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Über Sitte, Mode, Brauch und Stil

Sitte ist die von der Phantasie erzeugte Einheit angenehmer Verkehrsformen.

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Mode ist die von der Phantasie spielerisch erzeugte Form eines nachgeäfften Vorrangs vor der Allgemeinheit.

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Brauch ist stabilisierte Sitte.

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Stil ist die unbewußt wirkende Persönlichkeitsgeltung in Sitte, Brauch und Mode, Berufsart und Manier.

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Sitte ist durch Allgemein-Urteil fixierter Takt.

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Takt ist Einfühlung und Einfügung in die Vorstellungskreise des Anderen.

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Takt ist nicht Sache der Intelligenz schlechtweg, sondern Sache der Phantasie des wohlwollenden Herzens.

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Bildung ist das Wissen des wohlwollenden Herzens.

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Sitte steht zur Sittlichkeit im Verhältnis einer gut oder schlecht erzogenen Tochter zu ihrer Mutter. Sie sollte eine Form der Ethik sein, ist aber oft ihre Karrikatur.

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Sitte ist im edelsten Sinne Kultur, als ihre Maske ist sie Zivilisation.

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Sitte ohne Sittlichkeit ist wie ein am Sonntag gewaschener Schornsteinfeger.

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Brauch ist oft erheuchelter, meist durch Suggestion erzwungener Verzicht auf Eigenrecht.

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Mode ist der Versuch, mit irgendeiner Klassenart zu konkurrieren, manchmal sogar mit der der Deklassierten.

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Mode bedeutet meist den Sieg des Exzentrischen. Ein Mittel, der Persönlichkeit äußerlich an Markantem zu geben, was ihr innerlich fehlt.

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Takt ist der phantasievolle Brauch, einem Mitmenschen so zu begegnen, wie er es vermöge seiner Menschenwürde und seinem sozialen Range nach verlangen kann.

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Moralischer Takt versteht es, mit Königen und Bettlern zu verkehren, ohne sie zu verletzen, und jeder Handlung die Form der Gerechtigkeit zu geben.

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Logischer Takt ist ein Gefühl für Aussagen, welche eine Harmonie zwischen Wirklichem und Gedachtem erzeugen.

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Man muß schwören, als ob es einen Gott gäbe, selbst wenn man nicht an ihn glaubte, man sei bestrebt, so zu handeln, »als ob« es einen ewigen Richter gäbe. Jede Substitution eines Ideals enthält dies »als ob« Vaihingers. So gibt es also »edle Täuschungen«, »schöne Lügen«, »lehrreiche Verbrechen«.

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Das Kriterium von erlaubt und unerlaubt ist die Gemeinnützlichkeit und die Gemeinschädlichkeit.

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Sittlichkeit, Freiheit, gleiches Recht sind Fiktionen. Sie können ebenso schädlich, wie nützlich sein. Das liegt im Wesen der menschlichen Gemeinschaft. Es ist ebenso mit Sitten, Moden, Gebräuchen, Stil und Konventionen.

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Irrtum, Fiktion, Lüge, Wahrheit sind alle Kinder derselben Mutter: der Phantasie! Ihre Verwandtschaft nachzuweisen ist bisher der dramatischen Kunst besser gelungen, als dem Leben. Aber Kunst ist ja willkürlich aus Menschengeist gestaltetes Leben.

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Geniale Kühnheit und besonnene Strenge
Sind nur dem Einzelnen eigen, nie der Menge.
Sind sie im Einzelnen recht echt, recht nah,
Da ist sogleich der Genius da!
Solche Entdecker, Erfinder, Staatenlenker
Sind immer zugleich Dichter und Denker.

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