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VII.

Cesarine Veydt wartete bereits mit der höchsten Ungeduld auf Hendrik. Ihr Vetter Edward, der gerade einige Stunden zu verlieren hatte und deßhalb mitgehen wollte, doch mehr Hendrik's als Cesarinens wegen, lachte die Cousine mit ihren bösen Gesichtern gelassen aus. Die Tante moralisirte denn auch, und so kam es, daß Hendrik die junge Person mit glühendrothem Gesicht und in Thränen fand.

Cesarine brauchte sich nicht noch röther zu weinen als sie an und für sich war. Sie hatte einen wahren Ueberfluß an Farbe, dazu eine Gestalt über die Mittelgröße hinaus und von sehr kräftigem Bau; einen starken Kopf, ein langes Profil mit gerader Stirne und geradem Kinn, etwas Viereckiges, Massiges im Gesicht, volle rothe Lippen, helle scharfe Augen, und nur eine Schönheit: reiches Haar von einem lichten schimmernden Blond.

Sie mußte mit sechzehn Jahren, wo noch Vieles an ihr unentwickelt und die Farbe noch nicht so stark aufgetragen war, hübsch gewesen sein, wenigstens rosig und frisch. Jetzt war sie auch noch frisch, aber nicht mehr wie eine Rose. Mit dreißig Jahren mußte sie bereits anfangen, häßlich zu werden, und wie weit sie es darin bringen würde, das ließ sich gar nicht berechnen.

Sie hielt sich jedoch für eine Schönheit und benahm sich ganz demgemäß. Obgleich Hendrik mit munterer Höflichkeit schönstens um ihre Verzeihung bat, daß er etwas später komme, und seine Redakteurpflichten höchst beweglich als äußerst schwer darstellte, schmollte und grollte sie doch mit ihm ganz auf die Art eines verzogenen Kindes oder einer verletzten Schönheit. Ihre Thränen hatte sie getrocknet, aber mitgehen wollte sie jetzt nicht mehr, nein, gewiß nicht. Sie war krank, sie wollte zu Hause bleiben.

»Dann bleibt Ihr allein,« sagte die Tante, »denn ich gehe zu meiner Schwägerin.«

»Kommt doch mit, Rien,« sagte Hendrik gutmüthig. »Krank seid Ihr ja nicht, wenigstens sieht man es Euch nicht an.«

»Nein,« stimmte Edward lachend ein, »in ganz Antwerpen giebt es kein Mädchen mit röthern Backen.«

Cesarine fuhr nach dem Vetter herum, den sie nicht ausstehen konnte. Sie hätte die ganze Nacht nicht geschlafen, erklärte sie, Nervenfieber gehabt. Cesarine meinte damit, daß sie nervös erhitzt gewesen sei.

Edward schlug ihr gleichmüthig vor, doch anstatt spazieren zu Bette zu gehen. »Wir werden uns schon ohne Euch behelfen, Hendrik und ich,« schloß er.

»Ja, das glaub' ich wohl,« rief Cesarine und die Thränen fingen wieder an, »ich bin überall überflüssig, Niemand liebt mich arme Waise.«

Eine Waise war Cesarine allerdings, sie hatte ihre Eltern schon als kleines Mädchen verloren und war von der Großmutter er- und verzogen worden. Als die Großmutter starb und dem Mädchen Nichts hinterließ, weil sie von einer kleinen Pension Nichts hatte ersparen können, kam Cesarine in das Haus ihres Vaterbruders. Der sorgte für ihre Erziehung und ließ sie viel besser unterrichten, als die Mädchen ihres Standes für gewöhnlich unterrichtet werden. Er bestimmte sie zur Lehrerin an irgend einer Erziehungsanstalt. Bevor er jedoch eine Stelle für sie ausfindig machen konnte, starb er, und Cesarine blieb seiner Wittwe überlassen. Die hatte allerdings ihr Auskommen, aber keineswegs Ueberflüssiges wegzugeben. Cesarine sollte werden, wozu der Onkel sie bestimmt hatte, aber nun der Onkel todt war, wollte Cesarine nicht. Cesarine fand es bequemer, bei der Tante zu leben. Die Tante, die allenfalls das Mädchen bei sich behalten konnte, that es, nur verlangte sie, daß Cesarine gleich den anderen Bürgermädchen im Hauswesen Hand anlegen, waschen, kochen sollte. Das hinderte sie ja nicht, nachher den Hut aufzusetzen und als junge Dame am Arm eines jungen Herrn in die »Zoologie« zu gehen, wie der zoologische Garten kurzweg genannt wird. Gegen den Hut, die Zoologie und den jungen Herrn hatte Cesarine auch nichts, dagegen hatte sie unaufhörliche Einwendungen gegen Waschen und Kochen. Cesarine fand, daß es eine Entwürdigung ihrer ungewöhnlichen blonden Person sei, wenn sie genöthigt wurde, ein Buch wegzulegen, um an ein häusliches Geschäft zu gehen. »So von Victor Hugo's Gedichten zu den schmutzigen Töpfen zu müssen, ach, das ist doch schrecklich!« sagte sie, und Hendrik, der Dichter und glühende Schwärmer für Victor Hugo, fand es auch schrecklich. Weil Cesarine Deutsch und Englisch verstand und lieber Romane las, als Strümpfe stopfte, glaubte Hendrik wirklich, Cesarine sei irgend ein außergewöhnliches Wesen, welches in so gewöhnlichen Umgebungen nicht anders als unglücklich sein könne und dadurch bisweilen etwas launisch und zänkisch werde.

