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Favorite bei Rastatt

Dieses echt fürstliche Lustschloß wurde von einem echt fürstlichen Willen ins Dasein gerufen. Die verschwenderische Pracht, der künstlerische Luxus, die Überfülle der oft seltsamen Ausschmückung seiner fünfzig Räume, von Speise- und Tanzsaal bis zum Schlafgemach und Küche, wirken fast bewältigend auf den Beschauer. Manches dürfte auch bizarr erscheinen, wenn nicht bedacht werden will, daß die Entstehung in die Rokokoperiode fällt, und daß sich niemand und nichts dem Einfluß der jeweiligen Zeitströmung entziehen kann. Das Ganze ist die blendende Verkörperung einer genialen Idee und diese entsprang dem Kopfe einer merkwürdigen Frau.

Sibylle von Sachsen-Lauenburg, Gemahlin des badischen Markgrafen Ludwig Wilhelm, des Türkenbezwingers, ließ die Favorite im ersten Viertel des achtzehnten Jahrhunderts nach eigenem Plane erbauen, hauptsächlich um Geld unter die Leute zu bringen, welches infolge der Kriegswirren im Lande knapp geworden war. Markgräfin Sibylle, berühmt durch ihre Schönheit, ihren Geist, ihre Talente, hoch die Alltagslinie der Menschheit überragend, blieb unbegriffen und wurde demnach mißverstanden von Vielen, welche auf oder wohl gar unter dieser Linie existierten. Sie war zugleich eine mutige Frau, begleitete den Gemahl, dessen Seele der ihren verwandt, auf einigen seiner Feldzüge; und blieb sie zu Hause, so begegnete sie den Fährlichkeiten und Leiden des Krieges mit Umsicht und Furchtlosigkeit, während er in der Fremde durch Scharfblick und Tapferkeit die Lorbeeren des fast allzeit siegreichen Feldherrn gewann. Markgraf Ludwig Wilhelm starb 1707, 52 Jahre alt, seine Witwe zählte 32; Schloß Favorite wurde 1725, acht Jahre vor deren im 58sten Lebensjahre erfolgten Tode, vollendet. Diese Daten genügen, alle leichtfertig in Umlauf gebrachten Geschichten über das Hofleben auf Favorite ins Reich der Fabeln zu verweisen. Die Markgräfin, Vormünderin ihrer zwei Söhne und Teilhaberin an der Regentschaft, verlebte zu Rastatt eine lange Trauerzeit, dann trat sie aus der Einsamkeit heraus und in die Geselligkeit, was ihre Stellung auch ohne das Bedürfnis ihres regen Geistes zur Pflicht gemacht haben würde. Sie verkehrte gern und viel mit Personen ebenbürtigen Ranges, mit Künstlern und Gelehrten ebenbürtigen Geistes, und sicher gehört es nicht in das Gebiet der Sage, daß sie als Witwe vielumworben war von solchen, die auf ihre Hand, von anderen, die auf ihre Gunst hofften. Denn sie erhielt sich lange jung und der zauberische Liebreiz ihres Wesens mag sie bis zu Ende nicht verlassen haben, wie es nicht selten der Fall ist, wo »der Geist den Körper baut«. Bereitete die Markgräfin auch den einen wie den anderen Enttäuschung, so bewährte sie sich doch als Meisterin in der schwierigen Kunst, »vergebene Liebesmüh« in Freundschaft umzuwandeln. Ohne sich der angedichteten Ungebundenheit schuldig zu machen oder sie in ihrer Nähe zu dulden, hielt sie fröhlich Hof und ihre Umgebung, besonders die jungen Hoffräulein, wußten es ihr Dank. Unter den letzteren befand sich eine, welche von der Fürstin bevorzugt wurde, und von welcher noch näher die Rede sein wird. Der Familienname des Edelfräuleins wird so verschieden angegeben, daß er mit Sicherheit nicht genannt werden kann, doch ist der Taufname überall derselbe: Odilla.

Es wäre eine sinnlose Andichtung, nach der entgegengesetzten Seite hin zu behaupten, die Markgräfin hätte ein unempfindliches Herz besessen; weibliche Eisblumen sind eine unangenehme Spezies, denen meistens aus dem Wege gegangen wird. Aber sie hatte mit der Staatsräson zu rechnen, welche von einer zweiten Vermählung abriet; und von der Liebe außerhalb der Ehe hatte sie, als ungewöhnlicher Charakter, der sie war, andere Begriffe, als bei einem gewöhnlichen unter ähnlichen Verhältnissen sich vielleicht geltend gemacht haben würden.

