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XX.

Wieder war ein Jahr vergangen, waren die weißen Flocken gefallen, die Erde einzuhüllen in das Gewand, welches wir uns gewöhnt haben, als ein Totenkleid anzusehn, während es doch im Grunde nur eine Hülle ist, unter welcher Mutter Erde ruhend neue Kräfte für neues Leben sammelt. Und wieder war es Frühling geworden mit jungem Grün, sogar durch den Staub, den Dunst der Großstadt hindurch hatte sich glänzend die ewige Kraft der Natur bewährt.

Heiter in sonnigem Licht schimmern die Bäume des Zoologischen Gartens in Berlin zu der Landgrafenstraße herüber. Hier in einem hübschen Quartier saß Helwig Kanstedt an seinem Schreibtisch, der, aus massivem Eichenholz gearbeitet und mit grünem Tuch beschlagen, ohne Nippes und Statuetten, vor denen man sich nicht regen, ohne Leuchter und Lichter, bei denen man nicht sehen kann, mit seinen übereinander getürmten Papieren und Büchern sich als ein echter Arbeitstisch auswies.

Oberstlieutenant von Kanstedt hat eben die letzten Korrekturbogen zu dem ersten Bande seines neuesten Buches beendet. Es ist eine gute Arbeit; er darf mit sich zufrieden sein. Mit freudigem Stolz lehnt er sich zurück, blickt durch die großen Glasscheiben hinaus weit in die Welt, in die blaue Ferne hinein. –

Und über den Wipfeln der Bäume, den verschnörkelten Dächern und ihren hin und wieder vergoldeten Knäufen, in denen die vierfüßigen Ausländer eine Heimat gefunden haben, steigt in der Erinnerung auf vor seinen Blicken das Gärtchen, in dem die Centifolien, unbeschadet einer Nachbarschaft von Kohl und Rüben, ihre königliche Würde bewahren, ein kleines Häuschen, einfach und schlicht, wilde Weinranken in den Fenstern, dahinter ein liebes, blasses Gesicht mit blauen Augen und blondem Haar ...

Ja, diese Augen, sie sind doch der Leitstern gewesen zu seinem Glück, ob auch Schmerz und Leid darum weben, – diese Augen werden die Sterne bleiben, zu denen er aufschaut, deren Gegengruß er fühlte durch alle Fernen hindurch, am liebsten, wenn er zufrieden ist mit sich.

Zwei Kinder treten ein, zwei kleine Mädchen, einfach und nett gekleidet, noch immer nicht hübsch. Und doch, wie vorteilhaft haben sorgfältige Pflege und Erziehung die schläfrige Nora, die eigensinnige Susu, die Kinder von Thilo Rodenheim, verändert!

Sie sind gekommen, Onkel Kanstedt zu besuchen, der damals schon, als Papa nichts von ihnen wissen wollte, und Mama in dem dunkeln Kasten unter Blumen und Kränzen fortgebracht wurde, ihr Lieblingsonkel gewesen, aber seit Tante Elisabeth ihre neue, ach, so liebe Mama geworden, der einzige Onkel ist, der in die Familie gehört. –

Bei dem Tode seiner Frau war Rodenheim außer sich gewesen; er hatte niemand hören, nichts sehen wollen, jeden Beruhigungsversuch zurückgewiesen.

Daß Adele ihn immer geliebt, daß der Schrecken, die Aufregung jenes Abends sie krank gemacht und dahingerafft – das war zu seiner festen Überzeugung geworden und wob – Adelen war ja selbst im Tode das Glück noch treu geblieben – einen Glorienschein um ihr Haupt. Stundenlang konnte Thilo vor dem Bilde seiner Frau sitzen – klagen, jammern und anbeten –, dabei auch, ohne es zu wissen, ein ganz klein wenig seiner eigenen Eitelkeit huldigend.

