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Zweites Kapitel.

Am Abend des nächsten Tages kam Alexander mit seinen beiden Brüdern auf dem Gute der Frau von Hain an. Edgar hatte mit seinem Urtheile gewartet, bis er mit eigenen Augen gesehen haben würde, und war nach einigen Stunden mit der Wahl seines Bruders zufrieden. Er fand einen einfachen, aber eleganten Haushalt; eine ernste und nützliche, aber vornehme Bildung; einen freundlichen Empfang, ohne Geräusch und Unsicherheit; mit einem Worte, nichts, was ihn verletzt hätte, und das war bei Edgarn viel.

Frau von Hain war, obgleich Mutter von sechs Kindern, noch schön; sie war auch geistreich, aber nicht liebenswürdig; ein im höheren Sinne sittlicher, strenger, ja fast unbeugsamer Charakter, der sich in ihrem ganzen Wesen ausdrückte, in jeder ihrer Aeußerungen hervortrat, zog nicht an. So hatte sie auch ihre Kinder mit zu großer Strenge erzogen, weshalb alle bis zur Aengstlichkeit schüchtern und zurückhaltend waren. Mathilde stand selbst als Braut noch so ganz unter diesem Einflusse, daß ihr Wesen immer verhüllt erschien; doch dämmerte freilich unendliche Lieblichkeit hindurch. Edgar betrachtete Mathilden lange; er hatte sie nicht so ausgezeichnet in der Erscheinung erwartet, doch war sie nicht eigentlich nach seinem Geschmacke. Sie war nicht groß, nicht schlank, wenn auch sehr zart von Formen; Edgar aber liebte hohe, schlanke Gestalten; die Frauen, welche solche hatten, erschienen ihm stolzer, und er siegte nur über stolze Frauen gern. Die demüthigende Jungfräulichkeit Mathildens war etwas, das ihn mit Furcht vor langer Weile berührte; er begnügte sich seiner baldigen Schwägerin sehr achtungsvoll zu begegnen und suchte dann die Unterhaltung ihrer Mutter. Er mußte sich am Ende des Abends gestehen, daß er sich nicht bald geistig so befriedigt gefühlt habe; auch der Lehrer der jüngeren Kinder, Herr Altheim, hatte das Gespräch verständig unterstützt; seine Zöglinge hatten nicht gestört.

Alexander war still gewesen; ein Absondern von der Gesellschaft war ihm und Mathilden nicht gestattet, und in der Gesellschaft hatten sie sich nichts zu sagen gewußt. Heinrich, der jüngere Bruder, hatte die Braut seines Ideals, als welches ihm Alexander galt, nur mit stiller Verehrung betrachtet; er schwieg auch, als er mit den Brüdern sich von der Familie trennte, und in die Zimmer, die man ihnen angewiesen, hinaufging. Als Alexander ihn liebevoll fragte, wie Mathilde ihm gefallen? sagte er nur: »sie ist schön;« und lehnte sich dann an das Fenster, unter welchem eine junge Akazie duftete, die zum ersten Male und daher später blühte, als die andern, die schon ausgeblüht hatten. Dort träumte er sich leidenschaftlich voraus in die Zeit, wo auch er Bräutigam sein und ihm sein Blut von der Schönheit eines Mädchens siedend zum Herzen getrieben werden würde. Er kannte diese Empfindung noch nicht; die Brüder waren alle von wundersam verschlossener Natur; nur Alexander hatte geliebt; Edgar war in manchem Verhältnisse gewesen, aber nur seine Sinne waren bewegt worden, das Herz war ihm nicht aufgegangen, und eine Frau hatte nie eigentlich Macht über ihn gewonnen. Vor Allem wollte er gut unterhalten sein; er ließ sich daher nur von geistreichen Frauen anziehen. Mädchen ließen ihn meist gänzlich kalt, besonders eben aufblühende. Alexander erwartete daher auch durchaus keine lebhaften Aeußerungen von ihm, sondern war von einer ruhigen Antwort auf eine eben solche Frage völlig befriedigt.

