dabei; Alix konnte nicht mehr weinen, auch jetzt nicht, so tief auch die einfältige Rede des Vaters ihr in das Herz drang; thränenlos schmiegte sie sich an seine Brust, und während er sie wieder und wieder küßte, sagte sie leise, aber deutlich: »Du kannst nichts für mich thun, lieber Vater; Gott allein kann mir helfen; ich bin auch noch nicht wieder glücklich, aber es wird schon besser werden, und Dir danke ich tausend, tausend Mal. – Ach, Du bist so gut, und ich habe Dich so, so lieb!« Dann bat sie ihn noch, der Mutter nichts von ihrem Geständnisse zu sagen. »Nein, nein, mein Kind; wie kannst Du das denken?« antwortete er. Seine Frau war von seiner Liebe zu seinem Kinde immer ausgeschlossen gewesen. Alix aber hatte seit dieser Aussprache doch einen Ruheort für ihren armen Kopf; der Major saß bei ihr, sobald sie einmal allein waren, und Alix schmiegte sich an ihn, während er ihre Hände hielt, die immer brannten. Er hatte immer viele Geduld gezeigt; jetzt war er aus Liebe doppelt geduldig. Ganz still saßen Vater und Kind in solchen Stunden; er befragte sie nicht mehr, seit Alix ihn gebeten, es nicht zu thun. Es würde schon besser werden, hatte sie ihm versichert; es wurde jedoch nicht besser. Daran litt die arme Alix so: daß ihr die Pulse in den Schläfen immerwährend fühlbar mit ängstigendem Gehämmer klopften. Es ermattete diese Empfindung sie so, daß sie manchmal vor Erschöpfung zu sterben glaubte. Ach, das wäre eine Erlösung für sie gewesen. In der Jugend stirbt es sich leicht – da sind wir noch nicht aus Gewohnheit irdisch; – im Alter liebt man das Leben – die Unvollkommenheit kettet an das Unvollkommene. Alix kannte vom Leben noch nichts, als ihre gebrochene Liebe; wie man sich nach einer langen heißen Reise nur danach sehnen kann, sich im eigenen kühlen Zimmer den Staub von den Füßen zu waschen, so sehnte sie sich nach dem Grabe.

Frau von der Burg bemerkte endlich, daß Alix sehr bleich wurde und daß ihre Züge einsanken. Diese Bemerkung hatte den Befehl zur Folge, daß Alix sich schminken und volle Locken tragen solle. Geduldig gehorchte Alix. Auch lud Frau von der Burg nur noch eifriger ein, ordnete unermüdlich alle mögliche Lustbarkeiten im Freien an. Bertha fragte einst mit ordentlicher Angst das junge Mädchen: »Alix, um Gottes willen, können Sie denn dieses Leben aushalten?« Alix legte den Kopf mit geschlossenen Augen zurück und antwortete: »Ich möchte allerdings lieber in der Sonne Aehren lesen; aber ich muß es doch ertragen.« – »Gott, erbarme Dich doch!« betete Bertha in ihrem gequälten Herzen.

Es kam ihr der Gedanke, Alix zu Wohlthaten zu leiten und so auf eine wirklich tröstende Art zu zerstreuen. Aber es blieb ihr da nichts zu lehren; diese Entdeckung überraschte sie mit Freude und Wehmuth zugleich. Alix hatte schon, als sie noch glücklich war, in lieblicher Heimlichkeit Gutes gethan, und da war sie dadurch doppelt glücklich geworden. Auch jetzt that sie es noch; aber es stillte nicht ihr Leid, daß sie Leiden stille. Das Herz muß schon halb in der Genesung sein, dem Wohlthun wohl thun kann. Bertha mußte auch diese Hoffnung aufgeben.

