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Die deutschen Nadelwälder

Der Kiefernwald: Seine verschiedenen; Typen – Naturgeschichte der Kiefer – Die Bergkiefer – Die Zirbelkiefer – Die Sträucher und Bodenpflanzen – Fichtenwald und Tannenwald – Die Fichte oder Rottanne und ihre Naturgeschichte – Die Weiß- oder Edeltanne – Die Douglastanne – Sträucher und Bodenpflanzen im Fichten- und Tannenwald - Lärche und Eibe – Naturgeschichte der Lärche – Die Eibe oder der Taxus und seine Bedeutung in früherer Zeit – Wo gibt es noch Eibenbäume? – Tierleben im Nadelwald – Säugetiere – Vogelleben im Nadelwald-Insektenleben.


Das tiefe und starke Naturgefühl, welches die alten Deutschen auf ihren Bergen und in ihren Wäldern mit der vaterländischen Luft einatmeten, ist der eigentliche Grundzug ihres Charakters. Sollte jemals bei den Deutschen dieses Naturgefühl erlöschen, so würde das ein Beweis sein, daß der deutsche Charakter aufgehört habe zu sein.

Fr. von Schlegel.

 

Der Kiefernwald

Warum just er an der Spitze marschiert? Nun, weil er an der Bewaldung Deutschlands den weitaus stärksten Anteil hat. Beinahe die Hälfte der ganzen Waldfläche, der unser Vaterland sich erfreut (5,5 Millionen Hektar), wird heute von der Kiefer beherrscht. Sie ist unser wichtigster Holzerzeuger, weil keine andere Waldbaumart so genügsam im Anspruch an Boden und Klima und keine so vielfältig nutzbar ist. Der ärmste Sandboden ist ihr noch recht. Sie siedelt sich freiwillig darauf an und findet auch ihr Gedeihen auf ihm. Ihre mächtige Hauptwurzel, wie ein Pfahl tief in den Untergrund versenkt, so daß sie den Stürmen Trotz bieten kann, und ein gewaltiges Wurzelgeflecht, das weithin wasser- und nahrungsuchend das Erdreich ihrer Umgebung durchzieht, verleihen ihr dazu die Fähigkeit. Das eigentliche Gebiet der Kiefer ist die östliche Hälfte des norddeutschen Flachlands mit Einschluß der Mark Brandenburg. Hier ist sie der Charakterbaum und bestimmt sie durch ungeheure Bestände, die weithin keine Einsprengsel kennen, siegessicher das Landschaftsbild. Auch im Westen und Süden ist sie vertreten, doch spielt sie dort nirgends die große Rolle wie in Ostelbien und in der Mark. Ausgedehnte Kiefernforste gibt es nur noch in der Rheinebene zwischen der Mündung der Ill und des Mains und in Mittelfranken um Nürnberg herum. Im Mittelgebirge sind Kiefern nicht selten, doch stehen sie hinter der Fichte zurück. Im Hochgebirge, in den Alpen, kommt die Kiefer auf Fels- oder Schüttboden, also an trockenen Stellen vor, wo sie den Wettbewerb anderer Bäume, die schneller und höher wachsen als sie, zu ihrem Heil nicht zu fürchten braucht.

Jeder kennt die Kiefer oder Föhre, auch wer sonst nichts von den Waldbäumen weiß, am besten aber vielleicht der Berliner, dem sie der Stolz seiner Heimat ist. Er schätzt sie nicht ohne Grund so hoch, denn nirgendwo sonst wirkt der Kiefernwald so malerisch wie im Kranz um Berlin. Das Blau der verschwiegenen Grunewaldseen, das dunkle Grün der Föhrenkronen und das im verglimmenden Abendsonnenschein auf weite Ferne leuchtende Rot ihrer schlanken, hochgewachsenen Stämme gibt einen guten Zusammenklang. Leistikow malte den Kiefernwald so, er hat seine Schönheit erst entdeckt, und andere Maler folgten ihm nach. Wenn freilich kein freundlich spiegelnder See, kein Bach, kein Vogelruf Abwechslung bringt in die Ernsthaftigkeit der astlosen Stämme, die immer einer dem andern gleichend ein regungsloses Nadeldach stützen, stundenweit, ein gewaltiges Heer – wenn Gluthitze über dem Ganzen brütet und aus der Nadelstreu widerstrahlt, dann kann ein Marsch durch den Kiefernforst unsagbar bedrückend und trostlos sein.

Es kommt dabei auf den Untergrund an, in dem die Bäume verwurzelt sind, vor allem auf seine Tiefgründigkeit und die Möglichkeit der Humusbildung. Nach A. Cajander, einem bedeutenden finnischen Forstmann, unterscheidet man mehrere Kiefernwaldtypen, benannt nach verschiedenen »Leitpflanzen«-Arten, die regelmäßig in ihnen vorkommen, weil sie auf einen ganz bestimmten Zustand des Waldbodens eingestellt sind. Die ärmste Form des Kiefernwaldes trägt ihren Namen »Flechtentyp« nach einer bekannten Säulenflechte ( Cladonia), die den Waldboden dicht überzieht. Die Bäume, meist künstlich angepflanzt auf lockeren, trockenen Binnendünen, sind unterernährte Kümmerer, krumm und dünnschäftig, im glücklichen Falle etwa 9 bis 10 Meter hoch. Nur Licht fließt ihnen in Fülle zu, da sie nie eng beisammenstehen, weshalb auch ihre buschige Krone tief herabzureichen pflegt. Armselig ist auch der Bodenbewuchs. Hier und da ein Schafschwingelpolster, ein wenig blaßgelbes Habichtskraut, ein paar kaum blütentreibende Gräser (Silbergras und Schillergras) sowie etliche gleichbescheidene Pflanzen mit nur geringem Wasserbedarf.

Ist der Boden ein wenig feuchter, so daß seine Decke nicht nur von Flechten, sondern auch von allerlei Moosen, besonders vom Schlafmoos gebildet wird, und stellt sich massenhaft Heidekraut ein, nach dem dieser Waldtyp den Namen führt (Heidekrauttyp), so sieht der Forst schon viel freundlicher aus. Die Bäume stehen im Kronenschluß, die Stämme werden beträchtlich höher, und neben dem Heidekraut treten vor allem Preisel- und Heidelbeeren auf, letztere freilich nur schwach entwickelt. Die Krautflora ist um Wachtelweizen, Goldruten, Katzenpfötchen, Bärlapp und etliche andere Pflanzen vermehrt.

siehe Bildunterschrift

Tafel 26
Meisen und Meisenverwandte
Links Goldhähnchen und Kleiber,
rechts Tannenmeise, Kohlmeise und Haubenmeise

Eine dritte Form der Kiefernwälder auf abermals besserem, lehmigem Boden ist nach der Heidelbeere benannt, denn diese, die in Heidewäldern bestenfalls kümmerlich gedeiht, tritt hier in der Rolle der Leitpflanze auf. Mit geraden Schäften, die in Brusthöhe bis einen Meter Durchmesser haben, wachsen die Kiefern zu stolzen Bäumen von etwa 40 Meter empor, breiten erst im obersten Drittel ihren stattlichen Nadelschirm aus und liefern ein vorzügliches Holz. In Pommern und ebenso in der Neumark treten nach Hueck bei diesem Waldtyp vereinzelt eingesprengte Buchen, in Ostpreußen und Oberschlesien Fichten und im mittleren Brandenburg nicht selten Eichen und Buchen auf. Unterholz und Bodenflora sind gleichfalls um ein bedeutendes reicher als im Heidekiefernwald. Der Wacholder findet sich überall, an lichteren Stellen gedeihen Hundsrose, Weißdornarten und Heckenkirschen. In der Krautschicht über dem Teppich der Moose sind besonders bemerkenswert der seltsame bleichgelbe Fichtenspargel, das immergrüne nordische Moosglöckchen ( Linnaea), verschiedene Arten des Wintergrüns, Erdbeeren und Steinbeeren sowie der hübsche, weißblühende Siebenstern und das zweiblättrige Schattenblümchen. Von all diesen wird noch die Rede sein. Schließlich tauchen im Heidelbeerwaldtyp (in Norddeutschland der verbreitetste) zum erstenmal auch Farnkräuter auf.

Am üppigsten gedeihen die Kiefern in Forsten vom »Ruchgras-« und »Sauerkleetyp«, die häufiger noch als beim Heidelbeertyp durch eingesprengtes Laubholz belebt sind. Außer Rotbuchen und Eichen kommen noch Hainbuchen und Birken vor. Die Zwergsträucher treten dagegen zurück, und auch die schwellenden Moosrasen fehlen, während die steifen Pyramiden der immergrünen Wacholdersträucher in manchen Gegenden diesen Wäldern geradezu das Gepräge geben.

Sehen wir uns nunmehr die »Hauptperson«, um die herum sich alles gruppiert, die Kiefer, Föhre, Forche oder Forle ( Pinus silvestris), näher an. Für Freunde der Wortforschung sei bemerkt, daß der gebräuchlichste Name Kiefer aus Kien-Föhre, das heißt harzreiche Föhre, durch Zusammenziehung entstanden ist. Rasch ist ihr Steckbrief zusammengestellt. Die Rinde der jungen benadelten Zweige zeigt eine glanzlos graugelbe Färbung, die der älteren Äste und jüngeren oberen Stammteile, die in papierdünnen Streifen und Fetzen abblättert, ist meistens lebhaft gelbrot gefärbt. An älteren Kiefern weist die allmählich dicker und dicker gewordene Rinde bei außen graubrauner und innen lebhaft rotbrauner Tönung zahlreiche Längs- und Querrisse auf. Ein Querschnitt durch sie läßt in deutlichen Schichten ihren allmählichen Aufbau erkennen. Die in der Regel 4 bis 6 Zentimeter langen Nadeln stehen in anfangs silberweißen, später bräunlich gefärbten Scheiden paarweis auf einer kleinen Erhöhung. Nach ihrem Abfall, der je nach dem Standort nach Ablauf von zwei bis vier Jahren erfolgt, immer im Laufe des Oktobers, erscheinen daher die Kiefernzweige wie mit winzigen, schraubig stehenden Höckern besetzt. Auf der äußeren, etwas gewölbten Fläche sind die Nadeln dunkelgrün, auf der inneren ebenen Fläche meergrün. Vom Grunde bis zur Spitze sind sie gewöhnlich um einen vollen Umgang gedreht. Zieht man die Nadeln durch die Finger, so fühlt man, daß sie mit Wachs überdeckt sind – zur Erschwerung der Wasserverdunstung. Zerreißt man eine Kiefernnadel, so zeigen sich an der Rißstelle zarte weiße Fäden – das Festigungsgewebe zur Verstärkung der Oberhaut.

Das Wachstum der Kiefer geht anfangs langsam, dann aber immer rascher vonstatten, am schnellsten zwischen dem fünfzehnten und fünfundzwanzigsten Jahr. Da sie, wie uns bereits bekannt, ein ausgesprochener Lichtbaum ist, so muß sie sich sputen emporzukommen, wenn sie nicht unter das Schattendach eines flinkeren Nachbarn geraten will. Auf gutem Boden und bei ausgiebigem, womöglich vollem Lichtgenuß ist die junge Kiefer am Ende des zweiten Lebensjahres 0,1, im vierten 0,7 und im sechsten 1,5 Meter hoch. Im Alter von fünfundzwanzig Jahren ragt sie als Baum schon 10 Meter empor. Mit vierzig Jahren ist dieser zu 15,5 Meter, mit sechzig zu 21,5 und mit achtzig Jahren zu reichlich 25 Meter Höhe herangewachsen, ohne damit sein Wachstum schon abgeschlossen zu haben. Im Gegenteil, er wächst rüstig weiter, wenn ihm der Forstmann das Leben läßt und keine Naturmacht ihn niederstreckt. Vom hundertsten Lebensjahre ab wird die Zuwachsleistung zwar immer geringer, doch bringen es kräftige Bäume bei günstigen Standortsverhältnissen auf frischem, sandig-lehmigem Boden mit hinreichend feuchtem Untergrund auf 35, 40 und 45 Meter Höhe, besondere Glückspilze wohl gar auf 50 Meter bei 3 bis 4 Meter Stammumfang. Wird doch von einzelnen Kiefern berichtet, die annähernd 600 Jahre alt geworden sein sollen, was freilich sehr schwer nachprüfbar ist. In Deutschland zählen dreihundertjährige Bestände bereits zu den größten Seltenheiten, denn meistens gewährt man in unseren Forsten den Kiefern nur ein Alter von 80 bis 100 Jahren, in denen ihr Nutzwert am größten ist und das Holz zu Bauzwecken die reichste Verwendungsmöglichkeit bietet. Für Kiefernstarkholz beträgt die »Umtriebszeit« 120 Jahre, für Grubenholz nur 40 bis 60 Jahre.

siehe Bildunterschrift

Die Kiefer oder Föhre.
1. Triebspitze mit weiblicher Blüte.
2. Zweig mit männlichen Blüten.
3. Reifer und 4. geöffneter Zapfen.
5. Weibliche Blüte.
6. Samenschuppe mit dahinterstehender Deckschuppe.
7. Samenschuppe mit Samenknospen.
8. Zapfenschuppe mit Samen.
9. Dieselbe von der Außenseite.
10. 11. Samenflügel, das Samenkorn abgefallen.
12. Männliches Blütenkätzchen.
13. 14. Pollenkorn.
15. Keimpflanze.
16. 17. Nadelpaar und Querschnitt der Nadeln.

In ihrer Jugend vermag die Kiefer selbst dem ungeschulten Laien ihr Alter schwer zu verheimlichen. Im ersten Jahr trägt der winzige Keimling, der völlig dem einer Fichte gleicht, zunächst einen aufwärts gekrümmten Quirl aus 6 bis 8 dreikantigen »Keimnadeln«. Dann bildet er einen Höhentrieb mit sogenannten »Erstlingsnadeln«, die flach geformt und am Rande gezähnt sind. Sie stehen noch einzeln an dem Sproß und sind spiralig angeordnet. Im zweiten Jahr ein neuer Trieb mit wiederum gezähnten Nadeln, in deren Achseln aber nunmehr schon zweinadelige Kurztriebe angelegt sind. Im dritten Lebensjahr bildet die Kiefer zum erstenmal einen Zweigquirl aus, der paarweis gestellte Nadeln trägt, wie bei den erwachsenen geformt, und in der Folge setzt sie alljährlich aus Endtrieb und Zweigkranz ein neues Stockwerk auf ihren sich langsam verstärkenden Schaft. Die Anzahl der Stockwerke unter Hinzurechnung der noch quirllosen ersten Jahre zeigt also das Alter des Bäumchens an. Später wird das Abzählen schwierig, denn wenn im Verlauf des Stangenholzalters die Formung der Kiefernkrone beginnt, wie sie für den Baum bezeichnend ist, so wird allmählich der Astwuchs so üppig, daß es bald völlig unmöglich ist, den Stamm bis zum Wipfel hinein zu verfolgen, vor allem bei Kiefern im freien Stand. Im Schluß aber reinigt sich der Stamm bis weit hinauf von den unteren Ästen, die wegen Lichtmangels nicht mehr gedeihen, und läßt nur kleine Stumpfreste stehen, die oft kaum noch bemerkbar sind. Dann können allein noch die Jahresringe Aufschluß über das Alter geben.

Im Freistand werden unsere Kiefern mit 15 bis 20 Jahren mannbar, im geschlossenen Bestande zwischen dem dritten und vierten Jahrzehnt. Bis dahin stehen sie scheinbar leblos auf dem ihnen zugewiesenen Fleck und lassen Sommer, Herbst und Winter teilnahmslos an sich vorüberziehen, als ginge die Umwelt und ihr Wechsel sie nicht im geringsten etwas an. Einzig zehn Wochen im ganzen Jahr, von Anfang Mai bis Mitte Juli, regt sich in ihrer Krone Leben, sichtbares, nicht bloß heimliches. Die jungen Triebe drängen zum Licht, werfen die Knospenhülle ab, und hoch im Gipfel wie an den Zweigenden schießen neue Sprosse hervor und heben sich durch ihr lichteres Grün gewinnend vom Dunkel der älteren ab. Erst streben sie im Jugendfeuer sämtlich geradeswegs nach oben, wie Kerzen an einem Weihnachtsbaum, bald aber neigen sie sich herab, bis sie den Geschwistern gleich waagerecht stehen, und fügen sich dem Gesamtbild ein. Wenn die Julisonne zu brennen beginnt, ist der Jahrestrieb bereits abgeschlossen, und stumm und starr steht der Wald wieder da, jahraus, jahrein – bis zur Mannbarkeit.

Nach deren Eintritt nimmt auch die Waldkiefer teil an der großen Liebesfeier, die rings die ganze Natur begeht. Im Norden um Anfang Juni herum, im Süden immer im Wonnemonat, steckt sie ihre Blüten heraus, nicht prunkende, sondern schlichte Gebilde, ihrer Lebensart angemessen. Männliche und weibliche Blüten treten am selben Baume auf, die weiblichen rot und kugelig rund, gewöhnlich zu zweien nebeneinander auf einer jungen Triebspitze stehend, die männlichen gelb und ährenartig am Grunde neuer Triebe gehäuft. Sie sind es, die in günstigen Jahren in wahrhaft ungeheurer Menge Pollenkörner aus sich entsenden und dadurch, wie weiter vorn erzählt (Seite 66), die Mär vom Schwefelregen veranlaßten. Da die einzelnen Pollenkörnchen mit je zwei luftgefüllten Blasen für ihre Reise gerüstet sind, vermag sie schon ein leiser Wind über weite Strecken hinwegzutragen. Durch Feuerschiffe mit Auffangvorrichtung, die an der Küste vor Anker lagen, ist zuverlässig erwiesen worden, daß Kiefernpollen imstande ist, über 60 Kilometer weit vom Ursprungsorte fortzufliegen.

Die befruchtete rote Samenblüte schwillt bis zum Beginn des ersten Winters zu einem zierlichen Zäpfchen an, das etwa Haselnußgröße hat und erst im Oktober des nächsten Jahres die ihm gebührenden Maße erreicht: bis 7 Zentimeter Länge bei 3,5 Zentimeter Dicke. Ein Teil der 4 Millimeter langen Samen, mit einem schiefen, löffelähnlichen Flügel versehen, fällt dann wohl schon aus dem Zapfen heraus, sofern die Witterung günstig ist, und schwebt als »Schraubenflieger« davon. Die Hauptmasse aber verläßt den Zapfen erst im Frühling des nächsten Jahres. Die allbekannten grauen »Kienäpfel« bleiben meistens noch bis zum Herbst, zuweilen noch länger am Baume hängen. Die Samen bewahren ihre Keimkraft drei, nicht selten vier Jahre lang.

Das Saatgut, das der Forstmann braucht zur Erneuerung abgeholzter Wälder, zur Unterstützung ihrer Verjüngung auf natürlichem Wege oder zur Aufforstung öden Landes, gewinnt er zumeist aus dem eigenen Wald, und zwar von einwandfreien Bäumen, weil er nur so die Gewähr dafür hat, daß die aus dem Samen gezogenen Pflanzen in seinem Bezirk gut gedeihen werden. Bei einem Baum von so weiter Verbreitung, der in den verschiedensten Klimagebieten, im Flachlande wie im Gebirge vorkommt, ist Rassenbildung selbstverständlich, und nicht jede Rasse verträgt die Verpflanzung in eine ihr fremde Klimaprovinz und erfüllt die Erwartungen, die der Forstmann an den Wuchs seiner Zöglinge stellt.

Die geernteten, noch geschlossenen Zapfen werden entweder durch Sonnenbestrahlung oder durch mäßige Ofenwärme zum »Klengen« oder Springen gebracht, das heißt auf ein Lattengitter geschüttet und so lange fleißig umgewendet, bis sich die geschlossenen Fruchtschuppen öffnen und die geflügelten Samen herausgleiten. Eine Auffangvorrichtung sammelt die Körner, die darauf von den Flügeln befreit und von Staub und anderem Zusatz gereinigt werden. Im großen erfolgt die Samengewinnung in sogenannten Klenganstalten mit Hilfe künstlicher Wärmequellen, Darren und großer eiserner Trommeln, deren Wände durchlöchert sind, damit die Samen hindurchfallen können. Die Samen werden zunächst im Pflanzgarten oder im »Saatkamp« ausgesät und die entstandenen jungen Pflanzen im zweiten Jahre noch einmal »verschult«, das heißt mit weiteren Abständen in ein anderes Beet versetzt, damit ihre Wurzeln sich kräftig entwickeln. In seinem zweiten Lebensjahr wird das kleine Bäumchen ins Freiland gebracht. Bei keinem Baum sonst ist das Wurzelgeflecht, das die kräftige Pfahlwurzel rings umgibt, gleich reich verzweigt und ausgedehnt. Bei einer sechs Monate alten Kiefer wurden bereits 3135 Wurzelfasern und Fäserchen gezählt, die aneinandergelegt eine Länge von mehr als elf Meter gehabt haben würden.

Der Nutzwert der Waldkiefer ist bedeutend. Sie segelt, nachdem sie vom Walde geschieden, als Schiffsmast durch Flüsse und über Seen und kommt als Bauholz, Werk- oder Brennholz in alle Häuser von Stadt und Land. Dank seinem reichen Harzgehalt ist ihr Holz an der Luft wie unter Wasser außerordentlich dauerhaft und eignet sich deshalb besonders gut für Brücken- oder Grubenbauten, Bahnschwellen, Telegraphenstangen, Fensterrahmen und Straßenpflaster. Der Tischler ist wenig von ihm entzückt, denn erstens reißt es leicht unterm Hobel, und zweitens riecht es nach Terpentin, der in den Harzkanälen der Rinde und des Holzes enthalten ist. In früheren Zeiten war die Harznutzung zur Gewinnung von Terpentinöl auch in Deutschland weitverbreitet, bis billigere Auslandsrohstoffe diese Nutzung unnötig machten. Es war ja sowieso nicht möglich, Deutschlands bedeutenden Harzbedarf aus eigenen Wäldern zu bestreiten. Nur in der Not der Weltkriegszeit mußten die heimischen Nadelhölzer nochmals zur Ader gelassen werden, weil Harz bei der Munitionsherstellung ein unerläßlicher Rohstoff ist. Durch trockene Destillation des Holzes gewinnt man Kienöl, Teer und Schiffspech, während das von selbst aus der Kiefernrinde schwitzende Harz, in Kesseln gesotten und ausgepreßt, das gewöhnliche Pech, durch Destillation das weiße oder burgundische liefert. Durch Auffangen des Rauches von unvollständig verbrennendem harzreichen »Kienholz« wird der zur Herstellung von Druckerschwärze, Schuhwichse usw. benötigte Kienruß erzielt, und schließlich findet das Holz der Kiefer noch Verwendung als Rohstoff für Pappen und Packpapier.

Eine zweite Kiefernart ist die Berg- oder Krummholzkiefer ( Pinus montana), häufig auch Knieholz, Legföhre oder Latsche genannt, ein ungewöhnlich anpassungsfähiger Baum, der in den verschiedensten Wuchsformen auftritt, sämtlich durch seinen Standort bedingt. In den Alpen bildet die Bergkiefer oberhalb der Baumgrenze in 2300 Meter Höhe noch undurchdringliche Dickichte, während die Waldkiefer meist schon bei 1600 Meter haltmacht und nur zuweilen bis zur Baumgrenze, bis 1950 Meter, emporsteigt. Ebenso wie im Hochgebirge ist aber die Bergkiefer vielfach auch bestandbildend auf den Gipfeln und Hochmooren unserer Mittelgebirge, zum Beispiel des Riesen-, Erz- und Fichtelgebirges, des Bayerischen Waldes, des Schwarzwalds und der Vogesen. Nur verhältnismäßig selten kommt sie bei uns in Baumgestalt vor. Meistens ist sie ein stammloser Strauch, dessen strahlig ausgebreitete Äste zunächst eine Strecke schlangenhaft am Boden kriechen, um sich dann knieförmig aufzurichten und dicht geschlossene Büsche zu bilden.

Eine Pfahlwurzel haben die Bergkiefern nicht. Die fünf bis zehn Jahre lebenden Nadeln sind stumpf und zeigen auf beiden Seiten die gleiche dunkelgrüne Färbung. Oft sind sie säbelförmig gekrümmt. Die in der Regel quirlig angeordneten, waagerecht abstehenden oder schief nach unten gerichteten Zapfen erglänzen in schönem Kupferrot. Als aufrechter Baum, der bis 25 Meter hoch werden kann und gar nicht selten waldbildend ist (namentlich im Engadin und in Wallis), bewahrt die Bergkiefer bis ins Alter ihre spitzkegelförmige, weit herabreichende Krone. Die Rinde ihres dunklen Stammes schilfert im Gegensatz zur Waldkiefer nie in papierdünnen Schuppen ab. Frühzeitig wird die Bergkiefer mannbar, oft schon im sechsten Lebensjahr, worauf sie alljährlich reich blüht und fruchtet. Die Zapfen reifen im zweiten oder dritten Herbst, bleiben aber noch lange Zeit nach dem Samenausfall am Büschel haften. Bemerkenswert ist das langsame Wachstum der Bergkiefer, besonders ihr Dickenwachstum. Armdicke Stämme können bereits ein mehrhundertjähriges Alter erreicht haben.

So sehr die düsteren Krummholzforste das Herz des Alpenjägers erfreuen, wenn zwischen ihnen zur Frühjahrszeit verliebte Birk- oder Spielhähne balzen oder im Spätherbst Alpenhasen und Schneehühner Zuflucht darin suchen, so unfroh wirkt das an schaurige Stürme und Schneetreiben mahnende Krüppelgeschlecht, wo immer es sei, auf den Naturfreund. Das Gepräge des unterdrückten, vom Schicksal gewaltsam niedergezwungenen, wurmhaft am Boden sich windenden Lebens stimmt schlecht zur Freiheit und Größe der Berge. Und doch ist die Bergkiefer, wie sie auch ausschaut und welcher der unterschiedlichen Wuchsformen ihrer Art man sie zuzählen mag, in forstlicher Hinsicht von hohem Wert. Durch tausend zähe, weitausgreifende Wurzelarme und Wurzelfasern unlösbar im Untergrund verankert, bildet sie mit ihresgleichen einen widerstandsfähigen Schutzwall gegenüber den zerstörenden Kräften, die im Gebirge wirksam sind. Zur Aufforstung kahler Gipfelhöhen oder größerer mooriger Strecken wird das Krummholz besonders geschätzt. Neuerdings wird es auch vielfach verwendet zur Bindung des lockeren Dünensandes, da es noch viel bedürfnisloser als die Gemeine Waldkiefer ist und den mit Salz geschwängerten Seewind, der andere Pflanzen zugrunde richtet, fast ohne jeden Nachteil verträgt.

siehe Bildunterschrift

Berg- oder Krummholzkiefer.
1. Zweig mit männlichen Blüten.
2. Weibliche Blüte.
3. Dieselbe vergrößert.
4. Noch geschlossener Zapfen.
5. Samenflügel mit und ohne Samenkorn.

An der oberen Waldgrenze der Alpen begegnet uns mitunter auch die Zirbelkiefer, Zirbe oder Arve ( Pinus cemba), die in früheren Zeiten allein oder mit Fichten und Lärchen vergesellschaftet, größere Waldungen bildete, in neuerer Zeit aber betrüblich selten geworden ist. Ihr wohlriechendes, harzfreies und geschmeidiges Holz wurde allzu stark begehrt, weil es für Schnitzereien und feinere Tischlerarbeiten hervorragend gut geeignet ist, für rechtzeitigen Nachwuchs der abgetriebenen Bäume aber wurde jahrhundertelang nicht gesorgt. Hinzu kommt, daß die zentimetergroßen, ungeflügelten, eiförmigen Samen, die Zirbelnüsse oder »Ziernüßli« der Schweizer, gern gegessen werden, vor allem jedoch von jeher ein Lieblingsfutter der Nußhäher waren. Noch vor der Samenreife finden sich die Vögel in großen Flügen auf den Arven ein, krallen sich geschickt an den großen, dunkelblau bereiften Zapfen fest, brechen mit ihrem kräftigen Schnabel die Schuppen auf und machen »reinen Tisch« mit den schmackhaften Früchten. So war auch eine Erneuerung der Zirbelkieferbestände durch Naturverjüngung schwer möglich.

Gekennzeichnet wird der Baum durch seine rötlichgraue, lange Zeit glatt bleibende, im höheren Lebensalter querrissige Rinde sowie durch seine anfangs schmalkegelförmige und bis zum Boden herabreichende, später ganz unregelmäßig werdende und häufig mehrwipflige Krone. Die an den Spitzen nach oben gekrümmten Äste sind auffallend stark. Bei alten, mehrhundertjährigen Zirbelkiefern mit über meterdickem Stamm pflegt die Krone außerdem dünn benadelt und mit lang herabreichenden Bartflechten behangen zu sein. Die derben, 5 bis 9 Zentimeter langen dreikantigen Nadeln sitzen zu fünft an den Kurztrieben.

siehe Bildunterschrift

Zirbelkiefer oder Arve.
Zweijähriger Trieb mit reifem Zapfen und einer weiblichen Blüte.

Ein Fremdling, der in entlegener Vorzeit schon einmal in Deutschland heimisch war, im Pliozän, vor Beginn der Eiszeit, und heute wieder in preußischen Forsten in überhundertjährigen Beständen lebt, ist die Weimutskiefer ( Pinus strobus), so genannt nach Lord Weymouth, der sie im Jahre 1705 aus den atlantischen Wäldern Nordamerikas nach Europa herüberbrachte. In der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts zog sie bei uns in Deutschland ein. Die Weimutskiefer ist ein hübscher, ungemein stattlicher Nadelbaum, der wegen seiner geringen Lichtansprüche die unteren Äste nicht abwirft und seine Zweige schön waagerecht stellt. Die weichen und schlanken, bläulichgrün gefärbten und seidigglänzenden Nadeln von etwa 10 Zentimeter Länge, die wie bei der Arve zu fünfen in einer bräunlichen Scheide stehen, sind ein weiterer prächtiger Schmuck.

Die Forstleute lobten nicht nur die Schönheit des Baumes, sie schätzten an der neuen Kiefer vor allem ihre Raschwüchsigkeit und die Fähigkeit, Schatten ertragen zu können, weshalb sie sich besonders gut zwischen artfremde Bäume einsprengen ließ. Außerdem war sie anspruchslos, paßte sich jedem Boden an, sofern er genügend tiefgründig war, und erwies sich als sturmfest und winterhart. Gegen Schneedruck war sie sogar noch besser gewappnet als unsere sprödere deutsche Kiefer. Alles in allem ein wirklich wertvoller Neuerwerb – bis man vor einigen Jahrzehnten die schmerzliche Erfahrung machte, daß die Einbürgerung des Fremdlings noch keineswegs völlig gesichert war. Eine tückische Krankheit, hervorgerufen durch eine sibirische Rostpilzart, verdarb auf einmal nicht bloß bei uns den jungen Nachwuchs der Weimutskiefer, sondern überall in Europa. Fast ausnahmslos erlagen die Bäume im Stangenholzalter dem feindlichen Pilz. Gelingt es den Forstwissenschaftlern nicht, die Bäume vor diesem Schädling zu schützen, so wird die Rolle der Weimutskiefer in unseren Wäldern bald ausgespielt sein.

 

Sträucher und Bodenpflanzen des Kiefernwaldes

Wo Kiefernwälder auf feuchtem Grund und die Bäume nicht zu parademäßig und zu dicht beieinander stehen, herrscht keineswegs jene Einförmigkeit, die Forsten auf armen Böden eignet, zumal die heutige Forstwirtschaft im Sinne von Möllers Dauerwaldlehre die reinen Wälder mehr und mehr mit Laubhölzern und allerlei Strauchwuchs durchsetzt. Man hat erkannt, daß durch sie der Boden in vieler Hinsicht angereichert und nebenbei die schädliche Heide nicht nur in ihrem Vormarsch gehindert, sondern auch langsam vertrieben wird. Der lockere Kronenschirm der Kiefern, wenig verästelt und verzweigt, läßt ausreichend Sonnenlicht hindurch, um Bäumen, Sträuchern und Bodenpflanzen Lebensmöglichkeit zu gewähren, und zwar vom Frühling bis zum Herbst, in den Lichtmonden wie in der lichtarmen Zeit.

Im Unterholz ist der Wacholder ( Juniperus vulgaris), der »Machandel« der Niederdeutschen und »Kranewit« der Bayern und Tiroler, die gleichzeitig auffallendste und anziehendste Erscheinung. Es liegt eine eigentümliche Schwermut über den düsteren Pyramiden, die einzeln oder in Gruppen stehen. Man erinnert sich ihrer nahen Verwandten, der feierlich-hohen Zypressen des Südens, die nicht erst seit Böcklins »Toteninsel« als Ausdruck der schweigenden Trauer gelten. Bei den alten Germanen war der Wacholder ein geheiligter Baum, in Sage, Volksbrauch und Volksaberglauben spielt er eine bedeutende Rolle, und auch die verflossene Volksmedizin weiß Wunderdinge von ihm zu berichten. Er ist also wohl der Betrachtung wert.