Helwig Kanstedt hatte nie daran gedacht, jenen frommen Glauben zu stören, zumal vorauszusehen war, daß das Leben und das Naturell Rodenheims mit der Zeit diesen Kult einschränken würden. Wie bei einem Kinde – und Thilo war in vielen Dingen doch noch ein großes Kind – das, je unsinniger es sich in seinen Klagen gebärdet, je leichter wieder seinen Schmerz vergißt, kam dann schließlich dem Unabänderlichen gegenüber eine gewisse Ruhe über Rodenheim.

Fräulein Elisabeth hatte, den Verhältnissen im Rodenheimschen Hause Rechnung tragend, ihren Plan, zurück nach England zu gehen, auf eine Zeit verschoben, in der man sie leichter entbehren konnte, und war geblieben, wo sie eben wirklich unentbehrlich schien.

Ohne daß er es wußte oder wollte, wirkte das Behagen, welches mit ihr in sein Haus gekommen war, wohlthuend auf Thilo ein. Thilo war einmal ein Mensch, der sehr wenig an den rauschenden Freuden der Gesellschaft, dafür um so mehr an einem gemütlichen Familienleben hing. Die Kinder wurden artig und liebevoll gegen den Papa; Fräulein Elisabeth hatte ein warmes Herz und einen verständigen Sinn; sie führte eine freundliche Hand, die zu gewinnen, und eine feste, die zu lenken verstand. Und ob die Kinder auch erst widerstrebten, der Papa wirklich in seinem Schmerz zuerst auch von ihnen nichts wissen wollte, es währte nicht lange, und um die große Hängelampe über dem Tisch im Rodenheimschen Eßzimmer, die sonst meist nur glänzende Uniformen und elegante Frauen am Abend zu beleuchten pflegte, saß Thilo im kleinen Kreise, Nora und Susu zur Seite, Fräulein Elisabeth gegenüber.

Man plauderte mit den Kindern oder spielte mit ihnen. Fräulein Elisabeth ließ es sich angelegen sein, dem Papa den Blick für die richtige Entwickelung einer Kinderseele zu öffnen, sowie ihn an der Erziehung der kleinen Mädchen zu beteiligen. Thilo erkannte dankbar die wohlthuende Veränderung in dem Wesen seiner Lieblinge an, unwillkürlich trieb es ihn, die Mühen von Fräulein Elisabeth, das Interesse, welches sie an den Kindern nahm, mit herzlicher Teilnahme auch an ihrem Ergehen zu vergelten und ihr die Stellung in seinem Hause so behaglich und angenehm als möglich zu machen.

Ob er es nicht für möglich gehalten hätte, daß es ihm je wieder wohl werden könnte in der Nähe einer anderen Frau als seiner geliebten Adele – es that ihm doch gut, daß sein freundliches Wort eine freundliche Aufnahme fand, daß sich Fräulein Elisabeth bemühte, ihn zu verstehen, das Gute in seinen Eigenschaften anzuerkennen und hiermit, ohne bewußte Absicht, zu fördern. Und ohne daß er wußte warum, fühlte er sich in sich selbst gehoben, lernte sich freuen an der eigenen Tüchtigkeit. Ganz zufällig bei dem nächsten Wohnungswechsel bekam das Bild seiner entschlafenen Frau eine Stelle in dem Salon, wo es sich so prächtig ausnahm, daß es ein Jammer gewesen sein würde, hätte man es wieder hier fortnehmen wollen, selbst wenn die Wand über Thilos Schreibtisch für die Aufnahme eines größeren Bildes als einer Photographie von Nora und Susu fähig gewesen wäre sich zu erweitern.

Obwohl Thilo es lange nicht für möglich gehalten hätte, daß eine andere an die Stelle seiner Adele treten könnte, so empfand er doch nach einiger Zeit, es sei nicht mehr als recht und billig, daß er einem Mädchen wie Fräulein Elisabeth, wenn sie ferner gewillt sein sollte, seinem Hause vorzustehen, den Kindern die Mutter zu ersetzen in gleicher Treue wie bisher, auch die Stellung einer Frau in diesem Hause anbieten müsse.

