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Der Wald im Wechsel der Zeiten

Der Tertiärzeitwald und die Eiszeit – Die Bäume wandern aus – Ihre Wandergeschwindigkeiten – Was wir von dem Nacheiszeitwalde alles wissen – Die »mengenmäßige Pollenbestimmung« – Deutschland vor der Rückkehr der Bäume – Die Reihenfolge ihrer Einwanderung – Die damalige Bevölkerung deutschen Bodens – Die Hauptrodungszeiten – Der Eintrieb von Weidevieh in die Wälder – Ihre Ausnutzung durch übermäßigen Holzverbrauch – Die letzte Rodungsperiode und die Zeit der Wiederaufforstung – Der Waldbestand Deutschlands und seiner Länder.


Heimat ist eine Großmacht, unbesieglich, und letzten Endes auch unzerstörbar. Wenn wir [sie] zerstören, dann zerstören wir uns selbst; wir schaden nur unserem eigenen Glück und unserer Seele – aber die Heimat bleibt und bringt wieder neue Menschen hervor.

R. H. Francé.

 

Wir haben gelegentlich der Betrachtung des herbstlichen Laubfalls und seiner Entstehung schon kurz auf die Tatsache hingewiesen, daß nahezu alle unsere Waldbäume während der jüngeren Tertiärzeit bereits auf deutschem Boden wuchsen. Den Eichen und Buchen, Ahornen, Ulmen, Eschen, Birken, Pappeln, Weiden und anderen altvertrauten Gestalten gesellten sich die Nadelholzarten, die Kiefern, Fichten, Tannen, Eiben, und weiterhin viele halbtropische Bäume. Sie alle waren mehr oder minder zu Lebensverbänden zusammengeschlossen, die echtes Urwaldgepräge besaßen.

Jahrtausendelang haben »erste Menschen« solche Wälder vor Augen gehabt, vielleicht sogar deren Randgebiete als bergende Unterschlupfe benutzt – Urmenschen, die in sicheren Spuren zwar erst aus quartären Ablagerungen im Blickfeld der Vorgeschichtsforscher erschienen, doch zweifellos schon erheblich früher die Lebensbühne betreten hatten. Dann aber begann jener Klimasturz, der ganz allmählich, kaum wahrnehmbar für einzelne Menschengenerationen, im letzten Ergebnis zur Eiszeit führte und der halbtropischen Üppigkeit des Pflanzenlebens ein Ende machte.

Zu welchem Umfang sich das Unheil auf Deutschlands Urboden schließlich auswuchs, ist uns gleichfalls schon bekannt. Nur ein schmaler bewohnbarer Landstreif von dreihundert Kilometer Breite blieb zwischen dem südwärts gewanderten Eise und den nordwärts vorgerückten kleineren Alpengletschern frei, ein Lebensraum von bedrückender Enge, aus dem den gefährdeten Tieren und Pflanzen nur zwei Fluchtwege offenstanden: nach Osten über Ungarn und Rußland ins asiatische Gebiet, nach Westen ins unvergletscherte Frankreich und die Länder am Mittelmeer. Sie haben von diesen Fluchtmöglichkeiten in stärkstem Maße Gebrauch gemacht, besiedelten aber die Heimat von neuem, sobald in den wärmeren Zwischenzeiten die grause, eisgewordene Sintflut aus den geraubten Gebieten wich. Nur wenige wetterharte Bäume boten den Schrecken der Eiszeit Trotz: die Bergkiefer, die auf den Höhen thronte, häufig bis 500 Meter hoch, und die Waldkiefer, der sich die Birke gesellte, in den wärmsten tieferen Lagen am Oberrhein und am unteren Main. Die Fichte war im nordwestlichen Flachland während der ersten Zwischeneiszeiten ein sehr weit verbreiteter Baum.

Es mutet uns etwas sonderbar an, wenn wir hören, daß Bäume geflüchtet sein sollen, obgleich sie mit tausend Wurzelstricken an ihren Geburtsfleck gefesselt sind. Es ist aber auch nur bildlich gemeint, denn »wandern« im Buchstabensinne des Wortes können die Bäume des Waldes nicht. Wo die Bedingungen nicht mehr erfüllt sind, die sie zum Leben und Fruchten brauchen, gehen sie unabwendbar ein. Wenn sich jedoch die Verhältnisse ändern, siedeln sich ihre Artgenossen am gleichen Orte wieder an, weil die durch Wind oder tierische Hilfe in weitem Umkreis verbreiteten Früchte jetzt wieder auf einen Boden gelangen, der ihren Lebensansprüchen genügt. In diesem Sinn hat die Redewendung vom weiterrückenden, wandernden Wald doch eine gewisse Berechtigung.

Es ist gar keine Eiszeit nötig, um die natürlichen Grenzverschiebungen eines Waldes kennenzulernen, denn sie vollziehen sich überall, wo der Mensch sie nicht absichtlich verhindert. Einen verwaisten Ackerboden, ein nicht mehr benutztes Weideland nimmt unfehlbar der benachbarte Wald zur Vergrößerung seines Gebiets in Besitz, sofern ihm Zeit genug dazu bleibt und keine stärkere Macht ihn stört. Verschieden ist nur die Schnelligkeit, mit der er das neue Land erobert, um fortan Herrscher auf ihm zu sein. Es kommt auf die Art der Gehölze an, aus denen der ausbreitungslustige Wald zur Hauptsache sich zusammenfügt, denn jede einzelne Holzart in ihm gehorcht einem festen Lebensgesetz, das sie als uraltes Ahnenvermächtnis bereits im Samenkorn übernahm. Je weiter ein Baum seine reifen Samen in die Umgebung hinausstreuen kann, je früher er fortpflanzungsfähig wird und je kürzer bei ihm die Zeitspanne währt, in der sich die Samenjahre folgen, desto größer die »Wandergeschwindigkeit«. Für das Gedeihen der neuen Geschlechter spricht allerdings dann noch mancherlei mit, vor allem ihr Wärme- und Lichtbedürfnis.

Große Verbreitungsgeschwindigkeit ist beispielsweise der Birke eigen. Erstens erzeugt sie in Menge Samen, und zwar von so leichter und winziger Art, daß schon ein leise wehender Wind ihn weithin auszusäen vermag. Zweitens wird sie frühzeitig mannbar, im zehnten Jahre ihres Lebens, und drittens sendet sie ihren Samen in jedem zweiten Jahr über Land. Mit allen diesen Eigenschaften verbindet die Birke außerdem eine seltene Anspruchslosigkeit, die beinahe unkrautartig ist, sowie große Unempfindlichkeit gegenüber den Launen der Witterung.