Als Baum mit deutlich abgesetzter und spitzkegelförmiger Krone, die meistens tief am Stamme herabreicht, kommt er zwar hier und da noch vor, in der Regel jedoch zeigt er strauchigen Wuchs und wird trotz mehrhundertjährigem Alter günstigstenfalls 5 bis 6 Meter hoch. In unseren deutschen Kiefernwäldern sind mannshohe Sträucher am häufigsten, und dasselbe gilt von denen, die im Laubwald beheimatet sind oder im Bunde mit schlanken Birken das Wahrzeichen norddeutscher Heiden bilden. Im Hochgebirge, wo sich die Kiefer der Not gehorchend zum Krummholz erniedrigt, wird auch der Wacholder aus gleichem Grunde zum niederliegenden, kaum 30 Zentimeter hohen Kleinstrauch und steigt dann noch wesentlich höher empor als die Krüppelkiefer. Sein Hauptverbreitungsgebiet reicht von 1700 bis 2500 Meter; am Monte Rosa fand man ihn als Zwergform sogar noch in einer Höhe von mehr als 3700 Meter auf. Keine andere Holzpflanze Europas kommt ihm in dieser Beziehung gleich.

Als echtes Nadelholz ist der Wacholder immergrün. Seine in dreizähligen Quirlen stehenden Nadeln werden bis zwei Zentimeter lang, verjüngen sich vom Grunde aus zu einer empfindlich stechenden Spitze und bleiben vier Jahre lang am Zweig. Graugrün von Farbe, zeigen die Nadeln oberseits eine weiße Längsbinde und unterseits einen stumpfen Kiel, der seiner Länge nach gefurcht ist. Die graubraune, anfangs glatte Rinde weist schon im zweiten Jahr Längsrisse auf und schilfert dann ähnlich wie bei der Kiefer in Schuppen, Streifen und Bändern ab, die an älteren Wacholderstämmen oft fetzenartig herunterhängen. Die kätzchenförmigen gelben Staubblüten, 3 bis 4 Millimeter lang, und die noch kleineren weiblichen Blüten von kugeliger Form und hellgrüner Färbung finden sich höchstens in Ausnahmefällen auf ein und derselben Pflanze vor, so daß immer nur ein Teil der Sträucher Früchte hervorzubringen vermag. Hat ein staubblütentragender Strauch im Mai seine gelben Wölkchen entsandt und dadurch am andern Strauch weibliche Blüten, die aus drei winzigen Fruchtschuppenblättern mit je einer Samenanlage bestehen, zur Fruchtentwicklung fähig gemacht, so schwellen die drei Fruchtblätter an und lassen, miteinander verwachsend, zierliche Beerenzäpfchen entstehen, die künftigen Wacholderbeeren. Im ersten Herbst haben diese Zäpfchen noch die Form eines kleinen Eies, im zweiten sind sie erbsengroß und nahezu von Kugelgestalt, dunkelblauviolett von Farbe und ähnlich wie Pflaumen hellblau bereift. Im Innern liegen drei Kerne verborgen. Die Verbreitung der Beeren und damit der Sträucher erfolgt in erster Linie durch Wacholderdrosseln und deren Verwandte, oft jedoch auch durch Alpenkrähen und Birkhühner. Die hartschaligen Samen durchwandern ohne Schaden den Verdauungskanal der Vögel.

siehe Bildunterschrift

Gemeiner Wacholder.
1. Weiblicher Zweig mit diesjährigen unreifen und vorjährigen reifen Beeren.
2. Trieb mit männlichen und
3. Trieb mit weiblichen Blüten.
4. Vergrößerte männliche Blüte.
5. Drei wirtelig stehende Staubbeutelträger von unten gesehen.
6. Vergrößerte Nadel und deren Querschnitt.

Feinschmeckern und Hausfrauen sind die würzigen, viel Traubenzucker enthaltenden Wacholderbeeren als Zusatz zu Fleischspeisen und Gemüsen sowie zur Bereitung von Wacholdermus nicht unbekannt. Weniger allgemein ist bekannt, daß das aus den Beeren mit Wasserdampf destillierte, terpentinartig riechende ätherische Öl zur Herstellung von Wacholderschnäpsen, Genever (Kranewitter), Steinhäger oder Gin Verwendung findet und in der Heilkunde als harntreibendes Mittel oder zu Einreibungen benutzt wird. Das weiche, aber dauerhafte, angenehm duftende Holz wissen besonders Drechsler, Holzschnitzer und Kunsttischler zu schätzen.

In feuchteren, moosigen Kiefernwäldern, namentlich solchen vom Heidelbeertyp, in denen schwarze Wacholder träumen, begegnen uns an lichteren Stellen auch allerlei volkstümliche Gesträuche, die eigentlich in den Laubwald gehören, darunter Weißdorne, Brombeerarten, Faulbäume und mancherlei Rosengewächse. Ihr Vorkommen ist wesentlich darin begründet, daß die den Boden bedeckenden Moose zum Teil in ähnlicher Weise wirken wie im Laubwald die Blätterstreu. Vom Weißdorn sind meistens zwei Arten vertreten, der Eingriffel-Weißdorn ( Crataegus monogyna) und der Gemeine Weißdorn ( Crataegus oxyacantha), nahe Verwandte des wilden Birnbaums, von dessen Blüten sich die ihrigen nur durch die Griffelzahl unterscheiden. Beide Arten sind stattliche Sträucher, wenn auch von reichlich sperrigem Wuchs, und beide ähneln sich zum Verwechseln und stimmen in ihren Lebensgewohnheiten fast bis ins letzte überein. Auch tragen beide gelappte Blätter, nur sind beim Gemeinen Weißdorn die Lappen in der Regel abgerundet und nur wenig tief geteilt, beim andern tief eingeschnitten und spitz.

Gegen Ende Mai oder Anfang Juni prangt der Weißdorn im Blütenschmuck und lockt dann in Fülle Insekten herbei, vor allen andern Bienen und Hummeln, die nach dem Nektar lüstern sind und gleichzeitig die Bestäubung vermitteln, daneben jedoch auch ein ganzes Heer der allerverschiedensten Aasfliegenarten, auf die der an faulige Heringslake erinnernde Blütenduft anziehend wirkt. Im Herbst erscheinen an Stelle der Blüten große weithin sichtbare Früchte von herrlich prunkendem Scharlachrot, die Kinder als »Mehlbeeren« gern verspeisen. Am häufigsten trifft man die beiden Sträucher auf Lichtungen oder am Waldrand an, wo sie bis drei Meter hoch werden können. Gelegentlich, nur auf gutem Boden, treten sie auch in Baumgestalt auf, werden dann bis 10 Meter hoch und erreichen oft ein bedeutendes Alter. Der Rotdorn mit häufig gefüllten Blüten ist eine Kulturform der weißen Arten.

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Tafel 27
Der König der Nacht, der mächtige Uhu

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Tafel 28
Ein modernder Buchenstubben
Die dachziegelartig übereinander stehenden Pilze sind Bunte Porlinge

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Eine »Spechtschmiede« im Fichtenwald
Links am Stamm ein vom Buntspecht eingeklemmter Zapfen

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Tafel 29
Winterschlafende Falter in einer Spechthöhle, neun an der Zahl.
Wer findet sie alle auf dem Vexierbild?

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Schmetterlinge im Winterwald.
Geflügelte Frostspannermännchen, darunter zwei flügellose Weibchen

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Tafel 30
Im Freistand erwachsene Fichte von besonderer Schönheit

Eins haben wir bisher nicht erwähnt, was den Sträuchern den Namen verliehen hat: ihre blattwinkelständigen stechenden Dornen und jene anderen, gleichspitzen Dolche, in denen die Seitenzweige enden. Was sind die Dornen? Was ist ihr Sinn? Und warum sind sie von anderer Art als die von den Rosen bekannten Dornen? Dazu ist folgendes zu sagen. Die Kunstsprache der Botaniker unterscheidet zweierlei Pflanzenwaffen, erstens Dornen und zweitens Stacheln. Unter Dornen versteht sie Pflanzengebilde, die nichts als verkürzte, durch starke Verjüngung stechend gewordene Seitenzweige oder Enden von Zweigen sind und deshalb auch in ihrem Innern ganz die gleiche Beschaffenheit zeigen wie die Zweige überhaupt. Stacheln dagegen sind Gebilde der Haut oder Rinde von Pflanzenteilen, die keinen Holzkörper in sich bergen, doch gleichfalls in scharfer Spitze enden. Das alte, viel angewendete Sprichwort »Keine Rosen ohne Dornen« muß deshalb botanisch richtig lauten: »Keine Rosen ohne Stacheln.«

Über Sinn und Ursprung der spitzen Dolche, mit denen nicht nur der Weißdorn droht, sondern auch zahlreiche andere Pflanzen, hat man lange herumgerätselt, bevor sich die richtige Deutung fand. Gewiß lag es nahe, in der Bewehrung ein Schutzmittel gegen Pflanzenfresser unter den Säugetieren zu sehen, die wie die Ziegen, Schafe und Rinder häufig aus bloßer Genäschigkeit, vielfach jedoch auch durch Hunger veranlaßt, die frischen Triebe mitsamt den Blättern von Sträuchern und jungen Bäumen reißen und diesen dadurch erheblich schaden. Außerdem gibt es und gab es von jeher Blattfresser unter den Wiederkäuern, die sich nicht bloß an die Triebspitzen halten. Man hat deshalb lange angenommen, daß sich solche Schutzwaffen, wie sie der Weißdorn in ganz besonderer Fülle besitzt, als Rückwirkung gegen tierische Angriffe nach und nach entwickelt hätten. So einleuchtend aber die Deutung erscheint, so wenig kann sie als feststehend gelten. Nicht nur, weil es Tiere gibt, die weder Dornen noch Stacheln schrecken, weil ihre Lippen und ihr Gaumen hart genug zur Bewältigung sind (man denke nur an das Kamel, das gelassen Mimosenzweige kaut, deren Dornen Sohlenleder durchdringen), sondern weil sich herausgestellt hat, daß Dornenbildung ganz wesentlich von klimatischen Einflüssen abhängig ist, und zwar besonders von Lufttrockenheit. Bei der Kultur in sehr feuchter Luft gaben Weißdorn und ähnlich bewaffnete Sträucher ihre Dornenbildung auf und wurden wehrlos wie andere Pflanzen. Mit Recht hat man auch darauf hingewiesen, daß nur in den trockensten Erdgebieten bezeichnende Genossenschaften von dornigen Sträuchern gefunden werden, zum Beispiel in Südafrika, in den aus Reiseschilderungen bekannten dürren australischen »Skrubs« und in den trockenen Gebieten der Länder rings um das Mittelmeer. Wir haben danach in den Dornen blattlos gewordene Zweigteile vor uns, ursprünglich unter dem Zwang entstanden, am sonnenbeschienenen, trockenen Standort die Wasserverdunstung herabzusetzen. Ein Beispiel dafür, wie schwer es oft ist, für scheinbar Einfaches in der Natur eine stichhaltige Erklärung zu finden, wie anziehend andrerseits aber auch, über Sonderbarkeiten nachzudenken.

An sonnigen Stellen von Kiefernforsten, in denen Heidelbeeren gedeihen, häufiger noch am Waldesrande, treffen wir im späten Frühjahr üppig blühende Hundsrosen an ( Rosa canina), zwei bis drei Meter hohe Sträucher, die namentlich an den jüngeren Zweigen, aber auch an den Blütenstielen und der Mittelrippe der Blätter hakenförmige Stacheln tragen. Nicht »Dornen«, wie sie der Volksmund nennt. Suchen wir die Umgebung ab und ist das Forscherglück uns hold, so entdecken wir wohl auch einen Schößling, der aus einer Seitenwurzel entsprang und sich weit von der Mutterpflanze senkrecht aus dem Boden emporreckt. An diesem anfangs weichen Trieb, der ganz allmählich holzig wird und trotz seiner Jugend schon über und über mit festen, spitzigen Stacheln besetzt ist, können wir dann den Wachstumsgang des Rosenstrauches kennenlernen. Nachdem er die nötige Länge erreicht hat, neigt er sich in großem Bogen mit seiner Spitze dem Erdboden zu, ohne sich irgendwie zu verzweigen. Im nächsten Frühjahr jedoch entsprießen an der oberen Seite des Bogens neben kurzen Blütenzweigen zahlreiche lange aufrechte Triebe, die sich wie der erste im Bogen krümmen, und so geht es danach alljährlich fort, bis der junge Strauch dem alten gleicht. Alle neuentstandenen Triebe neigen sich nach den Außenseiten und lehnen sich den älteren an, verhäkeln sich mit ihren Stachelzähnen, wo immer es Anhaltepunkte gibt, und verdichten sich schließlich in ihrer Gesamtheit zu einem undurchdringlichen Busch.

Die Blüten, die der Strauch hervorbringt, ähneln im Bau den Weißdornblüten, sind in der Regel rosa gefärbt und locken durch ihren köstlichen Duft eine Menge von Insekten herbei. Honig können sie diesen nicht bieten, wohl aber reichlichen Blütenstaub. Der Boden der Blüten schwillt nach der Befruchtung zu immer größerem Umfang an, färbt sich zur Reifezeit scharlachrot und bildet dann die »Hagebutte«, die zahlreiche nüßchenartige Früchte mit einem dichten Haarkleid umhegt. Drossel, Häher und andere Vögel sorgen für die Verbreitung der Nüßchen. Die Hagebutte, vom Inhalt befreit, wird vielfach auch von Menschen genossen. In forstlicher Hinsicht kommt der Hundsrose keinerlei Bedeutung zu, weshalb sie auch mehr und mehr aus dem Waldinnern an die Ränder zurückgedrängt wird. Dem Gärtner liefert sie die Stämme für seine veredelten Gartenrosen. Im »tausendjährigen« Rosenstock, dem Wunder des Hildesheimer Doms, ist die Hundsrose zur Berühmtheit gelangt. Der Stock ist zwar nicht tausend Jahre, aber vielleicht ein paar hundert alt.

Nicht selten entstehen an den Wildrosen große, moosähnliche Gebilde, im ganzen Umfang zottig bewachsen mit Fasern von verschiedener Farbe, die der Botaniker »Rosengallen«, das Volk gewöhnlich »Schlafäpfel« nennt. Sie sollten nach altem Aberglauben den nächtlichen Schlaf befördern helfen, wenn man sie unter das Kopfkissen legte. Ihr Urheber ist die Rosengallwespe ( Rhodites rosae), ein winziges, schwarz und rotgelbes Tierchen, das im Frühjahr seine Eier in die Blattknospen der Rose legt. Aus der im Herbst bereits reifen Galle, die zahlreiche Larvenkammern umschließt, arbeiten sich im nächsten Frühling die jungen Rosengallwespen heraus.

Viel stärker und kräftiger bestachelt als die Rose und ihre Verwandten sind die zahlreichen Brombeerarten ( Rubus), meistens gesellig wachsende Sträucher mit aufrechten oder bogig gekrümmten, oft auch am Boden liegenden Trieben. Jeder kennt sie durch Augenschein. Sie bilden mit ihren meist kantigen Zweigen ein weitausgreifendes Stachelgestrüpp, das zu entwirren unmöglich ist, weil ähnlich wie bei der wilden Rose die Triebe sich aufeinanderlegen und dabei verhäkeln und verwirren. Auch hier entsenden die bogigen Triebe kurze, nach oben gerichtete und beblätterte Seitenzweige, die im zweiten Jahr blühen und fruchten, und neben ihnen lange Schößlinge, wie wir sie von der Rose kennen. So baut sich alljährlich ein neues Stockwerk auf dem darunterliegenden auf, das spätestens nach drei Jahren abstirbt und noch im Tode das Gerüst für den Zuwachs des Brombeerstrauches bildet. Bei vielen Arten kommt es auch vor, daß sich im Herbst die gekrümmten Triebe mit ihrer Spitze im Boden verwurzeln und daß dann im Frühjahr nicht nur Schößlinge aus der Bogenkrümmung entspringen, sondern auch aus den bewurzelten Enden der jungen Triebe vom vorigen Jahr. Wieder andere Brombeerarten ranken sich an Büschen und Bäumen bis zu stattlicher Höhe empor, durchflechten förmlich das fremde Gezweig und haken sich dabei mit ihren starken, sichelförmigen Stacheln fest. Oft sieht man meterlange Ranken von den Bäumen herunterhängen. Der Ähnlichkeit ihrer Blätter mit denen anderer Pflanzen, zum Beispiel des Apfelbaums oder der Hasel, der Rose, des Weißdorns oder des Kreuzdorns, verdanken viele Brombeerarten ihren Namen. Die gewöhnlich weißen oder blaßrosafarbigen Blüten stehen meist einzeln, die Früchte, die sich auch im reifen Zustand nicht vom Blütenboden lösen, sind mehr oder weniger saftig und in der Regel schwarz, seltener rotbraun oder blau bereift.

Eine treue Begleiterin der nicht zu dürren Kiefernwälder ist die Heidelbeere oder Blaubeere ( Vaccinium myrtillus), in Norddeutschland vielfach Bickbeere genannt, deren 15 bis 40 Zentimeter hohe Büsche oft weite Bodenflächen bedecken, keine anderen Pflanzen zwischen sich dulden und schwer wieder auszurotten sind. Als tüchtige Rohhumusbildner, also Bodenverschlechterer, sieht sie der Forstmann nicht immer gern. Zwar stirbt ihr scharfkantiges Gezweig nach einer Reihe von Jahren ab, ihre unter dem Boden kriechenden Triebe, die bis zu zwei Meter Länge haben, leben dagegen munter fort. Durch sie erhalten sich die Pflanzen und verbreiten sie sich viel stärker als durch Verstreuung ihrer Samen, die Drosseln und andere Vogel besorgen. Der Waldfreund begrüßt die Heidelbeeren schon von weitem als alte Bekannte, auch wenn die schmackhaften blauschwarzen Beeren, die Anfang Juli zur Reife gelangen, noch nicht zum Pflücken und Kosten reizen. Er erkennt sie an den grünen Stengeln, an ihren zierlich gesägten Blättern und den mit diesen zugleich erscheinenden rötlichen, bauchigen Blütenglöckchen, die Anfang Mai an den Zweigen hängen und auf den Besuch von Bestäubern warten. Auf Bienen und Hummeln mit langen Rüsseln, denn kleinen Insekten verwehrt der Griffel, der die an sich schon enge Öffnung der schmucken Blüten vollends versperrt, das Vordringen bis zum Honigquell. Lichthungrig sind die Blaubeeren nicht. Sie finden sich gut mit Beschattung ab und führen selbst in Fichtenwäldern, wo sie beständig im Halbdämmer stehen, noch ihre Lebensaufgaben durch. Frost aber können sie nicht vertragen. Der erste Kälteeinbruch im Herbst schwärzt ihre Blätter und tötet sie. In höheren Lagen verdirbt der Frost auch ihre unterirdischen Sprosse und damit natürlich den ganzen Bestand, sofern die schützende Schneedecke fehlt.

Eine nahe Verwandte der Heidelbeere, die Kronsbeere oder Preiselbeere ( Vaccinium vitis-idaea) ist wesentlich weniger frostempfindlich, steigt auch viel höher im Hochgebirge (bis etwa 3000 Meter) empor, und zählt zu den immergrünen Gewächsen. Die lederigen Blätter sind unterseits hellgrün und mit dunklen Punkten bestreut, die Zweige lange Zeit filzig behaart. Die glockigen rosa bis weißen Blüten stehen in kleinen nickenden Trauben an den Enden der jungen Zweige, entfalten sich erstmalig Anfang Mai, zum zweiten Male im August und finden sich, wenn auch nur vereinzelt, bis tief in den Oktober hinein. Sie fruchten dann allerdings nicht mehr. Die herbsauren, Zitronensäure enthaltenden Beeren sind scharlachrot. Hinsichtlich der Ausläufer unter der Erde ähnelt die Kronsbeere ihrer Verwandten, nur kriechen die Triebe mehr gradlinig hin, weshalb auch die oberirdischen Sprosse, die meist nur 12 Zentimeter hoch und nicht wie bei Blaubeeren kantig sind, in Reihen zu entspringen pflegen. Die vielfältige Verwendungsweise im Haushalt aller Bevölkerungsklassen machte die Heidel- und Preiselbeeren zu wichtigen Handelsgegenständen. Nach einer Schätzung aus dem Anfang des Jahrhunderts belief sich der Ertrag der Heidelbeerernte allein für die Provinz Pommern auf jährlich 5 Millionen Mark.

Auch eine krautige Beerenpflanze, die bescheidene Walderdbeere ( Fragaria vesca), kommt in Kiefernwäldern vor, doch nur in solchen von bestem Boden, der völlig frei von Rohhumus ist. Nicht leicht geht jemand teilnahmslos an ihren köstlichen Früchten vorbei, wenn sie ihm an schönen Frühsommertagen am Waldsaum oder am Rand eines Weges prangendrot entgegenleuchten. Nur wenige ihrer zahlreichen Liebhaber kennen jedoch die Pflanze selbst und die durchaus nicht alltägliche Art, durch die sie ihre Vermehrung sichert. Sie sendet nämlich zu diesem Zweck aus den Blattwinkeln fadige Triebe aus, die sich bald auf den Erdboden legen und rasch von der »Mutterpflanze« weg in gerader Richtung weiterwachsen, einen viertel Meter oder noch mehr. Am Ende jedes einzelnen »Ausläufers« entsteht eine zierliche Blattrosette, die sich bewurzelt und den Grundstock einer neuen Pflanze darstellt. Im nächsten Lenz treiben die Blattrosetten blühende Stengel aus sich heraus, entsenden ihrerseits junge Sprosse, die wieder in je einem Blattbüschel enden, und so geht das Spiel, bis der Herbst ins Land kommt, noch etliche Male gleichartig fort. Diese »vegetative Vermehrung«, wie man botanisch das Vorkommnis nennt, hat eine gewisse Ähnlichkeit mit der Erzeugung neuer Pflanzen aus Ablegern oder Stecklingen, nur daß bei unserer Walderdbeere kein Teil gewaltsam abgetrennt wird. Im Gegenteil, die »Tochterpflanzen« bleiben mit dem alten Stock noch längere Zeit in enger Verbindung und werden zum Teil auch durch ihn ernährt. Erst wenn sie genügend bewurzelt sind und sich selber forthelfen können, stirbt der Verbindungsausläufer ab. Ein kräftiger Stock kann auf diese Weise, wenn die Verhältnisse günstig sind, in zwei Jahren zweihundert neue Pflanzen vegetativ ins Leben rufen. Seine einzige Art, sich zu vermehren, ist das indessen keineswegs. Er pflanzt sich auch geschlechtlich fort, indem er seine weißen Blüten durch Insekten bestäuben läßt und danach seine zahlreichen Früchte in schmackhafter, saftiger Hülle entwickelt. Besonders Drosseln, Häher und Waldhühner verstreuen weithin die winzigen Nüßchen, die sie der harten Schale wegen nicht mit dem Fruchtfleisch verdauen können.

Zwei Pflanzen, die im Gegensatz zur Walderdbeere Rohhumus lieben, das immergrüne Moosglöckchen ( Linnaea borealis) und der Siebenstern ( Trientalis europaea), sind sehr wahrscheinlich während der Eiszeit in unser Vaterland eingewandert und nach dem endgültigen Gletscherrückzug auf deutschem Boden zurückgeblieben. Beide sind besonders häufig in küstennahen Kiefernwäldern, kommen auf entsprechendem Boden jedoch auch in Fichtenwäldern vor. Die Linnäe findet sich außerdem in Nadelholzwäldern der Alpenhöhen, am Brocken und im Riesengebirge. Der Siebenstern tritt außer im Norden vor allem in Gebirgswäldern auf. Das Moosglöckchen ist ein niederer Strauch, der mit sehr langen, dürren Ausläufern die grüne Decke von Moosen durchspinnt, überall Wurzeln in sie hineintreibt und aufrechte, oben zierlich gegabelte schlanke Blütenstiele erzeugt. Sie tragen im Juni oder Juli anmutige weiße Glöckchenblüten, innen lebhaft rot gestreift, die namentlich nachts einen wundervollen vanilleähnlichen Duft ausströmen. Begreiflich, daß der Botaniker Linné um ihretwillen dem kleinen Sträuchlein seinen berühmten Namen verlieh. Der Siebenstern verdankt den seinen der nach der Zahl Sieben gebauten Blüte, die wie ein blendend weißer Stern auf einem zarten Blütenstiel schaukelt. Auf einem kriechenden Wurzelstock, wie ihn sehr viele Pflanzen besitzen, besonders die ersten Lenzverkünder, sprießt zunächst ein Stengel hervor, der in einem großen Blattquirl endet, und aus der Mitte dieses Quirls erheben sich danach die Blütenstiele.

Wie viele der erwähnten Pflanzen, holzige wie krautige, sich nicht nur in Kiefernwäldern finden, sondern auch in Fichtenbeständen, vielfach auch in Laubholzwäldern oder auf baumarmen Heideflächen, so gilt das in verstärktem Maße von zahlreichen anderen Bodenpflanzen, die der Kiefernwald beherbergt. Sie sind durchaus nicht auf ihn beschränkt, vielmehr auch im offenen Gelände, zum Beispiel auf Wiesen oder an Abhängen, oft sogar dort bevorzugt heimisch. Sie siedeln sich an, wo ihren Ansprüchen an Licht und Boden Erfüllung zuteil wird und dehnen ihr Gebiet danach aus. Das ist unter anderen bei der Kuhschelle ( Pulsatilla vulgaris) der Fall, die ebenso gern wie lichte Wälder, zu denen der Kiefernwald ja gehört, auch dürre Triften und sandige Hügel zu ihrem ständigen Wohnort erwählt. Sie hat sich in vollendeter Weise solchen Standorten angepaßt. Einmal durch ihre mächtige Hauptwurzel, die oft halbmetertief hinabreicht und deshalb noch in Erdschichten dringt, die selbst in dürren Gegenden ein wenig Feuchtigkeit bewahren, und andererseits durch ein treffliches Schutzmittel gegen zu starke Wasserabgabe, durch eine seidige, dichte Behaarung, die nicht nur ihre Blütenhüllen, sondern auch Stengel und Blätter umhegt. Ein hübsches Gewächs ist sie obendrein und ein sehr zeitiger Frühlingsblüher. Schon Ende März oder Anfang April erfreut uns die Kuh- oder Kühchenschelle (keinesfalls aber Küchenschelle, wie sie in vielen Büchern heißt) durch ihre großen Blumenglocken von herrlich violetter Tönung und ihre für die stattliche Pflanze fast allzu zierlich gestalteten Blätter. Auch die ersten Bienen und Hummeln, vom jungen Lenz aus dem Schlaf erweckt, begrüßen die prunkenden Blütenkelche, weil ihnen im Kranz der Staubblätter Pollen und in den kurzgestielten Knöpfchen süßer Honig zur Labung winkt. Die zahlreich vorhandenen haarigen Griffel wandeln sich nach dem Verblühen der Glocken in ebenso viele langgeschwänzte, dicht behaarte Früchtchen um, wodurch der Fruchtstand ein wunderliches, doch keineswegs unschönes Aussehen bekommt, und wenn der Frühlingswind durch den Wald streicht, trägt er die fedrigen Früchtchen mit fort. Der Unsinn des Namens »Küchenschelle« tritt am deutlichsten dadurch zutage, daß die Pflanze in all ihren Teilen ein sehr wirksames Gift enthält. Es wurde schon in alten Zeiten zu medizinischen Zwecken verwandt.

Der Hilfe des Windes zur Samenverbreitung bedienen sich auch die Wintergrün-Arten ( Pirola), kleine immergrüne Gewächse, bis 20 Zentimeter hoch. Sie besitzen kriechende Wurzelstöcke und treten deshalb gesellig auf. Gleich vier gut unterscheidbare Arten sind im Kiefernwald anzutreffen, sofern er auf besserem Boden stockt: das Einblütige Wintergrün ( Pirola uniflora) mit derben, rundlichen Blättern und einer großen weißen Blüte mit radförmig ausgebreiteten Blumenblättern; das Kleine Wintergrün ( P. minor) mit weißen oder hellrosafarbenen und das Grünliche Wintergrün ( P. chlorantha) mit grünlichweißen, glockigen Blüten, die auf den ersten Blick an Maiglöckchen erinnern. Als vierte Art einer anderen Gattung tritt noch das Winterlieb ( Chimophila umbellata) hinzu, das rosenrote Blüten hervorbringt und oft mit der Preiselbeere vergesellschaftet ist. Alle haben eine Vorliebe für schattige Standorte und entfalten im Juni ihre Blüten.

Auch damit ist aber die Kiefernwaldflora noch bei weitem nicht erschöpft. An Wegen auf sandigem Untergrund wächst das bescheidene Waldruhrkraut ( Gnaphalium silvaticum) mit ährenähnlichem Blütenstand, dessen zahlreiche kleine Köpfchen sich erst zur Hochsommerzeit erschließen, wenn die anderen Blumen meist schon verblüht sind. Hier und da leuchtet der Besenginster ( Sarothamnus scoparius), dessen immergrüne Zweige zu Besen und Körben verarbeitet werden, in kleineren Beständen wie lauteres Gold, flammt dunkelrot eine Karthäuser-Nelke ( Dianthus carthusianorum), prunkt ein nach Hunderten zählender Trupp der Grasnelke ( Armeria vulgaris) mit hübschen rosaroten Blüten und lugt der Gamander-Ehrenpreis ( Veronica chamaedris) mit himmelblauen, leicht abfallenden Blumenkronen zwischen allerlei Gräsern hervor. Auch das Katzenpfötchen ( Antennaria dioica) mit weißen oder rötlichen Blütenköpfchen vermissen wir nicht. Fast alle diese Pflanzenarten sind aus dem offenen Gelände, ihrer eigentlichen Heimstätte, in den Nadelwald eingewandert. Wo Heidelbeeren in ihm gedeihen, da kriecht der Bärlapp ( Lycopodium clavatum) durch das Moos, hausen die Arten des Wachtelweizens ( Melampyrum), schmarotzt der bleiche Fichtenspargel ( Monotropa hypopytis) und grünen, gewöhnlich in dichten Beständen, die schönen Wedel des Adlerfarns ( Pteridium aquilinum). In Kiefernwäldern von üppigstem Wuchs tritt der Sauerklee ( Oxalis acetosella) als Leitpflanze auf. Etliche aus der Zahl dieser Pflanzen verdienen näher betrachtet zu werden.

Die Bärlappe sind ein berühmtes Geschlecht, dessen Ahnen im aschgrauen Erdaltertum als riesige Schuppen- und Siegelbäume am allerstärksten an der Bildung der Steinkohlenflöze beteiligt waren. Was heute in unseren Wäldern lebt, sind krautige, immergrüne Gewächse, die kaum noch an ihre Ahnen erinnern, an denen jedoch ein rechter Naturfreund, der immer auch Heimatschützer ist, schon wegen der Ehrwürdigkeit ihres Stammbaums nicht ohne Anteilnahme vorbeigeht. Die langen Stengel des Kolbenbärlapps sind ringsum mit kleinen Blättchen besetzt und vielfältig gabelig verzweigt; sie kriechen wie Schlangen auf moosigem Grunde (weshalb auch der Volksmund von »Schlangenmoos« spricht) und ähneln jungen Fichtenzweigen oder solchen vom Lebensbaum. Nach unten senden sie ihre Wurzeln tief in den schwarzen Humus hinein. Im Hochsommer wachsen an den Zweigenden kolbenförmige Ähren empor, deren Blätter je an ihrem Grunde einen kleinen Behälter tragen, der in Gestalt allerfeinster Stäubchen die Fortpflanzungskörper der Pflanze birgt. Zur Reifezeit öffnen sich die Kapseln und stäuben die Millionen »Sporen« in sichtbaren gelben Wölkchen aus. Im Volksaberglauben hat der Bärlapp als Schlangenmoos, Druden- oder Hexenkraut von jeher eine Rolle gespielt. Man nagelte ihn gegen Hexen an die Stalltüren, hängte ihn, zum Kranz gewunden, in Schlafkammern auf und trug ihn als »Johannisgürtel« als Abwehrmittel gegen Ermüdung um den Leib. Das Sporenpulver, das mit leuchtender Flamme verpufft, wenn es ins Licht geblasen wird, wurde Hexenmehl oder Blitzpulver genannt.

