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5

Allerdings waren auch die Geldschubladen leer.

»Miß Betty wird heute morgen nach dem Fortgang des Polizisten den Safe durchgesehen haben«, meinte Sir Frank Tarleton mit einem kleinen Lächeln. »Eine bemerkenswerte junge Dame, Cassilis! Woher weiß sie zum Beispiel von dem Domino-Klub?«

»Sie machte mir den Eindruck, daß sie ihren Stiefvater um ihrer Mutter willen haßt«, gab ich zurück. »Könnte sie ihn nicht um ihrer Mutter willen überwacht haben?«

»Gewiß, die Erklärung lasse ich gelten. Wir stehen einer jener Familientragödien gegenüber, die so selten ans Licht kommen. Daß der ehrgeizige Mann wegen des Geldes geheiratet hat, erkannte das Mädchen sofort, während es die Frau nicht sehen wollte. Dann empfand er seine Gattin als hinderlich für seinen Aufstieg und begann sie zu vernachlässigen, was die Ärmste vor ihrer Tochter zu verheimlichen suchte. Doch dies schlaue junge Ding ließ sich nichts weismachen, sah vielleicht sogar tiefer als die Mutter selbst. Vielleicht trachtete Betty Neobard danach, Beweise für die Untreue des verhaßten Stiefvaters zu erhalten: Beweise, denen sich die Mutter nicht verschließen konnte, und die sie zwangen, mit ihrem Mann zu brechen ...«

Plötzlich riß dies lange Selbstgespräch ab. Ich sah, wie Tarletons Hand nach einer viereckigen Glasflasche griff, gefüllt mit Pillen wie jene, die wir bei dem Toten gefunden hatten.

»Bedarf es noch eines anderen Identitätsbeweises als dieses? ...« rief Sir Frank triumphierend. »Aber das bleibt zwischen uns beiden, Cassilis.« Er steckte die Flasche in seine Rocktasche und schloß den Stahlschrank. Dann machte er sich daran, den Schreibtisch Dr. Weathereds einer Besichtigung zu unterziehen.

»Nun wollen wir das Verbrechen mal flüchtig rekonstruieren«, fuhr er fort, indem er Schriften durchblätterte, Büchertitel las. »Ein Patient – oder eine Patientin – Weathereds wird inne, daß er sich in des Doktors Gewalt befindet, und daß dieser sie in häßlicher Weise mißbraucht. Er hat gesehen, wie der Doktor die Beichte in ein Buch eingetragen hat, und entschließt sich, dies Buch in seinen Besitz zu bringen und zu vernichten, was Erlösung von seinem Peiniger bedeutet. Der betreffende Patient ist Mitglied des Domino-Klubs; höchstwahrscheinlich ist er durch Weathered zum Eintritt überredet oder gezwungen worden. Ob er von diesen Opiumpillen gewußt hat oder nicht, mag dahingestellt bleiben. Auf jeden Fall läuft sein Plan darauf hinaus, Weathered zu betäuben, die Schlüssel zu entwenden und hierher zu kommen und die belastenden Aufzeichnungen zu zerstören. Soweit setzt er seinen Plan erfolgreich in die Wirklichkeit um. Aber in der Eile und der Erregung übersieht er eins. Und das ist dies, Cassilis.«

Ein kleiner Aufschrei entfuhr meinen Lippen, als Tarleton seine flache Hand auf ein kleines Buch neben dem Bronzetintenfaß legte. Das Terminbuch des Toten! In der nächsten Sekunde schon huschten Sir Franks scharfe Augen forschend über die Seiten.

War meine Angst berechtigt? ... Darüber nachzudenken, ließ mir Tarleton keine Zeit.

»Sehen Sie, Cassilis«, redete er weiter, »die meisten dieser Eintragungen, die den Namen des Patienten und die mit ihm vereinbarte Stunde festhalten, scheinen durchaus unschuldig und normal zu sein. Aber gewisse Namen kehren häufig wieder; sie sind zudem mit Zahlen versehen. Hier: Sir George Castleton, 17; er ist zweimal im Monat gekommen. Mrs. Warboise, 21; einmal im Monat. Miß Julia Sebright, 8; sie scheint dann abtrünnig geworden zu sein. Oberst Graveliness, 26; zweimal monatlich. Mrs. Baker, 35; ist noch nicht so lange in Behandlung wie die übrigen. Lady Violet Bradwardine ... was gibt's denn?«

Ich schnellte nach der Tür herum. »Oh, ich dachte, es käme jemand.«

Und mein Glück fügte es, daß tatsächlich jemand kam – Betty Neobard, in Hut und Mantel, zum Ausgehen bereit.

