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Neuntes Kapitel.
Der erste Brief

Hauptmann Goring hatte den »Weißen Hund« schon früh um sieben Uhr verlassen und zwar unter stillen Betrachtungen über die Wehmut, womit er von dem grünen Hügelland schied, das ihm erst so wenig gefallen und das er, alles in allem, nur fünf Tage lang bewohnt hatte.

Seine Abreise war eine Herzenserleichterung für Kinloch gewesen. Nicht daß er daran gedacht hätte, Peggy gegenüber Nutzen daraus zu ziehen, das wäre ja ganz vergebens gewesen, aber vielleicht würde sie den andern nach und nach vergessen? Vielleicht – daß der Unwiderstehliche einen Abschnitt in ihrem jungen Leben bedeutete, daß sie nie wieder das harmlose Kind sein konnte, das ihm mit dem Lamm an der Seite und den blühenden Dornzweigen im Arm entgegengetreten war, darüber bestand für Kinloch kein Zweifel.

Für ihn, dem sie »die Einzige« war, hatte sie ja nicht einen Gedanken übrig, doch er bekämpfte tapfer jede Anwandlung schwächlichen Mitleids mit sich selbst und angelte emsig und mit Glück und Verständnis, nicht wie Goring, von dem Whiting gesagt hatte, daß er wohl einen Fisch fangen könne, darum aber noch lange kein Fischer sei.

Eines Morgens ging Kinloch in den kleinen Kramladen, der zugleich Postamt war. Es war zehn Uhr und der Bote war eben eingetroffen; erwartungsvolle oder auch nur unterhaltungsbedürftige Dörfler erfüllten das Lädchen und mit einemmal erschien auch Peggy und begrüßte ihn mit ihrem bezauberndsten Lächeln – war er auch nicht der Held ihrer Träume, so stand er doch beim selben Regiment.

Ob sie ihn wohl nach Goring fragen würde? Nein, sie schien so unbefangen, frohgemut und sorgenlos wie je zu sein. Nach ein paar Bemerkungen über das Wetter trat sie an den Ladentisch und sagte mit ihrer klaren, wohlklingenden Stimme: »Ich will die Briefe mitnehmen, Fräulein Flagg, und dem Boten den Weg ersparen. – Wie geht's denn mit dem Fuß, Magg?« fragte sie diesen selbst.

»Immer noch schlecht, Fräulein Peggy.«

»Daß Ihr auch kein Fahrrad habt!«

»Geht nicht, der Weg ist zu steil, aber es heißt, ich solle einen Wagen bekommen.«

»Das ›heißt's‹ so lang ich denken kann!«

»Hier sind zwei Briefe an Sie, Fräulein,« verkündete der weibliche Postbeamte, »und die Zeitung und ein Kreuzband – scheint eine Photographie zu sein, Poststempel Aldershot.«

Peggy griff danach, aber dabei glitt das Kabinettbild aus seiner losen Hülle und fiel mit dem Gesicht nach oben zu Boden. Es gab natürlich Hauptmann Goring wieder in voller Galauniform und seiner ganzen Unwiderstehlichkeit. Aller Augen hefteten sich auf das Bild zu Peggys Füßen; tiefe Stille war eingetreten und sie selbst war zu erschrocken, um danach zu greifen. Rasch bückte sich Kinloch, hob das Bild auf und reichte es dem erglühenden Mädchen. Dabei sah er, daß einer von den Briefen, die sie in der Hand hielt, das Regimentswappen trug. Ob das unschuldige Landkind wohl zur Post gegangen war, um einen verabredeten Liebesbrief zu holen? Nein, so schlimm war's nicht, denn sie sagte, als sie jetzt miteinander aus dem Laden traten: »Wie ich sehe, und wie das ganze Dorf gesehen hat, war Hauptmann Goring so freundlich, mir seine Photographie zu schicken! Er sprach mir davon, aber ich dachte, er werde es vergessen – und dieser Brief scheint auch von ihm zu sein,« setzte sie, den Umschlag aufreißend, hinzu.

»O, Herr Kinloch, denken Sie nur!« rief sie leuchtenden Auges, sobald sie das Briefchen überflogen hatte. »Herr Hauptmann Goring kommt zu unserm Ball im Schloß.«

»Zum Ball?« wiederholte Kinloch verdutzt.

»Ja, zwölf Stunden Urlaub könne er bekommen, schreibt er, drei zur Her-, drei zur Rückfahrt und sechs zum Tanzen! Muß der aufs Tanzen erpicht sein,« bemerkte sie, gezwungen auflachend.

»Ja, auf etwas muß er allerdings erpicht sein!«

»Peggy, Peggy!« rief da eine kräftige freundliche Stimme. »Gibt's keine Zeitung heute?«

Es war Travenor, der, ans Gartenthor gelehnt, wartete.

»Doch, Schwager, und einen Brief.«

»Warum bist du so lang ausgeblieben? ... Ach, guten Morgen, Herr Hauptmann.«

»Ein schöner Tag, Herr Travenor.«

»Denke dir, Schwager, ich habe ein Briefchen von Hauptmann Goring,« begann Peggy unerschrocken. »Er kommt zum Tanz im Schloß. – Was sagst du dazu?«

»Was ich dazu sage? Daß er höllisch Langeweile haben muß in Aldershot.«

»Willst du das Briefchen lesen?«

»Warum denn nicht? Bist nicht an Briefe gewöhnt, Kleine,« sagte er, herzhaft lachend.

Travenor nahm den Brief, nickte Kinloch zu und ging ins Haus. Peggy folgte ihm langsam, in den Anblick der Photographie vertieft, und den Beschluß des Zugs bildete Karlchen, das Lamm, das die Herrin in kühnen Sprüngen umkreiste.

»Hoffentlich steht kein dummes Zeug in dem Wisch,« dachte Kinloch, ihnen nachsehend. »Dieser Travenor sieht mir nicht aus, als ob er viel Spaß verstünde.«


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