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Alteberstein

In jenen kriegerischen Zeiten, welche demjenigen die Herrschaft zuerkannten, der am erfolgreichsten das Schwert zu führen verstand und in denen der Feudaladel unablässig mit Fürsten, Standesnachbarn oder Geringeren im Kampfe lag, mußte dieser natürlich darauf bedacht sein, sich seine Wohnsitze da zu erbauen, wo die Natur feindliche Angriffe erschwerte und zur Verteidigung die meisten Mittel bot. Dies erkannten auch die Herren von Eberstein und suchten sich, lange ehe weitere Verzweigungen des Geschlechts das Entstehen von Neueberstein hervorriefen, zur Errichtung ihrer Burg einen zerklüfteten unzugänglichen Felsen, dessen Gipfel sie dem Adler streitig machten. Mit der Spitze seines Schwertes verjagte der Gründer des jetzt zur malerischen Ruine zusammengesunkenen Alteberstein, seinen Nebenbuhler an Stolz und Kühnheit, den königlichen Vogel, und mit demselben Schwerte zeichnete er in den harten Boden den Riß zum Fundamente der Feste. Der Zerstreuung suchende Badegast und der ernstere Naturfreund wandern jetzt zu den zerfallenden Trümmern, um sich der erfrischenden Luft der Höhe und der weiten Aussicht in das Murgtal und bis zum Rhein zu erfreuen. Wie Greise, die das Alter schweigsam gemacht, stehen die grauen Mauern still dabei und doch könnten sie so viel erzählen Von den Kriegsplänen, die entworfen und im Waffengeklirr zu Taten wurden, von den Festgelagen, um Siege oder frohe Familienereignisse zu feiern, von dem inbrünstigen Gebet der edlen Frauen für Leben und Wohlfahrt der geliebten Beschützer, von dem zärtlich-leise geflüsterten Minnewort, und dann von den gierigen Flammen, die durch Graf Eberhard von Württembergs feindlicher Hand entzündet, die ganze mittelalterliche Herrlichkeit in Trümmer legten! Aber die Mauern schweigen, nur dann und wann, ach nur zu selten! vernimmt ein kindlicher Sinn, dem die Berührung der Welt noch nicht die Blüte feineren Empfindens abgestreift, ein heimlichtrautes Wort, das wiedererzählt, in die Prosa neuerer Tage wie ein fremdartiges Märchen herüberklingt und als solches durch die Reihe der Jahre und Zeiten fortlebt!

Als Kaiser Otto der Erste zur Regierung über Deutschland gelangt war, hatte er einen harten Stand mit manchem der stolzen Adeligen, welche es gewohnt waren, Herrscher auf eigene Faust zu sein und von Lehensabhängigkeit nichts wissen wollten. Die Grafen von Eberstein, damals drei Brüder, tapfer, kräftig, selbstvertrauend, leisteten am ausdauerndsten Widerstand, zu großem Ruhm für sich, zu großer Demütigung für den Kaiser. Fast zwei Jahre lang belagerte ein ansehnliches Heer, von dem letzteren selbst befehligt, die widerspenstigen Grafen in ihrer Feste, aber alle Angriffe brachen sich an deren Mauern, wie die Wellen des erzürnten Meeres an titanischem Felsenufer. Ebersteinburg war, dank seiner Lage und dem Heldenmute seiner Verteidiger, nicht zu erstürmen. Der Adler hatte denen, die sein Nest zerstört, einen guten Platz angewiesen und die Nachfolger waren des unglücklichen Vorgängers würdig.

Natürlich versetzte es den Kaiser in großen Unmut, sich in den Augen aller Welt gezwungen zu sehen, sein Banner vor der Fahne dreier Grafen zu senken, und dieser Unmut machte ihn nur zu willig, jedem Rat, der Abhilfe verhieß, sein Ohr zu leihen. Einen solchen Rat gab ein Edelmann im Gefolge Ottos des Ersten, sein Vertrauter bei allen schwierigen Unternehmungen.

Es sollten die drei Grafen durch List von der Burg weggelockt und während ihrer Abwesenheit die ihrer Führer beraubte Besatzung überrumpelt werden.

»Gebt mir Eure Schwester Hedwig zur Gemahlin,« so sprach der schlaue Versucher, »und ich verbürge mich, daß in wenig Tagen der kaiserliche Adler von den Zinnen der Burg wehen soll, und daß unter diesem Banner sich drei Galgen für die drei Brüder von Eberstein erheben werden.«

Der Kaiser erachtete, daß gegen Rebellen alle Mittel erlaubt seien und nahm demzufolge seine Maßregeln.

