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Neuntes Kapitel.
Frühling

Nachmittags, als alle, auch der alte Franz, um den Familientisch von Mutter Huber sich reihten und Käte in den schönsten Tassen, die der Schrank hatte hergeben müssen, den Kaffee kredenzte, kam erst so recht das Erzählen und Erklären an die Reihe, und Kätchen mußte immer wieder erinnern: »Bitte, mein Tantchen, laß den Kaffee nicht kalt werden,« denn die gute Alte setzte immer wieder die Tasse aus den Händen vor all dem Wunderbaren, was sie vernahm und was sie umgab. Das ganze Haus sollten sie bewohnen. Auf der einen Seite sie und ihr liebes Kätchen, auf der andern der junge Buchbindermeister Maihold, dem Erich Serranto dort die Werkstatt mit allem Nötigen hatte einrichten lassen. »Das eine Giebelstübchen mit Kammer behält natürlich unser Franz,« endigte der junge Künstler seine Erklärungen, »das andere, das ich früher bewohnte, soll unseres Kätchens eigenes Stübchen sein, ihr kleines Schmuckkästchen, in dem sie alle ihre liebsten Sachen und Sächelchen aufhebt. Nur wenn mich mein Weg auf Stunden oder Tage herführt, soll sie es mir für die Zeit überlassen, dann möchte ich ganz wieder hier zu Hause sein wie ehemals.«

»O Onkel Erich! Hier bist du zu Hause, und wie will ich, wenn du kommst, dein Daheim schmücken!« jubelte Kätchen mit freudestrahlendem Gesicht. »Blumen und Früchte sollen da sein und die Fenster weit auf, daß die alten, schönen Bäume hereingucken, wie du es immer so gern hattest. Und, einziges Tantchen, nun werde ich doch noch in diesem Herbst säen und pflanzen nach Herzenslust im Garten, in unserem eigenen Garten: Franz wird mir helfen, und du wirst nur sehen, welch ein Paradies wir dort schaffen werden.«

Mutter Huber hatte von all der Freude und Aufregung, die sie heute schon erlebt, fast ebenso hochrote Wangen bekommen wie Kätchen, aber trotzdem schüttelte sie recht nachdenklich den Kopf und wandte sich zu Erich Serranto mit den Worten:

»Nun liegt mir doch eine Frage schwer auf dem Herzen, lieber Herr Serranto. Haben Sie in Ihrer Herzensgüte den Kindern auch nicht gar zu große Opfer gebracht? Werden Sie selbst nicht darunter leiden? Und kann ich, die ich Ihnen doch eine Fremde bin, es wohl annehmen, mich auf meine alten Tage so versorgen zu lassen, mit Dach und Fach, mit einer so schönen, so wunderschönen Häuslichkeit?« Ihre Stimme zitterte, und in ihren Augen glänzten Tränen.

»Sie mir eine Fremde, Frau Huber?« rief Erich Serranto herzlich. »O nein! Sie sind meinem Herzen lieb und teuer durch alles, was Sie diesen Kindern Liebes getan. Und haben Sie denn damals, als Sie die Verwaisten bei sich aufnahmen, gefragt: Ist es nicht ein zu großes Opfer für mich? Werde ich nicht selbst darunter leiden? Nein, Sie haben nicht so gefragt, Sie sind den Kindern eine treue, liebevolle Mutter gewesen, und nun bitte ich Sie, auch mir, dem Bruder dieser Kinder, wie ich mich immerdar nennen werde, Sohnesrechte einzuräumen. Gott hat meinen ernsten Fleiß so reich gesegnet, ich habe so unverdient viel erworben, daß ich, ohne mich in Sorgen zu stürzen, ein doppelt so großes Heim hätte ankaufen können. Ihnen und den Kindern gehört es, Sie freuen sich darüber, aber der Glücklichste bin doch ich, der so lang Verwaiste, Heimatlose, der von nun an sagen kann: Ich habe Mutter und Geschwister, ich habe ein ›zu Hause‹. Nicht wahr, Sie mit Ihrem liebreichen Sinn, Sie werden mich und mein Glück verstehen?«

