Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

XIII.

Florent traf Hendrik zwei Tage später, also am Sonntag, auf dem grünen Platz. Hendrik ging zu Rien, Florent kam abermals von der Herrmann, wo er sein Urtheil über eine Skizze abgegeben hatte, nicht die von jenem Abend – eine neue. Die Hofräthin war in das Entwerfen hineingekommen, jede neue Entwicklungsperiode des Geistes beginnt mit der Unruhe der Pläne.

»Tag, Meinherr Van Loon,« sagte Florent. Im Vlämischen wird blos kurzweg»Tag« gesagt das »gute« erspart man sich, nur bei der Nacht setzt man es hinzu.

Hendrik erwiederte ebenso höflich und freundlich: »Tag, Meinherr Herreyns.«

»Wohl, und wie geht es?«

»Nun, so stillchen weg.« Stillchen ist ein beliebter Ausdruck, welcher dadurch drollig wird, daß die Vlamingen meistens sehr laut sprechen und sich sehr geräuschvoll gehaben. »Wart Ihr schon bei Madame Ermann?« frug Florent weiter.

»Nein, heute noch nicht,« versetzte Hendrik etwas verlegen durch Florent's Lächeln. Florent konnte sehr satyrisch lächeln, und hatte durch die geschlitzte Form seiner Augen ganz den Seitenblick in der Gewalt, von welchem ein solches Lächeln eigentlich begleitet sein muß.

»Wohl,« sagte Florent wieder, indem er Hendrik seine Begleitung angedeihen ließ, eine seltene Ehre, denn Florent war katholisch und ließ sich ungern öffentlich mit Liberalen sehen, »wohl, ich war heute da, gestern, vorgestern –«

»Nicht öfter?« schob Hendrik ein.

»Nein, nicht öfter,« antwortete Florent unschuldig. »Und – laßt mich sehen, wann es war – ja, vorgestern da fand ich Jungfrau Ermann mit – den Liedern von Meinherr Hendrik Van Loon beschäftigt und – mit Meinherr Hendrik Van Loon auch.«

»Ja?« fragte Hendrik und gab sich alle Mühe, unbekümmert auszusehen.

»Nun, fragt mich nur, ich werde Euch antworten,« sagte Florent mit verstellter Gutmüthigkeit.

»Ist was zu fragen?«

»Ja, und was zu antworten auch. Die Jungfrau erkundigte sich, wer Maria wäre, und ich habe ihr das sehr rührend erzählt –«

»Ich kann mir das denken,« warf Rik trocken dazwischen.

»Meinherr Van Loon!« sagte Florent feierlich, »zweifelt Ihr an meinem Wunsche, an meinem Bestreben, Euch so interessant wie möglich hinzustellen?«

»O keinesweges,« antwortete Hendrik mit einer kleinen Verbeugung, »und ich bin überzeugt, Eure Bemühungen haben den besten Erfolg gehabt.«

»Das kann ich leider nicht sagen,« sprach Florent. »Ich weiß nicht, war es meine Schuld – Ihr wißt, ich bin kein Romancier – oder ist die junge Jungfer unempfänglich für rührende Geschichten – die Wahrheit ist, daß sie sehr wenig interessirt aussah.«

Hendrik steckte die Hände in die Taschen und fragte: »wohl, das ist ja doch kein Unglück, nicht wahr?«

»Ich habe nicht gesagt, daß es ein Unglück sei,« antwortete Florent sehr freundlich. »Und wohin geht Ihr denn nun, Meinherr Van Loon?«

»Och, ich gehe nur so ein Bischen zu Madame Veydt.«

»Eine gute Frau, Madame Veydt.«

»Eine sehr gute, brave Frau.«

»Und Edward ist auch ein netter Junge.«

»Sicher.« Sicher ist im Vlämischen etwa wie das lombardische » altro!« eine emphatische Bekräftigung.

»Wohl, Tag, Meinherr Van Loon,« sagte Florent.

»Tag, Meinherr Herreyns,« antwortete Hendrik.

Sie gingen ein Jeder seines Weges, aber in sehr verschiedener Gemüthsstimmung. Florent empfand ein kleines inneres Behagen. So gut er eigentlich war, so gern plagte er besonders seine Freunde. Und dann hatte er eine große Neigung zur Eifersucht. Es war dabei kein Neid im Spiel, er gönnte Andern alles Gute, aber er wollte gern etwas Besonderes sein und haben. Wo er öfter hinkam, mochte er gern der am meisten geschätzte, am vertraulichsten behandelte Freund sein. So war es auch bei den Herrmanns. Je mehr Florent sich bei ihnen eingewöhnte, je angenehmer ihm dieser Verkehr mit zwei empfänglichen und verstehenden Frauennaturen wurde, je mehr störte es ihn, Hendrik auf dem Platz des zuerst Bekanntgewordenen zu finden. Er hätte mögen nachträglich die Herrmanns in Antwerpen einrichten und einführen. Und da das nicht ging, so nahm er geschwind die Gelegenheit war, um Hendrik anzudeuten, daß er Helenen doch wohl nicht so viel Interesse einflößen dürfte, als er vielleicht glaube.