Fräulein Elisabeth von Kanstedt hatte im Laufe der Jahre, die sie unter Fremden hatte verbringen müssen, Menschenkenntnis gesammelt und wußte die einfache Rechtschaffenheit und unverfälschte Güte, wie sie immer mehr jetzt zur bewußten Thätigkeit in Thilo heranreiften, zu würdigen. Was er von ihr verlangte, was sie ihm versprach, konnte sie geben und halten. Es war kein entzückender Rausch, keine himmelhoch stürmende Leidenschaft, ebensowenig die kalte Berechnung des klugen Verstandes, wohl aber herzliche Achtung und ein redlicher Wille, sich gegenseitig das Leben zu ebnen und freundlich zu gestalten, was sie beide zusammenbrachte und nun für immer verbindet.

»Du sollst nicht so spät kommen, Onkel Helwig, läßt Mama dir sagen,« beginnt Nora jetzt.

»Aber erst gehst du mit uns in den Zoologischen Garten,« schmeichelt Susu. Die Musik spielt so schön und sie möchte auf Miß Fanny, dem großen Elefanten, reiten.

Heiter geht der ernste Mann mit den Kindern hinüber und findet sich zeitig am Abend mit der kleinen Gesellschaft bei Schwester Elisabeth ein.

Das Rodenheimsche Haus hat unter der neuen Herrin nichts von seiner alten Anziehungskraft für Kameraden und Freunde eingebüßt. Ist auch der Luxus, die Pracht darin etwas weniger exzentrisch, so ist die Geselligkeit dafür gehaltvoller geworden, wie es sich wohl besser für den jetzigen Rittmeister und Lehrer an der königlichen Reitschule schickt. So weit hat es Thilo nunmehr gebracht, nachdem er mit Hülfe des freundlich festen Einflusses von Frau Elisabeth die so bedrohliche Ecke glücklich umschifft hat.

Ja, auch die Besten verkehren gern in dem Rodenheimschen Hause; daß Kanstedt darin ein häufiger Gast ist, erhöht nur seine Anziehungskraft. Die jüngeren Kameraden lieben den Oberstlieutenant, weil er nicht nur einen Scherz versteht, sondern auch niemals die Kontenanz verliert, sich stets als ein treuer Vertrauter und Ratgeber in den diffizilsten Angelegenheiten, sogar Herzenssachen, erweist. Die älteren freuen sich, daß es immer noch tüchtige Kräfte unter der heutigen Generation giebt, welche ja gemeinhin in den Augen der Leute, für welche die gute Zeit nur in der Vergangenheit existierte, viel zu wünschen übrig läßt. Mutter und Tochter schwärmen natürlich für einen Mann, der es mit fünfunddreißig Jahren schon zum Oberstlieutenant gebracht hat und nur den einen Fehler besitzt, daß er durchaus keine Miene zum Heiraten macht.

Auch heute bewahrt Helwig seine gewohnte ruhig-heitere Liebenswürdigkeit, wie er sie von sich für die Gesellschaft verlangt. Dann geht er nach Haus, ein stiller ernster Mann, dem nur noch eins für das Leben geblieben ist: seine Pflicht! –

Da, auf dem großen Arbeitstische liegt ein Telegramm:

»Heino befindet sich bedenklich schlechter – er möchte den Freund noch einmal sehen.« – Sofort ist sein Entschluß gefaßt; ein paar Briefe noch in der Nacht geschrieben; ordnen, was er an Vorbereitungen treffen muß; ein Besuch am Morgen bei seinem Chef giebt ihm den nötigen Urlaub; und der Kurierzug um zwölf schon führt ihn nach dem Süden. Und am nächsten Morgen trifft er ein in dem kleinen Hause nahe dem Walde.

Langsam und allmählich nur war der Graf nach jenen schreckensvollen Tagen zum Bewußtsein gekommen, von dem, was ihn betroffen, wer die Samariterdienste an ihm übte. Es war ein fürchterliches Erwachen gewesen!