Mutter Huber konnte nicht antworten, aber Franz, dessen gutes Gesicht zuckte zwischen Lachen und Weinen, sagte statt ihrer: »Es ist gar nicht zu glauben, was dem Menschen in den alten Tagen noch begegnen kann.«

Kätchen sprang auf und streichelte sein Gesicht. »Guter, lieber Franz, bist du glücklich, bist du selig wie ich?« fragte sie fröhlich. Und sie zog ihn vor den Spiegel und sagte: »Sieh dich nur an, wie stattlich du in dem neuen Rock aussiehst und mit dem hübschen Sammetkäppchen. Ich hätte dich heute beinahe nicht wiedererkannt.«

»Aber ich dich gleich, liebe Käte,« sagte Onkel Erich, obwohl du tüchtig gewachsen bist und die lockigen Haare nicht mehr frei um Stirn und Nacken flattern. Dein liebes Gesicht ist aber noch ganz wie ehemals heller, lichter Sonnenschein, und aus den klaren Kinderaugen guckt ganz wie ehemals das wohlbekannte, fröhliche Brauseköpfchen.«

»O, Onkel, ich bin sicher kein Brauseköpfchen mehr. Glaub' mir's nur. Aber ich werde den Namen schon nicht mehr los, das sehe ich, und es schadet auch nichts, denn mein liebes Mütterchen hat mich oft genug so genannt und hatte mich doch trotzdem gar so lieb.«

Nach dem Kaffee wurde Hermanns Arbeitsstube besichtigt und dann ging es hinauf in Kätchens Stube, die gar reizend eingerichtet war. Am Fenster stand ein Nähtisch vor dem zierlichen Sessel. Seitwärts ein altertümlicher kleiner Schreibtisch, nicht ganz neu, aber von gutem Holz und von gediegener schöner Tischlerarbeit, gegenüber ein Sofa, eine Kommode mit hübscher Stutzuhr und ein kleiner Bücherschrank, dessen Fächer nur teilweise besetzt waren, da er auch Kätchens Schulbücher aufnehmen sollte. Die Ach und Oh, das Freuen und Bewundern nahmen kein Ende; aber nun mahnte Onkel Erich, daß es die höchste Zeit sei, sich zu dem heutigen Konzert zu rüsten, und so mußte sich Kätchen eilig so gut als möglich herausputzen.

Nach einer Stunde saß sie mit erwartungsvoll pochendem Herzen neben Frau Hohenau und Tante Josephe in der ersten Reihe des Konzertsaales. Mutter Huber fühlte sich von den freudigen Aufregungen des Tages so angegriffen, daß sie hatte daheimbleiben müssen, aber Elisabeth mit ihrer Mutter und den Schwestern war auch dort, da Erich Serranto den Freundinnen Kätchens Billette für den heutigen Abend zugeschickt hatte.

Und wiederum war der Saal dicht gefüllt, und jubelnder Beifallsruf empfing den jungen Künstler, als er sich zeigte. Er führte ein junges Mädchen an den Flügel, eine noch kindliche Erscheinung mit einem klugen, lieben Gesichtchen. Sie schien ängstlich und befangen, obwohl es nicht das erste Mal war, daß sie sich vor vielen hören ließ.

Doch wie groß war Kätchens Erstaunen, wie groß ihre Freude, als sie in der jungen Künstlerin auf den ersten Blick ihre Freundin Leonore erkannte!

Nachdem sie die ersten Akkorde fest und sicher mit den schlanken, wohlgeübten Fingern angeschlagen hatte und die Geige bald darauf einstimmte, da hatte die jugendliche Spielerin es vergessen, daß unzählige Augen auf sie gerichtet waren. Alle Befangenheit verschwand, die Töne rollten perlengleich zart und rein dahin und bildeten eine entzückende Begleitung zu dem Wohllaut der Geige. Wie Harfenklänge in weiter Ferne verhallten die letzten, leisen Schlußakkorde, und Kätchen schien es, als müsse die Decke des Saales verschwinden und Engelsköpfchen hereinschauen, den Himmelsklängen zu lauschen. Sie saß mit Elisabeth Hand in Hand, und es ging ihr, wie es dem alten Franz kürzlich geschehen war: sie war in tiefster Seele bewegt und fühlte, daß dieser Abend ein für immer unvergeßlicher für sie sei.

