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O le Palolo!

Ausgangs März, kurz nach Vollmond, waren sie wieder zu dritt hinausgefahren zum Riff. Während Horst mit Va'oa die Umgebung des Riffeinlasses nach See zu auslotete, streifte Friedel, bis an die Knie im Wasser watend, um die Korallenbänke herum, die strandwärts den Riffeinlaß säumten, und vervollständigte seine Sammlungen. Das meiste war ihm nun schon bekannt; wo er aber auf neue Formen traf, stellte er ihnen mit schnell zur Meisterschaft gediehenem Geschick nach zwischen den Felsen und Korallenbrocken, die, mit Grünalgen bewachsen, auserwählte Schlupfwinkel boten. Jedoch ein großer, wunderbarer, grünleibiger Schlangenstern mit feinen Strahlentastern hatte sich so gut in eine schmale Riffspalte zu schmiegen gewußt, daß Friedel mit den Händen nicht heran konnte. Er rief das Boot und ließ sich aus dessen Werkzeugkasten Hammer und Meißel herüberreichen. Dann ging er dem Korallenblock zu Leibe. Va'oa hielt das Boot in der Strömung fest und schaute mit Horst zu. So einfach, wie sich Friedel es gedacht, ging die Sache denn nun doch nicht. Nur kleine Stücke flogen zunächst ab; bis er einen Riß laufen sah; in den setzte er ein mit dem als Stemmeisen benutzten Meißel; da brach endlich ein größerer Block heraus. Der Spalt lag frei.

Aber Friedel hatte gar kein Auge mehr für den gesichteten Schlangenstern, er sah es plötzlich vor sich im Wasser lebendig werden. Fadendünne Würmer ringelten sich aus dem Gestein der Bruchstelle und schlängelten sich ins Wasser und trieben mit dem Strom ab auf das Boot zu. Im gleichen Augenblick schrie Va'oa auf: » O le palolo! O le palolo!« und schlug sich vor Freude wie närrisch auf die Schenkel, daß es nur so klatschte. Als aber Friedel wieder ein neues Stück losbrach und der Alte sah, wie die Würmer aus dem Riff-Fels kamen, blieb sein Mund offen stehen vor Verwunderung. Va'oa glaubte mit ganz Samoa, der Palolo steige aus der Tiefe des Meeres auf.

Friedel aber entdeckte, daß im Felsen mehr saß als die sich ringelnden Würmer, die im Wasser trieben. Diese schienen nur abgestoßene Teile der eigentlichen Tiere zu sein, denn nähere Prüfung ergab, daß sie am einen Ende eine Bruchstelle aufwiesen. Ein paar Riffbrocken nahm Friedel mit ins Boot von denen, aus welchen er hatte Würmer kommen sehen nach dem Abmeißeln; dann strebten sie schleunigst zu Land, mußten freilich ein gut Stück weit waten, denn die Ebbe nahm noch zu. Va'oa aber ließ gegen seine sonstige Gewohnheit und Treue das Boot Boot sein und rannte auf seinen dürren Beinen wie ein Wiesel auf die Bucht und auf Haus Neuland zu. Die Jungen waren noch nicht am Strand, da sahen sie ihn mit Herrn Stein zurückkommen.

»Na, Jungs, was habt ihr denn angestellt? Va'oa schnakt ja das seltenste Gemisch daher von Palolo und Felsenzerschlagen und was weiß ich. Den Palolo werdet ihr aber doch wohl kaum jetzt haben finden können.« Sie berichteten, und Herr Stein besah sich die Riffbrocken. Viel war nicht zu sehen. Beim weiteren Zerschlagen zeigte sich nichts mehr. »Also hinaus!« Die Ebbe gestattete jetzt schon, zu Fuß, wenn auch tief watend, an die Palolostelle heranzukommen. Sie brachen neue Blöcke auf, und Vater Stein mußte nach einer Welle feststellen: »Tatsächlich, Friedel, du hast den Palolo entdeckt!«