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Waldwachtelweizen

Dem Waldwachtelweizen, der da, wo er vorkommt, immer zu vielen vereinigt auftritt, sieht man den Halbschmarotzer nicht an, trägt er doch regelrecht grüne Blätter und reizende gelbe Rachenblüten mit offenem Mund und gekrümmter Röhre – ganz wie ein »ehrenwertes« Gewächs. Hebt man ihn aber vorsichtig aus, und zwar mit allen seinen Wurzeln, so erkennt man leicht an deren Verwachsung mit den Wurzeln anderer Pflanzen sein heimliches Schmarotzertum. Der in der Erde keimende Samen bedarf keiner fremden Unterstützung, um sich zur Keimpflanze zu entwickeln. Hat aber erst deren lange Hauptwurzel, die sie in den Boden getrieben, eine größere Anzahl Seitenwurzeln rechtwinklig von sich abgezweigt und kommen diese auf ihrem Streifzug mit dem Wurzelwerk einer Pflanze, die ihnen zusagt, in Berührung, so enthüllt sich sogleich der Parasit. In kurzer Frist entwickelt er an den Berührungsstellen Saugwarzen, die sich so fest an die Wirtswurzeln klammern, daß ihre Ränder in sie eindringen und eine Furche in ihnen bilden. Dann stiehlt er der Wirtspflanze ruchlos die Nahrung, die sie sich zubereitet hat. Wenn sich die Samen des Wachtelweizens dem Zustand ihrer Reife nähern, sind die angefallenen Wurzeln in der Regel schon abgestorben, doch auch der Schmarotzer selbst verdorrt bald. Seine großen, weizenkornähnlichen Samen fallen aus den trockenen Früchten und keimen im feuchten Moder des Waldgrundes häufig noch im selben Herbst.

siehe Bildunterschrift

Fichtenspargel

Der grünbeblätterte Wachtelweizen besitzt durchaus die Fähigkeit, sich selbst die Stoffe herzustellen, die er zu seinem Aufbau braucht, doch zieht er als Halbschmarotzer vor, zumindest einen Teil der Arbeit von anderen für sich leisten zu lassen. Dem bleichen, wachsgelben Fichtenspargel, der auch im Waldbodenmoder wächst, sieht man jedoch schon von außen an, daß er keine Spur von Blattgrün enthält (dessen hohe Bedeutung uns bekannt ist), und deshalb sein Leben nur fristen kann, wenn ihm die nötigen Aufbaustoffe gleich fix und fertig verfügbar sind. Gräbt man einer Pflanze nach, so stößt man auf eine korallenstockähnliche, vielfach verzweigte brüchige Wurzel, die an allen ihren Ästchen bis zur noch weiterwachsenden Spitze von einem Geflecht aus zarten Pilzfäden völlig eingesponnen ist. Dieses Geflecht ist der Nahrungsquell des sonderbaren Fichtenspargels. Aus ihm bezieht er den ganzen Bedarf zur Ausbildung seines saftigen Stengels, der reich mit häutigen Schuppen besetzt ist (aber keine Blätter besitzt) sowie seiner Blüten und später der Samen. Der Humuspilz geht leer dabei aus, denn der Fichtenspargel hat nichts zu bieten als schließlich seinen vermodernden Leib, an dem sich der Pilz vielleicht schadlos hält. Zur Blütezeit ist der obere Teil des saftigen Fichtenspargelstengels hakenartig nach unten gekrümmt, so daß die zylinderförmigen Blüten gegen den Boden gerichtet sind. Erst zur Herbstzeit, wenn die Blüten reife Früchte entwickelt haben, richtet der Stengel sich steil in die Höhe, damit der Wind aus den kugeligen Früchten die staubfeinen Samen herausschütteln kann. Die Pflanze selbst wird braun und vertrocknet, der unterirdische Wurzelstock aber dauert den Winter über fort. Trotz seines Namens kommt der Schmarotzer ebensooft in Kiefernwäldern wie in Fichtenwaldungen vor, sobald nur der Grund genügend feucht ist.

Bevor wir vom Kiefernwald Abschied nehmen, müssen wir noch einer Pflanze gedenken, die volkstümlich wie nur wenige ist und einem besonderen Typ des Waldes ihren Namen aufgeprägt hat, der Besenheide ( Calluna vulgaris). Sie ist eine Lieblingspflanze der Maler und eigentlich selbst eine Malerin, die allerdings weniger unter den Kiefern als in der nahezu baumlosen Heide, unter freiem, strahlendem Himmel, ihre Künstlertalente zeigt – im Spätsommer, wenn sie in riesigen Mengen die unabsehbare Heidefläche in ein leuchtendes Blütenmeer wandelt, dessen Zauber dann oft noch durch weiße Birken und düstere Wacholdersträucher wirkungsvoll unterstrichen wird. Jedoch auch unter den Kiefernkronen ist die Calluna im August, wenn sie auf größere Strecken hin ihre zartroten Blüten erschlossen hat, ein Anblick, der jeden Naturfreund entzückt. Heidekraut pflegt man die Pflanze zu nennen, doch ist sie ganz und gar nicht »krautig«, vielmehr ein halbmeterhoher Strauch mit liegenden Ästen und aufrechten Zweigen, eine echte Holzpflanze also, die freilich der Forstmann durchaus nicht liebt. Die »Heide«, wie er sie kurz bezeichnet, gilt ihm als »Magerkeitsanzeiger«, als ein Gewächs, das in Massen auftretend, eine bedenkliche Bodenverarmung durch Bildung von saurem Humus kündet. Was den Naturfreund, den Künstler begeistert, ist in den Augen des Försters nichts weiter als ein schwer zu vertilgendes Unkraut, dem alle Bodenverhältnisse recht sind, solange ihm ein geringes Maß von Luftfeuchtigkeit beschieden ist und solange es nicht in den Schatten gerät. Wo einmal die Heide den Boden beherrscht, kommt schwer eine andere Holzart auf.

Der einzelne Strauch macht wenig Eindruck; nur in Gesellschaft mit seinesgleichen erzeugt er die wundervolle Wirkung, der er seine Volkstümlichkeit verdankt. Die Blätter sind nadelartig verkleinert, so daß der trocknende Einfluß der Winde der Pflanze wenig anhaben kann, und ebenso ist die Blumenkrone ein ziemlich unscheinbares Gebild. Erst die beinahe doppelt so langen, prächtig rosa gefärbten Kelchblätter, die sie glockig überdecken, machen die Heide so eindrucksvoll. Der Kelch spielt die Rolle des Schauorgans, des Aushängeschildes für die Insekten, die unbewußt die Befruchtung vermitteln. Jedes Bienchen, das honigsuchend in eine Heideblüte eindringt, stößt mit Sicherheit an zwei Hörnchen, die schräg vom Grunde der Staubbeutel abstehen und den Weg zum Honig versperren. Die Staubfäden werden dadurch erschüttert, und wie Puder aus einer Streubüchse, so rieselt aus den Staubbeutelporen pulverfeiner Blütenstaub und pudert den Honigräuber ein. Kommt er in einer zweiten Blüte mit der Narbe in Berührung, die mitten im Blüteneingang steht, so wird sie mit dem Staub belegt. Der dunkelgefärbte Heidehonig, den die Heideblüten liefern, erfreut sich einer großen Beliebtheit.

 

Fichtenwald und Tannenwald

Wie die Kiefer ein Baum des Flachlandes ist, so tritt uns die Fichte oder Rottanne ( Picea excelsa) in Deutschland als echtes Gebirgskind entgegen. Auf den luftfeuchten Höhen der Mittelgebirge, wo der Boden seine Frische bewahrt und der Staub der Ebene nicht hinaufreicht, hält sie die größten Gebiete besetzt und spielt dort die Rolle der Herrscherin, die nur gelegentlich einer Kiefer, hier und da auch einem Laubbaum, einem Ahorn, einer Eberesche, Unterkunft in ihrem Reiche gewährt. In ihrer Gestalt wie in ihrem Wachstum steckt wirklich etwas Hoheitsvolles, etwas sieghaft Emporstrebendes, auch wenn sie nicht gleich in die Wolken ragt, und wie kein anderer deutscher Waldbaum paßt sie für die freien Höhen, die sie noch stolzer erscheinen läßt, als sie in Wirklichkeit schon sind. Nur in der nordöstlichen Ecke Deutschlands fügte sie sich als natürlich gewachsen, das heißt nicht künstlich angepflanzt, auch der Landschaft der Ebene ein. Besonders in Preußisch-Litauen kommt sie in großen, fast reinen Beständen vor, und zwar im Anschluß an das riesige ostbaltisch-russische Fichtengebiet. Auch weiter südlich in der Provinz und manchenorts in Schlesien überzieht sie ansehnliche Flächen, dann aber meistens mit Rotbuchen, Eichen, Linden oder Kiefern gemischt.

Die Fichte ist aber nicht nur ein stolzer, sondern auch ein schöner Baum. Wo es ihr Standort irgend ermöglicht, wirft sie bis ins hohe Alter auch die unteren Äste nicht ab und zeigt dann in ihrer ganzen Größe, dreißig, vierzig und mehr Meter hoch, das Bild einer schlanken Pyramide von staunenswert regelmäßigem Wuchs, die oben ein langer Gipfelsproß krönt. Im dichten Bestand muß auch sie natürlich die unteren Äste nach und nach opfern, wie wir das von der Kiefer kennen, weil ihnen Licht und Lebensluft fehlt. Die Krone auf dem gereinigten Schaft bewahrt jedoch trotzdem die Spitzkegelform. Schließlich zeigt sie sich, wo es gilt, als ein gut gewappneter, streitbarer Baum, der sich nicht nur seiner Haut zu wehren, sondern auch andersartige Nachbarn, die aus diesem und jenem Grunde ihm gegenüber im Nachteil sind, aus seinem Gebiet zu vertreiben weiß. So wird sie als ausgesprochenes Schattholz, dessen Lichtbedarf selbst in der Jugend gering ist, der Kiefer als einem echten Lichtkind vielfach ein gefährlicher Feind, und in Ostpreußen drängt sie die Buche zurück, die ohnehin dort schwer ringen muß. Das spät einsetzende Frühlingswetter und der zeitig beginnende Herbst, die Kürze der Vegetationszeit also, macht der Buche schwer zu schaffen, während die Fichte, das Kind der Berge, sich äußerst wohl dabei befindet.

Pfahlwurzeln kennt die Fichte nicht. Flach schickt sie ihre Wurzelarme unter der Oberfläche dahin, auf den Bergen in der mit größeren Steinen reich durchsetzten Verwitterungsschicht, wo sie genugsam Gelegenheit findet, das Feste wie ein Polyp zu umklammern und widerstandslose Bodenflächen nach allen Richtungen zu durchdringen. Wo sie auf Nachbarwurzeln stößt, verankert sie sich durch Verflechtung mit diesen. Die feinen Ausläufer suchen daneben in Rissen und Spalten des Felsgrundes Halt. Auf diese Weise wird es ihr möglich, sogar noch an steilen Bergeshängen dem Angriff der Stürme standzuhalten. Im Flachland bevorzugt sie schweren Boden, in dem sie ihr Wurzelwerk tellerförmig im Umkreis des Stammes befestigen kann.

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Fichte.
1. Zweig mit männlichen Blütenkätzchen.
2. Triebspitze mit weiblichem Blütenzäpfchen. Oben eine Ananasgalle der Fichtengallaus.
3. Reifer Zapfen.
4. 5. Zapfenschuppe von außen mit der sehr kleinen Deckschuppe am Grunde, und von innen mit dem aufliegenden Samen.
6. Mit den Eindrücken des entfernten Samens.
7. Same mit Flügel und Flügel allein.
8. Keimpflänzchen mit der noch aufsitzenden Samenschale.
9. Dasselbe ohne diese.

Im Harz beginnt das Gebiet der Fichte, in dem sie seit Urzeiten heimisch ist, wenn auch nicht immer gleich weit verbreitet, bei 600 Meter Meereshöhe und steigt bis 1000 Meter an. Unterhalb dieser Höhenstufe herrschen entweder reine Buchen- oder Mischwaldbestände vor. Im Thüringer Wald ist es ähnlich so, nur bei entsprechend geringerer Höhe, wogegen im sächsischen Erzgebirge die untere Grenze der Fichtenbestände bis tief ins Hügelland hinabreicht. In den Sudeten, im Riesengebirge und im Altvater finden die Fichten wie im Harz ihre obere Grenze bei etwa 1000 Meter Meereshöhe und haben auf etwas tieferer Stufe oft urwaldartiges Gepräge. Wer den Elbgrund und den Weißwassergrund im Riesengebirge durchwandert hat, immer begleitet vom plätschernden Wasser, das tief im Grund über Stock und Stein springt, wird nicht so bald den Eindruck vergessen, den beiderseits an den Wänden der Schlucht die kraftvollen Nadelholzrecken erzeugen, die dort im »Schutzwald« Wache stehen. Im Bayerischen und Böhmerwald steigt die Fichte bis annähernd 1500, im deutschen Alpengebiet bis 1800 Meter empor, zeigt freilich in den höchsten Lagen allerlei Wuchsabänderungen. Bereits auf 1000 Meter Seehöhe bleiben Buchen und Tannen zurück und überlassen den Platz ganz der Fichte. Bekannt sind die uralten Wetterfichten, die silbergrau und mit Flechten behangen, seit Menschengedenken im Krummholzgebiet vereinsamt in die Lüfte ragen, Wahrzeichen einer versunkenen Zeit. Auf der einen Seite schor sie der Wind, auf der Gegenseite grünen sie noch mit blassen, verfilzten, verkümmerten Nadeln, und wer sie betrachtet, gewinnt den Eindruck, als ob ihre Tage gezählt sein müßten. Der Schneedruck, der neun Monate lang auf ihren noch lebenden Ästen lastet, hat sie wie müde Greise gebeugt, und dennoch halten sie tapfer aus, sehen Menschengeschlechter kommen und gehen und treten nicht früher vom Schauplatz ab, als bis sie, fast zum Gespenst geworden, zermürbt und zerschunden, ein Wintersturm fällt.

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Tafel 31
Der Weißdorn blüht
Die Heckenrose in voller Pracht

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Tafel 32
Uralter Eibenbaum im Bodetal im Harz

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Tafel 33
Lärchen, die einzigen im Herbst ihre Blätter abwerfenden Nadelbäume im deutschen Wald

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Tafel 34
Wintersnot

Auf der seit dem Versailler Diktat leider tschechisch gewordenen, früher österreichischen Seite des großen böhmischen Grenzgebirges, wo die »Wäldler« echte Deutsche sind, überzieht den Bergstock des Kubany noch bei 1360 Meter echter, ursprünglicher Fichten-Urwald, der vor etwa fünfzig Jahren auf Drängen des Fürsten von Schwarzenberg unter dauernden Schutz gestellt worden ist. Was um die Mitte des vorigen Jahrhunderts der schlesische Botaniker Göppert von dieser romantischen Wildnis schrieb, das ist sie bis zur Stunde geblieben, »ein Wald, von dem man noch niemals versucht hat, irgendeine Nutzung zu ziehen, in dem die gesamte Vegetation sich noch in einem Zustand befindet, wie er seit Jahrtausenden, ja von Anfang an gewesen, in dem also die Natur ungestört die riesenhaften Holzkörper bildete und wieder zerstörte«. Dreihundertjährige Fichten und vierhundertjährige Tannen mit fünf, sechs und mehr Meter Stammumfang in etwa Kniehöhe über dem Boden sind dort keine Seltenheit. Aber neben den kraftvollen Urwaldalten und neben Fichten, deren Schaft auf seltsamen Stelzenwurzeln ruht, zuweilen auf übermeterhohen, liegen in Menge gestürzte Bäume in allen Phasen des Auflösungszustands, zwischen und auf denen Jungholz emporstrebt. Die auf ihnen wachsenden jungen Fichten sind wiederum künftige Stelzenbäume. Ein Teil ihrer Wurzeln gräbt sich tief ins faulende Holz des Stammes hinein, ein anderer wächst um den Stamm herum, indem er unter der lockeren Rinde, fest dem Holzkörper angeschmiegt, mit aller Kraft nach dem Erdboden strebt, um sich in diesem fest zu verankern. Ist schließlich der Baumstamm oder der Stubben, den das Jungholz als Keimbett benutzte, den Weg alles Irdischen gegangen, das heißt vermodernd zu Staub zerfallen und vom Sturm davongetragen, so steht die Fichte auf Stelzen da. Wo Sturm oder Schneebruch im Durcheinander lichte Stellen entstehen ließen, wuchert zudem dichtes Unterholz, und alles dieses zusammengefaßt gibt dem Besucher einen Begriff, wie es in unsern Gebirgswäldern aussah, bevor der Mensch seine Hand an sie legte. Schön und erbaulich, geschweige erhebend ist das Bild solchen Urwalds nicht, denn ein gewisses Maß von Ordnung und Ausgeglichenheit im Walde ist für den heutigen Menschen nötig, um Wohlgefallen an ihm zu haben. Das Bild des Kulturwaldes schwebt ihm vor Augen und läßt ihn auch im Urwald nicht los. Wo unmittelbar neben strotzendem Leben und hoffnungsfroh grünendem jungen Nachwuchs der Tod mit seinen Schauern steht und Moderduft die Stämme umwittert, gesellt sich dem Staunen und Bewundern gar leicht ein Gefühl des Grauens bei.

Wo Fichte und Tanne im Hochwald gemischt sind, ähneln sie sich in ihrer Tracht und erscheinen auf den ersten Blick als Bäume von ein und derselben Art. Der Volksmund nennt sie auch beide »Tanne«, und wenn zur Weihnacht der Lichterbaum strahlt, so singt er das Lied vom Tannenbaum, obgleich in neunzig von hundert Fällen der Tannenbaum eine Fichte ist. Mitunter wird die vermeintliche Tanne gar noch mit Kiefernzapfen geschmückt. Die solcherart mit Fichte und Tanne ein bißchen »Verwechselt das Bäumchen« spielen, können sich freilich mit gutem Recht auf Konrad von Megenberg berufen, der im vierzehnten Jahrhundert ein »Buch der Natur« geschrieben hat, also ein deutscher Naturforscher war. »Du sollst auch wissen«, heißt es darin, »daß die Meister in der Natur Föhrenholz und Fichtenholz alles Tannen heißen mit dem gemeinen Namen Abies; aber sie sprechen, daß die rechte Tanne unter den dreien die alleredelste sei, weil sie das allerweißeste und allerluftigste Holz hat.«

Trotzdem, im zwanzigsten Jahrhundert sollte wirklich jedermann wissen, was Fichte und was Tanne ist, zumal die beiden Nadelhölzer kinderleicht unterscheidbar sind. Die flach zusammengedrückten Nadeln der »rechten« oder Edeltanne sind an den Zweigen zweireihig-kammförmig, wie gescheitelt ausgebreitet und lösen sich nach dem Vertrocknen des Baumes erst spät von ihren Blattkissen ab, die keinerlei Erhöhungen bilden. Die Fichtennadeln dagegen sind vierkantig und umstehen in der Regel spiralig angeordnet die Zweige. Nie stehen sie kammförmig wie bei der Tanne. Sind die Fichtenzweige vertrocknet, so fallen die Nadeln samt und sonders schon bei leiser Berührung ab, und was das wichtigste Kennzeichen ist: die von den Nadeln entblößten Zweige sind rauh wie eine grobe Feile. Wie Höckerchen springen die Blattkissen vor. Wegen dieses zeitigen Nadelabfalls wird vielfach der Tanne als Weihnachtsbaum gegenüber der Fichte der Vorzug gegeben, obgleich sie höher im Preise steht. Wer aber den harzigen Nadelwaldduft, durch Kerzenversengung der Zweige erzeugt, als Zubehör zum Christfest betrachtet, der geht an der »edleren« Tanne vorüber und wählt eine Fichte als Weihnachtsbaum. Die Namen »Rottanne« für die Fichte und »Weißtanne« für die Edeltanne sind Zugeständnisse an den Volksmund und gehen bei jener auf die rostrote, bei dieser auf die weißgraue Färbung der Rinde ihrer Zweige zurück.

So leicht die Fichte im reiferen Alter andere Bäume unterdrückt, so sehr gefährdet ihr langsames Wachstum sie in den ersten Lebensjahren. Ständig droht ihr das Verhängnis einer Überwucherung durch Gräser und andere raschwüchsige Pflanzen und damit ein völliger Lichtentzug. Erst vom sechsten Jahre an beweist sie stärkere Lebenskraft, und nach Vollendung des ersten Jahrzehnts beginnt ihr kräftiges Höhenwachstum. Auf gutem Boden hat die Fichte mit sechzig Jahren die Durchschnittshöhe von 25 Meter erreicht, mit hundert Jahren eine solche von etwa 34 Meter. Von da ab verlangsamt ihr Wachstum sich. Die Mannbarkeit tritt bei freiem Stande spätestens mit 50 Jahren, im Schlusse mit 70 Jahren ein, und je nach dem Standort blühen die Fichten alsdann mit Pausen von 3 bis 5 Jahren, in hohen Lagen der Gebirge oft mit noch längerem zeitlichen Abstand.

In Mitteldeutschland gewöhnlich im Mai, im Norden später, im Süden früher, wird Hochzeit gefeiert im Fichtenwald. Die prächtig roten männlichen Blüten sind über die ganze Krone verteilt, vereinzelt an den Enden der Zweige aus dem düsteren Nadelgrün lugend, die weiblichen mehr an den Gipfelzweigen, leuchtend purpurn, steil aufgerichtet und im Gefüge schon leise erinnernd an die Gestalt der späteren Zapfen. Da diese aber nach Fichtenbrauch kopfunterst an den Zweigen hängen, so krümmen sich auch die purpurnen Kerzen nach der Bestäubung langsam nach unten. Die Staubblüten, die ihr Werk getan, legen die Hochzeitsfarbe ab und kleiden sich in ein gelbes Gewand. Im August sind die Zapfen ausgewachsen, 16 Zentimeter lang und etwa 4 Zentimeter dick, sehen jedoch noch grasgrün aus, seltener dunkelviolett. Die uns bekannte bräunliche Färbung nehmen sie erst im Oktober an, zum Zeichen, daß ihre Samen gereift und damit fertig zum Ausfliegen sind. Noch aber ist ihre Bahn nicht frei. Noch halten die Zapfenschuppen sie fest und machen nicht die geringsten Anstalten, ihren Zusammenschluß zu lockern. Es würde den Samen auch übel bekommen, wenn sie im Oktober ihr Nest verließen und ungeschützt in den Winter gerieten. Meist öffnen die Zapfen sich erst im Frühjahr, wenn trockene Winde die Kronen schütteln, und geben die Flügelsamen frei. Sie selbst fallen noch im gleichen Jahre als Ganzes ausgelebt vom Baum.

Der Anteil der Fichte an der Waldfläche unseres deutschen Vaterlandes beträgt rund 3,1 Millionen Hektar, erreicht also nur die reichliche Hälfte des Anteils, der auf die Kiefernwälder entfällt. Gleichwohl ist die Fichte nächst der Kiefer unser meistverbreiteter Waldbaum, den hinsichtlich seines Nutzungswertes zudem kein anderer übertrifft. Wo Fichtenwälder häufig sind, bezieht die Bevölkerung der Gegend aus ihnen den größten Teil des Bedarfs an Bauholz und gewöhnlichem Nutzholz, und überall sonst ist das Fichtenholz entweder als Rohstoff für zahlreiche Handwerker oder zu Brennzwecken sehr begehrt. Besonders groß wurde seine Bedeutung, seitdem man vor fast hundert Jahren den Holzschliff aus ihm darstellen lernte, den Grundstoff für die Papiererzeugung, und später durch chemische Behandlung den Zellstoff oder die Zellulose, die ihrem inneren Wesen nach der Baumwolle zu vergleichen ist, deren vielseitige Verwertungsweise jedoch erst die neuere Zeit erkannt hat. So ist der Zellstoff unentbehrlich zur Herstellung der gewaltigen Massen besserer Schreib- und Druckpapiere, die Tag für Tag benötigt werden, sowie (als ein Ersatz für Baumwolle) zur Anfertigung von allerlei Garnen, die zu Teppichen, Matten, Säcken usw. verwoben werden, zu Gegenständen, die vorzugsweise im trockenen Zustand gebraucht werden sollen. Auch Kunstseide wird aus Zellstoff erzeugt. Sehr wichtig ist ferner das Harz der Fichte, aus dem unter anderem Terpentin, Kolophonium, Pech und Ruß hervorgehen (in gleicher Weise wie bei der Kiefer), während die Rinde junger Bäume in der Gerberei benutzt wird, gewöhnlich als Zusatz zur Eichenlohe. Das nahezu weiße Holz von Fichten mit gleichmäßig breiten Jahresringen findet Verwendung zu Resonanzböden. Weisen wir schließlich noch darauf hin, daß lange, gerade Fichtenstämme widerstandsfähige Schiffsmasten ergeben, daß Fichtennadeln in der Heilkunde eine erhebliche Rolle spielen und daß der Handel mit Weihnachtsbäumen wirtschaftlich nicht unterschätzt werden darf, so sind wir wenigstens einigermaßen dem Nutzwert der Fichte gerecht geworden.

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Die Weißtanne oder Edeltanne I.
1. Ein Zweig mit männlichen Blütenkätzchen.
2. Trieb mit weiblichem Blütenzäpfchen.
3. 4. Weibliche Deckschuppe mit der noch kleinen Samenschuppe von innen und außen gesehen.
5. 6. Männliche Blütenkätzchen als Knospe und vollkommen entwickelt.
7. Nadel, vergrößert.
8. Keimpflanze.

Viel anspruchsvoller als die Fichte, obgleich wie diese ein echtes Gebirgskind, ist die Edel- oder » Weißtanne« ( Abies alba), die nur mit etwa drei vom Hundert am deutschen Gesamtwald beteiligt ist. Sie verlangt schon um ihrer Bewurzelung willen, deren Hauptstück stets eine Pfahlwurzel bildet, tiefgründigen, lockeren Untergrund, am liebsten einen lehmigen Sandboden, und außerdem fordert sie einen Standort, auf dem sie mindestens viereinhalb Monate keinen Frost zu befürchten braucht. Die geschütztesten Lagen der Gebirge sind ihr eigentliches Gebiet. Am häufigsten tritt sie in den Vogesen, im Jura, Schwarzwald und Frankenwald auf, wo sie natürliche, reine Bestände von teilweise riesiger Ausdehnung bildet. Auch im Erzgebirge ist sie bestandbildend, wogegen sie anderswo in der Regel nur horstweise oder eingesprengt in Fichten- oder Mischwäldern vorkommt. Dem Riesengebirge fehlt sie ganz, soweit sie nicht hier und da angepflanzt ist, und ebenso wenig besitzt sie der Harz, obgleich die Harzer wie die »Fremden«, die sommertags ihre Berge bestürmen, gleich häufig den Vers im Munde führen: »Es grüne die Tanne, es wachse das Erz«.

Daß die Tanne sich durch gescheitelte Nadeln, die zweizeilig an den Zweigen sitzen, leicht von der Fichte unterscheidet, haben wir weiter vorn schon gehört. Als weiteres Kennzeichen kommt hinzu, daß sie am Ende abgerundet oder ausgeschnitten sind und daß sie auf ihrer Unterseite, die heller ist als die Oberseite, deutlich zwei weißliche Längsstreifen zeigen, in denen die Spaltöffnungen liegen. Mindestens acht, zuweilen noch mehr Jahre bleiben die Nadeln arbeitsfähig. Die kammartige Stellung der Tannennadeln ist aber nicht die ursprüngliche, sondern teils durch den Reiz der Schwerkraft, andernteils durch den richtenden Einfluß des Sonnenlichts hervorgerufen. Von Haus aus sind die Nadeln der Tanne spiralig den Sprossen angewachsen, wie wir es von der Fichte her kennen und wie sie der Gipfeltrieb der Tanne uns beständig vor Augen führt. Sobald der Zweig aus der Knospe ans Licht tritt, entfalten die Nadeln, wie Buesgen feststellte, merkwürdige Beweglichkeit. Sie fangen an, sich langsam zu drehen, bis alle in einer Ebene liegen, die dunklere Seite nach oben gekehrt. Drehen wir vor dem Austreiben der Knospen einen Tannenzweig derart um, daß seine bisherige Oberseite dem Boden zugewendet ist, so drehen sich an den jungen Sprossen die Nadeln in umgekehrter Richtung, bis die Kammstellung wieder erreicht ist. Bringen wir danach den ganzen Zweig in seine gewöhnliche Lage zurück, so wenden die Nadeln der Vorjahrssprosse uns ihre dunkle Seite zu, die der neuen, diesjährigen Sprosse dagegen die Seite mit weißen Streifen. Die Kammlage wird also von den Nadeln durch eigene Arbeit hervorgebracht.

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Die Weißtanne oder Edeltanne II.
1. Reifer Zapfen.
2. 3. Zapfenschuppe von innen mit und ohne Samen.
4. Dieselbe von außen mit dem langen zugespitzten Deckblatt.
5. Same mit Flügel und Flügel allein.
6. Ein Triebstück mit Blattstielnarben.
7. Zapfenspindel.

Am deutlichsten tritt die Sonderart der Edeltanne in Erscheinung, wenn sie im Mai ihre Blüten bildet und zur Herbstzeit ihre Zapfen reift. Kein Purpurrot leuchtet aus Tannenkronen. Die Staubblüten sitzen zu vielen beisammen an der Unterseite der Zweige, jede in einer Nadelachsel, und sehen trübe bräunlichgelb aus. Die Fruchtblüten haben ihren Platz hoch oben nahe dem Wipfel des Baumes, auf den Ästen des jüngsten Quirls, und sind gleich schmucklos bleichgrün gefärbt. Wie bei der Fichte ragen sie aufwärts und deuten in ihrer Form und Gestalt bereits die künftigen Zapfen an, krümmen sich aber niemals nach unten, wie es die Fichtenfruchtkätzchen tun, sondern bleiben steil aufgerichtet und bilden sich so auch zu Zapfen um. Gegen Ausgang Septembers stehen diese wie hellbraune Kerzen im Tannenwipfel, bis 16 Zentimeter lang, und scheiden fleißig Harztränen aus.

Und nun eine Preisfrage an den Leser: wer hat, falls er nicht Forstmann ist, schon einen Tannenzapfen gesehen, wer einen solchen in Händen gehabt? Kiefern- und Fichtenzapfen kennt jeder, Tannenzapfen kaum einer von tausend, die Tannenwälder durchwandert haben. Es ist nicht ganz einfach, von unten her die Kerzen im Wipfel wahrzunehmen, denn erstens braucht die Edeltanne bis zur Mannbarkeit siebzig Jahre, wenn sie mit andern im Schlusse steht, und zweitens ragt sie in diesem Alter oft 25 Meter hoch auf. Freistehende Tannen, die in der Regel nach Abschluß des dritten Lebensjahrzehnts mit Blühen und Fruchten den Anfang machen, stellen die Zapfen jedem zur Schau, der seinen Blick bis zur Krone erhebt, werfen sie ihm aber ebensowenig wie ihre Gefährten im Walde zu Füßen. Unmittelbar nach der Samenreife entblättern sich nämlich die Zapfen am Baum. Die Fruchtschuppen mit den geflügelten Samen lösen sich von der Zapfenspindel, die aufrecht im Baume stehenbleibt, und taumeln einzeln zum Boden herab.

In Wuchs und Verzweigung ähnelt die Tanne dem von der Fichte bekannten Bild, doch treten im allgemeinen die Astquirle schärfer als bei der Fichte hervor. Der Gipfeltrieb sticht schnurgerade wie ein Speer in die Luft hinein, solange das Höhenwachstum noch anhält. Ist es beendet, so überholen die obersten Äste im Längenwachstum den Gipfeltrieb und bilden, flach bogenförmig gekrümmt, das für alte Tannen bezeichnende »Storchnest«. Die Krone erscheint dann wie abgestutzt. In Kulturwäldern läßt im hundertsten Jahre das Höhenwachstum der Tanne nach, und mit 180 bis 200 Jahren ist es gewöhnlich abgeschlossen. Auf günstigen Standorten sind die Bäume dann 30 bis 40 Meter hoch bei etwa meterdickem Stamm, der meist bis hoch hinauf astfrei ist. Im Urwald und dort, wo die Forstwirtschaft den Bäumen größere Freiheit gewährt, schreitet ihr Wachstum noch länger fort, oft bis ins Greisenalter hinein. Im Bayerischen und im Böhmerwald sollen ehemals Tannen gestanden haben, die bei 3,8 Meter Stammdicke bis 60 und mehr Meter hoch emporragten, und im Schwarzwald, besonders im südlichen, gibt es heute noch Riesenbäume mit 4 bis 5 Meter Stammumfang und über 50 Meter Höhe. Eine auf dem Oberrollsbacher Weidfeld vereinzelt stehende Wettertanne mit bis zum Boden reichenden Ästen, nach Klein die größte und schönste von allen, ist zwar nur 24 Meter hoch, weist aber einen Stammumfang von 6,70 Meter auf.

Das harzfreie, weiße Holz der Tanne wird im Gebrauch als Bau- und Werkholz dem der Fichte fast gleich gewertet. Holzschnitzer und Drechsler schätzen es hoch, desgleichen die Streichholz- und Schachtelfabrikanten. Berühmt geworden in aller Welt ist das Tannenholz durch die Geigenbauer, vor allem durch die aus ihm gefertigten alten Cremonenser Geigen von Amati, Stradivari und Guarneri, die das Holz aus den Alpen bezogen.

