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Elftes Kapitel.

In Goczyn war einige Tage vorher, ehe Edgar zurückkehrte, Heinrich angekommen.

Alexander war nicht zu Hause, als er ankam. Er fragte nach Mathilden und erfuhr, sie sei im Wohnzimmer. Er verbot Johann, ihn zu melden, stieg rasch die Treppe hinauf, trat leise in den Vorsaal, stand einen Augenblick still, um Athem zu holen, und klopfte dann an die bekannte Thür. »Herein!« sagte Mathilde d'rinnen; er öffnete, sie erhob sich langsam von ihrem Sitze, und Beide standen sich ernst gegenüber.

»Willkommen, Heinrich;« sagte sie endlich leise und streckte die Hand gegen ihn aus.

»Ich wünsche, daß ich Dir es sein möge;« antwortete er, indem er ihre Hand leicht faßte, aber nicht küßte und überhaupt keine Vertraulichkeit zu wollen schien.

Sie wollte schellen; er verhinderte sie daran. »Laß dich nicht stören,« sagte er; »ich bedarf bis zum Thee nichts.« Sie setzte sich wieder zu ihrer Arbeit, er nahm einen Stuhl ihr gegenüber. »Was wird das?« fragte er, auf die bunte Stickerei blickend.

»Ein Kissen für Alexander;« erwiederte Mathilde, »er bedarf es noch.«

»Wo ist er jetzt?«

»In Siemianice. Er ist fast den ganzen Tag aus.«

»Und Du immer allein?«

»Ja wohl; wer sollte denn bei mir sein? Auch als Bayer hier war, blieb ich allein; denn er begleitete immer Alexandern.«

»Hätte ich nur früher kommen können, um Dir Gesellschaft zu leisten;« sagte der Jüngling in sonderbarem Tone; »Edgar hat es zwar thun wollen, aber nachher wie immer das gethan, was ihm eben besser zusagte.«

Diese Worte verdienten keine Antwort; Mathilde fuhr schweigend fort zu arbeiten. Heinrichs Augen ruhten mit düsterem Feuer auf ihr. »Weißt Du, daß der Rath todt ist?« fragte er dann nachdrücklich.

Mathilde wurde todtenbleich, und ihre Hand zitterte so, daß sie die Nadel nicht richtig führen konnte. »Nein;« antwortete sie kaum hörbar.

»Du konntest es auch nicht wissen;« sagte er, »ich bin zwei Stunden nachher abgereiset; ich wollte der erste sein, der Dir diese Nachricht brächte.«

»Und worin betrifft sie mich?« fragte Mathilde, so ruhig, als sie es mit zitternden Lippen konnte.

»Worin sie Dich betrifft?« wiederholte Heinrich lachend. »Wahrhaftig, ich glaube, Du denkst Dich noch vor mir zu verbergen, Mathilde?«

Sie hatte den Kopf tief hinuntergebeugt; ihre Hände flogen; sie zitterte unter seinem höhnischen Blicke, wie eine Verbrecherin.

»Weißt Du jetzt, worin sie Dich betrifft?« fragte er spöttisch. »Ich denke, es muß sich jetzt entscheiden, wen der Held dieses doppelten Romans aufgeben will, Dich oder die Räthin. Doch glaub' ich, hast Du nichts zu fürchten; Du bist ihm noch neu, und – verheirathet, worauf es ihm besonders ankommt.«

Mathilde hatte während dieser Rede den Kopf emporgehoben, und ihre Blässe war allmälich vor einer dunklen Röthe verschwunden. Jetzt fragte sie langsam: »was willst Du damit sagen?«– »Nichts anderes, als was ich aussprach;« antwortete er beleidigend: »ich kann kaum glauben, daß es noch einer Erklärung bedürfe.«

Sie war aufgestanden; sie trat ihm einen Schritt näher, und ihre gewöhnlich so schüchternen Augen warfen ihm Blicke zu, vor denen er mit Mühe die seinigen nicht niederschlug.