Er ließ, seinen Geburtstag zu feiern, ein Turnier nach Speyer ausschreiben, und scheinbar um die Feinde zu ehren, die ihm so tapferen Widerstand geboten, lud er sie ein, an den Festlichkeiten teil zu nehmen, und zu diesem Zwecke schlug er einen einmonatlichen Waffenstillstand vor, der im Vertrauen auf sein kaiserliches Wort vor denen, die ganz unfähig waren ihr eigenes Wort zu brechen, angenommen wurde.

Der Kaiser verließ darauf seinen Posten vor der Burg, den größten Teil seines Heeres mit sich führend, die drei Brüder ihrerseits folgten der Einladung an den Hof zu Speyer, woselbst ihnen der glänzendste, ehrenvollste Empfang bereitet wurde. Heinrich, Rudolf und Eberhard von Eberstein zeichneten sich jeder durch Ritterlichkeit der Gesinnung und Schönheit der äußeren Erscheinung vorteilhaft aus, aber der Jüngste war der einnehmendste von den dreien, ihm hatte die Natur alles gewährt, was im Felde, im Rat und im Gemache der Frauen ihm den Vorrang sichern konnte. Er vereinte mit großer Tapferkeit, Besonnenheit und Klugheit einen unwiderstehlichen Zauber des Benehmens und echte Wärme des Herzens. Die Poesie, die diesem entströmte, umfloß sein ganzes Wesen und leuchtete aus seinem tiefblauen Auge, das den kühngeschnittenen Zügen einen gewinnenden sanften Ausdruck verlieh. Es war der Sonnenschein, der eine ernste Landschaft verklärt. Seine Stimme war voll und doch weich und melodisch, und beim ersten noch so mild gesprochenen Wort seiner Rede schwieg alles, um zuzuhören. Diese Eigenschaft ist ein unendlicher Wert im Umgange mit anderen. Dabei gab es dem jungen Grafen eine neue Anziehungskraft, daß die hohe Gestalt, die furchtlos sich den Feinden gegenüberstellen konnte, doch so anmutig im Tanze sich zu bewegen verstand, und daß der Arm, dem keine Waffe zu gewaltig, so zart die feine Taille der Tänzerin zu umschlingen wußte.

Prinzessin Hedwig, des Kaisers reizende Schwester, hatte ein schnelles Auge für alle diese Vorzüge und ein schnelles Erkennen für die Bewunderung, mit welcher Graf Eberhard beim ersten Erblicken zu ihr aufschaute.

Langgehegter Groll, blutige Rachsucht, hartnäckiger Stolz, grimme Hinterlist, – sie alle mußten wie Spreu vor dem Winde beim ersten Hauch einer jungen Liebe entweichen, die frisch und fröhlich ihre Rosendecke über das ganze Gewirr feindlicher Leidenschaften warf.

Das Fürstentöchterlein kannte den Fallstrick, der die Grafen zu Boden werfen sollte, es kannte auch das ihr zugedachte Los, die Gattin des listigen Ratgebers zu werden, der nicht zum hundertsten Teil so hübsch und ganz und gar nicht so männlich und ehrlich war, wie Graf Eberhard. Sollte ihre Hand der Preis schnöden Verrats werden? Nimmermehr!

Im Kaisersaale zu Speyer sprühten die Fackeln, die Gäste prangten in festlichem Schmuck, edle Fräulein und stolze Ritter bewegten sich stattlich und in zierlicher Verschlingung nach den Takten der heiteren Tanzmusik. Graf Eberhard hatte am Morgen als Sieger beim Turnier den Dank aus Hedwigs Händen empfangen und genoß deshalb am Abend das Vorrecht, den Reigen mit ihr eröffnen zu dürfen. Das Herz des Fürstenkindes klopfte in banger zärtlicher Angst; sie mußte rasch sein, den heimlich schon innig geliebten Mann beizeiten zu warnen.