Es war daher nur einer außerhalb der Menge der Schmeichler und Begehrer, welcher dem Herzen der Markgräfin gefährlich werden konnte und es wurde, den Überlieferungen nach ein französischer Graf, Gaston de Lille. Als Freund des Markgrafen, welch' letzterer in Paris von einer französischen Mutter, Tochter des Herzogs von Savoyen-Carignan, geboren, war er schon von Ludwig Wilhelm an dessen Gemahlin empfohlen worden und befand sich auch später zeitweilig als Gast in Rastatt und auf Favorite. In ihm war der Geist der Troubadoure des XI. und XII. Jahrhunderts wieder aufgelebt, jener schwärmerischen Dichter und Sänger, welchen die bloße Sehnsucht nach der geliebten Erkorenen als der Gipfelpunkt der Seligkeit erschien, denen es auf ein Jahrzehnt mehr oder weniger des unbelohnten Schmachtens gar nicht ankam; welche zu Ehren der Dame freudig in den Tod gingen, falls es nur mit einer Schleife aus ihrer Hand auf dem Herzen geschehen konnte. Solcher Art war der Graf und glückliche Stunden mögen es gewesen sein, welche er und die Fürstin, diese beiden hochgestimmten Seelen, im Zauberschlosse Favorite verlebten, in ernstem oder traulichem Gespräch, wenn Sibylle sang oder Gaston vorlas, bei Musik und Dichtkunst, diesen Schutzgenien irdischer Liebe. Odilla, das schon erwähnte Hoffräulein, war nicht selten zugegen und es ist nicht zu verwundern, daß sie ihr Herz an den schönen Grafen verlor. Bald wußte es die Markgräfin und faßte, – sicherlich nicht ohne Kampf, bei dem jedoch Vernunft und Edelmut siegten, – einen heroischen Entschluß. Odilla war ein hübsches Kind von noch nicht tausend Wochen, Waise und reich, welch' letztere Eigenschaft den etwas zerrütteten Finanzen des Grafen zustatten kommen konnte, und die Markgräfin gedachte, die Beiden miteinander zu vermählen. Sie stieß jedoch bei Gaston de Lille auf entschiedenen Widerstand. Er hatte zur Fahne Sibyllens geschworen und jeder andere Kultus däuchte seinem ritterlichen Sinne Hochverrat. Odilla aber wurde von dieser Weigerung wie von einem Todesstreiche getroffen, wenigstens bewirkte sie bei ihr die Wandlung, daß aus der verliebten eine fromme, oder richtiger gesagt, bigotte Jungfrau wurde, die sich mit Klostergedanken trug, jedoch den Schauplatz ihrer Liebe und deren Leid nicht eher verlassen wollte, bis sie sich eine Genugtuung verschafft. Instinkt oder Scharfblick der Eifersucht brachte sie zu der Überzeugung, daß sie um der Markgräfin willen verschmäht worden war; sie begann, das Leben der gütigen, vertrauenden Gebieterin durch die schwärzeste Brille des Argwohns zu betrachten und die Weltfreude zu verdammen, welche sie, – Odilla – doch bis vor kurzem selbst so sehr geliebt hatte. Nahm sie den Schleier, sollte die Markgräfin ein Gleiches tun, der sicherste Weg, die letztere für immer von Gaston de Lille zu trennen. Sie warf sich vorerst zur Warnerin und zum Gewissensrat auf und ließ es sich angelegen sein, der Fürstin jeden frohen Augenblick zu vergällen.

Unter den nach Favorite Geladenen befand sich zu jener Zeit auch ein verarmter italienischer Edelmann, guter Musiker und im Besitz einer hübschen Stimme. Auch er suchte, Einfluß auf die Markgräfin zu gewinnen und hatte bei allen Intriguen der Nebenbuhlerschaft die Hand im Spiel, in der gewagten Hoffnung, schließlich den Sieg davon zu tragen. Konnte doch keiner musizieren, wie er! Und so kam es, daß Gaetano Zenski zu häufigerem Verkehr mit der Markgräfin Gelegenheit fand.

In Favorite befindet sich ein Zimmer, in welchem zwei Wände gemalte Vögel zeigen, die sich dem Anschein nach in nichts von den Vögeln auf der Tapete der andern zwei Wände unterscheiden. Sobald man jedoch von außen eine Maschinerie in Bewegung setzt, breiten jene Vögel die Flügel aus, strecken die Köpfe vor und stoßen aus geöffneten Schnäbeln grelle Laute aus. Dieses Zimmer soll, der Sage nach, dem Italiener zur Wohnung gedient haben und die Ausgänge desselben wurden im Geheimen scharf von des Grafen de Lille Kammerdiener bewacht, der, seinem Herrn bis aufs Blut ergeben, in Gaetano Zenski einen gefährlichen Feind witterte, vor dessen Tun und Treiben er jenen schützen wollte und den er nebenbei im Verdacht hatte, es auf eine niedliche Zofe abgesehen zu haben, welche er, – der Kammerdiener – gern für sich allein behalten hätte.