»Wenn Du wüßtest, wie gewöhnlich Du in diesem Augenblicke vor mir stehst;« sagte sie mit vor Zorn zitternder, aber unterdrückter Stimme; »wenn Du wüßtest, wie hoch der, den Du verläumdest, über Deinem Neide, Deinem kleinlichen Hasse steht: Du würdest nicht länger wagen zu ihm aufzusehen. Und Du sollst es wissen. Ja, ich liebe Edgarn, ich sage Dir es, ohne die Augen niederzuschlagen; es ist eine Schuld, aber keine Erniedrigung. Und es ist meine Schuld ganz allein, er hat nie ein Wort zu mir gesprochen, das mich verlockt hätte; ich bin ihm heilig gewesen. Er liebt mich nicht!« setzte sie hinzu, und große Thränen fielen aus ihren Augen, aber hastig sie abtrocknend, fuhr sie fort: »wenn er nicht herkam, so war es, um meiner Schwäche zu schonen; er hätte seiner Schwester nicht reiner nahen können, als er mir stets genaht ist, und das ist der Mann, von dem Du gesprochen hast.«

Heinrich hatte sein Gesicht in den Händen verborgen. »Du liebst ihn!« murmelte er; »Du liebst ihn! Allmächtiger Gott, das zu hören!«

»Ja,« sagte sie mit schmerzlichem Lächeln, »ich liebe ihn. Ich kann nicht anders. Ich habe Tage und Nächte durchkämpft – durchbetet – ich wollte seinen Namen auslöschen – ich konnt' es nicht, ich liebe ihn. Aber nur wie einen Stern, wie einen Traum; ohne Wunsch, ohne Hoffnung. Dahin hab' ich es mit meinem Ringen gebracht.«

»Und Alexander?« fragte Heinrich, indem er das blasse Gesicht zu ihr erhob.

»Ja, das ist schrecklich,« sagte sie weinend, »daß ich ihm untreu bin, und er mir so ganz vertraut. Ich gebe mir auch keine Mühe, mich zu verbergen; ich wünsche mir fast eine Frage, daß ich mir das Herz erleichtern, ihm Alles sagen könnte. Wenn er mich liebte, müßt' er es schon längst gesehen haben.«

»Mathilde,« sagte Heinrich, »wenn er Dich geliebt hätte, würdest Du dann –«

»O niemals, niemals!« rief sie, ihn unterbrechend. »Wenn ich sein Herz nur einmal schneller schlagen gefühlt hätte; wenn ich nur hätte glauben dürfen, er werde mich einst lieben: ich hätte an ihm für ewig gehangen. Aber er war immer gleich still; ich sah, daß ich ihn nie bewegte, daß er selbst meine Liebe nicht forderte – ich war darein ergeben, klagte nicht, dachte, es müßte so sein – da sah ich Edgarn. Ich hätte wissen sollen, daß ich ihn liebte, an dem fremden Glücke, das ich fühlte, aber ich dachte nicht daran. Er hat auch nicht daran gedacht, daß mein Gefühl sich verirren könnte; als er es am letzten Abend entdeckt hatte, da hast Du gesehen, wie er von mir Abschied nahm.«

»Ja,« sagte Heinrich bitter lächelnd, »Cornelia hatte ihn auch nur gesehen. Er hat niemals Schuld.«

»Cornelia?« fragte Mathilde.

»Ja,« antwortete der Jüngling; »auch ein Mädchen, das ihn liebte, wie Du ihn liebst, blos weil er da war. Und Alexander immer neben ihm, – wunderbar.«

Er verfiel in düsteres Sinnen; endlich riß er sich daraus in die Höhe und sagte ernst, ohne Leidenschaftlichkeit: »Mein Schicksal scheint zu sein, Dich zu beleidigen. Willst Du mir heute noch einmal vergeben?«

»Mich hast Du nicht beleidigt,« antwortete die junge Frau, mit schmerzlicher Ergebung; »denn ich verdiene Alles, aber –«

»Ihn;« sagte Heinrich statt ihrer; »nun so vergieb mir, daß ich ihn beleidigte.«

Sein Ton war wieder bitter, dennoch reichte sie ihm stumm die Hand; die Erinnerung an jene Tage, in denen sie sich kennen lernten, war ein unzerreißbares Band zwischen Beiden.

