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II.

Es ist einige Tage später gegen die Abendzeit.

Adele schiebt die Armbänder zurecht über den langen Handschuhen.

Es ist heute Musikabend. Die jungen Leute der Gesellschaft kommen, natürlich unter der Ägide der Eltern, dort zusammen, um bei etwas Musik, Abendessen und Tanz im kleinern Kreise zu finden, was sonst nur ein großer Ball mit sich bringt, wo aber alle kommen, auch die, welche nicht zu der eigentlichen »Gesellschaft« gehören und nach Ansicht der letztern füglich draußen bleiben könnten! Man fühlt sich so wohl »unter sich«, in seinem »Kreis«, und kommt darum so oft zusammen als nur eben möglich! Da es sich auch für solche Zwecke empfiehlt, von der Erfindung des alten Musengottes Gebrauch zu machen, zumal man weder an die geräuschlose Harmonie seiner Weisen noch an die einfache Gewandung der Musen gebunden ist, welch letztere bitter rücksichtslos gegen die mannigfach verschönernden Reize der heutigen Kleiderordnung unserer Damen sein würde: also hat ein erfindungsreicher Kopf solch einen wöchentlichen Musikabend ins Dasein gerufen, der so gewissenhaft eingehalten wird, daß die den Frauen vielfach vorgeworfene Unpünktlichkeit hier als eine arge Verleumdung erscheint.

Es dauert eine Weile, bis der goldene Reif, die Reihen dicker Elfenbeinperlen und die silbernen Spangen mit den rasselnden Münzen sich in der richtigen Ordnung vertragen. Immer rückt Adele noch an ihnen zurecht, vielleicht spielt sie auch nur damit: es klingt so gefällig, so schmeichelnd – das Rasseln dieser kleinen Trophäen!

Wieder haben sie sich um eine vermehrt; auch Thilo Rodenheims Wappen prangt jetzt darunter. Er hat es ihr gestern bei dem Konzert in der Husarenmesse verehrt. Es ist ein einfaches Wappen, nur ein Querbalken auf einem Felde; ein altes Wappen: sie sind eine so alte Familie, die Rodenheims!

Da kommt ein Brief an das gnädige Fräulein, dessen Umschlag jenes einfache alte Wappen trägt.

Ein eigentümlicher Ausdruck fliegt über Adelens reizendes Gesicht – die Frau Hauptmann hält inne in dem Aufräumen des Zimmers, welches noch deutliche Spuren aufweist, daß man darin Toilette gemacht hat. Adele selbst kann sich, wenn angezogen, nicht mit dergleichen befassen – das Mädchen, welches nur über Tag kommt, ist schon nach Hause gegangen, man bedurfte ihrer nicht länger, so konnte man das Abendbrot sparen – der Mutter altes, schwarzes Seidenkleid kann schon alles vertragen, und auch ihre Hände brauchen nicht mehr lilienweiß und lilienzart zu sein.

Schnell entschlossen hat Adele den Brief geöffnet; schneller noch, wie etwas Unmöglichem wehrend, schleuderte sie ihn zu Boden.

»Nein, nein, es geht nicht!« murmelt sie dumpf, ihr Atem fliegt.

Die Frau Hauptmann aber setzt das Fetttöpfchen und den Teller mit Schwarzbrot – das Essen der beiden Damen für heute Abend – auf den Tisch neben die hier noch liegende Puderquaste und den eben herbeigeholten Fächer, und nimmt behende das Schreiben von der Erde auf.

Und ein Freudenstrahl bricht, kaum daß sie hineingesehen, aus ihren Augen.

»Das ist ein Glück, das ist ein Glück!« jubelt sie auf. »Du bist ein Sonntagskind, Adele!« Fast stürmisch – zum ersten Mal seit lange – umarmt sie die Tochter.

»O Mama!« wehrt diese.

»Sei vernünftig!« meint jedoch die Mutter.

