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Auf einer Tabakpflanzung

Ein Affe!« rief Arnold Hemskerk aufgeregt mitten in das Gespräch hinein und deutete durch das Fenster des Eisenbahnwagens auf ein graues Tier, das auf Mangrovenwurzeln herumspazierte, die auch in dem sumpfigen Gelände zu beiden Seiten der Bahn ein dichtes Gewirr bildeten.

Die Insassen des Abteils lächelten über die Freude des Neulings an einer Erscheinung, die sie kaum noch zu beachten pflegten.

»Warte nur, du wirst bald mehr davon sehen,« antwortete sein Freund.

Eine lange Brücke führte über den Fluß. Hier gab es Haine von Kokospalmen und Bananen, zwischen deren Grün des öftern eine Malaienhütte hervorlugte.

Eine Strecke dichtverwachsenen Urwaldes veranlaßte Arnold Hemskerk zu der Frage, ob sich wilde Tiere bis hierher wagten. Jans Vater, ein großer, breitschultriger Mann mit langem blonden Vollbart, nickte lebhaft.

»Ich kann gerade wieder einmal ein Lied davon singen. Wildschweine haben sich sogar angewöhnt, nachts in meinen schönen Garten einzubrechen und junge Anpflanzungen zu durchwühlen. Wenn es Ihnen Spaß macht, können Sie mit der Aussicht auf ziemlich sicheren Erfolg bei uns auf die Jagd gehen, denn im nahen Buschwerk treiben sich auch bei Tage ganze Rudel umher.«

»Entschuldige, Vater, daß ich dich unterbreche! Arnold meinte gewiß große Raubtiere. Du mußt nämlich wissen, er sehnt sich nach merkwürdigen Erlebnissen, nach Urwaldabenteuern, die man in Europa nur aus Büchern kennt. Eine harmlose Saujagd …«

»Sehen Sie, Herr Hollebeek, so ulkt er immer, weil ich mich darauf freue, eine Zeitlang unter völlig fremden Verhältnissen zu leben. Auch wenn sich keine Gelegenheit zu großen Abenteuern bieten sollte …«

»Ehe man sich dessen versieht, ist man in diesem Lande zuweilen mitten drin,« fiel der Pflanzer schmunzelnd ein. »Denken wir nur an die Saujagd! Ganz so harmlos, wie Jan meint, ist sie nämlich durchaus nicht. Besonders gegenwärtig kann man dabei auf eigenem Grund und Boden Überraschungen erleben, auf die ein Jäger in Europa nicht gefaßt zu sein braucht.«

»Sprich weiter, Vater; du machst mich neugierig,« drängte Jan, als der Sprecher mit kluger Berechnung eine Pause machte, um die Spannung seiner Zuhörer zu steigern.

»Ich denke nicht an einen angeschossenen Keiler, wenn auch ein solcher unangenehm genug werden kann,« fuhr Herr Hollebeek fort, indem er seinen Sohn bedeutungsvoll anblinzelte. »Ich entsinne mich eines Jünglings, der in solcher peinlichen Lage das Vertrauen zu seinen: Schießeisen verlor und, wie die eingeborenen Treiber, mit affenartiger Geschwindigkeit auf den nächsten Baum turnte.«

»Aber Jan, du wirst ja rot,« rief sein Freund lachend.

»Alte Geschichten,« kam es mit einer abwehrenden Handbewegung knurrend zurück. »Ich war siebzehn Jahre alt und kaum von drüben heimgekehrt. Schulbänkedrücken ist bekanntlich keine geeignete Vorübung für Jagdabenteuer, und der Keiler sah wirklich, höchst ungemütlich aus, als er gerade auf mich zugerast kam. Aber wärmen wir doch nicht solchen alten Kohl auf! Sprich weiter, Vater! Ich sehe dir an, daß die Hauptsache noch kommt.«

»Das will ich nicht bestreiten. Also stelle dir mal vor, du streiftest, nichts Böses ahnend, im Busch herum und sähest dich plötzlich einem riesigen, schwarz und gelb gestreiften Raubtier gegenüber, das …«

»Ein Tiger auf unserem Gebiet?« unterbrach sein Sohn lebhaft. »Hat sich wirklich wieder einer herangewagt? Ist es kein Eingeborenengeschwätz?«

»Diesmal nicht! Die Beweise sind überzeugend genug, aber ich habe auch mit eigenen Augen seine Fährte gesehen. Eine Riesentatze, die auf einen gewaltigen Körper schließen läßt! Wahrscheinlich haben ihn die Wildschweine angelockt. Aber er verschmäht offenbar auch Schaffleisch nicht, denn vor ein paar Tagen hat er sich am hellichten Tage einen Hammel geholt.«

»Und er lebt noch?« fragte Jan in höchster Spannung.