Er behielt ihre Hand. »Wenn Alexander mich bleiben läßt,« sagte er, »fürchte Dich nicht. Ich werde schweigen; Du sollst selbst mein Auge nicht auf Dich gerichtet finden, wenn Du an ihn denken willst.« In diesem Augenblicke ging die Thüre des Vorsaales auf; Heinrich ließ Mathildens Hand los, aber Beide blieben stehen, wie sie standen, und jetzt trat Alexander herein.

»Du?« fragte er, indem er langsam vorwärts kam.

»Ja;« antwortete Heinrich und erwartete still den Vorwurf des Bruders.

Dieser trat dicht zu ihm heran, legte die Hand auf seine Schulter und blickte ihn ernst an. »Weißt Du, was Du thust?« fragte er, mit gedämpfter Stimme, so daß Mathilde ihn nicht hören konnte.

»Ich weiß es;« antwortete Heinrich ebenso. »So bleibe;« sagte Alexander, und setzte dann laut hinzu: »es ist mir lieb, daß Mathilde Gesellschaft bekommt. Armes Kind, sie ist wirklich halb verlassen jetzt.«

So war Heinrich aufs Neue der Hausgenosse der beiden Menschen, die er mit gleicher Heftigkeit liebte, und die früheren Tage schienen wiedergekehrt, aber ernst und als wären sie von Leiden verändert. Auch die Jahreszeit war jetzt ernster; ein trockner Sommer machte einem frühen Herbste Platz, der den versengten Rasen und das vorzeitig gelbe Laub durch seine Nebel nicht mehr erfrischen konnte und daher lieber gleich darinnen verhüllte. Nur selten kam ein schöner Tag, dann saßen die jungen Leute im Garten, und Mathilde flocht wol auch einen Kranz. Aber wie anders als damals reichte Heinrich ihr die Blumen; stumm, den Blick halb abgewendet, oft mit Mühe athmend; und sie schwieg auch und starrte oft Minuten lang auf die Blume, die sie hielt, nieder, ehe sie sich erinnerte und weiterflocht. Ueber Beider Leben war die Liebe gezogen, wie der Sommer über die Felder, und ihre Jugend war verwelkt, wie das Laub an den Bäumen, unter denen sie saßen.

Alexander beobachtete sie mit Ruhe. Er hatte Heinrich mit dem Vertrauen, welches großartigen Seelen eigen ist, dem Unabänderlichen übergeben und wartete. Von Mathilden glaubte er, es mache sie traurig, noch nicht Mutter zu sein. Er sagte es ihr auch; sie schwieg, und er ahnte nicht, daß er sich täusche. Doch sehnte er sich allmälich nach Edgar und schrieb an ihn, um ihn zu bitten, daß er kommen sollte.

Edgar antwortete, er könne nicht so oft Urlaub verlangen. Er wollte nicht nach Goczyn, wo ihn auch nichts erwartete, als stumme Leidenschaft, die er täglich bei Hortensen sah und die er, eben weil sie stumm war, ertragen mußte, obwol er beinahe verzweifelte, sich gebunden zu sehen. Hätte Hortense etwas von ihm gefordert, ihm nur einen Vorwurf gemacht, er hätte sprechen, sie beschwören können, ihn freizugeben; er hätte selbst hart sein und sich losreißen können, aber wie sollte er das anfangen, da sie nichts forderte, sondern schweigend ihr Urtheil von seinen Lippen erwartete? Lange schwieg er auch, und hoffte, ihr Stolz würde endlich sich aufrichten und ihn fragen; aber ihr Stolz war längst von ihrer Liebe besiegt, und sie blieb die Sklavin zu den Füßen des Herrn. Da sah er es als sein Schicksal an, bat sie um ihre Hand und blickte nun gleichgültig in sein ferneres Leben hinaus.