Als sie nach Haus kam, schilderte sie die herrlichen Stunden, die sie erlebt, ihrem Tantchen mit so lebhaften Farben, daß diese lächelnd sagte: »Also Onkel Erich ist ein Zauberer, dem alle Herzen gehören, und Lorchen Hohenau ist ein Engel, und Lieschen und Kätchen fliegen mit den beiden durch alle Himmel?«

»Ja, einziges Tantchen, ja,« versicherte ernsthaft Käte. »Solche Musik ist nicht von dieser Welt.«

In der nächsten Morgenfrühe reiste Onkel Erich ab, und als er die Schwelle des kleinen, trauten Hauses, dessen Bewohner, mit Ausnahme Hermanns, noch in süßem Schlafe ruhten, überschritten hatte, blickte er noch ein kleines Weilchen zurück auf die liebe Stätte. Wie hatte er sie einst verlassen, mit schmerzbewegter Seele, arm an Lebensfreude, arm an Hoffnung, und in welcher Stimmung wanderte er heute hinaus in die weite, schöne Welt! Das Herz erfüllt von Glück und Frieden, von freudiger Tatkraft zu ernstem Vorwärtsstreben – ging er einem reich bewegten, ihn befriedigenden Wirken entgegen.

Dunkle Wolken, Regenschauer und rauhe Luft verkündeten nun mehr und mehr das Nahen des Winters, aber die Bewohner des Maiholdhauses sahen ihm nicht mehr mit Bangen entgegen. An jedem Tage, da sich die Sonne noch freundlich hervorwagte, ward fleißig im Garten gegraben und gepflanzt, und die alten Bäume streuten farbiges Laub über die sorgsam angelegten Beete und Gänge, als wollten auch sie zur Verschönerung des herrlichen Gartens ihr Teil beitragen.

Kätchen besuchte täglich die Schule, und ein kräftiges Hausmädchen hielt Haus und Wirtschaft in Ordnung, so daß Mutter Huber nur die Oberaufsicht führte. Hermann war in fröhlicher Tätigkeit vom frühen Morgen bis zur Feierabendstunde. Er hatte zum bevorstehenden Weihnachtsfest so viel Arbeit in Aussicht, daß er sich einen Lehrling hatte zu Hilfe nehmen müssen, und sagte oft: »Es ist wohl wahr, das Handwerk hat einen goldenen Boden. Wenn mir Gott Gesundheit schenkt, da verdien' ich ja mehr, als wir gebrauchen.«

Der alte Franz hatte alle möglichen Ämter übernommen. Er half überall; in der Werkstatt, im Hause, im Garten, und die Schneiderei kam auch zuweilen noch an die Reihe, denn es gab bald dies, bald jenes auszubessern. Er konnte sich nicht erinnern, je in seinem Leben sich so glücklich gefühlt zu haben. Mit einem Dankgebet auf den Lippen begann er sein Tagewerk, mit einem Dankgebet ging er abends zur Ruhe.

Und so reihten sich die Tage und Wochen aneinander, still und doch bewegt, geschmückt durch das Schönste, was das Erdenleben bietet, durch sorgende Liebe, durch emsigen Fleiß.

Kätchens Geburtstag wurde in diesem Jahr überaus festlich begangen. Die Freundinnen waren nachmittags bei ihr, und das schöne Wollkleid, das sie ihrem lieben Brauseköpfchen als Angebinde brachten, mußte sie sofort anziehen, und es paßte richtig wie angegossen, da man sich heimlich ein Maßkleid zu verschaffen gewußt hatte. Aus Obernigk war von Frau Bartel eine mächtige Kiste angelangt, die einen selbstgebackenen, großen Kuchen, herrliches Obst und für den Winter allerlei angenehme Vorräte für die Speisekammer enthielt. Außerdem aber war noch ein zierliches Schmuckkästchen darin, in dem ein goldenes Kreuz lag, das Kätchen an ihrem Einsegnungstage, der im Frühling bevorstand, tragen sollte.