Aus dem westlichen Nordamerika stammt die Douglastanne ( Pseudotsuga taxifolia), die im Jahre 1827 nach Europa kam und sich wegen ihrer Raschwüchsigkeit und ihres ausgezeichneten Holzes bei den Forstwirten hoher Schätzung erfreut. Allerdings verlangt sie auch tiefgründigen, nährstoffreichen Boden und ein hohes Maß von Luftfeuchtigkeit. An entsprechenden Standorten, die ihr am besten das Bergland bietet, erreicht sie gewaltige Höhenmaße und eine Stammdicke bis zu vier Meter. In der äußeren Erscheinung des Baumes fließen die Begriffe Tanne und Fichte tatsächlich zusammen. Die Pyramidengestalt mit den tief herabreichenden Ästen teilt er mit der Fichte, während die Zapfen durch ihre weit zwischen den Deckschuppen herausragenden Fruchtschuppen mehr an die Tanne erinnern, durch ihre hängende Stellung und ihren Abfall als Ganzes jedoch wieder Fichteneigenschaft zeigen. Hinsichtlich der Nadeln läßt sich streiten, ob sie mehr denen der Fichte oder denen der Tanne ähneln, weil sie von beiden Merkmale in sich vereinen. Sie sind viel schmaler als die der Tanne, aber länger und schmiegsamer als die der Fichte, bald zweizeilig gekämmt, bald allseitig abstehend von den Zweigen. Zuverlässige Nasen wollen Apfelsinenduft an ihnen erspürt haben. Die Samen der Douglastanne reifen im Herbst und verlassen bald danach die sich öffnenden gelbbraunen Zapfen.

Man nennt den Fichtenwald düster und schweigsam, einförmig bis zur Herzbeklemmung, und wenn man die Forste der Ebene meint, deren Bäume eng im Schlusse stehen und deren Boden, soweit das Auge reicht, mit einer dicken Schicht toter Nadeln von einheitlich brauner Farbe bedeckt ist, so trifft die Kennzeichnung durchaus zu. Jedoch nicht alle Fichtenwälder weisen ein solches Gepräge auf. Wo der Wald auf schwerem Lehmboden steht und die dunklen, dichtbenadelten Kronen nicht überall den Lichteinfall hindern, gibt es schon eine Bodenflora, und ganz besonders an den Wegen, auf Waldblößen und am Waldesrand, zumal wenn die Bäume erst wenig bejahrt sind, schaut es mitunter recht freundlich aus. Am reichsten an Bodenwuchs zeigt sich der Wald auf den luftigen Höhen der Mittelgebirge, wo Laubhölzer in ihn eingesprengt oder aus den tiefer stockenden Mischwäldern Kleinsträucher, Gräser und allerlei Blumen in ihn eingewandert sind. Zuviel darf man freilich auch dort nicht erwarten, aber einförmig ohne Unterschied sind Fichtenwaldungen keineswegs. Das gleiche gilt auch vom Tannenwald.

 

Sträucher und Bodenpflanzen im Fichten- und Tannenwald

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Sauerklee

Eine ganze Reihe der Kräuter und Zwergsträucher, die wir im Kiefernwald kennenlernten, finden sich auch im Fichtenwald. Heidelbeeren und Preiselbeeren, der seltsame Halbstrauch Linnaea borealis, Wachtelweizen, Siebenstern und Fichtenspargel sowie das unscheinbare Wintergrün Pirola uniflora mit seinem immer nur in der Einzahl vorhandenen leuchtend weißen Blütenstern fehlen nur selten dem Fichtenwald. Und noch ein anmutvolles Blümchen, das wir im Kiefernwald flüchtig streiften, begrüßt uns jetzt zum zweitenmal und wird uns nochmals im Laubwald begegnen: der Sauerklee ( Oxalis acetosella), vielleicht die anspruchsloseste Blütenpflanze im Hinblick auf den Lichtgenuß. Sonnenlicht, von allem Lebendigen sonst mit innerem Jubel bewillkommt, löst bei diesem zarten Waldkind etwas völlig anderes aus. Während der Sauerklee im Schatten seine drei Einzelblättchen von Herzform derart in eine Ebene stellt, daß sie als vollendeter Lichtfänger wirken und noch vom spärlichen Dämmerlicht so viel in sich hineinschlürfen können, um den Betrieb in ihren Zellen ununterbrochen in Gang zu halten, klappt er seinen Lichtschirm zusammen, sobald ein Sonnenstreif ihn trifft. Nicht genug, daß sich das Dreiblatt als Ganzes gleichsam erschreckt nach unten senkt, es falten sich auch noch die Einzelblättchen längs ihrer Mittelrippe zusammen. Erst wenn der Sonnenstrahl weitergerückt ist und weder die Wasserverdunstung steigern noch die bei allen Schattenpflanzen äußerst empfindlichen Blattgrünkörper schädigend beeinflussen kann, breiten die Blättlein sich wieder aus. Auch wenn der Abend in den Wald schleicht, nehmen sie solche »Schlafstellung« ein, wohl um die nächtliche Wärmeausstrahlung nach Möglichkeit hintanzuhalten. Meist bildet der Sauerklee kleine Trupps, und ungemein reizvoll ist es zu sehen, wie die langsam weiterziehenden Lichtstrahlen eines der Pflänzchen nach dem andern zum Einklappen und Wiederaufrichten zwingen. Die weißen, rotgeaderten Blüten sind ebenso zart wie das ganze Wesen, das einer weitverzweigten Grundachse seine Lebenskraft verdankt. Die Blütezeit dauert vom März bis zum Mai.

Ein zweites dem Sonnenlicht abholdes Blümchen, das seine zwei ansehnlich großen Blätter, am Grunde herzförmig ausgeschnitten, ebenfalls waagerecht ausgespannt trägt, ist die hübsche, zierliche Schattenblume ( Maianthemum bifolia), eine Verwandte unseres Maiglöckchens, trotz mangelnder äußerer Ähnlichkeit. Die steil aufragende Blütentraube trägt vierzählige weiße Blütensterne, die in Verbindung mit den Blättern die Pflanze leicht erkennen lassen, um so mehr als sie meistens gesellig vorkommt. Blütezeit ist der Mai oder Juni. Später entwickeln sich aus den Fruchtböden allerliebste rote Beeren, die durch Vögel verbreitet werden.

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Blauer Sturmhut

Bezeichnende Fichten- und Tannenbegleiter in Bergwäldern sind die Sturmhutarten ( Aconitum), auffallend blühende hohe Stauden mit knollig verdickten Wurzelstöcken und tief handförmig gelappten Blättern. Mit Vorliebe siedeln sie sich im Gebirge in der Nähe von Waldbächen an. Den Namen verdanken sie ihren Blüten, die locker traubig angeordnet und aus einem helmförmigen Blumenblatt, das der Gestalt der Insektenbesucher immer deutlich angepaßt ist, und langgestielten, vom Helm bedeckten Honigblättern zusammengesetzt sind. Dunkelblau blüht die eine Art ( Aconitum napellus), blau und weiß gescheckt eine zweite ( A. variegatum). Ein dritter Sturm- oder Eisenhut ( A. lycoctonum), durch bleichgelbe Blüten ausgezeichnet, kommt immer nur in Laubwäldern vor. Alle enthalten ein scharfes Gift ( Aconitum), das als Arzneimittel angewandt wird.

Auf Standorten, die der Sturmhut bevorzugt, treffen wir oft auch den Geißbart ( Aruncus silvester) an, eine bis zwei Meter hohe Staude, die vielfach unter dem Namen »Spiräe« als Zierpflanze unsere Gärten schmückt und dort wie in den Mittelgebirgswäldern durch ihre länglichen Blütentrauben von gelblichweißer Tönung auffällt. Männliche und weibliche Blüten finden sich nie auf derselben Pflanze, sondern getrennt auf verschiedenen Stauden, so daß nur durch Insektenvermittlung eine Befruchtung erfolgen kann. Die Blühzeit fällt in die Frühsommermonate, wenn die Mehrzahl der andern Gewächse schon längst ihre Hochzeit gefeiert hat.

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Hasenlattich

Für den Harz, wo der Geißbart seltsamerweise nirgends vorzukommen scheint, ist in den verarmten oberen Wäldern eine zierliche Orchideenart mit nur zwei Blättern und grünen Blüten geradezu Charakterpflanze, das Kleine oder Herzzweiblatt ( Listera cordata). An den winzigen, traubig geordneten Blüten, die sich im Mai oder Juni entfalten, jedoch nur eine kurze Zeit dauern, fällt die spornlose, tiefgespaltene Lippe durch rotviolette Färbung ins Auge. Eine andere Orchideenart, die feuchte Fichtenwälder liebt und sich besonders auch in Torfbrüchen zwischen dem Moos zu Hause fühlt, trägt nach der Form ihres Wurzelstocks den treffenden Namen Korallenwurz ( Coralliorrhiza innata). Richtige Wurzeln besitzt sie nicht, braucht sie auch nicht als »Saprophyt«, was auf deutsch etwa Moderverzehrer heißt. Statt ihrer bedecken den Wurzelstock zahlreiche knollenförmige Auswüchse, in deren Geweben ein Wurzelpilz wuchert. Im Mai oder Juni erscheinen die Blüten, deren weiße, am Schlunde dunkelrot punktierte Lippe sich lebhaft von der grünlichgelben Farbe der übrigen Blumenblätter abhebt.

Ein keineswegs seltener Bewohner der Waldungen unserer Mittelgebirge ist der milchsaftführende Hasenlattich ( Prenanthes purpurea), ebenso wie die Sturmhutarten am ersten an Bachufern anzutreffen, nur nicht an besonnten Orten. Von den sparrigen Zweigen des hohen Schafts, der mit großen, doch zarten Blättern besetzt ist, hängen im Juli oder August hübsche purpurne Blüten herab, aus denen ein langer Griffel hervorragt. Im Herbst verwandeln sich diese Gebilde in einen weichen seidigen Schopf. Schöner noch als der Hasenlattich blüht sein Verwandter, der Alpenlattich ( Mulgedium alpinum), der höhergelegene Standorte liebt und deshalb besonders in den Alpen an der Waldgrenze häufig ist, jedoch auch hoch oben im Schwarzwald vorkommt, soweit er dort ausreichend Feuchtigkeit findet. Die traubig oder in einer Rispe beisammenstehenden Blütenköpfchen öffnen sich, wenn die Sonne sie anlacht, zu 2 bis 3 Zentimeter breiten Scheiben von leuchtendem Blauviolett.

Völlig auf die Alpen beschränkt ist das bekannte Alpenveilchen ( Cyclamen europaeum) und ebenso die in mehreren Arten häufig in Gärten angepflanzte und vielfach verwilderte Weihnachtsrose ( Helleborus niger), die zwischen Dezember und Februar, oft mitten im Schnee ihre großen weißen, zuweilen rötlichen Blüten entfaltet und sich als Weihnachtszimmerschmuck zunehmender Beliebtheit erfreut. Eigentlich heißt sie Schwarze Nieswurz, weil nämlich ihr schwarzer Wurzelstock, pulverisiert in die Nase gebracht, augenblicks heftiges Niesen hervorruft. Als in heiliger Zeit ihre Blüten erschließend, galt die Christrose ehedem als eine unverletzliche Pflanze. Wer sie pflückte, dem brachte sie angeblich Schaden. So sollen die bäuerlichen Bewohner der deutschen Sprachinsel Gottschee in Krain noch heutigentags in ihrem Hause keine Christrosensträuche dulden, weil sonst die Hühner mit dem Eierlegen aufhören. Um Ungewöhnliches in der Natur hat schon von jeher der Aberglaube seine phantastischen Ranken geschlungen und tut es auch noch in der Gegenwart.

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Alpenglöckchen ( Soldanella)

Wenig bekannt ist die Troddelblume, das Troddel- oder Alpenglöckchen ( Soldanella alpina und montana), das auf den Höhen der Ostalpen häufig, in oberbayerischen Wäldern nicht selten und auch auf dem Feldberg im Schwarzwald zu Haus ist – falls frevelnde Hände dort seinem Blühen nicht schon ein Ende bereitet haben. Entzückend sind seine blauvioletten, zierlich ausgefransten Blüten, die einzeln oder zu zweien gesellt an flaumig behaarten Stielen hängen. Etwas Zarteres als diese Glöckchen, die, könnten sie läuten, wundersam weiche und liebliche Töne hervorbringen müßten, ist bestimmt kein zweites Mal in der heimischen Pflanzenwelt aufzufinden. Und doch sind diese Blumen fähig, nicht bloß in den Nadelwäldern der Berge, sondern auch auf den kahlen Firnen in über zweitausend Meter Höhe der Gletscherkälte die Stirn zu bieten. Sie bringen durch ihre Innenheizung, so schwach und geringfügig sie uns dünkt, sogar das feste Firneis zum Schmelzen und wachsen direkt mit dem Köpfchen hindurch. Kerner von Marilaun war der erste, der dieses entzückende Pflanzenwunder nach eigenem Augenschein beschrieb, in der Einsamkeit der tirolischen Alpen. Das Firnfeld, also ein Gletscher im kleinen, war in eine flache Mulde gebettet, bevölkert von munteren Gletscherflöhen, und hier und da blutrot übertüncht von einer dort lebenden Alpenpflanze. Das Eis lag dem Boden zwar ganz dicht auf, war aber nirgendwo angefroren. Vielmehr war das Erdreich unter dem Firn von Schmelzwasser reichlich überrieselt. Aus diesem eisigen Wasser nun erhoben die Pflänzchen die Blütenknospen. Die wenige Millimeter langen und demgemäß schwachen Stengelchen wuchsen bei null Grad langsam empor und brachten auf diese Weise die Knospen, die violette Färbung bekamen, mit dem Gletschereis in Berührung. Die Atmungswärme bewirkte alsdann, daß über ihnen das Firneis taute und sie wie eine Kuppel umwölbte, und dieser kuppelförmige Hohlraum wurde nach oben hin länger und länger, je mehr sich die Pflänzchen reckten und streckten. Sie schmolzen sich so einen Weg durch die Eisschicht, erschienen schließlich oberhalb dieser und schwenkten die nunmehr sich öffnenden Glöckchen wie kleine Siegesfähnchen im Wind. Es ist etwas wirklich Erhabenes um die Lebenskraft und den Lebenswillen, die der Lenz selbst in schwachen, zartesten Pflanzen mit Allgewalt zum Licht drängen läßt.

Wie plump, geradezu urwelthaft plump sind demgegenüber die Bärlappgewächse, von denen wir eines, den Kolbenbärlapp, bereits im Kiefernwald kennenlernten (Seite 138). Im Fichten- und Tannenwald sind sie vertreten durch den Sprossenden Bärlapp ( Lycopodium annotinum) und den Tannenbärlapp ( L. selago). Der zweite kommt nur in Bergwäldern vor, mitunter noch in solchen Höhen, wo der Wald schon dem Knieholz Platz gemacht hat, der erste nicht selten auch im Flachland. Wer Wert darauf legt, die verschiedenen Arten auseinanderhalten zu können, dem sei gesagt, daß beim Kolbenbärlapp ebenso wie beim Sprossenden Bärlapp die Stengel gewöhnlich am Boden kriechen und die Blätter spiralig angeordnet, sowie daß bei jenem die Ähren gestielt, bei diesem dagegen sitzend sind. Der Tannenbärlapp ist ausgezeichnet durch Stengel, die nicht am Boden kriechen, sondern in Büscheln aufwärts gestellt und immer streng gabelig geteilt sind, und ferner durch steife, spitze Blätter, die achtzeilig an den Stengeln sitzen. Ähren gibt es bei ihm nicht.

Gleich uralt wie die Bärlappgewächse und diesen gleich aus den Steinkohlenwäldern in ansehnlich hohen Bäumen bekannt, ist das Geschlecht der echten Farne, die durch ihre oft zu mächtigen Sträußen vereinigten schöngefiederten Wedel das Bild fast aller deutschen Wälder auf das angenehmste beleben. Einen der stattlichsten Vertreter ihrer Gemeinschaft, den Adlerfarn ( Pteridium aquilinum), haben wir schon bei der Betrachtung des Kiefernwald-Unterwuchses erwähnt. An leidlich feuchten und lichten Stellen tritt er dort wie im Buchenwalde häufig in großen Beständen auf, mit anderthalb Meter hohen Wedeln, und phantasiereiche Waldbesucher graben dann wohl seinem Wurzelstock nach und meinen deutlich an dessen Querschnitt das Bild des Doppeladlers zu sehen, nach dem der Farn seinen Namen trägt. Uns, die wir ihn als zum Walde gehörend unbehelligt grünen lassen, soll er zum Dank dafür ein wenig aus seiner Lebensgeschichte erzählen, die die seines ganzen Geschlechtes ist.

Die unterirdische Sprosse des Farns, meist Grund- oder Wurzelstock genannt, kriecht ebenso wie bei den Bärlapparten waagerecht im Boden dahin, wächst am einen Ende fort und stirbt am andern nach und nach ab, verzweigt sich während seines Wachstums und breitet sich auf diese Weise immer weiter im Waldboden aus. Nach unten hin sendet der Wurzelstock in Abständen Wurzeln ins Erdreich hinab, die der Pflanze den Lebensunterhalt sichern, nach oben entwickelt er grüne Wedel, und zwar aus jedem Grundstockzweige alljährlich einen einzigen. Da aber der Zweige sehr viele sind, so kann es uns nicht wundernehmen, daß der Farn mit seinen Fiederblättern bald große Flächen des Waldes beherrscht. Schneckenhausähnlich zusammengerollt kommt die Blattspreite aus dem Boden hervor, geschoben von einem kräftigen Stiel. Allmählich aber rollt sie sich auf, die Blattschnitte, bis dahin ebenfalls zu zierlichen Rollen zusammengewickelt, entfalten sich zu ihrer ganzen Schönheit, und schon nach einer kurzen Zeit wiegt sich der Wedel im Sonnenschein. Blüten bringt kein Farn hervor. In all den unzählbaren Jahrmillionen, die seit dem Erdaltertum verrauscht sind, blieb sein Geschlecht auf der gleichen Stufe der Entwicklung des Pflanzenreichs stehen wie seine Ahnen im Steinkohlenwald. Der Weg, den die Blütenpflanzen beschritten, war ihm für alle Zukunft verbaut. Die Farne blieben, was sie waren: Gewächse, die sich nicht durch Samen fortpflanzen, sondern durch winzige, staubfeine Sporen. Wer mit der Lupe zu wandern pflegt, kann unterseits an den Blättern des Farns, und zwar am Saume der Fiederteilchen die zahlreichen kleinen Kapseln erkennen, in denen die Vermehrungszellen, also die Sporen, verborgen liegen. In ihrer Entwicklungszeit sind sie vorsorglich durch einen zarten, hellgrünen »Schleier« vor der Gefahr des Vertrocknens geschützt, und wenn sie zur Hochsommerzeit gereift sind, fliegen sie mit dem Winde davon.

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Tafel 35
Buchenwald im ersten lichten Maiengrün

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Tafel 36
Zwei Dachse auf der Nahrungssuche

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Swinegels Nachkommenschaft auf Entdeckungsreisen

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Tafel 37
Ein alter Waldkauz, den alle Singvögel des Waldes hassen, obgleich er fast nur von Mäusen lebt

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Zwei junge, vor kurzem ausgeflogene Nußhäher

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Tafel 38
Vier der beliebtesten Speisepilze
Oben links Steinpilze,
rechts ein Birkenpilz.
Unten links Hallimaschpilze,
rechts Parasolpilz

Den weiteren Lebensgang der Sporen können wir zum großen Teil durch eigenen Augenschein verfolgen. Wir brauchen nur einen staubreifen Wedel auf ein Blatt weißen Papiers zu legen, das bräunliche Pulver sich sammeln zu lassen und einen kleinen Teil davon auf feuchter Walderde auszusäen, am besten in einen Blumentopf, der mit einer Glasglocke überdeckt und dadurch feucht erhalten wird. Bereits nach einer Reihe von Tagen fangen die Sporen zu keimen an, und wenige Wochen nach der Aussaat sind die Keimpflänzchen deutlich erkennbar. Daß Farnkraut aus ihnen hervorgehen soll, verraten sie freilich einstweilen nicht. Was wir mit bloßem Auge gewahren, sind beinahe durchsichtig zarte Körper, die herzförmigen grünen Blättchen ähneln mit einem leicht gewellten Rande, und durch zahlreiche feine Härchen am Untergrund befestigt sind. Was uns aber nur das Mikroskop auf der Unterseite dieser Blättchen zwischen den Härchen wahrnehmen läßt, das sind die bedeutungsvollen Zellen, durch deren intimes Zusammenwirken eine neue Pflanze zustande kommt. Bald tauchen auf den grünen Keimpflanzen kleine einfache Farnblättchen auf, die Wurzeln in die Erde senken. Die nächsten Blättchen, die sich entwickeln, sind bereits größer und stärker zerteilt, und schließlich erkennen wir auch den Sproß, der waagerecht in der Walderde wächst und das ganze Wunder entstehen läßt. Aus mikroskopisch kleinem Anfang sprießt eine dem späteren Adlerfarn schon ähnlich gebildete Pflanze empor, deren Wedel nach Ablauf eines Jahres rund 20 Zentimeter mißt und abermals nach der gleichen Zeit in nahezu ganzer Größe dasteht. Im Entwicklungsgang des Adlerfarns und ebenso aller anderen Arten treten also zwei Formen auf (der Botaniker spricht von »Generationen«), die regelmäßig einander folgen. Die sporentragende fertige Pflanze ist die ungeschlechtliche Form, das Keimpflänzchen (in der Fachsprache »Vorkeim«) die geschlechtliche Generation. Blüten entwickeln die Farnkräuter nicht, wohl aber deren hauptsächlichste Teile: Zellen, die sich miteinander vermählen und eine neue Pflanze erzeugen.

Im hochgelegenen Fichten- und Tannenwald sind die häufigsten Farnkrautarten der Rippenfarn ( Blechnum spicant) und der Straußenfarn ( Struthiopteris germanica), beide von allen übrigen Arten durch die Eigenschaft unterschieden, daß sie zwei Sorten von Wedeln entwickeln, solche, die Sporenkapseln tragen, und andere, die an der Sporenbildung immer unbeteiligt sind. Die zweiten, also die unfruchtbaren, halten den Winter über durch und liegen beim Rippenfarn in der Regel rosettenförmig dem Erdboden auf. Sie haben einfache Fiederblätter, lanzettlich-linealisch gestaltet, und sind von gelblichgrüner Farbe. Im Juli entsteigen der Rosette die fruchtbaren braunen Sporenwedel, bis 60 Zentimeter hoch, um im Herbst, nach Erfüllung ihrer Aufgabe, langsam wieder abzusterben. Im Schwarzwald zählt der Rippenfarn zu den augenfälligsten Bodenpflanzen. Beim Straußenfarn sind die unfruchtbaren, schöner gefiederten grünen Wedel von meistens mehr als Meterhöhe in Form eines Trichters angeordnet, aus dessen Mitte sich auch wieder braune, doch kleinere Sporenblätter erheben. Meist tritt der stattliche Straußenfarn am Ufer beschatteter Waldbäche auf.

Im Bilde unserer Nadelholzwälder würde ein Wesentliches fehlen, vergäßen wir die Erwähnung der Pilze, die zu einer Zeit den Waldboden schmücken, wenn die bunten Blüten mehr und mehr schwinden und die Überzahl der höheren Pflanzen bereits ihre Früchte reifen läßt. Wenn in Gestalt langer Spinnenfäden »Altweibersommer« die Luft durchzieht, wird der Pilzwald von Leuten beider Geschlechter und aller Altersstufen bestürmt, die nicht aus Naturfreude zu ihm kommen, vielmehr die mitgebrachten Körbe mit frischen Hutpilzen füllen wollen. Schon mit dem ersten Grauen des Tages stellen sie sich am Sammelort ein, den sie aus langer Erfahrung kennen, wohl wissend, daß in der Morgenfrühe die Ernte am reichsten ausfallen wird, zumal wenn der Waldboden regenfeucht ist. Sie kennen den Wert eines Pilzgerichts, das zwar kein Fleisch zu ersetzen vermag, an Nährgehalt aber immerhin mit frischem Gemüse wetteifern kann und dabei kostenlos zu beziehen und obendrein sehr wohlschmeckend ist. Die einen sammeln zum Selbstgebrauch, die meisten um Handel mit Pilzen zu treiben, alle aber wissen genau, wo die schmackhaften und beliebtesten Sorten der Speisepilze zu finden sind. Wer die Märkte unserer großen Städte auf ihre tägliche Pilzzufuhr prüft und die alljährlich nach Tausenden von Zentnern zählenden Speisepilzmengen nach ihrem Verkaufswert überschlägt, wird bei seiner Rechnung auf Summen kommen, die in die Hunderttausende gehen. Und doch ist der volkswirtschaftliche Wert der Pilze in Deutschland noch wenig erkannt, denn ein gewaltiger Teil der Arten, die als Volksnahrung dienen könnten, geht ungenutzt in den Wäldern zugrunde.

Unmöglich und unnötig, alle Pilzarten, die in Nadelwäldern leben (doch keineswegs auf diese beschränkt sind), aufzuzählen und zu beschreiben. Ihre Artenzahl ist zu beträchtlich dazu, und bloße Beschreibungen reichen nicht aus, um sie danach unterscheiden zu lernen. Fassen wir die Gesamtheit ins Auge und werfen wir einen kurzen Blick auf ihre Eigentümlichkeiten. Zunächst sei darauf hingewiesen, daß alle die farbenfrohen Gebilde, die wir zur Herbstzeit im Walde antreffen und dann schlechthin als Pilze bezeichnen, gar nicht die eigentliche Pflanze, sondern nur ihr fleischiger Fruchtkörper, richtiger Sporenkörper sind. Die Pflanze selbst lebt unter der Erde, unsichtbar für unsern Blick, und zwar nicht nur in den herbstlichen Tagen, wenn wir ihre auffallenden Obergebilde aus der Waldstreu aufschießen sehen, sondern während des ganzen Jahres, solange der Boden Wärme enthält. Die farbigen Hüte samt ihren Stielen vergehen innerhalb kurzer Frist, nachdem sie die Sporen ausgestreut haben. Fast ebenso schnell, wie die »Männlein« erschienen, wo gestern noch nackter Waldgrund war, verschwinden sie auch wie ein Dieb in der Nacht. Die unterirdische Pflanze dagegen, die als ein vielfach verzweigtes Geflecht unzählbarer spinnwebfeiner Fäden durch die Bodendecke zieht und aus einer winzigen Spore hervorging, wächst nach dem Zerfall ihres Fruchtkörpers fort. Sie ist es, die in Gemeinschaft mit Algen und vielerlei Bodenbakterien, von denen in einem früheren Abschnitt schon ausführlich die Rede war, den Kreislauf der Stoffe beschleunigen hilft. Denn Pilze sind Verwesungspflanzen, Fäulnisbewohner, Saprophyten, wie wir schon mehrere kennenlernten. Als solche besitzen sie kein Blattgrün und kommen im düstersten Schatten fort, sind aber deshalb auch nicht befähigt, selbst Kohlensäure zu zerlegen. Sie brauchen zu ihrer Ernährung Stoffe, die in den Laboratorien der grünen Pflanze erzeugt worden sind und sich in Gestalt von vermodernden Nadeln, Laubblättern, Zweigstücken oder Früchten gerade im Walde in Menge finden.

Nicht alle Pilze spielen indessen die Rolle von nützlichen Helfern im Wald. Sogar in der Reihe der Speisepilze gibt es vom Forstmann verwünschte Gesellen, die Nadel- und Laubholzbäume befallen und oft genug ihre Mörder werden. Der bekannte, mit zottigen Schuppen besetzte goldgelbe Hallimasch ( Armillaria mellea) ist so einer, der in Stämmen von jungen und alten Bäumen, besonders von Kiefern, Fichten und Tannen die sogenannte »Rotfäule« hervorruft. Von der Wurzel her schiebt er sein Fadengeflecht allmählich in den Stamm hinauf, immer unter der Rinde bleibend, und unabwendlich sind solche Bäume dann einem langsamen Tode verfallen. Die Gerechtigkeit fordert freilich den Zusatz, daß der Hallimasch, wo er Gelegenheit findet, auch auf toten, modernden Baumstümpfen wächst.

Gefährlicher noch als die höheren Pilze sind unscheinbare kleine Schmarotzer, vor allem solche der Rostpilzgruppe. Einer von ihnen, der Tannenverderber Aecidium elatinum durchwandert mit seinen zarten Fäden häufig die Zweige der Edeltanne, lenkt ihr Wachstum in falsche Bahnen und ruft so häßliche Knäuel hervor, die man »Hexenbesen« nennt. Wer da glaubt, im scheinbar so friedsamen Wald sei der Kampf ums Dasein ausgeschaltet, der braucht sich nur von einem Forstmann die Taten der Pilze schildern zu lassen, um seinen Irrtum einzusehen.

 

Lärche und Eibe

Lärche und Eibe sind Außenseiter unter den deutschen Nadelhölzern, die Lärche, weil sie ihre Nadeln im Gegensatz zu ihren Verwandten alljährlich im Herbste fallen läßt, um sie im Frühling neu zu bilden, die Eibe, weil sie nicht mehr in reinen Beständen, sondern bestenfalls noch in Gruppen, meist aber nur noch eingesprengt oder unterholzartig in Wäldern auftritt, und zwar viel häufiger im Laubwald als unter stammverwandten Bäumen. Die Mehrzahl der Leser dieses Buches werden sie als Baum gar nicht kennen, eher schon in Strauchgestalt aus Parken, Gärten oder Friedhöfen, dann aber kaum als »Eibenbaum«, sondern unter dem Namen »Taxus«.

Auch die Lärche ( Larix decidua) ist unter unsern deutschen Waldbäumen am weitaus wenigsten bekannt, weil sie in den Forsten der Ebene nur vereinzelt angepflanzt vorkommt und selbst in ihrer engeren Heimat, im Hochgebirge, wo sie seit alters ihre natürlichen Standorte hat, nur selten in großen Beständen auftritt. Windstille Höhen zwischen 900 und 2400 Meter sagen ihr am meisten zu. In den Alpen, auch in deren nördlichen Teilen, bildet sie an geschützten Hängen oder in Schluchten kleine Wäldchen, nicht jedoch in den Mittelgebirgen. Wohl aber kommt sie hier wie dort in Fichten- oder Tannenwäldern oft horstweise oder als Einsprengsel vor.

Nicht jeder Standort behagt der Lärche. Sie stellt große Ansprüche an den Boden, der nicht nur hinreichend feucht und tiefgründig, sondern auch kalk- oder tonhaltig sein soll. Ferner verlangt sie viel Kronenraum, frische und bewegte Luft und vor allen Dingen Licht, viel Licht – ausgiebige, wenn auch nicht warme Besonnung. Unter unseren Nadelbäumen ist sie das ausgesprochenste Lichtholz. Wo ihre Anforderungen erfüllt sind, entwickelt sie sich zum prächtigen Baum von weit über dreißig Meter Höhe, dessen schöne, sich rasch zuspitzende Krone am schnurgerade gewachsenen Stamme tief herabzureichen pflegt. Im Flachland entfaltet sie ihre Schönheit hier und da auch in Parkanlagen, wo ihr als Zierbaum mit voller Absicht ein freier Standort eingeräumt wird. Im allgemeinen sind aber Kulturlärchen, die in der Ebene leben müssen, mehr oder weniger kümmerwüchsig. Sie schießen zwar in der Jugend rasch auf und bilden üppig benadelte Kronen, lassen dann aber im Höhenwuchs nach, wachsen schief oder werden säbelschäftig und erreichen niemals die stattliche Höhe wie ihre Schwestern im freien Bergwald. Oft sind bei Lärchen auf schlechtem Standort noch Äste und Stämme mit Flechten bedeckt, die ihren Wuchs beeinträchtigen.

Am eindrucksvollsten wirkt die Lärche, wenn sie im Frühling im zarten Schmuck ihrer jungen, hellgrünen Nadeln dasteht, nachdem sie im März schon die Knospen geöffnet und ihre Zweige mit hauchfeinem Schimmer freundlichen Grüns umsponnen hatte. Die ganze schlanke Pyramide ist dann so durchsichtig licht und luftig, daß wir versucht sind, die Anmut des Baumes im gleichen Sinne echt weiblich zu nennen, wie wir die Eiche als das Bild urwüchsiger männlicher Kraft bewundern. In der Reihe der Laubhölzer ruft die Birke einen ähnlichen Eindruck hervor. Wir verstehen, daß das Lichtkind Lärche unbedingt »Ellenbogenfreiheit« verlangt, gleichviel ob sie unter ihresgleichen oder anderen Baumarten steht, denn ihre Wesensart ist zu zart, um im Gedränge gedeihen zu können. Gegen Kälte ist allerdings die Lärche bei aller Zartheit unempfindlich, geht sie doch auf den Alpenhöhen mit Arven und Fichten bis an die Grenze, die dort dem Leben der Bäume gesetzt ist. Auch während des Sommers bewahren die weichen, bis fünf Zentimeter langen Nadeln, die an den Langtrieben, kürzer und flacher, immer nur vereinzelt stehen, an Kurztrieben aber immer gebüschelt, ihre feine, lichtgrüne Farbe, die sie von der der Fichten und Tannen auf den ersten Blick unterscheidet. Im Spätherbst verfärben sie sich allmählich zu einem schönen milden Gelb und weben so zu ihrem Teil am bunten Herbstkleid des Waldes mit.