Es gelang ihnen in vorsichtigem Vorgehen, auch einige der vorhin nicht gefundenen Restteile, die bedeutend dicker waren als die erst gesehenen schwärmenden, aus den Steinen herauszubekommen. In mitgebrachten Gläsern konnten sie nun deutlich das ganze Tier beobachten. Reinhard Stein erzählte ihnen von den Entdeckungen Doktor Krämers und eines Engländers vor Jahren, die zuerst nachzuweisen vermochten, daß der Palolo im Riff hause und jeden Herbst einen Teil seines Leibes abstoße. Dieser letztere eigentlich werde von den Eingeborenen nur Palolo genannt; von dem andern, bleibenden, dem eigentlichen Wesen und seiner Wohnung in den Riff-Felsen hätten sie keine Ahnung. »Das habe ich an Va'oas Gesicht gemerkt«, platzte Friedel heraus. »Übrigens,« fuhr Vater Stein fort, »da der schwärmende Teil sich jetzt auch als abstoßbar gezeigt hat und, wie ich sehe, auch reif ist zu seiner Hochzeitsfahrt – denn das bedeutet sein Schwärmen übers Riff –, werden wir wohl dieser Tage tatsächlich ›Palolo‹ haben. So nennen«, fügte er auf einen fragenden Blick der beiden hinzu, »die Samoaner den Tag, wo der Schwarmteil des Wurmes in solchen Mengen am Riff erscheint, daß die ganzen Dorfschaften sich hier versammeln, schöpfen und Festschmaus halten. Aber ihr habt wirklich seltenes Glück! Bisher ist mir nur ein Jahr bekannt, wo der Palolo dafür, daß er im Oktober ausblieb, im März erschien. Zu beiden Zeiten haben wir gleichen Sonnenstand, das wird wohl für den Palolo so etwas wie ein Signal zum Ausschwärmen bedeuten – uns freilich rätselhaft in der Übertragungsmöglichkeit. Denn ob die Bauchflecke, die ihr da jedem Glied des Ringelleibes in Augenform ausgeprägt seht, irgendwelche Lichtempfindung zu vermitteln vermögen – man weiß es nicht.« Er wechselte ein paar Worte samoanisch mit Va'oa. Der nickte heftig, zählte an den Fingern, kam zwar nicht gleich zustande damit, aber Herr Stein hatte schon erfahren, was er sich gedacht: Va'oa glaubte auch, daß nun in wenigen Tagen Palolofest werde sein können. »Er wird kommen, o Alii,« rief der Alte ein übers andere Mal, »der junge Alii hat ihn gerufen!« – »Die Ehre laß dir nur stillschweigend gefallen, Friedel,« schmunzelte Herr Stein, »von diesem Glauben bringen meinen alten Va'oa jetzt keine zehn Pferde mehr ab; er ist imstande und macht dich noch zur Küstenberühmtheit.«

Und beinahe war es so gekommen. Schon am nächsten Tag zeigte lockerer Schlamm, der in der Lagune um den Riffeinlaß in ganzen Fladen trieb, daß der Palolo zu schwärmen begann, ja, bereits fanden sich im Schaum kleine Teile der Würmer selber. Kaum ward das dem Häuptling des über den Riffeinlaß gebietenden Dorfes Fualalo – dem » pule O le ava« – bekannt, als schon die Festvorbereitungen einsetzten. Was es irgend zu essen gab, schleppte man zum Falatele, dem Versammlungshaus, im übrigen ward der Tag mit Faulenzen verbracht. Davon hat er sogar seinen bestimmten Namen.

Auf Haus Neuland aber erschien eine Abordnung von Häuptlingssöhnen, um zur Teilnahme an dem »Palolofest«, das die glückliche Hand des jungen Alii aus Siamani aus den Riff-Felsen gezogen, zu laden.

Vater Stein ging Friedel und Horst zuliebe mit.

Im Falatele großer, würdigster Empfang zum Palolo-Vorschmaus, dem Faleali'i. Bald stand die unvermeidliche Kavaschüssel, mit altertümlich schöner Form, vor den Gästen. Die Taupo, die Häuptlingstochter, zeigte mit ihren Gehilfinnen freundlich lächelnd die Zähne, bog die Lippen auf, daß jeder sich überzeugen konnte, jeder Mund sei rein und gesund, und begann die Stücke der Kavawurzel zu kauen, die ihnen gereicht wurden. Das Gekaute spien sie in die Schüssel, andere seihten es durch ein Kokosfaserbündel, mischten Wasser hinzu und andere notwendige Beigaben. Dann durfte es die Taupo in hoheitsvoller Form den Gästen kredenzen.

Die Buben hatten es schwer, sich in die verzwickten Anstandsformen samoamscher Sitte zu finden, trotzdem sie Vater Stein auf allerhand vorbereitet hatte.

Noch saß man bei offenen Seitenwänden zum Essen nieder, da erklang ein Lied, und die Gästeschar, nicht nur aus dem gleichen Dorf, sondern von weither gekommen, teilte sich, gab die Mitte frei, während im andern Rund des Hauses die Taupo in hohem Kopfputz Platz nahm, umgeben – zu besonderer Ehrung der Fremden – nicht wie sonst von ihren Freundinnen, sondern von Häuptlingssöhnen. Kaum endete der Gesang – wer gesungen, entging Friedel sowohl wie Horst –, als die Tänzer, sitzend, begannen, in drängendem Rhythmus mit den Handfläche auf ihre Schenkel zu schlagen, daß es klang wie der Hufschlag trabender Pferde. Immer verzwickter wurden die Bewegungen der Sitzenden, und doch lag in jeder eine Anmut, und im Zusammenwirken aller ein Taktgefühl, daß auch Vater Stein, dem es doch etwas längst Gewohntes war, doch wieder voll Freude zusah. Als die helle Stimme der Taupo zwischen den Rhythmen aufschwang in den Raum, hörte das Schlagen, hörten alle Bewegungen auf. Die Taupo sang. Allein. Nach wenigen Takten schon fielen alle Tänzer ein. Friedel und Horst verstanden freilich von den Liedern kaum hier und dort den Sinn. Bis auf den letzten Tanz: Als er begann, ging es längst schon auf den Morgen zu. Tanz und Essen wechselten die ganze Nacht nach samoanischer Sitte. Als nach gebratenem Schwein, Jams, Batate, Bananen, allen möglichen Kokosgenüssen, Fischgerichten und unerkennbarem andern die letzten Leckerbissen samoanischer Küche verzehrt waren, und die Teilnehmer ihre Zufriedenheit und Sättigung sittegemäß durch lautes Aufstoßen gebührend zum Ausdruck gebracht hatten, erhob sich noch einmal die Taupo.