In allem ihr Gegensatz ist die Buche. Vierzig Jahre im Mindestfalle muß sie alt geworden sein, bevor sie zum erstenmal Blüten treibt, womit indessen noch nicht gesagt ist, daß sie auch in demselben Jahre schon Samenfrüchte zur Reife bringt. Nehmen wir an, es gelänge ihr und es fände sich gleich auch ein hungriges Tier, das eine ihrer Früchte verschleppt, denn eigene Verbreitungsmittel besitzen unsere Buchen nicht. Das Glück soll ihr blühen, daß ein Häher mit einer ihrer Bucheln fortfliegt, und zwar, weil ein Habicht hinter ihm her ist, gleich einen Kilometer weit, was sicher nicht häufig der Fall sein dürfte. Aus Angst vor seinem gefährlichsten Feinde soll er die Nuß dann fallen lassen, und wiederum soll ein Glücksfall es fügen, daß sie auf geeigneten Boden fällt. Geht alles gut, so wächst an dem Orte eine junge Buche heran, die frühestens wieder nach vierzig Jahren die ersten Früchte zu zeugen vermag. Abermals soll dann ein Häher kommen und eine der reifen Bucheln entführen, wiederum kilometerweit und in genau der gleichen Richtung, die vor runden vier Jahrzehnten der erste Fruchtverschlepper einschlug. Ginge das Lotteriespiel so fort, so würde es vierhundert Jahre dauern, bis die Enkel der alten Buche zehn Kilometer gewandert wären, es sei denn, es hätte statt des Vogels gelegentlich ein fließendes Wasser die Fruchtbeförderung übernommen und die Wanderzeit abgekürzt.

Auf der Linie zwischen Birke und Buche, die gleichsam Gegenpole sind, bewegt sich nun das Verbreitungstempo der anderen Bäume, die vor der Eiszeit in Deutschland grünten, zum größten Teil durch sie vernichtet, zum andern in ihrer Nachkommenschaft nach Ost und West zurückgedrängt wurden, jedoch nach dem Einzug milderen Klimas den Urboden neu besiedelten und heute noch bei uns zu Hause sind. Nur die an ein warmes Klima gewöhnten halbtropischen tertiären Bäume sind nicht zu uns zurückgekehrt.

Vor zwei Jahrzehnten wies das Geschichtsbuch des nacheiszeitlichen deutschen Waldes noch zahlreiche leere Blätter auf. Wohl waren den Pflanzen- und Klimaforschern bereits seit vielen Menschenaltern Moore und Seeablagerungen als wichtigste Aufschlußquellen bekannt. Der Vorgeschichtsforscher Japetus Steenstrup hatte schon vor achtzig Jahren an Hand von Pflanzenüberresten, Blättern, Zapfen, Samen, Früchten, die samt und sonders aus Torflagern stammten, die nacheiszeitliche Waldgeschichte Dänemarks großzügig festgestellt, ohne daß die spätere Forschung viel daran zu berichtigen fand. In Deutschland ließen ähnliche Funde Rückschlüsse auf den Baumwuchs zu, und auch die Entdeckung von Knochenresten unzweifelhaft waldbewohnender Tiere in vorgeschichtlichen menschlichen Siedlungen trug vielfach zur Klärung der Waldkarte bei. Trotz allem blieb sie sehr unvollständig.

Bedeutend vertieft und erweitert worden ist unsere Kenntnis der Nacheiszeitwälder, ihrer Entwicklung und ihres Wandels erst in den letzten Jahrzehnten durch das neue Erkundungsverfahren der »mengenmäßigen Pollenbestimmung«. Man untersuchte den Torf nicht mehr nach gröberen Waldbaumüberresten, sondern prüfte ihn mikroskopisch und stellte dabei die Tatsache fest, daß er in ungeahnter Menge Blütenstaubkörner von Waldbäumen einschloß, die überwiegend windblütig waren, Pollen also, den vorzeiten auch nur der Wind aus benachbarten Waldungen in die Seen geweht haben konnte. Dank ihrer festen, der Zerstörung Widerstand leistenden Außenschicht war die Mehrzahl der Pollenkörner vollkommen unversehrt geblieben. Diese Blütenstaubniederschläge, die während der Bildung der in den Mooren übereinander gelagerten Schichten seit dem Ausklang der Eiszeit erfolgten, spiegeln in aller Deutlichkeit die wechselnde Waldzusammensetzung im Laufe der Jahrtausende wider. Sie geben Kunde von den Bäumen, die jeweils auf den Mooren selbst oder in deren Umgebung blühten, und weisen durch ihr Mengenverhältnis, das durch Zählung festgestellt wird, auch ziemlich verläßlich die Häufigkeit der verschiedenen Arten der Waldbäume nach.

So kurze Zeit erst verstrichen ist, seitdem die »Pollenanalyse«, wie die Fachbezeichnung lautet, planvoll in Angriff genommen wurde, so hocherfreulich sind die Ergebnisse, die durch die Zusammenarbeit vieler für die Sache begeisterter Forscher bis heute bereits erzielt worden sind. In großen Zügen steht das Bild der nacheiszeitlichen Waldentwicklung für Nord- und Mitteleuropa fest. Und reizvoll ist es, zu erfahren, wie die durch den letzten Gletschervorstoß vernichtete Walddecke unserer Heimat sich schrittweise neu gebildet hat.

