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Widerstreitende Pläne

Drei Tage waren vergangen. Der Arzt hatte des Pflanzers Vermutung bestätigt: der Arm war gebrochen und in der Schulter aus dem Gelenk gesprungen. Das Einrenken war äußerst schmerzhaft gewesen; doch nun ließ sich der Hausherr schon längst wieder die lange Pfeife schmecken, die er im Hause zu rauchen pflegte.

Gleich am folgenden Morgen hatte sich der Sultan durch den Dato nach dem Befinden des Verletzten erkundigen lassen. Weiter aber hatte man nichts von jener Seite gehört.

Die Freunde saßen als Nachzügler beim Frühstück und ließen sich in Butter gebackene Bananen munden, als der Hausmeister die eingelaufenen Postsachen hereinbrachte.

Sie konnten noch keine Nachrichten von den in Europa zurückgelassenen Freunden erwarten, da der dem ihrigen folgende Postdampfer erst mehrere Tage später in Pinang fällig war, und hier in Indien besaßen sie keine Bekannten. So überflog Jan nur flüchtig die meist den Namen seines Vaters aufweisenden Briefschaften, die das zu unterst liegende Zeitungsblatt mit den neuesten Kabelnachrichten bedeckten.

Plötzlich stutzte er.

»An mich? Wer kann mir wohl aus Medan schreiben?«

Der Sultan war es jedenfalls nicht, denn auf der Vorderseite des Umschlags prangte oben in großen Drucklettern der Name eines bekannten Gasthofes. Kopfschüttelnd entfaltete er den Briefbogen. Er enthielt nur wenige Zeilen.

Jan las vor: »Mynheer! In Ihrem eigenen Interesse ersuche ich Sie um baldige Angabe, wann und wo ich Sie in einer äußerst wichtigen geschäftlichen Angelegenheit sprechen kann, die für uns beide von Bedeutung ist. Ihr ergebener Jack H. E. Haydock.«

»Ich habe nie den Namen gehört,« sagte Jan Hollebeek verwundert, »kenne überhaupt keinen Engländer in Medan.«

Auch sein Vater, der jetzt das Zimmer betrat, konnte keine Auskunft geben. Daß der Mann, den Jan auf der »Malaya« abgekanzelt hatte, der Schreiber sein könne, kam keinem der beiden jungen Männer in den Sinn.

»Auf etwas so Ungewisses hin fahre ich nicht nach Medan,« entschied Jan nach kurzem Überlegen. »Vielleicht ist es überhaupt ein Irrtum. Handelt es sich aber wirklich um etwas Wichtiges, dann wird der unbekannte Herr sich auch zu uns herausbemühen. Wenn das Auto nachher in die Stadt fährt, gebe ich ihm einen Brief mit. Morgen früh bin ich von acht Uhr an zu sprechen. Ich bin doch neugierig, wie sich dieses Rätsel lösen wird.«

Der nächste Morgen war gekommen. Jan befand sich mit Arnold im Garten, als ein Diener meldete, daß der angemeldete Besuch ihn im Empfangszimmer erwarte.

»Setze dich inzwischen auf diese Bank,« sagte er zu seinem Freund. »Diese geschäftliche Unterredung dürfte kaum lange dauern. Ich nehme immer noch an, daß mein Vater gemeint ist.«

Sobald er aber die Tür öffnete, wurde ihm klar, daß dies nicht stimmte.

»Sie?« fragte er gedehnt, ohne sich die geringste Mühe zu geben, seine wahren Empfindungen zu verbergen.

Der andere dagegen versuchte krampfhaft, sein faltiges Ledergesicht zu einem liebenswürdigen Lächeln zu verziehen, was ihm jedoch nur recht mangelhaft gelang.

»Sie scheinen überrascht, Mynheer. Haben Sie nicht an mich gedacht, als Sie meinen Brief erhielten? Allerdings« – sein Lachen klang wie ein Meckern – »unser erstes Zusammentreffen war einer förmlichen Vorstellung nicht günstig; Sie hatten offenbar keine gute Meinung von mir gefaßt. Ich darf wohl hoffen – ja, ich vertraue darauf: mit der Zeit werden Sie erkennen, daß Sie mich falsch beurteilt haben.«

»Was er nur will?« dachte Jan, der diesen Wortschwall geduldig über sich ergehen ließ, nachdem er mit einer Handbewegung zum Sitzen aufgefordert hatte.