Zorn, Groll, Empörung, daß sein Leben zu solch schändlich schmählichem Ende gekommen – noch dazu durch solch einen erbärmlichen Zufall; – die immer peinlicher sich lichtende Erkenntnis, daß selbst da, wo auch der kleinste, erbärmlichste und dümmste Zufall die Geschicke der Menschen und Völker zu lenken scheint, er stets doch nur ein Glied in der Kette ist, die sich einmal schließen muß: erregten ein Chaos von Qualen in seiner Seele. – Dazu kam brennende Scham: daß er so – so – wieder zurückgeführt werden mußte zu der Frau, die – – Es war nicht auszudenken. – Er hätte fortlaufen mögen, so weit ihn seine Beine trügen – leider nur, sie trugen ihn nicht; er konnte keinen Schritt gehen. – Wäre doch wenigstens irgend ein das Blut stillender Verband zum Aufreißen gewesen, wie das so oft in Romanen der Fall ist und so selten im Leben: er würde ihn gelöst haben! Aber selbst die Ader in seiner Lunge war wieder geheilt – er konnte damit nichts anfangen. Überhaupt konnte er sich weder rühren, noch regen. Und selbst wenn er das gekonnt hätte. – In diesem still friedlichen Hause gab es keine von den Kugeln, welche die Herren so gern im Munde führen, so oft ihnen das Leben unbehaglich zu werden droht. –

Graf Heino mußte aushalten diesmal. –

Es waren vielleicht ein paar Wochen verflossen, da zwischen dem Rittmeister und seinem Arzte zum erstenmale der Name von Mrs. Bower genannt wurde. Doktor Salzmann, der Inhaber von Buchenthal, hatte wohl von den Beziehungen zwischen der schönen Witwe und dem eleganten Offizier gehört. Doch da sich mittlerweile aus der jungen Frau, die sich so treu seines Patienten annahm, dessen Gemahlin, die Gräfin, entpuppte, sah er kein Bedenken darin, ihm die soeben stattgefundene Verlobung der exotischen Witwe mit Baron Welten mitzuteilen.

Sie waren gerade allein in dem Augenblicke. – Unwillkürlich stöhnte der Graf; der Arzt fand das nur natürlich; er hatte seinem Patienten eben die Lunge ausgeklopft an der Stelle, wo sich die eingebogenen Rippen noch schmerzlich bemerkbar machten.

»Eva, kannst du mir verzeihen?« fragte der Rittmeister eine Stunde später seine Frau.

So lange hatte er dagelegen, regungslos, die Augen geschlossen, anscheinend wie im Schlafe. – Ob er geschlafen, was für Träume ihm in diesem Schlafe gekommen, das wußte nur er allein! – –

Es war auch zum ersten Mal, daß die Vergangenheit zwischen ihnen beiden auf diese Weise berührt wurde. Sanft, doch energisch hatte Eva stets dagegen gewehrt. – »Still, still,« wehrte sie auch eben; »wir gehören zusammen.«

Und wieder schweigend lag er da – nur seine Hände schienen krampfhafter in einander geballt, die Mundwinkel tiefer gesenkt, als es der Frieden des Schlafes gestattet. –

Natürlich hatte der Graf, sobald er wieder zu denken imstande gewesen war, das Ende von jenem Verhältnis zu Mrs. Bower voraus gewußt; er konnte, er durfte ihr keinen Vorwurf machen, zu handeln, wie es doch dem Prinzip einer rein wirtschaftlichen Klugheit entsprach. Nun fühlte er den Schlag wie ein zum Tode Verurteilter das Schwert seines Richters, wuchtig, vernichtend – und doch auch befreiend zugleich:

»Eva, wenn ich wieder gesund bin –« er faßte ihre Hände. –

Die junge Frau zitterte – sie legte ihm die Hand auf den Mund: »Ich bleibe bei dir!« –

Der Rittmeister aber wurde nicht wieder gesund; das Auge war verloren, die Lunge blieb krank. Gram und Kummer, welche, sobald sich die Kräfte zu heben begannen, auch sofort mit der hierdurch gleichfalls gesteigerten Empfindungsfähigkeit neuen Sukkurs erhielten, erwiesen sich stärker als jeder körperliche Widerstand in der Konstitution des Grafen. Schneller, als man hätte annehmen können, vollzog sich die Wandlung des stattlichen Kavaliers in einen armen, dahin siechenden Mann. –

Das war für ihn weit schlimmer als der Tod: alles war verloren, was er Leben genannt, alle hatten ihn verlassen, die einst mit ihm aus dem Becher voll schäumender Freuden getrunken, sich seine Freunde genannt. – Alle? – Nein.