Am andern Morgen war die Trauung, ganz still und im Hause. Der Prediger, der sie vollzog, war, als Mathildens Vater noch lebte, mehrere Jahre ihr Lehrer gewesen, vor Allem hatte sie ihre religiöse Bildung von ihm empfangen. Auch eingesegnet hatte er sie; er sprach daher mit Rührung und Liebe. Mathilde stand im heiligsten Sinne des Wortes vor Gott; ihre Augen schienen in den Himmel zu blicken, so fromm war ihr Ausdruck. Alexander war ebenfalls bewegt, und ward es noch mehr, als der Prediger nach der Feierlichkeit einen Augenblick benutzte und ihn bat, Mathildens Seele zu schützen. »Sie ist bis jetzt nicht nur von jedem Flecken, selbst von jedem Hauche rein geblieben!« sagte der würdige Mann; »sie ist im schönsten Sinne ein Kind; machen Sie, daß sie es bleibe! Lassen Sie ihr die Unwissenheit in tausend Dingen; geben Sie ihr keine Erfahrung; es ist ein zweifelhaftes Gut, der Frieden ist ein sicheres, und Frieden hat sie bisher gehabt, mit sich, mit Gott und der Welt! Vor Allem bitt' ich Sie herzlich, spotten Sie nie über ihren Glauben; er ist das Beste, was ich dem lieben Kinde gegeben habe; ich wäre sehr unglücklich, wenn er ihr genommen würde.« Darauf bat er um Entschuldigung wegen seiner Freimüthigkeit; das hätte er aber nicht nöthig gehabt, denn Alexander nahm sie mit Dank und Achtung für den Mann, der so sprach, auf. Alexanders einfache Antwort beruhigte diesen auch vollkommen, wenn es nach näherem Betrachten solch edler Gestalt überhaupt noch der Beruhigung bedurft hätte. So blickte er heiter der lieben Schülerin entgegen, als sie nach dem Frühstücke zum letzten Male für jetzt in das Zimmer trat. Der Abschied, der nun folgte, war kurz; Frau von Hain erlaubte sich keine Bewegung: es hatte kommen müssen, wie es kam; sie war völlig gefaßt und erwartete dasselbe von Mathilden und ihren jüngeren Kindern. Edgar küßte ihr und Mathilden die Hand; er wollte gleich nach Alexander abreisen, aber nach einer andern Richtung. Heinrich begleitete das junge Paar nach Goczyn; das Band, welches Mathilden an ihr Mädchenleben gebunden hatte, war gelöst, und die rastlose Bewegung der Räder führte sie ihrem neuen Schicksal entgegen.