Das Mienenspiel des anderen scharf beobachtend, wartete er auf eine Pause; als eine solche jetzt eintrat, sagte er kühl: »Mit der Zeit? Wie soll ich das verstehen?«

»Darf ich ohne Umschweife zu Ihnen sprechen?«

»Sie täten mir sogar einen Gefallen damit.«

»Sehr gut! Ich nehme an, Sie werden mir mit gleicher Offenheit begegnen. Zunächst meine Hochachtung! Sie sind ein geborener Diplomat.«

Nun mußte Jan aufrichtig lachen.

»Ich ein Diplomat? Ich meine, gerade Sie müßten vom Gegenteil überzeugt sein, denn ich glaube, bei einer gewissen Gelegenheit ohne die geringsten Umschweife meine aufrichtige Meinung …«

»Es gibt verschiedene Wege, einem unbequemen Gespräch auszuweichen,« unterbrach der Agent mit pfiffigem Augenzwinkern. »Ich ließ mich damals verblüffen; aber seit kurzem weiß ich: meine Ahnung hatte mich damals nicht betrogen.«

»Wenn ich nur ahnte, was der Mensch will,« dachte der junge Ingenieur mit beginnender Ungeduld; laut sagte er: »Sie wollten offen sprechen. Ich muß gestehen: ich finde Ihre Worte reichlich dunkel. Wollen Sie mir nicht lieber ohne weitere Umschweife verraten, was Sie zu mir geführt hat?«

»Also gut, da ich offenbar zuerst meine Pläne preisgeben soll. Sie sind ein Gentleman; ich habe Vertrauen.«

»Aber bitte,« wehrte Jan rasch ab, »nichts sollen Sie preisgeben! Ihre Pläne sind mir mehr als gleichgültig. Sie sehen, ich befleißige mich ungeschminkter Offenheit.«

Mister Haydock seufzte tief und schmerzlich auf und zeigte ein ganz trauriges Gesicht.

»Das hätte ich nicht verdient,« schien sein vorwurfsvoller Blick zu sagen; aber ohne Pause setzte er das Gespräch fort: »Eine Frage: Sind Sie Bergingenieur?«

»Die Fahrgastliste der ›Malaya‹ sagte die Wahrheit,« kam es anzüglich zurück.

Der Engländer tat, als ob er den spöttischen Ton überhöre.

»Beabsichtigen Sie, Zinn zu suchen?«

»Ich weiß nicht, inwiefern Sie das angehen könnte; aber – um der Sache ein Ende zu machen – es ist so!«

Der Engländer rieb sich frohlockend die Hände.

»Ich merke, ein solches Verhör gefällt Ihnen nicht. Aber warum denn noch dieses Versteckspiel, bester Herr? Wenn ich jetzt noch das Wort Sultan ausspreche, werden Sie nicht länger daran zweifeln, daß ich alles durchschaut habe. Weiß der Himmel, wodurch Sie in mir schon auf dem Dampfer den Mitbewerber gewittert haben! Ich wäre Ihnen aufrichtig dankbar, wenn Sie mir verrieten, wer oder was Sie auf meine Spur geführt hat. Aber lassen wir das einstweilen! Sie arbeiten mir entgegen – wie ich jetzt erkannt habe, aus einer starken Stellung heraus und mit Mitteln, denen ich wenig entgegenzusetzen habe. Sonst sähen Sie mich nicht hier. Der Sultan hatte mir sein Wort gegeben, so gut wie sein Wort gegeben; nun treten Sie auf den Plan und drängen mich zurück. Bestreiten Sie es nicht; ich weiß, woran ich bin.«

Der junge Holländer hatte mit wachsender Verwunderung zugehört. Einmal war er nahe daran gewesen, mit einem scharfen Wort zu unterbrechen und ähnlich wie auf dem Dampfer der Unterredung ein kurzes Ende zu bereiten. Doch rechtzeitig fiel ihm ein, daß er dem Fremden ausdrücklich die Bitte um eine Besprechung gewährt hatte, und dann widerstrebte ihm auch, schon auf Grund der törichten Vorwürfe von seinem Hausrecht Gebrauch zu machen. Was beabsichtigte dieser Mann überhaupt? Welche neuen Tatsachen hatten die falschen Voraussetzungen, von denen er offenbar ausging, in seinem Geist so sehr befestigen können? Diplomatenkünste hatte er ihm zugesprochen. Hier war eine Gelegenheit, sie zu erproben. Als Haydock endlich schwieg, war Jan Hollebeek entschlossen, den Spieß umzudrehen und durch halbe Zugeständnisse aus dem anderen herauszuholen, was dieser nicht freiwillig hergeben wollte.

