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I. Teil
Von Sonnenburg bis Esterwegen


1. Kapitel.
Sonnenburg: Mordsturm 33 rächt sich

In der Nacht des Reichstagsbrandes wurde mein Sohn verhaftet. Seit dem Felsenecke-Prozeß war ich in Angst um ihn. Ich hatte ihn angefleht, wenigstens für eine Weile ins Ausland zu gehen. Ein Haus und Geld waren ihm dort zur Verfügung gestellt. Er lehnte alles mit den Worten ab: »Die Millionen Arbeiter können nicht heraus, also muß ich auch hier bleiben.«

Am 28. Februar 1933 um vier Uhr morgens holte man ihn aus dem Bett. Es scheint ganz gemütlich vor sich gegangen zu sein, denn seine Freunde Fürsts, mit denen er einen gemeinsamen Haushalt führte, erzählten, daß er mit mehr Ruhe, als er sich gewöhnlich gönnte, sein Bad nahm, während sein Zimmer gründlich untersucht wurde. Nichts Verdächtiges fand sich. Nur ein paar Grundrißzeichnungen von Kathedralen, in denen er den Übergängen von romanischen zu gotischen Formen nachging, wurden als äußerst verdächtig beschlagnahmt. Eigentlich regte sich niemand sonderlich über die Angelegenheit auf. Selbst ich, die den Nazis ungeheure Barbarei zutraute, meinte: »Eigentlich recht anständig von der Regierung, daß sie ihre Gegner auf diese Weise vor den braunen Horden schützt, für die doch nun sicher eine hemmungslose ›Nacht der langen Messer‹ kommt.« Man hörte von zahllosen namhaften und belanglosen politischen und unpolitischen Leuten, die festgenommen wurden. Das beruhigte, ebenso wie das Wort »Schutzhaft«.

Bald hörte man allerdings mehr. Viele der Verhafteten waren in SA-Kasernen geschleppt und gräßlich mißhandelt worden. Auch viele Todesfälle infolge von Mißhandlung wurden schon bekannt. Wir priesen das glückliche Schicksal meines Sohnes. Er war als einer der ersten von Polizeibeamten verhaftet und im Polizeigebäude eingeliefert worden. Die späteren Verhaftungen wurden gewöhnlich von SA- und SS-Leuten vorgenommen, und wer in ihre Hände fiel, wurde meistens entsetzlich verprügelt.

Mein Sohn kam am nächsten Tage mit einem ganzen Schub von Ärzten, Rechtsanwälten, Schriftstellern usw. nach dem Gefängnis in Spandau. Auch von dort kamen gute und zuversichtliche Nachrichten. Viele erklärten zwar die Primitivität der Lebensführung für unerträglich, aber meinem Sohn, der gewöhnt war, ein spartanisches Leben zu führen, machte das nichts aus. Außerdem bildete man sich doch ein, auch weiterhin in einem Rechtsstaat zu leben. Wenn die »Machtergreifung« beendet und alles geregelt sein wird, wird man ja wieder frei sein und seiner Arbeit nachgehen können.

Die Sorge um das Anwaltsbüro ist jetzt das Wichtigste. Der Betrieb stockt, denn auch der Anwalt, mit dem mein Sohn in Bürogemeinschaft lebt (Barbasch), sitzt in Spandau. Die junge Sekretärin meines Sohnes, Margot Fürst, hat vor acht Tagen ihr zweites Kind bekommen. Das hindert sie nicht, sich mit allen Kräften in die Büroarbeit zu stürzen. Vertreter werden gesucht, die den Betrieb wenigstens notdürftig aufrechterhalten. Aber schwierig ist es. Viele haben Angst und werden dafür schrecklich von der tapferen kleinen Sekretärin beschimpft. Einer von ihnen, auf den sie besonders böse ist, weil er doch weiß Gott »völlig unbelastet« ist, wird am nächsten Tage von der SA zu Tode geprügelt. Er hatte einmal in einem SA-Mordprozeß als Augenzeuge eine der Wahrheit entsprechende Aussage gemacht.