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Die Lärche.
1. Zweig mit einem Langtrieb, mehreren Kurztrieben und einer Durchwachsung eines Zapfens.
2. Ein Zweig mit männlichen (♂︎) u. weibl. (♀︎) Blüten.
3. Eine männl. Blüte, vergrößert.
4. 5. Ein Deckblatt von außen und innen.
6. Reifer Zapfen.
7. 8. 9. Zapfenschuppe von außen und innen.
10. Same mit Flügel und dieser allein.
11. Längsdurchschnitt eines Kurztriebes, vergrößert.
12. Eine Nadel und deren Querschnitt, vergrößert.

Von ihrem zwanzigsten Lebensjahr an, auf günstigem, sonnigem Standort noch eher, bringt die Lärche Blüten hervor. Sobald die Nadeln wie kleine Pinsel auf den zwerghaften Kurztrieben stehen, treten unterseits an den Zweigen hellgrüne Pollenzäpfchen hervor, die über die ganze Krone zerstreut sind und beim Aufblühen gelblich werden, und an den gleichen Lärchenzweigen erscheinen, jedoch bedeutend geringer an Zahl, karminrote weibliche Blütenzäpfchen. Steil richten sie sich auf den Zweigen empor zu etwa zwei Zentimeter Höhe und bilden mit ihrer leuchtenden Färbung einen prächtigen Schmuck für den Baum. Allmählich wechseln sie ihr Kleid, vertauschen das rote mit einem grünen, nehmen langsam an Größe zu und sind im Herbst zu fertigen Zapfen von drei bis vier Zentimeter Länge und bräunlicher Farbe herangereift. Wenn im Oktober die Nadeln abfallen, sind auch die breitgeflügelten Samen, die am Grunde der Fruchtschuppen sitzen, für den Ausflug ins Freie bereit, jedoch erst im Frühling des nächsten Jahres öffnen sich die Lärchenzapfen und geben ihnen den Lebensweg frei.

So schnell nach der Aussaat die Keimpflänzchen da sind, so rasch geht nach den Kindheitsjahren das Höhenwachstum der Lärche vonstatten. Das Lichtholz kündet sich in ihr an. Mit zehn Jahren ragt der junge Baum nicht selten schon vier Meter hoch auf, mit zwanzig Jahren acht Meter hoch, und diese Schnelligkeit des Emporstrebens hält auch noch weitere Jahre an. Kein anderer Baum außer Birke und Espe kommt der Lärche in dieser Geschwindigkeit gleich. Sobald aber Mitte der zwanziger Jahre die Kraft des Wachstums geringer geworden, holt auch die Fichte gleichen Alters sie langsam aber sicher ein, und wenn gleich mehrere sie bedrängen, dann ist es mit der Lärche vorbei. Auf freiem, uneingeengtem Standort erreicht sie in mehrhundertjährigem Alter Höhen bis zu 40 Metern bei geradem, meterdickem Stamm.

Das rötliche Lärchenholz wird hoch geschätzt, vor allem weil es, dem Eichenholz gleich, der Nässe erstaunlich gut widersteht. Es eignet sich deshalb in hohem Grade zum Grubenbau, zu Röhrenleitungen und zur Herstellung von Gefäßen, die Nässe gut vertragen müssen. Außerdem leidet es nicht unter Wurmfraß, wirft sich nicht und ist dauerhafter als Kiefern-, Tannen- und Fichtenholz. Der Forstmann schätzt die Lärche besonders, weil sie durch die weiche Nadelstreu zur Verbesserung des Waldbodens beiträgt.

In keiner Hinsicht der Lärche vergleichbar, in mancher sogar ihr Gegensatz ist die düstere Eibe, der Taxus der Römer ( Taxus baccata), ehemals auf deutschem Boden ein weitverbreiteter, häufiger Baum, heute als Denkmal aus grauer Vorzeit schon vielfach unter Schutz gestellt. Wo immer er uns im Walde begegnet, mutet er uns wie ein Fremdling an, der einsam in eine Pflanzengemeinschaft ganz anderer Art verschlagen wurde. Und doch ist er heimatsberechtigt wie sie, und der gleiche Urgrund, in dem er wurzelt, hat schon seine fernen Ahnen genährt. Die Germanen kannten den Wert seines Holzes, um Bogen daraus herzustellen, besaß doch sogar ihr Jagdgott Uller einen Bogen aus Eibenholz. Nach Cäsar hat ein Germanenhäuptling bereits das Gift des Taxus benutzt, um seinem Leben ein Ziel zu setzen. Den Dichtern des klassischen Altertums war die Eibe der Baum der Unterwelt, wahrscheinlich der dunklen Benadelung wegen, und Plinius und Dioskorides bezeichnen sie als den Baum des Todes, dessen Ausdünstung während der Blütezeit die unter ihm Schlafenden töten könne. Die Furien schwangen Eibenholzfackeln, und Taxuskränze trugen die Alten als sichtbares Zeichen tiefer Trauer. Daß sich der Aberglaube der Eibe und ihrer giftigen Eigenschaften auch sonst allerorten bemächtigt hat, wo ihre schwarzgrünen Kronen rauschten, ist nach alledem selbstverständlich. Ihre starke Verbreitung in früherer Zeit bezeugen die vielen von Eibe und Iba abgeleiteten Ortschaftsnamen wie Eibenstock, Eibenschütz, Eibiswald, Eibstock, Iberg und andere. Vielleicht war das langsame Wachstum der Eibe an ihrem betrüblichen Krebsgang schuld, denn nur was als wirtschaftlich nutzbringend galt, erfreute sich bis in die jüngste Zeit der Fürsorge amtlicher Waldbetreuer. Auch die Kahlschlagwirtschaft ist zweifellos für die Eibe verhängnisvoll gewesen. Beglückend deshalb die Gewißheit, daß neuerdings dieser stolze Zeuge der Vorzeit nicht bloß wirksamen Schutz genießt, sondern auch vielfach angepflanzt wird.

Gekennzeichnet ist der Eibenbaum durch seine unregelmäßige Krone, deren Äste nicht quirlig geordnet sind, vielmehr zerstreut am Stamme stehen, mit büschelförmigen Zweigen wechselnd. Die anfangs glatte, rotbraune Rinde nimmt später graubraune Tönung an und schilfert wie bei der Platane ab. Bei alten Bäumen werden die Stämme »spannrückig«, wie die Forstleute sagen, das heißt es bilden sich an ihnen der Länge nach abwechselnd Wülste und Furchen, so daß der Umriß ihres Querschnitts kaum noch die Kreisform ahnen läßt, die er bei jungen Bäumen zeigt. Die zweizeilig gescheitelten spitzen Nadeln, oberseits glänzend dunkelgrün, unterseits matt hellgrün gefärbt, dauern sechs bis acht Jahre am Zweige aus. Sie enthalten ebenso wie die Rinde und in geringerem Grade die Blätter ein Herz- und atmunglähmendes Gift (Taxin). Die männlichen und weiblichen Blüten stehen getrennt auf verschiedenen Bäumen, beide unterseits an den Zweigen, in Mitteldeutschland um Anfang Mai. Die Staubblüten bilden gelbe Sträußchen, die Fruchtblüten winzige lichtgrüne Knospen, aus denen sich gleichwohl bis zum Frühherbst erbsengroße Samen entwickeln, die in einen leuchtend korallenroten fleischigen Mantel eingehüllt sind. Diese oben offene Samenhülle hat die Gestalt eines kleinen Bechers.

Das Höhenwachstum geht bei der Eibe kaum über 15 Meter hinaus, der Stamm aber wird bis drei Meter stark, denn das Dickenwachstum des Eibenbaumes dauert viele Jahrhunderte an. Mit der französischen Gartenkunst, deren Schöpfer André Lenôtre war, kamen im achtzehnten Jahrhundert, in der Glanzzeit des Rokoko, die scharfbeschnittenen Taxushecken und noch mehr die zur Kugelform, zu Pyramiden, Obelisken und allerlei seltsamen Tierfiguren zurechtgestutzten Eiben nach Deutschland, wo diese geschmacklosen Liebhabereien, wie sie besonders Ludwig XIV. im Versailler Schloßgarten pflegte, bei vornehmen Leuten Aufnahme fanden. Anlaß zu diesen Spielereien gab die Entdeckung der Gartenkünstler, daß sich die Eibe von Natur aus oft schon von unten an verzweigt, Beschneidungen ohne Nachteil verträgt und außerdem wetter- und schattenfest ist. Die heutige Zeit erfreut sich statt dessen an den natürlich gewachsenen Eiben und hütet sie als Naturdenkmäler, froh, daß es ihrer in deutschen Landen einstweilen noch so viele gibt, daß ihr Aussterben nicht zu befürchten ist.

siehe Bildunterschrift

Der Eibenbaum oder Taxus.
1. Zweig mit männlichen Blüten.
2. Trieb mit zwei reifen Früchten. 3
. Noch geschlossene männliche Blütenknospe.
4. Männliche Blüte aufgeblüht, links mit noch geschlossenen, rechts mit entleerten Staubbeuteln.
5. Der Staubgefäßkörper, ebenso.
6. Taxusnadel und deren Durchschnitt.
7. 8. Nadeln von Tanne und Fichte zum Vergleich.

Die Eibe ist in Deutschland der Baum, der bei weitem das höchste Alter erreicht. Sie übertrifft darin noch die Eiche, die zweitausend Jahre alt werden soll, denn für die Eibe werden mehrfach dreitausend Jahre angegeben. Verbürgen läßt sich das allerdings nicht, zumal gerade bei der Eibe Täuschungen sehr leicht möglich sind. Es ist bekannt, daß der Eibenbaum aus sogenannten »schlafenden Augen«, Ersatzknospen oder an wunden Stellen nicht selten neue Sprosse erzeugt, und Buesgen hebt mit Recht hervor, daß als eine Folge dieser Begabung mehrere Stämme dicht beieinander aus einem Mutterbaum aufwachsen können, die sich, wenn sie dicker und dicker werden, immer mehr aneinanderschmiegen und schließlich ganz vereinigen. So entsteht nicht selten ein massiger Scheinstamm, der leicht auf tausend Jahre geschätzt wird, in Wirklichkeit aber kaum halb so alt ist.

Zu über 3500 Stücken und damit am häufigsten in Deutschland kommt die Eibe mit Kiefern und Laubholz in der Tucheler Heide vor, im achtzehn Hektar großen »Ziesbusch« (slawisch cis = Eibe) der westpreußischen Oberförsterei Lindenbusch. Andere große Eibenbestände, insgesamt etwa 600 Stämme, stehen auf der Vorderrhön in der Nähe von Dermbach im Buchenwald, und reich an urwüchsigen Eibengestalten ist glücklicherweise auch noch der Harz. An den gleichfalls mit Buchen bestandenen Hängen des berühmten Bodetals, und zwar in den Schutzbezirken Roßtrappe, Hexentanzplatz und Dambach, grünen noch annähernd 400 Eiben, eine besonders hochbejahrte mit 3,17 Meter Umfang auf einem Felsvorsprung am Steilhang. Obgleich ihr Stamm so vollkommen hohl ist, daß seine Höhlung Raum genug bietet für einen aufrecht stehenden Mann, ist ihre Krone gut erhalten. Zerstreut kommt die Eibe noch vielfach vor, besonders in den bayerischen Alpen, in Südhannover und Thüringen, in Ostpreußen, Pommern und Mecklenburg. Ein sichtlich uralter Eibenbaum steht in Mönkhagen in Mecklenburg im Garten eines Bauernhauses, vermutlich der überlebende Zeuge eines vor vielen hundert Jahren versunkenen und vergessenen Waldes.

 

Tierleben im Nadelwald

Zur Lebensgemeinschaft eines Waldes, zum »Waldwesen«, wie Alfred Möller sagte, worunter er freilich Mischwald verstand, gehören außer den Pflanzen die Tiere. In unseren heimatlichen »Forsten«, die nur selten Mischwälder sind, hängt aber das Gepräge der Tierwelt in besonders hohem Grade von der Auswahl der Holzarten ab, aus denen die Waldungen aufgebaut sind. Vor allem sind die niederen Tierklassen, die den weitaus größten Anteil an der Waldbevölkerung stellen, vorwiegend Ernährungssonderlinge und deshalb in ihrer Lebensweise bestimmten Pflanzen angepaßt, die sie in ausreichend großer Zahl entweder nur im Laub- und Mischwald oder im reinen Nadelwald finden. Für die höheren Wirbeltierklassen, also Säugetiere und Vögel, ist der besondere Aufbau des Waldes im ganzen weniger entscheidend, obgleich auch von ihnen mehrere Arten an den Laubwald gebunden sind und den Nadelwald vollkommen meiden, der dafür wieder anderen Tieren als ausschließlicher Aufenthalt dient. Auch hier ist in der Regel die Nahrung für die Wahl des Wohnorts bestimmend. In diesem Abschnitt sind Arten geschildert, die entweder als Charaktertiere der Nadelwälder zu gelten haben oder in diesen ebensooft wie im Laub- oder Mischwald zu treffen sind.

 

Säugetiere

Das edelste Tier der deutschen Wälder, der König in ihnen, ist der Rothirsch ( Cervus elaphus), der schon im mittleren Abschnitt der Steinzeit, nach Abschluß der großen Vergletscherung Deutschlands, vom Vorzeitmenschen gejagt worden ist, weil sein Geweih für Werkzeug und Waffen der bestgeeignete Rohstoff war. Auch die jagdfrohen alten Germanen stellten dem Rothirsch mit Leidenschaft nach. Für uns ist der Hirsch, das stolzeste Waldwild, das unser Vaterland beherbergt, schon halb und halb sagenhaft geworden, ein Tier, das wir zwar in jedem Zoo, jedoch nur selten oder gar nicht in freier Wildbahn vor Augen bekommen. Im Kulturwald, der nur noch Wirtschaftswald ist, fehlt in den allermeisten Fällen für dieses kraftvolle Edelwild der unerläßliche Lebensraum, den es zu seiner Entfaltung braucht und der zugleich seinen Anforderungen an nahrhafter, wechselvoller Äsung und Schutz gegen Wind und Wetter entspricht. In der Regel muß außerdem das Rotwild durch Eingatterung verhindert werden, nachts auf die Felder herauszutreten, und obendrein richtet es durch »Verbeißen« mühsam erzogener junger Bäumchen und »Schälen« von Baumstämmen Schäden an, die ein gewissenhafter Forstmann, von dem »Ertrag« gefordert wird, nicht Wildertrag, sondern Holzertrag, auf die Dauer nicht verantworten kann. Die größten und stattlichsten Edelwildrudel stehen heute in Berglandrevieren, wohin sie von Hause aus gar nicht gehören, besonders auch im Hochgebirge, wo sie allerdings mit der Ackerkultur am wenigsten in Konflikt geraten.

Der Hirsch ist ein geselliges Tier, das sich, wo es in Vielzahl vorkommt, mit seinesgleichen zu Rudeln vereinigt, gesondert nach Alter und Geschlecht. Ein Rudel bilden die weiblichen Hirsche, die »Tiere«, wie der Weidmann sie nennt, gemeinsam mit den jungen Hirschen, ein zweites Rudel die stärkeren Hirsche. Beide leben streng abgesondert, bis im September der Brunsttrieb sich regt. Von da ab ändert sich das Bild. Durch den schweigenden Wald, vom flimmernden Mondlicht, das durch die Kronen der Bäume sickert, zu ungewissem Dämmer erhellt, dröhnt plötzlich der Liebesschrei der Hirsche. Bald weniger laut, aus der Ferne kommend, bald mächtig wie eine Baßposaune. Die starken Brunsthirsche sind auf dem Platz und fordern sich gegenseitig heraus. Nicht lange, da kündet Geweihgekrach, daß zwei von den Recken zum harten Zweikampf, bei dem es um Tod oder Leben geht, schwer aneinandergeraten sind. Und eher verstummt nicht der Lärm des Streites, bis einer der Gegner am Boden liegt oder kampfesmüde den Brunstplatz räumt. Noch ist der Sieger jedoch nicht am Ziel. Es gilt noch, vom Rudel der weiblichen Tiere die schwachen Hirsche abzuschlagen, die auch schon Rechte geltend machen, und trotzdem die »Tiere« zusammenzuhalten. Das geht zwar ohne Kämpfe ab, gibt aber dem Haupthirsch Arbeit genug. Die zertretenen und zerstampften Brunstplätze legen Zeugnis davon ab. In dieser Zeit sind die Hirsche gefährlich und nehmen auch den Menschen an, so daß jede Vorsicht geboten ist.

Im Gebirge treibt der Winter das Rotwild mehr und mehr in die Tiefe hinab, im Sommer steigt es so hoch hinauf, wie sein Bedarf an Äsung zuläßt. Im allgemeinen hält aber das Wild getreulich an seinen Standorten fest. Nicht nur der Mensch hängt an der Scholle, auf der er seine Jugend verbracht hat, es ist auch bei vielen Tieren so. Im Hornung, spätestens im März, erfolgt bei den alten, starken Hirschen der Abwurf ihres stolzen Geweihs, das bis Ende Juli des gleichen Jahres durch ein neues wieder ersetzt ist. »Geringe« Hirsche werfen gewöhnlich erst im Mai ihren Kopfschmuck ab, der bei ihnen wie bei allen Hirschen alljährlich an Stärke und Endenzahl zunimmt. Die Körperhaut wächst nach dem Abwurf der »Stangen« über die Abbruchfläche, und eine Fülle von Blutgefäßen liefern den Baustoff zum neuen Geweih, das bis zur Verknöcherung überdeckt bleibt von einer samtartig weichen Haut. Der Hirsch steht im »Bast«, wie der Jäger sagt, und dieser Bast wird durch Scheuern und Schlagen an Baumstämmen schließlich abgerieben. Die Fachsprache nennt diesen Vorgang »Fegen«. Mit dem Geweihwechsel steht die Härung in einem gewissen Zusammenhang. Bald nach dem Abwerfen der Geweihe bildet sich das Sommerhaar aus, und nach Beendigung dieses Haarwechsels setzen die weiblichen Hirsche ihr Kalb, das kurze Zeit nach der Geburt auf Schritt und Tritt seiner Mutter folgt.

Weniger stattlich als der Rothirsch ist der als häufiges Wildparktier viel mehr bekannt gewordene Damhirsch ( Dama dama). Seine schwächeren und kürzeren Läufe bei verhältnismäßig stärkerem Leib, sein kurzer Hals, sein langer, an Ziegen erinnernder Wedel, beim männlichen Tier auch das Schaufelgeweih, kennzeichnen ihn auf den ersten Blick. Die Färbung kann nicht als Merkmal gelten, denn neben weißgefleckten, rotbraunen, schwarzen und gelbbraunen Farbenspielarten gibt es ungefleckte braune, schwarze und vollkommen weiße Stücke. Normalfarbe dürfte die rotbraune sein, im Sommer mehr ins Rötliche gehend, mit weißen Tüpfelchen übersät.

In der Lebensweise ähnelt der Damhirsch in vielem seinem großen Verwandten, doch genügt ihm ein weniger weites Reich, sofern es nur recht viel Unterholz gibt und womöglich auch Gelegenheit, zur Äsung auf Felder und Wiesen zu gehen. Selbst magerer Kiefernwald ist ihm noch recht, in dem weder Rotwild noch Rehwild aushält. Im Gebirge zieht jedoch das Damwild tiefere Lagen den höheren vor, und niemals steigt es so hoch wie der Rothirsch. In der Sommerszeit sondern sich schwache Hirsche, Spießer und Damtiere mit ihren Kälbern zu größeren oder kleineren Trupps, während starke Schaufler in der Regel nur vereinzelt zu treffen sind, vor allem wenn die Brunstzeit naht, die immer um Anfang Oktober anbricht und bis in den November währt. In dieser verhält sich der Damhirsch genau so, wie beim Edelhirsch geschildert, nur spielen sich die einzelnen Vorgänge nicht entfernt so großartig ab. Wenn der Rothirsch »orgelt«, hält selbst der Weidmann, der das dröhnend gedehnte »Uuuu-aaaa« unzählige Male vernommen hat, unwillkürlich den Atem an, wenn aber der Brunstruf des Damhirsches laut wird, verzieht er keine Miene dabei. Auch der Kampf bei den Schauflern, das weiß er genau, geht niemals auf Sieg oder Untergang, wie hart und schallend auch die Geweihe der Gegner aneinanderschlagen. Trotz allem ist in freier Wildbahn der Damhirsch ein imponierendes Tier, man darf nur nicht vergleichen wollen. Die Geringschätzung, die ihm oft genug bei weidgerechten Jägern zuteil wird, ist unbegründet und unverdient, und unrichtig ist auch die Behauptung, er sei kein echter deutscher Hirsch. Wahrscheinlich ist er schon vor der Eiszeit auf deutscher Erde heimisch gewesen, und urkundlich hat sich nachweisen lassen, daß er zur Merowingerzeit, also im fünften und sechsten Jahrhundert, bereits auf der Liste der Jagdtiere stand. »Tamo« (nach dem lateinischen dama) ist überdies ein altdeutsches Wort.

Wer in seinem Leben Rot- oder Damwild niemals zu Gesicht bekam, außer in Wildparken oder Gehegen, das schmucke, zierliche Waldkind Reh ( Capreolus capreolus) ist ihm doch irgendwann begegnet, sei es am Waldrand, auf einer Waldblöße oder auf einem offenen Feld. In keinen größeren Waldungen fehlt es, gleichviel ob sie im Bergland liegen oder sich in der Ebene breiten, aus Nadelholz oder Laubholz bestehen, wenn sie nur reich an Unterwuchs sind. Doch ziehen die Rehe Laub- oder Mischwald entschieden dem reinen Nadelholz vor und ebenso Niederwald dem Hochwald. Ihr Lieblingswohnort sind lichtere Wälder, von blumigen Wiesen unterbrochen oder von solchen und Feldern umsäumt. Auch junge Baumschläge, Vor- und Feldhölzer, die mit dem eigentlichen Walde nur lose in Verbindung stehen, sagen ihnen als Standorte zu, zumal sie ihnen Gelegenheit bieten, in der Umgebung umherzustreifen. Das Rehwild liebt eine wechselnde Äsung. Triebspitzen und Knospen von Forstgehölzen, besonders auch von Kiefern und Fichten, Waldkräuter, Baumfrüchte, Beerenobst, Pilze und was sonst der Wald an guten Dingen vorrätig hält, das alles genügt seinen Ansprüchen nicht. Es wünscht auch Feldfrüchte mancherlei Art, Klee und Raps, Luzerne und Erbsen, vor allen Dingen aber Getreide, das noch nicht völlig ausgereift ist. Und deshalb tritt das Reh gegen Abend, wo es sich sicher fühlt schon bei Tage, auf die benachbarten Felder hinaus und ärgert durch dieses Verhalten den Landmann, zumal es in den Getreidefeldern beim Ziehen und Lagern viel mehr verdirbt, als es an Körnern sich einverleibt. Überrascht man Rehe auf freiem Feld und flüchten sie nach kurzem Sichern eilends ins hohe Getreide hinein, so staunt man über die weiten Bogen, die sie mit ihren Sprüngen beschreiben.

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Tafel 39
Die Purpurorchis, eine unserer schönsten, farbenprächtigsten Orchideen

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Tafel 40
Hainbuche, mehrfach geköpft und immer wieder ausschlagend

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Tafel 41
Eine uralte Wegbuche

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Tafel 42
Der Wurmfarn, ein häufiger meterhoher Farn

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Der Königsfarn, einer der stattlichsten deutschen Farne

Größere Rudel, wie bei Rothirschen, kommen bei den Rehen nicht vor. Meist halten jüngere Böcke, Ricken (so nennt der Jäger die weiblichen Tiere) und »Kitzen« fast während des ganzen Jahres familienweise (in »Sprüngen«) zusammen und werden von einer Ricke geführt. Die alten Böcke sind Einzelgänger, kämpfen nach Hirschart während der Brunstzeit, die bei den Rehen in den August fällt, wütend mit ihren Nebenbuhlern und lassen dabei auch ihre Stimme, ein kurz ausgestoßenes »Bö bö bö« in häufiger Wiederholung vernehmen. Dieselben Laute stoßen sie aus, wenn sie nach Abschiebung ihrer Rivalen die auserwählte Ricke »treiben«, das heißt mit Ungestüm hin und her jagen, bis sie sich schließlich dem Stärkeren fügt. Daß sie nicht minder erregt als der Bock ist, gibt sie durch »fiepende« Töne kund. Durch Nachahmung dieser Liebesrufe unter Benutzung eines Baumblatts oder eines Instruments, ausschließlich zu diesem Zweck geschaffen, lassen die Böcke sich in der Brunstzeit unschwer auch vom Jäger locken und werden so auf dem Anstand erlegt. Im nächsten Mai sucht die tragende Ricke sich ein geschütztes Plätzchen im Walde und bringt dort ihre Kitzchen zur Welt, gewöhnlich zwei, mitunter nur eins, höchst selten drei.

Das Geweih oder – weidmännisch – das »Gehörn« wird auch bei den Rehen Jahr für Jahr wie bei andern Hirscharten abgeworfen und bis zum Frühjahr wieder ersetzt. Der »Spießer« wird im zweiten Jahr »Gabler« und im dritten zum »Sechserbock«, und diese Form behält das Geweih dann auch in allen folgenden Jahren. Mehr als sechs Enden bilden sich nicht, doch wird das Gehörn nach jedem Abwurf schöner und kräftiger wieder erneut.

Überall wo auf weitem Raume wiederkäuende Huftierarten in freiem Naturzustande leben, stellen sich allerlei Raubtiere ein, um entweder auf die erwachsenen Hufer, oder wenn diese zu wehrhaft sind, auf ihren Nachwuchs Jagd zu machen. In den Urwäldern der Germanenzeit, in denen außer Rothirsch und Reh als dritte Art der Hirschfamilie noch das gewaltige Elchwild stand und Ur und Wisent weideten, entsprach diesem Reichtum an Großhuftieren ein ebensolcher an ihren Verfolgern. Nachdem die »Kultur« in die Waldungen eindrang, den Urstier ganz, den herrlichen Wisent »mit Vorbehalt« aus dem Lebensbuch strich und die Elche bis auf klägliche Reste in ostpreußischen Revieren erledigte, sind auch die Urwaldherrscher von einst, Bär, Wolf und Luchs, bei uns verschwunden. Andere aber sind geblieben, damit es dem Haar- und Federwild nicht allzu wohl in den Wäldern werde: der Fuchs als schwächerer Vetter des Wolfs und die als Raubtier durchaus nicht verächtliche Wildkatze als Vertreter des Luchses. Für diese sind freilich schon Kugeln gegossen, die ihrem Geschlecht in deutschen Wäldern endgültig den Garaus machen sollen, hoffentlich aber daneben gehen. Unsere Säugetierwelt ist so arm an Arten, daß wir es uns nicht mehr leisten können, noch eine davon auszutilgen. Zu mehr als neun Zehnteln ist der Bestand an Wildkatzen ohnehin ausgerottet.

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Rehmutter mit zwei noch gefleckten Kitzchen

Bedeutend besser steht's um den Fuchs ( Canis vulpes), den Helden der Sage und der Tierfabel, den Vielgeschmähten und Vielgehaßten. Er vergißt bei seinen Streifereien nicht leicht die eigene Sicherheit und zieht an nicht ganz stillen Orten das Mondlicht dem Licht der Sonne vor. Es ist, als sei er sich dessen bewußt, daß er bei Bauern und Jagdliebhabern ein bißchen viel auf dem Kerbholz hat, als fürchte er, seine zahlreichen Schandtaten könnten auch unter den friedlichen Waldfreunden sich schon herumgesprochen haben. Jedoch ist er besser als sein Ruf, und wenn man seinen Lebenswandel unvoreingenommen prüft und vom Raubtier nichts fordert, was seiner Veranlagung und Bestimmung zuwiderläuft, so erweist unser Reineke sich als ein Tier, dessen Fehlen im Waldwesen eine Störung der Harmonie bedeuten würde. Gewiß, er schont die Rehkitzchen nicht, wenn sich die Ricke einmal entfernt hat und er sich heimlich heranschleichen kann; er verfolgt den Hasen wie das Kaninchen und stellt allen Wald- und Feldhühnern nach, bei seiner Verschlagenheit oft mit Erfolg. Zumal wenn die Füchsin Junge hat, wird diese zur Geißel allen Getiers, gleichviel ob es Zähne, ob Schnäbel trägt. Verständlich deshalb, wenn der Jäger dem seinen Wildstand vermindernden Fuchs mit allen Mitteln zu Leibe geht, weidmännischen und anderen, die rechter Jäger unwürdig sind. Schon Brehm aber wies mit Recht darauf hin, daß Wald und Flur nicht der Rehe und Hasen, der Wald- und Feldhühner wegen bestellt und mit Mühe und Arbeit gehegt und gepflegt werden, sondern zu wichtigeren Zwecken, und daß es im Grunde vernunftwidrig sei, ein schädliches Tier mit dem Bann zu belegen, um andere schädliche dadurch zu schützen. Denn daß auch nur eine der genannten, vom Fuchs verfolgten Jagdwildarten den Forsten und Fluren Nutzen bringt, wird niemand im Ernste behaupten wollen.

Wer Wert darauf legt, kann die Strafakten Reinekes noch um etliche »Fälle« vermehren, denn zweifellos plündert der Angeklagte, wo er Gelegenheit dazu findet, die Nester bodenbrütender Vögel, und außerdem stattet er in den Dörfern Hühnerhöfen Besuche ab. Nur muß der Ankläger, will er gerecht sein, dem roten Freibeuter seine Verdienste als mindestens strafmildernd gelten lassen. Mehr und mehr erkennen die Forstleute Reinekes segensreiches Wirken als Gesundheitspolizist, weil seine Auslesetätigkeit für einen kraftvollen Wildstand sorgt, indem er die Schwächlinge rechtzeitig ausmerzt, bevor sie zur Fortpflanzung schreiten können, und weil er auf die gleiche Weise seuchenartige Erkrankungen unter den Hasen eindämmen hilft. Auch angeschossenem, »krankem« Wild, das Jäger und Hunde vergebens suchen, bereitet er ein rasches Ende, denn er erspürt es mit Sicherheit. Dem Landwirt aber sei gesagt, daß der Fuchs die etwa gestohlenen Hühner auf seine Art ehrlich und gut bezahlt: ein bedeutender Teil seines Nahrungsbedarfs wird erwiesenermaßen durch Mäuse gedeckt, die er geschickt auf den Feldern hascht. Kurz muß der Forstmann die Füchse halten, ein paar aber sind für ein großes Revier geradezu eine Notwendigkeit.

Geselligkeit ist nicht Sache des Fuchses. Er streift allein durch sein Jagdgebiet und kümmert sich weder um seinesgleichen noch um andere Wald- und Feldtiere, wenn er nicht Beute machen will. Auch sein Verhältnis zu Grimbart dem Dachs ist keineswegs auf Freundschaft gebaut.

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Reineke Fuchs auf Schleichwegen

Der Fuchs braucht als Schlupfwinkel einen Bau, in den er sich zurückziehen kann, und da er selbst nicht gerne gräbt, quartiert er sich, dreist wie er nun mal ist, in einer unbewohnten Ecke von Grimbarts geräumiger Wohnung ein. Mag dieser sich trollen, wenn's ihm nicht paßt. In der Regel bezieht jedoch der Fuchs entweder einen verlassenen Dachsbau, oder er richtet sich unbekümmert um die rechtmäßigen Eigentümer einen großen Kaninchenbau für seinen Gebrauch behaglich her. In Bergwäldern haust er wohl auch im Geklüft, das ihn verbirgt und vorm Wetter schützt, oder in einem hohlen Baum.

Um die Wende vom Februar zum März setzt bei den Füchsen die »Ranzzeit« ein, bemerkbar an ihrem häufigen »Bellen«, das abgestoßen und heiser klingt und gewöhnlich in stärkerem Kreischen austönt. Mit Hundegebell ist es nicht zu verwechseln. Die Füchsin (der Weidmann nennt sie »Fähe«) wirft ungefähr zwei Monate später vier bis sechs wollig behaarte Junge von mausgrauer Färbung in ihrem Bau, nachdem sie für diese aus ihrem Bauchhaar ein weiches Bett bereitet hat, und trägt alle Sorge für sie allein. Nicht einmal an der Ernährung der Kinder, die anderthalb Monate nach der Geburt zur Fleischkostaufnahme fähig sind, kümmert sich der stromernde Vater, solange die Mutter am Leben ist. Nur wenn ein Unglück sie ihnen raubt, erbarmt er sich seiner Sprößlingsschar, vielleicht gerührt durch ihr hungerverratendes jammervolles Geschrei und Gekläff. Im Hochsommer, etwa um Mitte Juli, spielen die Jungen schon vor dem Bau, wenn keine Gefahr im Verzuge ist, und kurze Zeit später sind sie so weit, daß sie auch Ausflüge machen können. Anfangs begleiten sie die Mutter, bald aber gehen sie selbst auf die Jagd, zu der sie vor der lebenden Beute, die ihnen zugetragen wurde, regelrecht angelernt worden sind. Außer vom Menschen sind die Füchse bei uns von keinen Feinden bedroht.

