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II. Capitel.
Die Pflanzengemeinden.

§. 1. Die Wälder.

Der Pflanzenteppich ist jedoch mehr als ein mechanisches Gewebe, dessen Fäden man nur zu zählen braucht, um die Zusammensetzung seines »Aufzugs« und »Einschlags« zu begreifen. Man nennt die Pflanzendecke nicht mit Unrecht Pflanzenwelt oder Pflanzenreich. Sie ist in Wahrheit ein Staat im Reiche der Natur, wie der Staat der Menschheit ebenso wunderbar in Gemeinden von großer Verschiedenheit und Mannigfaltigkeit gegliedert. Unter diesen Gemeinden nehmen die Wälder den ersten Rang ein. Sie sind an Ausdehnung und Masse die größte Gruppe und wirken als solche am meisten bestimmend auf das Landschaftsbild der Erde, wie auf den Haushalt der Natur ein. Man könnte sie darum bezeichnend die Oekonomen oder die Regenten des Pflanzenstaates nennen. In der That ist diese Thätigkeit so hervorragend, daß wir sie unmöglich nur kurz erwähnen dürfen. Gerade die Wälder zeigen uns am deutlichsten, daß die Erde völlig unbewohnbar sein würde, wenn den Pflanzen nicht die herrliche Eigenthümlichkeit gegeben wäre, sich zu Gemeinden zu gruppiren. Ohne diese natürliche Association würde das Leben der einzelnen Pflanzen aufs Höchste gefährdet sein. Aber vereint, schützen sie sich gegenseitig gegen Sturm und Ungewitter, wie gegen den austrocknenden Sonnenstrahl. Wunderbar anziehend ist diese Gegenseitigkeit, wie jede junge Schonung unserer Forsten bezeugt. Krautartige Pflanzen und grasartige Gewächse sind es, welche den Boden der Schonung zuerst bedecken. Sie lassen dem Sonnenstrahl Zutritt zu den jungen Pflänzlingen, aber verhindern ihn auch wieder durch ihre Beschattung des Bodens, diesen völlig auszutrocknen und das Leben der jungen Pflänzlinge oder Sämlinge zu gefährden. So wachsen diese unter dem Schutze der Kleinsten des Pflanzenreichs hervor, um, wenn sie zu den Riesen unserer Wälder emporgereift, wiederum eine gleiche Bestimmung für andere zu übernehmen. Unter ihren Wipfeln erhält der beschattete Boden seine Feuchtigkeit, um dürftigere Pflanzenkinder zu speisen, deren zartere Wurzeln nicht wie die der Bäume ihre Feuchtigkeit tief aus dem Erdinnern hervorzuholen vermögen. Hier ist es auch, wo sie den Boden befähigen, sich, wenigstens in den gemäßigteren und kühleren Zonen, mit einem Moosteppich zu bekleiden, der die Feuchtigkeit noch länger an sich hält oder sie langsam durch sich hindurchsickern läßt, um sie an tiefer gelegene Becken der Anhöhen abzugeben. Blatt für Blatt der Bäume nehmen, wenn Regengüsse über die Wälder einherstürmen, ihre Tropfen auf; langsamer, als sie dem Luftmeer entfielen, lassen sie dieselben wieder zur Erde fallen; endlich nimmt sie die Moosdecke auf, um den Boden ewig getränkt zu halten, da die Wipfel der Bäume die raschere Verdunstung verhüten.

Zweierlei folgt daraus. Einmal wird der Waldboden befähigt, Quellen zu erzeugen; das andere Mal wird durch das beständige Dasein von Feuchtigkeit in den Wäldern eine fortdauernde Verdunstung herbeigeführt und dadurch eine kühlere Temperatur erzeugt. Beide Wirkungen sind gleich bedeutsam. Aus den Quellen strömen die großen Pulsadern der Länder, Bäche, Flüsse und Ströme, die ersten und natürlichsten Verbindungswege der Völker, die natürlichsten Bewässerungsanstalten für die Ebenen, die einfachsten und natürlichsten Triebkräfte kunstreicher Maschinen, Mühlen, Hämmer u. s. w., die ersten und bedeutsamen natürlichen Werkstätten fleischlicher Nahrung, der Fischerei. Man braucht nur an diese bedeutsamen Wirkungen der Quellen zu erinnern, um sich selbst zu sagen, welche Wichtigkeit sie im Haushalte der Natur und des Menschen besitzen müssen. Und wenn wir es nicht vermöchten, die Geschichte der Völker würde sie uns laut bezeugen. Im Caplande wird eine Quelle alsbald die Stätte für einen Ansiedler. Die Colonisten europäischer Abkunft, welche in diesem Lande die Pflege der Quellen versäumten, sanken allmälig zu Nomaden herab. Durch eine treue Pflege der Quellen gewöhnten dagegen die Herrnhuter Missionäre die wilden Völkerstämme dieses Landes an feste Wohnsitze, durch diese an ein geregeltes Leben, und legten somit den Grund zu der Civilisation des Menschen, welche nur in festen Wohnsitzen ermöglicht wird. Was hier von den ehemals so wilden Stämmen der Griguas und Beschuanen gesagt wird, gilt überhaupt von aller ersten Völkercultur. Ja, selbst die höchste Civilisation ist so eng an sie geknüpft, daß der Reichthum an Quellen in geeigneter Landschaft sofort auch den natürlichen Reichthum ihrer Bewohner bedingt und umgekehrt. Das wußten die Alten mehr wie wir. Kein Wunder, wenn sie Quellen und Flüsse anbeteten, wenn Nymphen und Dryaden um die Quellen und die sie umsäumenden Waldkronen spielten. Nur die späteren Nachkommen, freilich oft durch furchtbare Nothwendigkeit gezwungen, haben das Thun ihrer Ahnen unbeachtet gelassen. Die Wälder sind zum großen Theil verschwunden, mit ihnen aber auch die Quellen, und die Flüsse sind versiegt. So in Spanien im furchtbarsten Maßstabe, so in Griechenland, Judäa u. s. w. Wohlthuend ist es, einmal das Gegentheil zu hören. So befindet sich noch heute in der Nähe von Constantinopel, zwei Stunden von Bojukdereh, ein herrlicher Wald der schönsten Buchen und Eichen unter den ewigen Schutz des Gesetzes gestellt, welches befiehlt, daß nie eine Axt ihn berühren darf. Warum? Weil er die Quellen speist und erhält, welche Constantinopel durch Aquaducte mit Wasser versorgen. Möchten doch recht viele Völker diesen verrufenen Türken gleichen, welche mit richtigem Blicke in dem Walde ihren eigenen Lebenspuls erkannten!

Es ist zwar wahr, daß eine zu große Ausdehnung der Wälder weder dem Haushalte der Natur, noch des Menschen segensreich ist, allein auch hier hat das Gegentheil seine gesetzlichen Grenzen. Dies ist folgendermaßen zu verstehen. Je umfangreicher die Wälder, um so feuchter wird die Atmosphäre sein. Die Wälder verdichten die Wolken zu Regen, indem die beständige Verdunstung in ihnen eine kühlere Temperatur unterhält. Auf diesem Standpunkte wirken die Wälder wie ein großes Kühlfaß. Das Meer ist die Wasserblase, aus welcher durch den Einfluß der Sonnenstrahlen, namentlich unter wärmeren Zonen, fortdauernd Wasserdampf in die Atmosphäre überdestillirt. Das Leitungsrohr stellen die Winde dar. Sie führen den Wasserdampf mit sich fort, zerstreuen ihn mit sich in verschiedenen Richtungen und lassen ihn erst dort zu Regen verdichten, wo eine kühlere Temperatur dazu befähigt ist. Da sich aber in und über den Wäldern eine solche durch die fortwährende Verdunstung befindet, so müssen dieselben, wie eben erwähnt, als Kühlfaß wirken. Die Wälder ziehen mithin die Regenwasser an, zerstreuen sie wohlthätig über die Länder und tränken auf diese Weise gleichmäßig die Fluren. Es folgt aber daraus, daß das Klima der Länder um so kühler sein muß, je größer die Ausdehnung der Wälder ist. Unter heißerer Sonne kann dies ein Segen sein; in gemäßigteren Zonen wird das Klima dagegen um so eisiger werden. Daher erklärt es sich, daß einst das alte Germanien zu der Zeit, wo Cäsar's hercynischer Wald sich 60 Tagereisen ununterbrochen bis zur Schweiz fortzog, das Klima des heutigen Schweden besaß, daß der Auerhahn, das Elen, das Ren, der Bär, der Wolf u. a. Thiere hier ebenso ihre eigentliche Heimat besaßen, wie sie dieselbe gegenwärtig noch in Skandinavien, Ostpreußen und Finnland finden. Daher erklärt es sich, daß Griechenland, welches zu Homer's Zeiten ungefähr das Klima des jetzigen Deutschlands hatte, gegenwärtig die gewürzigen Früchte der Hesperiden, herrliche Orangen, Deutschland aber ebenso herrliche Weine baut, an welche noch zu Cäsar's Zeiten am Rheine nicht zu denken war. Nach Füster waren zur Zeit dieses römischen Feldherrn Weinstock, Feige und Oelbaum südlich von den Sevennen, breiteten sich aber nur bis zum 47. Breitengrade aus und waren am Ende des 3. Jahrhunderts bis an die Loire vorgerückt. Im 4. Jahrhunderte n. Chr. konnten sie schon im Westen bis Paris und im Osten bis in die Nähe von Trier cultivirt werden. Im 6. Jahrhundert dauerte die Rebe in der Bretagne, Normandie und Picardie, im Mittelalter im Elsaß, in der Lorraine u. s. w. aus. Das Alles beweist uns, daß die Entwaldung der Länder unfehlbar ein wärmeres, trockneres Klima nach sich zieht, und daß es mithin unter Umständen die vormals gesegneten Länder in Wüsten verwandeln kann. Die Nutzanwendung für Deutschland liegt nahe. Längst sind auch wir an der Grenze der Entwaldung angelangt, an welcher das Naturgesetz der Axt Halt gebietet. Die unaufhaltsam vorwärts dringende Cultur hat ihr Recht nur bis zu dieser Grenze. Darüber hinaus zu gehen ist Verbrechen an dem Haushalte der Natur und des Menschen. Nur Länder mit einem Inselklima dürfen ungestraft die Grenze überschreiten, welche für Länder mit einem Continentalklima geboten ist. Englands Industrie hat weit mehr in seinen Wäldern gelichtet als Deutschland, und dennoch sind seine Wiesen die üppigsten, saftigsten Europas. Dafür besitzt es aber auch ein feuchtes Klima, dessen Dasein auf dem das Land unmittelbar umgürtenden Meere beruht. Die Länder der Nord- und Ostsee zeigen uns Aehnliches. Wo, wie hier, die Nachbarschaft des Meeres und eine gemäßigte Zone unaufhörlich neue Feuchtigkeit senden, da hat der Wald in dieser Hinsicht weniger Bedeutung, er kann sogar unter Umständen, wenn er zu ausgedehnt die Länder besäumt, ein zu feuchtes, kaltes Klima hervorrufen und die Cultur unterdrücken. Finnland bestätigt uns das noch in der Gegenwart; denn seit der Lichtung seiner Waldungen und dem Austrocknen der Sümpfe ist auch die Cultur nördlicher gedrungen, das Klima ist milder geworden. Wo aber die Nachbarschaft des Meeres fehlt, im Binnenlande, da wird der Mensch stets auf seiner Hut sein müssen, die von der Natur gesteckten Grenzen der Entwaldung nicht zu überschreiten. Diese Grenzen sind die Gebirge.