Nun setzt eine Massenflucht von Anwälten ein, die im wahren Sinn Anwälte des Rechts gewesen waren und sich nicht rechtzeitig »gleichgeschaltet« hatten. Es findet sich keiner mehr, der es wagt, noch eine Stunde auf das Büro zu kommen oder eine Unterschrift zu leisten. Aber die Sekretärin darf mit ihrem Chef in Spandau korrespondieren, darf ihn auch in eiligen Angelegenheiten persönlich oder telefonisch sprechen. Und wiederholt schärft er ihr ein, daß sie jeden Verlust, der entstanden ist, sofort notieren müsse, um Unterlagen für einen späteren Schadensersatzprozeß zu haben.

Wir bitten Alsberg, Hans zu verteidigen. Alsberg lehnt es (in weiser Voraussicht) ab, nennt aber allerhand »unbelastete« Anwälte, bei denen Hans in guten Händen sein werde. Diese wenden sich an zuständige Beamte, erhalten aber die Mitteilung, daß vorläufig keinerlei Schritte getan werden können. Einige anständige Beamte (auf einen Schlag konnte man ja nicht von allen »unzuverlässigen« Elementen säubern) geben ihnen den Rat, sich nicht durch ein Eintreten für Litten zu gefährden. Manchen raten sie sogar, sich schleunigst aus dem Staube zu machen. Tatsächlich erschien bei den Gewarnten auch die SA, um sie zu verhaften.

Ich mache keinen Versuch, Besuchserlaubnis zu erhalten, schreibe auch keinen Brief an meinen Sohn. Die Briefe und Besuche seiner Sekretärin sind wichtiger. Sie steht allen diesen Dingen mit viel mehr Gewandtheit gegenüber als ich, ist mutig und unermüdlich. Ich versehe sie nur mit dem nötigen Geld, um alles zu kaufen, was Hans braucht.

In der ersten Aprilwoche erhalten wir eine neue Adresse von Hans: Konzentrationslager Sonnenburg! Es ist eine kurze Karte, in der er uns mitteilt, daß es ihm gut gehe, daß es sich nur um eine örtliche Veränderung handle und sonst alles beim alten bleibe. Der nächste Brief berichtet nichts anderes, doch meinen wir, seine Stimmung müsse gedrückter sein, da er sein Testament erwähnt und seinem Freund Fürst rät, seine kostbare Bibliothek zu verkaufen, da er sie doch nicht mehr brauche.

Gleichzeitig schwirren in der Stadt Gerüchte umher von furchtbaren Mißhandlungen der Schutzhäftlinge in Sonnenburg. Noch nichts über Hans. Aber ich ging vorbeugend zum Reichswehrminister Herrn von Blomberg und bat ihn auf Grund unserer alten freundschaftlichen Beziehungen, sich um meinen Sohn zu kümmern. Ich erzählte ihm von den Gerüchten. Wenn ein Mann in seiner Stellung mal nach Sonnenburg telefoniere, um sich nach dem Befinden des Schutzhäftlings Hans Litten zu erkundigen, so würde das doch gewiß einen solchen Eindruck auf die Wachmannschaften machen, daß sie nicht wagen würden, ihn zu mißhandeln. Er war liebenswürdig und höflich wie immer (als Kommandierender General in Königsberg hatte er Wert darauf gelegt, in unserem Hause zu verkehren). Natürlich wolle er, wenn es mich beruhige, an das Lager telefonieren. Er wolle auch bei der nächsten Gelegenheit mit Göring sprechen. Aber er lacht über meine Befürchtungen. Daß so etwas vorkomme, sei ganz ausgeschlossen, und wenn es sich wirklich einmal ereigne, so ganz gewiß nicht bei einem Manne vom Ansehen Littens. Er sei ein unterlegener Gegner, den man natürlich durch die Inhaftierung kampfunfähig machen müsse, vor dem man aber alle Hochachtung habe, und den man bestimmt gut behandeln werde, schon weil man wisse, welch schlechten Eindruck es in der Öffentlichkeit mache, wenn einem solchen Mann etwas geschehe.

Am andern Tage nehmen die Gerüchte schon festere Gestalt an. Die Sonnenburger Zeitung bringt eine Notiz, daß ein Transport von Schutzhäftlingen vom Bahnhof nach dem Lager Sonnenburg unter dem Gesang des Horst-Wessel-Liedes marschiert sei. Die Bewachung habe mit Gummiknüppeln eifrig nachgeholfen.

