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Neunzehntes Kapitel.
Ein lästiger Gast

Hauptmann Kinloch hatte kein Verlangen, den Besuch in der Oberen Bourkestraße so bald zu wiederholen, traf aber Frau Goring eines Tages im Park oder richtiger gesagt, ertappte sie dort in wehmütige Betrachtung des Ententeichs versunken. Sie war allein, bei weitem nicht so aufgedonnert wie bei andern Gelegenheiten und hatte mehr Aehnlichkeit mit Peggy Summerhayes, als die vorlaute junge Dame in Pelz und scharlachroter Tuchmütze, die des öfteren in Frau Catchpools Wagen an ihm vorübergesaust war. Heute freute sie sich entschieden herzlich über die Begegnung, und erst im Verlauf des Gesprächs zeigten ihm die Modeausdrücke und das sieghafte Bewußtsein ihrer Schönheit wieder den Unterschied zwischen Frau Goring und dem Kind in Nieder-Barton.

»Ja, Dublin ist himmlisch!« rief sie aus. »Seit September bin ich hier und die Zeit ist mir verflogen wie ein Tag!«

»Besuchen Sie die Enten, um sich der heimischen zu erinnern?«

»Ins Schwarze getroffen! Sie sind ja ein Gedankenleser! Ja, ich füttere sie fast jeden Tag. – Die freche braune mit dem schwarzen Kopf ist mein Liebling.«

»Ich wußte nicht, daß Frechheit Sie anzieht!«

»Nur bei Enten, versteht sich!«

»Und wie geht's Ihrer Schwester? Schreiben Sie sich fleißig?«

»Jawohl, zweimal die Woche, und außerdem schicke ich ihr, was mir an Zeitungen in die Hand kommt. Sie scheint viel leidend zu sein und langweilt sich sehr.«

»Keine weltbewegenden Ereignisse im Dorf?«

»Keine, als daß Nancy Belt eine vorzügliche Stelle in, einem Ellenwarengeschäft in Barminster hat, und daß mein Schwager für seinen jungen Rappen, ›Heidelbeermus‹ nannten wir ihn, einen ersten Preis bekommen. Erinnern Sie sich der blinden braunen Stute? Die ist tot! Hat den Hals gebrochen, als sie wieder einmal ihrem Füllen nachspringen wollte über den Bach.«

»Und Ihr Lamm? Ist am Ende ein Hammelbraten daraus geworden?«

»O nein, das wird ihm nie widerfahren! Aber ein Plagegeist ist's geworden, es will durchaus nicht in die Schafherde, sondern befreundet sich mit drei jungen Stierkälbern, die es neulich durch die Küche ins Haus gelockt hat. – Hanna traf die Gesellschaft im Eßzimmer an!«

»Eine nette Bescherung! – Und Sie haben sehr viele Gesellschaften mitgemacht?«

»Riesig, und im nächsten Monat fangen ja die Privatbälle an.«

»Ich habe seit Nieder-Barton nicht mehr getanzt.«

»Das war mein erster Ball und der wird mir unvergeßlich bleiben! Es hat mir sehr leid gethan, daß ich neulich so wenig von Ihrem Besuch hatte, aber Sie sahen ja, wieviel Leute da waren.«

»Finden öfter solche« ... Kinloch suchte nach dem Ausdruck ... »Empfangstage bei Ihnen statt?«

»Nein, aber Frau Catchpool bringt manchmal Freunde, die bei ihr gefrühstückt haben, hinterdrein zu mir – räuberischen Ueberfall nennt sie's. Es sei lustiger, meint sie ...«

»In Ihrem Zimmer das Oberste zu unterst zu kehren!«

»Ja, das geschieht freilich. – Die Irländer sind immer voll Uebermut,« fügte Peggy entschuldigend bei.