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Urwald in Lithauen als Ausdruck des Laubwaldes.

Ich kann nicht umhin, auch sie einer ausführlicheren Betrachtung zu unterwerfen; denn niemals wird man die Bedeutung eines Landschaftsbildes zu würdigen verstehen, wenn man nicht in seine Bestimmung zurückblickt. Es liegt auf der Hand, daß der Wald durch die Wurzeln seiner Bäume, wie durch die dichte Moosdecke oder seinen Rasen die Ackerkrume seines Bodens auf den steilsten Gebirgen aus die natürlichste und einfachste Weise befestigt. Man nehme den Wald hinweg, und die Quellen werden versiegen, die Moosdecke wird sammt dem Rasen verschwinden, besonders wenn der Mensch diese Anhöhen zu lockerem Acker umgestaltet hat. Die Kraft der Regengüsse, die vorher über das Land zogen, wird jetzt nicht durch Millionen Blätter, durch Rasen und Moosdecke gemildert werden, sie werden ihre ganze Heftigkeit ausüben und jetzt als Platzregen erscheinen. Er wird allmälig die lockere Ackerkrume, das Product der Verwesung pflanzlicher Stoffe und der Verwitterung des Felsenbodens, mit sich hinab in die Thaler reißen, wird sie hier als Schlamm absetzen, mit ihm Bäche und Flüsse anfüllen, ihre Gewässer trüben, dieselben über die Ufer treiben und die Weiden überschwemmen. Der Schlamm wird sich auf die Grasdecke lagern, das Heu für die Heerden unbrauchbar machen und allmälig nach Jahren mit Sand überstreuen. Wo vorher üppige Wiesen, werden jetzt kümmerliche Weiden eine kümmerliche Nahrung den Heerden bieten; der Landwirth ist nach Jahren verarmt, Reichthum und Wohlstand sind vernichtet, das vormals üppige Thal ist unbewohnbar geworden. Daher kann es kommen, daß der Bergrücken noch mit den herrlichsten Waldungen bestanden ist, während an den tiefer gelegenen Theilen des Berges der nackte Fels, der furchtbarste Gegensatz zu dem Berggipfel, den Wanderer anstarrt. Oft spricht eine furchtbare Geschichte hinter solchen Bildern. So wurde das Dorf Meyringen in der Schweiz nach A. Marchand mehre Male durch Kiesmassen, die der Alpbach mit sich führte, beinahe verschüttet. »Um die Wiederkehr solcher unglücklichen Ereignisse zu verhindern«, bemerkt unser Gewährsmann, »hat man mit großen Kosten einen Kanal gebaut, welcher den Kies in die Aar leitet. Durch diese Arbeit hat man zwar das Uebel vom Dorfe entfernt, ihm aber keinen Einhalt gethan. Die Kiesmassen kommen sehr gut in die Aar, sie werden durch die Strömung fortgerissen, so lange der Fall bedeutend genug ist, um diesen Transport zu begünstigen; aber sie halten weit oberhalb Brienz an, verstopfen und erhöhen das Aarbett immer mehr und vergrößern dadurch den Umfang der Sümpfe zwischen Brienz und Meyringen.« Noch schrecklicher klingen die Berichte, welche der Franzose Blanqui über die Folgen der Entwaldung in den Alpen der Provence gibt. »Man kann sich«, erzählt er, »in unsern gemäßigten Breiten keinen richtigen Begriff von diesen brennenden Bergschluchten machen, wo es nicht einmal mehr einen Busch gibt, um einen Vogel zu schützen, wo der Reisende da und dort im Sommer einige ausgetrocknete Lavendelstöcke antrifft, wo alle Quellen versiegt sind, und ein düsteres, kaum von dem Gesumme der Insekten unterbrochenes Schweigen herrscht. Auf einmal, wenn ein Gewitter losbricht, wälzen sich in diese geborstenen Bassins von den Höhen der Berge Wassermassen herab, welche verwüsten, ohne zu begießen, überschwemmen, ohne zu erfrischen, und den Boden durch ihre vorübergehende Erscheinung noch öder machen, als er durch ihr Ausbleiben war. Endlich zieht sich der Mensch zuletzt aus diesen schauerlichen Einöden zurück, und ich habe in diesem Jahre (1843) nicht ein einziges lebendiges Wesen mehr in Ortschaften getroffen, wo ich vor dreißig Jahren Gastfreundschaft genossen zu haben mich recht gut erinnere.«. »In einer Menge von Gegenden ist nicht blos der Hochwald zu Grunde gegangen, sondern auch die Gebüsche, der Buchsbaum, der Ginster und das Haidekraut, Gewächse, welche die Bewohner doch wenigstens als Brennmaterial, als Streu und folglich auch als Dünger zu benutzen pflegten. Das Uebel hat dermaßen überhand genommen, daß die Eigenthümer (der noch bewohnten Gegenden) ihren Viehstand um die Hälfte, oft sogar um 3/5 verringern mußten, weil es an dem nothwendigsten Elemente zur Unterhaltung der Thiere mangelte. Zur gleichen Zeit, wo ihre Armuth mit der Entwaldung zunahm, haben sich die Einwohner, da sie in die Unmöglichkeit versetzt waren, ihre Schafe ein ganzes Jahr hindurch zu ernähren, genöthigt gesehen, ihre Weiden an Heerdenbesitzer aus der Rhonegegend und selbst aus Piemont zu verleihen.« Man könnte diese Schilderung für Uebertreibung halten. Leider wird sie nur zu sehr durch die neuesten Überschwemmungen der Rhone und der Isère im Juni 1856 bestätigt, durch Wasserfluten, welche Lyon und Umgegend in einem Ocean begruben.

Auch Deutschland ist von diesen schrecklichen Folgen der Entwaldung nicht verschont geblieben. Jede Wanderung in unsere Gebirge gibt der Belege unzählige dafür, vor allem im Rhöngebirge, Thüringer Walde, Erzgebirge und der Eifel. Die letztere hat nur noch das nackte Leben ihrer Bewohner gerettet. Ein Beispiel aus dieser Gegend beweist uns die Bedeutung der Wälder in glänzendem Lichte. Als der durch den mehr als hundertjährigen Betrieb der Bleibergwerke bei Commern herausgeschaffte Sand die naheliegenden Aecker und Wiesen überfluthete, wäre das Elend nicht zu übersehen gewesen, welches im Gefolge dieser Ueberfluthung des Sandmeeres nothwendig hätte folgen müssen. Durch die glückliche Einsicht der Forstverwaltung wurde dem drohenden Elende nur Halt durch die Anpflanzung von Nadelhölzern geboten. Nicht anders war es einst im Golf von Gascogne. Auch hier überfluthete der Meeressand die nahegelegenen Aecker und drohte sie völlig zu entwerthen und unbewohnbar zu machen. Da faßte der Franzose Bremontier den geistreichen Gedanken, auch hier einen Wald als Schutzwehr aufzustellen. Er pflanzte den sandliebenden Besenginster ( Sarothamnus scoparius) an, erzog in seinem Schatten junge Kiefern und zwang somit den Meeressand zum Stillstand. Auch Deutschland hat Aehnliches an seinen Meeresküsten gesehen. So z. B. in der Frischen Nehrung, jenem langen, schmalen Sanddamme, der sich fast von Danzig bis Pillau erstreckt und das Frische Haff vom Meere trennt. »Bis ins Mittelalter«, erzählt uns W. Alexis, »erstreckte sich die Nehrung noch weiter, und der enge Durchstich bei Lockstadt versandete. Ein langer Kieferwald knetete und festete mit seinen Wurzeln den Dünensand und die Haide in ununterbrochener Reihe von Danzig bis Pillau. König Friedrich Wilhelm I. brauchte einmal Geld. Ein Herr von Korff, der sich beliebt machen wollte, versprach es ihm ohne Anleihe und Steuern zu verschaffen, wenn man ihm erlaube, Unnützes fortzuschaffen. Er lichtete in den preußischen Forsten, die damals freilich geringen Werth besaßen; er ließ aber auch den ganzen Wald der Frischen Nehrung, so weit er preußisch war, fällen. Die Finanzoperation war vollkommen gelungen, der König hatte Geld. Aber in der Elementaroperation, die darauf folgte, erleidet der Staat noch heute einen unverwindlichen Schaden. Die Meereswinde wehen über die kahlgelegenen Hügel; das Frische Haff ist zur Hälfte versandet, das weithin über die Wasserfläche wuchernde Schilf droht einen ungeheuren Sumpf zu bilden, die Wasserstraße zwischen dem reichen Elbing, dem Meere und Königsberg ist gefährdet, der Fischfang auf dem Haff beeinträchtigt. Umsonst hat man alle möglichen Anstrengungen gemacht, durch Sandhafer, Weiden, Schlinggewächse die Hügel wenigstens zu verweben. Der Wind spottet aller Anstrengungen. Die Operation des Herrn von Korff brachte dem König gegen 200,000 Thaler; jetzt gäbe man Millionen, wenn man den Wald zurück hätte.« Aehnliches erleben noch heute auch die baltischen Provinzen Rußlands. Wie hier die Wälder die geeignetsten Mächte, die natürlichsten Faschinen sind, den unaufhaltsam vordringenden Dünensand zu befestigen, ebenso sind sie die besten Schutzwehren gegen das Treibeis der Flüsse, gegen die Gletscher, Lawinen und Bergstürze der höheren Gebirge, und was sie hier dem Menschen zur Wohlthat vollführen, kommt auch der Pflanzenwelt selbst zu gut. Ohne die Wälder, und ihre vereinte Macht würde ein großer Theil unserer zarteren Gewächse in ihrem Dasein nur zu sehr gefährdet sein.