Alexander aber schrieb wieder, und in einem flüchtigen Briefe, der kurz vor Weihnachten ankam, forderte er selbst das Hinkommen des Bruders. Edgar gab Hortensen diesen Brief, während er mit verschränkten Armen im Zimmer auf- und niederging. »Es scheint etwas Wichtiges vorgefallen zu sein;« sagte sie, mit gepreßter Stimme; »Sie müssen hin.« – »Meinen Sie?« fragte Edgar ganz kalt. Weiter wurde nichts darüber gesprochen. Edgar sagte so nebenher bei Bayers, daß er sie einige Zeit nicht sehen werde, weil er nach Goczyn müsse. »So?« sagte Herr von Bayer, und damit war bis auf einige Aufträge der Frau von Bayer die Sache auch hier abgethan. Beim Abschiede fragte Hortense: »Bleiben Sie lange?« – »Nein;« antwortete er, »was sollte ich da?« Er fuhr mit der Schnellpost bis zu der drei Meilen von dem Schlosse entfernten Stadt, wo er den Morgen auf dem Sopha schlafend abwartete, noch einige gleichgültige Besuche machte und erst nach zehn Uhr Extrapost nahm. Er lehnte sich fest in den Wagen zurück; er wollte ruhig sein, und sein Wille war von Eisen. Eh' er in den Hof einfuhr, hatte er noch das Buch aufgeschlagen, in dem er wirklich mit Aufmerksamkeit gelesen hatte; aber sich länger zu beherrschen vermochte er selbst mit der größten Anstrengung nicht. Sein Herz schlug heftig, und raschathmend sprang er aus dem Wagen und eilte in das Schloß. Man hatte ihn kommen hören, und Alexander trat ihm oben an der Treppe entgegen. »Ich habe Dich erwartet;« sagte er ernst, fast düster; »und Deine Stube ist geheizt. Du hast noch eben Zeit, Dich zum Essen anzuziehen; ich werde Dich begleiten, ich muß mit Dir sprechen.« Durch Edgars Kopf fuhren blitzschnell die seltsamsten Gedanken, und schweigend ging er neben dem Bruder den Gang hinab, in dem Johann schon mit Edgars Mantelsack voraneilte, den er im Zimmer sogleich auspackte. »Wir haben zu sprechen;« sagte Alexander nun, und Johann zog sich zurück. »Was ist?« fragte Edgar. »Ich habe Dir gleich das Schlimmste sagen wollen;« antwortete Alexander; »wir müssen binnen sechs Monaten sechzigtausend Thaler schaffen, oder Goczyn ist verloren.« Edgar sah den Bruder erstaunt an; dieser nahm einen Brief heraus und sagte: »lies.«

Edgar las. Der Brief war von Herrn Faß, der Alexandern erklärte, daß jener Kaufmann, der ihm damals die Summe von dreißigtausend Thalern angeboten, zu diesem Darlehn nur seinen Namen, er aber, Herr Faß, das Geld dazu gegeben, so wie auch zwei andere von Alexanders Gläubigern bewogen habe, ihre Forderungen auf Goczyn ihm abzutreten, so daß er jetzt auf der Herrschaft eine Summe von sechzigtausend Thalern stehen habe, die er hiermit, wie er müsse, ein halbes Jahr vorher kündige.

