Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

 

Paris. Es ist noch wie vor 20 Jahren: der Vogelhändler am Kai, der Fischhändler, der Buchhändler. Die weiträumigen Plätze, durchwogten Straßen, wohlgegliederten Architekturen, der pochende Organismus der Stadt.

Und doch anders: in Notre Dame ist eine Tafel angebracht »Zu Gottes Ruhm und zum Andenken der Million Toter des britischen Reiches, die im großen Kriege 1914–18 gefallen sind und die zum größten Teile in Frankreich ruhen.« Und unter dem Triumphbogen liegt der »Unbekannte Tote«.

 

– Die Spanier hatten Altäre gebaut und sie beklebt mit religiösen Zeichen, die Franzosen bekleben ihre Fassaden mit Wappen und Trikoloren. »Ehre und Ruhm« steht allenthalben. –

 

Ein grauer Tag. Wunderbare bleigraue Stunden.

Der Louvre.

Blick durch hohe, weite Fenster aus Gärten, Anlagen, Straßen, Bauten, Triumphbogen.

Im Café du dôme, schmutzig, eng, vollgepfercht, wie einst im alten »Café des Westens« oder im »Stefanie«. Kunstschüler, Russen, Skandinavier. Harmlos heitere, unbefangene Mädchen. Akademiker, Genies, ernste »Kulturträger«. Alle Rassen und alle Sprachen. Gegenüber in der Rotonde dieselbe Atmosphäre. An den Wänden Ausstellungsplakate. Bilder. Junge Künstler. Japaner, Griechen. Mädchen, mit billigen Fetzen graziös bekleidet. Intellektuelle, Studentinnen, Russinnen.

(Die Deutschen sind doch unverbesserliche Romantiker, aus dieser Kneipe machen sie wieder ein Heiligtum, ein Orplid.)

Durch verlassene, dunkle Straßen ging ich die halbe Nacht. Dann durch tollwütigen Lichterglanz.

Bild: Gustav Wolf

Burro! burro!

 

 

Ein Tag violetten Himmels. Grauviolette Architekturen gegen den lichtdunstigen, dunklen Himmel. Schwärzliche Bauten mit weißen Flecken und Streifen. Weite Plätze voll strömenden Lebens. Straßen wie Arterien voll kreisenden Blutes.

Folie Bergère: Überwucherung der Welt mit Menschenfleisch. Tausend Kokotten. Menschenleiber in grellem Scheinwerferlicht. Hängende, schwebende, fallende, fliegende Menschenleiber. Üppig wuchernder Reichtum der Phantasie um den Leib des Weibes.

Üppige Restaurants: Frauenleiber mit Perlen und Diamanten überhängt. Schultern, Arme, Beine. Seide, Samt, Brokat. Parfüms, elegante Bewegungen. Schwüle Atmosphäre unverhüllter Erotik.

Ströme von Menschen in der Nacht.

Für das der eine lebt und stirbt, das weiß und schätzt der neben ihm schon nicht mehr. Sie leben alle nebeneinander und wissen nichts von sich. Sie bekämpfen sich und wehren sich ihrer Art. Sollten nicht doch verschiedene Götter sein? Oder schimmert der eine wie die changeant beleuchteten Menschenleiber im Folie Bergère?

Ist das tragisch, lächerlich oder gar langweilig? –

In einer Galerie: fette Kunsthändler hinter dicken Brillen. Intellektuelle mit ihren Weibern, schmutzige Maler mit schmierigem Filzhut, dickem Halstuch, ausgehöhlt. Elegants.

Bild: Gustav Wolf

Ein Eselsfuhrwerk kommt vom Lande herein

 

 

Straßenströme von Autos, von Menschen.

Ein Hüne von Beduine wandelt über den Boulevard. In riesigem Turban. Und in scharlachrotem Mantel. Ist es ein Fürst oder der Angestellte eines Tingeltangels?

Tausend Läden voll schönen Trödels sind in dieser Stadt. In allen sitzen und stehen Sammler, Händler. Sie schauen durch Brillen und Lupen die Dinge an und fingern daran herum.

Objets d'art. Parfumerie, Coiffeur, Chemisetteur, Tailleur.

Im Crédit Lyonnais: vier Stockwerke untereinander stehen, wie Straßenzüge aneinandergereiht, die Tresore. Die Panzer aus Stahl und Eisen. Ein Stadtviertel unterirdischer Kammern.

Beim Abendessen im Hotel: eine Inderfamilie, Hindus. Die Frau unter rotem Tuch mit Goldlitze. Wunderbar zart und schön. Ein kleines Mädchen mit tiefschwarzem Scheitel, großen Augen und ebenmäßigen Zügen. Zart wie eine Blüte. Wie aus einer indischen Miniatur.

Gott ist in diesen Menschen offenbar, beglückend offenbar.

Bild: Gustav Wolf

Tafel XVI Hendaye, das französische Grenzstädtchen

 

 

Nachts im Auto durch Paris. Verschlossene Stadt. Entleerte Straßen. Dann durch schönes Land in zarten Schleiern. Gegen Epernay zu zerstörte Gebiete, Häuser und Dörfer. In lebendiger Landschaft blinde Häuser mit leeren Augenhöhlen. Andere mit neuen Dächern.

Bild: Gustav Wolf

Die Tuillerien in Paris

 

 

Eine deutsche Zeitung neben sich liegen zu haben genügt, allein im Coupé zu bleiben.

Der Zug fegt, pfeift elegant über die Schienen. In Deutschland wird er wieder schwer rattern, massiv dröhnen, wuchten und hämmern: der Unterschied im Wesen der Völker.

Durch versteckte Forts und Festungswerke von Toul. Durch das weitgedehnte Land, über das die Grenze weggeschoben wurde.

Wie viele tausend Bahnschwellen habe ich jetzt überfahren! Wie viele Wellen auf dem Meere! An wieviel Bäumen vorbei? Wohnungen der Menschen?

 

Ich denke an ein Wogental auf dem Meere. Auch an eine einsame Gestalt vor einem Nachthimmel.


 << zurück weiter >>