Es gibt aber noch eine nicht minder bedeutende Bestimmung der Waldungen. Wie sie die natürlichen Regulatoren für Wind und Feuchtigkeit sind, ebenso haben sie die hohe Aufgabe zu lösen, die Luft zu reinigen. Sie erreichen es, indem sie, wie die Pflanze überhaupt, befähigt sind, verschiedene Gasarten in sich aufzunehmen und zu Pflanzensubstanz zu verarbeiten. Vor allem gilt dies von der Kohlensäure, also derjenigen Luftart, die sich bei allen Gährungsprozessen abscheidet, selbst von den thierischen Lungen und an vielen Orten der Erde aus deren Innerem ausgehaucht wird, endlich bei den verschiedensten Verbrennungsprozessen aus den Schornsteinen entweicht. Diese Kohlensäure athmen die Pflanzen, mithin die Wälder im Großen ein, um den Kohlenstoff daraus abzuscheiden. Sie thun es am Tage, hauchen aber dafür dieselbe Luftart des Nachts aus, um sie am nächsten Tage unter Einfluß des Sonnenlichtes wieder in sich aufzunehmen. Mit dem Aufhören der Wälder stellt sich darum über der Pflanzengrenze auf den Alpen eine größere Menge von Kohlensäure, eine für das thierische Leben ungünstigere Luft ein, als in den unteren Schichten des Luftmeeres. Der des Tages ausgeschiedene Sauerstoff ist dagegen die eigentliche für Menschen und Thiere. Sie ist es, welche, je mehr von ihr eingeathmet wurde, den Stoffwechsel des Körpers um so mehr begünstigt, die Gesundheit erhöht, den Leib kräftigt. Darum sind im Freien Lebende schon aus diesem Grunde frischer und kräftiger als die in der Stube. Es ist indeß nicht allein die Kohlensäure, welche der Pflanzenwelt als Nahrung dient. Auch viele andere Luftarten, Ammoniak vor allen, gehören, dem thierischen Leben meist feindlich, hierher. Die Wälder sind die großen Regulatoren, die Verbesserer des Luftmeeres in jeder Beziehung. Freilich ahnen wir gemeinhin wenig von der Bedeutung dieses Wechselverhältnisses; allein die Thatsachen der Natur sprechen lauter als das Gesetz selbst. Keine Gegend der Erde bestätigt das sprechender als jene Italiens, welche, einst die reichbebaute Heimat der Volsker, jetzt jene berüchtigten Moräste bildet, die man als die Pontinischen Sümpfe zu bezeichnen pflegt. Wo einst reiches Leben herrschte, droht unheimlich der Tod die frische Lebensfackel zu verlöschen. Sein Gehilfe ist jene berüchtigte Malaria, eine Krankheit, deren Wesen man vorzugsweise den Ausdünstungen jener Moräste, der ewigen Verwesung reichlich aufgehäufter thierischer Stoffe in den stehen den Sümpfen zuschreibt. Langsam und sicher schreitet sie über die wenigen Bewohner dahin, welche nur die eiserne Noth in diese Heimat führen konnte. Kalte Fieber, Leber- und Milzleiden sind ihr Gefolge. Bleiche, gelbe Gesichter mit eingefallenen Zügen, matten Augen, geschwollenem Unterleibe und schleppendem Gange, das sind die furchtbaren Geschenke, welche sie dem dürftigen Bewohner dieser Heimat zuertheilt. Hinter ihr lauert ein bösartiges Fieber, welches die meisten vor der Zeit dahinrafft. Doch warum gab es einst selbst hier, in den Einöden des Todes, ein reiches, üppiges Leben? Weil es Wälder gab. Der Mensch hat das Gleichgewicht des Naturhaushaltes schrecklich gestört, und schrecklich sind die Folgen geworden. Nach den übereinstimmenden Zeugnissen der Reisenden gibt es kein traurigeres Land als das, welches sich längs der Apenninenkette von Genua nach dem Kirchenstaate hinzieht. Diese Apenninen sind gegenwärtig fast ganz von Wald entblößt, eine große, entsetzliche Ruine, eine Reihenfolge von Erdstürzen, wie A. Marchand sich ausdrückt. Die Berge sind unfruchtbar, die besten Thäler von den Strömen überfluthet oder bedroht. Aehnliche Verhältnisse zeigen auch nach Schouw (l. Skau), zum Schrecken der Bewohner, die Sümpfe bei Viareggio, Lentini am Aetna, die Lagunen von Venedig und Comacchio, die Gegenden am unteren Po, die Reisfelder des Po-Thales, die Moräste von Mantua, der nördliche Theil vom Comersee am Ausflusse der Adda u. s. w. Auch längs der versumpften Küsten der Provence kehrt diese furchtbare Fieberluft wieder, und man weiß, daß dort eine ganze Stadt, Arles, welche für Tausende von Einwohnern mit prächtigen Palästen hergerichtet ist, einst sogar die Hauptstadt Galliens und später des burgundischen Reiches war, jetzt nur noch von wenigen fieberkranken Einwohnern bewohnt wird. Woher dies? Weil die Rhone, an der sie gelegen ist, immer mehr versandet und die Ufer überschwemmt. Und woher dies? Weil, wie wir schon oben sahen, die oberen Rhonegegenden völlig entwaldet sind, der Regen die Ackerkrume der Gebirge längst heruntergewaschen, die Flußbetten damit verschlemmt und erhöht hat, und somit die Rhone gezwungen ist, als reißender Strom über die nicht mit erhöhten Ufer zu treten, das Land allmälig zu versumpfen. Diese Sümpfe werden nicht allein die ganze Landschaft allmälig verändern, d. h. eine ganz neue Pflanzendecke erzeugen, sondern auch unter heißerer Sonne lebensfeindliche Gasarten, Sumpfgas u. dergl., wie in den pontinischen Sümpfen, entwickeln. So wirkt ein Frevel an den Wäldern auf weite Strecken und die fernsten Generationen unheilvoll und zerstörend ein. Unter ganz entgegengesetzten Verhältnissen finden wir jedoch dieselben Erscheinungen in den Tropenländern wieder. Auch die zu große Ausdehnung der Wälder erzeugt in den Niederungen dieser Länder eine Versumpfung, und das gelbe Fieber lauert hinter den Urwäldern als das tückische Gespenst, welches seine Opfer unbarmherzig fordert. Am berüchtigtsten ist die Landenge von Panama geworden, und bekanntlich fielen in der jüngsten Zeit bei der Anlegung der Eisenbahn über den Isthmus Tausende als Opfer jener Sumpffieber. Es folgt also daraus, daß auch die Ausdehnung der Wälder so gut wie die Entwaldung ihre Grenzen hat. Es folgt aber ebenso daraus, daß die Wälder von der großartigsten Bedeutung für die Landschaft und das Leben der übrigen Gewächse sind, und daß selbst des Menschen Dasein wesentlich mit ihnen zusammenhängt. Wir haben somit ein Recht, die Wälder die eigentlichen Regenten des Naturhaushaltes zu nennen.

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Der Nadelwald.