So standen die Dinge auf Favorite, als Odilia einmal wieder einen recht bösen Tag hatte und bei der Markgräfin eindrang, während diese sich von Gaetano in den Regeln des italienischen bel canto unterweisen ließ. Unbeschadet seiner gelegentlichen Liebhaberei für niedliche Zofen, war der kunstgeübte Signore ein nicht zu verachtender Lehrmeister. Es erhöhte seinen Eifer, daß er sich in die Rolle des Rizzio der Maria Stuart hineinphantasierte, ahnungslos, daß diese Rolle ihm bis zum bitteren Ende bestimmt sein sollte!

»Schon wieder in den Banden der Weltlust!« rief das Fräulein, kühn gemacht durch die mitleidsvolle Nachsicht der Markgräfin, »ist hier des üppigen, sündhaften Lebens kein Ende? Sind dies die Vorbereitungen zu einem Leben in Buße und Zurückgezogenheit, wie es sich für eine christliche Witwe geziemt? Gehen Sie in sich, Fürstin, ehe es zu spät wird, der Tod kann jeden Augenblick an Sie herantreten und dann wird die Nachwelt Sie richten, wie die Mitwelt schon jetzt!«

Das Fräulein hatte überlaut gesprochen, so daß die Markgräfin, durch das Unschickliche des Auftritts gereizt, es diesmal an einer Zurechtweisung nicht fehlen ließ.

»Ihre Besorgnis für meinen Ruf hindert Sie aber nicht, selbst meine Sünden in die Welt hinauszuschreien,« sagte sie mit Strenge und einem Anfluge von Spott, »Gehen Sie auf Ihr Zimmer und erwarten Sie meine weiteren Befehle.«

Und als Odilla, von der ungewohnten Härte eingeschüchtert, sich entfernt hatte, setzte die Fürstin, unbesonnen in ihrer Aufregung und sich her Anwesenheit Gaetanos kaum bewußt, hinzu:

»Wollte mich nur jemand von diesem Geschöpf erlösen!«

Dieser Ausruf, in eine deutlichere Sprache übersetzt, wollte nichts anderes heißen, wie: »Wenn sich für Odilla nur eine Heirat fände!« aber der Italiener, der Mann aus dem Heimatlande der Borgia, faßte die Sache anders auf und war auch im Besitz der Mittel, zu tun, was in seinem Vorteil zu liegen schien.

»Wenn ich der Markgräfin einen selten großen Dienst erweise, mache ich mich zu ihrem Herrn,« rechnete er, und ging sofort an die Arbeit.

Zwei Tage später starb Odilla unter großen Qualen, vergiftet, wie sie selbst im Sterben behauptete.

Die Markgräfin zweifelte keinen Augenblick, wer die Untat vollbracht und das Zeugnis jenes Kammerdieners, der durch eine Türspalte den Giftmischer bei der Arbeit belauscht, schließlich das Selbstbekenntnis des feigen Verbrechers, bestätigten die innere Überzeugung der Fürstin. Gaetano Zenski soll, so berichtet die Sage, im Burgverließ des alten Schlosses zu Baden seine letzte Wohnung gefunden haben; Markgräfin Sibylle aber verzieh es sich nicht, durch ein unbedachtes Wort den Anlaß zum Untergange Odillas gegeben zu haben. Den Grafen de Lille entsandte sie in seine Heimat, Schloß Favorite wurde verlassen, der Hofhalt nach Rastatt zurückverlegt, woselbst die Markgräfin den Rest ihres Lebens in Einsamkeit und selbstauferlegter Buße verbrachte. Man zeigt die Einsiedelei, eine in der Nähe von Favorite befindliche Kapelle, als die Stätte, wo Sibylle sich geißelte und kasteite, um entweder eine große Schuld zu sühnen oder für das Übermaß genossener Freude zu büßen; aber diese Voraussetzungen halten bei näherer Untersuchung nicht Stich. Möglich und nicht unglaubwürdig, daß sie sich geißelte und kasteite, (der Geist jener Zeit gefiel sich in Übertreibungen nach jeder Richtung,) und daß nach ihrem Tode die Marterwerkzeuge in jene Kapelle verbracht wurden; doch tut es nichts zur Sache, ob in Rastatt oder bei der Favorite von einem frommen Sinne in überzarter Gewissensempfindlichkeit ein Vorgang gebüßt wurde, der nur ein Unglück war und keine Schuld …

Mehr als anderthalb Jahrhunderte sind verrauscht, seit die schönen, klugen Augen der Markgräfin sich dem Erdensonnenlicht geschlossen, aber ihr Andenken belebt noch heute ihre Schöpfung, das Lustschloß Favorite, und wird es auch ferner vor Verödung bewahren. Selten wohl versäumt es ein Besucher Baden-Badens, dasselbe zum Ziel eines Ausflugs zu machen; und wem poetischer Sinn und höheres Verständnis für die Rätsel der Menschennatur verliehen, der fühlt sich dort wie in einem Zauberkreise, – dem flüstern die Bäume und weben die Sonnenstrahlen den einen Namen: Sibylle!


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