»Vermutlich; wenigstens hat er uns bisher noch nicht den Gefallen getan, in die Falle zu gehen, die wir ihm gestellt haben.«

»Eine Grube?«

»Ja, aber er hat sichtlich keine Lust, sich darin aufspießen zu lassen. Wir müssen etwas anderes versuchen, und ich habe schon etwas im Sinn. Ein ärgerlicher Vorfall für unter einen, aber gewisse junge Herren, die nicht den Schaden zu tragen haben, scheinen anders darüber zu denken.«

In der Tat strahlten ihm zwei Gesichter entgegen, in denen von Bedauern über den vom Tiger angerichteten Schaden nicht das geringste zu lesen war.

»Das fängt ja gut an,« sagte Arnold und rieb sich in ungeheuchelter Vorfreude die Hände.

Jan schien eifrig nachzusinnen.

»Könnten wir nicht eine große Treibjagd veranstalten, um den Räuber ein für allemal unschädlich zu machen?«

Der Form nach war es eine Frage, dem Ton nach eine dringende Bitte. Doch damit hatte er kein Glück. Sein Vater wehrte entschieden ab.

»Solange die Hoffnung besteht, mit einer Falle dasselbe Ziel zu erreichen, setze ich kein Menschenleben aufs Spiel,« erklärte er mit Nachdruck. »Im Innern sind die Eingeborenen gewohnt, solchen Raubtieren entgegenzutreten, hier dagegen nicht, und wenn wir es trotzdem mit unerprobten Leuten wagten, könnten wir im entscheidenden Augenblick erleben, daß uns alle, von Todesangst ergriffen, im Stich ließen. Außerdem bin ich mit den Arbeiten im Rückstand und kann keine Hilfskräfte entbehren. Ihr scheint recht unternehmungslustig zu sein, aber das ging ja schon aus den letzten Briefen hervor. Von diesen Plänen sprechen wir später,« fügte er mit einem Seitenblick auf die Mitreisenden hinzu, die allerdings in ein fesselndes Gespräch vertieft zu sein schienen.

Am Bahnhof von Medan wartete schon ein Automobil, das die Angekommenen zur Pflanzung bringen sollte. Langsam bahnte es sich einen Weg durch die belebten Straßen der Stadt, in buntem Wechsel an europäischen Geschäftshäusern, Eingeborenenhütten und ganz am Ende auch an dem hinter grünem Rasen gelegenen stattlichen Sultanspalast vorbei. Auf der breiten, tadellos gehaltenen Landstraße, die dann begann, entfaltete die Maschine ihre volle Kraft. Herr Hollebeek lenkte selbst, während der braune Diener oft warnend die Huppe ertönen ließ, wenn ein schwerfälliges Ochsengespann die Bahn versperrte.

»Wundervoll!« riefen die jungen Männer ein über das andere Mal. Arnold Hemskerk vermochte kaum rasch genug die fremdartigen, stets fesselnden Bilder in sich aufzunehmen, die mit rasender Schnelligkeit zu beiden Seiten an ihm vorbeiflogen. In dichter Kette zogen sich Siedlungen von Eingeborenen die Straße entlang. Große Dörfer, Pisang- und Kokospflanzungen, einzelstehende Malaienhütten, die nach Landessitte auf Pfählen erbaut waren, chinesische Kramläden, Polizeiwachen, vor denen sich oben braununiformierte, unten nacktbeinige Soldaten langweilten, in bunte Tücher gekleidete Frauen, die neugierig durch die Tür, die einzige Öffnung ihrer Behausung, den »Kretasetan«, den Teufelswagen, anstarrten, unbekleidete Kinder, auseinanderstiebende Hühner, malaiische und chinesische Fußgänger in den verschiedensten Gewandungen: all diese Erscheinungen erzeugten flüchtige Eindrücke, die schon von den nächsten abgelöst wurden, bevor man sie festhalten konnte.