Als sie im Wagen saß, weinte sie heiße Thränen. Alexander störte sie mit keinem Worte; aber er legte seine Arme sanft um ihre Schultern und zog sie leise an sich. Sie mußte Vertrauen zu ihm fühlen, denn sie gab ihm ohne Widerstand nach und legte selber den Kopf an seine Schulter. Er ließ sie lange so sich anschmiegen; endlich küßte er leise ihre Stirne; sie erröthete unter diesem Kusse, aber sie blickte auf und mit kindlicher Zuversicht an ihm in die Höhe. Die schönen, frommen Augen waren ihm unendlich rührend; er sah mit einem Blick, in dem seine edle Seele lag, lange hinein. Mathilde schlug sie nicht nieder, wenn sie auch glühender und glühender erröthete. »Nicht wahr, Du fürchtest Dich nicht bei mir?« fragte er lächelnd, und sie schüttelte den Kopf, während schelmisches innerliches Lächeln ihrem Gesicht einen ganz neuen Reiz gab. »Sieh nur,« sagte er jetzt, »wie stattlich Heinrich uns fährt; es ist doch eigentlich zu viel, solchen vornehmen Kutscher zu haben.« – »Dafür ist's auch Hochzeit;« sagte sie schelmisch ernsthaft. Ihr wurde im Grunde immer mehr zu Muthe, wie einem Vogel, der zum ersten Male aus dem Käfig kommt. Die Mutter hatte sie immer getadelt, wenn sie gelacht hatte; jetzt fühlte sie mit Lust, sie dürfe lachen, und die süßeste Heiterkeit brach hervor. Alexander hatte dabei dieselbe Empfindung, wie an einem schönen hellrothen Morgen; auch selbst das rasche, sichere Vorwärtsrollen des Wagens machte ihm einen wohlthuenden Eindruck, und auch er wurde immer heiterer und liebenswürdiger, so daß Mathilde endlich freudig ausrief: »aber ich habe Dich noch gar nicht gekannt!« Er antwortete ihr auf's Liebevollste, und sie merkten erst an dem Zunehmen des Dunkelwerdens, daß sie schon lange gefahren waren. Mathilde wurde nun mit einem Male ungeduldig und fragte nach Goczyn. Alexander sah sich um, wo sie wären, und sagte dann: sie hätten noch eine halbe Meile. Eine halbe Meile ist lang für den Ungeduldigen; doch Mathilde war gewöhnt, jede lebhafte Aeußerung ihrer Empfindungen zu unterdrücken, und saß ganz still, nur daß sie von allen Seiten neugierig aus dem Wagen sah.

