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Siebentes Kapitel.
Haus Travenor

Auf dem Rückweg hielt Frau Travenor Goring an ihrer Seite fest, und Kinloch bildete mit Peggy den Vortrab. Sie plauderte so lebhaft wie sonst, aber sein Herz sagte ihm, daß ihre Gedanken anderwärts waren, wohl bei seinem glücklichen Kameraden, dessen treulose blaue Augen dies arglose Kind gefangen genommen hatten. Wenn ihn sein Gefühl nicht täuschte, so that Hanna Travenor wohl daran, für ihrer Schwester Zukunft zu beten!

Goring mußte seine Zeit wohl benützt haben, denn als sie wieder vor dem Gartenthor unter den Linden standen, forderte Frau Travenor beide Herren auf, einzutreten und Thee mit ihnen zu trinken. Es war ein wunderliches, unregelmäßig gebautes altes Haus mit ganz niederer Diele, dahinter eine Reihe von Zimmern, die immer höher wurden, weil von einem zum andern eine Stufe hinunterführte. Sie standen offen und boten einen hübschen Durchblick bis zu der mit roten Fliesen verkleideten Küche, durch deren Fenster die blühenden Bäume des Obstgartens hereinschimmerten.

Der Hausherr war ins Wochenblatt vertieft, stand aber rasch auf und begrüßte die ungemeldeten Gäste herzlich. Travenor war ein stattlicher, breitspuriger Landmann mit offenem, klugem Blick, den der weite Sonntagsrock von blauem Tuch, wie die weiße Halsbinde mit den losen Enden gut kleideten; dem Aussehen nach mochte er Mitte der Vierzig stehen. Er war seinen Leuten ein guter Herr. »Einer, bei dem jeder von weitem spürt, daß er der Herr ist,« wie der alte Fuhrknecht sagte, obwohl Frau Travenor ihren Mann für beschränkt hielt und der Aufgabe, sich als Schwager des hübschesten Mädchens der ganzen Grafschaft zu benehmen, nicht gewachsen.

»Sehr angenehm, meine Herren,« begrüßte er die Offiziere mit etwas ungelenker Verbeugung. »Wie ging's mit dem Fischen? Bisher war in diesem Jahr nicht viel los damit.«

»Gestern hatten wir einen guten Tag,« gab Kinloch zum Bescheid. »Sind Sie auch Angler?«

»Nein, dazu habe ich keine Zeit! Ein bißchen Jagd ist alles, wozu ich komme, denn ein großes Gut will seinen Herrn.«

»Sie haben viel Land?«

»Elfhundert Morgen etwa, mitunter schlechter Boden. Hafer- und Weizenbau lohnt, die Rüben mißraten meist.«

Das Zimmer, worin sie saßen, enthielt manche Sehenswürdigkeiten an alten Möbeln, Porzellan, farbigen Kupferstichen und kalbsledernen Folianten, offenbar Trümmer der Summerhayesschen Herrlichkeit. Der Thee wurde dann im Eßzimmer aufgetragen mit Schwarzbrot, Butter, Eingemachtem und Kuchen. Das Geschirr war altes, echtes Porzellan, und ein dralles Landmädchen stellte alles auf den glänzenden Mahagonitisch, um den man herumsaß wie bei einer richtigen Mahlzeit. Travenor machte freundlich den Wirt, blieb sich aber immer bewußt, mit vornehmeren Leuten zu verkehren; Hanna war schweigsam und förmlich, Peggy voll Uebermut, eine Verkörperung von Jugendlust und Heiterkeit.

Mit einemmal stapfte das Lamm herein, so geräuschvoll, als ob es Stiefel trüge, und hinter ihm erschienen zwei junge Hühnerhunde, denen die Mutter folgte, als ob sie die Gesellschaft beaufsichtigen müßte.