Schließlich sauste der Wagen über eine überdeckte Holzbrücke das steile linke Flußufer hinauf und bog in eine schattige Allee ein. Zu beiden Seiten: breiteten sich jetzt Tabakfelder aus; im Hintergrund erschienen Häusergruppen.

»Gleich sind wir da,« sagte Jan Hollebeek, der sich nun auf väterlichem Grund und Boden befand und in brennender Sehnsucht unverwandt geradeaus blickte.

Ein Kulidorf lag an der Straße; dann folgten Häuser in europäischer Bauart – die Wohnungen der holländischen Angestellten. Wieder kam eine Allee, diesmal von Königspalmen, deren kerzengerade, glatte Stämme hoch emporstiegen. Der Pflanzer zog die Bremse an. In einer scharfen Wendung flog der Wagen nach links herum, und nun erschien inmitten eines schönen, parkartigen Gartens das steinerne Wohnhaus des Besitzers. Hellgekleidete Gestalten standen auf der offenen Veranda, die es umgab.

Beim Auftauchen des Wagens kam Leben in die kleine Gruppe. Eine noch jugendlich aussehende Dame eilte allen anderen voran die breite Treppe herunter, an deren Fuß das Auto vorfuhr.

»Jan, mein Junge, mein lieber, lieber Junge, habe ich dich endlich wieder?« rief sie in überströmendem Glück.

Freudentränen füllten ihre dunklen Augen, während sie den endlich Heimgekehrten umarmte und küßte. Es dauerte eine Weile, bis sie ihn freigab und nun auch Cornelis seinen jüngeren Bruder begrüßen konnte.

Ohne ein Wort zu sprechen, stand der Vater dabei; doch seine Augen strahlten, als er seiner Gattin zunickte, wie wenn er sagen wollte: »Können wir nicht stolz sein auf unseren Jungen?«

Der drückte jetzt dem alten malaiischen Haushofmeister, der grinsend im Hintergründe gestanden hatte, die braune Rechte; dann folgte eine nicht minder herzliche Begrüßung der anderen alten Diener des Hauses, die teils verlegen, teils zudringlich vortraten, an der Spitze die grauhaarige alte Amah, seine Kinderfrau, mit der er, gleich allen Sprößlingen eingewanderter Familien, Malaiisch gesprochen hatte, bevor er Holländisch zu stammeln lernte.

Herr Hollebeek machte inzwischen den Gast mit den Genügen bekannt.

»Jan hat uns seit Jahren so viel von Ihnen geschrieben, daß Sie, lieber Herr Hemskerk, uns längst kein Fremder mehr sind,« sagte die Hausfrau, indem sie den Freund ihres Sohnes mit herzlichen Worten willkommen hieß.

»Kaum ein Brief, in dem nicht von Arnold die Rede war,« stimmte ihr der ungefähr dreißigjährige Cornelis lachend zu, als auch er dem Besuch kräftig die Hand schüttelte.

In lebhaftem Geplauder trat man in einen großen, luftigen Raum, der mit bequemen Korbmöbeln ausgestattet war. In einer Ecke, die für alle Sitzgelegenheit bot, wurde Platz genommen.

»Und nun, Jan,« sagte der Pflanzer, indem er den Angeredeten bei den Schultern packte und ihm fest in die Augen sah, »erzähle uns endlich mal, was du eigentlich vorhast! Deine Briefe behandelten diesen wichtigen Punkt gar zu oberflächlich; jedenfalls sind uns deine Absichten nicht klar geworden.«

»Kein Wunder,« gab sein Sohn fröhlich zurück, »sind doch mir selbst die in Betracht kommenden Verhältnisse noch ziemlich schleierhaft. Es stand ja von vornherein fest, daß ich nach Beendigung meiner Studien heimkehren würde. Mit Arnold habe ich natürlich oft von der Zukunft gesprochen. Daß er wie sein Vater Bergingenieur werden wollte, hat mich ja überhaupt veranlaßt, ebenfalls dieses Fach zu wählen. Als die Trennung bevorstand, erfreute er mich eines Tages mit dem Vorschlag, mich nach Indien zu begleiten und, wenn sich etwas Passendes fände, ebenfalls hier zu bleiben. Kommt es nicht dazu, ist es auch kein Unglück, denn nach dem Tode seiner Eltern wurde er Besitzer eines bedeutenden Vermögens, braucht also die Geldfrage nicht entscheidend sein zu lassen. Dann fährt er eben über die andere Seite der Erdkugel heim und hat eine schöne Reise gemacht. Ich dagegen will so bald wie möglich versuchen, mich ganz auf eigene Füße zu stellen. In den Zeitungen, die ihr mir zuweilen schicktet, spielten Zinnminen eine große Rolle.«

»Ich soll dir wohl eine kaufen?« warf sein Vater scherzend ein.