»Kanstedt – wir lieben uns so sehr ...«

»Ich weiß, ich weiß«, bestätigt die Mutter, nicht im mindesten überrascht durch das Geständnis; dann wie um so schneller mit ihm fertig zu werden: »Einen armen Lieutenant kannst du nicht heiraten!«

Auch die Frau Hauptmann hatte einst ihren Adolf geliebt und hatte ihn auch geheiratet mit Königszulage, und die beiden hatten gemeint, sie hielten das Glück für immer in Händen. Die Frau Hauptmann aber hatte kostspielige Bedürfnisse, der Herr Hauptmann hielt auf Repräsentation: das Glück war bald vor den wachsenden Rechnungen des jungen Haushaltes gewichen und hatte allmählich der Erkenntnis von einem dummen Streich – wie sie sich besannen – Raum gemacht, der nicht verbessert wurde, als der Herr Hauptmann, seine Partnerschaft daran quittierend, sich in die ewige Ruhe zurückzog.

Unter den Erinnerungen an diesen »dummen Streich« war Adele herangewachsen; der Mutter aber – so schien es – genügte dieser eine noch nicht; sie fügte einen andern hinzu, den nämlich, die kostspieligen Neigungen zu pflegen, welche das Töchterchen, nach dem Gesetz der Vererbung, mit auf die Welt gebracht haben mußte. In der That traf das diesmal auffallend zu, und das Gesetz der Steigerung auch; die Theoretiker jener Lehre hätten sich in diesem Punkt keinen vollkommenern Beleg für die fortwährende Vervollkommnung elterlicher Eigenschaften wünschen können als die kleine, später die große Adele.

Es war daher nur natürlich, daß eine gute Partie der Traum des jungen Mädchens wurde, sobald das Alter kam, wo jedermann zu träumen beginnt – was er auch sei; der Traum, den die Mutter so lebhaft teilte, als wäre sie selber noch einmal jung, diesmal aber zugleich sehr vernünftig geworden – das Ziel, dem beide entgegenstrebten mit allem Wünschen und allem Wollen.

Die gute Partie wurde der Trost für jede stille Sorge, um die niemand wußte; die täglichen Entbehrungen, die niemand merkte, die doch notwendig waren, ein sogenanntes anständiges Auftreten in Wohnung, Toilette und was alles dazu gehört, möglich zu machen; der Lohn für all die Anstrengungen, die es verursachte, ihre Position in der Gesellschaft ohne Papa oder Onkel Kommandeur, ohne Bälle und Diners, ja sogar ohne einen Bruder zu behaupten, der immer ein Notanker für kritische Fälle bleibt. Die gute Partie war der Preis für jede Mühe oder Überwindung, welche es kostete, immer liebenswürdig und guter Laune zu sein, manch eine bittere Demütigung lächelnd zu verschlucken; fröhlich, bescheiden teilzunehmen bei denen, die alles hatten, wonach das eigene Sehnen ging; ohne Murren einzuspringen, selbst wenn man einmal erst um fünf noch zu einer Gesellschaft gebeten wurde, die im übrigen seit acht Tagen geladen war. Die gute Partie endlich war auch die einzige Gewähr in der Zukunft für Toiletten, Luxus, Vergnügen und Stellung: kurz, das Glück, wie es eine wohlerzogene junge Dame unserer Tage begreift.

All dieses Glück vermochte Thilo Rodenheim seiner Frau zu bieten; in dem Brief, der das einfache, alte Wappen trug, hatte er es der schönen Adele geboten.

Dennoch schüttelt das Mädchen jetzt den Kopf. Sie fühlt wieder Helwigs Arm um ihren Leib, seinen Kuß auf ihren Lippen, sie preßt die Hand auf das klopfende Herz. – Leise rasseln dabei die kleinen Trophäen an der Spange um ihren Arm. – Und wunderbar: dieser leise Klang ruft alles in ihr wach, was sie in Maiengrün und Frühlingsluft so leicht, so wonnig vergessen; was eben selbst wieder vor dieser Erinnerung zu verblassen schien.

»Glaubst du, ein solches Glück kommt zum zweiten Mal?« fragt mahnend die Mutter dazwischen. – Es ist, als ob die Frau Hauptmann in den Herzen zu lesen verstände und die Wirkung der Gegensätze studiert hätte. Rodenheim ist eine Partie!