Ohne Hast klappte Tarleton das Buch zu und schob es vor ihren Augen in seine Rocktasche. »Es ist Dr. Weathereds Terminbuch, Miß Neobard«, erklärte er. »Ich muß über einige seiner Patienten Nachforschungen anstellen.«

Rachsüchtig flammten Bettys dunkle Augen auf.

»Soviel ich Ihnen dabei behilflich sein kann, soll es geschehen, Sir Frank. Einer dieser Patienten hat sicher bei dem Verbrechen seine Hand im Spiel.«

Tarleton zog die Brauen in die Höhe.

»Ob ein Verbrechen in diesem Sinne vorliegt, steht zur Zeit noch nicht fest, Miß Neobard. Dr. Weathered scheint durch jemanden, den es nach den Schlüsseln gelüstete, betäubt worden zu sein. Vielleicht aber sollte die Dosis gar nicht tödlich wirken.«

Mit klopfendem Herzen hörte ich die Worte an. Wollte Sir Frank andeuten, daß Weathered einer Dosis erlag, die einen gesunden Menschen nicht getötet haben würde? Und wenn so – beruhte sein Tod auf einer organischen Schwäche? Oder war es möglich, daß Weathered die Pillen doch für den eigenen Bedarf bei sich trug und sein Körper schon soviel Gift aufgenommen hatte, daß die Extradosis ihm verhängnisvoll wurde?

»Sie sagen nicht, was Sie wirklich denken, Sir Frank«, klang in meinen Gedankenwirrwarr Betty Neobards sachliche Stimme. »Er ist ermordet worden, und Sie wissen es. Glauben Sie, mich schonen zu müssen? Unnötig, Sir Frank. Ich betrachte es als eine Vergeltung, die ich übrigens habe kommen sehen.«

»Möchten Sie nicht etwas deutlicher reden, Miß Neobard?«

»Gewiß, wenn Ihnen damit gedient ist. Jetzt, da meine Mutter nicht mehr daneben sitzt, brauche ich kein Blatt vor den Mund zu nehmen. Dr. Weathered hat sie niemals geliebt, aber sie liebte ihn. Solange er unter den Lebenden weilte, wollte sie niemals Böses von ihm glauben, und warum soll sie nachträglich noch Dinge hören, über die sie sich grämen würde?« Einen Augenblick schwieg sie, als suche sie nach einem Übergang. »Sie müssen nicht denken, Sir Frank, daß er durch und durch schlecht war – zum mindesten war er es im Anfang nicht. Gescheit und gewitzt, das ja. Er wußte ganz genau, daß sich ihm mit dem Gelde meiner Mutter eine Zukunft in London eröffnete. Und außerdem interessierte er sich wirklich für die Wissenschaft. Jahre, ehe er sich als Nervenspezialist niederließ, hatte er Psychologie studiert. Ich wage sogar zu behaupten, daß er seine Laufbahn hier in reinster Absicht begann. Es waren die Frauen, die ihn auf Abwege führten.«

Ein eigenartiges Urteil aus dem Munde der Stieftochter, die mancherlei Anlaß hatte, ihn zu hassen, und ihn fraglos auch gehaßt hatte!

»Die Hälfte aller Frauen, die ihn konsultierten, krankten an weiter nichts als an einer Gier nach Erregung. Das äußerte er gelegentlich einmal selbst, obwohl er nicht die Erregung nannte, nach der sie lechzten. Anfänglich sprach er überhaupt mit uns über seine Praxis, nannte die Namen von Patienten, vor allem, wenn es klingende Namen waren. Ich erinnere mich noch an eine Herzogin, ferner an einen weltberühmten Autor. Doch allmählich hüllte er sich in Schweigen – er begann unter ihren Einfluß zu geraten. Es folgten Einladungen zum Dinner, die meine Mutter übergingen. Und er nahm sie, trotz dieser Taktlosigkeit, an.«

Oh, wie scharfsinnig dieses Mädchen alles beobachtet hatte – vom Aufbrechen der ersten Kluft bis zum allmählichen Abwärtsgleiten des Stiefvaters!

»Dann verlegte er sich ganz auf diese Psychoanalyse, indem er vorgab, er könne Leute von ihren Störungen heilen und ihre Veranlagung beeinflussen, wenn sie sich ihm gegenüber rückhaltlos aussprächen. Ich wußte, daß er nicht wirklich daran glaubte – zu oft hatte er in der ersten Zeit, als Psychoanalyse Mode wurde, darüber gespöttelt und gehöhnt. Indes witterte er eine reichliche Geldquelle. Meiner Ansicht nach verscherzte er sich dadurch die Achtung seiner Kollegen; jedenfalls schienen sie ihn zu boykottieren. Keiner von ihnen betrat mehr unser Haus, und auch die Ehefrauen stellten nach und nach den Verkehr mit Mutter ein. Nach kurzer Zeit schon erkannte ich, daß irgend etwas nicht in Ordnung sei.