»Danke! Wir beabsichtigen bescheidener anzufangen. Aber wenn du uns zu einem Mutungsrecht auf aussichtsvollem Gebiet verhelfen kannst …«

»Zinnsucher wollt ihr werden?« rief seine Mutter erschrocken. »In den Urwald ziehen wie so viele Abenteurer, die in der Wildnis elend umkommen, von wilden Tieren zerrissen werden, am Fieber zugrunde gehen, nichts finden als ein frühes Grab …«

»Um Himmels willen, Mutter, höre auf,« rief Jan unter fröhlichem Lachen, in das die anwesenden Männer einstimmten. »Das klingt ja schrecklich! Aber du kannst dich beruhigen: es ist doch ein großer Unterschied zwischen einem armen Tropf, der von dem Geschäft, das er betreibt, kaum eine Ahnung hat und unter Entbehrungen sein ganzes Hab und Gut und obendrein sein Leben auf eine Karte setzt, bis er in Verzweiflung untergeht, und anderseits Männern, die gute Fachkenntnisse nur noch durch praktische Erfahrung ergänzen müssen und jederzeit die Möglichkeit haben, ein aussichtsloses Unternehmen aufzugeben, um sich anderweitig zu betätigen. Ich gebe zu: um Zinn zu suchen, hätten wir nicht so lange zu studieren und in einem Bergwerk tief unter der Erde praktisch zu arbeiten brauchen; aber es schadet auch nicht, etwas mehr zu wissen, als man unbedingt für seine Zwecke nötig hat.«

Die Mutter war weit davon entfernt, sich mit dieser Auskunft zufrieden zu geben.

»Der Vater sieht doch öfter den Sultan; vielleicht kann dieser für irgend einen Großbetrieb, an dem er beteiligt ist, wissenschaftlich gebildete Männer wie euch beide brauchen,« sagte sie mit besorgter Miene.

Doch auch dieser Vorschlag machte keinen Eindruck.

»Solche Posten laufen uns nicht davon,« erwiderte ihr Sohn und verzog dabei abfällig das Gesicht. »Fürs erste haben wir vor, auf eigene Faust unser Glück zu versuchen. Ich dachte mir wohl, daß diese Pläne hier nicht Begeisterung erwecken würden; deshalb suchte ich mich in den Briefen um eine genaue Auskunft über meine Absichten herumzudrücken. Aber sei unbesorgt, liebe Mutter,« fuhr er in zärtlichem Ton fort, »Unkraut vergeht nicht, und wir beide sind überdies zu vernünftig, als daß wir uns in gefährliche Unternehmungen einlassen würden.«

»Was nicht hindert, daß die beiden zukünftigen Minenbesitzer gleich nach dem Betreten dieses Landes nichts Eiligeres zu tun hatten, als mir eine Tigerjagd vorzuschlagen,« fügte der Pflanzer trocken hinzu.

Bei diesen Worten fuhr Cornelis aus seiner bequemen Stellung mit einem Ruck in die Höhe und schlug sich gegen die Stirn.

»Ach, Vater, ich habe ja in der Freude ganz vergessen, dir die neueste Untat unseres Tigers zu berichten! Nicht weniger als sechs Schafe hat der Gesell heute früh geschlagen.«

Diese Nachricht brachte auch den behäbigen Pflanzer aus seiner Ruhe.

»Das ist zu arg; das soll er büßen,« grollte er und erhob gegen den unsichtbaren Gegner die Faust. »Cornelis, noch heute wird die neue Falle nach meiner Angabe in Arbeit genommen! Sechs Schafe? Das ist ja unerhört! Bist du auch sicher, daß es kein Leopard war? Ein Tiger tötet doch gewöhnlich nicht mehr, als er fressen will.«

»Er war es zweifellos; zwei Bataker haben ihn mit einem Schaf im Maul über den Zaun springen sehen. Ganz verstört haben sie mich dann zu dem Tatort geführt; seine Spur war nicht zu verkennen.«

»Was gibt es?« wandte sich der Hausherr an einen barfüßigen Diener, der während dieses Gespräches eingetreten und in einiger Entfernung bewegungslos stehen geblieben war.