Onkel Erich schickte sein wohlgetroffenes Bild, zu welchem Hermann einen kunstvollen Rahmen geliefert, und der gute Franz hatte für Kätchens Stube ein Nadelkissen von rotem Tuch fabriziert, auf das er mit einem gewissen Stolz blickte, so prächtig nahm es sich aus.

»Ihr verwöhnt alle unsere Käte viel zu sehr,« sagte Mutter Huber mit einem Gesicht, das streng aussehen sollte und doch nichts als Güte aufwies »das liebe Mädel wird noch übermütig werden.«

Aber Kätchen umhalste ihr Tantchen und sagte ernst: »Nie, nie, geliebtes Tantchen. Da müßte ich nicht Käte Maihold heißen und nicht meines Tantchens Pflegetochter sein.«

Man war nun schon in der Weihnachtszeit, und manch Stündchen saßen die Freundinnen fleißig nähend und strickend in Kätchens hübscher Giebelstube, wo sich die Weihnachtsarbeiten so heimlich und ungestört wie nirgends fördern ließen. Auch heute, an einem kalten, hellen Sonntagnachmittag, waren sie dort beisammen, und Mutter Huber hatte dem lieben Kleeblatt soeben heißen Kaffee und Pfannkuchen hinaufgeschickt, als Käte mit erregtem Gesicht die Treppe förmlich hinabgesprungen kam und so hastig zur Tante eintrat, daß diese sich erschrocken umblickte und rasch fragte: »Was ist geschehen, Kätchen? Was ist es nur?«

Kätchens Gesicht aber sah fröhlich aus, sie schüttelte lebhaft den Kopf und rief atemlos: »Gott behüte, Tantchen, nichts Böses ist geschehen, aber bitte, komme nur schnell mit. Du steigst nun ja schon öfter hinauf. Nein – nein – es ist doch wie ein Wunder. Was nur Lorchens Mutter sagen wird!«

Vorsichtig hatte sie während dieser Worte ihr Tantchen die Treppe hinaufgeleitet und in ihr Zimmer geführt, in dem Elisabeth und Leonore an dem geöffneten Schreibtisch standen in augenscheinlich großer Aufregung.

»Sieh, wein Tantchen,« erklärte Kätchen in fieberhafter Eile, »ich wollte aus dieser kleinen Seitenschieblade des Tisches etwas herausnehmen, und sie ging heute nicht auf, durchaus nicht, und wie ich nun daran rüttle und ziehe und drücke, da gibt es plötzlich einen leisen Klang, als ob das Holz bricht, und ich bin zu Tode erschrocken, daß ich den Tisch beschädigt habe, und was ist's? Guck nur her. Ein kleines Fach ist plötzlich neben der Schieblade sichtbar geworden, und darin liegt dies.«

Mutter Huber nahm die wohlversiegelten zwei Briefe, die Kätchen ihr reichte, betrachtete sie aufmerksam und stand nun ebenso ergriffen und aufgeregt da wie die drei jungen Mädchen.

»Ist's denn wirklich Ihres Großvaters Handschrift, liebes Lorchen?« fragte sie lebhaft, »und hat ihm einst dieser Schreibtisch gehört?«

»Ja, seine Schrift ist es,« sagte Leonore, mit Tränen in den Augen; »aber ob ihm der Schreibtisch gehört hat, weiß ich nicht. Ich habe damals so wenig auf dergleichen geachtet. Könnten wir nicht Mama und Tante Josephe bitten lassen herzukommen? Sie sind gewiß zu Hause.«

»Ja, ich will gleich hinüberschicken,« sagte zustimmend Mutter Huber, »und will meine Pfannkuchen anpreisen lassen, damit die Mama nicht etwa erschrickt, wie ich vorhin.«

Leonore hatte indes wieder einen der Briefe zur Hand genommen und las noch einmal erstaunt die Aufschrift. Sie lautete: »Meiner geliebten Enkeltochter, Leonore Hohenau, zur Einrichtung ihres dereinstigen Wohnhauses, wobei sie sich des alten Großvaters erinnern möge.« Und ganz dieselbe Aufschrift trug auch der zweite Brief, nur daß dort der Name Marie Hohenau hieß.