Wie das Naturbild Norddeutschlands aussah, bevor die Baumwelt es wieder belebte, hat A. Jacobi eingehend geschildert. »Der Boden war eine auf weite Strecken ebene, in manchen Teilen höckerige Moränenlandschaft, in deren Süden sich ausgedehnte Schotterfelder voll wild zerstreuter Steinblöcke breiteten. Zahlreiche Rinnsale, Bäche und Flüsse führten die Schmelzwasser des Gletschers und der winterlichen Eis- und Schneedecke sowie die Niederschläge den großen Strömen zu. Da der Untergrund vielfach Ton und außerdem in geringerer Tiefe gefroren war, fanden in den Vertiefungen die Sickerwasser keinen Abfluß, sondern sammelten sich zu zahlreichen Blänken, Tümpeln, Teichen und Seen an. Dazwischen erstreckten sich bald Ebenen, bald Bodenwellen, bedeckt mit Lehm oder Sand und Kies, auf denen Gletschergeschiebe jeder Größe herumlagen. Die mit Wasserabfluß versehenen Ebenen und ausgedehntere Erhebungen dürften im Sommer eine sehr trockene Oberfläche gehabt haben. Ihr Lehmboden bildete dürre Triften, in denen nach allen Seiten hin klaffende Riffe entstanden. Steinflechten und anspruchslose Moose, jene die Blöcke überziehend, diese in den Zwischenräumen und Vertiefungen, bildeten die Vorhut des Pflanzenlebens. In den Taleinschnitten, unter Wind- und Schneeschutz, siedelte sich die Zwergstrauchheide an, bestehend aus den niedrigsten Holzgewächsen wie Zwergweide, Zwergbirke, Bärentraube und anderen Heidepflanzen, Krähenbeere usw., während die achtblätterige Silberwurz ihre Polster zwischen den Schutt der Rinnsale vorschob. Die Tümpel und seichten Seeufer waren bald von Feuchtigkeit liebenden Mooren überzogen, zwischen denen rasenbildende Ried- und Wollgräser sich ansiedeln konnten. Erst später, mit steigender Jahreswärme, dürften sich die echten Torfmoose eingestellt und die Bildung ausgedehnter Tundramoore herbeigeführt haben. Mit der zunehmenden Vermoorung bildete sich infolge der bekannten Wachstumsweise der Torfmoose die trockene Höckertundra aus, in der sich zahlreiche Buckel und Hügel aus Torf aneinanderreihen und auf ihrem Rücken wieder die Heidesträucher und Renntierflechten Fuß fassen lassen. Wo aber die Moräne die Torfdecke durchbrach, wo sich weite Decken von Lehm, Sand und Kies breiteten, da hatte unter den ausdörrenden Winden und Sonnenstrahlen die Trocken- oder Widertonmoos-Tundra Platz. Genügsame Laubmoose bildeten die dürftige, oft unterbrochene Pflanzendecke. Wo Trockenrisse das Tagewasser sammelten, da bot sich jedoch auch den Blütenpflanzen eine Lebensmöglichkeit. Steinbreche, Ampfer, Veilchen und Mohn leiteten einen Blütenflor ein, der sich an windgeschützten, sonnenbestrahlten Abhängen mit Süßgräsern zu üppigen Matten ausbreitete.«

Die Vorstellung von der unbelebten und belebten Natur der eisfrei gewordenen Gebiete faßt selbstverständlich nicht das ganze Norddeutschland in ein Bild zusammen, denn der Rückzug des Inlandeises lieferte erst allmählich den Untergrund, auf dem Befeuchtung mit wärmerem Wasser, als es die Schmelzbäche führten, sowie Verwitterung und Humusbildung einen für Pflanzenwuchs geeigneten Nährboden schufen. Es folgten sich also im allgemeinen von Norden nach Süden Zonen von zunehmender Güte des Bodens und des Klimas, die in sich wieder Abstufungen ihrer Eigenschaften aufwiesen.

In die so vorbereitete Landschaft kehrten nun während der mittleren Steinzeit bei immer noch kühler Temperatur allmählich die Waldbäume wieder zurück. Als erster die Berg- oder Krummholzkiefer, auch Legföhre oder Latsche genannt, die von der Gletscherzeit her gewohnt war, daß ihr ein langer strenger Winter den eisigen Fuß auf den Nacken setzte, indem er sie unter Schneelast begrub. Sie setzte sich auf den Höhen fest, denn Schutz gegen Winde brauchte sie nicht. Genug, wenn in den Sommermonaten, während der Dauer der Wachstumszeit, der Boden genügend Wärme besaß. Gegen Austrocknung schützte sie ihn selbst durch ihren niederen, strauchigen Wuchs. Ihr Weg war verhältnismäßig kurz und ihre Wandergeschwindigkeit groß.

Nicht lange nach ihr nahmen Birken und Weiden geeigneten Orts vom Boden Besitz, und schließlich rückte die Waldkiefer ein, heute unser häufigster Waldbaum, und dehnte dank ihrem Samenreichtum ihr Wohngebiet bald weiter aus. So schnell freilich, wie sich das schreiben läßt, vollzog sich die Ausbreitung dieser vier Bäume über die einstige Heimat nicht. Selbst die früh mannbar werdende Kiefer mit rasch sich folgenden Samenjahren benötigt mindestens tausend Jahre zur Überwindung einer Strecke, die ein gemütlich bummelndes Auto in knapp zwei Stunden hinter sich bringt. Eine lange Reihe von Jahrtausenden mußte also Vergangenheit werden, bevor die ersten Waldpioniere allerorts wieder ansässig waren. Daß noch ein kühles Klima herrschte, wird unter anderm dadurch bewiesen, daß unsere Kiefer ein »Frostkeimer« ist. Nur wo ihre Samen drei Monate lang der Frosteinwirkung ausgesetzt sind, entwickeln sie sich ordnungsgemäß.

Noch während der Kiefern-Birkenzeit, die keine wirklichen Wälder kannte, sondern nur wie unsere Parke inselartig zerstreute Baumgruppen oder vereinzelt stehende Bäume, verbesserte sich allmählich das Klima, so daß auch wärmeliebende Holzarten wieder passende Unterkunft fanden. Ihr Schrittmacher war der Haselstrauch, der im Punkte der Pollenerzeugung sämtliche Waldbäume übertraf und in den offenen Kiefernbeständen mit Leichtigkeit festen Fuß fassen konnte. In vielen Teilen Mitteleuropas, besonders im Westen und in den Gebirgslagen weiter Landgebiete des Ostens, breitete er sich massenhaft aus und wurde zum vorherrschenden Gehölz. Von Dauer jedoch war sein Siegeslauf nicht. Der Eichenmischwald mit Linden und Ulmen, denen sich auf entsprechendem Boden noch die Erle beigesellte, rückte, soweit ihm die Nadelhölzer nicht den Vormarsch streitig machten, von Süden her dem Haselstrauch nach und zwang ihn zur Unterholzrolle herab. Auch die Fichte war im Anmarsch und setzte sich in Mitteldeutschland, in den herzynischen Bergländern, fest. Der herrschende Waldbaum dieser Epoche, während der in den Monaten Mai bis September, der entscheidenden Vegetationszeit, 15 bis 17 Grad Wärme herrschten, blieb aber unbestritten die Eiche.

siehe Bildunterschrift

Tafel 22
Der Auerhahn balzt

siehe Bildunterschrift

Tafel 23
Ein riesiger Ameisenhügel, das Bauwerk der Roten Waldameisen

siehe Bildunterschrift

Tafel 24
Schneebruch und Windbruch im Nadelwald

siehe Bildunterschrift

Tafel 25
Fichten an der Baumgrenze des Brockens in schwerem Kampf mit den Winden

Die letzte und bedeutendste Wandlung, die das Gefüge der deutschen Wälder in vorgeschichtlicher Zeit erfuhr, war durch die Rückkehr von Buche und Tanne im Ausklang der jüngeren Steinzeit bedingt. Sie waren am weitesten nach Westen und Südwesten abgedrängt worden und hatten deshalb von allen Bäumen die längste Strecke zurückzulegen. Außerdem stellten sie an das Klima, vor allem an die Feuchtigkeit, mehr Anforderungen als ihre Vorläufer und breiteten sich am langsamsten aus. Beharrlichkeit aber führte ans Ziel, und zwar um so sicherer, als sie beide ausgesprochene Schatthölzer sind, die sich zumal in ihrer Jugend selbst noch im Dämmerlicht wohlbefinden. Nachdem sie einmal heimisch geworden, begann in den Wäldern der Kampf ums Licht, der in der Kiefern-Birkenzeit überhaupt noch keine Rolle spielte und in der Eichenmischwaldzeit nur eine untergeordnete.