Das Glück, eine Wildkatze ( Felis catus) in deutschen Forsten anzutreffen, wird schwerlich einem Naturfreunde blühen, der nicht auch gleichzeitig Jäger ist. Denn erstens haust dieses stattliche Raubtier nur in den dichtesten Waldgebieten der Mittelgebirge und bayerischen Alpen, auch hier schon seit langem so selten geworden, daß es als Aussterbekandidat schon unter besonderer Obhut steht. Und zweitens sucht es am lichten Tage nach Katzenart einen Schlupfwinkel auf, in dem es nicht leicht zu entdecken ist, und fängt erst an umherzustreifen, wenn sich die Schatten der Dämmerung senken. Um so öfter wird dem Waldwanderer, dessen Augen auf alles zu achten gewohnt sind, was neben und über ihm sich regt und dabei gewöhnlich Geräusch verursacht, der Anblick eines kleinen Räubers mit langgestrecktem Leibe zuteil, nämlich des Baum- oder Edelmarders ( Mustela martes). Sein vorwiegend dunkelbrauner Pelz, sein langer, buschig behaarter Schwanz und ganz besonders die rotgelbe Färbung der Kehle und des Unterhalses machen ihn ohne weiteres kenntlich, zumal er der einzige Marder ist, der zwar nicht ausschließlich, doch bevorzugt im Nadel- und Laubwald sein Dasein verbringt. Seine Verwandten Iltis und Wiesel sind wenigstens in unseren Gegenden keine erklärten Waldliebhaber. Sie ziehen die Nähe der menschlichen Siedlungen unbedingt dem Walde vor und sind daher, wenn überhaupt, nur in seinen Randgebieten zu treffen, wo ihnen am ehesten Beute winkt. Der Steinmarder, den ein weißer Kehlfleck von seinem Waldvetter unterscheidet, liebt als Jagdgefild offenes Land, macht von diesem aus nächtliche Abstecher in benachbarte Bauernhöfe und straft nicht selten deren Besitzer durch gründliche Aufräumung schlecht verwahrter Hühnerställe und Taubenschläge.

Blutdürstig sind alle Marderarten und obendrein verwegene Räuber, denn was sie überwältigen können, ist nie und nirgends vor ihnen sicher. Erbarmungslos wird es abgewürgt. Ein ganz Schlimmer ist der Edelmarder, der schmuckste und vornehmste seines Geschlechts. Er verfolgt und beschleicht alle Waldsäugetiere vom Rehkitzchen bis zur Waldmaus herab und springt nicht minder gern Vögel an, vom Auerhuhn bis zum kleinen Sänger, den er auf dem Schlafplatz überrascht und dessen Nest er vielleicht schon bei Tage der Eier oder Jungen beraubt hat. Als Nesträuber wirkt er besonders schädlich, weil er sich in erstaunlicher Weise auf alle Kletterkünste versteht; kein Wipfel ragt ihm zu hoch ins Blau, kein Zweig ist zu schwankend, kein Astloch zu eng zur Befriedigung seiner Raubgelüste. Er fühlt sich auch im Gezweige als Meister, denn anders wäre es schwer erfindlich, warum er gerade das flinke Eichhorn, das uns im Klettern wie in seinen Sprüngen von Ast zu Ast und von Baum zu Baum als unübertrefflich gewandt erscheint, mit nie erlahmendem Eifer verfolgt. Wen der Zufall bei solcher wilden Hetzjagd, die allerdings häufiger im Laubwald als im Nadelwald vor sich geht, zum heimlichen Zeugen werden läßt, der erlebt ein unvergeßliches Schauspiel.

In der Regel beginnt die Jagd auf dem Boden. Kaum hat der Marder den Nager gesichtet und schickt sich zu dessen Verfolgung an, da stürmt das Hörnchen in raschen Sprüngen dem erstbesten starken Baumstamme zu und klettert in Schraubenwindungen hoch, immer den Feind im Auge behaltend, der ihm hart auf den Fersen ist. Geschickt jedoch weiß der behende Nager den Stamm als Deckung zu benutzen, so daß der Gegner im besten Falle ein Schwanzstück von ihm zu Gesicht bekommt. Sobald er nur eine Sekunde zaudert, unschlüssig, wohin er sich wenden soll, gleich ist das Hörnchen ein Endchen höher am Stamm des Baumes emporgeglitten, um hier das gleiche Spiel fortzusetzen. Glückt es ihm durch diese Taktik, einen Seitenast zu gewinnen, so rennt es ein kleines Stück auf ihm hin, schwingt sich auf einen höheren Ast, läuft diesen entlang bis ans schwankende Ende und springt dann, die Schwungkraft des Astes verwertend, mit kühnem Satz auf den Nachbarbaum über. Der Mordgesell immer hinterdrein. Und da er nicht weniger sprungbegabt ist, so geht es hurre hurre hurre von einer Krone zur andern Krone, jetzt aufwärts, dann abwärts und wieder empor, so daß dem Beobachter dieses Wettlaufs, bei dem es für das gehetzte Wild buchstäblich um Sein oder Nichtsein geht, in scheinbar kritischen Augenblicken unwillkürlich der Atem stockt. Der Marder ist hartnäckig, und was noch schlimmer, er hat von beiden den längeren Atem und legt es regelrecht auf die Ermüdung des ängstlich pfeifenden Eichhörnchens an. Nur eine Rettung gibt es für dieses: mit mächtigem Satz vom hohen Wipfel mutig ins Leere hinauszuspringen, alle vier Beine von sich zu strecken, so daß sie gemeinsam mit Schwanz und Körper wie ein geöffneter Fallschirm wirken, und nach der glücklichen Landung am Boden geschwind in ein gutes Versteck zu schlüpfen. Den Luftsprung macht ihm der Marder nicht nach. Wagte er ihn, es wäre sein Ende. Versagen dem Eichhorn jedoch die Kräfte, bevor sich zum Absprung Gelegenheit bietet, so fällt es in neunzig von hundert Fällen dem Blutdurst seines Feindes zum Opfer.

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Baum- oder Edelmarder, nach Waldtauben lüstern

Das Eichhörnchen, Eichkätzchen (plattdeutsch Katteker), wissenschaftlich Sciurus benannt, das heißt der »vom Schwanz Beschattete«, ist ohne Zweifel in unseren Wäldern das zierlichste, anmutvollste Geschöpf aus dem großen Verbande der Säugetiere. Es gibt keinen Menschen, der nicht entzückt ist, wenn es im Gezweig seine Turnkünste zeigt oder irgendwo in possierlicher Haltung auf den Hinterbeinen sitzt, den buschigen Schwanz an den Rücken gelehnt, die in einem Haarpinsel endenden Ohren, die »Hörnchen«, steif emporgerichtet, und eine Nuß oder einen Zapfen zwischen den Vorderfüßen herumdreht. In die harte Nuß wird ein Loch genagt, durch das sich der Kern herausheben läßt, der Zapfen der unteren Schuppen beraubt, um zu den Samen zu gelangen. Die Spitze des Zapfens bleibt unberührt. Aus ihr, das wissen die Hörnchen genau, ist nichts Erfreuliches zu gewinnen. So sind die Eichkätzchen in unsern Wäldern, was für die tropischen die Affen: der Inbegriff des behenden Baumtiers, dem man nicht müde wird zuzuschauen. Und schmuck und adrett sind sie obendrein, was man von der großen Mehrzahl der Affen keineswegs behaupten kann. Ist es ein Wunder, wenn der Marder, der diese lebendige Waldzier hetzt, wie wir soeben geschildert haben, dem Spaziergänger als ein verabscheuungswürdiges, niederträchtiges Untier gilt? Und doch ist die »allerliebste« Eichkatze, in ihrer wahren Natur betrachtet, nicht um ein Härchen besser als er, und wenn sie statt ihrer Nagezähne ein kräftiges Raubtiergebiß besäße, so stünde sie ihm an »Niedertracht« wahrscheinlich in keiner Hinsicht nach. Man darf ein Tier nicht mit Maßstäben messen, die nur für den Menschen Geltung haben, denn Tiere sind weder gut noch böse, weder »lieb« noch »unausstehlich«. Sie handeln mehr oder weniger zwangsläufig, wie sie gemäß ihrer Körperausstattung und ihrer Wesensart handeln müssen. Die Natur kennt keine Weichherzigkeit, so wenig wie sie Grausamkeit kennt. Der Mensch mordet Hekatomben von Tieren für seinen täglichen Lebensbedarf, der Marder frißt ohne viel Federlesen den scheinbar harmlosen Singvogel auf, der aber bei all seiner Harmlosigkeit doch immerfort Insekten umbringt, und schließlich leben auch die Insekten zum großen Teil wieder von anderen Tieren. Nur so erhält sich das Naturganze dauernd im Zustand des Gleichgewichts, denn wo die Harmonie gestört ist, trägt einzig der Herr der Schöpfung die Schuld, das schlimmste Raubtier des Erdenrunds.

Die Forstleute sind den Hörnchen nicht hold, schon weil diese ihnen zum großen Teil die wertvolle Samenernte verderben. Verschwenderisch gehen sie um mit den Zapfen, viel mehr verwüstend als verzehrend, denn nicht nur reife beißen sie ab, sondern in spielerischer Weise auch halbwüchsige oder doch unausgereifte, die für sie ungenießbar sind. Der Boden unter den Samenbäumen ist häufig völlig überdeckt mit Schuppen und teilweis entblößten Spindeln, vor allem von Fichten- und Kiefernzapfen. Und das ist nur ein Teil des Schadens, der der Forstwirtschaft durch sie entsteht. Ein anderer entsteht durch ihre Vorliebe für junge und jüngste Nadelholztriebe, an denen die Knospen der Pollenblüten ihrer Reife entgegengehen. Sämtliche Knospen nagen sie aus und lassen den Trieb zu Boden fallen. Zu Haufen werden oft solche »Absprünge« unter den betreffenden Bäumen mit dem Rechen zusammengeharkt. Und schließlich schaden die Schwerenöter beträchtlich durch die Gewohnheit des Schälens der Rinde von Kiefern oder Lärchen und ferner von allerlei Laubholzarten, das heißt durch das Abreißen handgroßer Stücke, um an die Bastschicht zu gelangen, in der die Lebensströme fließen. »Nun, wenn schon«, wird der Tierfreund sagen, »leben müssen die Eichhörnchen ja, und um zu leben brauchen sie Nahrung. Sie morden aber nicht wie der Marder.« Gemach. Unser liebenswürdiger Nichtsnutz ist kein ausschließlicher Pflanzenfresser, obgleich ihm außer Baumsämereien Bucheckern, Haselnüsse und Eicheln ein sehr willkommenes Futter sind. Er begnügt sich auch, wenn ihn nach Fleischkost gelüstet, richtiger nach tierischer Nahrung, durchaus nicht mit einem Insektenschmaus. Es ist leider Tatsache, daß die Eichhörnchen arge Nesterplünderer sind, die weder Eier noch Bruten verschonen, wenn ihnen bei ihrem täglichen Streifzug ein Vogelnest ins Auge fällt. Oft wagen sie sich selbst an alte Vögel und kleinere Säugetiere heran, und zwar, wie mehrfach bezeugt ist, mit Glück. Sogar ein Maulwurf hat sich einmal in einem Eichhornnest vorgefunden. So harmlos und unschuldig, wie er erscheint, ist also der rotbraune Nager nicht, und der Forstmann ist völlig in seinem Recht, wenn er aus waldwirtschaftlichen Gründen oder zugunsten der Singvogelwelt den Übeltäter vom Baume schießt. Nur muß er maßhalten in seinem Zorn, eingedenk seiner sittlichen Pflicht, die Tiere des Waldes um ihrer selbst, um der Heimat willen zu erhalten, vor allem solche, mit deren Verschwinden zugleich ein Stück von der Waldseele stürbe.

Als Unterschlupf bei widrigem Wetter, als Nachtherberge und als Geburtsstätte für den erstmalig im April, zum zweitenmal gewöhnlich im Juni zu erwartenden Kindersegen richtet das Eichhorn sich Wohnungen her, die je nach ihrem Verwendungszweck flüchtiger oder solider gebaut sind. Alle stehen in einer Astgabel, möglichst dicht an den Stamm geschmiegt, und ähneln der Form nach Elsternestern. Ein flaches, kegelförmiges Dach schützt den Innenraum hinreichend gegen Regen; der Haupteingang ist nach unten gelegen. Als Baustoffe werden Reiser verwendet und kunstfertig ineinander geflochten. Wenn passende Baumhöhlen auffindbar sind, so werden auch sie mit Beschlag belegt. Einen Winterschlaf in vollem Wortsinn halten unsere Eichkätzchen nicht. Wohl ziehen sie sich bei Hereinbruch der Kälte in ihre mit Laub und weichem Moos fein ausgepolsterten Nester zurück, rollen sich behaglich zusammen, den buschigen Schweif als Decke verwendend, und kommen lange Zeit nicht zum Vorschein. Steigt aber wieder die Temperatur, so recken und strecken die Hörnchen sich, verlassen ihren warmen »Kobel« und suchen schleunigst die Vorräte auf, die sie seit den Tagen des Überflusses in Spalten und Höhlungen alter Bäume, in selbstgescharrten Bodenlöchern, unter Gebüsch und an ähnlichen Orten für magere Zeiten aufbewahrt halten.

Ein zweiter Nager, das Wildkaninchen ( Oryctolagus cuniculus) soll den Reigen der Säugetiere beschließen. Obgleich bei seiner Lebensweise durchaus nicht auf Nadelholz angewiesen, liebt das Kaninchen doch ausgesprochen sandige, hügelige Gegenden, so daß es zumindest in Kiefernbeständen, vor allem jungen und trockenen, fast immer anzutreffen ist. Auch in Feldhölzern wohnt es gern, überhaupt auf Gelände, dessen Boden seinen Anforderungen entspricht und Bäume und niederes Buschwerk aufweist, in dem es sich gut verstecken kann. Dem Äußeren nach ein Hase im kleinen, weicht es im Bau seiner Vordergliedmaßen und damit eng zusammenhängend, in seiner wichtigsten Lebensgewohnheit doch erheblich von ihm ab. Der Hase ist Meister im schnellen Lauf, das Kaninchen ein ausgezeichneter Graber; jener lebt ausschließlich über der Erde, während dieses die Hälfte seines Daseins in unterirdischen Höhlen verbringt. Das weiße Fleisch des Wildkaninchens und das dunkelrote Lampes steht zweifellos in Beziehung damit. So schlecht aber unser Wildkaninchen bei einem Wett- oder Dauerlauf mit seinem Vetter abschneiden würde, an Gewandtheit übertrifft es ihn weit. Selbst gute Schützen müssen sich, wenn sie Karnickel jagen wollen, reichlich mit Patronen versehen, sofern sie mit den Eigenarten der flinken Nager noch wenig vertraut sind. Die Tierchen schlagen so meisterlich Haken, daß sie in wenigen Sekunden drei-, vier- oder fünfmal die Laufrichtung wechseln, und kennen so genau ihr Revier, daß nur ein gut eingeübter Jäger mit Erfolg zum Schusse kommt, bevor das Kaninchen in eine Röhre oder sonst eine Deckung flitzt.

Die Bauten werden, wenn irgend möglich, an sonnigen Plätzen angelegt, mit Vorliebe in den Randgebieten, damit der Weg ins offene Land, nach einer Waldwiese oder Blöße nicht allzu weit von ihnen wegführt. Wo die geselligen Kaninchen in größerer Zahl vorhanden sind, stehen oft die Baue so dicht beisammen, daß ihre Röhren einander kreuzen, doch besitzt jedes Paar seine eigene Wohnkammer, die ziemlich tief im Boden liegt, und duldet darin keinen Siedlungsgenossen. Bei kahler Umgebung verbringen die Tiere die Tagesstunden meistens im Bau, in buschreicher und bei schönem Wetter trifft man sie häufig im Freien an, vormittags oder nachmittags, und kann dann ihr ergötzliches Treiben lange aus nächster Nähe beobachten, wenn man sich nur recht still verhält. Im Februar, spätestens im März beginnt die »Rammelzeit« der Kaninchen, und bis zum Oktober setzt die Häsin mit fünfwöchigen Pausen vier bis zwölf Junge, und zwar in einer besonderen Kammer, die sie mit ihrer Bauchwolle ausfüttert. Wenn alle Jungen am Leben blieben und selbst wieder regelrecht Nachkommen zeugten, so würde (das Ergebnis des Jahres bei gleicher Verteilung der Geschlechter mit 30 Paaren angenommen) im zweiten Jahr die Zahl der Kaninchen, der erwachsenen und der jungen, bereits auf 2400 Tiere gleich 1200 Paaren gestiegen sein. Im dritten Jahr auf 37 200 Paare. Am Ende des vierten würden die Stammeltern fast zwei Millionen Nachkommen haben. Ein Glück, daß die Wirklichkeit dem widerspricht, weil einerseits Seuchen und Innenschmarotzer, nasse Jahre, Überschwemmungen oder lange, frostharte Winter, andrerseits Wiesel, Iltisse, Marder, die die Tiere bis in ihre Baue verfolgen, Füchse und Raubvögel in Gemeinschaft mit dem gefährlichsten Feinde, dem Menschen, solche Rechnung zuschanden machen. Die Folgen der Landplage wären auch furchtbar, denn alles, was die bisher erwähnten Waldsäugetiere an »Freveln« verüben, wird durch die Kaninchen in Schatten gestellt.

Schon ihre eifrige Grabtätigkeit, das Unterwühlen der Waldbodendecke auf häufig ganz beträchtlichen Flächen ruft besonders im Nadelholze auf lockerem Boden Schaden hervor, indem es das Wachstum der Bäume schwächt und manchen von ihnen zum Stürzen bringt. Viel schlimmer ist das zerstörende Wirken der Nager auf sorgsam gehegten Kulturflächen, vor allem im Winter, wenn die Krautäsung den Bedarf nicht mehr decken kann oder tiefer Schnee den Boden verhüllt. Da werden junge Stämmchen benagt, ringsum bis zu beträchtlicher Höhe, und gar nicht selten sogar gefällt. Jungtriebe werden »abgeschnitten« oder ihrer Nadeln beraubt; kein Setzling, kein Bäumchen kommt heil davon. Am meisten fallen den Plagegeistern junge Kiefern und Fichten zum Opfer. Und wie im Nadelwald der Verbißschaden, so fällt im Laubholzwald der Schaden durch Schälen wirtschaftlich schwer ins Gewicht, denn das Kaninchen verschont keine Holzart, ausgenommen den Schwarzen Holunder und gewöhnlich auch die Eiche, wahrscheinlich ihrer starken Borke und deren Gerbstoffreichtums halber. Die Nager fangen an den Stämmen dicht über dem Boden zu fressen an und stellen sich dann auf die Hinterläufe, um möglichst hoch hinaufzureichen. Nicht minder beträchtlich sind die Nachteile, die den Besitzern benachbarter Felder durch die Kaninchen zugefügt werden, und was das Allerschlimmste ist: der Erfolg aller Mittel zu ihrer Bekämpfung scheitert an ihrer Fruchtbarkeit. Man kann ihre Zahl wohl erheblich vermindern, die Nager jedoch kaum völlig vertreiben, wo sie einmal angesiedelt sind. Der Tierfreund braucht keine Sorge zu haben, daß sie aus den Wäldern verschwinden werden.

 

Vogelleben im Nadelwald

Arm, unsagbar arm ist der Nadelwald an Vogelleben, besonders der einförmige finstere Hochwald. In der Randzone, die günstigere Lebensbedingungen bietet, vernimmt das Ohr nicht selten vertraute Laute gefiederten Volks, vor allem wenn weites fruchtbares Land oder Ortschaften in der Nähe liegen. Im Innern des Waldes herrscht Schweigsamkeit. Ein durchziehendes Wässerlein, eine Waldwiese, eine mit Gras bewachsene Blöße wirken im allgemeinen belebend, doch sind es auch dann mit seltenen Ausnahmen immer die gleichen Vogelrufe, die den Wanderer aufhorchen lassen.

Die Stimme des für den Gebirgsnadelwald vielleicht bezeichnendsten aller Vögel, den jedes Kind in den Bergen kennt, des Ur- oder Auerhuhns ( Tetrao urogallus), ist bestimmt nicht mit dabei. Es ist nicht mehr häufig in deutschen Landen, und wenn das edle Weidwerk nicht wäre, das immer in allerengster Verbindung mit Schutz und Hege des Wildes steht und genau begrenzte Schonzeiten einhält, wäre es sicher längst ausgerottet. Der gewöhnliche Sterbliche, der nicht als Jäger im grünen Rock in den Bergwald eindringt oder von einem befreundeten Forstmann ins rechte Waldhuhnrevier geführt wird, darf nicht darauf hoffen, Auerwild in freier Natur zu Gesicht zu bekommen. Der Urhahn ist ein Eigenbrötler, der alles haßt, was Unruhe erzeugt. Den Verkehrswegen weicht er weithin aus, und auch sonst knüpft er an seinen Aufenthaltsort Bedingungen sehr verschiedener Art. In reinen Nadelholzbeständen aus Kiefern, Fichten oder Tannen fühlt er sich schlecht aufgehoben. Es müssen Laubhölzer eingesprengt sein, Buchen, Eichen, Birken, Espen, vielleicht noch ein paar Vogelbeerbäume, und auch die Nadelhölzer selbst sollen recht verschiedenen Alters sein. Hochbejahrte dürfen nicht fehlen. Begreiflich, daß solch ein Anspruchsvoller, der als zur »hohen Jagd« gehörend obendrein noch besonders gehegt wird, dem schlichten Spaziergänger nicht über den Weg läuft.

Stellen wir ihn zunächst einmal vor, obgleich er, ausgestopft als Trophäe, der Mehrzahl der Leser bekannt sein wird, führt ihn doch jedes Bergwald-Gasthaus seinen Besuchern als »Wandschmuck« vor. Der Größe nach steht der Auerhahn in der Mitte zwischen Haushahn und Truthahn. Vom Kopf bis zum Schwanz mißt er rund einen Meter, und fliegend klaftert er fast anderthalb. Das Gewand, das er trägt, ist in feinster Weise dem Düster des Nadelwalds angepaßt. Schwarz, Grau und Braun mischen sich im Gefieder, einzig die Brust schillert prächtig in Grün. Um die Augen und stärker noch über ihnen treten die »Rosen« rotleuchtend hervor. In allem ein stattlicher, stolzer Kerl und einer der größten Landvögel Deutschlands. Die Henne ist um ein Drittel kleiner und trägt ein aus Grau, Braun, Rostrot und Rotgelb zusammengeflicktes schmuckloses Kleid, das aus guten Gründen nicht auffallend wirkt. Die Henne ist wesentlich Bodenvogel und baumt viel seltener auf als der Hahn. Meist streift sie im Unterholz umher und sucht dort nach ihrem täglichen Brot, Insekten, Knospen, zartem Laub, allerlei Beeren und Sämereien. Ein dürrlaubfarbenes Federkleid, das sie auch während der Brütezeit zum mindesten nicht auffällig macht, ist deshalb für sie die rechte Gewandung. Der Hahn, der sich viel in den Nadelholzkronen, mit Vorliebe denen der Kiefern aufhält, schon weil er sich im Frühling und Winter fast nur von grünen Nadeln ernährt, bedarf solcher tarnenden Mittel nicht.

Volkstümlich gemacht hat den Auerhahn das, was dem Wald- und Naturfreund ohne Verbindung mit einem Vertreter der grünen Zunft im allgemeinen zu schauen versagt ist: seine Hochzeitswerbung um die Hennen, sein verzückter Tanz hoch im Geäst, mit einem einzigen Wort: seine Balz. Ende März in unsern Mittelgebirgen, einen Monat später im Hochgebirge, pflegt sie gewöhnlich in Gang zu kommen und sich dann allmorgendlich zu wiederholen, etwa zwei bis drei Wochen hindurch.

Noch herrscht rings nächtliches Dunkel im Wald, der Hahn auf seiner hohen Tanzkiefer spürt jedoch schon den Dämmerschein und beginnt sein seltsames Liebeslied. Weit streckt er den dunklen Hals nach vorn, sträubt alle Kopf- und Kehlfedern auf und läßt ein hölzernes Knappen hören, wie wenn man zwei Bleistifte, locker gehalten, mehrmals aufeinander schlägt. Der lauschende Neuling ist im Zweifel, ob dieses schwache »Gleck gleck gleck«, das Himmelsmusik für den Weidmann bedeutet, tatsächlich vom großen Auerhahn herrührt. »Gleck gleck gleck gleck« – immer rascher und heftiger wird das Zeitmaß, in dem die Schläge sich wiederholen, bis sie zum kurzen Triller werden, auf den dann der stärkere »Hauptschlag« folgt, in Buchstaben ausgedrückt etwa »glack«. Der Jäger hält den Atem an, denn nunmehr beginnt der zweite Satz des sonderbaren Liebesgesangs, gebildet aus unnachahmlichen Lauten, wie wenn ein langes Messer gewetzt wird. Während der Hahn mit offenem Schnabel in seiner Kiefernkrone »schleift« und wegen dieses Eigengeräusches für jedes andere, fremde taub ist, rückt der Jäger drei Schritte vor, um dann wieder bis zum nächsten Wetzen wie eine Bildsäule stehenzubleiben.

siehe Bildunterschrift

Tafel 43
Kletterer und Turner im Laubwald
Baumläufer, Blaumeise, Schwanzmeise und Buntspecht

Schon während des Knappens senkte der Vogel die braunen Flügel tief nach unten, breitete seinen »Stoß« zum Fächer und tanzte und trippelte auf seinem Aste, drehte sich auch wohl gar um sich selbst. Beim Schleifen gerät er noch mehr in Erregung und scheint die Welt, die um ihn ist, vor lauter Verzückung vergessen zu haben. Je länger er balzt, desto närrischer wird er, und um so leichter kann der Jäger dem Balzbaume »sprungweis« näherrücken. Obgleich noch immer bloß Dämmerlicht herrscht, nimmt er den Urhahn doch deutlich wahr, die Kehlfedern, den gespreizten Fächer, und wenn das Korn auf dem Lauf des Gewehrs auch nur mit Anstrengung sichtbar ist – bis der Verzückte und Liebestolle von neuem zu seiner Schleiftour ansetzt, hat das Büchsenlicht wieder zugenommen. Da leuchtet es hinter der Kiefer rot auf – ein Schuß dröhnt durch den schweigenden Forst – ein Poltern und Rascheln gleich hintennach, und schwer schlägt ein Körper am Waldboden auf. Das tragische Ende der Auerhahnbalz. Den natürlichen Abschluß findet diese, wenn eine oder mehrere Hennen mit lautem »Back back« gestrichen kommen. Das Liebesspiel setzt sich dann auf dem Boden, nicht selten in tollen Sprüngen, fort.

Wenn der Auerhahn bei Tagesanbruch mit seiner Balzhandlung Schluß gemacht hat, werden andere Stimmen im Walde laut, durchdringende, die man nicht überhört, wie weit auch der Rufer entfernt sein mag. »Kliäh kliäh« – in die Länge gezogen, die zweite Silbe leicht abgesenkt – ein Schwarzspecht ( Dryocopus martius) ist aus seiner nächtlichen Schlafstatt geschlüpft und hat seinen Tageslauf begonnen. Diesmal erklang der Ruf aus der Nähe, denn bald danach kommt der krähengroße, mattschwarz gekleidete Vogel in Sicht und fliegt eine alte Kiefer an. Ein Männchen ist es. Von vorn bis hinten leuchtet sein Scheitel scharlachrot, während beim Weibchen die gleiche Zier nur hinten am Kopfe vorhanden ist. Kaum aber hat er dem borkigen Stamm ein paar Hiebe mit seinem Schnabel versetzt, wobei er, auf den Schwanz gestützt, ruckweise hoher und höher hüpfte, da streicht er mit hellem »Krikrikrikri« schon wieder ab von seinem Baum und stürmt in welligem Fluge davon. Er ist der größte unserer Spechte, ein Freund alter finsterer Nadelholzforste mit vielen hohen und stammdicken Bäumen. In Bergwäldern kommt er am häufigsten vor, doch scheut er auch die Ebene nicht, sofern er für seine Zimmermannsarbeit genügend starke Waldalte findet, in denen er sich zum Schlafen und Nisten eine Höhlung ausmeißeln kann und die ihm zugleich seinen Unterhalt sichern. Wo solche bejahrte, überständige, schon etwas brüchige Bäume fehlen, hält er sich nicht lange auf, sondern siedelt sich notfalls im Laubwalde an, obgleich er wegen der Roßameisen, die im Nadelholze hausen, im lebendigen wie im morschen, und seine Lieblingsnahrung sind, die immergrünen Wälder bevorzugt.

Nicht ganz so bezeichnend für Nadelholzwälder, doch ebensooft in ihnen zu hören, ist der viel häufigere Große Buntspecht ( Dendrocopus major), leicht kenntlich am schwarzweiß gescheckten Rock, dem scharlachroten Nackenband (das Weibchen hat einen schwarzen Nacken), sowie dem purpurnen Aftergefieder. In seiner Größe gleicht er der Amsel. Wenn wir zur Herbstzeit oder im Winter unter den Kiefern ganze Haufen zerhackter Zapfen beisammenfinden, mit zahlreichen einzelnen Schuppen gemischt, so war dort ein Großer Buntspecht am Werk. Er hatte, wie die Waldleute sagen, seine »Schmiede« auf dem Baum. Beobachtet man ihn mit dem Fernglas beim Schmieden, so sieht man, wie er den Kiefernzapfen in einen Baumspalt oder ein Loch, vielleicht ein selbstgemeißeltes, klemmt und dann mit dem Schnabel die Schuppen aufhackt, um den Samen herauszuklauben. Ist der Zapfen zum Teil entleert oder sitzt er nicht mehr genügend fest, so zieht ihn der Specht aus der Klemme heraus, läßt ihn fallen und holt einen neuen. Durch diese Kiefernsamenvergeudung macht er sich wenig beliebt beim Forstmann, sonst aber wird er als Freund betrachtet, weil er in Gemeinschaft mit seinen Verwandten der Übervermehrung übler Waldfeinde, der Borken-, Bock- und Rüsselkäfer, durch seine Arbeit entgegenwirkt. Seine dünne, weit vorschnellbare Zunge mit widerhakiger horniger Spitze, die ausnahmslos allen Spechtarten eignet, befähigt ihn, die Larven und Puppen der rinden- und holzbrütenden Insekten aus ihren Löchern herauszuziehen. Er leistet jedoch des Guten noch mehr. Wie die Wünschelrute die Stelle anzeigt, wo sich im Boden Wasser befindet, so weist die Tätigkeit des Spechts den Forstmann erst auf die entstehenden Herde holzzerstörender Schädlinge hin, die äußerlich kaum zu erkennen sind, und ermöglicht ihm, Gegenmaßnahmen zu treffen. Und schließlich fällt dem Großen Buntspecht bei seiner Kletterei an den Stämmen massenhaft Ungeziefer zur Beute, das in verschiedenen Jugendzuständen in den Ritzen der Rinde steckt, so Puppen von Nonne und Kiefernspinner und Raupen von der Kieferneule und dem gleichschädlichen Kiefernspanner, von deren verderblicher Wirksamkeit schon früher ausführlich die Rede war (Seite 77 ff.). Nach allem darf man ihm seinen Anteil am Samenertrag der Kiefern schon gönnen.