Eine hält bei ihm aus; ja, sie war wieder zu ihm gekommen, da ihn das Schlimmste getroffen, trotzdem er ihr das Schlimmste gethan. –

Immer tiefer neigte er sein Haupt vor der kleinen Frau, immer wieder und wieder gehen seine Gedanken zu ihr. –

Und all die blutjungen und bildhübschen Geschöpfe, mit denen er sich manch lustigen Abend toll und königlich amüsiert; auch die exotische Witwe, für welche er in der That eine wirkliche Passion gehabt hatte: Sie traten verschwindend zur Seite vor der zierlichen Gestalt, die ihn so geräuschlos umschwebte; vor dem blassen Gesicht mit seinem tiefen, seelenvollen Blick und seinem Lächeln, so mild und so gut, – vor der kleinen Hand, die so weich, so himmlisch weich berühren und doch so fest energisch und geschickt auch die Sorge um die Not des Lebens zu bannen verstand. Denn auch dies Bitterste, was einem Manne passieren kann, – muß der Rittmeister jetzt erfahren; ob auch Eva nie darüber sprach, jeder seiner Andeutungen auswich; Graf Heino mußte ahnen, wie die Dinge standen.

Gleich glühenden Kohlen, brennend auf Haupt und Herz, empfand er die Seelengröße, die gerade aus dem herausgewachsen war, was er als unbedeutend, langweilig, störend bei seiner Frau gescholten hatte: was er abermals nie für möglich, stets für sehr überflüssig gehalten, jetzt liebte er seine Frau! –

Und nun, je mehr er sie liebte, um so erbärmlicher erschien er sich selbst; um so bitterer fühlte er, daß es zu spät war für ihn. – Und dennoch wieder war ihre Nähe allein imstande, die in ihm umgehenden Gespenster von Reue und Vorwurf zu beruhigen: diese Liebe, das einzige was seinem Leben einen Halt gab, und wäre es auch nur der Wunsch gewesen, alles noch einmal, und anders zu beginnen! –

Darum, wie aus längst verkohlter Asche zuweilen noch einmal die Funken sprühen, lebte es auch unter den Trümmern seiner Seele wieder auf an ritterlichem Stolz, Anstand und männlich festem Willen. Und der kranke Mann nahm sich zusammen: Nur in andächtiger Bewunderung, wie der Katholik die Madonna, küßte er die Falten an Evas Gewande oder ihre Hand, um seiner Reue einen weihevollen Ausdruck zu leihen; verstohlen dagegen, aber wie zärtlich das goldene Haar, welches ihm zuerst als das einzig Schöne an seiner Braut erschienen – welches nun das einzige geblieben war, wo er seiner Liebe freien Lauf lassen konnte, unbemerkt, ohne Eva zu verletzen! –

Vor wenig Tagen hatte eine akute Bronchitis den Grafen befallen, sein Zustand sich bedenklich auffallend verändert: er selbst fühlte, daß es zu Ende mit ihm ging.

Helwig von Kanstedt hatte des Rittmeisters Angelegenheiten geordnet; ihm allein hatte er es zu danken, daß ihm ein Ehrengericht erspart blieb, er um seinen Abschied einkommen konnte, anstatt daß ihm derselbe geschickt wurde. – Helwig war der einzige noch, der sich als ein Freund in allen Fällen erwies, ob er sich auch einst mit hartem Worte von dem Kameraden getrennt, als er Evas Sache gegen denselben zu verfechten auf sich genommen hatte.