»Jagt sie hinaus!« rief Frau Travenor verzweiflungsvoll. »Lisbeth, Lisbeth! So mach doch die Küchenthüre zu!«

»Armes Karlchen!« meinte Travenor gutmütig. »Warum soll es heute um seinen Thee kommen, Hanna? Und Rory auch? Ring und Floß will ich in Gewahrsam nehmen, die sind allerdings zu tolpatschig.«

Damit wurden die Hundekinder entfernt.

»Ein ganz entzückendes Heim, Herr Travenor,« versicherte Goring.

»Freut mich, wenn's Ihnen gefällt – wenn's nur andre Leute auch so entzückend fänden,« setzte er vielsagend hinzu.

»Ein prächtiges altes Haus! Muß im Winter ebenso warm sein, als es im Sommer kühl ist, dank dem Strohdach?«

»Ja, ja, alt ist's schon; es heißt, es stehe seit Königin Elisabeths Zeit. Schmeckt's Ihnen auch, meine Herren? Hanna, wo ist denn der Schinken? Wir sind eben Landleute und leben, wie's hier Brauch ist. – Hanna, bitte, den Schinken! Oder meinst du, die Herren würden ein paar Schweinsrippchen vorziehen?«

»Ich esse ja wie ein Hamster,« versicherte Goring, rot vor unterdrücktem Lachen, »und werde unsrer Mahlzeit im ›Weißen Hund‹ gar keine Ehre mehr anthun können!«

»Ja so, daran habe ich gar nicht gedacht! Für Sie ist's ja noch vor Tisch – auf dem Land ißt man um Mittag zu Mittag!«

»Nett von Ihnen, das Strohdach zu bewundern, Herr Hauptmann,« sagte Hanna ablenkend. »Ich wollte nur, daß ich's Ihnen schenken könnte, mitsamt den Insekten und seinen Wespen- und Vogelnestern! Man kann den Garten nicht rein halten, weil die Vögel immerzu Stroh herumtragen.«

»Die Vögel bezahlen aber Mietzins,« machte Peggy geltend, »Sie bringen dir jeden Morgen ein Ständchen!«

»Das heißt, sie wecken mich – viel, viel zu früh.«

»Die Sehenswürdigkeiten haben wir jetzt erledigt – gibt es auch Berühmtheiten in der Gegend?« erkundigte sich Goring.

»Je nachdem man's nimmt, Herr Hauptmann. Gelehrte oder große Verbrecher oder gar Dichter haben wir nicht, aber in Mittel-Barton ist ein Geizhals, der ist berühmt und sehenswert – nur Haut und Knochen. In Ober-Barton ist ein Mädchen, die ihren Burschen vor Gericht anklagte wegen Bruch des Eheversprechens – damals gingen die Leute meilenweit in die Kirche von Ober-Barton, um das Mädel zu sehen! Er wurde zu zwanzig Pfund Schadenersatz verurteilt, dabei kamen auch seine Geschenke zur Sprache, die sind auch ›berühmt‹ geworden! Der Jüngling hatte nämlich seiner Liebsten eine Flasche Leberthran und einen ausgestopften Maulwurf verehrt – beim einen machte ihr der Geschmack, beim andern der Anblick übel!«

Man lachte herzlich.

»Möchten sich die Herren vielleicht Garten und Ställe besehen?« fragte Travenor. »Meine Gäule dürfen sich schon sehen lassen.«

Man setzte sich in Bewegung, überschritt den großen Hof, ging in den Hauptstall, die Wagenremisen, Scheunen, und gelangte schließlich in einen altmodischen Garten mit grasbewachsenen Wegen, Rhabarber, Johannis- und Stachelbeergebüschen und vielen Spalieren längs der Innenseite der hohen Mauer.