Die Eiche ist ein duldsamer Baum, der trotz seiner Hoheit auch minder Vornehme willig neben sich aufkommen läßt. Niederen Sträuchern, Stauden und Kräutern gönnt er Raum unter seinem Dache, und zierlichen Moosen, Farnen und Waldblumen läßt er neidlos die Möglichkeit, sich in seiner Stammnähe anzusiedeln. Wo aber eine Buche eindringt, setzt gleich zwischen ihr und den Nachbarbäumen ein erbitterter Ringkampf ein. Sie wächst der Kiefer über den Kopf, die sie unter ihrem lockeren Schirmdach ahnungslos emporschießen ließ, und schneidet ihr grausam die Lichtstrahlen ab, die keine Kiefer entbehren kann. Sie vertreibt in Gemeinschaft mit ihresgleichen die Birke aus ihrer nächsten Umgebung, wie ängstlich diese sich abmühen mag, ihren Wipfel aus dem gefährlichen Dämmer der Buchenkronen herauszuwinden. Selbst an die Eichen wagt sich die Buche, und in der Regel sogar mit Erfolg. Die knorrigen alten Eichenrecken spotten zwar der Hartnäckigkeit des zähen, unerbittlichen Gegners, denn sie sind langlebiger und stärker, ihr junger Nachwuchs aber kommt im finsteren Schatten der Buchen nicht auf. So bleibt diesen schließlich doch der Triumph.

Auch in den offenen Eichenmischwald der jüngeren Steinzeit drangen sie ein und dehnten ihr Herrschaftsgebiet darin aus, während die Tanne sich mehr und mehr in Fichtenwäldern einnistete und dort als Schattholz in ähnlicher Weise die stammverwandten Rivalen besiegte. Nur im nördlichen Europa behauptete sich der Fichtenwald und blieb dort, die Rolle der Buchen spielend, das stark vorherrschende Nadelholz. Das Ende war, daß auf deutschem Grunde während der älteren Bronzezeit in tieferen Lagen der Eichenmischwald vom Buchenwald vielfach zurückgedrängt wurde, in höheren der Fichtenwald vom besser gerüsteten Tannenwald. Auch viele Gräser, Kräuter und Stauden, die als Gefolgschaft der großen Herren in Deutschland eingewandert waren und zwischen Kiefern, Eichen, Ulmen, Linden und anderen Mischwaldbäumen ihr friedlich-stilles Genügen hatten, sind vom Buchenwald ausgelöscht worden, in dem sich obendrein noch die Hainbuche als ein weiteres Schattholz einfand.

Auf dieser letzten Entwicklungsstufe in immer noch vorgeschichtlicher Zeit verdichteten sich die deutschen Wälder infolge des ihnen günstigen Klimas zuletzt bis zur Undurchdringlichkeit und damit auch Kulturfeindlichkeit. Tacitus' Schilderung fällt uns ein, die er vom alten Germanien gab: aut silvis horrida aut paludibus foeda – ebenso grauenhaft wegen seiner Wälder wie scheußlich wegen seiner Sümpfe. Doch wissen wir längst, daß das so nicht stimmt. Wohl waren zwei Drittel von Deutschlands Boden mit Laub- und Nadelholz bedeckt, in einzelnen Gegenden mehr als drei Viertel, und wohl gab es in den Stromniederungen als Folge häufiger Überflutung ausgedehnte Brüche und Sümpfe, denn keiner der Flüsse war damals schon in feste, geregelte Bahnen gelenkt. Am Oberrhein zwischen Vogesen und Schwarzwald beherrschte der Bruchwald bedeutende Flächen.

Es gab aber andrerseits weite Gefilde, auf denen die Steppe ihr Gepräge trotz der Wälder bewahren konnte. Das waren, wie Gradmann erstmalig nachwies, die großen norddeutschen Stromterrassen, der Ostrand des Harzes, das Hügelland am Nordrand unserer Mittelgebirge, die Niederungen am Main und Neckar, die Hügel im Umkreis der Rheinebene, das Vorland der Alpen von der Schweiz bis nach Niederösterreich und schließlich die Hochflächen der Schwäbischen und Fränkischen Alb. Überall waren es die Bereiche, in denen vor Zeiten Steppenstürme lockeren, feingekörnten Lehm zu starken Schichten angehäuft hatten, Staubmassen, die der Beschaffenheit nach wie in der Art ihrer Lagerung durchaus mit dem gelben »Löß« übereinstimmten, wie er in Asiens Wüsten vorkommt. Sie sind uns als die Stätten bekannt, auf denen sich die ältesten Siedlungen vorgeschichtlicher Menschen fanden.

Die Jungsteinzeitleute, die sie bewohnten, lebten nicht mehr von der Hand in den Mund. Zwar nahmen auch sie, wie die Vorfahren taten, was die Natur ihnen freigebig bot, doch nicht mehr ohne Gegenleistung. Als Viehzüchter und als Ackerbauer erzeugten sie für die empfangenen Gaben durch eigene Arbeit neue Werte und hatten damit die höchste Stufe der Wirtschaftskultur bereits erreicht. Schon diese Tatsache lehrt überzeugend, daß Deutschland während der jüngeren Steinzeit nicht ausschließlich von Wäldern bedeckt war und daß es geradezu sinnlos ist, sich seine damaligen Bewohner schlechthin als Waldmenschen vorzustellen. Gewiß, es hausen heute noch in Afrikas Wäldern mancherlei Stämme, die ihren Lebensunterhalt durch Jagd und Früchtesammeln gewinnen, doch sind das Menschen von zwerghaftem Wuchs, geistig und körperlich Kümmerlinge, die nicht freiwillig den feuchten Urwald mit seiner dämmrigen Ungastlichkeit zu ihrer ständigen Heimat machten. Sie suchten dort Schutz gegen die Gefahr, von stärkeren Stämmen erdrückt zu werden. Jedoch für die Leute der jüngeren Steinzeit, die die von den Gletschern zurückgelassenen mächtigen Irr- oder Wanderblöcke zu »Hünengräbern« zu türmen vermochten – Zyklopenarbeit wie uns dünkt – und damit gleichzeitig ihren Toten und sich selber Denkmale setzten, war solcher Urwald kein Aufenthaltsort. Ihre Siedlungen lagen auf den weiten, vom Löß befruchteten Buschsteppenflächen, auf denen parkähnlich kleine Gehölze mit offenen Grasfluren abwechselten. Wälder zu roden vermochten sie nicht. Ihre Werkzeuge reichten dazu nicht aus. Wohl aber war es ihnen ein Leichtes, den Wald vom Kulturboden fernzuhalten, wobei ihnen schon der Weidebetrieb in wirksamster Weise zu Hilfe kam. Auch Grasbrände, durch ein Zufallsfeuer oder absichtlich hervorgerufen, werden wohl dabei mitgewirkt haben.

