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Erste Abteilung.
Begriff und Wesen der Philosophie.


Einleitung.

Wenn ein Naturwissenschaftler eine Einführung in die Naturwissenschaft ankündigt, wird kaum große Meinungsverschiedenheit über die allgemeine Hauptaufgabe und den zu behandelnden Gegenstand entstehen können: Man wird mit Recht, wenn wir den Wegen der Naturwissenschaft auch nur von ferne zuschauen, die Behandlung des großen Erlebnisses unserer sehenden, hörenden, fühlenden und greifenden Eigennatur erwarten, das wir alle schlechthin mit dem Namen »Natur« belegen, als das Außerunsseiende, das von unserer persönlichen Tätigkeitssphäre Unabhängige, das gewaltige unser eigenes Selbst einengende, in Schranken haltende Sein. Man wird von dem Forscher auf dem Gebiete der Naturwissenschaft eine allgemeine Grundlegung über die Art der wissenschaftlichen Behandlung dieses in seinen allgemeinen Umrissen uns allen wohlbekannten Gegenstandes fordern. Man wird nach dem Grunde der Einteilung des weiten Gebietes der erlebbaren Natur zum Zwecke wissenschaftlicher, d. h. allgemeingültiger und notwendig anzuerkennender Erkenntnis fragen müssen. Man wird fordern, über die allgemeinen Mittel und Methoden wissenschaftlicher Forschung, soweit sie für jedes einzelne Gebiet der künstlich zerlegten Natur in Betracht kommen und sich bewährt haben, zur Erlangung fortschreitender Erkenntnis im allgemeinen unterrichtet zu werden. Der Naturwissenschaftler, der einleitend über die wissenschaftliche Forschung auf seinem Gebiete berichtet, wird mit Recht davon absehen, Resultate der Forschung vorzutragen, die so ungeheuer zahlreich, von so weitgehender Bedeutung und von so verschiedenartiger Begründung sind, daß sie in einer »Einführung« kaum berührt werden dürfen. Aber wo er auch immer solche Resultate aufweist, wo er Methoden und Forschungsmittel seiner Wissenschaft prüft, zu ihnen freundliche oder feindliche Stellung einnimmt, stets wird er sich in Übereinstimmung zu setzen bestrebt sein mit der großen Anzahl gleicher Forscher, stets wird er eine Kontinuität zu wahren suchen, die Jahrzehnte oder Jahrhunderte hindurch zu verfolgen ist. – Der Naturwissenschaftler hat nicht nur die Möglichkeit, auf einen allen denkenden und erlebenden Geistern unmittelbar gegenwärtigen, in seiner unwissenschaftlichen, erlebnisfähigen Formung bekannten Gegenstand hinzuweisen, stets dem sinnlichen Auge und dem lebendigen Leben lebensvolle Bilder und Beispiele zu geben, stets die Folgen einer entgegengesetzten Theorie oder einer naturwissenschaftlichen Unkenntnis darzutun, er kann auch Werke vorlegen, von denen er in Übereinstimmung mit der Gesamtheit der Forschenden sagen kann: »Hier ist Naturwissenschaft, hier sind Lehrbücher der Chemie, der Biologie, der Astronomie, der Physik, der Anatomie, der Zoologie, der Botanik usw.« – Bis tief hinein in das tägliche Leben ragen die Resultate des naturwissenschaftlichen Erkennens und bürgern sich ein in das Vorstellungsvermögen auch des der wissenschaftlichen Forschung völlig Fernstehenden. Man braucht nur an die Medizin oder Heilwissenschaft zu erinnern, die ihre Ergebnisse mit Messer und Saft auch den Ungläubigsten deutlich und fühlbar zu machen weiß, der man in hoher Wertung ihrer für das Leben nützlichen Resultate Standorte der Wirksamkeit zu bauen pflegt. Niemand wird dem Naturwissenschaftler das Recht der Existenz oder die allgemeine Gültigkeit seiner Ergebnisse bestreiten. – Viele sehen in der Naturwissenschaft teils aus der Enge ihres Horizontes heraus, teils von wirklicher Einsicht geleitet die eigentliche und einzige Erkenntnis und in der Anwendung naturwissenschaftlicher Ergebnisse das Heil und die Heilung der Menschheit.