»Er ist klug gewesen;« sagte Edgar und legte den Brief gedankenvoll auf den Tisch. »Ja,« sagte Alexander, »wenn ich nicht zahlen kann, ersteht er die Herrschaft.« – »Wie viel bist Du im Ganzen schuldig?« fragte Edgar, »Ueber hunderttausend Thaler;« antwortete Alexander. Edgar stützte sich auf den Schreibtisch und sagte: »diese Summe war nach dem früheren Werthe der Güter unbedeutend für diese; jetzt wirst Du sie unter solchen Umständen kaum erhalten. Und nun dieses plötzliche Zurücktreten von dem Schurken, dem Pächter. Glaubst Du nicht, daß er mit Deinem neuen Gläubiger zusammenspielt?« – »Allerdings;« antwortete Alexander, »und er konnte ihm nicht besser in die Hand spielen; der Boden ist so vernichtet, daß ich ohne den Holzverkauf nicht die Zinsen hätte zahlen können, und so wird es noch mehrere Jahre sein.« Er war auch bei dem Schreibtische stehen geblieben; Edgar nahm seine Hand und sagte: »ich fürchte, dieser Mensch setzt seinen Willen durch.« – »Nein;« sagte Alexander; »mit großen Opfern kann ich die Güter halten.« – »Du kannst den Verkauf hinhalten;« sagte Edgar; »aber vermeiden schwerlich.« »Doch,« setzte er hinzu, »ich nehme, wie man es immer muß, das Schlimmste an; wir haben sechs Monate; vielleicht gelingt mir's, Gelder zu schaffen.« Alexander drückte ihm schweigend die Hand und ließ ihn dann sich eilend umziehen; denn es schlug schon zwei Uhr, und er war kaum fertig, als Johann meldete, es sei angerichtet. Edgar hatte über dem Gespräch fast vergessen, daß er Mathilden sehen sollte; aber jetzt auf dem Gange nach dem Saale schlug das Herz ihm immer heftiger. Er trat ein, sie stand nicht sehr weit von der Thür, er ging auf sie zu, sie that einige Schritte ihm entgegen und reichte ihm mit leisem Willkommen die Hand. Er sah sie an, sie war seit ihrer Verheirathung und noch in den letzten Monaten bedeutend gewachsen; fast hoch, im dunklen Kleide, welches ihren zarten Wuchs dicht umschloß; ganz blaß stand sie vor ihm und verschwand ihm einen Augenblick, denn ein Schatten ging vor seinen Augen vorbei und sein Athem stockte. Sie bemerkte das nicht; sie entzog ihm die Hand und suchte mit dem Blick nach Alexandern, der auf Heinrich gewartet hatte und jetzt erst mit diesem hereintrat. Heinrich hatte ihn etwas aufgehalten; auch war er selber innerlich zu bewegt, als daß er Mathildens Bewegung hätte bemerken sollen. Edgar hatte sich schon wieder in der Gewalt und war nur noch sehr blaß, was er benutzte, um sich nach dem Mittagessen, welches einsylbig eingenommen wurde, unter dem Vorwande, daß er nicht ganz wohl sei, auf einige Stunden zurückziehen. Als er nun allein war, holte er tief Athem, als sei die Luft seit einer Stunde eine neue geworden. Dann trat er an das Fenster, öffnete es einer milden Winterwärme und sah nach dem Himmel. Das Zimmer lag gegen Morgen; doch der Glanz eines farbigen Sonnenunterganges hatte sich bis hierher verbreitet, und die durchsichtigen Gestalten der Bäume zeichneten sich auf einem rosenhellen Grunde ab. Edgar sah dieses schwimmende Licht, er sah die Schönheit der emporspringenden Aeste, und wer in diesem Augenblicke in sein Auge gesehen hätte, der wäre von dem vollen Erguß einer flammenden Seele mit einem zweiten Lichtstrom überflutet worden. Aber er war allein, weit umher kein Regen menschlicher Arbeit, nur die Natur vor ihm, und vor ihr scheute er sich nicht; denn sie war ihm vertraut, und an finsteren Abenden, wo er auch mit ihr allein gewesen war, hatte oft ein Sturm Beide bewegt.