»Gut, Sie glauben zu wissen, woran Sie sind,« wiederholte er wie nach reiflichem Überlegen, indem er die Stirn in Falten zog. »Nehmen wir einmal an, ich bemühte mich bei dem Sultan von Deli um das gleiche wie Sie und hätte Aussicht, seine Zusage zu erhalten. Wäre dann irgend jemand berechtigt, mir auch nur den geringsten Vorwurf zu machen?«

»Wer sagt Ihnen denn, daß im Mudagebiet überhaupt Zinn in abbauwürdiger Menge vorhanden ist?« fragte der Engländer zurück, als ob er die letzten Worte überhaupt nicht gehört habe; aber sein lauernder Blick verriet, mit welcher Spannung er der Antwort entgegensah.

Jan lag auf der Zunge zu sagen: »Ihr brennender Wunsch, für dieses Gebiet das Mutungsrecht zu erwerben, läßt stark darauf schließen.« Er besann sich indessen eines anderen.

»Wenn Bestimmtes darüber bekannt wäre, würde der Sultan wohl überhaupt nicht in Erwägung ziehen, einem anderen für eine verhältnismäßig geringe Summe Rechte zu überlassen, durch deren Ausbeutung er selbst viel Geld verdienen könnte. Auch Sie haben ja noch nie das Gebiet betreten – dies wenigstens versichert; also …«

Er hielt plötzlich inne. Zu spät kam ihm zum Bewußtsein, daß er zu viel verraten habe.

»Woher wissen Sie das?« unterbrach der Agent triumphierend und richtete dabei seinen spitzen Zeigefinger gegen Jans Brust, als ob er sie durchbohren wollte. »Aber es war ja klar. Nachdem man mir das alleinige Ausbeutungsrecht schon beinahe fest zugesagt hatte, mutet man mir plötzlich zu, dieses Recht mit einem zweiten Bewerber zu teilen, der kein anderer ist als Sie, Mynheer. Darauf würde ich nur sehr, sehr ungern eingehen, und damit komme ich zum Zweck meines Besuches. Wieviel verlangen Sie als Abstandsumme?«

Dies fand Jan Hollebeek äußerst scherzhaft. Für etwas, das er überhaupt nicht besaß, wollte ihm dieser Mann Geld geben. Aber sein Lächeln wurde falsch gedeutet.

»Der Verlauf dieser Besprechung hat mich schon erkennen lassen, daß ich mit diesem Vorschlag kaum Glück haben würde. Etwas anderes: wären Sie geneigt, sich mit mir so zu einigen, daß wir einander nicht behindern würden?«

»Wie soll ich das verstehen?«

»Das Gebiet ist groß; es bietet Raum für viele. Wie wäre es, wenn wir uns über eine Grenzlinie einigten, die keiner von uns beiden überschreiten darf? Hier ist ein Lageplan« – er zog ihn aus der Tasche und entfaltete ein großes Blatt – »wie Sie sehen, bildet der Mudafluß eine Mittellinie. Sie könnten zum Beispiel die rechten Nebenflüsse nehmen, ich die anderen.«

Der lauernde Blick, den der Ingenieur hierbei wieder auf sich ruhen fühlte, gab ihm die Gewißheit, daß der Fremde im Sinn hatte, den vermeintlichen Mitbewerber zu benachteiligen, und plötzlich fiel ihm ein, daß der Dato von einem Zinnwerk gesprochen hatte, das nahe irgend einer Grenze bestehen sollte.

Bei seiner Frage hiernach zuckte der Engländer zusammen.

»Sie scheinen mit den Verhältnissen doch viel besser bekannt zu sein, als Sie zugeben wollen,« sagte er nach einer kurzen Verlegenheitspause mit ruhiger Stimme; doch das Zucken seiner Hände verriet seine wahre innere Verfassung.

Jan Hollebeek behielt Haydocks Gesicht scharf im Auge.