Ich stachelte Mutter an, einzugreifen, aber sie wollte oder konnte es nicht. Abgesehen von ihrem Gelde hatte sie keinen Einfluß auf ihn, und inzwischen verdiente er selbst so viel, daß er unabhängig von ihr geworden war. Eine Trennung widerstrebte ihr. Es fehlte ihr auch an einer gesetzlichen Handhabe, denn sein Tun und Treiben verbarg er mit großer Geschicklichkeit. Zudem würde ein offener Bruch, der Skandal einer Scheidung ihm geschadet und seine Patienten beeindruckt haben.«

Betty Neobard holte tief Atem, während mein Chef und ich vielsagende Blicke wechselten. Es war eine sonderbare Enthüllung; das Sonderbarste aber war die Art, wie sie gemacht wurde. Der Ankläger schien gleichzeitig der Verteidiger zu sein. Und auf Tarletons Stirn lag eine nachdenkliche Furche, als hörte er mehr als die Worte, die sein Ohr auffing.

»Allmählich sahen wir ihn überhaupt kaum noch. Nacht für Nacht ging er aus und kehrte erst bei Morgengrauen heim. Unter diesem Lebenswandel begann seine Gesundheit zu leiden, zumal er sich auch dem Trunk ergab. Früher beinahe Abstinenzler, goß er jetzt morgens auf nüchternen Magen ein paar Gläser Kognak hinunter. Freilich, soweit hatte ihn erst dieser abscheuliche Klub gebracht.«

»Der Domino-Klub?« warf mein Chef ein.

»Ja. Vermutlich wundert es Sie, daß ich von seiner Existenz weiß. Vielleicht denken Sie auch, ich hätte mich um alles, was vorging, nicht kümmern sollen. Gewiß, Sir Frank, eigentlich war es die Angelegenheit meiner Mutter, aber sie drückte absichtlich beide Augen zu, um nichts zu sehen, und ich mußte sie beschützen.«

Entsprach diese Erklärung der Wahrheit? Hatte nur töchterliche Liebe dieser Neunzehn- oder Zwanzigjährigen die Rolle des Detektivs aufgezwungen? Nicht etwa auch weibliche Neugier? Ein gewisser Kitzel, in den Pfuhl hinabzublicken, in dem der Mann versank? Oder? ...

Wie sie zu einer Wissenden geworden war, geruhte sie uns nicht auseinanderzusetzen. Ich hielt sie indes nicht für ein Mädchen, das einen Späher anstellt. Nein! Sicher war sie fähig, die Briefschaften des Stiefvaters zu durchstöbern oder ihm heimlich zu folgen.

»Es waren die Frauen, die ihn hinlockten«, beteuerte sie abermals voll Bitterkeit. »Sie brauchten einen Ort, wo sie alle Erregungen eines Nachtklubs auskosten konnten, ohne die Gefahr, hierbei mit Leuten der niederen Klassen in Berührung zu kommen. Da war zum Beispiel eine Mrs. Worboise« – fraglos erinnerte sich auch mein Chef der Nummer 21 aus dem Terminbuch –, »von der ich überzeugt bin, daß sie ihn finanzieren half. Aber außer ihr gab es noch eine Menge andere – ach, viele, viele!«

Ich war dankbar, daß sie keine weiteren Namen erwähnte, und auch meinem Chef schien das Gesagte vorderhand zu genügen.

»Miß Neobard, ich bin Ihnen für Ihre Offenheit zu großem Dank verpflichtet«, ergriff er das Wort. »Wenn es Ihnen recht ist, fahren wir jetzt zum Klub.«

Die Gegenwart von Evans, Sir Franks Chauffeur, verurteilte Betty Neobard zum Schweigen, selbst wenn es sie noch nach weiteren Mitteilungen gedrängt hätte, und stumm legten wir den Weg zurück. Bei den Vincent-Ateliers angelangt, ließ Tarleton die junge Dame vorangehen, und ohne Zögern schritt sie auf die Tür zu, die den Namen Loftus trug. Doch in dem engen Korridor blieb sie stehen.

»Wo ist der Leichnam«, wisperte sie.