Vielfach sind die Elemente, welche die Wälder bilden. Wir dürfen sie um so weniger übergehen, als diese Elemente das Landschaftsbild wesentlich bestimmen helfen. Es geschieht durch die verschiedene Belaubung. Nach ihr sondern sich die Wälder in Laub-, Nadel-, Casuarinen- und Palmen-Wälder. – Der Begriff des Laubwaldes ist der umfassendste. Er umschließt nicht allein die Bäume mit horizontal, sondern auch mit vertikal (scheitelrecht) angehefteten Blättern. Zu den ersteren gehören alle Laubwälder unserer Heimat, die letzteren sind vorzugsweise auf Neuholland beschränkt. Unter ihnen befinden sich viele Bäume mit falschem Laube. In diesem Falle hat sich der Blattstiel oder ein Zweig allein zu einer Blattfläche erweitert, das eigentliche Blatt ist nicht vorhanden oder nur kümmerlich entwickelt. Diesen blattartig erweiterten Blattstiel oder Zweig nennt die Wissenschaft ein Phyllodium, von dem griechischen Worte phyllon, das Blatt, abgeleitet. Man kann es das Zweigblatt nennen. Es erscheint bereits im Süden Europas an einigen Gewächsen, deren Tracht an die Myrte einigermaßen erinnert. Es ist die Gattung Ruscus oder Mausdorn. Er hat, wie der Spargel, die Eigenthümlichkeit, daß er seine Blüthen und Fruchte auf diesen falschen Blättern hervorbringt; eine Eigenthümlichkeit, welche nicht zu erklären wäre, wenn jene Blätter nicht Zweige wären; denn nirgends trägt ein wirkliches Blatt Blumen und Früchte. In besonders auffallender Weise erscheinen diese Phyllodien an vielen Myrtengewächsen, Acacien und Mimosen Neuhollands, und da dieselben hier in erstaunlicher Menge der Individuen und Arten vorhanden sind, so ist auch Neuholland vorzugsweise das Land der Phyllodienwälder. Keineswegs besitzt es aber damit etwas Schönes. Ein scheitelrecht angeheftetes Blatt, das sich, so zu sagen, starr von seinem Zweige abwendet, trägt auch diesen starren Charakter in seiner Tracht und Wirkung. Starr ist tiefe Tracht, weil die Phyllodien durchgängig derbe, lederartige Gestalten zeigen. Schlecht aber ist ihre Wirkung, weil sie dem Sonnenstrahle keine breite Fläche entgegenhalten, um ihn zu schwächen, er gleitet an der senkrechten Fläche herab. Darum sind die Phyllodienbäume schattenlos. Daher auch die ewigen Klagen der Reisenden; alle fanden diese Wälder ebenso einförmig todt und häßlich, wie unter der heißen Sonne Australiens drückend. Ganz anders die Bäume, deren Laub sich wagerecht an den Zweig heftet. Nicht allein, daß sie hiermit der Sonne eine Fläche entgegenhalten und somit unter dem Wipfel einen wohlthätigen Schatten verbreiten, gewinnt auch ein Baum mit dieser Blattstellung den Charakter der Anmuth, die Linien werden durch das Zuneigen zum Zweige sanfter, malerischer, man möchte sagen, weiblicher. Durch diese Starrheit bilden jedoch die Phyllodienwälder den Uebergang zu den Nadelwäldern (man vergl. Abbild. S. 19). – Auch diese sind nicht überall von gleichem Ausdruck. Wir können sie dreifach gliedern: in Pinienwälder, Cypressenwälder und Podocarpuswälder. Die ersten bringen eigentliche Nadeln hervor, die entweder frei stehen, wie bei Edeltanne, Fichte, Wachholder und Taxus, oder in Bündel vereinigt sind, wie bei Kiefer und Ceder. Die Cypressenwälder zeichnen sich dadurch aus, daß ihre Nadeln schuppenartig werden und mehr dachziegelförmig über einander stehen. Hierher gehören alle Cypressen, viele Wachholderarten und die Lebensbäume. Auf den Neuen Hebriden im australischen Inselmeere fanden die beiden Forster einen cypressenartigen Baum, der diesen Charakter am vollendetsten an sich trägt. Denkt man sich seine langen, schlanken Zweige nur als langgezogene Tannenzapfen, deren Schuppen hier die Blätter vorstellen, so hat man sofort einen vollständigen Begriff dieser Cypresse, welche Georg Forster sehr bezeichnend Säulencypresse ( Cypressus columnaris) nannte. Theilweise hierher gehören die Araucarien, theilweise zu den Podocarpuswäldern. Diese wunderbare Nadelholzform zeichnet sich dadurch aus, daß das Laub nicht mehr nadelförmig ist, sondern eine breite lanzettliche, keilförmige oder orangenblättrige Gestalt annimmt. Eine lanzettliche bringt z. B. die neuseeländische Dammarfichte, eine keilförmige der S. 20 abgebildete Ginkgo in Japan, eine orangenblättrige die Gattung Podocarpus, die herrlichste Gestalt der Zapfenfrüchtler in dem indischen Inselmeere, hervor.

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Ein Zweig der Salisburia, der Ginkgo Japans.

Weit einförmiger erscheinen die Casuarinenwälder als dritte Waldklasse. Wenn man einer Hängeweide ihre Aeste lassen und statt der Zweige und Blätter Schachtelhalme anheften wollte, würde man ziemlich das Bild der nebenstehenden Casuarinen (S. 23) haben, das dem Wanderer auf den Südseeinseln, in Neuholland und dem indischen Inselmeere begegnet. Dort bilden sie gleichsam, um mit dem deutschen Naturforscher Ferdinand Müller in Neuholland zu reden, die Kiefern dieser Länder. – Die Palmenwälder endlich, die vierte Klasse, charakterisiren sich im Ganzen durch die hohen, unverzweigten Säulenschafte und den gipfelständigen Blätterschopf, dessen Laub bald schilfartig zugespitzt, bald fächerförmig erweitert ist. Nicht Palmen allein, sondern auch Pandaneen, Grasbäume u. s. w. helfen diese Klasse bilden, obschon von ihnen nur die Palmen in Wäldern vereint aufzutreten pflegen. Es versteht sich übrigens von selbst,

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Die Dammarfichte ( Dammara australis).

daß alle diese Gruppirungen bald rein, bald gemischt angetroffen werden. Im ersten Falle bilden sie die »Reinwälder«, im zweiten die »Mischwälder«. Jedenfalls sind alle diese Gruppirungen wohl zu beachten, wenn man das Landschaftsbild verstehen und zerlegen will.

Die Wälder sind aber nicht die einzigen und letzten Pflanzengemeinden. Von den kalten Gestaden Norwegens, die an die Grenzen des ewigen Winters streifen, bis zu den Glutebenen der Tropen, von den Marschen der Tiefebene bis hinauf, wo die Felsenzacken der Alpen in den Himmel ragen, so weit das organische Leben überhaupt noch in Pflanzen sich gestaltet, da tritt eine andere große Gemeinschaft des Pflanzenstaates auf. Das sind die Gemeinden der Gräser.

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Die Casuarinenform.

 

§. 2. Die Grasdecke.

Die zweite große Gemeinschaft des Pflanzenstaates, die Grasfluren, müssen wir in Wiesen und eigentliche Grasfluren gliedern.

Die Grundlage der ersteren bilden die Gräser der gemäßigten Zone, welche allein fähig sind, einen zusammenhängenden Rasen zu bilden. Durch die entgegengesetzte Eigenschaft zeichnen sich jene Gräser aus, welche die Prärien, Savannen und Steppen charakterisiren. Sie bilden keinen zusammenhängenden Rasen, wohl aber einzelne, in sich abgeschlossene Polster. Dies beruht darauf, daß ihre Wurzeln nicht, wie die der vorigen, kriechend, sondern faserig sind. Gräser dieser Art kennt auch Europa. So das Borstengras ( Nardus stricta) unserer Haiden und der Esparto ( Stipa tenacissima) Spaniens. Nur schilf- und baumartige Gräser, deren Höhe oft die vieler Bäume übertrifft, erinnern wieder an die Waldungen und müssen als Grasfluren oder Graswälder scharf von den Wiesen unterschieden werden. Insbesondere bilden die bambusartigen Gräser (s. Abbild. S. 24) eine so merkwürdige Pflanzengemeinde, daß sie höchstens mit den rohrartigen Palmen verglichen werden können und die größte Zierde der Tropenländer sind, wogegen die Wiesen das schöne Wahrzeichens der gemäßigten Zone bilden.

Was die Wälder im größten Maßstabe vollführten, vollbringen die Wiesen und Grasfluren im kleineren. Unter dem Schutze der Gräser wachsen unzählige andere Gewächse auf. Was in den Wäldern aus Mangel an Besonnung zu Grunde gehen würde, hat in der Gemeinde der Gräser seine Zufluchtsstätte gefunden. Wenigstens ist das die wohlthätige Bedeutung unserer Wiesen. Sie wird dadurch außerordentlich erhöht, daß dieselben durch den dichten Zusammenhalt ihrer Gräser und die Beschattung, die sie hierdurch auf den Boden ausüben, auch ohne das Dasein der Wälder Quellen bilden und speisen, im Bunde aber mit ihnen diese Eigenschaft aufs Höchste steigern. Dadurch sind sie vor allen höheren Gewächsen befähigt, die Ufer der Gewässer von der Quelle bis zum Strome, vom dem Sumpfe bis zur See zu beleben und die Landschaft als Schilffluren zu zieren.

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Die Bambusform.

 

§. 3. Die Haide.

Eine dritte große Gemeinde des Pflanzenstaates sind die Haiden. Wie die Grasfluren vorherrschend von den Gräsern bestimmt werden, so diese von den Haidekräutern. Ihre höchste Entwickelung fällt auf die Südspitze Afrikas, auf das Capland. Hier ist es, wo sie in erstaunlicher Mannigfaltigkeit, in 2–300 Arten, die höchste Pracht und Ueppigkeit entfalten. In Deutschland gibt dagegen nur das gemeine Haidekraut ( Calluna vulgaris) die Unterlage ab, und nur die seltneren Glockenhaiden ( Erica Tetralix, cinerea und carnea) verbinden sich hier und da mit ihm. Doch schon in Südeuropa, im Gebiete des Mittelmeeres, tritt die stattliche Baumhaide ( Erica arborea) auf, die ihren Namen durch ihre Größe vollkommen rechtfertigt und im Bereiche dieser dritten Pflanzengemeinde dasselbe ist, was die Grasfluren den Wiesen gegenüber waren. Eine Menge der familienverwandten Heidelbeergewächse verbindet sich mit den Haiden: die Heidelbeere ( Vaccinium Myrtillus), die Preißelbeere ( V. Vitis Idaea), die Rauschbeere ( Empetrum nigrum) u. s. w. Meist starre Gräser und Riedgräser gesellen sich in unserer Zone zu ihnen und strauchartige Gewächse, Weiden und Gagel ( Myrica Gale) bilden ihr Gebüsch. So wenig einladend auch die Haide und so einförmig sie ist, so bildet sie dennoch ein wohlthätiges Element im Landschaftsbilde. Denn ohne ihre Fähigkeit, den magersten Sandboden zu bewohnen, würde dieser alle Schrecken einer trostlosen Sandwüste bieten. Das gesellig lebende Haidekraut mildert diese wie kein anderes Gewächs unserer Zone und gibt einer Menge von Pflanzen dadurch Gelegenheit, sich unter ihrem Schutze anzusiedeln und zu gedeihen. Mit ihnen verbunden, bringt sie nach langen Zeiträumen endlich auch ihre Humusdecke durch das Absterben von Pflanzen hervor. Die Haidegewächse haben sich mithin das große Verdienst in der Geschichte der Natur erworben, die ödesten und furchtbarsten Districte colonisirt und wenigstens doch einigermaßen bewohnbar gemacht zu haben.