»Du!« sagte er; »Du! – Mathilde! Ja, ich liebe endlich! Die Eisdecke ist zersprengt; mein Herz wallt wie der freigewordene Strom. Ich könnte für Dich sterben. Es ist ein göttliches Gefühl!«

Er verlor sich in Erinnerungen. Von dem Abende vor der Hochzeit an bis zu dem heutigen Tage wurde Alles, was zwischen Mathilden und ihm vorgegangen war, ihm wieder lebendig und gegenwärtig. Er erstaunte selber über die Genauigkeit, mit welcher er sich es zurückrufen konnte. »Wie hat mein Herz sich Alles genau gemerkt!« sagte er; »es ist klüger gewesen, als mein Verstand, der mir immer abstritt, daß ich Dich liebte. Und Du liebst mich, Mathilde; was nur selig machen kann, das ist in Deiner Seele für mich bereitet, und ich Thor wollte mich von Dir wenden!«

Das Abendroth verschwand in der Dämmerung und diese vor den aufgehenden Sternen, und noch immer fühlte er nichts, als daß er liebe. Daß er die Frau seines Bruders liebe, daran wollte er jetzt nicht denken, sondern verschob es bis auf die Stunde, wo er entscheiden würde, wie Mathilde sein werden solle; denn daß es ihm nicht in den Sinn kam, sie könne nicht sein werden, das können wir versichern. Entsagen hatte er nicht gelernt, und so trank er ohne Scheu aus dem frisch eingeschenkten Becher, bis endlich Johann an die Thüre klopfte und Mathildens Einladung zum Thee brachte. Rasch folgte er dieser, und nie war er schöner gewesen, als da er in das an Erinnerungen reiche Zimmer trat und mit einem Blicke, den aber nur Heinrich sah, die Gestalt der geliebten Frau überflammte. Dann setzte er sich und erzählte von Paris; sein erregtes inneres Leben zuckte in seinen Worten hervor, und er hätte an diesem Abende die Bewunderung des größten Kreises erregen können.

Am nächsten Morgen begleitete er Alexander auf dem täglichen wirthschaftlichen Ritte, und der Weihnachtsabend dämmerte schon in den Tag herein, als sie zurückkehrten. Wie gestern wurde der drohenden Verlegenheit bei der allgemeinen Vereinigung nicht erwähnt, und heute war auch das Mittagsessen belebter, indem Edgar noch viel mitzutheilen hatte und Alexander sich, so viel er konnte, von der schrecklichen Aussicht, das Schloß von dem Bürger bewohnt zu sehen, wegzuwenden suchte. Am Theetische hatte Jeder eine kleine Ueberraschung für Mathilde, die ihrerseits für Alexander und Heinrich etwas gearbeitet, für Edgar aber nichts hatte, als ein Versprechen für die nächsten Weihnachten. »Das ist zu lange hin;« sagte er; »ich muß jetzt etwas haben. Geben Sie mir wenigstens eine Blume!« – »Eine Blume?« wiederholte Mathilde; »das ist wenig.« – »Oder viel;« sagte er, und ging zu dem Blumentische am Fenster; »geben Sie mir einen Stengel Reseda.« – »Hat die eine Bedeutung für Dich?« fragte Alexander. »Die höchste;« antwortete Edgar, der eben den Stengel empfing und verwahrte, und sich dann an den Flügel setzte. Alexander dachte nach; Alles, was Edgar that, schien den Zweck zu haben, eine gewaltsame Leidenschaftlichkeit nur in etwas auszulassen; auch sein Gesang klang anders als sonst. »Edgar, solltest Du lieben?« fragte Alexander leise, während Jener nach einem Notenhefte suchte. »Ja!« antwortete Edgar. »Wirklich?« sagte Alexander überraschend; »und hast Du Hoffnung?« – »Ich werde geliebt;« antwortete Edgar, »und das ist genug, um Dir zu sagen, daß ich an's Ziel gelangen werde.« Wirklich war er jetzt schon völlig entschlossen und eben darum völlig unbefangen, so wie es ihm auch ganz überflüssig erschien, sich Mathilden eher als im entscheidenden Augenblicke zu nähern. Er war ihrer Liebe gewiß wie seines Willens, und so sprach er immer nur im Allgemeinen und in dem ruhigsten Tone mit ihr. Dennoch umgab es die junge Frau überall wie heiße Luft, und die Ahnung seiner Liebe zog wie ein Wehen, welches Gewitterstürmen vorausgeht, beängstigend hindurch.