»Schade, daß wir Ihnen noch keine Aprikosen anbieten können,« bemerkte Travenor, »die sind unser Stolz wie auch die Spargeln.«

Kinloch hatte sich während des Rundgangs an Travenor angeschlossen, Goring an Peggy, und Frau Hanna ging allein mit vorsorglich hochgehaltenem Rock, mehr wie ein fremder Besuch, der sich das Anwesen ansieht, als wie die Gefährtin und Genossin des rührigen Hauswirts. Der alte Gärtner, ein kleines mageres Männchen mit klugen Augen, ging in seinem Sonntagsanzug und einer alten grauen Mütze durch den Garten.

»So, so, Jopp,« sagte Travenor freundlich, »du zählst wohl die Fruchtansätze?«

»Möcht' wohl, was nutzt's aber? Man kriegt doch nur, was Vögel und Schnecken übrig lassen – 's ist zum Auswachsen!«

»Beschicken Sie die Ausstellung in Ober-Barton?« fragte Goring leutselig.

»Jetzt nicht. Im Herbst schick' ich vielleicht Aprikosen und ein paar Geranien hin, aber ich mach' mir nichts mehr aus dem Ausstellungskram.«

»Hoffentlich bleibt das Wetter schön,« bemerkte Peggy. »Was hältst du davon, Jopp? Du bist ja ein Wetterprophet.«

»Regen sollten wir haben, Fräulein, viel Regen – 's ist fast so schlimm wie vorm Jahr, wo wir vom Aepfeltauftag an vier Wochen lang keine Gießkanne voll kriegten.«

»Aepfeltauftag!« rief Goring belustigt. »Bitte, wann findet denn diese Taufe statt?«

»Am 17. Juli, Herr,« versetzte der Alte ernsthaft. »Vorhin war ich da droben – die Schafe tanzen, und was die Schäfer sind, die sagen, das bedeute Nässe.«

»Hoffentlich wartet der Regen bis übermorgen,« sagte Peggy.

»Das würdest du nicht wünschen, wenn du Rübenfelder hättest, Peggy,« entgegnete Travenor. »Leider sehe ich keine Anzeichen von Wetterumschlag. – Kennen die Herren unsern Troddel?«

»Ja, vom Sehen.«

»Der versteht auf Meilen in die Runde am meisten vom Wetter. Er scheint einen sechsten Sinn zu haben und Regen, Schnee oder Frost zu wittern.«

»Ein abscheulicher, grausamer Mensch,« rief Peggy. »Immer zu haben, wenn jemand einen Hund oder eine Katze ersäufen lassen will, und ärgert sich noch, wenn man sie rettet!«

»Bei uns werden alle gerettet,« brummte Travenor lachend vor sich hin.

»Und wo geschlachtet wird, muß er dabei sein, gerade als ob's eine Lust wäre, das mit anzusehen! Ein greulicher Geschmack, nicht?«

Ihre Augen hefteten sich, Zustimmung erwartend, auf Goring, dieser lachte aber, als ob er den Geschmack ganz begreiflich fände.

»Aber sehr verbreitet,« bemerkte Frau Travenor. »Weißt du noch, wie die Schulkinder aus der Stadt vorigen Sommer hier waren und unsre Dorfjugend sie hinführte, wo ein Schwein gestochen wurde, um ihnen eine Freude zu machen?«

Kinloch bemerkte, daß Peggy bei der bloßen Erinnerung an diesen Vorgang erblaßt war, auch fiel ihm auf, daß der alte Gärtner, der sich beiseite schlich, erst Goring und dann ihn mit verschmitzten Blicken maß. Jetzt ertönte das Abendläuten, und Kinloch ergriff die Gelegenheit, zum Aufbruch zu mahnen. Goring hoffte im stillen, man würde sie auffordern, auch zum Abendbrot zu bleiben, aber diese Hoffnung ging nicht in Erfüllung. Man begleitete sie bis zum Gartenthor, wo sich Travenor höflich vor seinen Gästen verneigte, ohne Gorings ausgestreckte Hand zu ergreifen, die dafür die der niedlichen Schwägerin zärtlich drückte.

»Auf morgen!« hörte ihn Kinloch leise sagen.


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