»Gewiß, nur waren Ihre Gäste gerade keine Irländer.«

»Allerdings, Frau Catchpool ist ja selbst Engländerin.– Uebrigens haben Sie ihr den versprochenen Besuch noch nicht gemacht.«

»Ich werde ihn demnächst machen.«

»Und ... könnten Sie denn nicht einmal mit uns speisen? Vielleicht morgen?«

»Sehr freundlich ... ich weiß nicht ...«

»Ach, bitte, machen Sie's möglich! Sie waren ja noch nie unser Gast und sind doch Charlies Freund.«

»Gut, ich werde mich mit Vergnügen morgen einfinden.«

»Meinen Mann treffen Sie wohl oft?«

»Ich habe ihn nur flüchtig in der Kaserne gesehen.«

»Der arme Charlie! Ich finde, man mutet ihm wirklich ein bißchen viel zu. Ewige Märsche, die ihm so zuwider sind, dann wieder Adjutantendienst, Wache, Kriegsspiel und Paraden – er hat kaum Zeit, sich auszuruhen.«

»Aber Wachdienst kann er doch nicht so häufig haben?«

»O doch, zwei oder drei Nächte jede Woche! Ist das nicht abscheulich?«

»Abscheulich,« wiederholte Kinloch, nur nicht in Peggys Sinn. – Goring hatte jedenfalls im Klub die Wache. »Ja, in Dublin ist der Dienst ziemlich anstrengend.«

Sie waren mittlerweile der Bourkestraße zugeschritten, und Kinloch begleitete Peggy bis ans Haus. Als er sich des andern Tags pünktlich zu Tisch einfand, ahnte er wenig, welchen Sturm seine Einladung hervorgerufen hatte.

»Du weißt doch,« hatte Goring seine Frau angeherrscht, »daß der Graf und Tarr und Shotter kommen und wir nachher Poker spielen wollen, da wird uns dieser Kinloch elend im Weg sein. Der Leimsieder begreift ja nicht, daß man höher als sechs Pence spielen kann.«

»Aber, Charlie, er ist doch ein Freund von dir, und ich dachte, du würdest dich freuen,« hatte Peggy demütig geantwortet. »Es thut mir leid, daß ich dich nicht vorher gefragt habe.«

»Das wäre allerdings sehr am Platz gewesen, dann hätte ich dir gesagt, Kinloch für den Sonntag aufzusparen.«

»Man könnte meinen, du sprechest von einem Braten,« hatte Peggy unwillkürlich erheitert bemerkt.

»Das Beste, was du thun kannst, ist jedenfalls, daß du ihn möglichst für dich mit Beschlag belegst.«

Peggy war jetzt eine weit erfahrenere Hausfrau; sie hatte sich Kochbücher angeschafft und konnte kleine Zwischengerichte und süße Speisen selbst zubereiten. Ihre jetzige Köchin blickte zwar nicht auf eine so glänzende Laufbahn in den nobelsten Familien zurück wie die verflossene, war aber eine rechtschaffene, anständige Person, nur leider taub, was hie und da zu Mißverständnissen führte. Die »unvergleichliche« Lizzie war die rechte Hand ihrer Gebieterin, immer gefaßt auf jählings angeordnete Mahlzeiten und willig, bis zu später Nachtstunde aufzusitzen, nur Frau Catchpools »Ueberfälle«, die stets geknickte Stuhlbeine, zerbrochenes Porzellan und andre Schäden zurückließen, waren ihr ein Greuel, und diese Dame samt Fräulein Gussie erfreute sich weder ihrer Hochachtung noch Gunst.