Bis weit in die geschichtliche Zeit erfuhr das Gesicht der deutschen Waldkarte keine erhebliche Änderung. Die Römer haben zwar vielerorts durch die Anlage ihrer strategischen Straßen, Kastelle und Grenzbefestigungen das landschaftliche Bild beeinflußt, die Waldfläche aber kaum stark verringert. Sofern nicht Erzlager oder Heilquellen zu umfangreicheren Rodungen reizten, mieden sie den geschlossenen Wald. Selbst bei der Errichtung des großen »Limes«, des Schutzwalls gegen die mit Recht von ihnen gefürchteten Germanen, umgingen sie dichtbewaldetes Bergland, auch dort, wo die direkte Linie strategisch vorzuziehen war. Erst nach der Völkerwanderung, mit der Wiederkehr einer Zeit der Ruhe, während der die Bevölkerungsdichte stieg und die Landnot immer drückender wurde, begann man den Wäldern zuleibe zu gehen und ihnen Kulturboden abzuringen. Der Ackerbau drängte nach und nach die Viehzucht immer mehr zurück, die während der großen Wanderzüge noch in voller Blüte stand. Die Fertigkeit der Bodenbearbeitung schritt selbstverständlich weiter fort und ihre Ausübung wurde wichtiger als der bequemere Weidebetrieb. Es galt, die alten Siedlungsflächen entsprechend dem Bevölkerungszuwachs, dessen Überschuß nicht mehr so wie früher in Nachbarländer abströmen konnte, weiter und weiter auszudehnen, das heißt zunächst die Randgebiete der Wälder mit der Axt zu bekämpfen und später auch, wo es möglich war, in die Waldmasse selber vorzudringen.

Die eigentliche Rodungszeit, die anfangs des 6. Jahrhunderts begann, erreichte einen Höhepunkt erstmalig unter den Karolingern, ebbte im 10. Jahrhundert ab, um im 11. fast völlig zum Stillstand zu kommen, und nahm dann im 12. und 13. Jahrhundert nochmals einen Umfang an, wie er bis dahin nicht erlebt worden war. Am Ende des 13. Jahrhunderts war die Verteilung von Wald und Kulturland, wie sie das heutige Deutschland zeigt, im großen und ganzen abgeschlossen. Die Wälder in ihrer Zusammensetzung glichen freilich den heutigen nicht. Aus Urkunden und Überlieferungen geht mit Sicherheit hervor, daß auf zwei Dritteln der ganzen Waldfläche das Laubholz unbedingt vorherrschend war, soweit es sie nicht ausschließlich bedeckte. Heute kommen ihm knapp ein Drittel der gesamten Waldfläche zu. Nur im Harz, im östlichen Deutschland mit Einbeziehung der Sudeten, des Erzgebirges und des bayerisch-böhmischen Grenzgebirges, in der Oberpfalz, in Oberfranken und im Alpenvorland der bayerischen Hochebene überwogen die Nadelhölzer. Während sich nach den Ermittlungen der Orts- und Flurnamenforschung von den auf Holzarten deutenden 6905 Ortschaftsnamen im deutschen Sprachgebiet nur 790 auf Nadelbäume bezogen, lassen sich 6115 unzweideutig mit Laubbäumen in Zusammenhang bringen.

Ursache der Rodungen war, wie gesagt, die Gewinnung von Neuland zu Anbau und Siedlung. Neuland besitzen bedeutete Wohlstand, und Wohlstand war eine Quelle der Macht. Damit ist bereits angedeutet, daß nicht die bäuerlichen Siedler die treibende Kraft bei den Rodungen waren, so häufig auch Raumnot und Holzbedarf sie sehr wahrscheinlich zur Axt greifen ließen. Die Führung bei der Bekämpfung der Wälder lag bei ganz anderen, stärkeren Mächten. In erster Linie wird die Erschließung von Neuland den Klöstern zugeschrieben, denn ähnlich wie in unseren Tagen die Missionare in tropischen Ländern häufig die ersten Kulturbringer sind, so bildeten im Mittelalter die Klöster im deutschen Urwaldgebiet die ersten Stützpunkte für dessen Besiedlung. Die Fürsten beschenkten sie mit Wildland, und zwar mit bedeutend größeren Flächen, als es zur Gründung der Klöster bedurfte, wohl wissend, daß die Mönche selbst und die von ihnen wiederum durch Landverleihung gewonnenen Helfer (in der Regel ärmere Freie) den Boden bald urbar machen würden. War er erst fruchttragender Besitz, so kam sein Ertrag ja irgendwie der Allgemeinheit wieder zugut. Besonders unter Karl dem Großen, der zahlreiche Klöster gestiftet hat, wurde dem Wald viel Boden entrissen. Er selbst gab auf seinen Gütern das Vorbild, indem er planmäßig roden ließ, und Adel und Geistlichkeit folgten nach, um möglichst viel Ackerland zu gewinnen und von Bauern bewirtschaften zu lassen, die ihnen natürlich zinspflichtig waren.