Der Rendant, von welchem Bertha einst erzählt, hatte sich in gesteigerter Melancholie endlich in das Wasser gestürzt. Die Frau blieb mit vier Kindern mittellos zurück. Die Majorin sicherte sogleich die Erziehung des einen; freigebig war sie mit vornehmer Bereitwilligkeit; ein sichtbares Bedürfniß durch Geben erleichtern, das war ihr bequem; mit eigener Aufopferung ein innerliches Leiden lindern, daran dachte sie nie; sie hatte Großmuth, aber keine Güte. Daher empfing, während jene verwittwete Mutter sie segnete, Alix von ihr kein Erbarmen, und doch bedurfte Alix dessen nicht minder. Auch äußerte sie gegen Antonie: »Der Mann ist glücklich – er durfte sein Leiden enden, weil er krank war. Dem Kranken wird es nicht angerechnet; wer aber im Leiden die Besinnung behält, der muß aushalten; von ihm kann noch Rechenschaft gefordert werden.« Antonie erzählte Bertha diese Aeußerung und setzte hinzu, daß Fräulein von der Burg durch das Aussehen des tiefsten Leidens schon lange ihre Aufmerksamkeit gefesselt habe. »Es kann mir manchmal ordentlich Angst um sie werden,« meinte sie lebhaft; »Ihnen nicht auch?« – »Ja,« antwortete Bertha schmerzlich; »sie sieht ungefähr aus, als redete sie alle Tage mit dem Tode, der sie noch nicht befreien darf.« – »Mir schauert vor dem Tode;« rief Antonie. »Weil Sie glücklich sind;« sprach die junge Frau erbleichend. »Warum hat auch der Graf Chala Fräulein Alix unglücklich gemacht!« rief Antonie in eifrigem Unwillen. »Ich habe mich sonst sehr für ihn interessirt; aber das vergebe ich ihm in meinem Leben nicht. Ein Mädchen, das ich ordentlich anbeten könnte!« – »Ja, vergebe Gott ihm alle Schuld an ihr!« sagte Bertha langsam. »Sie muß ihn schwer drücken; Schuld an einem armen Geschöpfe ist schwerer, als Schuld gegen Gott selbst; denn Gott kann nicht leiden; aber das Geschöpf kann es.« Bertha hatte in ihrer Einsamkeit denken gelernt.

Albert hatte im immerwährendem Kampfe mit sich noch nicht über sein Betragen mit sich selbst einig werden können und das Burg'sche Haus immer noch nicht wieder besucht, als er im Herbste zugleich einen Brief von Chala und die Nachricht erhielt, daß er an Chala's Stelle in dessen bisherige Garnison versetzt sei. Jetzt mußte er den gefürchteten Besuch machen, selbst wenn die dringenden Bitten des Grafen, der Mittheilungen über Alix begehrte, ihn nicht dazu bewogen hätten. Glücklicherweise fand er viel Gesellschaft und dadurch den neuen Eintritt in das Haus über alle Erwartung leicht, und so folgte er der Einladung, die er gleich darauf erhielt, schon minder beklommen. Alix hatte ihn, wie einen Freund empfangen. Es war ihr früher so zur Gewohnheit geworden, in seinen Augen eine Erwiederung auf jeden Gedanken zu finden, daß sie auch jetzt von ihnen eine milde Antwort auf die rührende Klage der ihrigen zu erwarten schien. Diese stumme Bitte bewegte Albert mehr, als der leidenschaftlichste Ausbruch es vermocht hätte; ebenso rührte ihn das neue innige Verhältniß zwischen Alix und ihrem Vater, welches vor ihm mit Zutraulichkeit gezeigt wurde. Albert hatte eines jener Herzen, wie barmherzige Brüder sie haben müssen – die aus Mitleid am mächtigsten fühlen. Bald besuchte er das Haus täglich und bemühte sich, Alix durch ausschließliches Gespräch etwas von der allgemeinen Gesellschaft zu befreien. Diese unterhielt sich schon nach einigen Tagen nur auf seine Kosten. Man wettete, ob er neue Hoffnungen habe, ob er dieses Mal glücklicher sein werde. Hätte Albert diese Bemerkungen erfahren, so würde er sich vielleicht im ersten Augenblicke verletzt zurückgezogen haben; denn wie alle Gemüther, die von der Empfindung beherrscht werden, war er gegen gewöhnliche Beurtheilung sehr empfindlich. Aber seine Abgeschlossenheit schützte ihn. Er lebte gar nicht mit seinen Kameraden und besuchte außer dem Burg'schen Hause nur das Bertha's. Eduard hätte sich wohl Neckereien erlaubt, die Alles offenbart hätten, doch Eduard sagte lachend, als man ihm dergleichen Aufträge ertheilen wollte: »Ei, da wäre meine Frau böse. Es ist ihr ausdrücklicher Befehl, daß ich den guten Andernach in Ruhe lasse, und ihr wißt, ich bin ein unterthäniger Ehemann.« Albert blieb demnach ungestört.

Der Major sah Albert gern kommen; obgleich der Graf, der durch seine unbegreifliche Gabe selbst den einfachen Mann ganz gefesselt hatte, ihm durch den edlen, aber schlichten Menschen nicht ersetzt ward. Auch die Majorin behandelte ihn wohl freundlich, aber ohne alle Auszeichnung. Ihre ganzen Erwartungen eilten jetzt ihren Neffen, den beiden Grafen Wallishausen entgegen. Im November kamen diese endlich an. Junge Männer mit gelben Handschuhen, wie sie nach Hunderten abgezählt werden können – stereotyp, fade, elegant und anmaßend. Frau von der Burg und die Gesellschaft waren jedoch entzückt von ihnen.