Frau Mühsam berichtete Margot Fürst folgendes: Sie hatte für den Geburtstag ihres Mannes von der Gestapo Besuchserlaubnis erhalten, wurde aber am Tage vorher durch ein Telegramm benachrichtigt, daß ihm ihr Besuch jetzt nicht gut passe. Ein verabredetes Zeichen machte sie darauf aufmerksam, daß das Telegramm erzwungen und ihr Besuch sehr wichtig sei. Es gelingt ihr, ihn wenigstens einen Augenblick im Hofe zu sehen, da sie den Erlaubnisschein der Gestapo in Händen hat. Ihr Mann trägt deutliche Spuren schwerer Mißhandlungen, auch Caspar schleppt sich nur mühsam vorwärts. Man flüstert ihr zu, Litten befinde sich in so schlimmem Zustande, daß ihn auch keiner der Häftlinge mehr zu Gesicht bekäme. Frau Mühsam macht sich nun an die Bevölkerung von Sonnenburg heran und erfährt, daß die Schutzhäftlinge auf ihrem Marsch durch Sonnenburg von den Wachmannschaften mit Gummiknüppeln und Fußtritten vorwärts getrieben worden seien. Dann habe man das Absingen des Horst-Wessel-Liedes von ihnen verlangt. Als einige der Gefangenen nicht mitsangen (man muß bedenken, daß es damals noch die meisten Menschen mit Abscheu ablehnten, das »Zuhälterlied«, wie es im Volksmund hieß, zu singen, und daß diese Zumutung eine ungeheure Beleidigung war), fiel die SA über den Zug her und verprügelte die Leute so, daß viele von ihnen umfielen. Dann wurden sie mit den Nagelstiefeln so betrampelt, daß sie sich kaum weiterschleppen konnten. Caspar, Litten, Mühsam und Ossietzky wurden am schlimmsten mißhandelt, so endet der Bericht.

Zur gleichen Zeit trifft ein Brief von Hans ein, aus dem unsere nun geschärften Augen mit erstaunlicher Deutlichkeit sehen können, was sich zugetragen hat. Er spricht von verschiedenen Fällen aus seiner Praxis, die überhaupt nicht existieren. Er schreibt ungefähr: »Über meinen eigenen Sorgen habe ich einige sehr wichtige Fälle ganz vergessen. Du mußt unbedingt dafür sorgen, daß sie mit Sorgfalt behandelt werden. Bär (er wurde von seinen Freunden Bär genannt) muß endlich das Recht eingeräumt werden, seinen Mietsvertrag zu lösen. Er steht mit den anderen Einwohnern so schlecht, daß sie ihn dauernd überfallen, wenn er nachts nach Hause kommt. Sie haben ihn wiederholt in lebensgefährlicher Weise verprügelt. Da alle Versuche, Abhilfe zu schaffen, nichts genützt haben, muß man versuchen, ihm eine andere Wohnung zu verschaffen. Ferner liegt mir der Fall Hali (Ha–ns Li–tten) sehr am Herzen. Der Mann hat bereits in seiner unglücklichen Situation mehrfach Selbstmordversuche gemacht. Sein Vater hat ja hohe Beziehungen und kann ihm durch diese sicher zu einer vernünftigen Stelle verhelfen. Er steht zwar schlecht mit seinem Sohn, aber Du mußt ihm klar machen, daß es sich um sein Leben handelt.«

Noch am selben Tage schreibe ich an Blomberg einen Brief, daß sich meine Befürchtungen leider bestätigt hätten, ja daß alles, was ich befürchtet hätte, an Scheußlichkeit weit übertroffen würde. Ich bitte ihn dringend, sein Versprechen zu halten und energisch für Hilfe zu sorgen.

Ich gehe mit Margot zusammen auf die Gestapo zu dem Staatsanwalt Dr. Mittelbach, dem die Lager bei Berlin unterstehen, und der Hans und Margot von ihrer früheren Tätigkeit her kannte. Vor seiner Tür haben sich etwa dreißig Angehörige von Schutzhäftlingen angesammelt, um gegen die Sonnenburger Ereignisse zu protestieren. Dr. Mittelbach kommt gerade zur Tür heraus und erklärt, er empfange niemand, im Lager wäre alles in Ordnung. Alle lassen sich wegschicken, nur wir beide bleiben hartnäckig.