»Es könnte nämlich sein,« fuhr er nun fort, »daß ich bei der von Ihnen vorgeschlagenen Einigung nur auf das linke Flußufer mit dem dahintergelegenen Gebiet Wert legen würde.«

Diese Worte beraubten den Besucher sichtlich seiner bisher noch mühsam bewahrten Fassung. Daß der junge Mann vor ihm mindestens ebensogut wußte wie er selber, wo Zinn zu finden war, hielt er jetzt für klar erwiesen. Da blieb nichts anderes übrig, als dem Gegenspieler, der so starke Trümpfe in der Hand hielt, noch weiter entgegenzukommen.

Schon öffnete er zum Sprechen den Mund, als ein Automobil vorfuhr. Jan hörte am Motorgeräusch, daß es nicht das eigene war. Höflich um Entschuldigung bittend, trat er ans Fenster und erkannte den Dato, den Bruder Cornelis eben in Empfang nahm.

Als Jan sich umwandte, traf sein Blick in das bitter lächelnde Gesicht des Engländers, der ihm leise gefolgt war.

»Ich kenne diesen Herrn,« sagte der Agent bedeutungsvoll. »Er dürfte der Angelegenheit, die wir beide besprechen, nicht fern stehen.«

»Darüber kann ich Sie beruhigen. Der Dato kommt jedenfalls, um sich im Auftrag des Sultans nach dem Befinden meines Vaters zu erkundigen, der vor einigen Tagen …«

Er unterbrach sich. Die zum Nebenzimmer führende Tür wurde geöffnet. Ein Diener erschien und bat Jan im Auftrag des Vaters, sogleich zu ihm zu kommen, da seine Anwesenheit bei einer wichtigen Angelegenheit erforderlich sei.

»Sie haben gehört,« wandte er sich mit bedauerndem Achselzucken an seinen Besucher. »Diesem Wunsch kann ich mich nicht entziehen. Wenn Sie auf die Fortsetzung unserer Unterredung Wert legen, muß ich Sie bitten, sich eine Weile zu gedulden.«

Haydock verbeugte sich mit spöttischem Lächeln.

»Meine Ahnung hat also doch nicht getrogen. Wenn Sie erlauben, bleibe ich hier, denn ich möchte die Hoffnung nicht aufgeben, daß es doch noch gelingen kann, unsere beiderseitigen Absichten zu vereinigen. Vielleicht bringt uns gerade dieser Besuch diesem Ziel näher.«

Jan hatte bei seinen letzten Worten das Zimmer verlassen.

»Was kann der Dato von mir wollen?« fragte er sich verwundert.

Als er das Empfangszimmer betrat, leuchtete ihm seines Vaters freudig erregtes Gesicht entgegen.

»Gute Kunde für dich, mein Junge,« rief sein tiefer Baß. »Höre und staune!«

Auch nach der Begrüßung blieb der Würdenträger des Sultans stehen; seinen Worten einen feierlichen Ton gebend, sagte er: »Mein hoher Herr, der Sultan, hat dem Dank, den er Ihnen, Mynheer, schuldet, bereits in Worten Ausdruck geben lassen. Heute möchte er Ihnen eine kleine Freude machen. Ihr Herr Vater hat mir neulich erzählt, daß Sie sich als Bergingenieur in Indien betätigen und mit dem Aufsuchen von Zinn in einem noch nicht erschlossenen Gebiet beginnen wollen. Hier sind Papiere, die Ihnen dies ermöglichen. Sie haben für unbeschränkte Dauer das Recht, auf irgend einer Ihnen abbauwürdig scheinenden Stelle einen Betrieb einzurichten und frei von allen Abgaben für eigene Rechnung auszubeuten.«

Jan Hollebeek war vor Freude über dieses großartige Geschenk wider Willen errötet.

»Das ist ja weit mehr, als ich in meinen kühnsten Träumen zu hoffen gewagt hätte,« sagte Jan nach warm empfundenen Dankesworten.

»Wahrhaft ein fürstliches Geschenk,« fügte der Vater schmunzelnd hinzu.

Der Dato wiegte lächelnd den Kopf.