»Hier bitte.« Sir Frank zog Bettys Arm durch den seinen und führte sie zu dem Alkoven. Ein erstickter Schrei entschlüpfte ihren Lippen, als sie die starre Gestalt und das bleiche Gesicht gewahrte. Sie beugte sich herab, als wolle sie den Toten umarmen, und richtete sich schaudernd wieder auf.

»Wie furchtbar er aussieht!« japste sie.

Der Ausruf war gerechtfertigt. Die sonderbare, bleierne Farbe hatte inzwischen auch von Nacken und Händen Besitz ergriffen, und die gleichfalls stärker gewordene Rauheit der Haut gab ihr eine Ähnlichkeit mit trockenem Pergament, das zu platzen droht, bevor es noch beschrieben worden ist. Es mangelte mir an Erfahrung, um zu wissen, ob dies ungewöhnliche Symptome waren. Ich suchte in dem Gesichte meines Chefs zu lesen, doch genau so gut hätte ich von dem Gesichte des Toten Erleuchtung erhoffen können! Wahrscheinlich ganz unbewußt ließ Sir Frank Tarleton seine goldene Maskotte hin und her schwingen, als er in tiefster Versunkenheit diese gespenstischen Züge studierte.

Auf Betty Neobards Gesicht aber entdeckte ich eine Träne, die langsam die weiche Wange herabrollte. Vielleicht waren nicht all ihre Erinnerungen an den Toten voll ätzender Bitterkeit; vielleicht hatte es eine Zeit gegeben, wo er seine Stieftochter mit Güte behandelte. Vielleicht ... doch da wurden meine Vermutungen durch einen selbstbewußten Schritt unterbrochen.

Captain Charles! Quer durch den verödeten Tanzsaal kam er auf uns zu. Die roten Laternen waren jetzt sämtlich erloschen, und das Tageslicht, das nun überall hindrang, gab dem Raum ein unbeschreiblich trostloses, wüstes Aussehen. Die Gazevorhänge wirkten nackt und schäbig, und auf den Kissen der Diwane traten Wein- und Kaffeeflecke häßlich hervor. Der Fußboden war staubig und verfärbt. Unwillkürlich drängte sich mir ein Vergleich auf zwischen dieser ihres Zaubers entkleideten Stätte und den Gefühlen ihrer Besucher, wenn sie am nächsten Tage mit erschöpften Nerven, ausgedörrtem Gaumen und schuldigen Erinnerungen erwachten.

»Ich komme schnurstracks vom Ministerium des Äußern«, begann der Inspektor, geschwollen vor Wichtigkeit, worauf Sir Frank ihm rasch ins Wort fiel:

»Haben Sie die Güte, einen Moment zu warten, Inspektor.« Dann wandte er sich an das weinende Mädchen: »Sie erkennen diesen Toten als Ihren Stiefvater, Dr. Weathered?«

»Ja«, klang es leise. »Obwohl er sich grauenhaft verändert hat.«

»Das genügt. Fühlen Sie sich imstande, allein nach Hause zu fahren, oder möchten Sie, daß einer von uns Sie begleitet?«

»Ich möchte lieber allein sein.«

»Gut. Dann will ich Sie nicht länger zurückhalten.«

Aber die junge Dame zögerte.

»Wird ... die Leiche ...« stammelte sie.

»Die Leiche muß zuerst nach meinem Hause geschafft werden, damit ich einwandfrei die Todesursache feststelle«, sagte Tarleton freundlich. »Hernach hoffe ich es durchsetzen zu können, daß die Beerdigung privat von Ihrer Wohnung aus stattfindet.«

»Ich danke Ihnen.« Sie neigte grüßend den Kopf, und mir lag es ob, sie bis auf die Straße zu begleiten. Als ich zurückkehrte, steckte Captain Charles schon mitten drin in seinem Bericht.

»Noch nie ist das Ministerium wohl so aufgebracht über etwas gewesen«, versicherte er. »Und auf der lavonischen Gesandtschaft steht man geradezu Kopf. Es scheint, daß der Gesandte keine Ahnung hatte, wo Seine Königliche Hoheit sich vergangene Nacht aufhielt. Ganz heimlich stahl er sich mit dem Legationsrat Baron Novara, der Mitglied des Domino-Klubs ist, davon. Der Gesandte tobt und hat seinem Untergebenen befohlen, noch mit dem Nachtexpreß heimzufahren und die Angelegenheit dem König zu erklären – so gut er es kann.«

Mein Chef teilte Inspektor Charles' Aufregung nicht.

»Der langen Rede kurzer Sinn ist, daß man die Sache gern vertuscht sehen möchte, wie?« fragte er.

