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Fünftes Kapitel.
Sonntag

Am folgenden Morgen schwankte ein schwerer Lastwagen am »Weißen Hund« vorüber und der Fuhrknecht gab eine Karte von Frau Travenor ab mit ein paar höflichen, steifen Dankesworten – das war alles. Goring war sichtlich enttäuscht; er mochte eine Einladung erwartet haben. Offenbar hatte der abendliche Spaziergang keine andern Früchte getragen, als den lockenden Einblick in ein lockendes Heimwesen. Man gab sich wieder mit Eifer und Erfolg dem Fischen hin, aber gleich nach dem draußen eingenommenen Gabelfrühstück klagte Goring über Hitze und einen Anflug von Sumpffieber und zog ab. Whiting, der unter einem großen Sonnendach und mit Beistand seines sehr gewandten Dieners mit Hingebung an der Arbeit war, sah ihm erstaunt und etwas verächtlich nach.

»Sumpffieber?« brummte er. »Und diesen Appetit? Was kann er nur vorhaben?«

Kinloch sah der entschwindenden Gestalt mit schwerem Herzen nach. Er wußte ja, was der Kamerad vorhatte – Peggy begegnen! Als er aber am Abend heimkam, sagte ihm Gorings verdrießliches Gesicht zur Genüge, daß sein Umherstreifen ganz vergebens gewesen sein mußte. In der That hatte Peggy heute einem Schulfest in einem benachbarten Kirchspiel beigewohnt. Die ihm ungewohnten Schwierigkeiten der Annäherung schürten indes das Feuer ihres neuen Bewunderers und er war eifrig bemüht, den Verkehr fortzusetzen. Ein volle halbe Stunde schüttete er dem Kameraden in dessen Stube sein Herz darüber aus.

Sie war das einzige Mädchen auf der Welt für ihn! Ein schlichtes, liebes Geschöpf mit einem Blumengesicht und – dieser Wuchs! Dieses Lächeln! Das war etwas andres, als diese Gesellschaftspuppen mit den aufgeschminkten Farben, dem erstarrten Grinsen und dem widerlichen wissenden Blick. – So ging es in Unendlichkeit weiter und weiter.

Am Sonnabend war nicht viel zu machen, am Sonntag aber gab Goring die Absicht kund, dem Gottesdienst beizuwohnen, eingedenk der Mitteilung, daß Peggy Summerhayes im Chor singe. Sein Anzug kostete geraume Zeit, war aber auch »unwiderstehlich«: eine stahlblaue Halsbinde, ganz mit seinen Augen übereinstimmend, ein heller Lüsteranzug, ein Strohhut mit schwarzem Band, und kaum, daß das Geläute anfing, war er schon unterwegs, begleitet von Kinloch und Whiting, der ein pünktlicher Kirchgänger war.

Nieder-Barton hatte ein altes melodisches Glockenspiel, das immer in gleicher Weise geläutet wurde, ob's Tod oder Leben, Brand oder Kirmes galt. Vor dem Kirchthor standen die jungen Burschen im Sonntagsstaat, die einen, um beim Ausläuten hineinzugehen, die andern, um sich dann sachte ins Wirtshaus zu schlängeln. Plaudern und Lachen verstummten auf einen Augenblick, als die fremden Herren erschienen; es war eine Ausnahme, daß die Gäste des »Weißen Hunds« so vollzählig in die Kirche kamen.

Der Küster wies ihnen eine Bank der Kanzel gegenüber an. Goring sicherte sich den Außensitz zunächst dem Querschiff und sah sich dann um, als ob die Kirche besondere Sehenswürdigkeiten aufzuweisen hätte. Alte normannische Pfeiler trugen das Gewölbe, aber Kanzel, Altar und gemalte Glasfenster waren neu, viel zu neu. Gleichgültig griff er nach dem altem Gesangbuch, das vor ihm auf dem Pult lag, aber es durchrieselte ihn freudig, als er auf dem ersten Blatt »Margaret Summerhayes« las. Die Jahreszahl dabei lautete 1769 – welch merkwürdiger Zufall! Ein andres daneben enthielt auch das Summerhayessche Wappen, dabei den Namen »Margret Summerhayes« las. Die Jahreszahl dabei lautete 1769 – welch ein merkwürdiger Zufall! Ein anderes daneben enthielt auch das Sommerhayesche Wappen, dabei den Namen J. Summerhayes, Schloß Summerford – sie saßen also entschieden in der alten Kirchenbank dieser Familie. Wie hübsch wäre es gewesen, die heutige Peggy Summerhayes an seiner Seite zu haben, aber vielleicht konnte er sie an ihrem Platz vor der Orgel noch besser sehen!