Das gleiche wie von der Naturwissenschaft, oder besser gesagt, vom Naturwissenschaftler, gilt im großen und ganzen vor allen Dingen auch von der Mathematik, der ältesten Wissenschaft, von der wir heute wissen. Seit den Pythagoreern und lange vor ihnen macht die Mathematik, die Geometrie sowohl wie die Arithmetik, eine geradlinige Entwicklung durch, und so viel auch über das Wesen der Mathematik, über ihre Erkenntnismittel und -arten gestritten sein mag, so wenig ist von diesem Streite die Mathematik selbst berührt und von dem Wege, der zur Bereicherung ihres Inventares geltender Sätze führt, abgelenkt worden. Alt und älter als alle Naturerkenntnis, die wir heute noch anerkennen, ist die Mathematik das eigentliche Wahrzeichen einer allgemein gültigen durch die Zeiten und Lebensverhältnisse nicht erschütterten Erkenntnis der Gesamtmenschheit und der einzelnen Menschengruppen. Die Lehrbücher des Euklides und die Lehrsätze des Pythagoras stehen seit Jahrtausenden fest, und immer wieder erlernt die werdende Menschheit die Wahrheiten, die jenseits der Zeit und jenseits der zeitlichen Entwicklung der Menschheit stehen. Gegenüber der Naturwissenschaft aber, die zweifellos auf einem sicheren Forschungsgange sich befindet und in ihren Inventarien und Lehrbüchern naturwissenschaftliche Wahrheiten enthält, die auch für künftige Zeiten unumstößlich sein werden, hat die Mathematik das Eigentümliche an sich, daß sie zum Erleben des nicht ausdrücklich auf Erkennen gerichteten Menschen nichts spricht und daß sie so gut wie gar keine Beziehungen zu den täglichen, den sinnlichen, den natürlichen, den von allen Menschen anerkannten Bedürfnissen der Menschheit hat. Gleichwohl – man mag an diesem aristokratischen, aus dem geistigen, nicht aus dem sinnlichen Bedürfnis des Menschen emporgewachsenen Wesen der mathematischen Wissenschaft zweifeln oder nicht – auch sie kann stolz und unbeirrt auf Inventarien hinweisen, die Wahrheit enthalten, denen wir die Anerkennung nicht versagen können, sobald wir überhaupt in der Lage sind, den Erkenntnisweg der Mathematik zu verstehen. Und wollte jemand von einer »Einleitung in die Mathematik« reden, so könnte ebensowenig, wie bei der Naturwissenschaft, ein Zweifel über das allgemeine Gebiet einer solchen Aufgabe entstehen.

