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Siebentes Kapitel

Von der Begegnung mit einem Mann, der Brotrinden in einer Quelle einweichte, und von ihrer Unterhaltung mit ihm.

 

Als wir etwa zwei Wegstunden hinter uns hatten, verspürten wir Appetit, und da wir zweihundert Schritte abseits von der Straße mehrere große Bäume sahen, die sehr angenehmen Schatten auf die Felder warfen, so bogen wir ab, um an dieser Stelle halt zu machen. Dort trafen wir einen Menschen von sieben- bis achtundzwanzig Jahren, der in einer Quelle Brotrinden aufweichte. Neben ihm lag ein langes Rapier im Grase, sowie ein Ränzel, das er sich von den Schultern genommen hatte. Er schien uns schlecht gekleidet, aber wohlgebildet und von gutem Ansehn. Wir grüßten ihn höflich, und er gab den Gruß zurück. Dann bot er uns von seinen Rinden an und fragte lachend, ob wir von der Partie sein wollten. Wir sagten ja unter der Voraussetzung, daß er sich fügte, wenn wir, um die Mahlzeit substantieller zu machen, unser Frühstück zu dem seinen täten. Er willigte mit Freuden ein, und wir packten alsbald unsre Waren aus, was dem Unbekannten nicht mißfiel. Ei, meine Herren, rief er voller Freude, das ist ein schöner Vorrat! Ihr seid, wie ich sehe, vorsorgliche Leute. Ich reise nicht mit so viel Umsicht; ich überlasse vieles dem Zufall. Aber trotz des Zustandes, in dem Ihr mich seht, kann ich ohne Eitelkeit sagen, daß ich bisweilen eine ziemlich glänzende Rolle spiele. Wißt Ihr, daß man mich meist mit Prinz anredet, und daß ich Wachen im Gefolge habe? Ich verstehe, sagte Diego; Ihr wollt zu erkennen geben, daß Ihr Schauspieler seid. Ihr habt es erraten, sagte der andre; ich spiele seit mindestens fünfzehn Jahren Komödie. Schon als Kind habe ich kleine Rollen gespielt. Offen gestanden, sagte der Barbier kopfschüttelnd, es wird mir schwer, Euch zu glauben. Ich kenne Komödianten; die Herren machen nicht wie Ihr Fußreisen und St. Antonius-Mahlzeiten. Ihr könnt, erwiderte der Schauspieler, von mir denken, was Ihr wollt; aber darum spiele ich doch die ersten Rollen: ich spiele die Liebhaber. Wenn es so steht, sagte mein Gefährte, beglückwünsche ich Euch, und ich bin entzückt, daß der Herr Gil Blas und ich die Ehre haben, mit einer Persönlichkeit von so hoher Bedeutung zu speisen.

Wir begannen nunmehr unsre Krusten und die kostbaren Reste des Hasen zu benagen, während wir dem Schlauch so stürmische Umarmungen zuteil werden ließen, daß wir ihn bald geleert hatten. Wir waren alle drei so beschäftigt, daß wir derweilen kaum ein Wort sprachen; aber nach dem Essen knüpften wir die Unterhaltung wieder an. Ich bin erstaunt, sagte der Barbier zu dem Komödianten, daß es Euch so schlecht zu gehen scheint. Für einen Theaterhelden seht Ihr recht bedürftig aus. Verzeiht, wenn ich Euch so offen meine Meinung sage. So offen! rief der Schauspieler aus; ah, wahrlich! da kennt Ihr Melchior Zapata kaum. Dem Himmel sei Dank, ich bin kein Querkopf. Ihr tut mir einen Gefallen, wenn Ihr mit so viel Offenheit sprecht, denn ich sage auch gern alles, was ich auf dem Herzen habe. Ich gebe zu, daß ich nicht reich bin. Seht, fuhr er fort, indem er uns zeigte, daß sein Wams mit Theaterzetteln ausgestopft war, das ist der Stoff, der mir meist als Futter dient; und wenn Ihr auf meine Garderobe neugierig seid, so will ich Eure Neugier befriedigen. Und er zog aus seinem Ränzel ein mit alten Borten aus falschem Silber besetztes Gewand, einen schäbigen Sombrero, ein paar alte Federn, ganz durchlöcherte seidene Strümpfe und sehr abgenutzte Schuhe aus rotem Maroquinleder hervor. Ihr seht, sagte er, ich bin ziemlich zerlumpt. Das wundert mich, erwiderte Diego; habt Ihr denn weder Frau noch Fräulein? Ich habe eine schöne und junge Frau, gab Zapata zurück, und bin darum doch nicht weiter gekommen. Bewundert das Verhängnis meines Sterns! Ich heirate in der Hoffnung, sie werde mich nicht Hungers sterben lassen, eine liebenswürdige Schauspielerin; und zum Unglück ist sie von unbestechlicher Sittsamkeit. Wer zum Teufel wäre nicht gleich mir darauf hereingefallen! Es muß unter den Landkomödiantinnen eine geben, die tugendhaft ist, und gerade sie muß mir in die Hände fallen! Das ist entschieden Unglück im Spiel, sagte der Barbier. Weshalb nehmt Ihr denn auch nicht eine Dame von der großen Truppe in Madrid? Da wäret Ihr sicher gegangen. Das gebe ich zu, erwiderte der Mime; aber zum Henker! ein kleiner Landkomödiant darf die Augen nicht zu jenen berühmten Heroinen erheben. Das könnte höchstens ein Schauspieler der Truppe des Prinzen; und auch, von denen muß sich noch mancher in der Stadt versorgen. Zu ihrem Glück ist die Stadt gut, und oft trifft man dort Persönchen, die manche Kulissenprinzessin in Schatten stellen.