Wenn das Erwachen der linden Lüfte den nahen Frühling vorbereitet und erste Waldblumen Anstalten machen, die Köpfe über die Waldstreu zu heben, beginnen die Spechte, wie Marshall sagt, »ihr Leibinstrument, das Xylophon, mit Ausdauer und Erfolg zu spielen«. Etwas nüchterner ausgedrückt: sie hämmern eifrig auf Splitter und Zacken und geben durch das Geräusch ihrer Trommeln, das je nach Stärke und Resonanz wie »errrr« oder »arrrr« oder »orrrr« ertönt, weithin ihre Anwesenheit bekannt. Weniger den Waldbesuchern als einem Gefährten gleicher Art, der ebenfalls seine Trommel rührt und dem es kundzumachen gilt, daß hier ein Gebiet mit Beschlag belegt ist, in dem er nichts zu suchen hat. Wagt er dennoch heranzukommen, so führt das zu einer wilden Jagd, zuweilen von lautem »Käck käck« begleitet, und wenn solcher Einbruch später geschieht, in der Zeit des Sichfindens der Geschlechter, so gibt es auch wohl einen ernsthaften Strauß. Der gewöhnliche Frühlingsruf der Spechte, des bunten ebenso wie des schwarzen, ist ein schallendes »Kikikikik«, das häufig die Waldstille unterbricht und ungemein belebend wirkt. In der Paarungszeit hört das Trommeln auf und das mühsame Zimmern und Meißeln hebt an. Selbst wenn sich eine Höhlung findet, die nur noch verbessert zu werden braucht, um als Nistkammer trefflich geeignet zu sein, es wird doch rüstig weitergemeißelt, daß rechts und links die Späne fliegen, bis mehrere Baumhöhlen hergestellt sind. Der Zimmerertrieb steckt den Spechten im Blut, und das ist insofern zu begrüßen, als dadurch schwächere Höhlenbrüter Wohn- und Nistgelegenheit finden. An gesunden Bäumen wird nicht gemeißelt. Stets nur an solchen, die anbrüchig sind. Wer im Walde ein Spechtloch erkundet hat, in dem nach Ausweis der fütternden Alten die Jungen bereits erbrütet sind, kann später, wenn diese am Flugloch erscheinen, und ganz besonders, wenn anfangs Juni die struppigen Rotköpfe an ihrem Baumstamm die ersten Kletterversuche beginnen, höchst unterhaltsame Studien machen. Das Verhalten der Jungen und noch mehr der Eltern, die ihre Besorgtheit durch dauernde Kikrufe deutlich zu erkennen geben und alles versuchen, um die Sprößlinge in die Höhle zurückzutreiben, gewährt einen unvergleichlichen Anblick.

Echte Nadelholzvögel der Bergwälder und gleichzeitig ihre schönste Zierde sind die Kreuzschnäbel ( Loxia curvirostra), anziehend an sonnigen Frühlingstagen, wenn sie die noch geschlossenen oder eben geöffneten Zapfen der Fichten ihrer Samen berauben, geradezu entzückend aber im tiefverschneiten Winterwald, wenn sich das prächtige Rot der Männchen malerisch schön vom weißen Schnee und vom satten Grün der Nadeln abhebt. Nur darf man nicht hoffen, die regsamen Vögel beim nächsten Besuch dort wiederzufinden, wo sie sich vor Tagen oder Wochen durch ihr unablässiges Locken, das etwa wie »gipp« oder »göpp« ins Ohr klang, unaufdringlich bemerkbar machten. Der alte Vogelpastor Brehm hat sie Zigeunervögel genannt, und diese Bezeichnung paßt gut für die Kreuzschnäbel, die zwar bestimmte Aufenthaltsorte, doch keine festen Wohnsitze haben. Den weitaus größten Teil des Jahres befinden sie sich auf der Wanderschaft, durchstreifen, immer zu vielen beisammen, den Wald nach allen Richtungen hin, verlassen ihn, wenn er zu wenig verspricht, um in einen andern überzusiedeln, der reichere Samenausbeute verheißt, und ziehen so von Berg zu Berg den besseren Lebensbedingungen nach. Mischnadelwälder, hier und da mit einer Laubholzart durchsetzt, sagen den Vögeln am meisten zu.

Ein hübsches Naturschauspiel bietet ihr Treiben, und das um so mehr, als der stille Beobachter gar nicht für sie da zu sein scheint, solange er sich auf das Schauen beschränkt. Wie plump gebaut die Vogel uns dünken, sie sind doch erstaunlich behend und gewandt. Wieviel Geschicklichkeit ist nötig, um einen an seinem unteren Grunde mit dem Schnabel erfaßten Zapfen derart im Fluge fortzutragen, daß seine Spitze vom Träger weg gerade nach vorn gerichtet ist; wieviel, um das ansehnlich große Ding, schräg über einen Ast gelegt, mit einem Fuße festzuhalten und dann mit dem gekreuzten Schnabel und unter knisterndem Geräusch Samen um Samen samt seinem Flugblättchen zwischen den Schuppen hervorzuholen. Und dabei währt jede Einzelhandlung mit Einschluß der Befreiung des Samens von Flugblatt und Schale kaum fünf Sekunden. Die Turnkünste, die sie außerdem, kopfunten an Zapfen und Zweigen hängend, auf ihrer Fichte zum besten geben, beschämen den tüchtigsten Akrobaten. Wenn das Eichhörnchen uns die Affen ersetzt, so vertreten die Kreuzschnäbel in unserm Bergwald nicht minder gut die Papageien. Sie sind auch so farbenbunt wie diese, wobei allerdings zu bemerken ist, daß das prunkende Johannisbeerrot nur die alten Semester der Männchen schmückt. Die jüngeren sind blasser gefärbt, die noch jüngeren vorwiegend grün und gelbgrün, die Jungen vor ihrer ersten Mauser im allgemeinen Grau in Grau. Auch die Weiblichkeit trägt nur ein schlichtes Gewand. Immerhin, alle durcheinander auf engem Raume im Walde vereint, das gibt schon ein wechselvoll frohes Bild.

So wenig sich die Zigeunervögel von einer Örtlichkeit halten lassen, die ihren Bedürfnissen nicht entspricht, so wenig binden sie sich bei der Fortpflanzung an eine feste Kalenderzeit. Auch hier spricht die Samentracht und -reife ein entscheidendes Wörtlein mit, denn wie für die Alten, so hängt für die Jungen, die schon vom ersten Tage an mit Sämereien gefüttert werden, zunächst mit im Kropfe aufgeweichten, das ganze Lebensglück davon ab. Gewöhnlich paaren sich die Kreuzschnäbel im Verlaufe des Januar und brüten zwischen der Februarmitte und den Anfangstagen des März, so daß gegen Ende des Frühlingsmonats die Jungen das Nest verlassen haben. Der alte Brehm, der im Thüringer Walde die in so vielem seltsamen Vögel besonders eifrig beobachtet hat, sah aber auch schon in den Zwölf Nächten trotz strenger Kälte die Weibchen brüten und traf auch während des ganzen Sommers Junge verschiedenen Alters an. Das Nest im Gipfel hoher Fichten war regelmäßig so gebaut, daß ein darüber gewachsener Zweig die Insassen einigermaßen schützte, in erster Linie vor dem Schnee. In der Paarungszeit bringt sogar das Männchen so etwas wie einen Gesang zustande, ein Beweis, daß nicht nur bei den Menschen, sondern auch bei verliebten Vögeln das Herz selbst dann den Lenz in sich trägt, wenn ringsum der Winter stürmt und schneit.

Wo wir in der guten Jahreszeit zigeunernden Kreuzschnabeltrupps begegnen, treffen wir meistens auch Zeisige ( Carduelis spinus) an, nicht weil sie einander befreundet sind, sondern weil sie die gleiche Örtlichkeit lieben. Es ist durchaus keine Seltenheit, daß beide Arten, wenn auch gesondert, ein und denselben Baum beleben. Zu Gesicht bekommt man die Zeisige, obgleich sie stets zu Verbänden gesellt sind, freilich nur durch einen günstigen Zufall, denn erstens halten sie sich fast immer oben in den Baumkronen auf und kommen selten zum Boden herab, und zweitens schützt sie ihr trübgrünes Kleid im Gezweige vor dem Gesehenwerden. Im Glücksfall gewahrt man einmal ein Männchen, das seine leuchtend goldgelbe Brust und sein schwarzes Käppchen auffällig macht. Wer aber ein gutes Gehör besitzt und auf Vogelstimmen zu horchen gewohnt ist, wird mindestens das ständige Locken der lebenslustigen Schar vernehmen, das etwa wie »diä deä« klingt (die Betonung liegt auf dem ersten Selbstlaut), oder auch den Gesang der Männchen, der zwar nur ein frohes Gezwitscher darstellt, jedoch durch die unverkennbare Hauptstrophe für den Zeisig bezeichnend ist: »dididlidlideidääh«. Im Winter und im zeitigen Frühjahr trifft man die Vögel in Erlenbeständen, aus denen sie gegen die Osterzeit in den Bergwald zurückzukehren pflegen. Dort schreiten sie Ende April auch zur Brut, zum zweitenmal um Johanni herum. Ihr Nest, das sie nach einem alten Volksglauben durch Eintragen zauberkräftiger Steinchen unsichtbar zu machen wissen, steht hoch im Gipfel von Nadelbäumen, in der Regel weit vom Stamm entfernt und deshalb sehr schwer auffindbar. Wer mit den munteren kleinen Kerlchen näher Bekanntschaft machen will, muß sie zu sich ins Zimmer holen, gehören sie doch mit vollem Recht zu den beliebtesten Stubenvögeln. Sie pflanzen sich leicht auch im Käfig fort.

Der dritte im Bunde der Bergwaldvögel, die uns bisweilen zusammen begegnen, ist der Gimpel oder Dompfaff ( Pyrrhula europaea), einer der Buntesten in der Gesamtheit unserer deutschen Vogelwelt, wenn wir die Männchen ins Auge fassen. Oberkopf, Schwingen und Schwanz sind tiefschwarz, Bürzel und Unterbauch weiß wie Schnee; der Rücken ist aschgrau, die Unterseite schmückt ein herrliches sanftes Rot. Das Weibchen trägt weniger lebhafte Farben, und das Rot des Männchens ist bei ihm durch ein schlichtes Rötlichgrau ersetzt. Ausschließlicher Nadelholzbewohner ist unser stattlicher Gimpel nicht; doch fehlt er in keinem Gebirgsnadelwald, wenn er auch nicht entfernt so häufig wie Kreuzschnäbel oder Zeisige ist, vielmehr nur immer vereinzelt auftritt. Schon wegen der schmackhaften Nadelholzsamen, die er mit seinem dicken Schnabel zwar nicht aus dem Zapfen zu klauben versteht, wohl aber eifrig am Boden aufliest, liebt er den dauergrünen Forst. Seine Anwesenheit verrät uns gewöhnlich der leicht mit dem Munde nachzuahmende, ungemein weiche, flötende Lockton, der sich durch die Silben »djü djü« annähernd wiedergeben läßt. Wer ihn im Tonfall leidlich gut nachpfeift, hört bald die Antwort eines Männchens, das langsam näher und näher kommt, und erblickt den Gefoppten bald darauf in der Krone eines benachbarten Baumes, selten im Buschwerk des Unterholzes. Die leuchtend zinnoberrote Brust, beim Abfliegen auch der weiße Bürzel, machen ihn ohne weiteres kenntlich. Da sich die Vögel während der Brutzeit, die gegen Ende April beginnt und häufig bis Ende Juni dauert, in Waldteilen aufzuhalten pflegen, die wenig besuchte Dickichte bergen, so trifft man sie in diesen Monaten höchstens in Ausnahmefällen an. Ihr Nest bauen sie gern in junge Fichten und verwenden als Baustoffe dünne Reiser. Im Winter begegnet man den Gimpeln vielfach in der Umgebung von Ortschaften, meist in Gesellschaft auf Bäumen sitzend. Naturfremde Menschen bestaunen sie dann wie Vögel aus einem fernen Land, die irgendwo entflogen sind.

Aus der Gemeinschaft der deutschen Meisen gehören zwei Arten dem Nadelwald an, die mit den anderen Arten verglichen, verhältnismäßig wenig bekannt sind, die Haubenmeise ( Parus cristatus) und die Tannenmeise ( Parus ater). Freilich, sie kommen in der Herbstzeit, wenn sie nach altem Familienbrauch zusammengeschart mit Vettern und Basen ein vagabundierendes Leben beginnen, nicht in die städtischen Gärten und Anlagen. Auch beim Umherschweifen, bei ihrem »Streichen«, halten sie an ihren Waldungen fest. Dort aber sind sie sommers und winters durchaus nicht seltener anzutreffen als ihre Verwandten im Laub- oder Mischwald. Man muß nur ihre Stimmen kennen und dadurch auf sie aufmerksam werden. Erst dann erfährt man, wie weitverbreitet Hauben- und Tannenmeisen sind. Auch alle bezeichnenden Eigenschaften der uns am meisten vertrauten Arten Kohl- und Blaumeise weisen sie auf: nie versiegende gute Laune, immerwährende Rastlosigkeit bei schönem wie bei schlechtem Wetter, Neugier, oft bis zur Selbstgefährdung, und damit im Bunde eine Flinkheit, Wendig- und Behendigkeit, besonders beim Turnen am schwanken Gezweig, mit der kein anderer heimischer Vogel auch nur annähernd wetteifern kann. So bunt und auffallend wie die genannten in unsere Gärten kommenden Meisen hat die Natur sie nicht ausgestattet, schmuck aber sind sie in ihrer Art auch. Der lustige schwärzliche Federschopf, der unsere Haubenmeise ziert, macht sie in Verbindung mit den breiten, schmalschwarz umzogenen weißen Wangen trotz ihres schlichten bräunlichen Kleides zu einem reizenden Geschöpf. Die Tannenmeise hat, flüchtig betrachtet, mit der Kohlmeise Ähnlichkeit, nur ist bei ihr die Gefiederfärbung bedeutend weniger ausgeprägt und die Unterseite statt goldgelb lichtgrau. Außerdem ist sie erheblich kleiner. Das auffallendste Merkmal ihrer Art ist der fast quadratische weiße Fleck, der im Nacken das glänzende Schwarz unterbricht. Der Lockruf, den beide bei ihrem Streichen unaufhörlich von sich geben, wahrscheinlich um den Zusammenhalt mit ihren Gefährten nicht zu verlieren, ist der der Meisen überhaupt. Er klingt wie »si si« oder wie »zi zi«, bald lauter, bald leiser hervorgebracht. Bei den Tannenmeisen ist er sehr dünn, aber dennoch gut vernehmbar, auch wenn sich die Tierchen, wie zumeist, im oberen Stockwerk der Baumkronen tummeln. Um so lauter ertönt ihr Frühlingsruf, ein lange fortgesetztes »dividividividi …«, wobei der Nachdruck auf »vi« gelegt wird, oder ebenso anhaltend und lückenlos ein »sifi sifi sifi …« mit dem Ton auf dem pfeifenden »si«. Die Haubenmeise, der wir am ersten im Stangen- und Niederholz begegnen, kennzeichnet ein kräftiges »zick zick zick«, dem unmittelbar ein Roller folgt, der sich mit »gürrrr« übersetzen läßt. Gleich oft wird dieser selbe Triller an ein dreifaches »zi« geknüpft und dann in Reihen rasch wiederholt: »zizizigürr zizizigürr zizizigürr« und so fort. Beide Meisen sind Höhlenbrüter, die ihre Wohnungen in vielen Fällen der Tätigkeit der Spechte verdanken, gern aber auch künstliche Höhlen beziehen, sofern der Förster sie ihnen gewährt.

Mit der Gesellschaft der Tannenmeisen pflegt in der Strichzeit ein kleiner Trupp auffallend winziger Vögel zu ziehen, die allesamt auf ihrem Scheitel ein Krönlein von lauterem Golde tragen. Ähnlich behende wie die Meisen und ebenso fleißig, nur leiser lockend, suchen sie nach kleinen Insekten, noch mehr nach deren Eiern und Larven, lüften beim Hüpfen von Zweig zu Zweig gewöhnlich ihre Flügelchen und häkeln sich hier und da leise schaukelnd am äußersten Ende der Zweige fest. Goldhähnchen ( Regulus regulus) sind es, die kleinsten der Kleinen unserer Heimat, zierlicher noch als der »König im Zaun«, der zweitkleinste aller deutschen Vögel, dem offenbar die Königswürde zu Unrecht vom Volksmund verliehen wurde. Von der zum Titel gehörenden Krone ist keine Spur bei ihm zu entdecken, dem Goldhähnchen aber schmückt sie den Kopf in Gestalt eines goldgelben Scheitelstreifs, der beiderseits schwarz eingefaßt ist und dessen Federn auch länger sind als die zur Rechten und Linken von ihm. In der Paarungszeit sträubt sie das Männchen oft auf, um seiner Erwählten zu imponieren, und ist dann wirklich ein Regulus, ein »Königlein«, in Deutsch übersetzt. Das Röckchen, das beide Geschlechter tragen, ist dunkelgrün wie der Nadelforst, auf den sie zumindest im Frühjahr und Sommer gleichsam eingeschworen sind. Große Waldungen lieben sie nicht, obgleich sie sie beim Streichen nicht meiden; kleinere, lockere Fichtenbestände ziehen sie außer der Strichzeit vor. Im Sommer leben sie vereinzelt und halten sich in den Baumkronen auf, im Winter, besonders bei schlechtem Wetter oder anhaltend strenger Kälte, kommen sie tiefer zum Boden herab, verlassen auch wohl den Nadelwald und streifen in allerlei Buschwerk umher. Wo immer sie dabei auf Meisentrupps stoßen, gleichviel welche Arten zu diesen gehören, schließen sie sich ohne weiteres an, als suchten sie in der Gemeinschaft Schutz. Ununterbrochen rufen sie dann ihr hochabgestimmtes »Zisisi«, das, um mit Heinrich Seidel zu reden, ebenso wie das einfache Liedchen, das »Vater Goldhähnchen« seiner Liebsten während der Zeit ihres Wochenbetts widmet, »so zierlich klingt wie gesponnenes Glas«. Hübsch ist der kuglige Fichtenpalast, den sie sich im Mai aus Flechten und Moosen, mit Haaren und Raupengespinst untermischt, auf einem Fichtenzweig erbauen. Das Zweigende, das ihm als Untergrund dient, ist von der unteren Schicht der Baustoffe mehr oder minder fest umschlossen, und ein zweiter Zweig überdeckt meist den Bau. Die Eier, acht bis zehn an der Zahl, sind nicht viel größer als eine Erbse und wiegen kaum dreiviertel Gramm. Eine zweite Art, das Feuerköpfchen ( Regulus ignicapillus), das auch bei uns zu Hause ist, und zwar im gleichen Gebiet wie der Vetter, trägt eine orangerote Krone und unterscheidet sich außerdem durch einen oben weißbegrenzten, zarten schwarzen Augenstrich. Es weilt nur im Frühling und Sommer bei uns und zieht dann in wärmere Gegenden ab. Vielfach heißt es auch Sommergoldhähnchen.

Auch ein paar ausgezeichnete Sänger gibt es in unseren Nadelwäldern, Solisten, bei deren klangvollem Vortrag der Wanderer seine Schritte hemmt, um Ausschau nach dem Künstler zu halten. Einer davon ist die Misteldrossel ( Turdus viscivorus), noch etwas größer als die Amsel, oberseits einhellig graubraun gefärbt, auf Brust und Bauch mit schwarzbraunen Flecken wie mit Tropfen übersät, deren Form und Größe mannigfach wechseln. Besonders gern sitzt der schöne Vogel an einer lichten Stelle im Bergwald, etwa dort, wo sich eine Waldwiese öffnet oder ein wieder begrünter Kahlschlag, auf dem er sich auch nach Art der Stare seine Nahrung zusammensucht. Wenn wir uns möglichst geräuschlos nähern, ohne den Sänger bereits zu sehen, so glauben wir eine Amsel zu hören, deren kraftvolles Pfeif- und Flötensolo ja das bekannteste Drossellied ist. Bald merken wir aber, daß der Umfang, in dem die Strophen sich bewegen, den des Amselgesangs nicht erreicht und daß der Sänger außerdem nicht über den langen Atem verfügt. Wir treten näher, um ihn zu entdecken, da flüchtet er, etwas schwerfällig fliegend, mit lautem »Schnärr schnärr« ins Waldesdunkel, bleibt unsichtbar und schweigt sich aus. Gegen Störungen ist er besonders empfindlich. Seines Angstrufes wegen nennen die Waldleute, die gute Kenner der Waldvögel sind und sie auf ihre Art treffend bezeichnen, die Misteldrossel schlechthin »Schnärrer«, wie sie die Singdrossel nach ihrem Lockruf nur unter dem Namen »Zippe« kennen und die Wacholderdrossel als »Schacker«. Sie wissen auch vom Hörensagen, daß der Schnärrer es ist, der die Mistelsträucher von einem Baum auf den andern verpflanzt, weil er auf ihre Beeren erpicht ist und ihre in Schleim gehüllten Samen auf Äste und Zweige überträgt. Und ferner erinnern sie sich genau, daß der Großvater aus den Mistelbeeren Vogelleim zu kochen pflegte, und daß der Schnärrer so mit daran schuld war, wenn seine kleineren Sangesbrüder zur Herbstzeit an Leimruten zappelten. Das war freilich damals ein anderer Wald, noch urwaldartig kraus und dicht und viel reicher von Vogelleben erfüllt.

siehe Bildunterschrift

Die Drosseln des deutschen Waldes
Oben: Misteldrossel und Singdrossel,
in der Mitte Wacholderdrosseln,
unten Amsel oder Schwarzdrossel.
Singdrossel und Amsel sind Kinder des Laubwalds.
(Siehe den Abschnitt »Tierleben im Laubwald«)

Gelegentlich treffen wir auch den »Schacker«, die kleinere Wacholderdrossel ( Turdus pilaris), zur Sommerszeit im Nadelwalde, häufiger aber erst in der Herbstzeit, wenn ihre Artgenossen aus Nordland den dunklen Tagen der Heimat weichen, scharenweise das Meer überfliegen und bei uns eine Zuflucht suchen, zum Teil als Durchzugsreisende, zum andern als dauernde Wintergäste. Wo immer Wacholderbüsche stehen und blaue Beeren zum Schmause bieten oder die leuchtendroten Früchte der Vogelbeerbäume zum Plündern locken, vernimmt man dann neben den vielerlei Rufen der deutschen beerenliebenden Vögel die scharfen Locktöne »zeck zeck zeck« und das »Schack schack« oder »Schachaschaschack« der fliegenden Wacholderdrosseln. Die Kunst des Gesanges blieb ihnen versagt, doch hat die Natur ihnen dafür zum Ausgleich ein auffallend buntes Gefieder verliehen. Braun ist der Rücken und sind die Flügel, aschgrau Oberkopf, Nacken und Bürzel. Auf gelbem Grunde schwarz gesprenkelt bieten Kehle und Brust sich dar, die übrige Unterseite ist weiß. Zm Frühjahr kehren die Zugereisten in ihre nordische Heimat zurück.

Der zweite tüchtige Solosänger, der im größten Teil unseres Vaterlandes Charaktervogel des Nadelwaldes ist, obgleich er auch im Laubwald brütet, ist das bekannte zierliche Rotkehlchen ( Erithacus rubeculus) mit der hübschen mennigroten Brust und den merkwürdig großen tiefbraunen Augen. Es hat etwas Keckes in seiner Haltung, wenn es mit etwas hängenden Flügeln, waagerecht von sich gestrecktem Schwanz und »Brust heraus« hoch auf den Beinen steht, und etwas Fröhliches in seinem Wesen, wenn es halb flatternd von Zweig zu Zweig hüpft oder in Sprüngen auf Waldwegen hineilt. Gewahrt es unverhofft den Beschauer, so flieht es mit scharfem »zick zick« davon, ruft aus dem Versteck »schnickerickickick« und kehrt bald danach auf den Weg zurück, um dort Insekten wegzuschnappen. Zum Singen fehlt ihm bei Tage die Ruhe. Nur früh und abends erklingt sein Gesang, von Ende März bis in den Juli, am schönsten an einem Frühlingsabend, wenn tiefe Stille den Wald erfüllt, die Sonne eben zur Rüste ging und die Dämmerung wie ein dunkler Schleier auf Bäume und Buschwerk niedersinkt. Feierlich-wehmütig hallt das Lied, mit scheinbar mühsam hervorgebrachten, hohen und dünnen Tönen beginnend, dann aber immer klangvoller werdend, in flötenden, trillernden Tonfolgen wechselnd und manchmal an das leise Klingen fern aufgehängter Glöckchen erinnernd. Es ist so viel Waldpoesie in dem Sang, den der irgendwo auf einem niederen Baume sitzende Vogel herüberschickt, daß man sich selber gehoben fühlt. Wie oft man den Sänger im Walde belauscht, immer neu, immer anders ertönen die Strophen, scheinen sie wenigstens zu ertönen, denn sicherlich wirken Ort und Stimmung, Lenzempfinden und Waldesstille am Eindruck des Rotkehlchenliedes mit. Im Herbst verlassen die Rotbrüstchen uns und suchen südwestliche Gegenden auf. Statt ihrer stellen sich andere ein, übers Wasser aus Skandinavien kommend, und streifen dann ebenso bei uns umher, wie die deutschen es vor ihrer Abreise taten. In allen Wäldern erscheinen sie und machen sich durch ihr »zick zick« bemerkbar, mitunter auch durch ein scharfes »Tze« oder durch ein gedehntes »Sieh«, in allen Anlagen, allen Gärten, im Flachland ebenso wie auf den Bergen, kurz überall, wo es niedere Büsche in möglichst großer Anzahl gibt. Besonders in den Auenwäldern, wo schwarze Holunderbeeren reifen, begegnet man ihnen mit Sicherheit.

Mit dem Rotkehlchen ist die kurze Reihe der Vögel des Nadelwalds abgeschlossen, soweit diese für ihn bezeichnend sind oder ebenso häufig in ihm leben wie im Laub- oder Mischkulturwald. Daß dann und wann in Randgebieten, auf Blößen oder am Waldwiesensaum auch andere Arten beobachtbar sind oder ihre Stimme vernehmen lassen, ein Buchfink schmettert, ein Baumläufer pfeift oder abends nach Eintritt der Dunkelheit in einem älteren Kiefernwalde die Waldohreule ihr dumpfes »Hu« in langer Folge wiederholt, braucht kaum besonders erwähnt zu werden. Von diesen wird später die Rede sein. Hier sei nur noch kurz hinzugefügt, daß die großen, oft augenfälligen Nester, die vielfach auf Nadelbäumen stehen, besonders oft in Kiefernkronen, entweder Raben- und Nebelkrähen (Corvus corone und C. cornix) oder Raubvögeln angehören. Sind die Nester groß und flach, nach oben offen und ziemlich roh aus allerlei Reisig hergestellt, so waren ihre Erbauer Krähen, die überdies in den meisten Fällen als Nistplatz den Saum des Waldes wählen und möglichst hohe und starke Bäume. Von Raubvögeln brüten in Nadelwäldern zwei rasche, gewandte und schlimme Gesellen, die allen kleineren Säugetieren und mehr noch den Vögeln zur Geißel werden, vom Auerhuhn bis zum winzigen Goldhähnchen: der stattliche Habicht ( Astur palumbarius) und der kleinere Sperber ( Accipiter nisus). Im Gegensatz zu anderen Raubvögeln, die meist im offenen Lande jagen, verstehen beide ihrer Beute auch im Walde habhaft zu werden. Der Horst des Habichts, groß und flach, ist in der Regel nicht weit vom Stamm auf einem Kiefernast errichtet und oben mit grünem Nadelreisig, das oft erneuert wird, überdeckt. Der Sperber wählt einen geschützteren Platz im Dickicht oder im Stangenholz und weiß dort den Horst immer gut zu verbergen. Als Baukünstler aber erweist er sich nicht. Was er aus Fichten- und Tannenreisern, häufig mit Laubholzgezweig untermischt, höchst liederlich zusammenfügt, gewöhnlich nicht weit vom Stamm entfernt, sieht gar nicht aus wie ein Raubvogelnest. Besetzte und Junge enthaltende Horste erkennt man sofort an dem kalkweißen Kot, den jene über den Nestrand hinweg auf das Geäst und den Waldboden spritzen. Die alten, futterbringenden Vögel verraten den Horst in der Regel nicht. Sie fliegen selten direkt auf ihn zu, sondern kreisen solange über ihm, bis sie sich vergewissert haben, daß keine Gefahr im Verzuge ist. Dann schießen sie senkrecht herab auf den Horst. Erkennbar sind Habicht und Sperber unschwer an ihrer lichten Unterseite mit zahlreichen dunklen, strichartig schmalen und wellig verlaufenden Querstreifen. Die Läufe und Füße beider sind gelb.

 

Insektenleben

So vogelarm der Nadelwald ist, so massenhaft leben und weben in ihm die allerverschiedensten Arten und Formen der großen Gemeinschaft der Insekten, wenngleich er auch in dieser Beziehung nicht mit dem Laubwalde wetteifern kann. Die meisten Insekten sind ihrer Ernährung, Fortpflanzung oder Entwicklung halber auf eine, zuweilen mehrere bestimmte Pflanzen angewiesen, und je reicher in einer Lebensgemeinschaft, wie wir sie im Walde vor Augen haben, die Zahl der Pflanzenarten ist, desto größer natürlich die Artenmenge der sie bewohnenden Kleintierwelt. Am üppigsten ist im Nadelholzwalde die Kiefer von Insekten belebt. Eine Liste von etlichen hundert Namen müßte man zusammenstellen, um annähernd alles aufzuführen, was sie an Wurzel, Stamm und Nadeln an kleinem Krabbelvolk beherbergt. Und die Kiefer ist nur ein einzelnes Glied im Gesamtbegriff des Nadelwaldes. Nur eine Auswahl solcher Insekten oder solcher Insektengruppen, die entweder forstwirtschaftlich bedeutsam oder durch ihre Lebensweise für Waldbesucher anziehend sind, kann deshalb hier näher betrachtet werden. Zu einem Teil hat diese Aufgabe schon ein früherer Abschnitt erfüllt, der die verheerenden Folgen des Wirkens der schlimmsten Schädlinge schilderte (Seite 77 ff.). Vom Wüten der Kiefernspinner und -spanner, Nonnen und Forleulen war dort die Rede, nicht jedoch von den Tieren selbst. Sei darum zuvörderst nachgetragen, was von diesem Vierblatt der Forstverderber für Freunde des Waldes wissenswert ist.

Als Falter der weitaus stattlichste, als Raupe der gefährlichsten einer ist der berüchtigte Kiefernspinner ( Dendrolimus pini). Das plumpe Weibchen spannt 4,8 bis über 8,5 Zentimeter, das schlankere Männchen im Höchstfalle 7. Die vielfältig abgeänderte Färbung ist vorwiegend braun mit Grau gemischt, das sicherste Merkmal ein weißes Mondfleckchen auf den beiden Vorderflügeln und eine rotbraune Binde dahinter. Beide Geschlechter, besonders das Weibchen, sind träge, flugunlustige Tiere. Von Ende Juni bis Anfang August sitzen sie tagsüber an den Stämmen. Erst gegen Abend werden sie rege, um sich zu paaren und Eier zu legen, gewöhnlich hundert bis zweihundert Stück, die in Häufchen den Bäumen angeleimt werden. Die bald erscheinenden gelblichen Räupchen mit dunklen, langbehaarten Warzen suchen sogleich die Nadeln auf, um ihren verderblichen Fraß zu beginnen, häuten sich nach einiger Zeit und erscheinen danach in neuem Gewand, das sich fortan nicht mehr verändert. Bemerkenswert ist ein stahlblauer Samtfleck am zweiten und dritten Leibesring, deutlich sichtbar jedoch erst dann, wenn die Raupe sich beunruhigt fühlt und die sogenannte Schreckstellung annimmt, das heißt den Vorderkörper hebt und den Kopf gleichzeitig nach unten schlägt. Der Nadelfraß dauert bis in den Oktober, erfährt dann eine Unterbrechung durch die erzwungene Winterruhe, während der die halberwachsenen Raupen uhrfederähnlich zusammengerollt unter der Bodendecke schlummern, und wird vom zeitigen Frühling an bis in den Juni fortgesetzt. Dann sind die Raupen verpuppungsreif. An Zweigen und Nadeln, oft auch am Stamme hängen in Menge ihre Kokons mit den eingesponnenen stahlblauen Haaren.