Völlig anders verhält es sich mit der Philosophie. Anscheinend gibt es hier keine greifbaren, keine fühlbaren, sichtbaren und sinnlich aufweisbaren Resultate. Keine Lehrbücher, Inventarien, in denen unbedingte Resultate der philosophischen Wissenschaft bewahrt werden, können den gleichen Anspruch auf Anerkennung erheben wie die der Naturwissenschaft oder der Mathematik. Kein Gegenstand, der dem allgemeinen Erleben, d. h. dem Erleben aller Menschen faßbar oder respektabel wäre, auf den man hinweisen kann, um Resultate philosophischer Forschung verständlich zu machen und dem Erleben näher zu rücken, unterstützt die philosophische Forschung und macht ihre Resultate glaubhaft und lebendig. Während Naturwissenschaft und Mathematik – jene ihrer praktischen Erfolge wegen und diese um ihrer unbestrittenen Lehrsätze willen – unabhängig von der allgemeinen Achtung und der allgemeinen Vorliebe für sie sind, während es für die Naturwissenschaft und die Mathematik ganz gleichgültig ist, wie weit man ihnen die Kraft und das Recht zugesteht, das ganze Gebiet des Wissens und des zu Wissenden zu durchmessen, erscheint die Philosophie aller Zeiten von solchen Werturteilen nicht unabhängig. Während Naturwissenschaft und Mathematik zu allen Zeiten, selbst in ihren Resultaten unverstanden, dem gewöhnlichen Vorstellen gegenüber hinreichend legitimiert werden, leidet die Philosophie seit Jahrtausenden unter dem völligen Unverständnis, ja einer Feindseligkeit, der sie bei der Allgemeinheit begegnet. Wie alles in seinem Werden und Wachsen von der Wertung und von den Opfern der Allgemeinheit abhängig ist, so ist es zu ihrem Schaden auch die Philosophie. Denn greifbare und für das sinnliche Leben verwertbare Resultate verlangt noch immer das allgemeine Werten der Menschen, wo es nicht, überredet durch den Zwang notwendiger Sätze, wie in der Mathematik, zu seiner Einstimmung gezwungenermaßen herangezogen wird. In ewigem Kampfe mit den Wissenschaften, vornehmlich Naturwissenschaft und Mathematik, die gleiches zu leisten behaupten wie die Philosophie, die mit ihren Erkenntnismethoden das ganze für die menschliche Erkenntnis erreichbare Gebiet bearbeiten zu können behaupten, die innerhalb des menschlichen Erkenntnisgebietes die Existenzberechtigung einer Wissenschaft, die den Namen »Philosophie« tragen könnte, nicht anerkennen, wird die Philosophie selbst von ihrer Entwicklung und oftmals wie es scheint, von ihrem Eigenprinzipe abgelenkt. Die Geschichte der Geistesentwicklung der Menschheit zeigt zudem einen ewigen Kampf zwischen den die Völker beherrschenden Religionen und Sitten und dem, was sich der Religion an die Seite zu stellen wagt, als eine Wissenschaft von einem gleichen im religiösen Fühlen zunächst erfaßten Gegenstand. Dort, wo die Religionen zu festen öffentlichen Glaubensbekenntnissen, zu kirchlichen Dogmen wurden und die kirchlichen Dogmen zu weltlichen Zwangsmaßregeln auswuchsen, ist die »Weltweisheit«, wie man auch die Philosophie zu nennen pflegt, in einer beständigen Gefahr. Die Wahrheit, die die Philosophie zu suchen und zu verkünden hat – und Wahrheit scheint doch der Sinn und der Zweck aller Erkenntnis zu sein – ist über gewisse Gegenstände oft nur in bestimmter Form von der Zeit erlaubt und in bestimmter Form durch die Zeit bedingt als Spiegel der aus anderen, nicht aus Wahrheitsgründen eingerichteten Welt. Während Mathematik und Naturwissenschaft wenigstens im großen und ganzen, offenbar wegen der Besonderheit ihrer Gegenstände, unbehindert durch die in der Welt und in den einzelnen Völkern geltenden Einrichtungen, ungestört durch die Sitten und Gesetze der Völker sich entwickeln durften, scheint es dem ersten Anblicke nach, als sei dies der Erkenntnis, die man Philosophie zu nennen sich gewöhnt hat, nicht vergönnt gewesen. Es scheint ihr Schicksal gewesen zu sein, das aus der Geistesgeschichte der Völker uns klar hervorleuchtet, vom zufälligen Zustande der Welt abhängiger zu bleiben als andere Wissenschaften. Es schillert oft in ihre Wahrheit die Wahrheit, der Sinn, der Wert der einzelnen Zeiten, der einzelnen Völker und der einzelnen Zeitströmungen hinein.