Jetzt verstummten die Glocken, die Schuljugend nahm mit betäubendem Getöse ihre Plätze ein, junge Mädchen und Burschen reihten sich um die Orgel, und Goring fühlte plötzlich, daß jemand neben ihm stand. Es war Frau Travenor in schwarzer Seide mit Hut und Schleier, ein in Elfenbein gebundenes Gesangbuch, Sonnenschirm und Riechfläschchen in der Hand. Er sprang auf und trat ins Schiff, während sie an dem entgegengesetzten Ende der Kirchenbank ihren Platz einnahm.

Mittlerweile war Peggy oben angelangt; Goring fühlte es, noch ehe er sie sah. Der tief gesenkte schwarze Hut, das war sie! Jetzt hatte sie ihre stille Andacht beendigt, legte sich die Noten zurecht und sah in die Kirche hinunter mit dem ruhigen Blick, der sich unter Freunden weiß, jedes Gesicht und jeden Platz kennt.

Wie anders sie heute aussah, wie damenhaft, in Handschuhen, mit Federn auf dem Hut und hübscher Halskrause! Jetzt hatte sie ihn und die andern Herren bemerkt, und ein leises Erstaunen verriet sich in ihren Zügen, dann wandte sie den Blick ab und sah während der ganzen Predigt nicht ein einziges Mal mehr zu ihnen her. Ihre Stimme war ein hoher, heller Sopran, der wie Lerchengesang hoch über den andern hinschwebte und jubilierte, eine Stimme, wie man sie von diesem Gesichtchen erwarten mußte – jung, frisch, lieblich.

Die Liturgie war zu Ende; der Geistliche, ein behäbiger Junggeselle, bestieg die Kanzel, strich sein Manuskript glatt, warf über die Brillengläser weg einen durchdringenden Blick auf die Versammlung und nannte als Text das einzige, aber inhaltreiche Wort: »Trunkenheit«. Die Predigt war kurz, kraftvoll, packend und fesselte nicht nur die Gemeinde, sondern auch die fremden Gäste. Whiting und Hauptmann Goring fanden, daß hier eine bedeutende Rednergabe unnütz verbraucht werde, denn wer suchte in Nieder-Barton einen großen Kanzelredner? Ja, und wer hätte hier eine Schönheit gesucht?

Die ganze Kirche wies nur ernste, lauschend gespannte Gesichter auf, darunter sogar Gorings, obwohl sein Blick manchmal zu der lieblichen Mädchengestalt hinaufflog, die er innerlich in Besitz nahm. Jetzt kam der Schlußgesang, wobei die Kirchenältesten, stattliche, ehrsame Bauern, sechs alte kupferne Teller herumreichten, das Kirchenopfer zu sammeln. Goring legte, als der Teller an ihn kam, ein Goldstück darauf, etwas schuldbewußt, daß es nicht zu Ehren Gottes, sondern einzig und allein zu Ehren von Frau Travenor geschah. Kinlochs verächtlicher Blick bewies ihm, daß er durchschaut war.

Nun kam Bewegung in die Versammlung, Bücher wurden zugeklappt, Hüte und Schirme ergriffen. Nach erfüllter Pflicht schwellte die Sonntagsfreude junge Herzen. Frau Travenor hatte ihren Platz verlassen und die Schwester hatte sich an sie angeschlossen – jetzt oder nie mußte Goring sein Ziel verfolgen! Die Damen hielten sich ein wenig zurück, um nicht ins Gedränge unter dem Portal zu geraten, und jetzt redete er sie an, bemächtigte sich ihrer Gesangbücher und unterhielt sie mit eifriger Beflissenheit über das Schicksal armer Fremdlinge, die am Sonntagnachmittag auf dem Land rein nichts anzufangen wüßten, um die Zeit totzuschlagen. Allein als er sich an ihrem Gartenthor wohl oder übel verabschieden mußte, fiel auch kein Wort der Einladung zum Fünfuhrthee, keine Aufforderung, den Garten anzusehen. Ein leises Kopfnicken, und er war entlassen.


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