Ob auch die Bekehrung der Germanen zum Christentum eine Rolle gespielt hat bei der Verringerung des Waldlands, bleibt vorläufig eine offene Frage. Möglich wäre es immerhin, denn die Götter der Germanen hatten ihre Heimstatt im Wald und wurden in »heiligen Hainen« verehrt. Die Haine aber bestanden aus Eichen, die als dem Donnergott Donar geweiht, dem Gott, der befruchtende Regen spendet, mit höchster Ehrfurcht betrachtet wurden. In ihrem Schatten opferte man, und die Schädel der geopferten Pferde hängte man nach beendeter Feier an den Stämmen der Eichbäume auf. Unter der »Mahleiche« hielt man Gerichtstag, und mit Kränzen aus Eichenlaub wurden verdienstvolle Taten belohnt. Um die Zeit, da das siegreiche Christentum die alten heidnischen Bräuche bekämpfte, war in den Wäldern noch immer die Eiche der bei weitem häufigste Baum. Leicht möglich demnach, daß eifrigen Priestern die Rodung eines Eichenwaldes als gottgefälliges Werk erschien, hatte doch Bonifatius im Jahre 724 ungestraft die heilige Eiche zu Geismar in Hessen fällen lassen, einen altehrwürdigen Opferbaum, und damit den Beweis erbracht, daß die germanischen Heidengötter dem Christengott unterlegen seien.

siehe Bildunterschrift

I. Holzartenbestand der deutschen Wälder um 1300.
Aus Hueck, Pflanzenwelt der deutschen Heimat, Band II.

Um die Wende zum 12. Jahrhundert, zu Anfang der zweiten Hauptrodungszeit, setzte allmählich die Besiedlung der mittel- und süddeutschen Bergwälder ein. Mit einziger Ausnahme wohl des Schwarzwalds, auf dessen Höhen die Rodungsarbeit von Osten her schon um 900 begann, waren die Wälder der Mittelgebirge bisher von der Axt verschont geblieben. Jetzt war die Reihe auch an ihnen. Bei der ständig wachsenden Volkszunahme genügten die Flachlandbereiche nicht, die dem Wald bereits entzogen waren. So wurden ihm jetzt mit vermehrtem Eifer weitere Teile abgerungen, fast drei Jahrhunderte hindurch. So tollwütig rodete man darauf los, daß viele der waldfrei gewordenen Flächen sich nicht für die Dauer behaupten ließen, weil sie als Ackerland unbrauchbar waren und ihre Ansiedler nicht ernährten. Sehr groß muß in manchen Gegenden die Zahl der enttäuschten, weil um die Frucht ihrer jahrelangen, mühseligen Arbeit geprellten Bauern gewesen sein, denn das Erblühen und Verschwinden von Gründungen während dieser Zeit ist aus den Ortsnamen nachweisbar, die damals gang und gäbe waren.

siehe Bildunterschrift

II. Holzartenbestand der deutschen Wälder um 1900.
Nach Hausrath aus Hueck.

Meist hingen sie mit »roden«, »reuten« oder mit »hagen« (umzäunen) zusammen, und Namen so bezeichnender Art sind zwischen 1100 und 1400 in Menge wieder ausgelöscht worden. Allein in Hessen verschwanden von 550 neugegründeten Dorfschaften nicht weniger als 360, beinahe zwei Drittel! Der Wald hat das Land zurückerobert, das ihm gewaltsam entrissen war. Für seinen Haushalt taugte der Boden.

Ob solche sich häufenden Mißerfolge allmählich die Einsicht reifen ließen, daß sich nicht in beliebiger Menge gutes, anbaufähiges Neuland aus den Wäldern gewinnen lasse, zumal bei der völlig mangelnden Kenntnis zweckentsprechender Bodenbehandlung? Oder ob das bis dahin betriebene Roden langsam in klarer denkenden Köpfen die ernste Sorge wachwerden ließ, es könnte als Folge der unsachgemäßen, übersteigerten Waldausbeutung bald eine schlimme Holznot entstehen? Darüber wissen wir leider wenig. Jedenfalls hörte der »Abbau« der Wälder um 1400 fast überall auf und Neusiedlungen fanden fast nur noch statt, wo Bergwerke zu erschließen waren, seien es Erz- oder Steinsalzwerke.

Man muß sich klarmachen, welche Bedeutung der Wald in früheren Jahrhunderten für die gesamte Volkswirtschaft hatte, um ebenso seine gründliche Schröpfung während der Rodungsperioden wie die darauf folgende Besorgnis der Landesherren und Grundeigentümer vor seiner Erschöpfung zu verstehen. Bei sorglicher Pflege und Bewirtschaftung leistet der Wald unendlich viel durch seine gewaltige Zeugungskraft, bis tief in das Mittelalter hinein aber fehlte es an Verständnis dafür, was ihm zu seiner Erhaltung frommt. Man konnte die Holzmasse, die er barg, ebensowenig genau ermitteln wie seinen Zuwachs im voraus errechnen. Jahrhundertelang trieb man Raubbau am Wald. Rücksichtslos nahm man ihm, was man brauchte, Holz zum Hausbau und zu Geräten, zum Herdfeuer und zum Schutz gegen Kälte, zum Bergbaubetrieb und zur Erzausschmelzung, zu Speer und Schild, zu Bogen und Pfeilen, zum Schiff und zur letzten Behausung der Toten. Und doch war es bis zum endlichen Abschluß der letzten, einschneidendsten Rodungszeit durchaus nicht das dringend benötigte Holz, was Waldeigentum so schätzenswert machte. Auch der bedeutende Reichtum an Wild und die wegen ihres sportlichen Reizes viel mehr als aus wirtschaftlichen Gründen von Königen und begüterten Edlen mit Leidenschaft geübte Jagd bestimmte nicht den Wert des Waldes, sondern außer der Möglichkeit, durch Rodung Neuland aus ihm zu gewinnen, vor allem seine hohe Bedeutung für die Haltung des großen Viehstands, den die Volksernährung bedingte.

Lange Jahrhunderte hindurch wurden Rinder, Ziegen oder Schafe zur Weide in den Wald getrieben, der sich, wie wir wissen, zum größten Teil aus gemischtem Laubholz zusammensetzte, und trugen das ihrige dazu bei, die Rodungstätigkeit zu erleichtern. Ein einziger Sommer reichte schon aus, um große Waldteile zu verwüsten, denn selbstverständlich begnügten die Tiere, in erster Linie die Ziegen, sich nicht mit dem Gras- und Kräuterwuchs, zumal er oft spärlich genug sein mochte. Sie gingen auch die Holzpflanzen an, besonders deren jungen Nachwuchs, weideten das junge Laub, soweit es ihnen erreichbar war, zertraten Bäumchen, zerknickten Zweige oder benagten die schmackhafte Rinde, kurz machten den Wald, in dem sie hausten, zu einer höchst unerfreulichen Stätte. Nicht selten sank er durch die Weide zum jammervollen Gestrüpp herab. Solange es Holz im Überfluß gab und das Waldnutzungsrecht nicht geregelt war, galt die Waldweide als erlaubter Brauch, dessen Ausübung die Besitzer der Wälder ohne Einspruch geschehen ließen. Schon in der Karolingerzeit erhoben jedoch die Eigentümer oft Abgaben für den Weidebetrieb, gewöhnlich in Form bestimmter Mengen von »Weidekorn« oder »Weidehafer«, die gleich nach der Ernte zu liefern waren.