Das ist richtig. – Dennoch läuft ein Schauer über Adelens Gestalt; wieder sieht sie des Geliebten Bild vor ihrer Seele; hört mit dem Herzen sein kosendes Wort: für immer. Sie schlägt die Hände vor das Gesicht –

Und abermals rasseln die kleinen Trophäen an den silbernen Spangen, ruft ihr Klang ins Gedächtnis zurück, was da lockt mit so mächtiger Gewalt, und was sie –

Nein, sie kann es nicht missen; – ein Seufzer ringt sich über ihre Lippen.

Der Frau Hauptmann dauert die Ueberlegung des Töchterchens etwas lange, – unbegreiflich lange.

»Sei vernünftig, Kind.«

Sie räuspert sich sachte. »Kanstedt, nun ja – er ist sehr nett! – Aber ein Lieutenant,« lenkt sie ein – »ohne« – ihre Stimme hob sich gebieterisch.

Eine zuckende Bewegung des Mädchens gebietet ihr – Einhalt, Adele weiß alles, was die Mutter sagen will. Es ist ja nichts anderes, als was sie so oft zusammen besprochen haben; was alle klugen Mütter ihren Töchtern mitgeben beim Eintritt in die Welt, – deren Mittelpunkt die gute Partie ist, deren Achillesferse der arme Lieutenant bleibt, und womit sie schließlich den letzten Rest von reiner Empfindung in den jugendlichen Herzen als Thorheit stempeln.

Noch einmal fliegt ein Schauer über das Mädchen hin, dann geben die Hände das Antlitz frei, als wollte sie bewußt und klar den Dingen, wie sie gesehen werden müssen, ins Auge sehen:

Adele ist zwanzig Jahre alt, geht seit drei Wintern aus. Ein unbemitteltes Mädchen, ohne jeden patronisierenden Schutz, ohne irgendwelche anziehende Kraft, als die ihrer eigenen Persönlichkeit; – braucht nicht lange Zeit, um, wie das Leben, so die Gesetze kennen zu lernen, welche ihre Herrschaft in der Gesellschaft üben.

Ja, die Mutter hat recht: man kann von der Liebe nicht leben! Es ist so peinigend, das Hoffen und Harren einer ewigen Braut: eine Verlobung, für die jedermann nur ein mitleidiges oder fragendes Achselzucken hat. Es ist, mit einem Wort, ein betrüblich Ding um die Königszulage! Wohl aber etwas Verlockendes für ein junges Mädchen die glänzende Heirat, vor der jedermann voll Neid doch mit ungeschminkter Bewunderung die Segel streicht. Die reiche, vornehme Frau, die überall Recht und überall ihren Platz bekommt.

»Sei vernünftig, Adele,« beginnt die Mutter von neuem den alten ewigen Kehrreim in dem Schlummerliede für gepeinigte Mädchenherzen.

Ja, die Mutter hat recht, dreimal recht; eine solche Partie vollends kommt nicht zum zweitenmal.

An Adelens Elfenhalse verraten sich einige krampfhafte Schlingbewegungen. Bald ist sie derselben Herrin geworden und hat mit gewohnter Meisterschaft ihre vielbewunderte, anmutige Ruhe wiedergewonnen.

»Ich bin vernünftig, Mama,« erklärte sie ruhig und bestimmt, »ganz vernünftig. Wir wollen ins Kasino gehen; ich werde Herrn von Rodenheim selbst seine Antwort bringen.«

Die Hauptmännin umarmte ihre Tochter.

Die der Gesellschaft gebrachten Opfer sind nicht vergeblich gewesen, die bösen Mäuler, die da meinen, ein armes Mädchen solle etwas Gescheiteres thun, als unnötig nach einem Freier umschauen, sind gestopft: das Kind hat sein Glück gemacht!

Adele streicht eben wieder die langen Handschuhe glatt, das weiche Leder modelliert jeden Knöchel, jeden Nagel an der feinen Hand, die allerdings nur für ein Leben im Luxus paßt. Ein wenig noch zucken ihre Lippen; doch so ist's am besten, bald weist die junge Dame entschlossen jede mahnende Erinnerung an den köstlichen Augenblick im Maiengrün und Frühlingslicht zurück und zurecht. Er wird ja bald erfahren, was sie ihm nicht sagen kann und auch nicht schreiben mag. Er wird es nehmen, vernünftig, wie sie! Damit meint Adele das genügende Schlußwort unter dies Jugend-Kapitel ihres Lebens gesetzt zu haben.


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