»Dato ist gekommen, Mynheer.«

Der Pflanzer erhob sich rasch und ging hinaus.

Dieser unerwartete Besuch lenkte das Gespräch auf den Sultan und seine Lebensgewohnheiten.

»Daß dieser Dato sein vornehmster Vasall ist, habe ich dir ja schon gesagt,« wandte sich Jan an seinen Freund, der immer noch mehr darüber zu erfahren wünschte. »Ehemals hatten auch diese kleinen Herren Land unter sich; aber das ist längst vorbei. Mache dir nur keine romantischen Vorstellungen über ihn und seinen Herrn! Beide sehen ganz …«

Er konnte sich seine Beschreibung sparen, wenigstens soweit sie den Dato betreffen sollte, denn in diesem Augenblick ging die Tür auf, und die beiden Herren, von denen man angenommen hatte, daß sie ihre geschäftlichen Angelegenheiten in einem anderen Zimmer erledigen würden, traten ein.

Der Dato war ein mittelgroßer, untersetzter Herr in europäischer Kleidung. Nur ein roter Fes, der sein Haupt bedeckte, gab ihm etwas Fremdartiges. Er reichte Jan als altem Bekannten die Hand, erwiderte leicht Arnolds Verbeugung und beteiligte sich dann lebhaft an der wieder allgemein gewordenen Unterhaltung, von der nur der Gast des Hauses ausgeschlossen blieb, weil sie mit Rücksicht auf den nicht Holländisch sprechenden Dato auf Malaiisch geführt werden mußte.

Frau Hollebeek lud ihn ein, an der in ganz Holländisch-Indien um die Mittagszeit üblichen »Reistafel« teilzunehmen, doch schützte er dringende Geschäfte vor und empfahl sich. Ein fast geräuschlos fahrender Kraftwagen, dessen Nahen man infolge der Lebhaftigkeit der Unterhaltung bei der Ankunft überhört hatte, brachte ihn in die Stadt zurück.

»Er kam als Vorläufer seines Herrn. Morgen nachmittag will uns Seine Majestät, der Prächtige, der Kühne, Herrscher des Weltalls und so weiter, mit seinem hohen Besuch beehren,« erfuhr Arnold von seinem Freund, als man zu Tisch ging.

Frau Hollebeek erhob im Scherz den Finger gegen ihren Sohn.

»Spotte nicht über den Sultan! Er ist ein verständiger Mann.«

»Herrscher des Weltalls,« wiederholte Jan ungerührt. »Kommt er denn jetzt seinen Verpflichtungen nach? Du mußt nämlich wissen, Arnold, daß er für die runden Summen, die er von Holland bezieht, die Straßen in seinem Reich in guter Verfassung halten muß. Da er sich über diese Abmachungen Jahr für Jahr hinwegsetzte und das Geld für sich verbrauchte, wurde eines Tages sein Staatsgehalt auf die Hälfte der ursprünglich vereinbarten Summe herabgesetzt, und unsere Regierung sorgt selbst für die Straßen. Wir haben heute selbst gesehen, wie vortrefflich sie gehalten sind.«

»Vergiß nicht hinzuzufügen, daß der Sultan persönlich unter unserer Herrschaft nicht weniger gewonnen hat als alle seine Untertanen,« nahm sein älterer Bruder das Wort. »Ehemals war ein Sultan von Deli ein armseliger Barbarenfürst, dessen bedauernswerte Untertanen von ihm selbst, den Dato und anderen Adligen schändlich bedrückt wurden. Erst den Pflanzern verdankt das Land seinen ungeheuren Aufschwung. Der Sultan ist durch die Pachtgelder ein reicher Mann geworden, hat immer noch mancherlei Hoheitsrechte und steht im Rang über dem höchsten holländischen Regierungsbeamten, dem Residenten. Nie würde es ihm gelingen, das Volk gegen uns aufzuwiegeln, weil jeder Eingeborene weiß, wie sehr sein eigenes Wohlergehen von dem Gedeihen der Pflanzungen abhängt.«

»Halten wir überhaupt Besatzung im Lande?« fragte Arnold dazwischen.

