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Zehntes Kapitel.
Peggy im siebenten Himmel

Herrn Whitings erster Versuch mit ländlichen Freuden hatte ihm Lust gemacht, ihrer mehr zu genießen, und zu Kinlochs stillem Ergötzen bestellte er sich schon im voraus ein Fuhrwerk, um zu dem Tanzvergnügen zu gelangen.

»Und wie verhält sich's mit Eintrittskarten?« fragte er die Wirtin.

Sie kosteten nur anderthalb Schilling und dabei waren Erfrischungen, nämlich Thee, Limonade und Brezeln inbegriffen!

»Könnten Sie mir nicht auf meine Kosten etwas Nahrhafteres beschaffen, Frau Banner?«

»Gewiß, was Sie befehlen!«

»Nun, ich will die ländliche Einfachheit nicht stören und keine Stilwidrigkeiten begehen, aber ein paar große Butterkuchen, etwas Obst und belegte Brötchen würden gewiß Anklang finden.«

»Und ob! Nun, Herr Whiting, ich werde thun, was ich kann, und einen Eselskarren mieten, aber für ein regelrechtes Abendessen kann ich nicht sorgen, denn ich gehe ja auch zum Ball.«

»Wobei ich mir gleich einen Tanz ausbitte, Frau Banner! Kinloch, Sie sind doch natürlich von der Partie?«

»Ich weiß nicht ... ich glaube kaum.«

»Natürlich, als mein Gast – zu anderthalb Schilling!« rief Whiting lachend. »Sie und ich, Pollard und Goring, wir füllen gerade den Wagen! Sorgen Sie nur, daß wir früh essen können, Frau Banner, damit wir Zeit haben, uns schön zu machen.«

»Was für ein weltlicher Mann Sie sind! Selbst hier müssen Sie sich in den Strudel der Vergnügungen stürzen und mich auch noch mitreißen,« bemerkte Kinloch lächelnd.

»Wird Ihnen nur gut thun, mein Bester! Wenn Sie wieder ins Weltgetriebe zurückkehren, wird Ihnen diese Idylle wie ein Paradiesestraum erscheinen.«

Kinloch hatte seine Zweifel über diesen Punkt, behielt sie aber für sich.

Die Vorbereitungen für das Fest machten nicht viel Mühe. Blecherne Wandleuchter mit Kerzen wurden in den geschnitzten Füllungen der Wände aufgehängt, Gewinde von blühenden Dornzweigen von Wand zu Wand geschlungen, der Boden gekehrt. In der einstigen Bibliothek waren die Erfrischungen zu finden, eine lange Tafel mit Bergen von Brezeln und Apfelsinen, Theetassen, Limonade und Biergläsern, im Hintergrund Flaschen und Theekessel. Was Whiting spenden wollte, war auf einem eigenen Tisch hübsch aufgebaut.

Mit wunderbarer Pünktlichkeit stellten sich die Gäste ein, über duftende Wiesen, zwischen blühenden Hecken herbeiströmend. Hier galt es nicht für vornehm, spät zu kommen, und wer nach Londoner Mode drei Stunden versäumt hätte, würde die Fenster wohl dunkel gefunden haben, denn Landleute sind nicht für späte Stunden. Die Dorfmusikanten und der unvermeidliche »Fuchs« waren aufmarschiert und um acht Uhr war der Saal so ziemlich voll.

Da waren Herr und Frau Travenor mit Peggy, diese in einem weißen Kleid, das hoch am Hals schloß, aber die Arme vom Ellenbogen ab frei ließ, mit Handschuhen und einem Büschel roter Rosen in dem herrlichen Haar, Frau Travenor in schwarzer Seide mit echten Spitzen und einer Brosche, ihre Mißachtung dieser Gesellschaft offen zur Schau tragend. Frau Banner in einem etwas fettigen ziegelfarbigen Seidenkleid, sieghaft schön mit funkelnden Augen, Nancy, die Tochter des Schmieds, häßlich, aber lustig und tadellos gewachsen, in einem rosa Wollkreppkleid, das ihre Figur vorteilhaft zur Geltung brachte. Peggy wurde für die schönste, Nancy für die bestgekleidete erklärt.