Dies hat eine zweite große Wohlthat im Gefolge. Wo nämlich die Haide so vom Wasser überfluthet werden kann, daß es zwar keine Seen bildet, aber dennoch an einem Ab fließen verhindert ist, da befördert es allmälig die Bildung der Moore, des Torfes. Dieser ist in der That nichts Anderes als die Verrottung voll Pflanzentheilen unter Beihilfe der Feuchtigkeit. Diese Wirkung der Haide gehört zu den hervorragendsten des ganzen Pflanzenreichs. Denn das Dasein dieser Moore hat nicht allein die Krume der Erde erhöht, sondern auch den Bewohnern dieser Länder eine neue reiche Quelle des Wohlstandes eröffnet. Die Torfgräbereien Ostfrieslands haben diesem Lande in neuerer Zeit durch ihren geregelten Betrieb einen neuen, früher nicht geahnten Aufschwung gegeben. Ja, während sie bis jetzt nur ein wichtiges Brennmaterial lieferten, scheint die Zeit gekommen zu sein, wo man den Torf durch trockene Destillation oder Verschwelen in eisernen Oefen oder Retorten verkoakt, um aus ihm brennbare ölige Stoffe, das alabasterweiße Paraffin zu herrlichen Kerzen, die Koaks für Schmieden und Maschinen oder das Ammoniak nebst andern Salzen zu Dünger zu verarbeiten. Schon ist in Irland ein großartiger Anfang dazu gemacht, und Deutschland wird nicht lange zögern, die todten Schätze seiner ausgebreiteten Moore in gleicher Weise zu verwerthen, um darin eine neue Quelle der Volkswohlfahrt zu finden. Das ist ja das rechte Goldland, wo der Mensch aus schmutzigem Stoffe sein Gold zieht, durch zähe Ausdauer, Fleiß und sinnige Benutzung seine Thätigkeit stählt, seinen Geist bildet, seinem Gemüthe neue Nahrung zuführt, mit Einen Worte sein Leben behaglicher, heiterer, ruhiger, friedlicher, harmonischer, sittlicher, freier gestaltet. Schon haben die Moore nach einer andern Beziehung hin in dieser Weise wohlthätig gewirkt. Ich meine durch den Raseneisenstein. Er ist ein Product der Moore und hat bereits an verschiedenen Orten Gelegenheit gegeben, durch sein häufigeres Dasein bedeutsame Eisenwerke hervorzurufen, die dieses phosphorsaure Eisen, welches seiner Brüchigkeit wegen nicht zu Schmiedearbeiten taugt, zu den niedlichsten Sachen verarbeiten und dort eine künstlerische Thätigkeit erzeugen, wo vorher nur Schmutz und Elend war. In diesem Lichte angeschaut, wird uns das Haidekraut sofort zu einem Wohlthäter der Menschheit, und man kann nicht genug darauf hinweisen, bei aller Naturbetrachtung immer auch den Menschen auf die Dinge zurück zu beziehen, um sich auf diese Weise ganz in der Natur finden zu lernen. Bedenken wir überdies, daß das Haidekraut selbst den kalten Norden, Island, Skandinavien, Rußland, Sibirien u. s. w. auf ähnliche Weise colonisirt, dann gewinnt diese Pflanze bei den verschiedensten Völkern die höchste Aufmerksamkeit. Im unscheinbarsten Gewande wird sie ein Segen der Natur.

 

§. 4. Die Moosdecke.

Der hohe Norden erinnert uns zugleich an eine vierte große Gemeinde des Pflanzenstaates, an die Moosdecke. Sie ist, wie die Wiesen, das schöne Merkmal der gemäßigteren und kälteren Zonen. Daß sie in Bezug auf Quellenbildung dieselbe Bedeutung hat wie die Grasdecke, haben wir bereits bei den Wäldern gesehen. Sie übt aber ebenso wie der Wald und die Grasdecke die hohe Bestimmung aus, der schützende Heerd für eine Menge von Gewächsen zu sein, denen sie Obdach und Feuchtigkeit verleiht. Im Walde vollführen sie diese Wirkung im Vereine mit den beschattenden Bäumen; außerhalb der Wälder üben sie dieselbe selbständig im großartigsten Maßstabe. So auf feuchten Niederungen, Haiden und Mooren. Hier spielen die Torfmoose die größte Rolle, und in der That ist keine andere Moosfamilie wie sie befähigt, in diesen sumpfigen Gegenden das natürliche Bett von Tausenden höherer Pflanzen zu sein. Das geht so zu. Die Torfmoose ( Sphagnum) besitzen unter allen Laubmoosen und in allen ihren Theilen die weitesten Zellenräume. Jeder von ihnen ist ein Behälter für sich und fähig, eine bestimmte Menge von Feuchtigkeit in sich aufzunehmen und zu beherbergen. Mit erstaunlicher Leichtigkeit geht dies vor sich; denn jede Zelle ist mit einem Loche (Pore) versehen, durch welches das Wasser sofort eindringt. Wenn demnach eine einzige Pflanze dieser Torfmoose aus Tausenden von durchlöcherten Zellen besteht, so kann man leicht begreifen, welche Massen von Wasser ein ganzes Polster von ihnen fassen kann. Sie sind als die natürlichsten Wasserbehälter zu betrachten und dadurch für das Fortbestehen von Sumpfpflanzen von höchster Wichtigkeit. Dieselben siedeln sich oft mitten in ihren Polstern an und finden hier die geeignetste Stätte zu ihrem Gedeihen. Von Jahr zu Jahr sterben die Torfmoose an ihren untersten Theilen ab und bilden damit eine torfartige Schicht, welche in den betreffenden Ländern, so in Norddeutschland, als Moostorf bekannt ist und ein vorzügliches Brennmaterial bildet, wo es sich um ein rasches Einheizen handelt. Wir werden später bei der Colonisation der Erde durch die Pflanzen sehen, welche Rolle die Torfmoose dabei spielten.

In unserer Zone erscheinen sie gern da, wo ein klareres Wasser vorhanden ist. Wo sich aber eine schlammige Torfunterlage zeigt, treten gern die Widerthonmoose ( Polytrichum) auf. Gleich den zwergigen Gestalten keimender Tannen stehen sie hier und senden aus den Gipfeln ihrer dunkelgrünen, oft rostbraun gefärbten Stengel auf goldigen Stielchen ihre urnenförmigen, mit goldfarbigen Mützen bedeckten Früchte empor. So z. B. der »zierliche Widerthon« ( P. gracile). Er überzieht nicht selten meilenweite Strecken mit einer dichten Decke, ohne jedoch, wie die Torfmoose, der Heerd eines großen Formenreichthums zu sein. Ganz besonders bemerkenswerth finden sich diese Verhältnisse im hohen Norden, in Sibirien, ausgeprägt. In der großen Polarebene bilden Torfmoose und Widerthonmoose die sogenannten Tundren, und zwar da, wo durch das Schmelzen des Eises Flüssigkeit genug vorhanden ist, sie zu ernähren. Je trockner aber der Erdboden, um so mehr verschwindet die Moosdecke und der Charakter der Tundra, während jetzt die Renthierflechte auftritt. Ohne diese Moose würde die Polarebene eine weite Wüste sein; durch sie erhält sie jedoch stellenweise ihre Oasen, die mit Heidelbeersträuchern und andern Gewächsen eine zwar dürftige, aber keineswegs häßliche Ebene erzeugen.

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Torfmoose ( Sphagnum). – 1. Sphagnum cymbifolium. 2. Sph. acutifolium. 3. Sph. molluscum.

 

§. 5. Die Meer- und Seeschaft.

Noch ausschließlicher als diese Moose flüchtet sich eine andere Pflanzenfamilie in das Wasser, um hier gesellschaftlich vereint eine ähnliche Bestimmung wie die vier vorigen Pflanzengemeinden zu übernehmen. Ich meine die Algen. Sie eröffnen die große Reihe der Pflanzenfamilien als die erste und am einfachsten gebildete. Bald in Gestalt gegliederter und aufs Mannigfaltigste verzweigter Röhrchen, durch deren Tracht sie der Flachsfaser ähneln, weshalb sie bezeichnend Wasserflachs genannt werden, bald in Gestalt laubartiger Gebilde von wunderbarem Formenwechsel und erstaunlicher Farbenpracht, colonisiren sie, wie die vorigen Pflanzengemeinden die Erde, die Gewässer. Diese Bestimmung ist so bedeutsam, daß sie uns durchaus zu einer tieferen Betrachtung auffordert.