Der Aelteste, Graf Leopold, erklärte sich sogleich für den Anbeter seiner Cousine, erstens war Geld ihm keinesweges überflüssig; dann reizte auch ihre kranke Schönheit seinen raffinirten Geschmack außerordentlich. Alix fand selbst in ihrer tiefen Abspannung einige Kraft wieder, um sich den ersten seiner auffallenden, rücksichtslosen Huldigungen zu entziehen; da aber trat Frau von der Burg herrisch auf. Bisher war sie nur lieblos gegen ihr armes Kind gewesen, jetzt wurde sie hart und erklärte Alix, ihre Heirath mit dem Grafen Leopold sei so gut, wie bestimmt.

Als Alix bleich und bebend dieses Gespräch ihrem Vater erzählte, erwachte in dem Major fast zum erstenmale seit seiner Ehe das männliche Bewußtsein. »Da habe ich denn auch eine Einwilligung zu geben, oder abzuschlagen,« sagte er mit einem unwilligen Gesichte, »und ich gebe Dir mein Ehrenwort, Du sollst nicht gezwungen werden, Deinen Herrn Cousin zu heirathen. Aber freilich, einen argen Kampf mit Deiner Mutter muß ich aushalten;« setzte er mit einer Aengstlichkeit hinzu, die traurig und komisch zugleich gegen seinen eben geäußerten Muth abstach. Diese Aussicht brachte den armen Major um alle die Ruhe, die er in Folge von Alix Versicherungen kaum wiedergefunden hatte. Da er von Natur sehr zutrauensbedürftig war, besuchte er Albert und eröffnete diesem sein Herz. Albert war sonderbar erschüttert. Einige Minuten vorher hatte er einen neuen Brief von Chala bekommen, nachdem er auf den früheren, in irgend einem unbestimmten Gefühle befangen, nicht geantwortet hatte. Der Graf schrieb schmerzlich, anklagend: »Du hast nie die Reue gekannt – Du ahnst nicht, wie ich Nachrichten von Alix erwarte. Ein anderer von den Kameraden hätte mir längst geantwortet; doch ich will keinen Andern befragen; Dich frage ich nochmals: erfülltest Du meine Bitte? Bist Du der Schützer von Alix? Ist sie in der Genesung? Antworte; ich fordere es jetzt. Ich habe mich genug vor Dir gedemüthigt, um nicht wieder Deines Gleichen zu sein; als Mann fordere ich vom Manne offene Antwort.« Bertha's erwähnte er nicht.

»Es kann nicht anders sein,« sagte Albert halblaut vor sich hin, als der Major ihn verlassen hatte – »soll ich Alix beschützen, so muß ich ihr Mann werden. Ich glaube, es wird ein Opfer für sie sein, mein, oder irgend eines Mannes zu werden, und glaubte ich es möglich, jede Heirath von ihr abzuwenden, ich würde es unzart, ja fast roh finden, sie in ihrer traurigen Ruhe zu stören. Aber nur eine offene Entschiedenheit gegen die Absichten ihrer Mutter könnte ihr die Mädchenfreiheit sichern, und dazu hat dieses arme gedrückte Herz nicht Kraft genug. Angenommen es erhöbe sich zu dieser Anstrengung – ihr Leben unter dem Despotismus dieser Mutter, deren Befehle sie nicht erfüllt haben wird – was wird es denn sein? Ein tägliches Märtyrerthum, ohne die Erlaubniß der Thränen, ohne eine Aussicht, als auf das Grab. Alix weint nie – es ist ihr nicht gestattet, und nicht weinen zu dürfen, ist die fürchterlichste Sklaverei. Ich werde ihre gefangenen Thränen befreien – ich werde ihr stummes Leid sprechen machen – ich allein kann Geduld mit dem Schmerze haben, der einem Andern folgt. Es wird kein Glück sein, aber die Erfüllung einer ernsten Pflicht; aus Mitleid allein kann ich es thun, aber das Mitleid kann ebenso viel Zärtlichkeit enthalten, wie die Liebe –« Albert hielt hier inne; nach einer Minute sprach er fester und lauter: »Ich log mir; ich liebe sie noch, und eine tiefe Hoffnung auf Glück liegt für mich in ihrem Besitz; doch ich brauche mich nicht zu schämen; meine Hoffnung ist nicht unedel und Liebe nie thöricht.« Er war entschlossen.

An demselben Abend schrieb er an Alix und sprach offen gegen sie alle diese Gedanken aus; am andern Morgen erwartete er in dem Saale, wo er einst einen so schmerzlichen Schlag empfangen, das junge Mädchen und dessen Entscheidung.