Noch höher gewertet als die Waldweide wurde von früh an die Schweinemast, bei der es um die Früchte des Waldes, um Eicheln, Bucheln und Wildobst ging, genossen doch die »fruchtbaren Bäume« schon seit alters besonderen Schutz. Als Abgabe wurde, wie Hausrath berichtet, der zehnte Teil der eingetriebenen Schweine gefordert, und das Gesetz der Westgoten verlieh dem Waldeigentümer das Recht, beim ersten Betreffen einer fremden Herde in seinem Walde ein Pfand zu nehmen, den Besitzer der Schweine zu dessen Einlösung aufzufordern und sich mit ihm wegen der weiteren Nutzung und Zehntung zu verständigen. Tat jener das nicht und wurde die Herde zum zweitenmal im Walde betroffen, so durfte der Waldeigentümer, je nach der Zahl der eingetriebenen Tiere, eins oder zwei wegnehmen, beim drittenmal aber den zehnten Teil der Herde. »Die Stellung des Schweinehirten entsprach in den alten Volksrechten ganz der des göttlichen Sauhirten der homerischen Zeit. Obwohl Unfreier, war er eine wichtige Person und wurde durch ein höheres Wergeld (Sühne für Totschlag oder Körperverletzung) aus der Zahl der Hörigen herausgehoben.«

Auch in den späteren Jahrhunderten, die auf die große Rodungszeit folgten, kamen die beiden Nutzungsarten Weide und Mast nicht außer Gebrauch, doch wurden sie, da der Wert der Wälder nach Abschluß der Ausbeutungsperiode ganz erheblich gestiegen war, lange Zeit stark eingeschränkt. Waldeigentum und Nutzungsrechte erfuhren eine schärfere Regelung, und vielfach schlossen die Waldeigentümer sich zu Genossenschaften zusammen und setzten allerlei Vorschriften durch, die der Erhaltung des Waldes dienten. Stark eingeschränkt wurden Weide und Mast erst seit dem 18. Jahrhundert. Der stärkere Anbau von Futterkräutern und die Einbürgerung der Kartoffel führten vielfach ihr Ende herbei, indem sie sie überflüssig machten.

Die lange Ruheperiode, die den Wäldern seit 1400 infolge strenger Rodeverbote und besserer Wartung beschieden war, fand im 17. Jahrhundert durch den Dreißigjährigen Krieg und die ihm folgenden Zeiten der Not betrüblicherweise wieder ein Ende. Zwar hatte der Wald in beträchtlichem Umfang volksarm gewordene Gebiete und durch die Kämpfe verwüstete Fluren wieder in Besitz genommen, also seine Fläche vergrößert, andrerseits aber durch häufige Brände und durch das Vieh der bedrängten Bauern, denen er oft genug Zuflucht wurde, schwere Schädigungen erlitten. Er mußte die Schatzungen aufbringen helfen, mit denen das Kriegsvolk die Städte belegte, und nach dem Frieden vor allen Dingen der Geldnot der Regierungen steuern. Der Wald war die sicherste Einnahmequelle, und da die Not wirklich drückend war, so wurden die Wälder auf jede Weise zu ihrer Bekämpfung ausgenutzt. Bis tief ins 18. Jahrhundert.

Um wieder Geld ins Land zu bringen, wurde Holz im großen verkauft, und um den Waldertrag zu erhöhen, legte man Eisen- und Glashütten an, Gewerbe, die viel Holz verbrauchen. Zur Förderung der Tuchindustrie, die in der Zeit ihres Aufblühens stand, wurden den Wollelieferanten, den Schafen, von neuem die Wälder geöffnet, nachdem sie schon seit geraumer Zeit aus ihnen verbannt gewesen waren. Auch die Schweinemast wurde begünstigt, weil damals die Mehrzahl der Volkswirtschaftler, wie Endres, der Forstpolitiker, schreibt, in ihr eine ausgezeichnete Lösung der vielerlei Gegensätze sahen, die in bezug auf die Waldausnützung zwischen den strengen Landesherren und ihren Untertanen bestanden. »Dem Wald war die Mast durch Begünstigung der natürlichen Verjüngung vorteilhaft (die Schweine wühlten auch viele Eicheln und Bucheln dabei unter, so daß sie besser keimten), dem Ärario brachte sie viel Geld, die Landwirtschaft machte sie lebensfähig, den Untertanen verschaffte sie billiges Fleisch, und endlich kam durch den Verkauf der gemästeten Tiere viel Geld ins Land. So wird denn auch in der Literatur jener Zeit mehrfach die Frage erörtert, ob es vorteilhafter sei, einen alten masttragenden Eichenwald einzuschlagen und das Holz zu verkaufen, oder ihn stehen zu lassen und nur den Mastertrag zu genießen. Die Mehrheit entschied sich für das zweite Verfahren, zumal für Länder mit dichterer Bevölkerung.«

Auch der Holzbedarf für den Hausbau stieg. Die Köhlerei, die für Schmiede und Hüttenwerke den Brennstoff lieferte, und die Zunft der »Aschenbrenner«, die Pottasche für die Seifensieder und für die Glasmacherei erzeugte, bedurften großer Mengen von Holz. Und was die Gefahr für den Wald noch erhöhte, das war die durch die Not der Kriegszeit aufgekommene Nutzung der Waldstreu, der abgefallenen Blätter und Nadeln, der Moose und vieler niederer Pflanzen, die zur Entblößung des Bodens führte. Wir wissen, welche große Bedeutung für den Fortbestand eines Waldes gerade die Bodendecke hat. Die Bauern von dazumal wußten es nicht (so wenig es die späteren wußten, denn heute noch ist in deutschen Wäldern die Streunutzung vielfach stehender Brauch), doch waren sie damals von sich aus im Recht, wenn sie zur Erhaltung ihrer Wirtschaft die Waldbodendecke in Anspruch nahmen. Die Kriegsheere hatten die Saaten verwüstet und die Viehställe leer gemacht. Nicht einmal nur, sondern oft wiederholt. Die Äcker drohten ohne Düngung keinen Ertrag mehr abzuwerfen. Was kümmerte sie die Erhaltung des Waldes?