Ei! habt Ihr nie daran gedacht, sagte mein Gefährte, Euch in diese Truppe hineinzuschlängeln? Braucht es dazu so unendlicher Verdienste? Was, erwiderte Melchior, macht Ihr Euch lustig mit Euern unendlichen Verdiensten? Es sind zwanzig Spieler. Fragt beim Publikum nach ihnen, und Ihr werdet in schönen Ausdrücken von ihnen reden hören. Mehr als die Hälfte müßten von Rechts wegen noch heute das Ränzel tragen. Aber trotz alledem ist es nicht so leicht, bei ihnen aufgenommen zu werden. Da braucht man Gold oder mächtige Freunde, um die Mittelmäßigkeit des Talents zu ergänzen. Ich muß es wissen, denn ich habe gerade in Madrid debütiert, und ich bin ausgepfiffen und niedergeschrien worden wie alle Teufel, obgleich man mir lauten Beifall hätte klatschen müssen; denn ich habe geschrien, ich habe überschwengliche Töne angeschlagen und habe mich hundertmal an der Natur versündigt; ja, ich habe meiner Prinzessin beim Deklamieren die Faust unters Kinn geschlagen; mit einem Wort, ich habe im Geschmack der großen Schauspieler hier zu Lande gespielt; aber dasselbe Publikum, das diese Manieren bei ihnen entzückend findet, konnte sie bei mir nicht leiden. Das ist das Vorurteil! Da ich also durch mein Spiel nicht gefallen konnte und keine Mittel besaß, meine Aufnahme denen zum Trotz, die mich auspfiffen, zu erzwingen, so kehre ich nach Zamora zurück. Dort will ich wieder zu meiner Frau und meinen Kollegen stoßen, deren Geschäft nicht gerade sehr blüht. Hoffentlich werden wir nicht noch sammeln müssen, um nur in eine andre Stadt auswandern zu können, wie uns das schon mehr als einmal begegnet ist.

Mit diesen Worten sprang der Prinz der Bühne auf, nahm Ränzel und Degen und sagte, indem er davonging, mit ernster Miene:

... Lebt wohl, Ihr Herrn,
Mög Euch der Götter Gunst geleiten nah und fern!

Und Ihr, antwortete Diego im gleichen Ton, mögt Ihr Eure Frau in Zamora verwandelt und in guten Händen wiederfinden! Sobald der Herr Zapata uns den Rücken gekehrt hatte, begann er im Gehen zu gestikulieren und zu deklamieren. Alsbald huben der Barbier und ich zu pfeifen an, um ihn an sein Debüt zu erinnern. Unsre Pfiffe erreichten sein Ohr: er glaubte das Zischen in Madrid zu hören; er sah sich um, und als er merkte, daß wir uns auf seine Kosten amüsierten, ging er, statt sich über den Possen zu ärgern, bereitwillig auf den Scherz ein und setzte seinen Weg laut lachend fort.


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