Immer bewegter wurde Leonorens Herz, es war, als ob ein Gruß aus jener ewigen Heimat, der wir alle zupilgern, sie berührte. Sie sah lebhafter als je die ehrwürdige Gestalt des lieben Großvaters, der ihr so unendlich oft Freude bereitet hatte, sie sah im Geist die kleine, liebliche, so früh entschlafene Schwester vor sich und legte die Hände vor die Augen und weinte bitterlich.

Nicht lange währte es, da traten Frau Hohenau und Tante Josephe heiter ein und erfuhren nun sogleich das Ereignis, das alle Gemüter bewegte.

Beide waren tief erschüttert. Jetzt, nach Jahren einen Gruß des geliebten Verstorbenen, ein neues Zeichen seiner immer für die Seinigen besorgten Liebe, die er ihnen so oft, so lange Jahre hindurch bewiesen! Es lagen Wertpapiere in den Briefen die wohl nicht ein beträchtliches Vermögen, aber dennoch eine Summe ausmachten, die Leonorens Zukunft vor jeder drückenden Lebenssorge sicherte und die gegenwärtige Lage ihrer Mutter sehr verschönen mußte.

Mutter und Tochter saßen eng umfaßt, und beide konnten nicht so bald in eine ruhigere Stimmung gelangen. Tante Josephe aber betrachtete den kleinen, unscheinbaren Schreibtisch von allen Seiten und erkannte ihn wohl. Er war in den letzten Lebensjahren des Kommerzienrats nicht mehr in dessen Arbeitszimmer gewesen, da ein großes, schönes Schreibbüro ihm zum täglichen Gebrauch diente. Dies hatte sie nach seinem Tode sorgsam untersucht, aber den alten, längst in eine Ecke der Wohnstube verbannten kleinen Tisch nicht ihrer Aufmerksamkeit wert gehalten. Vor vielen Jahren mußte der Großvater diese Geschenke für die kleinen Mädchen hineingetan und bei der so plötzlich hereinbrechenden Katastrophe seiner Verluste und seines Todes gar nicht dieser Summen gedacht haben.

»Und du, meine liebe Käte, hast dies für uns in jedem Sinne so kostbare Weihnachtsgeschenk zutage gefördert,« sagte Frau Hohenau bewegt und zog die Freundin ihrer Tochter zärtlich an sich; »und dein Onkel Erich Serranto ist derjenige, der für dich gerade meines Vaters kleinen, unscheinbaren Schreibtisch auswählte! Großer Gott, wie wunderbar, wie unbegreiflich sind deine Fügungen!«

»Und ist's nicht, als ob die Stätte, wo einst gute Menschen wandelten, eine Stätte des Segens bleibt?« fragte Tante Josephe mit einem liebevollen Blick in Kätchens tränenfeuchte Augen. »Deine Eltern, du trautes Kind, haben viel Gutes gesät, und herrlich hat es Frucht getragen.«

»Jawohl,« stimmte Mutter Huber andächtig bei. »Es ist ein wahres Wort: Das Andenken der Gerechten bleibet ein Segen.«

Ein so freudevolles, schönes Weihnachtsfest wie das diesjährige hatten all die lieben Menschen lange nicht gefeiert, und auch Lieschen Blauäuglein und die Ihrigen hatten eine besondere Überraschung durch die Ernennung ihres lieben Vaters zum Oberregierungsrat.

Im glücklichsten Stilleben war der Winter vergangen, ehe man es gedacht, und immer früher guckte die liebe Sonne in den alten, herrlichen Vorstadtgarten, und unter ihrem warmen Blick färbte sich der Rasen grün, die Maßliebchen öffneten die verschlafenen Äugelein, und Krokus und Schneeglöckchen hoben ihre zarten Köpfchen aus dem dunklen Erdreich.

Und in rascher Folge schlüpften nun duftende Veilchen aus ihrem Blätterversteck, Palmschäfchen schaukelten in der linden Luft an den Bäumen, Flieder und Stachelbeersträucher zeigten kleine, grüne Blättchen, und der mächtige, alte Kastanienbaum stand im vollen Frühlingsschmuck halb entfalteter Blätter und glänzender Blütenknospen.