Tanzte … das Lied vom Schmetterling; tanzte schreitend in so sprechenden Bewegungen, daß auch die beiden Sprachfremden sie verstanden bis in jede kleine Wendung hinein. Offenbar war es der Taupo berühmtestes Glanzstück, denn Friedel hörte, wie man ihr öfter jubelnd zurief: »Pepe!« – Schmetterling! So hieß sie in der ganzen Dorfschaft, und nicht ohne Grund. Ihr Tanz war Kunst und Schönheit.

Obwohl der Anblick des längst durch Rollmatten verschlossenen Rundhauses mit dem auf den glänzenden braunen Leibern spielenden Schein des Feuers, dem leisen Leuchten der Halsbänder aus Pottwalzähnen oder prangenden Blüten, dem geheimnisvollen Glimmen der Tabakrollen und den hin und wieder vom Flammenspiel aus dem Dunkel geholten Mustern der sich bewegenden Bastmatten eigenartig fesselnd das Auge anzog: – Horst und Friedel atmeten doch erleichtert draußen die Frische der Nachtluft ein, als endlich vor Morgengrauen der Aufbruch erfolgte; der Ausbruch zum Fang. Weiber und Kinder, die bisher unsichtbar gewesen, durften nun mit zum »großen Tag«. Die bisherigen Spuren in der Lagune ließen ja vermuten, daß der Hauptfang nicht wie üblich am dritten Tage, sondern schon am zweiten erfolgen werde. Bald wimmelte der Strand von dunklen Gestalten. Auch von Mulifanua kamen sie gezogen, jeder mit Fanggerät, Körben, Kokosfasernetzen oder gebogenen Stöcken, über die alte Moskitogaze gespannt war. Weit hinaus wateten die Scharen zum Riffeinlaß Lautlos. Kein Wort fiel.

Dunkel noch träumte das Meer. Dicht nebeneinander stehend betrachteten die Freunde das niegeschaute Bild des dunkel bevölkerten Riffs, hinter dem auf bleifarben werdendem Meer ein leises Dämmern sich vorwagte. Herr Stein überließ die beiden still ihren Beobachtungen.

Die bleierne Helligkeit nahm zu. Auch die Nähe bekam Form und Tiefe. Und plötzlich schrie zunächst dem Einlaß eine jubelnde Stimme: Le palolo! Rings wimmelte es im Wasser. Zu Tausenden und aber Tausenden schwärmten die reifen Samenträger des Palolo um das Riff und trieben nach See zu. Hunderte von Menschen hasteten durcheinander und schöpften, was irgend in die Gefäße ging. Lautlos ging es nun freilich nicht mehr zu. Nur Friedel, Horst und Herr Stein standen unbeteiligt.

Plötzlich faßte Friedel seinen Vetter um die Schulter und wandte ihn nach Osten. Über der Kimmung stiegen einzelne Strahlen auf wie blasse Raketen. Wie auf unsichtbaren Fittichen schoß eine Helle zum Zenith, und wie mit einem Ruck tauchte die Sonne glutrot über den Horizont.

Horst lehnte sich an Friedel, verstehend. Ja, das war schön … schön; und dort hinüber, fern, fern lag Deutschland. So standen sie und träumten, spürten Vater Stein hinter sich und schwiegen doch. Wie er. Auch seine Gedanken mochten der deutschen Ferne gelten und dort dem Jungen, der nun schon zur Heimfahrt rüsten mochte.

Längst waren die Samoanergruppen wieder dem Ufer zu, zum Teil bereits schmatzend vom Überfluß der erbeuteten Leckerbissen, geschwätzig palavernd jeder vom Reichtum seines Fanges … wem alles von Verwandten und Bekannten sie zu senden gedächten von diesem außerordentlichen Palolo, das sie dem jungen Fa'awesi, dem schlanken, dankten. Was sie so dachten, stand deutlich in den Blicken geschrieben, die den drei Deutschen folgten, die zwischen ihnen auf die Bucht und Haus Neuland zuschritten im jungen, strahlenden Morgen.


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