Der wesentlich kleinere Kiefernspanner ( Bupalus piniarius) ist ein schlanker und schmächtiger Falter, der sich gegen sonstigen Spannerbrauch auch bei hellem Sonnenlicht fliegend zeigt. Im Juni, manchmal schon Ende Mai, sieht man ihn zwischen den Stämmen schaukeln, scheinbar unsicher und doch rasch. Meist ruht er freilich nach kurzem Ausflug mit zusammengeklappten Flügeln von dieser Anstrengung wieder aus und gibt uns dann Gelegenheit, ihn aus der Nähe anzuschauen. Das Männchen hat lange gekämmte Fühler, an denen sich wie bei allen Faltern die Geruchsorgane befinden. Mit ihnen erspüren sie ihre Weibchen. Die Mehrzahl der Spanner sind Dämmerungsfalter und paaren sich nicht bei Tageslicht, selbst wenn sie wie unser Bupalus der Sonne durchaus nicht abhold sind. Sein Kleid ist schmucklos und dennoch hübsch. Hellgelb und Schwarzbraun sind beim Männchen, Hellrostrot und Braun beim Weibchen die Farben, aus denen die trotzdem lebhafte Zeichnung ihrer Flügel gebildet ist. Aus der helleren Mitte der Vorderflügel treten die Hauptrippen braun heraus, die Hinterflügel sind außerdem durch zwei schmale Bindestriche verziert. Hoch im Gezweige der Kiefernkronen legen die Weibchen ihre Eier unterseits an den Nadeln ab, und schon im Juli erscheinen die Räupchen und fressen sich während des Sommers groß. Im September sieht man sie oft wie Spinnen an langen dünnen Fäden hängen, und wenn die Tage merklich kalt sind, lassen sie sich auf den Boden herab, pflegen aber bei wärmerem Wetter nochmals am Stamm emporzukriechen. Erst im Oktober oder November wandern die schlanken grünen Raupen, gekennzeichnet durch drei weiße Rücken- und zwei gelbe Seitenlinien, endgültig von ihrem Fraßbaum herab, wühlen sich unter die Bodendecke und verpuppen sich bald darauf.

siehe Bildunterschrift

Tafel 44
Vorfrühling im Buchenwald
Tausende von Anemonen bilden den herrlichen Blumenteppich

siehe Bildunterschrift

Tafel 45
Vorfrühling im Buchenwald
Oben links Anemonen oder Buschwindröschen,
rechts blühender Seidelbast
Unten Märzbecher im Schnee

siehe Bildunterschrift

Tafel 46
Frühlingskünder im Buchenwald
Oben links Leberblümchen,
rechts Lerchensporn
Unten Himmelsschlüsselchen

siehe Bildunterschrift

Tafel 47
Keine sich öffnenden Blumen, sondern ganz junge Buchen

Der giftige Aronstab, der in seiner Kesselfalle Insekten fängt

Der Nonnenfalter ( Lymantria monacha) ist aus zwiefachem Grunde gefürchtet. Erstens, weil seine gefräßigen Raupen nicht bloß auf Nadelbäumen hausen, vorzugsweise auf Fichten und Kiefern, sondern auch Laubholz nicht verschonen, insbesondere nicht die Buche; und zweitens, weil die Falter wandern, wenn ihnen jahrelang günstiges Wetter bei ihrer Vermehrung zustatten kam und der Heimatwald für die Massen nicht ausreicht, die dann auf einmal in ihm erscheinen. Ein Teil schwärmt in Wolken auf und davon, legt meilenweite Strecken zurück und fällt schließlich schneeflockenähnlich dicht in bisher verschonte Reviere ein. An sich ist die Nonne ein zierlicher Falter. Zahlreiche schwarze Zickzacklinien schmücken die schlohweißen Vorderflügel, von denen die grauweißen Hinterflügel beim sitzenden Falter überdeckt sind. Bei oberflächlicher Betrachtung ähneln sich Nonne und Nonnerich, beim näheren Hinsehen erkennt man das Männchen an seinen doppeltgekämmten Fühlern, die wie zwei Federbüsche wirken. Der schwarzweiß gezeichnete Hinterleib, bei beiden Geschlechtern rosig getönt, läuft außerdem beim männlichen Falter in einen breiten Haarbüschel aus, beim Weibchen in eine Legeröhre. Mit diesem vorstreckbaren Werkzeug schiebt es die Eier in kleinen Häufchen unter die Borkenschuppen der Bäume oder in tiefere Rindenritzen, wo sie den Winter überdauern. Im April oder Mai des nächsten Jahres schlüpfen die jungen Raupen aus, bleiben einige Tage in Häufchen beisammen, in »Spiegeln«, wie die Forstleute sagen, und wandern dann, sich allmählich zerstreuend, in die Kronen der Bäume hinauf. Die erwachsenen Raupen des Nonnenspinners sind leicht zu erkennen am graugrünen Leib mit sechs Reihen dunkelbehaarter Warzen. Zwei davon auf dem Hinterleibe sind ausstreckbar und rot gefärbt. Bei jüngeren Raupen ändert die Farbe während der Fraßzeit vielfach ab.

Das letzte Mitglied unseres Vierblatts gefährlicher Bestandsverderber gehört der Eulenfamilie an, die Forleule oder Kieferneule ( Panolis griseovariegata). Sie fliegt von Ende März bis zum Mai, hat rotbraune, heller gefleckte Vorder-, dunkelgraubraune Hinterflügel und einen entsprechend gefärbten Leib. Beide Geschlechter sind gleich gezeichnet. Sonderbar ist, daß die Kieferneulen für Tabakrauch eine Vorliebe haben und sich durch ihn herbeilocken lassen. Die befallene Holzart ist immer die Kiefer, und zwar scheinen jüngere Bestände von 25 bis 50 Jahren im allgemeinen bevorzugt zu werden. Nur wenn bei besonders starkem Befall sich Futtermangel geltend macht, nehmen die Raupen auch eingesprengte andere Nadelhölzer an, vor allem Fichte und Weimutskiefer, zuweilen auch Wacholderbüsche. Das Weibchen legt seine Eier an Nadeln, zehn bis zwanzig in einer Reihe, und etwa zwanzig Tage später beginnen die grünen, weißlängsgestreiften und bräunliche Köpfe tragenden Raupen bereits mit ihrem Zerstörungswerk, immer zunächst an den jungen Trieben.

Das Falterleben im Nadelwalde ist damit natürlich nicht erschöpft. Die Reihe der Schädlinge ist lang, nur treten sie selten in Überzahl auf, und was die Raupen an Nadeln, Zapfen, Triebspitzen oder Knospen zerstören, bleibt deshalb in erträglichen Grenzen. Eine Ausnahme machen die Prozessionsspinner ( Thaumetopoea pinivora), unscheinbare Schmetterlinge, die östlich der Elbe überall in Kiefernwäldern zu Hause sind. Zu Gesicht bekommt der Naturfreund sie nicht, weil sie ausschließlich zur Nachtzeit fliegen. Zuweilen blüht ihm jedoch das Glück, die gesellig lebenden Raupen der Spinner in »Prozessionen« wandern zu sehen, immer eng aneinandergeschlossen, gemeinsam eine Kette bildend und blindlings der führenden Raupe folgend, gleichviel welchen Weg diese einschlagen mag. Sie marschieren in dieser seltsamen Weise, wenn sie sich satt gefressen haben, nach einem gemeinsamen Ruheplatz an einem geeigneten Kiefernzweig, drängen sich dort zu Klumpen zusammen und wandern, wenn die Verdauung beendet, ebenso wieder im Gänsemarsch nach einer neuen Futterstelle. In der Jugend pflegen sie nachts zu marschieren, später werden die Prozessionen nicht selten auch bei Tage sichtbar. Die schwarzköpfigen, unterseits gelbgrünen Raupen kennzeichnen dann auf der Oberseite samtschwarze, rotgelb umsäumte Flecke und lange, büschelig stehende Haare. Bei Massenauftreten werden diese den Waldbesuchern unangenehm. Die mit spitzen Dörnchen versehenen Haare lösen sich nämlich sehr leicht los und dringen dann, überall umherfliegend, in besonders zarte Hautstellen ein, wo sie entweder Juckreiz erzeugen oder zu Entzündungen führen. Vermehrt sich der Spinner im Übermaß, wie in den Jahren 1880 bis 1890 an der pommerschen und preußischen Küste, so kommt es zu schweren Raupenschäden.

Harmloser ist der Kiefernschwärmer, oft auch Tannenpfeil ( Hyloicus pinastri) genannt, ein stattlicher, mausgrau gefärbter Falter mit langen schmalen Vorderflügeln und kräftigem dichtbehaarten Leibe. Tagsüber sitzt er im Mai und Juni nicht sehr hoch an Kiefernstämmen, in der Dämmerung aber stürmt er umher, pfeilschnellen Flugs, wie es Schwärmerart ist. Die Raupe, grün mit weißen Längslinien und einem braunroten Rückenstreifen, frißt im August und September an Kiefern, oft auch an Fichten oder Lärchen.

Zu all diesen großen Schmetterlingen gesellt sich in unübersehbarer Zahl das arten- und formenreiche Gelichter der kleinen, oft winzig kleinen Falter der Wickler-, Zünsler- und Mottengruppen, deren Räupchen an jungen Trieben fressen, in Knospen hausen, in Nadeln minieren und dadurch ebenso wie die großen den Forstwirten allerlei Sorgen bereiten. Dem Walde gefahrbringend wie die Großraupen sind sie indessen in keinem Fall. Zum Glück sind hinter all diesen Fressern, den Waldverderbern wie den Zwergen, dauernd Waldpolizisten her, die besser als der erfahrenste Forstmann ihre verschiedenen Lebensgewohnheiten, ihre beliebtesten Aufenthaltsorte und ihre geheimen Schlupfwinkel kennen: die große Heerschar der Schlupfwespenarten (Ichneumoniden). Es sind behende, unruhige Tiere von mannigfacher Form und Gestalt, die ihre Jugendzeit als Schmarotzer in Puppen, Larven oder Eiern anderer Insekten verbringen, also auf Kosten von »Wirtstieren« leben, die dabei fast immer zugrunde gehen. Die Weibchen tragen am Hinterleibe häufig sehr lange Legebohrer, die bei den einen frei hervorragen, bei anderen Arten im Zustand der Ruhe verborgen in ihrem Körper liegen. Gewöhnlich versenken sie mit diesem Bohrer ihr Ei ins Innere des Opfers, seltener heften sie es ihm an. Wenn das geschieht, so bohrt sich die Larve später in das Wirtstier ein oder sie saugt es von außen her aus. Meist sind die Schmarotzer lebhaft gefärbte und ungewöhnlich schlanke Geschöpfe, deren Hinterleib bei der Mehrzahl der Arten durch eine schmale Wespentaille deutlich vom Bruststück abgetrennt und deshalb sehr beweglich ist. Da die Arten schwer unterscheidbar sind und zu Dutzenden den Wald bevölkern, hat ihre Aufzählung wenig Zweck. Die gemeinste Art in Nadelwäldern, die im besonderen auf die Raupen von Kiefernspinner und Nonne fahndet, die Schlupfwespe Pimpla instigator, hat einen einheitlich schwarzen Körper von kaum zwei Zentimeter Länge und dazu an den vier vorderen Beinen auffallend gelbrote Schienen und Füße, am hinteren Beinpaar nur rote Schienen.

Wie Schmetterlingsraupen dem Nadelfraß, so haben sich andere Waldbewohner gleich gut dem Holzfressen angepaßt. Äußerst bescheiden in ihren Ansprüchen, nagen sie sich durch die Rinde der Bäume, vielfach auch durch das festere Holz, verwenden von dem gewonnenen Futter einen Teil zu ihrer Ernährung und lassen am hinteren Körperende den für sie unverdaulichen Rest als »Wurmmehl« wieder nach außen treten. Ein erheblicher Teil ihres schweren Daseins läuft in der Tat darauf hinaus, eine Strecke Holz in Mist zu verwandeln, allerdings nicht nur zur Selbsterhaltung, sondern auch zu Brutpflegezwecken. Borkenkäfer ( Ipidae) sind diese Ernährungssonderlinge, durch Augenschein wenigen bekannt, denn erstens sind die meisten Arten nur etliche Millimeter groß, und zweitens tragen sie samt und sonders ein unansehnliches Gewand. Wer aber die Nadelbaumstämme mustert, entdeckt ihre runden Einbohrlöcher, und wer bei einem Waldspaziergang auf einem gefällten Baumstamm gesessen und dabei wie von ungefähr ein Stückchen Rinde abgelöst hat, der kennt auch ihre Runenschrift, die in Gestalt von wechselvollen, aber doch ziemlich regelmäßigen, manchmal wirklich hübschen Mustern ins Holz der Bäume gegraben ist. Das sind die »Fraßbilder« dieser Käfer, die sie vereint mit dem Nachwuchs schaffen. Jede Art hat ihr eigenes Schema, gleichsam ihren eigenen Fraßstil, so daß der Kenner auf Grund der Zeichnungen die Erzeuger feststellen kann. In großen Zügen dargestellt, spielt sich das Brutgeschäft dieser Knirpse etwa folgendermaßen ab.

Im zeitigen Frühjahr fliegt das Männchen mit einem oder mehreren Weibchen einen geeigneten Brutbaum an, bohrt hastig ein Loch in die dicke Rinde und nagt am hinteren Ende des Tunnels ein kleines Hochzeitskämmerchen aus, in dem die Paarungshandlung erfolgt. Der weitere Ausbau der Brutanlage ist ausschließlich Sache der weiblichen Käfer. Die fressen nun nach verschiedenen Richtungen Gänge zwischen Rinde und Holz, »Hauptgänge« oder »Muttergänge«, nagen von diesen rechts und links in ziemlich regelmäßigem Abstand besondere kleine Nischen aus und beschicken diese mit je einem Ei. Angeblich wissen sie die Eier bei dieser Gelegenheit so zu richten, daß der Kopf der künftigen Made vom Muttergang abgewendet ist. Danach räumen die Eltern das Feld. Nach kurzer Zeit erscheinen die Larven, winzige, augen- und fußlose Dinger, die aber gleichwohl die Fähigkeit haben, die mütterliche Bohrarbeit mit bestem Erfolge fortzusetzen. Sie fressen von ihrem Entstehungsorte in der Richtung, in der sie liegen, Larvengänge ins Holz hinein und wachsen dabei an Leibesumfang, so daß auch die Gänge im selben Verhältnis, wie sich das Bäuchlein der Larven rundet, allmählich stärkeren Umfang bekommen, schaffen sich, wenn ihr Wachstum beendet, ein etwas erweitertes Kämmerlein und wandeln sich darin zur Puppe um. Die Bedeutung des ganzen Vorgangs ist klar: die Larven sollen bei ihrem Vormarsch einander nicht ins Gehege kommen. Ist ihre Entwicklung abgeschlossen, so bohren sie sich auf kürzestem Wege durch die Rinde ein Ausgangsloch und schwärmen den Eltern gleich in den Wald. Das heißt, wenn nicht ein hungriger Specht mit seiner langen Hakenzunge das fressende Lärvchen herausgeholt hat. So gut geborgen die Nachkommenschaft der Käfer scheinbar im Baume steckt, so wenig ist sie vor Feinden sicher – falls nämlich, was am häufigsten vorkommt, das Mutterinsekt seine Eiernischen nur in die Innenseite der Borke oder die äußere Bastschicht grub. Naturwissenschaftlich ausgedrückt: falls der betreffende Baumminierer zur Gruppe der »Rindenbrüter« gehörte, anstatt zur kleineren »Holzbrüter«-Gruppe, die bis ins Splintholz der Bäume dringt und dort in der Tat vor dem Zugriff der Spechte und einer Reihe anderer Feinde ziemlich sicher geborgen ist.

Dem Vorteil, den diese Holzbrüter haben, steht aber ein großer Nachteil entgegen. Die Schwierigkeiten der Larvenernährung wachsen entsprechend der größeren Tiefe. Einmal ist es naturgemäß für das Käferlärvchen erheblich schwerer, sich in das Hartholz hineinzufressen als in das weichere Außenholz, und andrerseits ist das Splintholz des Baumes ein so erbärmliches Nahrungsmittel, so schwer erschließbar und stickstoffarm, daß es dem hungrigen Käfersprößling kein Blühen und Wachsen gewährleisten kann. Da setzt nun aber bei diesen Insekten so etwas wie eine Kulturtechnik ein. Die Käfer werden zu Gartenbauern, legen sich Pilzkulturen an und liefern so ihrer Nachkommenschaft zu den elenden, trockenen Holzgerichten ein stickstoffhaltiges Nährgemüse. Die Brutröhren sehen innen so schwarz aus, als wären sie mit einer glühenden Nadel von Menschenhänden ins Holz gebrannt, und dieses Schwarz ist die Folge davon, daß die Gänge der ganzen Ausdehnung nach mit winzigen Pilzen bewachsen sind, mit einem einheitlich dichten Rasen, der Tausende hauchzarter Wurzelfädchen nach allen Seiten ins Holz entsendet, um ihm seine Nährstoffe zu entziehen. Zum Teil verbrauchen die Pilzchen selbst diese ausgesogenen Nährsubstanzen zur Bildung ihrer Fortpflanzungskörper, zum Teil aber werden sie aufgespeichert in kugeligen Zellenhäufchen, den sogenannten Ambrosiazellen, die wie ein Hütchen den Pilzfaden krönen und von den Käfern und ihrer Brut als nahrhafte Zukost gefressen werden. Die Sache liegt aber nicht etwa so, daß die Pilze als bloßes Zufallserzeugnis die engen Fraßstollen austapezieren, sie werden vielmehr von den Käfern selbst an Ort und Stelle ausgesät, denn die verschiedenen Borkenkäfer besitzen ihre bestimmten Sorten. Es scheint, daß die überwinternden Weibchen vereinzelte Ambrosiazellen im Darm bis zum Frühjahr aufbewahren und bei der Anlage neuer Brutgänge mit ihrem Kot in den Stollen verpflanzen.

Einige Arten der Borkenkäfer sind Forstschädlinge allerersten Ranges. Die Rindenbrüter zerstören bei starkem Befall durch ihre Gänge die saftleitende Schicht der Bäume und die Holzbrüter vermindern durch ihre tief ins Innere führenden Brutröhren den Wert des Holzes. Hinzu kommt, daß die ausgeschwärmten Jungkäfer, bevor sie fortpflanzungsfähig werden, noch eines ausgiebigen Fraßes in jungen saftreichen Trieben bedürfen, die sie der ganzen Länge nach aushöhlen. Die Altkäfer wiederum brauchen nach der Beendigung ihres Brutgeschäfts einen Auffrischungsfraß und bohren sich, um ihn zu erlangen, gleichfalls in frische Triebe ein. Der in starkrindigen Kiefern brütende vier Millimeter lange schwarze Waldgärtner ( Myelophilus piniperda) führt seinen absonderlichen Namen, weil die von ihm beschädigten Triebe entweder an der Bohrstelle abbrechen, wenn der Wind durch die Krone fegt, oder als Ersatz für die Endknospe seitlich neue Knospen entwickeln und dadurch ein buschiges Aussehen bekommen. Die Krone wird so unregelmäßig, als sei sie besonders ungeschickt von einem Gärtner beschnitten worden. Die bekannteste, weitaus schädlichste Art, weil sehr zur Massenvermehrung neigend, ist der fünf Millimeter große schwarzbraune Buchdrucker ( Ips typographus), dessen häufigster Brutbaum die Fichte ist. Sein Fraßbild ähnelt in vielen Fällen den Zeilen eines aufgeschlagenen Buches.

Der schlimmste Feind dieser Liliputaner ist neben den Spechten und Schlupfwespen der knapp zentimetergroße Buntkäfer ( Clerus formicarius), den man besonders oft im Frühjahr, zur Zeit des Anflugs der Borkenkäfer, an allen Stämmen von Wurmbäumen trifft, häufig auch an geschlagenem Holz. Auffallend genug ist er ausgestattet. Der Halsschild, die Wurzeln der Flügeldecken bis nahe an die vordere der beiden weißen Flügelbinden sowie die ganze Unterseite sind bei dem Buntkäfer rot gefärbt, der übrige Körper ist pechschwarz. Mit ameisenartiger Emsigkeit rennt er am Stamme auf und ab, um Borkenkäfer abzufangen, und wenn er einen von ihnen geschnappt hat, ergreift er ihn mit den vorderen Beinen, trennt ihm geschickt den Halsschild ab, klappt diesen um und frißt seinem Opfer die Eingeweide aus dem Leib. Seine rote, langgestreckte Larve, doppelt so lang wie der Käfer selbst, lebt in oder unter der Kiefernrinde, häufig an gefällten Bäumen, und stellt dort der Borkenkäferbrut nach.

Überhaupt sollten Freunde des Kleintierlebens bei einem Gang durch den Nadelwald ihr Augenmerk häufig auf Baumstämme richten, auf stehende oder zu Boden gestreckte, und dabei die Stubben nicht übersehen, vor allem die etwas angejahrten. Es lebt an ihnen und innerhalb ihrer allerlei interessantes Volk, das zu beobachten sich verlohnt und, einmal erkannt, den Waldspaziergang doppelt genußreich und anregend macht. Da sitzen an gefällten Kiefern und ihren noch stehenden Wurzelstöcken an warmen Mai- oder Junitagen häufig graubraune Zimmerböcke ( Acanthocinus aedilis), Käfer mit wahrhaft riesigen Fühlern, die beim Männchen drei- bis fünfmal, beim Weibchen anderthalbmal solang sind wie der Körper der Tiere selbst. Bei Sonnenschein fliegen sie auch umher, und das Weibchen, dessen Legeröhre am Hinterende etwas vorragt, schiebt seine Eier vermittelst dieser zwischen die klaffenden Rindenschuppen. Auch braunerzfarbene Kiefernprachtkäfer ( Chalcophora mariana) treffen wir an gleichen Orten, besonders oft in den Kiefernwäldern der norddeutschen sandigen Ebenen.

Wandern wir zur Sommerszeit an einem heißen, sonnigen Tage durch einen einsamen Fichtenwald und ist das Entdeckerglück uns hold, so sehen wir an einer lichten Stelle, wo frisch gefällte Stämme liegen und über diesen knisternden Fluges gelbe Riesenholzwespen ( Sirex gigas) schwärmen, wohl eins dieser Tiere sich niederlassen. Ihr Aussehen ist uns durch Bilder bekannt. Das Weibchen trägt eine schwarzblaue Binde um seinen walzigen Hinterleib, der in einen langen Stachel ausläuft; dem kleineren Männchen fehlt diese Wehr. Kopf und Brust sind bei beiden schwarz. Jetzt, wo wir das keineswegs scheue Weibchen von etwa vier Zentimeter Länge auf einem der Stämme vor uns haben und aus der Nähe betrachten können, macht es einen bedrohlichen Eindruck. Mit hoch auf den Beinen erhobenem Körper und etwas abwärts gesenktem Kopfe steht es wie angewurzelt da, doch was wir für einen Stachel hielten, für einen gefährlichen Hornissendolch, das erweist sich als harmloser Legebohrer, harmlos wie die Wespe selbst, die man getrost in die Hand nehmen kann. Jetzt klappt sie ihn aus seinen Scheiden heraus und treibt ihn senkrecht durch die Rinde weit in das feste Holz hinein. Langsam versinkt er tiefer und tiefer und mit ihm senkt sich der Hinterleib, bis er zuletzt die Rinde berührt. Ein paar Minuten dauert die Arbeit, dann wird der Bohrer herausgezogen, was ganz bedeutend schneller geht, und gleich darauf wird an andrer Stelle die mühsame Leistung wiederholt. Nach jedem Einstich gleitet natürlich ein Ei in die Tiefe des Holzes hinein. Was weiter geschieht? Nun, der Kundige weiß es. Die aus den Eiern schlüpfenden Maden, die statt der Beine am Hinterleibe einen dornigen Nachschieber haben, fressen sich gleich den Borkenkäfern langsam durch das Holz hindurch, wobei der Tunnel wie bei jenen entsprechend dem Wachstum der Wespenlarve immer mehr an Umfang gewinnt. Erst nagen sie nach der Stammitte zu, dann aber, etwa halb ausgewachsen, führen sie eine Kurve aus und kehren zurück nach der Stammoberfläche, wo schließlich ihre Verpuppung erfolgt. Die Zeit, die die Larve im Holz verbringt, schwankt innerhalb weitgesteckter Grenzen. Sie kann schon nach Ablauf eines Jahres reif zu ihrer Verpuppung sein, braucht jedoch meistens die doppelte Zeit. Ja es kommt vor, daß die fertige Wespe sich erst nach Verlauf von drei oder vier Jahren aus ihrem Gefängnis ins Freie nagt, wenn der Stamm längst zu Bauholz verarbeitet ist. Eine Verwandte der Riesenholzwespe mit schwarzblau schillerndem Hinterleib, beim Männchen mit breitem roten Gürtel, hält sich in Kiefernwäldern auf ( Sirex juvencus), eine dritte Art, die Tannenholzwespe ( Xeris spectrum), in beiden Geschlechtern schwarzbraun gefärbt, bohrt ausschließlich Tannen und Fichten an.

Noch eine weitere Hautflüglergruppe ist neben den Holzwespen und den Schlupfwespen in den Nadelwäldern vertreten, die der Blattwespen ( Tenthredinidae). An das Bild der eigentlichen Wespen, die überall zu erscheinen pflegen, wo Süßigkeiten zu schlecken sind, darf man bei diesen Tieren nicht denken. Die typische Zeichnung aus Gelb und Schwarz, an der wir jene Wespen erkennen, ist ebensowenig bei ihnen zu finden wie die geschnürte Wespentaille. Ihr Hinterleib ist wie bei den Holzwespen seiner ganzen Breite nach dem Bruststück des Körpers angeschlossen, und außerdem zeigen ihre Flügel ein wesentlich dichteres Adergeflecht. Am auffälligsten sind ihre Larven, die bei der Mehrzahl der Blattwespenarten täuschend Schmetterlingsraupen ähneln und deshalb auch »Afterraupen« heißen. Doch haben sie immer mehr Füße als jene, gewöhnlich drei Paar gegliederte Brustfüße und sieben bis acht Paar Afterfüße am zweiten bis neunten Hinterleibsring, während keine einzige Schmetterlingsraupe mehr als acht Paar Füße besitzt. Beim Fressen pflegen die Afterraupen auf dem Rand der Nadeln zu reiten, und viele haben die Gewohnheit, den Vorderleib fragezeichenähnlich frei in die Luft emporzurichten und taktmäßig hin- und herzupendeln, sobald sie sich beunruhigt fühlen. Wird die Belästigung ernstlicher, so lassen sie sich zu Boden fallen. Die häufigste unter den zahlreichen Arten, die Kiefern, Fichten und Lärchen befällt, ist die Kiefernbuschhornblattwespe ( Lophyrus pini), so genannt nach den federbuschartig vom Kopfe abstehenden Fühlern der schwarzen Männchen. Das Weibchen ist dunkelbräunlich gefärbt mit gelben Abzeichen am Hinterleib. Die vom Mai ab gesellig fressende Larve trägt ein grünlichgraues Kleid.

Nicht weniger häufig sind die Gespinstblattwespen, deren Afterraupen von denen der Buschhornwespen dadurch unterschieden sind, daß sie zwar ebenso viele Brustfüße, aber keine Bauchfüße haben, dafür aber ein Paar Nachschieberbeine am letzten Ringe des Hinterleibs. Den Namen Gespinst- oder Kotsackwespen verdanken sie der Eigentümlichkeit, daß ihre Larven niemals frei, sondern einzeln oder vergesellschaftet in selbstgefertigten röhren- oder sackartigen Gespinsten leben, in denen die Kotklümpchen hängen bleiben. Vereinzelt finden wir im Juli in drei- bis vierjährigen Kiefernkulturen die grünlichen Afterraupen von Pamphilius campestris in einem wurstförmigen Gespinst. Gesellig in einem gemeinsamen Schleier, der aber in seinem Innern wieder in Sonderkämmerchen abgeteilt ist, finden wir im Mai die Larven von Pamphilius erythrocephalus, immer jedoch auf schon älteren Kiefern oder Weimutskiefern im Walde.

Die Betrachtung der anziehendsten Insekten, die unser Nadelwald beherbergt, haben wir bis zuletzt aufgespart: der Ameisen, deren Gemeinschaftsleben bereits im grauen Altertum die lebhafte Teilnahme aller erweckte, die Sinn für das Naturleben hatten. Jedermann kennt die großen Hügel, mitunter über meterhoch bei zehn und noch mehr Meter Umfang, die die Ameisen mit unsäglicher Mühe aus Nadeln, Zweigbruchstückchen, Blatteilchen, Erdklümpchen oder ähnlichen Dingen im Walde aufzutürmen pflegen. Jeder kennt auch die Baumeister selbst, von denen es meist auf der Nestkuppel wimmelt, die Roten Wald- oder Hügelameisen ( Formica rufa). Daß aber ihre riesigen Haufen kein regelloses Durcheinander von Pflanzenüberresten sind, sondern Wunderbauten mit Kammern und Gängen, vielverschlungen und gut versteift, in denen Tausende von Arbeitern ununterbrochen wirken und schaffen, ist immer noch viel zu wenig bekannt. Es wäre anders schwer begreiflich, daß stockbewaffnete Waldwanderer so häufig der Versuchung erliegen, den Frieden des Ameisenvölkchens zu stören. Der kuppelförmige Oberbau mit seinen Ein- und Ausgangstoren ist immer nur eine Hälfte des Nestes, denn gleichgroße, selbstergrabene Anlagen schließen sich unterirdisch ihm an. Er ist jedoch nötig als Wärmesammler, der von der Sonne gehörig durchheizt, zum mindesten einen Teil seiner Wärme den unter ihm liegenden Kammern spendet. Besäßen wir wie der Derwisch im Märchen mit Zaubersalbe bestrichene Augen, um auch Verborgenes wahrzunehmen, so würden wir im Innern des Hügels einen bedeutenden Teil seiner Insassen eifrig damit beschäftigt finden, Larven und Puppen umherzutragen. Bald sähen wir sie die »Zukunft des Staates« aus den Kammern im Erdgeschoß in die höheren Hügelstockwerke schaffen, vielleicht auch ganz an die Außenwelt zu einem Luft- und Sonnenbad, bald umgekehrt aus den oberen Räumen in weiter unten gelegene, immer jedoch an solche Stellen, wo um die betreffende Tageszeit die günstigste Wärme vorhanden ist. An sonnigen Tagen ruht der Nachwuchs stets in den oberen Teilen des Haufens, just dort, wo frevelnder Übermut in der Nestumhüllung zu stochern liebt.

Auch ohne die wunderwirkende Salbe erleben wir Sehenswertes genug, wenn wir dem dauernd sich wandelnden Bilde des äußeren Hügels Beachtung schenken. Zwei Formen von Ameisen nehmen wir wahr, flügellose, die in Menge die Oberfläche des Nestes bevölkern, und solche mit Flügeln, die im Gewimmel nur vereinzelt zu finden sind. Die ersten sind Arbeiter, allzeit geschäftig, die zweiten »Geschlechtstiere«, Männchen und Weibchen, die lediglich die Aufgabe haben, die Artfortpflanzung sicherzustellen, und deshalb im Gewühl der Arbeiter planlos umherzuirren pflegen. Gewöhnlich treten in Ameisenstaaten Geschlechtstiere nur zu bestimmten Zeiten, meistens im Juni und Juli auf, um dann gemeinschaftlich in Schwärmen zum Hochzeitsfluge aufzubrechen. Bei unserer Roten Waldameise erscheinen sie während des ganzen Sommers. Die Männchen sind schlanker als die Weibchen und haben erheblich größere Augen, obgleich ihr Kopf sonst kleiner und flacher als bei den geflügelten Weibchen ist. Und noch mehr läßt uns das muntere Treiben der emsigen Hügelbewohner sehen. Wir bewundern die unerwarteten Kräfte, die diesem Volk der Insektenzwerge das Tragen von großen und schweren Lasten mit Hilfe der Kiefer möglich machen, sowie das bemerkenswerte Geschick, mit dem sie ihrer Bürde zum Trotz jedes Hindernis leicht zu bewältigen wissen. Und schließlich lernen wir noch die Art ihrer Angriffs- oder Verteidigungswaffen im Kampfe mit Störenfrieden kennen. Zwar einen Stachel wie andere Arten besitzen unsere Rufa nicht, wohl aber ebenso wie jene einen wirksamen Giftapparat. Erst bringen sie mit ihren Kiefern dem Gegner eine Wunde bei und krümmen alsdann ihren Hinterleib mit großer Schnelligkeit nach vorn, um Gift in die Bißwunde zu befördern. Um zu erfahren, wie kräftig die Ameisen ihre Giftsalven ausspritzen können, brauchen wir gar nichts weiter zu tun, als sie an heißen Sommertagen ein wenig in Unruhe zu versetzen, etwa durch einen leichten Schlag mit einem dünnen beblätterten Zweige auf die Kuppel ihrer Burg. Sofort steigen danach zahlreiche Strahlen halbmeterhoch vom Nesthügel auf, die wir im Sonnenlicht blinken sehen. Fangen wir mit der flachen Hand, dicht über die spritzenden Tiere gehalten, die ganze Fülle der Strahlen ab, so wird sie befeuchtet und riecht durchdringend nach Ameisengift, das wir als Ameisensäure bezeichnen.

Eine zweite nicht seltene Nadelwaldart, die glänzendschwarze Holzameise ( Lasius fuliginosus), bevorzugt für ihre Nestanlage die Nähe alter, vermorschter Stümpfe, die schon von vielerlei Holzinsekten, besonders Bock- und Schnellkäferarten in allen Teilen durchbohrt worden sind. Sie ist die einzige deutsche Ameise, die sogenannte Kartonnester baut und zur Erzeugung dieses Kartons das aus den Stumpen entnommene Holzmehl (häufig mit Erde untermischt) und eine ihrer Kieferdrüse entstammende leimige Masse verwendet. Das Innere ihrer großen Bauten ist auch wieder wie bei der Waldameise ein Irrgarten aus vielen Gängen und Kammern, die durch den Karton voneinander getrennt sind. Die Wände aller Innenräume sind samtartig von einem Pilz überzogen, von dem man annimmt, daß ihn die Ameisen absichtlich in ihren Nestern züchten. Wir erinnern uns dabei der Borkenkäfer.


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