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Der rothe Schnee als Vertreter der Urkügelchen

Die Pflanzenwelt der Erde gleicht dem Baume. Mit seinem Gipfel strebt er zur Höhe, mit seinen Wurzeln zur Tiefe. So auch jene. So weit es Luftdruck und Wärme gestatten, bevölkern wenigstens noch die einfachsten Pflanzen, Flechten und Moose, die Gipfel der Berge, um die höchsten dem ewigen Eise allein zu überlassen. So weit es Luftdruck, Wärme und Licht gestatten, steigen noch einfacher gebildete Pflanzen, die zelligen Algen, zu einer Meerestiefe hinunter, die, wenn sie auch nicht die Höhenverbreitung auf der Erdoberfläche erreicht, dennoch aus andern Gründen eine bewundernswürdige ist. Zehn Fuß unter der Spitze der Jungfrau, in einer Höhe von 12,818 Fuß, erscheinen, wenn auch äußerst verkümmert, noch einige Flechten, am Montblanc sogar noch bei einer Höhe von 14,780 Fuß. Ja, nahe dem Gipfel des Chimborazo beobachtete Humboldt noch in einer Höhe von 18,096 Pariser Fuß den letzten Bürger des Gewächsreichs in der Landkartenflechte ( Lecidea geographica) Das sind die Gewächse, welche den höchsten Grad des verminderten Luftdrucks auszuhalten fähig sind. Die Tiefe der Binnengewässer und des Meeres zeigt die entgegengesetzte Erscheinung. Wie jene von der Ebene nach oben emporsteigen, so streben hier die einfachsten Gebilde des Pflanzenreichs von der Meeresebene bis auf 12,000 Fuß hinab, um daselbst einen Luftdruck von 375 Atmosphären auszuhalten. Einfache Stäbchenpflanzen, nur aus einer einzigen Zelle gebildet, sogenannte Diatomeen oder Bacillarien, d. i. Stäbchenpflanzen, mit einer Kieselhaut, oder zarte Conferven, deren ganzer Bau nur aus einer Reihe von an einander geketteten Zellengliedern besteht, solche Pflanzen sind es, welche, oft filzartig, Den Meeresboden mit einer zarten Decke überziehen. Doch einerlei, ob hier Algen, dort Flechten die letzten Bürger des Gewächsreichs sind, berühren sich die beiden Gegensätze doch darin, daß in beiden Familien der einfachste Zellenbau auftritt, um so mehr, als jene Flechten der höchsten Höhen, verkümmert, wie sie stets beobachtet wurden, fast wie die Algen in einzelne Zellen aufgelöst sind. Der Denkende gewahrt auf den ersten Blick, daß erst in diesen beiden Gegensätzen der Höhen und Tiefen die beiden senkrechten Pole der Pflanzenwelt auftreten, daß einer der natürliche Gegensatz des andern, folglich die Meerestiefe gleichsam die umgekehrte Welt der Erdoberfläche ist, und daß es darum kaum einer Rechtfertigung bedurfte, wie wir diese Tiefe mit ihren Bergen und Thälern, mit ihrer Pflanzen- und Thierwelt als »Seeschaft« im Binnenlande, als »Meerschaft« im Oceane bezeichnen und so von der »Landschaft« im Oceane unterscheiden wollten.

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Lebendes Diatomeen- und Infusorienlager unter Berlin.

Betrachten wir zuerst die Seeschaft. Sie ist in jedem Sumpfe, jedem Teiche, jedem Graben, See u. s. w. im Binnenlande vorhanden. Gerade da, wo die Gewässer sich stauen und im Sommer scheinbar mit Schmutz pfützenartig auf ihrer Oberfläche sowohl wie auf dem Boden bedecken, da sind jene einzelligen Gewächse, die wir als Urpflanzen von den Algen trennen wollen, und jene Algen in erstaunlichem Formenwechsel vertreten. Die ersteren erscheinen in drei größeren Sippen, als Urkügelchen oder Protococcaceen, als Desmidiaceen oder Weichstäbchen, als Diatomeen (Bacillarien) oder Kieselstäbchen. Die ersteren sind weiche runde, die zweiten weiche prismatische (eckige), die dritten starre prismatische Zellen. Ihre Kleinheit ist so groß, daß sie nur durch das Mikroskop deutlich unterschieden werden können. Man gewinnt eine Vorstellung von ihnen, wenn man weiß, daß oft 10,000 solcher Pflanzen an einander gereiht werden müßten, wenn sie die Länge eines Zolles bilden sollen. Bald sind diese Urpflanzen einfache runde Kügelchen, bald Stäbchen, hier bilden sie vereint die niedlichsten Platten, Ordenskreuze, Bänder, dort Halbmonde, Kreise, Geigen u. s. w.

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Nr. 1 – 35. Formen der Desmidiaceen.

Weder Stamm noch Blatt, weder Blüthe noch Frucht ist an ihnen zu bemerken, eine einfache Zelle ist das Alles zusammen. Sie pflanzt sich durch Theilung in zwei Hälften oder durch winzige Körnchen in ihrem Inneren fort. Wie können diese winzigen Gebilde eine Bedeutung in der Natur besitzen? Nicht zu rasch mit deinem Urtheil! Gerade in dem Kleinsten zeigt sich die Natur am größten. So winzig auch die Urpflanzen an sich sind, so groß wird ihre Macht durch ihre Geselligkeit. Wie oft auch 10,000 auf einen Zoll, 140 Billionen auf 2 Kubikfuß, 1,111,500,000 auf 1 Gramm gehen, mithin ein einziges dieser Pflänzchen den millionsten Theil eines Milligrammes oder des tausendsten Theiles eines Grammes (der 467,1101ste Theil eines preußischen Pfundes) beträgt, so bilden sie dennoch nicht selten Lager in einer Mächtigkeit von 20 Fuß in Nordamerika, von 40 Fuß in der Lüneburger Haide. Ja dieses Lager wird von einem andern, auf welches Berlin gebaut ist (s. Abbild. S. 30), dreifach übertroffen. Was dasselbe zu bedeuten habe, erfuhr man hier gelegentlich bei Anlegung einer neuen Häuserreihe; denn wo diese winzigen Gebilde lagerten, war aller Untergrund widerstandslos, und der Füllmund würde genau bis zur Grenze des Lagers haben reichen müssen, um für immer gesichert zu sein. Andere Gebäude hatten es bereits nur zu sehr durch ihr Sinken bestätigt. Mit diesem einen Beispiele gewinnen wir sofort eine ganz andere Vorstellung von der Macht des vereinten Kleinen. Werden wir hier nicht lebendig an die Riesenbauten erinnert, welche nicht minder winzige Geschöpfe, die Polypen, mitten aus dem Ocean hervor aufthürmen, um damit ganze Inselgruppen, neue Wohnungen für den Menschen zu bilden? In der That haben diese Urpflanzen stellenweise ebenso zu der Erhöhung der Erdoberfläche beigetragen, wie die Polypen durch ihre Bauten die Fläche des Oceans vermindert haben. Eine so massenhafte Anhäufung der winzigsten Pflanzengestalten würde uns völlig unverständlich sein, wenn sie nicht aus der unglaublichen Schnelligkeit ihrer Fortpflanzung zu erklären wäre. Das Wunder verschwindet auch in der That sofort, wenn man weiß, daß sich diese einfachen Zellenpflanzen in steigenden Progressionen vermehren. Die erste Zelle theilt sich in zwei Zellen. Jede von ihnen wiederholt dasselbe, und wir haben schon 4. Diese theilen sich bald in 8, diese in 16, 32, 64, 128, 256, 512, 1024, 2048, 4096, 8192 u. s. w. Diese Vermehrung ist aber eine so reißend schnelle, daß sich innerhalb 24 Stunden eine einzige Zellenpflanze nach Ehrenberg's Berechnungen zu einer Million, in 4 Tagen zu 140 Billionen unter den günstigsten Umständen vervielfacht, mithin 2 Kubikfuß Masse gebildet haben kann. Diese bleibt wegen der kieselhaltigen Beschaffenheit der Zellen auch nach dem Absterben der Pflänzchen unverändert und erscheint nun als eine mehlartige Erde, die man z. B. bei Bilin in Böhmen schon seit langer Zeit als Polirerde in der Glasschleiferei benutzt. Dies gilt jedoch nur von den kieselschaligen Urpflanzen oder den Diatomeen. Dagegen theilen dieselben mit Urkügelchen und Weichstäbchen die Bestimmung, den einfachsten Thieren (die auf ihrer Stufe für das Thierreich dasselbe sind, was jene für die Pflanzenwelt) zur Nahrung zu dienen. Dadurch leiten sie eine ganze große Reihe der Colonisation der Gewässer ein; denn immer dient das Niedere einer höheren Geschöpfreihe als Nahrung, bis die vollendetsten Formen, scheinbar unabhängig von dem Einfachsten, an der Spitze des Ganzen erscheinen. So die Urpflanzen.

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Meerschaft aus der Nordsee.
(Originalzeichnung von L. Hofmann.)

Auch die Algen üben eine ähnliche Wirkung in der Seeschaft aus oder übertreffen die der Urpflanzen noch um ein Bedeutendes. Sie bestehen fast

insgesammt aus gegliederten und mannigfach verzweigten Röhren und erscheinen, wie bereits angedeutet, in Gestalt des spinnbaren Flachses. So durchziehen Conferven, Zygnemen, Vaucherien, Charen oder Armleuchter (s. Abbild. S. 34) u. a. Typen der Süßwasseralgen oft in der Form des dichtesten Filzes oder Froschlaichalgen in Form einer grünen Gallerte ihre Gewässer. Als solche dienen sie wie Moose, Gräser und Haidegewächse durch ihre Geselligkeit zum Schutze anderer Wasserpflanzen und bilden auch zugleich den Heerd für ein reiches Thierleben. Nach einer andern Seite hin tragen sie aber auch, wie die Bacillarien, zur Erhöhung der Erdoberfläche bei. Indem sie nämlich, wie alle Pflanzen, befähigt sind, die im Wasser vorhandenen organischen und anorganischen Bestandtheile für ihre Ernährung an sich zu ziehen, zersetzen sie die Salze des Wassers. So zersetzen z. B. die Armleuchter die schwefelsauren Salze und scheiden daraus den Schwefel als Schwefelwasserstoff ab. Dadurch bilden stehende Sümpfe nicht selten sogenannte Schwefelquellen. Räumt man die Sümpfe aus, so ist die schwefelwasserstoffhaltige, jauchenartig duftende Flüssigkeit verschwunden und die Quelle mithin vertilgt. Es hat Badeanstalten gegeben, die, auf das Dasein solcher Gewässer gegründet, sofort ihre Quelle verloren, als Unkunde die benachbarten Sümpfe gereinigt hatte.