Nachdem ich in seinem Zimmer eine heftige Beschwerde über die Vorkommnisse abgegeben habe, erklärt Dr. Mittelbach: »Das ist ja gar nicht so schlimm. Ihr Sohn ist ein bißchen verhauen worden, und zwar von seinen Mithäftlingen.«

Ich: »Mein Sohn war immer außerordentlich beliebt. Eine solche Tatsache wäre also nur so zu erklären, daß die Häftlinge auf Befehl der Wachmannschaften mißhandelt haben.«

Dr. Mittelbach: »Nein, das ist psychologisch sehr wohl zu erklären. Diese Leute sehen jetzt ein, was sie sich eingebrockt haben, und lassen nun ihre Wut an denen aus, die sie beeinflußt und in diese Situation gebracht haben.«

Ich: »Ich habe kein Recht, Ihre Behauptung anzuzweifeln, aber eins weiß ich mit absoluter Bestimmtheit, daß nämlich die Wachmannschaften nicht nur ›ein bißchen verhauen‹, sondern sehr stark mißhandelt haben.« Und ich erzählte ihm alle Einzelheiten, die ich in Erfahrung gebracht hatte.

Darauf meinte Dr. Mittelbach: »Nun, wenn Sie so genau Bescheid wissen, so will ich Ihnen zugeben, daß da Dinge passiert sind, die wir selbst aufs schärfste mißbilligen. Wir haben aber sofort für Abhilfe gesorgt. Die SA-Leute sind abgelöst und durch Polizei ersetzt worden. Ihr Sohn ist in Einzelhaft gebracht worden, damit er vor Übergriffen geschützt ist. Sie können ganz beruhigt sein.«

Ich war auch wirklich beruhigt und bin auch jetzt noch davon überzeugt, daß Dr. Mittelbach, der den Eindruck eines wirklich anständigen Menschen machte, von dem guten Erfolg seiner Anordnungen überzeugt war.

Der nächste Brief meines Sohnes zeigte mir aber, daß sich seine Lage verschlechtert hatte. Wiederum in fingierte Rechtsfälle aus seiner angeblichen Praxis eingekleidet, schrieb er, daß man gerade die Einzelhaft zu ungestörten Folterungen benutzte. Er bat uns, alle unsere Beziehungen arbeiten zu lassen, um ihm zu helfen.

Ich setzte Dr. Mittelbach äußerst heftig und energisch auseinander, daß seine Vorkehrungen nicht das mindeste genützt hätten, im Gegenteil, daß alles noch viel schlimmer geworden sei. Ich sagte ihm, daß ganz Berlin voll von diesen Greuelnachrichten sei, daß man kein Café, keine Untergrundbahn betreten könne, ohne über die entsetzlichen Mißhandlungen zu hören. Aus den Briefen meines Sohnes erwähnte ich als einzige beunruhigende Äußerung, daß er sich wegen seiner schlechten Schrift entschuldigte, er habe keine Brille.

Ich bat um sofortige Besuchserlaubnis.

Dr. Mittelbach: »Ich kann Ihnen keinen Besuch gestatten, da bereits die Sekretärin Ihres Sohnes die Erlaubnis für die Besuche hat.«

Ich: »Das sind berufliche Angelegenheiten. Ich, als die Mutter, habe mehr Recht auf einen Besuch als die Sekretärin.«

Dr. Mittelbach: »Ich habe aber wirklich schon mehr Besuche gestattet, als ich verantworten kann.«

Ich: »Trotzdem habe ich als Mutter ein Anrecht auf einen Besuch. Ich habe mich lange genug zurückgehalten.«

Dr. Mittelbach: »Später, jetzt ist aus technischen Gründen ein Besuch nicht möglich.«

Ich: »Diese Besuchsverweigerung ist mir ein Beweis, daß sich mein Sohn in einem Zustand befindet, in dem Sie ihn nicht vorzeigen können. Ich mache Sie für das Leben meines Sohnes verantwortlich.«

Dr. Mittelbach: »Ich kann doch nicht immer dabeistehen und aufpassen, daß Ihrem Sohn nichts geschieht.«

Ich: »Ihnen untersteht das Lager, Sie können den Befehl geben, daß die Mißhandlungen zu unterbleiben haben. Sie werden doch wahrhaftig noch in der Lage sein, im Lager für Ordnung zu sorgen.«

Dr. Mittelbach: »Ihr Sohn ist eben so verhaßt bei der SA, daß man ihn beim besten Willen nicht schützen kann.«