Freilich hatte Eva das verbindende Glied zu diesem neu versöhnten Verhältnisse ergeben, wie es durch sie allein wieder zustande gekommen war.

Und Graf Berg hätte kein Mann, und zwar vor allem nicht er selbst sein müssen, wenn ihm nicht doch mit der Zeit allerhand Gedanken gekommen wären, über eine Möglichkeit, die ja durchaus nicht ausgeschlossen, ihm vielmehr, wie er jetzt zu seiner Frau stand, nur zu natürlich erschien! Und wunderbar, wie die Zeiten und die Menschen sich wandeln! Was ihn einst vielleicht amüsiert, was er vielleicht als ein unbegreifliches Hirngespinnst in des Generalstäblers klugem Kopfe belächelt haben würde: jetzt verursachte es ihm namenlose Qualen und Pein! –

Dennoch war er aufrichtig genug, anzuerkennen, was den Freund für immer von ihm scheidend, hoch über ihn selbst gestellt hatte; gerecht genug, Eva mit keinem Gedanken nur zu beleidigen. –

Und ob sich sein ganzes Naturell dagegen aufbäumte, den Freund, der auf diese Weise sein bitterst und bestgehaßter Gegner geworden, an die Seite seiner Frau zu rufen – er gewann es über sich: Eva sollte nicht ohne Schutz und Stütze bei dem Schrecklichen sein – allein bleiben in der Welt. Nur den dringenden Bitten des Gatten gehorchend, hatte Eva den treuesten der Menschen zu kommen gebeten.

Wieder hatte der Graf eine schlechte Nacht gehabt. Zusehends sanken seine Kräfte; Eva durfte ihn nicht mehr verlassen.

Tiefe Stille webte ringsum; der Sommer draußen war auf der Höhe; kein Laut erklang – die Natur reift in heißem Schweigen. –

Tritte wurden hörbar auf dem Flur; sie kamen die Treppe herauf, leise, leise – doch mit den geschärften Sinnen, wie sie solchen Kranken eigen, schreckte Heino aus seinem hindämmernden Leben empor. – –

Kanstedt trat ein – Eva machte eine Bewegung ihm entgegen. – – Und ob der beiden Gruß so heilig war, wie sich die Engel grüßen mögen: ungetrübt von jedem irdischen Verlangen; hoch über jedem irdischen Leide – wie sie dastanden, Hand in Hand, Auge in Auge, und eine Welle von Sonnenlicht gerade über sie hinflutend, sodaß sie das einzig lichte zu sein schienen, in dem verhangenen Raume: da wußte der Graf, daß ihn sein Ahnen nicht belogen: die zwei einander gehörten, weil sie eins waren miteinander.

Und es war, als ob die erlöschenden Funken des Lebens noch einmal aufflammten zu heller Glut, als ob all sein Stolz, sein souveräner Wille sich noch einmal aufbäumten mit der letzten Kraft. Es fiel ihm ein, wie er mal an einem besseren Tage, in dem kleinen Häuschen herumstöbernd, ein Bild gefunden hatte, ein schauerliches Bild, wie sie noch zuweilen auf dem Lande hausieren getragen werden. Schauerlich in seinen geklecksten Farben, darunter Ströme von Blut; gräßlich in der Verzeichnung eines noch häßlicheren Inhaltes: Richter der Inquisition, welche ihre Deliquenten bei lebendigem Leibe schinden lassen. –

Die Richter dieses sich für heilig haltenden Gerichtes vermeinten, irdische Qualen und Tod seien besser, denn ewige Verdammnis – ließen Unschuldige martern um Wahn, in einem Wahne – auf daß sie die Wahrheit bekennen möchten. –

Warum soll nicht das Schicksal einen Menschen treffen, auf daß er zur Erkenntnis komme; wäre es auch nur zu der von dem, um was er sich selbst gebracht – wäre es auch nur, daß sein Leben den einzigen Gewinn davon tragen möchte: wenigstens zu bejammern, daß es ein verkehrtes war! –