Zwischen diesen innerlich bebenden, zu jedem Ausbruch vorbereiteten Zustand trat plötzlich Frau von Hain, welche mit Wilhelm der Einladung ihres Schwiegersohnes folgte. Sie hätte es diesmal nicht gethan, hätte sie nicht gewußt, daß Edgar erwartet werde. Diese neue Näherung erfüllte sie mit zu lebhafter Angst, als daß sie nicht hätte wünschen sollen, ihn selbst zu beobachten; sie kam und fand ihn.

Mathilde zitterte bei ihrer Ankunft; Heinrich hingegen empfing sie wie eine Retterin; er erwartete von ihr, er wußte selber nicht recht was, jedenfalls aber weit mehr, als sie selbst bei der größten Strenge thun konnte. Edgar begrüßte sie mit vollkommener Sicherheit; er wußte, daß sie als seine Richterin gekommen sei; er beschloß fest, sie zu seiner Verbündeten zu machen, und als sie noch bei dem Anfange des Ueberlegens war, welchen Schritt sie thun solle, benutzte er schon das erste Alleinsein mit ihr, und sagte ihr nach einer kurzen Einleitung, daß er ihre Tochter liebe.

Sie war gänzlich unvorbereitet, ganz durch Ueberraschung angegriffen. »Und das sagen Sie mir, Herr von Aarhausen?« war Alles, was sie sagen konnte.

»Warum nicht, gnädige Frau?« fragte er zurück.

»Ich begreife Sie nicht;« sagte sie.

»Sie begreifen nicht,« sagte er, »daß ich meine Liebe unter Ihren Schutz stelle? daß ich sie dadurch heiligen will, daß ich zuerst um Ihre Einwilligung bitte?«

»Um meine Einwilligung? wozu?« fragte sie. »Zu einer Scheidung Ihrer Tochter von Alexandern und zu ihrer Verheirathung mit mir;« antwortete er.

»Nimmermehr!« rief Frau von Hain voll Abscheu.

»Nimmermehr?« fragte Edgar, und sah sie fest an; »und das Glück Ihrer Tochter?«

»Und die Sünde?« fragte sie.

»Die Sünde ist geschehen;« sagte er; »Mathilde liebt mich, ich liebe sie; was bedarf es mehr, um die Ehe zu brechen? Bleibt Mathilde Alexanders Frau, so fügen wir der ersten Schuld eine zweite hinzu, die Verheimlichung; denn daß unsere Liebe weitergehen wird, daran werden Sie doch nicht zweifeln, gnädige Frau? Wer liebt, bleibt nicht auf halbem Wege stehen, oder wenn Andere es auch könnten, ich kann es nicht und – ich will es nicht. Ich habe thörichter Gesetze nicht geachtet, da es sich um bloße Launen handelte, sie werden mich jetzt nicht hemmen, wo es sich um meine erste Liebe handelt.«

»Also ist die heilige Stiftung der Ehe Ihnen nichts, als ein thörichtes Gesetz?« fragte Frau von Hain.

»Sobald die Liebe aufhört, – ja;« antwortete Edgar, »und zu meinem Glück bestätigt unsere Kirche selber meine Meinung.«

»Die Kirche hat der Welt manches nachgegeben,« sagte die ernste Frau, »was einst ihr Verderben sein wird.«

»Möglich;« sagte Edgar, »dann mag sie es einst vertreten. Einstweilen fühle ich keinen Beruf, heiliger zu sein, als die Kirche.«

»Aber ich fühle ihn;« antwortete sie.