Ach, mit welcher Spannung erwartete ich die Antwort, und ich weiß nicht, ob ich es gänzlich zu verbergen verstand.

»Sie muß vertuscht werden!« rief der Detektiv. »Muß! Der Legationsrat hat die Unklugheit begangen, in den offiziellen Pressebericht zu setzen, daß der Prinz an einem Ball im Domino-Klub teilnahm.«

»So so. Das wird Madame Bonnell vorzüglich in den Kram passen«, bemerkte mein Chef trocken. »Glaubt man auf der Gesandtschaft, daß ein Anschlag gegen das Leben des Prinzen vorlag?«

»Ja. Und das ist das Schlimmste! Da die Monarchie in Lavonia den Bolschewiken ein Dorn im Auge ist, neigt man zu der Ansicht, einer ihrer Agenten habe als Frau verkleidet sich vergangene Nacht Zutritt zum Klub verschafft.«

»Zenobia!« Wider Willen entfuhr mir das Wort.

Meine beiden Gefährten sahen mich an – der Inspektor mit einem gewissen knurrigen Respekt, Sir Frank mit einem Ausdruck, der nahe an Geringschätzung grenzte. Und ich selbst biß mich zu spät auf die Zunge.

»Zenobia scheint die Identität des Prinzen sehr schlecht erraten zu haben«, sagte er kalt. »Es sei denn, Seine Königliche Hoheit habe gleichfalls eine Inquisitorrobe getragen. Verhielt es sich etwa so, Inspektor?«

»Verzeihung, Sir Frank – danach forschte ich nicht«, erwiderte Charles betreten.

»Dann tun Sie es bitte. Überhaupt wollen wir uns sämtliche Vermutungen über Zenobias Rolle aufsparen, bis die Nachforschungen bei den Kostümateliers beendet sind. Bleiben Sie noch eine Sekunde, Captain Charles. Ich will in Ihrer Gegenwart Madame Bonnell noch eine Frage stellen.«

Bei diesen Worten drückte Sir Frank Tarleton auf den nächsten Klingelknopf.

»Ich lasse Madame herbitten«, sagte er zu dem Kellner Gérard, der diensteifrig herbeigeeilt kam.

Die Französin fühlte sich sichtlich freier als bei der ersten Unterredung. Sie hatte ihrer eleganten Kleidung ein paar Kreppschleifen hinzugefügt und spielte mit viel Geschick die würdige, durch einen Todesfall betrübte Dame. Aber Tarleton trug dieser Trübsal wenig Rechnung.

»Nennen Sie mir gefälligst die Klubregeln hinsichtlich der Einführung von Gästen«, forderte er barsch.

Madame gab sich – mit schief geneigtem Kopf – das Ansehen einer Person, die erwägt, ob sie eine Gunst gewähren soll oder nicht.

»Ich glaube, daß ich Ihrem Wunsche willfahren darf, Sir Frank«, lächelte sie süß. »Für jede Festlichkeit stand jedem Mitglied eine Gastkarte zur Verfügung. Indes verlangten die Satzungen, daß er den Namen des betreffenden Freundes, den er mitzubringen gedachte, und das Kostüm, in dem dieser erscheinen würde, in das Klubregister eintrug.«

»Zeigen Sie mir bitte das Register.«

Offensichtlich hatte Madame dieses Verlangen erwartet.

»Das Register ist streng vertraulich«, erklärte sie hoheitsvoll. »Es enthält die Namen sämtlicher Mitglieder. Ich führe es zu meinem Privatgebrauch und kann niemandem Einblick gestatten.«

»Inspektor Charles, ich ersuche Sie, Ihre Pflicht zu tun«, wandte sich Tarleton an den Beamten von Scotland Yard.

Die Französin wurde vor Erregung krebsrot.

»Mein Gott, was bedeutet das? Haben Sie die Zeitungen gesehen?« Sie entfaltete ein Abendblatt, eins dieser Blätter, die schon spätnachmittags erscheinen. »Hier steht in großer Schrift angekündigt, daß Seine Königliche Hoheit, der Prinz von Lavonia, mich gestern nacht durch seine Anwesenheit beehrte. Mein Klub erfreut sich also eines königlichen Protektorats, Gentlemen. Das ist keine Sache für die Polizei.«

Mein Chef hatte mir Inspektor Charles ganz wesensecht geschildert, und Charles zeigte seine Natur, sobald die erboste Frau schwieg. Erst setzte er eine Pfeife an die Lippen, dann trat er einen Schritt vor und legte seine eiserne Hand auf ihren Arm.

»Ich verhafte Sie im Namen des Königs!«


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