Tief aufstöhnte der Graf; unruhig warf er sich hin und her. –

»Armer Kamerad,« bedauerte Kanstedt herzlich und beugte sich über ihn. Eva rückte mit weicher Hand die Kissen zurecht; sie legte eine kühlende Kompresse auf die heiße Stirn, netzte seine Lippen mit brauner Bouillon. –

Und ruhiger scheint er zu werden. – Sein Blick nimmt jenen eigentümlich wandernden Ausdruck an, wie er Sterbenden eigen, als ginge er noch einmal mit der sich lösenden Seele weit, weit in die Vergangenheit zurück. – –

Kanstedt versteht, was der Blick sagen will. – Verziehen, vergessen ist, was unmerklich beginnend, unaufhaltsam den Kameraden auf anderen Weg, als den seinen, geführt. »Armer Freund« – sagt er noch einmal und läßt sich an dem Lager nieder. –

Nun arbeitet es in des Grafen Zügen; er kämpft seinen letzten Kampf; große feuchte Tropfen perlen auf seiner Stirn, mit linder Hand wischt sie Eva hinweg; immer mühsamer arbeitet die Lunge für ihren Lebensbedarf. – Auch Kanstedt weicht nicht mehr von dem Freunde; bald macht er Eva ein Zeichen, diesen selbst mit einer gebotenen Erfrischung nicht länger zu stören. – –

Stumm und schweigend sitzen dann beide neben dem Kranken; wechselnd ruht seine Hand in ihren Händen. Wieder einmal haben Eva und Helwig ihr eigenes Ich über einen anderen vergessen; all ihr Sinnen und Denken ist eben nur auf den Sterbenden gerichtet und mit ihm auf das, was höher steht, denn ein einzelnes Menschengeschick. – – –

Der Abend zog herauf. In Purpur glüht draußen der Himmel; weithin über die Welt noch einmal, ehe sie scheidet, wirft die Sonne ihr leuchtendes Licht; durch die kleinen Fenster sogar strahlt es herein, erhellt mit seinem Scheine des Grafen Gesicht.

Und plötzlich, als habe er die entschwindende Kraft noch einmal gemeistert, erhebt er sich aus den Kissen. Mit einem Blicke, als wolle er noch einmal alles umfangen, was ihm lieb; als solle dieser noch einmal alles sagen, was unaussprechlich geworden ist für ihn selbst: schaut er von Eva zu Kanstedt, von diesem zu Eva hinüber:

»Helwig, du hast Recht behalten,« klingt es kaum hörbar, doch deutlich vernehmlich von den immer bleicher werdenden Lippen: »Es ist ein heilig Ding, um die Ehe, um ein Frauenherz und Frauentreue!« – Schon wieder ging die Kraft zu Ende, es galt Eile:

»Eva, du bist erlöst – sei glücklich – glücklich – – wie – du – verdienst.« –

In leisem Röcheln brach die Stimme, noch ein Ruck, und die einst so stattlich stolzen, prächtig schönen Glieder lagen gestreckt. Evas thränenüberströmte Wange lehnt an der Hand eines Toten: Kanstedt drückt still dem Freunde die Augen zu. – – –

Am dritten Tage, wie üblich, wurde Graf Berg auf dem kleinen Friedhof auf dem Berg am Walde begraben, wie er selbst gewünscht hatte. Es schien fast, als ob der letzte seines Stammes, mit dem die Ehre des alten Geschlechtes erloschen, ein Grauen vor dem Gewölbe seiner Väter empfand. Die Natur nimmt alle freundlich auf in ihren Schoß. Der Tod sühnt: sie allein gleicht alles wieder aus. –

Am selben Tage reiste Oberstlieutenant von Kanstedt ab, aus zarter Rücksicht für die junge Frau.

Im Winter schon folgte ihm Eva nach Berlin, wo sie bei Rodenheims die liebevollste Aufnahme fand, bis sich die Zeit erfüllet hatte, daß sie, unbeschadet in dem eigenen Herzen, vor Gott und den Menschen einziehen konnte, in Kanstedts Haus.


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