»Wenn bei dem Suchen wirklich eine gute Mine herauskommen sollte, haben Sie recht; aber gerade so leicht kann eine starke Enttäuschung das Ende sein. Geht es Ihnen ebenso wie dem Prospektor, der ergebnislos dort gearbeitet hat, so dürfen Sie nicht meinen hohen Herrn verantwortlich machen. Er hat von Ihrem Wunsch Kenntnis bekommen und möchte ihn erfüllen, soweit es in seiner Macht steht. Alles weitere ist Ihre Sache. Sie müssen in Pinang eine Prau mieten, Leute anwerben, lange Zeit die Unbequemlichkeiten und Gefahren eines Ihnen fremden Urwaldlebens auf sich nehmen, und zwar in einer ganz entlegenen Gegend, ohne die Gewißheit lohnenden Erfolges. Das müssen Sie wohl bedenken. Sie sind auch an Geselligkeit gewöhnt. Leicht wird es Ihnen also nicht sein, wochen-, ja monatelang nur von eingeborenen Arbeitern umgeben zu sein.«

»Das würde mich nicht schrecken; aber ich freue mich doch sehr, daß ich die Nähe eines gebildeten Menschen nicht zu entbehren brauche. Mein Freund wird mich begleiten.«

»Das ist für alle Fälle sehr zu begrüßen,« erwiderte der Dato. »Übrigens ist es nicht ausgeschlossen, daß Sie doch noch eines Tages einem anderen Europäer im Urwald begegnen werden, einem Engländer …«

»Ach ja, den hatte ich ganz vergessen,« unterbrach Jan lebhaft und schlug sich gegen die Stirn.

»Sie kennen ihn?«

»Er ist nur durch ein Zimmer von uns getrennt.«

Des Datos Gesicht nahm einen befriedigten Ausdruck an.

»Das erleichtert den Fall. Ich muß Sie nämlich noch auf einen kleinen Vorbehalt aufmerksam machen, den Sie in der Urkunde finden werden. Zufälligerweise hat sich gerade vor einigen Tagen – der Sultan hat es Ihnen ja selbst erzählt – dieser Engländer, ein Mister Haydock aus Pinang, in der gleichen Angelegenheit an den Sultan gewandt. Da nicht beabsichtigt war, jene Gegend noch einmal auf Zinn hin untersuchen zu lassen, gelang es seiner geschäftstüchtigen Art, uns mit seinem Gebot eine mehr als halbe Zusage zu entlocken. Das möchte mein Herr jetzt nicht gerne rückgängig machen; er sieht darin auch keine Beeinträchtigung für Sie, da das Gebiet so groß ist, daß kaum einer den anderen zu Gesicht bekommen, geschweige denn behindern dürfte. Ich kann also berichten, daß Mister Haydock ein Bekannter von Ihnen ist? Dann werden ja Reibungen von vornherein ausgeschlossen sein.«

Das Gesicht des jungen Mannes hatte sich bei dieser Eröffnung ein wenig verdüstert. In seiner Freude hatte er den Mann, der dort im anderen Zimmer auf seine Rückkehr wartete, vollständig vergessen. Nun gründete sich die Besprechung, die er als ein bloßes Spiel mit Worten betrachtet hatte, also doch auf bestimmte Tatsachen. Der Gedanke an die Fortsetzung war ihm nicht angenehm; allerdings weniger, weil der Engländer nun überzeugt sein mußte, daß man falsches Spiel mit ihm getrieben hatte, denn das betrachtete der wahrscheinlich nur als einen erlaubten Geschäftskniff.

Der Dato suchte sich vergebens zu deuten, welche Überlegungen dem Gesicht des jungen Mannes vor ihm einen so ernsten Ausdruck geben mochten.

»Denken Sie vielleicht daran, die beiderseitigen Ziele zu vereinigen?« fragte er nach einer Weile allseitigen Schweigens. »Die Unkosten würden sich dadurch wesentlich verringern; anderseits …«

Er schwieg, und sein Blick schien den anderen einzuladen, das auszusprechen, was er selber dachte.

»Anderseits mag dieser Engländer ein sehr guter Geschäftsmann sein; doch könnte mir der Gedanke, mit ihm zusammen arbeiten zu müssen, das ganze Unternehmen verleiden,« vollendete Jan mit Entschiedenheit in Ton und Gebärde.

Der Dato nickte.