Die Gefahr der weiblichen Halbbildung ist eine Phase, welche Belgien noch durchzumachen hat. Cesarine war bereits ein Opfer derselben, Hendrik aber sah in ihr nur ein Opfer der Prosa. Er, der so wenig Verhältnisse und nur einen Typus von Frauen kannte, wie hätte er es wissen sollen, daß Nichts alltäglicher ist, als das Auflehnen junger ungezogener Personen gegen das ernste Nothwendige des Lebens? Er konnte nicht ahnen, wie viele Kammerjungfern dergleichen romantische Bedürfnisse haben. Der allerliebste österreichische Ausdruck, »romantisches Tschaperl«, war ihm fremd, es konnte ihm also nicht einfallen, daß er in Cesarine eines von erster Qualität bewunderte. Bisweilen lachte er sie aus, wenn sein gesunder Sinn ihn einsehen ließ, daß ihre Ansprüche geradezu drollig wären, wie z. B. eines Morgens, als er sie in heißen Thränen fand, weil es kein Regenwasser gäbe und sie sich mit Brunnenwasser waschen sollte. Gewöhnlich jedoch beklagte und tröstete er sie, und auch jetzt sagte er zu Edward: »Plagt das arme Kind doch nicht – sie bleibt doch immer eine Waise.«

»Und darum soll sie alle Welt plagen können?« antwortete Edward. »Nein, Rik, Waisen haben darin keine Vorrechte; wollen sie geliebt werden, müssen sie sich liebenswerth zeigen, gerade wie alle andern Menschen auch. Sind Waisen so unerträglich wie Rien, so fragt man nicht weiter nach ihnen, und läßt sie gehen. Rien kann noch zufrieden sein, daß wir es so mit ihr machen. Wäre sie keine Waise, so wollten wir ihr ein anderes Liedchen aufspielen. Eine leibliche Mutter hätte sicher die Geduld nicht mit ihr, die meine Mutter als Tante hat. O, Rien weiß das auch; sie trotzt auf ihren Waisenstand. Und nun – kommt Ihr mit, Rik?«

»Ich will doch lieber hier bleiben und Rien Gesellschaft leisten – wenn sie jetzt so allein bliebe, könnte sie wieder weinen,« antwortete die gute Seele von Hendrik in entschuldigendem Tone.

»Wie Ihr wollt,« sagte Edward, und ging – den Hut brauchte er nicht erst aufzusetzen, er hatte ihn bereits auf. Er ging und pfiff und zuckte die Achseln über Hendrik. Edward, der Architekt war und folglich mit positiven Dingen wie Stein, Mörtel und Meßkunst zu thun hatte, war sehr wenig empfänglich für Romantik, besonders für falsche. Er hielt Rien für eine Närrin und fing allmälig auch an, Hendrik für einen Narren zu halten. Doch da Jeder sich selbst der Nächste ist, dachte Edward zugleich: »wenn er sie sich aufladen will – seine Sache – wir werden sie dabei immer los.« Seiner Freundesloyalität hatte er genug gethan, indem er Cesarine in Hendrik's Gegenwart immer unbarmherzig lächerlich gemacht hatte. Wollte Hendrik dennoch, wohl, so war es, wie Edward dachte, seine Sache.


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