So kann es uns nicht wundernehmen, daß im 18. Jahrhundert der Wald, der schönste Schmuck der deutschen Landschaft, nach zeitgenössischen Berichten einen trostlosen Eindruck machte. Die Holzpreise stiegen mit jedem Jahrzehnt, obgleich die Regierungen sich bemühten, den Holzverbrauch mehr und mehr einzuschränken, und das Gespenst einer kommenden Holznot tauchte vor aller Augen auf. Es blieb zum Glück auch nur ein Gespenst, wennschon die allgemeine Besorgnis keineswegs unbegründet war. Rodungen wurden in diesem Jahrhundert nur östlich der Elbe ausgeführt, vor allem an der Küste in Pommern und auf den preußischen Nehrungen. Überall sonst begnügte man sich, schon früher urbar gewesenes Land, das sich der Wald in den Kriegsnotzeiten wieder angeeignet hatte, von neuem zur Siedlung zurückzuerobern.

Eine letzte stärkere Rodungszeit im Zeichen der volkswirtschaftlichen Lehren des englischen Nationalökonomen Adam Smith umfaßte die ersten Jahrzehnte des 19. Jahrhunderts. Smiths damals weitverbreitete Anschauung, daß nur von vollständiger Erwerbs- und Verkehrsfreiheit im Gegensatz zu allen Beschränkungen durch staatliche Eingriffe, durch Vorrechte, Zünfte usw. das Heil für die Staatsbürger ausgehen könne (in Wahrheit ein graues Gedankengespinst), wirkte sich wie auf andern Gebieten auch für die Wälder zum Nachteil aus. Nicht nur private Grundeigentümer, auch viele Gemeinden griffen damals ohne Bedenken – und in der Regel auch vom Staate nicht behindert – scharf in ihren Waldbesitz ein. Zahlreiche kleinere Waldbesitztümer wurden gar völlig abgeholzt, um als Nutzland verkauft zu werden. Die Folgen solcher Kurzsichtigkeit aber traten nur zu bald ans Licht. Teils waren die gerodeten Böden zum Ackerbau ganz ungeeignet, teils bildeten sich Wanderdünen, die fruchtbares Land verschütteten, und wo an Abhängen im Gebirge der schützende Wald gefallen war, stellten sich Hochwasserschäden ein. Man erkannte, als das Verhängnis da war, daß die Gesetze der Natur oft härter und unerbittlicher sind als unbequeme Menschengesetze.

Aufs neue begann als Gegenwirkung eine Wiederaufforstungszeit, verbunden mit einem erhöhten Waldschutz, der dank dem Aufschwung der Forstwissenschaft und der durch sie gewonnenen Einsicht in die Harmonie der Kräfte, die in jedem Waldwesen wirken, mehr und mehr als für Volk und Heimat von größter Bedeutung anerkannt wurde. In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts ist mit rühmenswertem Eifer die Waldfläche Deutschlands vergrößert worden. Nicht weniger als 123 000 Hektar Ödländereien und herabgekommene Waldungen wurden wieder aufgeforstet, und Preußen allein hat seinen Besitz im Laufe der letzten fünf Jahrzehnte (seit 1880) um rund eine halbe Million Hektar vermehrt. Auch nach dem Versailler Friedensdiktat, das ihm rund 1,8 Millionen Hektar seiner früheren Waldfläche raubte, ist Preußen mit 7 411 985 Hektar das waldbesitzreichste deutsche Land.

In weitem Abstand folgt nach dem Ergebnis der Erhebungen von 1927 Bayern mit fast 2,5 Millionen Hektar, während die übrigen deutschen Länder bedeutend weniger Waldbesitz haben. Oberbayern allein hat mehr Wald als Sachsen mit seinen 250 514 Hektar, und Ober- und Niederbayern zusammen erfreuen sich einer mehr als viermal so großen Waldfläche wie Württemberg, das in bezug auf Waldbesitz den dritten Platz unter den Ländern einnimmt (604 195 Hektar). An vierter Stelle steht Baden mit 581 981 Hektar, an fünfter Thüringen mit 386 673 Hektar. Im ehemaligen Sachsen-Meiningen und Schwarzburg-Rudolstadt bedecken die Wälder rund 44 v. H. der Landesfläche. Der Waldbesitz Hessens beträgt 230 165 Hektar, die beiden Mecklenburg verfügen zusammen über 314 406 Hektar, Braunschweig über 109 451, Oldenburg über 64 575, Anhalt über 58 453 Hektar. Am wenigsten Waldbesitz hat, wenn wir die waldarmen Freien Städte Hamburg mit 1408 und Lübeck mit 4036 Hektar außer acht lassen, Schaumburg-Lippe mit 6595 Hektar. Bemerkenswert ist, daß alle an die Nord- und Ostsee grenzenden Länder und Landesteile einen geringen Waldbestand haben, was wohl eine Folge der Seewinde ist, sowie daß die Waldfläche im Verhältnis zur Gesamtbodenfläche der Länder von Norden gegen den Süden hin zunimmt. Einzig Thüringen mit seiner besonders dichten Bewaldung marschiert außer der Reihe. Die Gesamtmasse aller deutschen Wälder verteilt sich auf rund 9 Millionen Hektar Nadelholz und 3,6 Millionen Laubholz. Der Nadelwald bedeckt rund 71 vom Hundert, der Laubwald rund 29 vom Hundert.

In der Reihe der europäischen Länder steht Deutschland, gemessen am Waldbesitz, immer noch ziemlich günstig da, denn 27 vom Hundert seiner Gesamtbodenfläche sind mit grünen Wäldern bedeckt. Dennoch sind wir außerstande, den Riesenbedarf an Brenn- und Nutzholz durch eigene Wirtschaft hervorzubringen, obgleich zumindest in staatlichen Forsten kein einziger Baum mehr geschlagen wird, für den kein entsprechender Zuwachs bereitsteht. Noch immer muß aus Überschußländern in Menge Rundholz eingeführt werden, doch brauchen wir deshalb nicht düster zu sehen. Noch ist der aufforstungsfähige Boden in Deutschland bei weitem nicht erschöpft, und außerdem sind der Forstwirtschaft schon heute Mittel und Wege bekannt, um aus ihren Forsten ohne Verwüstung größere Ernten herauszuholen. Der Möllersche Dauerwaldgedanke wartet auf seine Verwirklichung. Die Zeit der Eingriffe in die Forste, wie sie in den Kriegs- und Nachkriegsjahren (von 1915 bis 1920) auf Kosten ihres Gleichgewichts aus Not und Leichtsinn begangen wurden, muß freilich für immer vorüber sein. Der Wald muß heilig gesprochen werden, und seine Hüter müssen erkennen, daß ihnen wertvollstes deutsches Gut, echtestes Volksgut anvertraut wurde.

Der folgende Abschnitt soll uns die Wälder, ihre Pflanzenwelt und ihre Tierwelt, im einzelnen näher kennen lehren.


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