»Das dachte ich mir! Persönlich hat er keinen guten Eindruck auf mich gemacht. Aber wie gesagt,« schloß er, indem er sich erhob, »wenn Sie keinen Wert darauf legen, werden Sie ihn kaum jemals zu sehen bekommen. Ich darf also in Medan berichten, daß die Absicht, Ihnen eine Freude zu machen, geglückt ist?«

»Ja, sehr geglückt, und daß ich die Gelegenheit herbeisehne, Seiner Majestät persönlich meinen Dank aussprechen zu dürfen!«

Nachdem der Kraftwagen davongerollt war, erinnerte der Pflanzer seinen Sohn lachend an dieses Wort.

»Das war ja beinahe Diplomatenstil. Hier draußen hättest du das nicht gelernt.«

»Dies ist nicht das erste Mal, daß mir heute jemand diplomatische Fähigkeiten zuspricht,« erwiderte Jan mit ernster Miene.

»Wer war der Menschenkenner?«

»Da drinnen sitzt er. Ich fürchte, daß wir beide nicht als die besten Freunde scheiden werden, wenn er von diesem Geschenk hört.«

»Sei vorsichtig,« mahnte der erfahrene Vater. »Du weißt nicht, ob er dir nicht sehr schaden kann. Laß ihn auch nicht länger warten! Auf Wiedersehen, du Glückspilz! Ich will inzwischen versuchen, der Mutter Besorgnisse zu zerstreuen. Es wird ihr wohl nicht ganz leicht fallen, dich schon bald wieder ziehen zu lassen. Auch mir wäre es lieber, wir brauchten dich mit unseren Gedanken nicht in einer Gegend zu suchen, die so vollständig von jeder Verbindung mit uns abgeschnitten ist. Aber in der Nähe ist nun einmal kein Zinn zu finden, und ich, der selber auf eigene Faust sein Glück gemacht hat, wäre der letzte, der dich festhalten wollte. Ich freue mich über deinen Unternehmungsgeist. Aber du wirst ja erwartet. Nochmals: auf Wiedersehen!«

Er nickte seinem Jüngsten zu und wandte sich zu dem Teil des Hauses, wo er seine Frau beschäftigt wußte.

Eine Minute später stand Jan aufs neue dem Engländer gegenüber.

»Entschuldigen Sie, bitte, die Störung,« begann er, Platz nehmend. »Es war tatsächlich eine große Überraschung für mich. Sie wußten mehr über eine mich betreffende wichtige Angelegenheit als ich selbst. Soeben erst habe ich erfahren: gleich Ihnen werde ich berechtigt sein, auf dem bewußten Gebiet zu arbeiten. Und ich denke von diesem Recht Gebrauch zu machen.«

»Dann bleibt mir nur noch ein letzter Vorschlag übrig. Aus dem, was Sie vorhin sagten, ließen Sie erkennen, daß Sie bei einer Vereinbarung über getrennte Arbeitsgelände den gleichen Teil beanspruchen würden wie ich. Sie wissen also auch, wo etwas zu holen ist. Zwistigkeiten sind mir verhaßt. Ich frage Sie daher: wollen wir das Geschäft gemeinsam machen, als gleichberechtigte Teilhaber?«

»Danke; aber ich ziehe vor, allein mein Glück zu versuchen.«

»Auch wenn ich Ihnen unter dem Siegel der Verschwiegenheit verrate, daß ich sehr – ich betone: sehr wertvolle Kenntnisse – Erfolge monatelanger Arbeit in der Wildnis – als Einsatz preisgeben würde, wogegen Sie nur die Kosten der Ausführung zu tragen hätten?«

»Bedaure – auch unter dieser Voraussetzung ist Ihr Vorschlag für mich unannehmbar, da ich bereits einen Mitarbeiter besitze. Sie haben also schon monatelang in der Wildnis gearbeitet? Ich glaubte, mich zu entsinnen, daß Sie dem Sultan das Gegenteil versichert haben.«

»Den farbigen Herren gegenüber, ja,« kam es geringschätzig zurück. »Hätte ich die merken lassen, daß ich nicht ganz aufs Geratewohl hinausziehe, wären unverschämte Forderungen und endlose Verhandlungen die Folge gewesen. Auch Sie kaufen ja offenbar nicht die Katze im Sack. Wieviel haben Sie zahlen müssen?«

»Darüber möchte ich nicht sprechen.«

»Auch wenn ich meine Bedingungen nenne?«

»Auch dann nicht!«

Nun änderte der Engländer plötzlich seinen Ton. Bisher hatte er sich zu einschmeichelnder Höflichkeit gezwungen; jetzt hielt er mit seiner wahren Gesinnung nicht länger hinter dem Berg.