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Die Froschlaichalge ( Batrachospermum moniliforme);
a. in natürlicher Gestalt,
b. schwach und
c. stark vergrößert,
d. Fruchthäufchen.

An andern Orten scheiden die Wassergewächse, namentlich die Algen, kohlensauren Kalk ab. So z. B. in auffallender Weise in den Soolgräben von Naubeim, wie wir durch N. Ludwig und G. Theobald belehrt werden. Die Pflanzen, welche in der Soole wachsen, entziehen dem doppeltkohlensauren Kalk ein Atom Kohlensäure, wodurch derselbe als in Wasser unlöslicher kohlensaurer Kalk, als Kreide niederfällt. Ebenso verwandeln sie das Chlormagnesium in kohlensaure Magnesia, welche sich an einzelnen Stellen mit dem Kalk als Dolomit niederschlägt. In der Nähe von Kloppenheim in der Wetterau fand Ludwig am Hausberge zwischen Münster und Espa ein Lager kohlensauren Kalkes von 10 Fuß Mächtigkeit auf diese Weise erzeugt. Das läßt uns sofort einen Blick in die Geschichte unserer Kalk-, Kreide- und Dolomitgebirge thun. Das läßt uns schließen, daß an ihrer Entstehung gebrechliche und leicht vergängliche Pflanzen wahrscheinlich ebenso Antheil hatten, wie jene Thiere, welche z. B. den Kalk aus dem Wasser zum Bau ihrer Hüllen verwendeten. Es ist einer der schönsten Genüsse des Naturfreundes, zu beobachten, wie auch in der Natur der Schwache, der Zerbrechliche Unvergängliches zu schaffen vermag und hiermit selbst dem Menschen zum Vorbilde werden kann. Uebrigens dürfen wir nicht unerwähnt lassen, wie die Seeschaft wesentlich auch von andern Pflanzen, den schwimmenden Wassergewächsen, bestimmt wird, bis sie in den herrlichen Nymphäaceen, den Wasserlilien, ihre höchste Pracht erreicht.

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Armleuchter oder Chara ( fragilis).

Nicht selten treten Algen und andere Wassergewächse in so unglaublicher Menge auf, daß sie einen sehr hemmenden Einfluß auf die Völkerwirthschaft auszuüben im Stande sind. Nach Göppert's Mittheilungen erlebte die Stadt Schweidnitz in Schlesien vor einigen Jahren eine solche Calamität durch den milchfarbigen Wasserflachs ( Leptomitus lacteus). Nach seiner Erzählung befindet sich in Polnisch-Weistritz, ½ Meile oberhalb Schweidnitz, eine Fabrik, welche aus Rübenmelasse Spiritus brennt und die Schlempe in den vorbeifließenden, in die Weistritz mündenden Mühlgraben laufen ließ. Seit dieser Zeit, sagt der Beobachter, wurden im Wasser dieses Baches weiße Flocken in solcher Menge bemerkt, daß sie die Röhren der Wasserkunst verstopften. Das Wasser ging durch sie in kürzester Zeit unter höchst ekelhaftem Geruch in Fäulniß über und wurde dadurch zum Kochen und Waschen untauglich. Diese organische Masse gab die Veranlassung, das Wachsthum jener Wasserpflanze in so unerhörter Weise zu begünstigen, daß sie den 6–8 Fuß breiten Mühlgraben am Boden vollständig mit einer weißen, fluthenden, lappigen Masse gleichsam so austapezirte, daß es aussah, als ob Schafvließe am Boden befestigt seien. Das Pflänzchen, dessen ganze Gestalt nur ans zarten, röhrigen, farblosen Fäden besteht, bedeckte nicht weniger als einen Flächenraum von 10,000 Quadratfuß und wurde umso störender, als selbst zur Winterszeit seine Entwickelung fortfuhr. Der aufmerksame Beobachter wird ähnliche Erscheinungen in heißen Sommern auf stehenden Gewässern nicht selten bemerkt haben. Gewöhnlich bestehen diese schwimmenden Pflanzenfluren aus Conferven (Wasserflachs), Samkräutern (Potamogetonen), Tausendblatt-Arten ( Myriophyllum), Wassersternen ( Callitriche) und Igellock-Arten ( Ceratophyllum). In England gesellte sich neuerdings die Anacharis Alsinastrum in einer so auffallenden Weise hinzu, daß diese Pflanze außerordentlich hemmend auf die Schiffahrt einwirkte. Sie verstopfte in dichten Ballen die Hälse der Schleußen und nöthigte die Schiffer, mehr Vorspann zu nehmen. Diese Ballen füllten die Netze der Fischer an und rissen, vom Strome oder dem Winde getrieben, die ausgehängten Angelhaken und Leinen mit sich fort. Den Ruderer hemmten sie; selbst dem Schwimmer wurden sie gefährlich, indem die mit Zähnchen versehenen Blätter sich an seinen Körper hängten und so jede Bewegung erschwerten. Wasserleitungen und Abzugsgräben wurden verstopft. So seltsam wie diese Erscheinung, war auch der Ursprung derselben. Ein einziges Exemplar, welches der botanische Garten zu Cambridge gezogen hatte, war es, das, ursprünglich aus Nordamerika stammend, sich in dieser ungeheuren Weise vermehrte und den Wasserstand des Flusses Cam bereits um etwa einen Fuß verringerte. Diese unglückliche Vermehrung würde gar nicht zu verstehen sein, wenn man nicht wüßte, daß jedes Bruchstück des Pflänzchens fähig ist, eine neue Colonie zu bilden, deren Fortpflanzung dann an die oben erwähnte der kieselschaligen Diatomeen erinnert. Das Gefährliche dieses amerikanischen Eindringlings wird jetzt um so größer, als man noch kein Mittel ausfindig gemacht hat, ihn zu vertilgen. Daß unter solchen Verhältnissen selbst das Leben der Fische außerordentlich leiden muß, liegt auf der Hand: wo solche massenhafte Anhäufungen von Wasserpflanzen die Oberfläche des Wassers bedecken, verhindern sie den Zutritt der atmosphärischen Luft zu der Tiefe der Gewässer. Damit ist den thierischen Wasserbewohnern der Sauerstoff der Luft abgeschnitten, sie vermögen nicht mehr zu athmen; erstickt schwimmen sie auf der Oberfläche der Gewässer und erfüllen die Luft durch ihre Fäulniß mit pestilenzialischen Gerüchen, die fiebererzeugend nun selbst das Leben der Menschen zu gefährden vermögen. Das ist die Macht des unbeachteten vereinten Kleinen! Das ist das Gegenstück zu jenen Bauten winziger Polypen, an deren Klippen die Planken selbst der stolzesten Schiffe sich brechen!

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Die Spirogyrenform, stark vergrößert.