Daneben eine Menge frischer Mädchen in weißen Kleidern mit blauen oder rosa Bändern, sonngebräunte derbe, ehrliche junge Männer und nicht wenige Witwen und alte Jungfern, die sich's gern anderthalb Schilling kosten ließen, die Jugendlust mitanzusehen und – zu bekritteln. Hans Travenor im langen weiten Sonntagsrock und weißer Halsbinde, war leutselig, fröhlich, mit sich und aller Welt gut Freund.

Und mitten in diese Versammlung hinein vier Herren in tadellosem Gesellschaftsanzug! Voran Whiting, ganz Vergnüglichkeit und Huld, hinter ihm Goring, gespannt und erwartungsvoll, Kinloch ruhig, ein wenig widerstrebend sogar, und General Pollard, der sich seit zwanzig Jahren an keinem Tanz mehr beteiligt hatte, ein Opfer der Weltlust seines Freundes.

Das befrackte Quartett schloß sich sogleich an die Familie Travenor an, und als die Musik eine Polonaise anstimmte, traten Whiting mit Frau Travenor, Peggy mit Goring, der General mit Frau Banner in die Reihen, während Kinloch sich zuschauend verhielt. Beim Walzer kam Leben in die Sache; die Paare wirbelten, derbe Schuhe und lustiges Lachen übertönten fast die Musik. Peggy hatte noch nie mit Herren getanzt und bewegte sich anfangs ein wenig steif und ängstlich, aber sie war musikalisch und hatte den Rhythmus der sanft gleitenden Schritte ihres Tänzers bald erfaßt.

Jetzt führte Whiting mit der munteren Nancy eine altmodische hüpfende Polka aus, Frau Banner sprang wie ein Kork am Arm des Generals, über dessen Märtyrermiene seine Klubfreunde sich halb totgelacht haben würden. Kinloch und Hanna Travenor standen beisammen, Peggy mit den Augen verfolgend.

Sie sah wunderschön aus; ihre Farben leuchteten, die Augen tanzten mit und die schlanke zarte Gestalt bewegte sich mit der Lust und Anmut eines Kindes.

»Ich höre, Ihr Freund sei sehr reich?« begann Frau Travenor plötzlich.

»Sie meinen den Hauptmann Goring?«

»Ja, er ist doch Ihr Freund?«

»Wir sind Regimentskameraden ...«

»Das wird wohl auf eins herauskommen! Ist er wirklich so reich?« – Sie dachte offenbar an das Goldstück als Kirchenopfer.

»Bitte, fragen Sie mich nicht danach,« versetzte Kinloch abweisend, ein wenig hochmütig sogar.

»Weshalb denn nicht? Sie wissen's doch sicher.«

»Ich weiß nur, daß er sein eigener Herr ist und nie über Geldmangel klagt.«

»Gott, sind Sie vorsichtig!« warf sie verächtlich hin.

Wollte sie ihn etwa über Gorings Absichten aushorchen? Goring hatte an Peggy geschrieben, ihr seine Photographie geschickt, eine Reise von fünfzig Meilen gemacht, um mit ihr zu tanzen, aber ob er »Absichten« hatte, war doch sehr die Frage! Indessen führte Kinloch seine Dame in die Bibliothek und bewirtete sie an Whitings Tisch. Der Tanz war vorüber und das junge Volk strömte auf die mondbeschienene Terrasse hinaus, wo Travenor mit etlichen Bekannten über Straßenverhältnisse sprach. Die Mädchen setzten sich zum Teil auf die Stufen und die Burschen trugen Brezeln, Thee und Limonade herbei.

Als Kinloch jetzt auch hinaustrat, fand er Peggy nicht in diesem Kreis, sah aber ein weißes Kleid und einen schwarzen Frack vom äußersten Ende der Terrasse aus im Park verschwinden. Ein bitterer Zug legte sich um seinen Mund. Er tanzte pflichtschuldig mit Fräulein Flagg, der Postmeisterin, Nancy Belt, Peggys besonderer Freundin, unterzog sich sogar einer sehr erhitzenden Tour mit Frau Banner und unterhielt sich mit Travenor eingehend über Fasanenzucht. Jetzt kam sein Tanz mit Peggy an die Reihe, und als er sich nach ihr umsah, trat sie auch gerade an Gorings Arm in den Saal, strahlender denn je, Jugend, Schönheit, Hoffnungsseligkeit verkörpernd. Da die Musik schon spielte, fingen sie gleich zu walzen an und traten erst, als der letzte Geigenstrich verhallt war, auf die Terrasse hinaus und von dieser in den Garten, wo sich Peggy, vom hellen Mondlicht umflossen, auf der Steinbrüstung des Springbrunnens niederließ. Mit einem Ausdruck der Verzückung zu ihm aufblickend, begann sie mit bebender Stimme: »O, Herr Kinloch, ich bin so namenlos glücklich! Wie hab' ich's nur verdient, wie kann ich Gott genug dafür danken? Ich habe ja keine Ahnung gehabt, daß der Mensch so glückselig sein kann!«