»Nur eine kleine farbige Polizeitruppe in Medan! Aber ein jeder weiß, wie schnell wir von Java Soldaten herüberholen können. Der jetzige Sultan wäre übrigens der letzte, dem es in den Sinn käme, durch Torheiten unser Wohlwollen zu verscherzen.«

»Du wirst ihn ja kennen lernen,« fügte Jan hinzu, und sich an seinen Vater wendend, fuhr er fort: »Ich wußte gar nicht, daß ein solcher Diplomat in dir steckt. Wie fein du unsere Pläne angebracht hast!«

Der Pflanzer zuckte die Schultern.

»Nach der Auskunft des Dato ist von dieser Seite nicht viel zu erwarten, und ich halte es für ziemlich sicher, daß er bis Medan diese Sache vergessen hat. Wer hilft mir jetzt bei der Tigerfalle?«

»Ich, ich, ich,« klang es von drei verschiedenen Seiten des Tisches.

»Gut! Zunächst schlafe ich, und euch Neulingen ist zu empfehlen, es ebenso zu machen oder wenigstens die heißen Stunden auf Liegestühlen mit Lesen hinzubringen. Wer frisch von Europa kommt, glaubt sich zuweilen anfangs über solche Lebensgewohnheiten hinwegsetzen zu können; aber das Klima läßt nicht mit sich spaßen. Ich schlage also vor, wir treffen uns um vier Uhr bei der Schmiede.«

Mit dieser Verabredung ging man auseinander.

Eine gute Stunde hielten es die Freunde auf den Liegestühlen aus; dann siegte in beiden der Wunsch, durch das große Anwesen einen kleinen Rundgang zu machen, über alle Bedenken.

Wieviel gab es zu schauen! Überall fand der Sohn des Hauses Altvertrautes, das seine Aufmerksamkeit fesselte; und wie mächtig fühlte sich erst der Gast von all dem Neuen angezogen, das ihn auf Schritt und Tritt umgab!

An der Küche, die in einem Nebengebäude untergebracht war, gab es einen längeren Aufenthalt. Ein mit einer weißen Schürze umgürteter Malaie stand händeringend vor dem Eingang und hielt mit aufwärts gewandtem Gesicht in bittendem Ton lange Reden.

»Eine religiöse Handlung?« fragte Arnold voll Wißbegier.

Nicht nur Jans Lachen zeigte ihm seinen Irrtum. Der Eingeborene änderte nämlich plötzlich seine Haltung, indem er gegen die Wipfel der benachbarten Bäume die Fäuste schüttelte und mit zornverzerrtem Gesicht Worte ausstieß, die auch einer, der nicht die Sprache beherrschte, als Verwünschungen erkannte.

»Wer hat dir etwas getan?« fragte Jan Hollebeek nähertretend.

Verdutzt fuhr der Malaie herum. In seiner Empörung hatte er nicht bemerkt, daß man sein Tun beobachtete.

Seine Stimme bebte noch vor innerer Erregung, als er antwortete: »Oh, Herr, ich wollte Kuchen backen, und alles stand bereit; da mußte ich noch etwas Holz holen, und als ich wiederkam, war der Zucker fort, die Milch umgestoßen, die Rosinen lagen auf der Erde – wartet nur,« unterbrach er sich, gegen die Bäume gewandt, in plötzlich wieder ausbrechendem Zorn, »ich schlage euch tot! Und Herr,« fuhr er in demütigem Ton fort, »ich habe ihnen immer die Reste vom Essen gegeben und Bananen und Reis; aber jetzt sind sie zu frech geworden.«

Die beiden Zuhörer vermochten kaum an sich zu halten. Ein Rauschen im Blattwerk und dort oben herumkletternde graue Gestalten hatten ihnen längst verraten, gegen wen sich der Unwillen des Mannes richtete. Wenige Worte hatten Arnold das übrige verdolmetscht.

Verwundert sah der Koch, wie wenig seine Entrüstung geteilt wurde, und er machte dabei ein so dummes Gesicht, daß die beiden Weißen sich nun wirklich vor Lachen schüttelten.

Mißmutig wandte sich der Malaie zum Gehen.