Man braucht nur an die großen, immer mit der Philosophie zusammengenannten Bundesgenossen des Menschengeistes zu erinnern, um deutlich werden zu lassen, daß diese Abhängigkeit der Philosophie von den Zeitumständen und den Verhältnissen der Welt kein typisches, im Wesen der Philosophie liegendes Merkmal ist: an die Kunst und an die Religion. Wir reden und glauben alle an eine wahrhaft letzthin große Kunst und eine wahrhaft tiefe, den magern Mitteln der Sprache unaussprechliche Religion und sind uns bewußt, daß beide Geburten des menschlichen Geistes im steten Wechselverhältnis zu dem in den einzelnen Zeiten der Weltgeschichte verschiedenartig auftretenden Geiste der Völker stehen, ein Wechselverhältnis haben zu den in der Zeit gewerteten und mit Opfern bedachten Dingen. Vielleicht sind Kunst und Religion ebenso deutliche und ebenso undeutliche Sprachen des wahren Geistes der Menschen, die den vollen Sinn der Menschheit auszudrücken versuchen, wie es die Philosophie auf ihre Art und mit ihren Mitteln zu sein versucht. Vielleicht, daß hier, nur auf andere Art, in anderer Form Wahrheit zum Ausdruck kommt, wie in den Systemen der Weltweisheit aller Zeiten! Wir müssen diese Frage problematisch lassen, um uns auf sicherem Wege einigermaßen aus dem Wirrwarr zu dem Begriffe der Philosophie hinzufinden, den man gebrauchen darf, um von einer »Einführung in die Philosophie« als einer Einleitung in ein Wissensgebiet zu reden.

Bringen wir uns zu diesem Zwecke vorerst zum Bewußtsein, welche Ansprüche an die Philosophie allgemein gestellt, welche allgemeinen Postulate an sie gerichtet werden müssen, damit sie das Recht bewahrt oder das Recht erhält, in dem Umkreis der Erkenntnistätigkeit, in das Gebiet des fortschreitenden Wissens eingestellt zu werden! – Es ist zweifellos, daß wir für diese Stellung hauptsächlich und allein fordern müssen, daß Philosophie Wissenschaft sei. Wissenschaft aber ist die Tätigkeit des menschlichen Geistes – woher er auch immer sein und wozu er auch bestimmt sein möge – die auf allgemein gültige, notwendige d. h. von allen erkennenden Wesen anzuerkennende Resultate abzielt, sich bewußt einem Wissensziele hinwendet, das jenseits aller persönlichen, subjektiven Zwecke gelegen ist. Alle Wissenschaft muß den subjektiven, den persönlichen Grund, aus dem heraus sie ein Objekt, es zu erkennen, ins Auge faßt, abzustreifen und Formeln und Gesetze zu finden suchen, die nicht nur dem subjektiven Erleben und persönlichen Fühlen Inhalt und Nahrung bieten, sondern für alle, die gleichen Objekte betrachtenden Wesen geltend und bindend sind. Jede Wissenschaft sucht im Umkreise gewisser Bedingungen, gewisser Sätze, gewisser Zwecke, gewisser Axiome, an die sie sich vor Eintritt in die Forschungstätigkeit gebunden weiß, einen Teil des dem naiven Bewußtsein zugänglichen Erlebens in objektive Formeln zu bringen, in diesem Erleben objektive Grundsätze festzustellen, die immer wieder, zu allen Zeiten und für alle erkennenden Geister gleich sind. Dabei ist es gleichgültig, ob die Wissenschaft die Gründe der geltenden Erkenntnis in das Erkennen, in die Erkenntnistätigkeit, in die Erkenntnisfunktionen oder in den erkannten, scheinbar in das erkennende Bewußtsein hineingezogenen Gegenstand verlegt; wesentlich bleibt nur der Wissenschaft, daß sie Geltendes zu formen sucht: entweder den dem Subjekt erscheinenden Gegenstand zu einem objektiven oder durch etwas jenseits des Subjekts Liegendes, den subjektiven Geist zu einem objektiven zu machen bestrebt ist. – Die Philosophie muß also ebenfalls Resultate erstreben, die unwandelbarer Natur und unabhängig von persönlich subjektiven Gründen und Bedürfnissen der Zeit und der Völker und des Einzelnen sind. Nur so wird sie Wissenschaft sein