Peggy war jetzt ein halbes Jahr verheiratet und glaubte noch an ihren Mann, wenn ihr auch etliche Enttäuschungen das Herz beschwerten. Er hatte zum Beispiel wenig Herz für die stumme Kreatur, konnte seine Pferde grausam mißhandeln und hatte einen halb verhungerten Hund mit lahmem Bein, den sie mit nach Hause brachte, einfach hinausgeworfen. Ein weiteres Herzeleid für Frau Goring war, daß sie außerordentliche Schwierigkeiten hatte, Geld für den Haushalt zu bekommen. Wöchentliche Bezahlung der Lieferanten war außer Frage, denn Charlie wurde bei jeder noch so zarten Erwähnung ihres Buchs schlechter Laune. So wuchsen die Rechnungen an, und zwar ins Ungeheuerliche, denn Goring wollte einen guten Tisch haben. Begegnungen mit dem Milchmann waren Peggy peinlich, und der Gedanke an den Gemüsehändler konnte sie um den Schlaf bringen. Das Merkwürdigste an dieser Sache war, daß Charlie immer Geld hatte; sie sah ihn gelegentlich eine ganze Handvoll Goldstücke aus der Tasche ziehen, wenn er eine Droschke bezahlte – ach, wenn er ihr doch auch eins geben wollte! Ein zweiter Schmerzenspunkt war, daß er so wenig Zeit für sie hatte, der Dienst mußte ja freilich immer dafür herhalten, und Peggy glaubte unverbrüchlich an dessen Wichtigkeit, mußte sich aber freilich sagen, daß er die Trennung von ihr viel leichter ertrug als sie, ja, daß die Freudigkeit, womit er abging, oft etwas Verletzendes hatte.

»Er geht eben mit Leib und Seele in seinem Beruf auf,« tröstete sie sich in ihres Herzens Arglosigkeit.

* * *

Obwohl Frau Gorings Salon jetzt rosa beschirmte Lampen, Palmen und Schaukelstühle genug enthielt, ging ihm doch jene gewisse Traulichkeit ab, die sonst von den kleinen persönlichen Besitztümern junger Frauen auszugehen pflegt. Es waren nur wenige Photographieen oder Bücher zu sehen, keine Nippes von irgend welcher Bedeutung, kein Arbeitskorb, keine angefangene Stickerei; Reisehandbücher, Sportzeitungen und namentlich Aschenbecher bezeichneten den Raum eher als männliche Behausung.

Die Hausfrau jedoch, die mit schüchternem Lächeln, aber innerer Wärme den Gast willkommen hieß, sah sehr weiblich und sehr hübsch aus in einem rosa Abendkleid, woran die Freunde sich schon satt gesehen hatten, das aber auf den Fremden Eindruck machte. Dazu trug sie das Haar hoch aufgesteckt, was die reizende Kopfform sehr zur Geltung brachte. Das war Peggy in der Rolle der Gesellschaftsdame, abermals grundverschieden von der heimwehkranken Peggy, der Freundin der frechen braunen Ente!

»Ich bin sehr froh, daß Sie zuerst kommen!« bemerkte sie kindlicherweise. »Charlie wird gleich da sein, er hat sich nur ein wenig verspätet.« – Charlie verspätete sich immer! – »Wir erwarten nämlich noch einige Gäste, die Charlie weiß der Herr wo aufgelesen hat! Nur Herren – Tarr und Shotter, den Grafen Riffi-Raffi und den jungen Rosée, den sie ungezogenerweise ›Kohlkopf‹ nennen!«

»Ich kenne die Herren leider nicht, bin ja noch fremd in der Garnison,« versetzte Kinloch.