Ich: »Wenn ich an Ihrer Stelle wäre, könnte ich ihn schützen.«

Dr. Mittelbach: »Wie würden Sie denn das machen?«

Ich: »Ich würde sofort hinfahren, mir unter vier Augen von ihm erzählen lassen und mir seinen Körper ansehen. Wenn Sie sich auf diese Weise von den Mißhandlungen überzeugt haben, an deren Schwere Sie ja nicht glauben, so werden Sie es wohl schon fertigbringen, daß die SA sich ordentlich benimmt. Außerdem würde ich mir nicht einbilden, daß sich Verbrecher, wenn ich sie in die Kleider anständiger Menschen stecke, sich auch anständig benehmen. Sie haben den Mordsturm 33 (das war der Sturm, dem mein Sohn eine ganze Anzahl von Morden nachgewiesen hatte) nicht zurückgezogen, sondern ihn mit Polizei vermischt und ihn in Polizeiuniform gesteckt.«

Er versprach mir tatsächlich, sich am nächsten Tag, an dem er sowieso im Lager zu tun habe, persönlich um meinen Sohn zu kümmern. Ich sagte ihm noch, daß ich im Interesse meines Sohnes selbstverständlich alle Beziehungen mobil machen und zunächst den mir befreundeten Reichswehrminister von Blomberg um Hilfe bitten würde.

Die nächste Nacht verbrachte ich auf der Eisenbahn, da ich eben wirklich alle meine Beziehungen mobil machen wollte. Hans war bereits einen Monat lang in Sonnenburg. Ich besuchte den Prinzen Wilhelm, den ältesten Sohn des Kronprinzen, mit dem mein Mann befreundet war. Er war von meiner Bitte keineswegs überrascht, da er ganz gut im Bilde war. Aber er sagte: »Ich habe gar keinen Einfluß, und ich selbst kann auch nichts riskieren, da ich als Stahlhelmer gefährdet bin. Ich muß froh sein, wenn mich die Brüder in Ruhe lassen.«

Ich: »Wollen Sie mir nicht eine Empfehlung an Ihren Onkel August Wilhelm geben? Da er schon lange Nazi ist, wird er Einfluß haben, vielleicht hilft er mir.«

Prinz Wilhelm lachte: »Auwi? Nein, mit dem hat unsere ganze Familie offiziell gebrochen, als er Nazi wurde.«

»Und der Kronprinz?«

»Ja, hilfsbereit würde der selbstverständlich sein, aber ob er Einfluß haben wird? Außerdem ist er in Italien, seine Adresse wechselt, er ist nur über die dortige Gesandtschaft zu erreichen. Brieflich läßt sich doch so etwas sehr schwer erledigen. Aber wie ist es mit dem Grafen Alexander Dohna? Der ist doch mit August Wilhelm eng befreundet!«

Beim Grafen Alexander Dohna dasselbe Bild. »Prinz Auwi? Unmöglich, wir sind stockböse, seitdem er der Partei beigetreten ist. Wir haben sogar heftige Zeitungspolemiken miteinander gehabt. Außerdem, meine eigene Stellung ist wackelig. Ich fürchte, jeden Tag selber hinausgeworfen zu werden.«

Wir gingen alle gemeinsamen Bekannten von Bedeutung durch. Die anständigen waren sämtlich ohne Einfluß, meist sogar gefährdet. Von den anderen, die sich rasch noch im letzten Augenblick zu den stärkeren Bataillonen geschlagen hatten, war keine Hilfe zu erwarten. Prinz Wilhelm gab mir eine Empfehlung an einen führenden Stahlhelmer in Berlin, den ich einige Tage später aufsuchte und der mir erklärte: »Ich befinde mich augenblicklich selber in einer gefährlichen Situation durch meine enge Verbindung mit Düsterberg, den sie gerade hinausgeworfen haben. Ich bemühe mich Tag und Nacht, Stahlhelmer aus den Folterkellern der SA herauszuholen, aber ich kann nur selten einen Erfolg verzeichnen. Ich will versuchen, für Ihren Sohn weniger gefährdete Leute zu interessieren.«

Während wir uns noch mit Graf Alexander Dohna den Kopf zerbrechen, ob sich nicht in unserem großen Bekanntenkreis ein einziger, gleichzeitig anständiger, ungefährdeter und einflußreicher Mann befände, kam ein Anruf aus Berlin von meinem zweiten Sohn Heinz, Dr. Mittelbach habe soeben angerufen, ich könne meinen Sohn in Spandau besuchen.


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