»Sie vielleicht, aber Sie sind nicht Mathilde.«

»Mathilde ist meine Tochter.«

»Und meine Geliebte;« sagte Edgar mit ruhigem Lächeln. »Oder glauben Sie, ich werde Ihre Tochter umsonst anflehen?«

»Ich fürchte, nein;« antwortete sie, indem sie das Auge traurig auf ihm ruhen ließ.

»Und dennoch wollen Sie mir feindlich in den Weg treten?« fragte er. Dann verließ er seine stolze Stellung; er trat ihr näher, stützte sich auf die Armlehne ihres Sessels, beugte sich leicht zu ihr nieder, und wie eben noch mit einem herausfordernden, sah er sie jetzt mit einem unendlich bittenden Blick an.

»Nein, Sie werden es nicht;« sagte er, und seine Stimme klang weich, hoffnungsvoll und innig; »Sie waren immer so gütig gegen mich, Sie werden nicht wollen, daß ich unglücklich werde. Ich verehre Sie so sehr; ich weiß, daß ich gegen Sie siegen werde, aber das würde mir so schmerzlich sein. Hingegen mit Ihren Wünschen, mit Ihrem Segen – o, es steht in Ihrer Hand, Alles so schön zu lösen und Sie könnten es schmerzlich verwirren wollen? Und warum? Um kalten Begriffen Genüge zu thun, die vor der Macht eines großen Gefühles noch immer zerschellt sind?«

»Was Sie kalte Begriffe nennen, nenne ich heilige Gebete;« sagte Frau von Hain, noch ernst, aber schon von dieser Stimme erschüttert; »was bleibt denn gesichert, wenn wir jede Schranke, die wir finden, nach Willkühr umstoßen?«

»Was kümmert's mich?« fragte Edgar. »Ich will keine Schranke umstoßen, ich will nur mein Glück. Ich habe es schon gesagt, ohne Liebe ist die Ehe nicht heilig, ja sie ist gar nicht da; denn ihrem Sinne nach ist sie Einssein von zwei Menschen, und eines werden zweie nur in der Liebe. Ich entweihe also nichts.«

»Aber Ihr Bruder?« fragte Frau von Hain.

»Meinen Bruder kenn' ich; er würde mir das größte Opfer bringen, und was ich verlange, ist selbst keines, denn er liebt Ihre Tochter nicht; sie ist ihm nichts, als eine liebe Gefährtin.«

»Und Ihnen würde sie vielleicht einst noch weniger sein.«

»Versuchen Sie es, gnädige Frau;« antwortete Edgar. Seine Stimme hatte einen Ausdruck, den keine Beschreibung wiedergeben kann; Frau von Hain konnte sich diesem Zauber unmöglich ganz entziehen.

»Sie haben mit Mathilden noch nicht gesprochen?« fragte sie. Er verneinte schweigend. »Gut,« sagte sie, »so versprechen Sie mir, morgen abzureisen und für das Erste nichts zu thun. Ich werde meine Tochter, ich werde auch Ihren Bruder prüfen. Sollte Mathilde ihm mehr sein, als Sie glauben, versprechen Sie mir dann abzustehen?«

»Ich verspreche, morgen abzureisen und für's Erste nichts zu thun;« antworte Edgar, schon kälter, da er eine Bitte umsonst gethan hatte. »Mehr versprech' ich nicht. Ich bin ganz offen gewesen, gnädige Frau; ich überlasse es nun Ihnen, ob Sie eben so handeln wollen.«

»Ich werde es;« erwiederte sie, indem sie aufstand, während er zurücktrat. »Ich verspreche nicht, Sie zu unterstützen, selbst nicht, Ihnen nicht entgegenzuwirken; aber ich verspreche Ihnen, nichts zu thun, ohne Sie zuvor davon zu benachrichtigen.«

Er verbeugte sich. Am andern Morgen verließ er Goczyn, ohne zu Mathilden etwas gesagt zu haben, als die Worte: »Auf Wiedersehen!«


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