Zur Garnison gehörten die vier Herren, die alsbald in Begleitung des Gastgebers erschienen, nun eben nicht, sondern Tarr war »Finanzmann«, was ein dehnbarer Begriff ist, Herr Shotter ein schwerfälliger junger Mann mit hervorragend breitem Hemdkragen und ditto Manschetten und wunderbaren Schuhen. Der junge Rosée war das redegewandte Söhnchen eines steinreichen Geldverleihers, und »Graf« Riffi-Raffi ein berufloser Kavalier, mit dunklen Glutaugen, gelber Haut und schmalen Händen, der über höfische Formen verfügte, jedoch nur im Notfall. Sie verbeugten sich artig vor dem hochgewachsenen, stattlichen Offizier, der, am Kamin stehend, sie mit ernstem, durchdringendem Blick beobachtete. Kurz nach ihrer Ankunft ging man zu Tisch, wobei der Graf die Hausfrau führte. Das Essen war vorzüglich, die Bedienung tadellos, auf diesem Gebiet war alles in Ordnung. Geschwatzt wurde viel, wenn man's auch kaum Unterhaltung nennen konnte, und noch mehr getrunken. Kinloch, der zur Linken der Hausfrau saß, beobachtete wohl, daß sie eigentlich vom Gespräch ausgeschlossen war; dieses drehte sich um Wetten, Rennen, Steigen oder Fallen gewisser südafrikanischer Minenwerte und des weiteren um pikante Geschichten. Tarr kam sogar in besten Zug, eine gepfefferte, nur fürs Rauchzimmer geeignete Anekdote preiszugeben, besann sich aber im letzten Augenblick auf Peggys Gegenwart, worauf ihn auch Kinlochs Blick nachdrücklich aufmerksam gemacht haben mochte.

»Ich hatte mich ein bißchen vergriffen, besann mich aber zu rechter Zeit auf den guten Ton,« erzählte er nachher seinen guten Freunden. »Da war aber ein Geselle mit dunklen Augen und riesiger Schulterbreite, ein Offizier, steht bei den Scharfschützen, der machte ein Gesicht, als ob er mich am liebsten zum Haus hinausgeworfen und draußen niedergeschossen hätte wie einen tollen Hund. – Zum Totlachen!«

Peggy that ihr Möglichstes, sich am Gespräch zu beteiligen, wurde aber von Tarr einfach unterbrochen und von ihrem Mann aufs ungeduldigste widerlegt. Die Herren begaben sich gleich mit der Hausfrau in den Salon, weil ja bei Gorings kein Rauchverbot herrschte. Goring setzte sich ans Klavier und trug, die Begleitung mit einem Finger tippend, ein Couplet vor, Tarr sah indessen die Abendzeitungen durch, der Graf ging im Zimmer umher und musterte lächelnd die Farbendrucke an den Wänden, während Rosée in einem Lehnstuhl unverblümt schnarchte.

Peggy sang dann ein kreolisches Liebeslied und zwar recht gut; die frische, junge, ehrliche Stimme that einem im Herzen wohl. Hauptmann Kinloch und Shotter standen hinter ihr, aber noch ehe das Lied verklungen war, hatte sich der Hausherr mit den andern drei Gästen geräuschlos entfernt, und Shotter, der sich doch für einen Musikfreund ausgab und sogar einmal Banjo spielen gelernt hatte, schlich ihnen nach.

Kinloch gab sich keine Mühe, sein Erstaunen zu verhehlen, und Peggy sagte erläuternd: »Sie sind zu ihren Karten gegangen – aus Musik machen sie sich nichts. Ich weiß ja, daß Sie nicht gern um Geld spielen, und hoffe deshalb, Sie werden mir Gesellschaft leisten.«

»Mit größter Freude,« erwiderte er mit abgewendetem Gesicht, scheinbar in einen Stoß Noten vertieft.

Das war also Gorings Besserung! Seine Frau anschnauzen und belügen, anrüchiges Volk in ihr Haus bringen, unterm eigenen Dach eine kleine Spielhölle einrichten! Wäre es nicht besser gewesen, Peggy Summerhayes hätte sich zu Tode gehärmt, als dieses Leben zu führen, das nur in Schande, Not und Elend enden konnte? Hätte er sich doch nicht hineingemischt!

Das waren die Gedanken, die Kinloch bewegten, und die eine Flut von Erinnerungen und Gefühlen mit sich führten. Wie jung sie aussah, wie unschuldig und kindlich, und wie alles wäre, wenn sie Frau Kinloch geworden wäre anstatt Frau Goring!


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