Ja, nun wurde es von Tag zu Tag herrlicher in Gottes weiter Welt, herrlich auch in jedem Garten und Gärtchen, und wenn die Freundinnen vor das Tor spazierten, wo alle Wiesen im Maiengrün prangten, besät von zierlichen Blüten, wo die Lerchen jubelnd in den Äther stiegen und zarte Wolkenschäfchen am lichtblauen Himmel schwebten, da rief Lorchen Wünschereich oft sehnsüchtig: »O wär' ich ein Vöglein und könnte hinauf mit der Lerche und solch ein Wolkenschiff besteigen und dahinschweben in die weite, schöne Welt!« Waren sie aber im Vorstadtgarten und freuten sich dort jeder Blüte, jedes grünschimmernden Strauches, dann hieß es wieder: »Kätchen, wie glücklich bist du! Ein eigener Garten ist eine wahre Freudenquelle. Ich wünschte, bei jeder Wohnung wäre ein solcher!«

Die drei Freundinnen hatten gemeinschaftlich Konfirmationsunterricht gehabt, und sie wurden gemeinsam an demselben Tag an heiliger Stätte eingesegnet.

Es war ein ernster Tag, nicht nur für die jungen Mädchen selbst, sondern auch für die Angehörigen. Da das sonnigste Frühlingswetter den Tag verschönte, hatte Mutter Huber die Bitte ausgesprochen, in ihrem Garten die Nachmittagsstunden zu verleben, und so fanden sich Elisabeth mit Mutter und Geschwistern und Lorchen in Begleitung von Mutter und Tante dort ein.

In ernster, weihevoller Stimmung blieben alle in trauter Unterredung beieinander, wandelten durch die mit grünendem Laub gesäumten Wege des schönen Gartens und erfreuten Auge und Herz an der Frühlingsherrlichkeit.

Die jungen Mädchen aber gelobten sich's mit Hand und Mund, dem Gelübde, das sie heute abgelegt, treu zu bleiben ihr ganzes Leben hindurch, treu zu bleiben aber auch der herzlichen Freundschaft, die sie miteinander verband, den unvergeßlichen Erinnerungen der schönen, fröhlichen Kinderzeit.

Der Tag neigte sich zu Ende; die lieben Freunde hatten sich entfernt und Mutter Huber und Franz hatte die Abendkühle in das Zimmer getrieben. Nur die Geschwister gingen noch Hand in Hand auf und ab unter den alten Bäumen, leise flüsternd, in feierlicher Stimmung.

Nun setzten sie sich auf die Bank unter Kätchens Lieblingsbaum und schauten still um sich.

»Hermann,« sagte Kätchen froh bewegt, »wie glückselige, reiche Menschen sind wir doch auf Gottes schöner Erde!«

»Ja, geliebte Schwester, das sind wir und wollen uns immer würdig dieses Glückes zeigen. Und kommen auch zuweilen trübe, schwere Tage, wir haben es ja erfahren, sie gehen vorüber und wandeln sich in Freuden. Die letzten Worte, die ich aus dem Munde der Mutter hörte, sie sind wahr und sollen uns unvergeßlich bleiben.«

Kätchen kannte die Worte gar wohl; der Bruder hatte sie ihr immer und immer wiederholt, und sie sagte leise und feierlich: »Gottes Güte und Weisheit wird alles fügen, wie es für uns am besten ist. An diesem Glauben wollen wir treulich festhalten in jeder Lebenslage.«

Der Mond zog hellschimmernd, wie ein kleiner, goldener Nachen, am Abendhimmel herauf, im Grase zirpten die Graspferdchen, und mit fröhlichem Zwitschern rüsteten sich in den Baumkronen die Sperlinge zur Nachtruhe.

Hand in Hand schritten die Geschwister dem Häuschen zu, aus dessen Fenstern heller Lichtschein gastlich winkte, und drin im Stübchen, am sauber gedeckten Tisch, saßen seelenvergnügt Mutter Huber und Franz, die Rückkehr der Kinder erwartend, und der alte Franz sagte mit frohem Lächeln:

»Welch ein Tag das nun wieder war! Sonnenschein von früh bis Abend. Es ist gar nicht zu sagen, was der Mensch in seinen alten Tagen noch Gutes erleben kann.«

 

Ende

 


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