Kinloch sah mit Staunen und Rührung auf sie nieder – ein Mädchen, das mit gefalteten Händen, frommer Inbrunst von Gorings Liebe sprach!

»Ich nehme an,« versetzte er mit heiserer Stimme und einem Ausdruck körperlicher Pein, »daß Goring ... daß er sich erklärt hat ...«

»Ja, Herr Kinloch, und Ihnen will ich's zuerst sagen, denn wenn Sie nicht gewesen wären, hätte ich ihn ja gar nicht kennen gelernt!«

»Hat er ... hat eine bestimmte Erklärung stattgefunden?«

»Bestimmt? Ich weiß nicht, wie Sie das meinen.«

»Nun, Fräulein Summerhayes, ich kann nur von ganzem Herzen wünschen und hoffen, daß Sie immer so glücklich bleiben mögen wie jetzt!«

»Ich danke Ihnen! Jedenfalls sprechen Sie einen Wunsch aus, dessen Erfüllung sicher ist,« versetzte sie mit leisem seligem Lachen. »Wie schnell das kam! Nur zehn Tage!«

»Liebe auf den ersten Blick ...«

»Ach ja! Wie wahr das ist!«

»Ich denke, Sie werden Ihre Schwester gleich ins Vertrauen ziehen?«

»Natürlich! Wie glücklich sie sein wird! Ach da kommt er ja!«

Goring sprang die moosbewachsenen Stufen herab.

»Mein Tanz, Fräulein Summerhayes! Was treiben Sie denn hier?« fragte er mit Besitzermiene.

»Ich ging eigens hierher, um Hauptmann Kinloch alles zu sagen,« erwiderte sie leise, fast feierlich.

Sekundenlanges Schweigen.

»Nun, gut aufgehoben ist ein Geheimnis bei dem, aber wie kommt er zu diesem Vorzug?« fragte Goring auflachend.

»Weil er die Veranlassung ist, daß wir uns kennen lernten ...«

»Dieses Verdienst würde eigentlich dem Schäferjungen gebühren,« unterbrach sie Kinloch. »Wäre der nicht ins Wasser gefallen, wären wir uns heute noch fremd, Fräulein Summerhayes!«

»Du wirst reinen Mund halten, Kamerad!« flüsterte Goring, den Kopf von Peggy abwendend, um sich eine Cigarette anzustecken.

»Abgemacht,« erwiderte Kinloch ebenso und zog sich nach ein paar gleichgültigen Bemerkungen aus dem Bereich des glücklichen Paars zurück, wo er sich höchst überflüssig fühlte.

Also die Liebeserklärung war erfolgt – was würde zunächst kommen? Und wer würde zunächst handeln? Unwillkürlich lenkte er den Blick auf Travenors breitspurige Gestalt, der mit im Rücken gekreuzten Händen auf der Terrasse hin und her wandelte und sich über den geringen Preis entrüstete, den Lämmer neuerdings erzielten. Wie wenig ahnte er, daß sein eigenes Lämmchen auf den grasbewachsenen Parkwegen dem Wolf in den Rachen gelaufen war!

Die vier »Angelherren« hatten sich außerordentlich beliebt gemacht in dem ländlichen Kreis, sogar Kinloch, der doch einigermaßen in der Lage des Spartanerknaben mit dem Fuchs war. Er wußte es jetzt, daß er Peggy Summerhayes heiß und einzig liebte – hoffnungslos – für alle Zeit, aber er tanzte doch weiter!