Noch großartiger wird die Bedeutung der Meerschaft. Sie entsteht durch jene große Algenwelt der salzigen Gewässer, welche wir im Allgemeinen die Tange nennen wollen. Durch sie hat das Meer ebenso, wie die Landschaft, seine Urwälder, Dickichte und Wildnisse, wenn wir wollen – auch seine Weiden. Mindestens würde uns nichts daran hindern, jene ausgebreiteten Matten des wohlbekannten Seegrases ( Zostera), einer der wenigen Geschlechtspflanzen, welche den Ocean bewohnen, als solche zu bezeichnen. Ohne die Tange würde das Meer einer leblosen Wüste gleichen; keines jener Thiere, welche gegenwärtig dem Seefahrer auf seinen langwierigen Wanderungen die Zeit wohlthuend verkürzen, würde in ihm sein Dasein fristen können, denn ohne die Pflanzenwelt würde ihm ja die große Mittlerin fehlen, welche aus dem anorganischen starren Reiche einen lebendigen Organismus, befähigt, das Thier zu ernähren, schafft. Hieraus erst ist uns verständlich, wenn uns Burmeister in seinen Fahrten durch den Ocean belehrt, daß die Tange, die Gebiete der Fucus- oder Varegh-Pflanzen, ein reiches Feld für zoologische Forschungen darbieten und zahllose Thiere von großer Mannigfaltigkeit in seinem Innern beherbergen. Auch hier wie im Sumpfe: das Niedere muß einem Höheren dienen, bis der Beherrscher des Meeres, der riesige Wal, seine Stätte bereitet findet. Vergebens wäre es, eine ausreichende Schilderung dieser Meerschaft zu geben; denn die Mannigfaltigkeit ihrer Formen ist kaum geringer als die der Landschaft. Die Sprache ist zu arm, diesen Reichthum nach allen Seiten hin plastisch auszudrücken. Hier noch an Pfahl und Fels das Gebiet unscheinbarer Conferven und Spirogyren, dort bereits das der wunderbarsten Tangarten. Da breitet der »Meersalat« ( Ulva lactuca) sein breites, krauses, grünes oder violettes ( Porphyra) Laub aus; da fluthen die Zweiggeflechte der Plocamien und Ceramien in prächtigen carminfarbigen Polstern; da strebt aus der Tiefe empor der tauartige Strunk der Laminarie, der sich mit schildartig ausgebreiteter Wurzel an den unterseeischen Felsen klammert, seinen fächerartigen, olivengrünen Laubschopf zum Lichte hebt; da siedelt sich an seinem Stamme, wie Flechten und Moose im Walde pflegen, das zungenförmige Laub der Delesserien in den herrlichsten Carmintinten an; da fluthen als lange Bänder in glühendem Purpur die gallertartig dicken Iridäen dazwischen; da strebt in der Gestalt eines schwertförmigen Bandes von bedeutender Breite und Länge der Zuckertang (Laminaria saccharina) aus großer Tiefe empor – kurz es wiederholt sich schon an den Küsten unserer Zone, z. B. Helgolands, das ganze Bild des Urwaldes. In südlicheren Meeren erscheinen die riesigen Gestalten der Lessonien und Macrocysten. Von letzteren erreicht z. B. Macrocystis pyrifera im antarctischen Meere die Länge von mehren Hundert Fuß und übertrifft hiermit die größten Riesenbäume der Erdoberfläche; denn man hat sie bis 338 Pariser Fuß lang gefunden. Wie ungeheuer würde diese Pflanze sein, wenn sie statt eines bandartigen Laubes den Umfang und die senkrechte Richtung unserer Bäume besäße! Eine der wunderbarsten Erscheinungen der Meerschaft sind die berühmten Tangfluren oder die Krautsee des atlantischen Oceans. Man kennt sie besser unter dem Namen der Fucus-Bänke. Es gibt ihrer drei: das sogenannte Sargassum-Meer (Mar de Sargasso) zwischen 19° und 34° n. Br., eine kleinere Bank zwischen den Bahamainseln und Bermuda und eine im stillen Ocean an der Küste von Californien. Sie besitzen eine Flächenausdehnung, welche die von Frankreich sieben Mal übertrifft, und sind über und über mit schwimmenden Tangen, dem Beerentang (Sargassum bacciferum) bedeckt. Die große Fucus-Bank, an welcher jeder Seefahrer, der von Europa aus nach Amerika segelt, vorüberzieht, liegt zwischen den Azoren, den canarischen und capverdischen Inseln. Sie war bereits den alten Seefahrern wohl bekannt, und schon die Phönizier sprechen von einer gallertartigen See jenseits der Säulen des Hercules (Meerenge von Gibraltar), in welcher die Schiffe stecken blieben. Auch Columbus bereitete diese Tangflur große Schwierigkeiten; denn da diese Gewächse den Lauf des Schiffes wesentlich hemmen können, und dies auch mit seinen Schiffen geschah, so glaubte die Mannschaft sich bei weiterem Vordringen verloren und verlangte die Rückfahrt. Dem Auge erscheint diese Bank in der That von Weitem fest genug, um darauf gehen zu können. Der geniale Begründer einer physischen Geographie des Meeres, der Amerikaner Maury, hat uns den Grund des beständigen Daseins dieser Tangflur überzeugend dargestellt. »Wenn man«, sagt er sehr richtig, »Korkstückchen, Spreu oder irgend eine andere schwimmende Substanz in ein Wasserbecken wirft und das Wasser in eine rotirende Bewegung setzt, so werden diese leichten Körper sich in der Nähe des Mittelpunktes ansammeln, weil in der Mitte des Beckens das Wasser am ruhigsten sein wird.« So ist es auch mit dem atlantischen Ocean. Er ist ein Becken im großartigsten Maßstabe. Seine Gewässer werden theils von dem colossalen Golfstrome, der sich von Westindien bis zum nördlichen Eismeere hinzieht, theils von dem Aequatorialstrome, welcher von Amerika quer durch den atlantischen Ocean bis nach Afrika hinüber geht, in Bewegung gesetzt, und der ruhige Mittelpunkt ist genau diejenige Stelle, wo sich die Fucus-Bank befindet. Deshalb ist es also nicht nöthig, daß diese Tange dort wachsen, wo sie gefunden werden; vielmehr ist es wahrscheinlich, daß sie von den bewegten Küsten nach der ruhigen Achse des atlantischen Beckens hingetrieben werden.

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Die Ceramienform, stark vergrößert.

Nicht minder interessant wie diese merkwürdige Erscheinung, welche seit den frühesten Zeiten einen großen Einfluß auf die Anschauungen und Wege der Schiffahrer ausübte, ist in der Meerschaft das Vorkommen sogenannter Kalkalgen. Es sind Algen, welche sich äußerlich mit einer Kalkkruste umgeben haben. Ihre Zahl ist nicht gering. Diese Erscheinung scheint mir mit der oben erwähnten Thatsache übereinzustimmen, daß die Süßwassergewächse fähig sind, Kalk und Magnesia aus dem Wasser abzuscheiden. Wahrscheinlich scheiden

auch diese Gewächse aus dem sauren, kohlensauren Kalke, der in dem Salzwasser enthalten ist, ein Atom Kohlensäure aus, um sich ihren Kohlenstoff zur Ernährung anzueignen; dagegen wird der abgeschiedene unlösliche Kalk von der gallertartigen Oberfläche der Pflanze festgehalten und so zu einer derben Kruste. Hiermit würden die Pflanzen des Meerwassers genau Das verrichten, was die der Soolwasser des Binnenlandes oben thaten. Auch sie würden zur Bildung von kreideartigen Ablagerungen auf dem Meeresboden beitragen und diesen, gleichviel wie wenig oder wie viel, allmälig erhöhen.

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Die Napfalge des Mittelmeeres ( Acetabularia mediterranea), eine Kalkalge.

 

§. 6. Die Krautflur.

Eine fünfte Pflanzengemeinde können wir als sogenannte Krautflur unterscheiden. In diesem Falle überziehen gesellig lebende Staudengewächse oder andere krautartige Pflanzen die Fluren in ausgedehnterer Weise, als dies sonst geschieht. Unter andern ist das den Distelgewächsen eigen; denn da, wo nicht die sorgende Hand des Menschen ihrer Vermehrung steuert, breiten sie sich in erstaunlicher Ueppigkeit, Alles verdrängend, aus. Seitdem die Ufer des Jordans nicht mehr von der sorgsamen Cultur der ehemaligen jüdischen Bevölkerung berührt werden, die Dattelpalme nicht mehr ihr Haupt wie damals erhebt, hat sich eine ungeheure Schilf- und Distelwildniß daselbst erzeugt, welche das furchtbare Wahrzeichen eines verkommenen Landes ist, das man einst das gelobte nannte. In einem andern Erdtheile werden noch weit schrecklichere Wildnisse von der Kardendistel ( Cynara cardunculus) gebildet, namentlich in dem südlichen Theile Amerikas, in den Pampas der Laplatastaaten. In Banda Oriental bedeckt sie nach Darwin mehre Hundert Quadratmeilen der Art, daß ihr stachliges Gebüsch eine Wildniß bildet, welche für Thiere und Menschen gleich unzugänglich ist. Auf den wellenförmigen Ebenen, wo sie in so großer Menge vorkommt, sagt unser Gewährsmann, kann nichts neben ihr leben. Ihr zur Seite geht die verwandte buntblättrige Riesendistel der Pampas. Sie erreicht nicht selten eine Höhe, welche das Pferd bis an den Rücken verdeckt. In ihrer schönsten Entfaltung erscheint sie in Gruppen von dem glänzendsten Grün und gleicht dann im Kleinen einem ununterbrochenen Walde. Einige labyrinthische Pfade ausgenommen, sind dann diese Fluren ebenso undurchdringlich wie die der Kardendistel, nur von räuberischem Gesindel bewohnt. Auf dem europäischen Festlande wiederholen sich diese Distelfluren im großen Maßstabe in Griechenland. Nach Landerer bedecken die Disteln, mit Nesseln vereint, vom März bis October alle Felder, und zwar in einer Häufigkeit, daß der Genannte Griechenland satyrisch das Land der Disteln und Brennnesseln nennt. Solche Pflanzengemeinden sind natürlich nicht mit den wohlthätig wirkenden der vorher betrachteten zu vergleichen. Während diese ihre Geselligkeit nur dazu benutzen, auch andern Gewächsen und einer reichen Thierwelt Obdach und Nahrung zu gewähren, schließen jene in furchtbarer Selbstsucht alles Andere aus; sie sind gleichsam die unduldsamen, welche eine Bedeutung allein in der Physiognomie der Landschaft besitzen. Nur der civilisirende Mensch würde sie durch seinen Pflug klug benutzen und selbst aus ihnen noch bedeutsame Mitarbeiter an der Colonisation der Erdkrume machen. Er würde sie als düngfähige Macht betrachten; aber er würde auch zu gleicher Zeit in ihnen die Zähigkeit kennen lernen, welche derartiges Gestrüppe nur zu sehr besitzt. Denn wir werden durch die Disteln lebhaft an die Alles verdrängende Wucherblume ( Chrysanthemum segetum) unserer eigenen Heimat erinnert, eine Pflanze, die in ihrem Namen sehr bezeichnend den ganzen Charakter dieser Unkräuter ausdrückt.

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Austritt aus dem Urwalde (Nach Martius.)

Auf einem andern Gebiete kann jedoch die Geselligkeit der krautartigen Gewächse die höchste Wohlthat für den Menschen werden. So durch unsere Culturgewächse. Auch sie bilden ja zusammenhängende Gemeinden, wie unsere Saat-, Klee-, Kartoffelfelder u. s. w. bestätigen. Da dieselben immerhin von größtem Einflusse auf das Landschaftsbild der Erde sind, muß auch sie eine wissenschaftliche Betrachtung der Pflanzendecke berücksichtigen, obwohl sie nur künstliche Gemeinden sind. Ihre Bedeutung liegt jedoch nicht im Gebiete der reinen Wissenschaft, sondern der Cultur.


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