Nach einer Viertelstunde bogen sie von der großen Straße links ab, und vor ihnen lag das ruhige Abendroth, Wiesen im Dämmer und ein mit alten Eichen malerisch besetzter Weg. »Nun sind wir auf unserem Grund und Boden;« sagte Alexander. Die Pferde erkannten den Weg und gingen muthiger; das Rollen der Räder tönte weithin durch die stille Gegend. Mathilde drückte ihre kleinen Hände fest zusammen und athmete schneller. Die Sterne fingen an in der hellen Nacht zu leuchten, der Weg machte eine neue Wendung, eine dunkle Spitze trat hinter den noch entfernten Bäumen hervor; »da ist der Thurm,« sagte Alexander. Sie kamen näher, er wurde deutlicher, und sie konnten schon einen Theil von dem Dache des Schlosses sehen; da brachen plötzlich an der Höhe des Thurmes glänzende Flammen hervor. »Mein Gott, er brennt!« schrie Mathilde, Alexander aber erwiederte lächelnd: »aus Liebe zu Dir!« Sie merkte nun, daß es eine Erleuchtung sei, und sagte: »aber er kennt mich ja noch nicht.« – »Kann man sich denn nicht nach Hörensagen verlieben?« fragte Alexander, doch Mathilde antwortete nicht; ihre Augen waren begierig auf den dunklen Bau gerichtet, welcher, von den wehenden Flammen vom Thurme herab wundersam beleuchtet, nun ganz vor ihr lag. Der Weg erhob sich etwas aus den Wiesen; die Bäume standen dichter, aber nur in Gruppen, indem immer freie Stellen licht zwischen ihnen lagen. Jetzt erhellte sich auch das Schloß, Mathilde sah eine Menge Leute neugierig davor versammelt, der Wagen war bald unter ihnen, und die Herrschaft empfing Grüße aller Art, je nachdem die Grüßenden Leute von den Gütern Alexander's, oder aus dem Städtchen Goczyn waren. Der Wagen rollte durch den düstern Thorweg in den Hof; auch hier war das Schloß ringsumher erleuchtet und jede Ranke an den grauen Mauern spielte in Licht. Der Gärtner, ein alter Soldat, gab das Zeichen zu einem dreimaligen Hurrah; einige der Leute, welche sich dem Wagen nachdrängten, wagten es mitzurufen; die Uebrigen bekamen dadurch Muth, und nun schrie Alles ohne Aufhören, und das halblaute Fluchen des Gärtners vermochte nicht, diesem Ausbruche von Begeisterung Einhalt zu thun. Zugleich ertönte eine reiche, rauschende Musik, und mitten in diesem Getöse half Alexander seiner jungen Frau aus dem Wagen. Sie hatte den Hut abgenommen, so daß ihr liebliches Gesicht ganz gesehen werden konnte, und grüßte mit der holdesten Freude. Alexander sprach mit einigen der angesehensten Bürger des Städtchens; der Fleischermeister nahm diese Gelegenheit wahr, die junge gnädige Frau um ihre Kundschaft zu bitten; der Schuhmacher hätte gern dasselbe gethan, hätte Alexander nicht nach freundlichen Grüßen Mathilden den Arm geboten und sie in das Schloß geführt. Treppe, Flur, Vorzimmer, Speisesaal war voll von Lampenglanz und Lichtern und von Kränzen durchduftet; Alles sah so festlich aus, als habe der alte Bau sich recht mit Liebe schmücken lassen, um die junge Schönheit zu empfangen. Während Heinrich rasch die Kleider wechselte, stellte Alexander Mathilden die Diener des Hauses vor; sie gewann diese sogleich durch liebliche Güte. Als Heinrich kam, setzte man sich zu Tische, während draußen die Menge der Gaffenden und die kleinere Zahl der Alles mit weiser Miene Beschauenden mit Kuchen und einigem Getränk bewirthet wurden. Einige Witzköpfe darunter wünschten schlau: es möchte alle Abend Hochzeit sein; in dem Lobe der schönen jungen Frau aber waren Kluge und Einfältige nur einer Stimme. Alexander und Heinrich, in deren Mitte die zarte blühende Gestalt saß, hatten diese Empfindung natürlich noch tausendmal lebhafter; Heinrich war leidenschaftlicher als je von dem Gefühle bewegt, das eigentlich schon Liebe ist, nur noch ohne Gegenstand; Alexander sah innig in das sanfte Gesicht, welches fortan sein Leben erhellen sollte. Es war jetzt ein wenig blasser als gewöhnlich, aber dennoch frisch wie eine Blume; das blaßbraune Haar hing in einigen weichen Locken daran herunter; die längste der Locken lag auf dem zarten Halse, welcher von dem weißen Kleide nur halb verhüllt wurde. Alles an ihr war völlig einfach und mädchenhaft; nur die reichen Brillant-Ohrringe, welche sie nicht abgelegt hatte, deuteten auf etwas Fremdartiges hin, was mit ihr vorgegangen. Die Musik tönte gedämpft darein. So saßen sie wol eine Stunde, alle drei oft still vor sich hinsinnend; da neigte sich Alexander lächelnd zu Mathilden. Sie erröthete und machte, indem sie aufstand, zum ersten Male von ihrem Hausfrauenrechte Gebrauch. Nun wollte sie noch in den Garten; Heinrich hatte ihr gestern so viel davon erzählt. Er begleitete sie jedoch nicht; er blickte ihr träumend nach, wie sie an Alexander's Arm aus der Pforte trat und über die Brücke ging. Als sie im Garten war, verschwand sie bald zwischen den Linden; er drückte seine Stirn an die Scheiben, denn das Glas war kalt und seine Stirne glühte. Unten hatte die Menge sich bis auf einige Neugierige entfernt; die Musik war verstummt; auch im Garten war es, trotz alles Lärms im Hofe, still geworden. Die Vermählten gingen langsam auf den sich schlängelnden Wegen hin; ein zarter Dunst hing wie Schleier unter dem Sternenlicht zwischen den Bäumen an dem Kanale; große Jasminsträuche, einzelne verspätete Nachtviolen dufteten in der warmen Luft; Feuerlilien, welche auf einem länglichen Rasenplatze wuchsen, waren deutlich zu erkennen; nicht weit davon glänzte eine Gruppe weißer Rosen im dunkeln Schatten. Einige Nachtigallen schlugen bald hier, bald da. Mathilden war es, als sei sie in der Heimath des Traumes. »Ich werde hier zu glücklich sein!« sagte sie.


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