Hendrik – hatte es nicht geglaubt, o nein; aber als Florent ihn so freundlich das Gegentheil merken ließ, da – ärgerte er sich doch. Welcher junge Mann kommt öfter mit einem anmuthigen jungen Mädchen zusammen, ohne den leisen Wunsch zu hegen, ihr – wenigstens nicht ganz uninteressant zu bleiben? Daß Hendrik Rien liebte, machte ihm Helenens Gesinnung gegen ihn keinesweges gleichgültiger, ihr Wohlwollen durchaus nicht minder wünschenswerth. Die Männer sind, im Allgemeinen wohlverstanden, darin den Koketten unter den Frauen ähnlich, sie wollen überall Allen gefallen. Versteht sich, daß Hendrik der jungen Deutschen nicht bis zu einem gefährlichen Grade gefallen wollte, »aber doch so ein Bischen«, wie die Vlamingen sagen, wenn sie gern Viel haben möchten, ohne es doch geradezu fordern zu wollen. Und dieses »Bischen« wurde ihm nun durch Florent zweifelhaft gemacht. Sie hatte seine Geschichte kalt angehört, wer wußte denn, ob sie nicht sogar darüber gelacht hatte? Ueber Melanie, die arme Todte lachen – Hendrik war entrüstet. Dann sagte er sich als vernünftiger und billiger Mensch, daß er ja keinen Grund dazu habe, Helenen eine solche Gemüthlosigkeit zuzutrauen. Florent hatte ja nur gesagt, daß sie nicht interessirt ausgesehen habe. Nun, das war ihr Recht, sie war ja nicht dazu verpflichtet, sich für ihn zu interessiren. Gewiß nicht. Zugleich mit diesem Schluß kam Hendrik an die Thüre der Madame Veydt. Cesarine erwartete ihn heute mit einer wahren Sonntagslaune, sie hatte ein neues Kleid an. Hendrik sollte das neue Kleid bewundern, Hendrik fand, daß es sehr schlecht gemacht sei. So dick sah Cesarine darin aus – och! Schlank konnte sie nie aussehen, dazu war sie nicht gebaut, aber dicker als gewöhnlich sah sie auch nicht aus, denn sie trug selbst Sonntags keine Krinoline. Das war eine Eigenschaft, wegen welcher Cesarinen viele minder gute verziehen werden konnten, eine Eigenschaft, die ein Jeder nach Werth zu schätzen wissen wird, welcher von Achtzehnhundertsechsundfünfzig bis achtzehnhundertneunundfünfzig, wer weiß, wie viele Jahre länger noch, die Qual erlitten hat, auf den belgischen Eisenbahnen zwischen den in Tonnen verwandelten Brüsslerinnen, Antwerpnerinnen, Mechlerinnen u. s. w. zu sitzen und zu ersticken. Hendrik jedoch war diesen Morgen nicht in der Stimmung, gerecht zu sein, er fand Cesarine zu dick auch ohne Krinoline. Als Cesarine in gerechter Empfindlichkeit sich erkundigte, was ihm denn seinen »Humor« so verdorben, da wollte er zuerst an Kopfschmerz oder »Hauptpein« leiden, und dann packte er seine üble Laune dem Ministerium auf. Ja, das Ministerium, für welches Hendrik so begeistert geschrieben hatte, es hatte sich Hendrik's und der liberalen Partei unwürdig gezeigt, es war viel »retrograder«, als ein katholisches je zu sein gewagt hatte, kurz, es konnte nicht liberal im Sinne der »Konstitution« genannt werden. Jef war noch zur Nachsicht gegen dasselbe geneigt – aus den fünfhundert Franken konnten tausend werden, Jef brauchte dazu nur ein zweites »gottesdienstliches« Buch zu schreiben, welches nicht ging. Hendrik dagegen verlangte mit großer Energie »das reaktionärste Ministerium, welches es geben könne«, »denn«, setzte er sehr weise hinzu, »das allein kann uns die Revolution bringen. So lange man glaubt, daß wir ein liberales Ministerium haben, kommt keine zu Stande.« Was werden sollte, nachdem die Revolution zu Stande gekommen sei, das mußte man Hendrik nicht fragen: er hatte das Unglück der jungen Weltstürmer, nicht zu wissen, was er wollte. Indessen das würde sich finden, meinte er, und fragte Rien, ob sie das nicht auch glaube? »Was?« fragte Rien sehr kurz. Daß eine Revolution kommen müsse, antwortete Hendrik sehr erhitzt und ärgerlich. »Ach, was geht's mich an, ob eine Revolution kommt oder nicht,« erwiederte Rien auch ärgerlich. Sie waren beide ärgerlich, der Sonntag war verdorben. Es ließ sich fast mit Bestimmtheit voraussagen, daß in Hendrik's künftiger Ehe öfter die Sonntage auf eine solche Art, d. h. um Nichts und wieder Nichts verdorben werden. Würden.


 << zurück weiter >>