»Bleib,« rief ihm Jan zu, »und höre! Dieser Herr ist mit mir weit über das Meer aus Holland gekommen, wo keine Affen auf den Bäumen herumspringen und treue alte Köche ärgern. Er freut sich, wenn er etwas sieht, das er noch nicht kannte. Ich habe ihm von deinen: alten Freund erzählt, der aus der Hand fraß. Lebt er noch?«

Dies bewirkte beruhigend; seinen Groll vergessend, antwortete der Alte sichtlich erfreut: »daß der Jonckheer noch daran gedacht hat! Nein, jener Affe ist gestorben; er hätte mich nie bestohlen. Aber seine Binder sind sehr schlecht. Er hat sie mitgebracht, als sie ganz klein waren, um ihnen zu zeigen, daß ich ihnen nichts zuleide tue, sondern Tiere gern habe. Du siehst, Herr, wohin das geführt hat. Nun kommen schon seine Enkel und deren Binder und ärgern mich.«

Aus den Bäumen antworteten Laute, die wie boshaftes Lachen klangen.

»Ja, dein Freund hat seine Nachkommen schlecht erzogen,« bestätigte Jan mit ernsthafter Miene. »Aber nun müssen wir gehen, sonst wird dein Kuchen bis zur Teestunde nicht fertig. Ich weiß noch, wie gut er schmeckt!«

Ein dankbares Grinsen war die Antwort, und getröstet zog sich der Alte in sein Reich zurück.

Pünktlich zur verabredeten Zeit kamen die Männer an der Schmiede zusammen. Cornelis war schon dabei, mit den malaiischen Arbeitern Vorbereitungen zu treffen, denn er kannte die Absichten seines Vaters.

»Wir bauen einen festen Käfig, der an einer Seite offen bleibt. Im hohen Grase vor dem Eingang verbergen wir ein schweres Tellereisen, das ich mir schon vor Jahren für solchen Zweck besorgt habe. Es wird mit einer kräftigen Kette an einem Baumstamm befestigt. Ein im Käfig angebundenes Schaf muß als Lockspeise dienen. Tritt der Tiger auf das Eisen, brauchen wir ihn nur abzuschießen.«

Jeder wollte sich mit Rat und Tat beteiligen. Mit großem Geleit wurde schließlich das fertige Werk an Ort und Stelle gebracht und aufgebaut. Ganz erfüllt von all den vielen Eindrücken, die ihm dieser Tag gebracht hatte, begab sich Arnold Hemskerk zur Ruhe.

Um frischen Durchzug der Luft zu ermöglichen, waren die inneren Wände des Hauses nicht bis zur Höhe der Decke emporgeführt, sondern oben mit einem hölzernen Gitterfries gekrönt. Fensterflügel gab es nicht; nur die hölzernen Läden wurden geschlossen, damit ein plötzlich losbrechendes Gewitter keine Überschwemmungen verursache.

Der junge Bergingenieur kroch im leichten Schlafanzug unter das große, sein breites Bett vollständig umfassende Moskitonetz und legte sich, eine Decke verschmähend, nieder. Aber der Schlaf wollte sich trotz der vorher verspürten Müdigkeit nicht einstellen. Unbekannte Tierstimmen erfüllten die laue Tropennacht, und plötzlich begann in seiner unmittelbaren Nähe ein lautes Gackern, als ob ein Huhn im Zimmer wäre. Das kam so überraschend, daß Arnold im ersten Augenblick ganz erschrocken zusammenfuhr. Schnell verließ er sein Lager, machte Licht und suchte umher, bis er endlich den Übeltäter, eine fußlange Eidechse, entdeckte, die hoch oben im Gitterwerk ihr Wesen trieb. Eine ihrer Art, die gegen Abend im Wohnzimmer ungestört an den Wänden spazieren ging, war ihm als Gecko vorgestellt worden; nachdem er nun die merkwürdige Stimme gehört hatte, wußte er, woher der Name kam.

Als er nach der Lösung des Rätsels beruhigt wieder im Bett lag, fielen ihm die anderen sonderbaren Haustiere ein: der große grüne Laubfrosch, der auf dem Lampenschirm hockte, und die reizenden kleinen grauen Eidechsen, die still an den Wänden saßen, bis eine Fliege oder ein Moskito sich in ihrer Nähe niederließ. Wie spaßig war es, wenn sich die Tierchen nach dem Genuß des mit einem schnellen Ruck erhaschten Leckerbissens das Maul leckten!

So zogen die mannigfachen Erscheinungen dieses Tages noch einmal in langer Reihe an ihm vorüber, bis die Bilder der Wirklichkeit von bunten Traumgestalten abgelöst wurden.


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