Während seines Alleinseins war ein verlockend schönes Bild vor ihm aufgestiegen. Ging der unerfahrene Neuling auf ein gemeinsames Arbeiten ein und richtete er als Gegenleistung für die Angabe der Fundorte auf seine kosten die Expedition aus, dann waren ja die Fesseln, die ihn, Haydock, mit dem Chinesen verbanden, mit einem Schlage gesprengt! Auf einen Vertrauensbruch mehr oder weniger kam es ihm nicht an, wo so viel auf dem Spiel stand, und Li Fu würde sich gewiß zweimal besinnen, ehe er gegen einen Mann, der so viel von seinen geheimen Geschäften wußte, die Gerichte bemühte.

Der Traum war nun zerronnen. Weiter hieß es, für einen zu fronen, den er haßte, und sich mit einem geringen Anteil vom Verdienst zu begnügen! Denn nur zu deutlich sah er voraus: auch diesmal würde nicht viel anderes dabei herauskommen, mit so guten Vorsätzen er auch an das Geschäft herangegangen war. Der Chinese hatte sich noch immer als der Stärkere erwiesen, und die Macht seines Geldes würde weiter siegen.

»Sie scheinen ja Ihrer Sache sehr sicher zu sein, junger Mann,« sagte er mit hochmütigem Lächeln, und seine stechenden Augen bohrten sich in die seines Gegners; als solchen betrachtete er jetzt den Mann, der ihm unter Umständen einen großen Erfolg streitig machen konnte.

Jan hielt dem forschenden Blick mit Festigkeit stand. Diesen falschen Augen gegenüber beglückwünschte er sich im stillen, daß er aus einem sicheren Gefühl heraus unbeirrt jedes Zusammenarbeiten mit ihm abgelehnt hatte.

Haydock stand auf.

»Dann haben wir uns wohl nichts weiter zu sagen,« sagte er mit unverhüllter Feindseligkeit. »Hier ist meine Adresse« – er entnahm seinem Taschenbuch eine Karte und legte sie auf den kleinen Tisch, den die Sessel umgaben – »vielleicht werden Sie doch noch anderen Sinnes. Zu spät könnten Sie eines Tages bereuen, mich zum Feinde gemacht zu haben. Wenn Sie etwa meinen, daß Mangel an Ehrgefühl mich die Behandlung, die Sie mir auf dem Dampfer zuteil werden ließen, hätte vergessen lassen, dann sind Sie in einem gewaltigen Irrtum befangen. Nur in der Hoffnung auf ein für beide Teile ersprießliches Einvernehmen habe ich meine Gefühle bezwungen, Ihr Haus betreten und Ihnen die Hand gereicht. Sie dagegen halten es für richtig, alle meine gutgemeinten Vorschläge zurückzuweisen. Warten Sie, junger Mann, ich werde mich zu …«

Er hielt inne. Wie heiß der Rachedurst in ihm brannte, brauchte der andere nicht zu wissen. Aber Jan Hollebeek war nicht schwer von Begriff. Zu deutlich sprach ja das verzerrte Gesicht vor ihm aus, was die Zunge verschwieg.

Auch ihm stieg das Blut zu Kopf, aber er hatte sich besser in der Gewalt. Ohne daß er im geringsten die Stimme erhoben hätte, traf den anderen jedes seiner Worte wie ein Peitschenschlag.

»In meinem Elternhause wagen Sie mir zu drohen? Nachdem Sie bereits selbst zu der Überzeugung gekommen sind, daß wir uns nichts mehr zu sagen haben, wäre es meiner Meinung nach jetzt an der Zeit, dieser zwecklosen Unterredung endlich ein Ende zu machen.« In nicht mißzuverstehender Weise richteten sich dabei seine Augen auf die Tür.

»Auch das noch? Hüten Sie sich!«

Ohne sich noch einmal umzusehen, verließ Haydock den Raum.

Jan rief einem Diener zu, den Herrn hinauszubegleiten. Dann eilte er in den Garten, um seinen Freund Arnold Hemskerk die verschiedenartigen Eindrücke miterleben zu lassen, die während ihrer kurzen Trennung auf ihn eingestürmt waren.


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