Mit lächelnden Lippen, als ob sie ein leicht-scherzendes Wort spräche, flüsterte sie ihm während des Tanzes zu:

»Entflieht mit den Brüdern, Graf, noch diese Nacht, Euer Schloß und Leben sind in Gefahr!«

Schnell verstand Eberhard den Wink und drückte dankbar Hedwigs Hand. Dieser Druck, von ihr erwidert, besiegelte zugleich den Bund der beiden jungen Herzen. Um keinen Verdacht zu erregen, nahmen die Brüder noch bis zum Schluß des Festes, wenigstens abwechselnd, am Tanze teil. In die ihnen angewiesenen, prunkenden Gemächer zurückgekehrt, bereiteten sie sich zur Flucht vor. Rudolf, der Schlaueste von ihnen, hatte bereits Voranstalten getroffen; die Schildwache unter ihrem Fenster war bestochen worden, ihren Platz an einen Stallmeister aus dem Gefolge der Ebersteiner abzutreten, und die wohlgesattelten Rosse harrten in kurzer Entfernung vom Palaste. Die Grafen stiegen einer nach dem anderen zum Fenster auf, ließen sich an den Vorsprüngen der Mauer entlang hinuntergleiten und erreichten glücklich das Freie. Von den feurigen Rossen pfeilschnell getragen, überholten die gewandten Reiter auf versteckten Wegen bald die kaiserliche Heeresabteilung, welche unter der Führung des Freiers der schönen Hedwig zum Überfall der Burg Eberstein vorrückte. Sie langten noch zeitig genug dort an, um den listigen Hofmann in einem geschickt angelegten Hinterhalt gefangen zu nehmen und ihn die wohlverdiente Strafe seiner unehrenhaften Ratschläge erleiden zu lassen. Dreißig vornehme Ritter des kaiserlichen Lagers waren mit ihm gefangen worden. Diesen gewährten die Brüder Eberstein ritterliche Haft und gebrauchten sie nur als Zeugen, um zu berichten, wie gut die Burg verproviantiert war. Sie zeigten ihnen die bis an den Rand gefüllten Wein- und Getreidefässer, hüteten sich aber wohl, auch nur mit einer Miene zu verraten, daß die Weinbehälter mit doppelten Böden versehen waren und das Korn nur in ganz dünnen Schichten eine Masse leerer Spreu bedeckte.

Als der Kaiser von der Flucht der Grafen in Kenntnis gesetzt, eilig wieder vor der Burg erschien, war das erste, das er erblickte, ein einziger Galgen statt der versprochenen drei, und an ihm hatte sein schlauer Günstling die feige Seele ausgehaucht. Otto begriff, daß er aus dem Regen in die Traufe gekommen und wünschte von Herzen das Mittel zu einem nur halbwegs ehrenhaften Rückzuge herbei. Schneller als er zu hoffen gewagt, ward ihm ein solches geboten.

Eberhard von Eberstein trat ihm entgegen und sprach:

»Sire, einer Eurer Untergebenen hat gewagt, Euer kaiserliches Wort mit Schmach bedecken zu wollen, indem er, ich zweifle nicht, ohne Euer Wissen den von Euch verbürgten Waffenstillstand brach und unsere Burg zu überfallen beabsichtigte. Wir haben getan, was Ihr selbst jedem Verräter würdet widerfahren lassen: – wir haben ihn aufgeknüpft.«

»Und welches Schicksal glaubt Ihr, daß Eurer wartet,« entgegnete der Kaiser mit schlecht verhaltenem Zorn, »der Ihr meinem Urteil vorzugreifen wagtet?«

»Ich hege keine Furcht,« sagte Eberhard mit Festigkeit, »denn ich bin kein hinterlistiger Frevler. Überdies bergen jene Mauern zwei Brüder, mich zu rächen, eine treuergebene Besatzung, die Verteidigung fortzuführen, und manche wohlgefüllte Vorratskammer. Fragt die Gefangenen darnach. Gewalt und List konnten uns nichts anhaben, Hungersnot wird es ebenfalls nicht vermögen. Es gibt aber doch ein Mittel, Euch die Grafen von Eberstein unterwürfig zu machen und ich bin gekommen, es Euch zu nennen.«

Daraus bekannte Eberhard seine Liebe zu des Kaisers Schwester und gelobte, mit seinen Brüdern den Untertaneneid ablegen zu wollen, wenn ihm Hedwig zur Gemahlin gegeben würde.

Otto machte gute Miene zum bösen Spiel und sagte zu dem Grafen, der bei den letzten Worten das Knie vor ihm gebeugt hatte:

»Steht auf mein Bruder.«

So hatte die Liebe doch recht behalten. Durch diese Verbindung hob sich noch mehr der Glanz des Hauses Eberstein und dem Kaiser war der Schatz von drei festen, deutschen Herzen für immer gesichert. Sie dienten ihm bei kriegerischen und friedlichen Unternehmungen und Eberhard empfing, so sagt die Chronik, gelegentlich einer Mission an dem Hof des Papstes am Sonntag Lätare eine Rose, deren Mittelpunkt ein Saphir bildete, zum Geschenk, die sich fortan immer im Wappen der Grafen von Eberstein wiederfindet.


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