können, gleichgültig, welchen Teil der möglichen menschlichen Erkenntnis sie für sich in Anspruch nimmt, gleichgültig, ob sich die gefundenen Resultate als ewige oder nur als vorläufige vor dem Richterstuhl der fortschreitenden Erkenntnis erweisen. Innerhalb dieses allgemeinen wissenschaftlichen Rahmens aber, der nur die Tendenz bestimmt, hat die Philosophie tausend Möglichkeiten, nicht nur um Wissenschaft, sondern um eine bestimmte Wissenschaft zu sein. Mag man unter Philosophie sonst noch verstehen, was man will, nur soweit Philosophie Wissenschaft ist und zu sein sich bestrebt, soweit sie nach allgemein gültigen Resultaten des nach Erkenntnis erlebter Dinge hinstrebenden Menschengeistes zielt, kann und darf sie Gegenstand einer Erörterung sein, die auf ein Wissensgebiet hinführen will.

Eine »Einführung in die Philosophie« muß also – welchen Weg sie immer gehen mag – an ihre Spitze den Satz stellen, daß Philosophie Wissenschaft ist, daß Philosophie Wissenschaft sein will und immer sein wollte. Sie kann von keinem Sinn und keinem anderen Begriff der Philosophie handeln und muß sich grundsätzlich jedem Begriffe der Philosophie, der nicht diese allgemeine Form in sich anerkennt, verschließen. Aber eben durch diesen Satz ist nur die Weite der Möglichkeit gegeben, innerhalb deren das bestimmte Gebiet der Philosophie erst zu umgrenzen ist, indem man ausgeht, ohne ausdrücklich darauf Bezug zu nehmen, von den mannigfaltigen Versuchen, die die Geschichte der Völker mit dem Namen der Philosophie versehen hat.

Eine »Einführung in die Philosophie« kann im Hinblick auf die Stellung der Philosophie im Geistesleben nicht anders, als von der Tatsache des Zweifels an dem Rechte der Philosophie anheben, einem Zweifel, der ihr gefährlich ist und gefährlich sein muß. Sie kann nicht sagen: »Hier sind Lehrbücher der Philosophie, hier sind Kompendien, deren Resultate vielleicht immer wieder überholt werden durch den Fortschritt der sich weitenden Erkenntnis, deren allgemeines Schema aber hier festgelegt ist und deren allgemeine und besondere Resultate von hier aus zu begreifen sind«. Sie kann sich zunächst nur an die Tatsache hängen, daß zu allen Zeiten und in allen Völkern, in denen denkende und erkennende Menschen lebten, Philosophie gewesen ist und daß immer wieder von neuem nach Zeiten philosophischer Erlahmung Zeiten des Triumphes der Philosophie über alle anderen Wissenschaften, Zeiten der Blüte philosophischer Systeme kamen. Eine »Einführung in die Philosophie« muß dahin allein streben, die allgemeinsten Tendenzen festzuhalten, die im Wesen und im Begriffe der Philosophie liegen, mögen sich die Resultate der philosophischen Forschung noch so sehr gewandelt haben, mögen die erreichten Ziele in gleichen aber voneinander verschiedenen Zeiten noch so fern voneinander liegen. Eben des Zweifels wegen an dem Rechte der Philosophie, der scheinbar durch die Gegensätzlichkeit philosophischer Systeme und Überzeugungen einen Rechtsgrund erhält, müssen wir mit dem Begriff der Philosophie beginnen, um von dem Wesen dieser eigentümlichen Wissenschaft uns eine Vorstellung zu machen. Von der Klarheit des Wesens der Philosophie aus werden wir dann die besonderen Aufgaben, die eigentümlichen Gebiete kennen lernen, über die sich das philosophische Denken erstreckt oder die sich das philosophische Denken erschafft. Wir werden keine Resultate der philosophischen Tätigkeit zu sammeln, aber doch mögliche Resultate zu beleuchten haben. Eine »Einführung in die Philosophie« ist nur eine Einleitung in die objektiven Gründe des philosophischen Denkens, ein Hinführen bis an die Grenzen spezifisch-philosophischen Forschens, wo die besondere Forscherarbeit einsetzt, wo aus besonderen Gründen und Bedingungen besondere Resultate erwachsen.