Als man sich zum Aufbruch rüstete, trat Nancy Belt in einem hübschen roten Kopftuch an ihn heran und sagte gedämpften Tons: »Also Peggy hat einen Liebsten! Man hat sich's ja denken können – sie war viel zu hübsch für Barton! Aber sie ist nicht nur hübsch, sie ist auch eine liebe, ehrliche, tapfere Seele und er – hübsch ist er ja auch, aber ich mag sein Gesicht nicht! Ich hätte mich tausendmal mehr gefreut, wenn Sie's wären!«

Damit huschte sie davon. Auf der Fahrt nach Hause verhielten sich die »Angelherren« recht schweigsam, im Wirtshaus angekommen aber wurde Whiting wieder lebendig, bestellte Getränke und kalte Küche und lud zur »Nachfeier« ein.

»Kann mich gar nicht erinnern, je so viel getanzt zu haben und so vergnügt gewesen zu sein,« plauderte der behäbige Herr. »Diese Nancy Belt in ihrem Rosakleid hat ein scharfes Züngchen, das einem Sheridan Ehre machen würde! Und dieser Peggy Summerhayes gegenüber regen sich richtige Jünglingsgefühle in mir! Dann war ein blondes Ding da aus Ober-Barton, das reine Gretchen, und diese kleine Postmeisterin tanzt famos und ist so schlank, daß man ihren beneidenswerten Appetit nicht begreift!«

»Sie haben die Damen ja gründlich studiert – nächste Woche bei der Herzogin von Bolton werden Sie dafür wohl den Thürsteher spielen!«

»Ohne Zweifel! Dort bin ich eine Ruine, hier ein ›fideles altes Haus‹! Ich bin in die Gegend vernarrt und habe auch ein gutes Geschäft gemacht heute abend – vom 1. September an eine Jagd gepachtet. Kinloch, Sie sind eingeladen.«

»Sehr liebenswürdig!«

»Sie lade ich nicht ein, Goring. In Ihrer jetzigen Lage würden Sie einen Heuschober fehlen!«

»Ich weiß nicht, was Sie unter meiner Lage verstehen? Augenblicklich bin ich hundemüde, aber darum noch lange kein schlechter Schütze.«

»Na, na, mit dem Sport ist's nicht weit her bei Ihnen, aber auf anderm Gebiet – alle Achtung! Ich trinke auf Ihr Wohl und das Ihrer Dame!«

Goring zog Kinloch auf die Straße, angeblich um zu rauchen, thatsächlich um sein Herz zu erleichtern.

»Wenn nur der alte Schwätzer seinen Mund halten wollte! – Sei doch so gut und gib ihm einen Wink!«

»Nun, du hast dich ja doch mit ihr verlobt?«

»Ich habe ihr gesagt, daß ich rasend, blödsinnig, über alle Maßen in sie verliebt bin.«

»Was wohl Verlobung bedeutet?«

»Natürlich, du steifleinener alter Tugendspiegel! Sogar in dieses Nest, in diese langweiligen Wiesen und Hecken bin ich verliebt, nur weil Peggy hier lebt, und wenn ich fort bin, ist mir alles einerlei, Pferde, Rennen, Spiel, nichts macht mir Spaß – du siehst, es ist ein schlimmer Fall!«

»Oder ein großes Glück, zu dem ich dir von Herzen ...«

»Glück? Ja – versteht sich! Obwohl als Partie – kein Vermögen, keine Verbindungen –«

»Nur ein Mädchen, das viel zu gut für dich ist!«

»Amen! Ich bin ja rasend verliebt und riesig stolz auf mein hübsches Schätzchen! Werden die Leute Augen machen! Aber Heiraten will ich vorderhand nicht« – er seufzte – »unsereiner gibt gar zu viel auf dabei.«

»Manche allerdings ja,« versetzte Kinloch scharf, »und ich will zu deiner Ehre annehmen, daß du nicht davor zurückschreckst! Sie ist ein argloses, unerfahrenes Kind, das du namenlos glücklich und namenlos elend machen kannst. Bedenke die Verantwortung! Doch jetzt will ich ins Bett; die Wirtsleute müssen auch zur Ruhe kommen.«

Peggy war in andächtigem Schweigen nach Hause gefahren und von der Schwester gleich zu Bett geschickt worden. Sie dachte aber gar nicht ans Auskleiden, sondern setzte sich an das jasminumrankte Fenster ihres Kämmerchens und starrte in unbeschreiblicher Seligkeit auf den mondbeglänzten Garten, die altvertrauten Bäume, die Kirchturmspitze zwischen den Nußbäumen. Sie war viel zu glücklich, um an Schlaf zu denken.


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