Alix kam. Die letzte Hoffnung war in ihrem Herzen durch Alberts edlen Brief erweckt worden; sie wollte die Augen vor der Erinnerung und dem Schmerze schließen und in wohlthätiger Dunkelheit an Albert's Brust ruhen, bis sie ein neues Erwachen ertragen könne.

Aber sie fragte ihn erst, schüchtern und innig, ob er auch ganz erwogen habe, was ein krankes Herz an sich nehmen heiße und heische; wie viel stille Geduld da nöthig sei, wie viel Großmuth wie oft in ihrem Schweigen eine Kränkung für ihn liegen werde, wie er keine Erheiterung hoffen dürfe – und endlich, wie es immer noch ungewiß sei, ob sie ganz genesen könne.

»Ich liebe Sie,« antwortete Albert einfach, mit seinem schönen männlichen Entschlusse in Auge und Stimme, »und ich hoffe auf das göttliche Erbarmen.«

Alix senkte den Kopf, faltete die Hände und sagte: »So nehmen Sie das Geschöpf Ihres Erbarmens.« Und sie gab ihm fromm die Hände, immer noch gefaltet, ganz kalt, ganz feucht. Sonst flammten sie immer.

Albert berührte leise, mit ehrfurchtsvoller Achtung die zarten Hände mit seinen Lippen und ließ sie dann los. Keine Bewegung, kein Blick drückten sein neues Besitzrecht aus.

»Daß ich jetzt zum erstenmale Braut würde!« stammelte Alix und verbarg das Gesicht in den Händen.

»Ja, das wäre ein unendliches Glück gewesen;« erwiederte Albert traurig.

Es war eine ernste Verlobung.

Albert übernahm jede Erklärung. Die Majorin empfing sie mit offenem Mißvergnügen, das sogar in unangenehme Heftigkeit ausartete. In dergleichen Scenen verschwand die gewandte Frau gänzlich vor der rücksichtslosherrschsüchtigen. Albert behauptete sein Recht mit ebenso vieler Bescheidenheit wie Festigkeit; der gute Major brauchte zu seiner unaussprechlichen Erleichterung auch nicht eine Sylbe als Mann zu sprechen. Der Graf Leopold endete den ganzen Zwiespalt, indem er augenblicklich mit sichtbarer Geringschätzung auf den Besitz eines Mädchens verzichtete, das den lächerlich schlechten Geschmack hatte, ihm einen Andern vorzuziehen. Die beleidigte Eigenliebe machte ihn gleichgültig gegen jede eigennützige Rücksicht. Einige Tage darauf reiste er mit seinem Bruder ab.

Albert eilte, an Chala zu schreiben. Die Verlobung wurde erklärt, doch ohne durch ein Fest gefeiert zu werden, und die Gesellschaft ermangelte nicht, sie mit spottender Barmherzigkeit mit der ersten zu vergleichen. Albert wurde ironisch bedauert; man sagte, daß er nur eine Braut, keine Geliebte habe, daß er ein unglückseliges Glück erworben. Auch bedurfte es wirklich der ganzen, fast religiösen Hoffnung des jungen Mannes, um nicht durch die unsägliche Traurigkeit entmuthigt zu werden, die Alix trotz aller Anstrengungen nicht verheimlichen konnte. Aber Albert löste männlich die Aufgabe, die seine Liebe ihm gestellt. Gleich einem anvertrauten Gute, nicht gleich einem eigenen behandelte er die kranke Braut. Er war gegen die Mutter der Beschützer ihrer Stimmung; bald überließ Frau von der Burg ihm das langweilige Mädchen ganz und gar, und Alix genoß zum erstenmale seit ihrem Abschiede von Chala wenigstens einer äußerlichen Ruhe. Allerdings saß Albert oft bei ihr; aber er störte sie nicht, oder glaubte doch mindestens, sie nicht zu stören. Er las oder spielte ihr vor; es las auch für sich allein, wenn eben das Schweigen ihr Bedürfniß schien; er ließ sie, ermatteten ihre Augen mehr, als gewöhnlich, still an seiner Schulter ruhen. Niemals noch hatte er um das stumme, köstliche Geständniß, um einen Kuß gebeten. Diese Ueberwindung kostete ihn viel; doch er hoffte auf Entschädigung im einstigen Glücke. Uebrigens sollte der Brautstand nicht länger, als sechs Wochen dauern; Frau von der Burg erklärte, die Gegenwart ihrer Tochter hemme bei deren jetziger Laune ganz und gar die Geselligkeit, darum wünsche sie sobald wie möglich die Verbindung. Gleich nach dieser sollten die jungen Eheleute zu einem Besuche bei Alberts Eltern abreisen und von dort aus die Schweiz, vielleicht auch Italien besuchen. »Auf der Reise, hoffe ich, wird Alix ihre Albernheiten ablegen;« meinte die Majorin.


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