Wir handeln deshalb zunächst von Begriff und Wesen der Philosophie und ihren Einteilungsgründen in Spezialgebiete. Wir haben alsdann, wenn uns dieses völlig einleuchtet und wir das Wesen der Philosophie in allen seinen Verhältnissen erkannt haben, von den etwa vorhandenen Lehrmitteln, Kompendien, Inventarien der philosophischen Wissenschaften und den Forschungsmitteln der Philosophie zu sprechen, dem Beispiele aller Wissenschaften folgend, für die ein Handmaterial von ebensolcher Notwendigkeit ist, wie für den Arzt seine Instrumente und den Arbeiter sein Handwerkszeug. Wir haben auf die Geschichte der Philosophie unsere Aufmerksamkeit zu lenken, um zu erfahren, inwiefern die philosophischen Resultate feste Bestandteile für eine Entwicklungsreihe hergeben. Mit der Erörterung des Sinnes der »Geschichte der Philosophie« ist die des Rechtsgrundes einzelner in sich geschlossener philosophischer Systeme und die Diskussion der Frage eng verbunden, wieweit in der Tat nicht nur subjektiv, sondern objektiv die Vereinzelung solcher Systeme besteht, die nicht nur als Kuriositäten des menschlichen Denkens, sondern als Bestandteile seiner Entwicklung innerhalb der Geschichte der Philosophie ihren Platz gefunden haben. Schließlich wird uns dann für den ersten Teil dieser Einführung, d. h. vor Eintritt in die Überschau über die einzelnen Resultatgruppen kurz noch interessieren, welchen Nutzen die Philosophie dem Einzelnen oder der Gesamtheit bringt, eine Frage, die mit der anderen eng verbunden ist, welcher Opfer der Gesamtheit der Kulturschöpfer oder des Einzelnen die Philosophie für wert gehalten worden ist. Erst nach Klärung dieser allgemeinen Hauptfragen einer »Einführung in die Philosophie« dürfen wir uns für genügend gerüstet halten, in einen besonderen Teil einzutreten, der Besprechung der Haupttendenzen auf dem Gebiete philosophischer Einzelarbeit. Auch hier darf es nur ausschließlich auf die Tendenz ankommen, zur Erkenntnis, zum allgemein gültigen Wissen in einer besonderen Form beizutragen, nicht aber auf die Besonderheit der Lösungen oder gar auf eine einzige Lösung. Denn eine Einführung in die Philosophie ist keine Einleitung in ein besonderes System der Philosophie oder gar in das System des Verfassers einer solchen Einführung. Dort, wo die Überzeugung vorherrschen sollte, daß hinter einer solchen Einführung ein einzelnes System oder eine einzelne Grundüberzeugung steht, die sich ausbreitet über alle einzelnen Fragen, ist der Nachweis zu fordern, daß diese Grundüberzeugung in sachlicher Beziehung zu der Gesamtleistung der Philosophie ist, d. h. die Subjektivität der Überzeugung verblaßt ist, um ihr gegenüber die Weite, die Objektivität, allgemeiner, auch gegensätzlicher Resultate zu begreifen, die doch in ihrer Gesamtheit den Inhalt der Philosophie ausmachen.


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